Drei von Aoki ================================================================================ Kapitel 1: Resonanz ------------------- Es dauert nur einen Augenblick. Ein gehauchter Satz, mit brutaler Wirkung. Die Resonanz darauf zerstört. Zerstört all das, wofür ich gekämpft habe. Wofür ich gelebt habe. Vernichtet all das, wofür mein Herz steht. Du nimmst mir die Hoffnung, indem du mir keine Wahl lässt. Du bestimmst die Regeln, nicht ich. Wo ist das Wir geblieben? Wann hast du damit aufgehört, an uns zu glauben? „Ich verstehe es einfach nicht. Warum kapierst du das nicht!?“ „Weil ich nicht verstehen kann, warum du so schwer von Begriff bist. Sie hat einen anderen. Du hast es mit eigenen Augen gesehen. Sie. Will. Nichts. Mehr. Von. Dir.“ Sein angespannter Kiefer signalisierte deutlich, wie unangenehm es war, diese Worte zu hören. Für ihn konnte es unmöglich der Wahrheit entsprechen. Eine Realität, die so grausam war, dass seine Brust schmerzte. Akzeptanz gleich Null. Er verstand es nicht. Wie oft hatte er schon zuhören müssen, ohne sich wehren zu können? Weil er genau wusste, dass es wahr war. Das Mädchen, von dem er dachte, sie würde für immer bei ihm bleiben, hatte ihm das Herz herausgerissen, ohne mit der Wimper zu zucken. Eiskalt abserviert. „Ehrlich Naruto, ich will dir nichts Böses, aber du musst langsam begreifen, dass es vorbei ist.“ Sein versöhnlicher Ton machte ihm bewusst, dass er schon lange verloren hatte. Er hatte keine Chance dem durchdringenden Blick seines Freundes standzuhalten. Dazu fehlte ihm die Kraft. Wie lange hatte er versucht, sie zurückzugewinnen? Jeglicher Kontakt wurde von ihr vermieden. Anrufe, die ins Leere liefen und Gespräche, die stets abgeblockt wurden. Der Schlafmangel zerrte zusätzlich an seinen Nerven. Immer wieder suchte er im Internet nach ihren Bildern, bei denen er mehr als nur einmal in Tränen ausbrach, als er sie entdeckte. Neue Bilder, von ihr, gemeinsam mit ihm. Der Grund, warum alles in die Brüche ging. Naruto hasste ihn mit jeder Faser seines Körpers. Wie ein Fremdkörper hatte er sich in seine Welt gedrängt und ihm alles genommen. Sein Glück, seine Freunde und sein Herz. „Naruto, sieh mich an“. Kibas Stimme zwang ihn dazu, seiner Bitte Folge zu leisten. „Ich weiß, dass es hart für dich ist, aber du wirst darüber hinwegkommen. Zwei Monate hast du schon geschafft und es geht doch bergauf, mh?“ Schnaubend schob er sich an ihm vorbei und öffnete seinen Kleiderschrank. Dinge, die er zu fassen bekam, warf er achtlos auf den Boden. Seine Hände brauchten diese Beschäftigung, um ihn zu beruhigen. Natürlich hatte er diese Monate überlebt. Wenn man von der Appetitlosigkeit und den Trauerphasen absah, hatte er es sogar gut überstanden. Aber wirklich leben konnte er es nicht nennen. Es war nicht dasselbe, wenn einem das Herz fehlte. „Mann, ich weiß du liebst sie, aber meinst du sie kommt zurück, wenn du sie so bedrängst? Sie ist glücklich mit ihm, also akzeptiere es wenigstens“. „Einen Scheißdreck werde ich. Sie gehört mir!“ Er bestand auf seine Meinung und ignorierte Kibas Kopfschütteln. Auf Verständnis von seinem besten Freund konnte er nicht hoffen. Niemand verstand die Gefühle, die so stark waren, dass es ihn innerlich aushöhlte. Der Spruch: ‚Wenn man wirklich liebt, dann will man nur, dass der andere glücklich ist‘, bereitete ihm Bauchschmerzen. Sicher, er wollte dass sie glücklich war, aber wenn, dann nur mit ihm. Für ihn waren Leute, die solche Phrasen benutzen, Menschen, die niemals wirklich geliebt hatten. Kiba saß mittlerweile auf seinem Bett und beobachtete ihn dabei, wie er den Inhalt seines Schrankes auf dem Parkett verteilte. „Im Ernst, wenn du damit nicht…„ Weiter kam er gar nicht, da die Tür zu Narutos Zimmer mit einem lauten Schrei aufgestoßen wurde. Unverkennbar seine Mutter, deren Augen vor Wut halb zusammengekniffen waren. In ihrer Hand hielt sie einen Zettel, den sie Naruto gegen die Brust drückte. Die Kraft, mit der sich die Fingerspitzen durch sein Shirt drückten, ließ darauf schließen, dass er sich großen Ärger eingehandelt hatte. „Kannst du mir das hier erklären?“ Der Druck gegen seinen Brustkorb erhöhte sich merklich. „Wieso ruft die Schule an und sagt mir, dass du kurz vor einer Suspendierung stehst? Und warum warst du schon wieder an Sakuras Spind?“ Ihre Stimme klang ruhig, doch sie hatte deutlich etwas Lauerndes an sich. Sie versetzte Naruto in eine Art Starre. Sein leicht geöffneter Mund brachte den Schockzustand, in dem er sich befand, gut zur Geltung. Erst Kibas Räuspern durchbrach die angespannte Stille und lenkte somit die Aufmerksamkeit der Frau auf sich. „Oh, ich habe gar nicht gