Ein Lächeln für jeden Tag von MusiKasette (Spikey) ================================================================================ Kapitel 1: Sommerströmung ------------------------- „Hmm-Hm... Hmm-Hm...“ Summend tastete ich über den rauen Steinboden und betrachtete die unebene Oberfläche. Heute war der Stein wieder einmal unglaublich schön. Das dunkle Grau mit dem hellen Kalksteinäderchen, die sich wie dünne Finger über den gesamten Felsen ausbreiteten. Einfach herrlich. Heute hatte ich vor, mit vielen neuen Kleinigkeiten zu Betsy zurückzukehren. Sie würde sich sicherlich freuen, denn Schmuck liebte sie von ganzem Herzen. Niemanden machte ich mehr glücklich, als sie. Langsam fuhr meine Hand mit den vier Fingern und den verschrumpelten Schwimmhäuten über das Gestein. Der Kalk war ganz weich und glitzerte so schön wenn ein paar Lichtstrahlen auf ihn fiel, doch leider mochte Betsy keinen Kalkstein. Der war nicht fest genug und glänzte nicht so schön. Also hob ich den Kopf und ließ meine blauen Augen über das Gelände schweifen. Die roten welligen Haare, mittlerweile lang genug um mein Gesicht zu verdecken störten meine Sicht, wenn sie in der Strömungslosen See um meinen Kopf wallten und einfach nicht dort bleiben wollten, wo sie waren. Langsam glitt ich durch das kalte Wasser und durch ein paar Felsen durch. Überrascht beobachtete ich ein paar Fische, wie sie bei meinem Anblick hastig davon schwammen, obwohl sie nicht einmal mein Gesicht gesehen hatten. Wahrscheinlich lag das an meiner schmutzig braunen Schwanzflosse, die unmissverständlich jedem Wesen zu verstehen gab, welcher Rasse ich angehörte. Unfair! Es gab so viele andere Haie wie mich und die wurden nicht so gemieden, wie ich! Unfair! Ich sah den bunten Flossen nach und betrachtete dann meine eigene. Wenn ich sie direkt neben den weißen Kalkstein hielt, wirkte das Braun noch schmutziger und die hellbraunen Flecken und Muster willkürlich über meinen Körper verteilt. Auch das Loch in der Schwanzflosse verstärkte den sumpfigen und unschönen Anblick. Dabei war mein Körper stark, die meisten meiner Bewegungen langsam und ruhig, damit ich niemanden mit meiner Erscheinung erschreckte. Und trotzdem nahmen die seltenen Wesen die ich traf sofort Reißaus, noch ehe ich sie erblickte. Ich seufzte schwer und beobachtete die unförmigen Luftblasen, wie sie unter meinen Haaren verschwanden und dann an die Oberfläche wanderten. Kurz blickte auch ich auf, mit dem Gedanken spielend, dort oben einen anderen Platz zum Leben zu suchen, doch da blinkte etwas in meinem Augenwinkel und ich erinnerte mich freudig an Betsy und wie sie auf mich warten würde. Mit langen und geschmeidigen Schnalzern meiner Schwanzflosse trieb ich auf das glänzende Ding zu und entdeckte es eingegraben in Sand und versteckt unter Steinen. Nur eine kleine Spitze ragte heraus, die mich mit ihrem Glanz herbeigelockt hatte. Vorsichtig näherte ich mich und umkreiste es erst, damit ich nicht zu übermütig nach dem vielleicht scharfen Gegenstand griff. Das hatte mir schon Narben beschert und den Geruch meines eigenen Blutes konnte ich nicht ertragen. Also näherte ich mich ganz langsam und ganz vorsichtig, bevor ich mich traute den ersten Stein anzuheben. Mehr Glanz kam zum Vorschein und ich griff übermütig nach dem nächsten Stein der dieses Ding unterdrückte. Noch mehr Glanz! Freudig begann ich leicht zu graben und wirbelte den feinen Sand auf. Doch zwischen dem feinen Nebel aus Sand und Dreck glitzerte und glänzte das kalte Etwas, das meinen Blick gefangen nahm. Meine Finger stießen gegen das kalte Ding, welches viel viel kälter war als das Wasser oder die Steine die es begruben, weswegen ich zurückzuckte. Doch ich hatte mir nicht wehgetan, sodass ich den Sand weg wischte und behutsam die völlig glatte Oberfläche berührte. Locker steckte es nur noch im Sand, weswegen ich es vorsichtig hervorzog und in der gesunden Hand hin und her drehte. Es war nicht viel größer als meine Handfläche, doch prangten spitze Kanten und Enden, die mich wohl verletzten würden sollte ich nicht vorsichtig damit umgehen. Und während es auf der einen Seite glänzte und schimmerte, die Umgebung wiederspiegelte, ermattete die Oberfläche auf der anderen Seite und hatte die Farbe eines Mantarochenrückens. Behutsam wischte ich den letzten Dreck weg und sah überrascht in mein eigenes Gesicht. Die kristallblauen Augen starrten mich überrascht an, weswegen ich weg sah und stattdessen noch etwas im Sand pulte. Vielleicht fand ich noch eines dieser tollen spiegelnden Dinger? Doch alles was ich zum Vorschein brachte war noch mehr Staub und Dreck. Oh, und einen dünnen, goldbraunen Rahmen, doch als ich versuchte den Dreck wegzuwischen, rubbelte ich auch das Gold ab, weswegen es keinen Wert mehr für mich hatte. Also hielt ich das flache spiegelnde Ding in einer Hand und sah mich grob um. Der aufgewirbelte Sand machte es fast unmöglich weiter an dieser Stelle etwas zu finden, weswegen ich langsam den Rückzug antrat. Unter mir wiegten sich ein paar lose Pflanzen in einer für mich zu sanften Strömung und ich kreuzte den Blick eines verschlafenen Fisches. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, als er auf mich zu torkelte und gegen meinen Bauch stieß. Er war nicht viel größer als ein kleiner Korallenfisch und er wirkte auch wie die Art Pechvogel, der in unangenehme Situationen hineinstolperte ohne es zu merken, als er hin und her wankte, sich zu fassen schien und neugierig an mir hoch schwamm. Ich drückte den kleinen Splitter Spiegel an meine Brust und beobachtete mit angehaltenen Atem, wie der kleine Fisch sogar bis an mein Gesicht kam. Ich presste die Lippen aufeinander und sah den kleinen Kerl abwartend an, als er blubbernd gähnte und mich erblickte. Seine Flossen erstarrten und in seinen kleinen Knopfaugen herrschte Überraschung. Eine kurze Sekunde lang herrschte erwartungsvolle Stille, bevor ich mich traute, ihn ganz leise zu grüßen. Ich versuchte meine Lippen nicht zu weit zu öffnen, doch war es unvermeidlich, dass er meine Zähne erblickte. „Hallo...“, flüsterte ich, da flatterten seine Flossen wild hin und her. Er schwamm mit Vollgas gegen meine Schulter – es fühlte sich an, als hätte man mich leicht angestupst -, merkte das dies die falsche Richtung war und raste wie ein Blitz zu einem anderen Ziel davon. Ich sah ihm nach und rieb mit dem Daumen meiner Schwimmhaut-Hand über das kalte Ding, welches noch an meiner Brust lag. Mit einem tauben Gefühl im Magen schwamm ich schnell davon und ließ den Fundort hinter mir zurück. Ich entdeckte in der trostlosen Gegend um mich herum zwei Felsen, die einen schmalen Spalt freiließen und tauchte dort zwischen. Unwohl lehnte ich mich in eine Ecke und sah enttäuscht auf den Boden. Fast. Beinahe hätte er keine Angst gehabt. Aber ich hatte ja meinen Mund aufmachen müssen! Ich löste den Splitter Spiegel von meiner Brust und lehnte sie gegen die Felswand mir gegenüber. Mit ein bisschen Geschick schaffte ich es, das er stehen blieb. Kurz haderte ich noch mit mir selbst, bevor ich meine Haare zurückstrich und in den winzigen Spiegel sah. Meine Augen - so hellblau und strahlend wie sonst - sahen traurig zurück, obwohl ich mich nicht so traurig fühlte. Doch das eigentliche Problem war mein Mund, der sich zu Füßen meiner krummen und flachen Nase breit und grinsend ausbreitete. Die Mundwinkel weit nach oben gebogen, die Lippen schmal und wenn ich sie nicht fest aufeinander presste blitzten die weißen und tausendfach ansässigen Zähnchen hervor wie rasiermesserscharfe Muscheln aus Kalk. Ich sah mich kurz um, doch kein Lebewesen war in der Nähe. Kein Fisch und auch keine Krabbe, die ich erschrecken konnte. Also massierte ich meine Wangen und versuchte meine Gesichtsmuskeln ein bisschen aufzuwärmen, bevor ich in den Spiegel sah und langsam versuchte mein breites Grinsen abzusenken. Doch die Mundwinkel verzerrten sich nur, ich verzog die Augenbrauen und schlussendlich sah ich noch gemeiner aus, als vorher. Frustriert nahm ich meine Haare und legte sie um mein Gesicht, sodass ich zwar zwischen den Strähnen hervorsehen konnte, sie aber meinen Mund verdeckten. Trotzdem war es irgendwie immer noch nicht perfekt. So würde ich niemals mit jemandem reden können. Erschöpft und ein bisschen erschlagen rieb ich mir die Wangen und hörte, wie in der Ferne etwas wirklich großes irgendwo ganz ganz tief hinabstürzte. Ein rumpeln und poltern, das nichts gutes verhieß. Beunruhigt packte ich den Spiegel, drückte ihn an meine Brust und schwamm langsam aus der Felsspalte wieder heraus. Eine Strömung riss mich zur Seite weg und überraschte mich damit so sehr, dass ich herumgewirbelt wurde und schlussendlich gegen einen losen Felsbrocken gedrückt wurde. Ging es etwa schon los? Die Strömung wurde stärker, weswegen ich hastig begann aus eben dieser heraus zu schwimmen um noch rechtzeitig zurück bei Betsy sein zu können. Betsy! Die hatte ich total vergessen! Ich musste sie noch schmücken! Hoffentlich gefiel ihr der neue Splitter Spiegel. Plötzlich schwamm etwas großes über mich hinweg und ich bemerkte, dass es ein Fels war. Die Sommerströmung war gekommen. Und sie würde erneut die Umgebung verändern, viele Wohnplätze zerstören und wahrscheinlich Tiere töten. Beunruhigt schnalzte ich mit der Schwanzflosse, tauchte kurz in eine tiefe Schlucht ab um den größten Sog zu entkommen und kreuzte dabei den Weg vieler Fische, die dieselbe Idee hatten wie ich. Kurz freute ich mich über die Gesellschaft, doch der einzige Grund das sie nicht vor mir flüchteten war, dass sie vor der Strömung größere Angst hatten als vor mir. Ein Rochen strauchelte, dem Strom nicht gewachsen und drohte mitgerissen zu werden. Ich griff nach einem seiner Flügel und zog ihn so sanft wie möglich in eine schwächere Strömung. Er flatterte wie verrückt, schien erst dankbar für die Rettung, als er sich doch von mir losriss und einen anderen Weg einschlug. Gekränkt wandte ich mich ab und erklomm die Schlucht auf der anderen Seite wieder um auf meine Lichtung zu kommen. Der Stein war glatt geschliffen vom Wasser und wenn ich nicht aufpasste rutschte ich ab und wurde abgetrieben. Doch nicht gegen die Strömung kämpfen! Sich mit ihr treiben lassen! Der Spiegel wurde mir aus der Hand gerissen. „Nein!“ Ich tauchte ab, immer dem Glanz hinterher und versuchte ihn zu fassen zu kriegen, doch tief unter mir war es noch gefährlicher, als in der Sommerströmung. Tiere und Wesen, größer und kräftiger als ich, beinahe Monströs, weswegen ich panisch nach dem Spiegel schnappte. Als ich ihn hatte, war ich bereits so tief unten, dass es fast stockfinster war. Nur der Spiegel schimmerte und reflektierte das Licht von oben. Ängstlich trat ich den Rückzug an und schwamm so schnell ich konnte wieder hinauf. Raus aus Neptuns Schlucht hinauf in die Strömung. Grollen und Grölen ertönte von dem ich nicht sagen konnte, ob es von den ächzenden Felsen oder aus der Schlucht kam. Also raste ich aus der Schlucht, kämpfte mit starken Schwimmzügen ganz ganz kurz gegen die stärkste aller Strömungen und stolperte aus ihr heraus wie eine Kaulquappe aus ihrem Ei. Hustend fiel ich auf den sandigen Boden und sah zurück. Nur eine Handlänge entfernt wirbelte das Wasser wie vom Teufel selbst befohlen herum und riss in seinem inneren Felsen, Tiere und Pflanzen mit sich, die schwächer waren als ich. Weit weit über mir, kurz vor der Oberfläche erblickte ich einen Fels aus Eis, der mit Leichtigkeit herumgedreht wurde. Ich wich zurück und schwamm so schnell ich konnte von der Strömung weg, auf direktem Wege nach Hause zu Betsy. Ich hustete noch etwas, überprüfte dass dem Spiegel nichts passiert war und zischte zwischen den Felsen hindurch zu meinem Heim. Zwischen riesigen spitzen Felsen verborgen lag es. Früher hatte es auf der Oberfläche gelegen, sanft zwischen den Wellen hin und her geschaukelt, doch nun war es auf den Meeresboden gesunken und steckte Kopfüber im Sand. Es glitzerte und glänzte so schön, wie selten in den letzten Tagen und ich kämpfte mich durch die Seetang-Felder vor meinem Eingang, bevor ich bei ihr ankam. Meinem Liebling, Betsy. Ich strich über die scharfen Kanten und Muscheln die ich in das alte Holz gesteckt hatte. Sie liebte alles was glitzerte und glänzte, weswegen ich ihr den Splitter Spiegel zeigte. „Sieh mal!“, flüsterte ich und schwamm vorsichtig über sie hinweg. Die Unterseite des ehemaligen Schiffes lag wie ein Seeigel inmitten eines von mir angelegten Seetangfeldes, sodass es von weit oben aussah wie ein schillernder, spitzer Diamant im wogenden grün. Vorsichtig suchte ich eine Stelle, an der ich noch etwas Platz für einen Splitter Spiegel hatte. Knapp wich ich einer Harpunenspitze aus, die höher als die anderen Scherben aus dem Holz ragte und entdeckte tatsächlich noch eine Stelle, die Platz für meinen Fund bot. Erfreut schob ich den dünnen Spiegel zwischen zwei Planken und drückte ihn vorsichtig fest, als eine verirrte Strömung über mich hinwegfegte und beinahe gegen die Scherbenlandschaft unter mir gepresst hätte. Ich wich erneut der Harpune aus und sah auf. Betsy lag zwar geschützt zwischen den Felsen, doch diese Strömungen wurden in den letzten Jahren immer heftiger. Als ein Stein auf mich niedersauste, zog ich es vor, lieber in meinem Heim zu verschwinden. Betsy ächzte und knarrte, als ich wieder um sie herum schwamm und in den Seetang abtauchte. Der Eingang war ein dünnes Bullauge, umrundet und ausgekleidet von spitzen durchsichtigen Scherben, die ich im inneren meiner Betsy gefunden hatte. Behutsam tauchte ich in das dunkle Schiff und schob dann einen leichten Felsen vor die einzige Öffnung meines Heimes. Gerne hätte ich noch anderen Lebewesen diesen Schutz angeboten, doch ich wusste dass sie aus Angst vor mir die falsche Richtung eingeschlagen hätten. In die Strömung hinein und dem Tod entgegen. Also sank ich auf den Boden meiner Betsy und rollte mich zusammen. Sie war glücklich über ihr neues Schmuckstück, den Splitter Spiegel, doch so sehr ich auch ihr Äußeres verzierte und zum Glitzern brachte. In ihrem Inneren war es dunkel. Und kalt. Ich würde gerne jemandem zeigen, wie schön sie glänzte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)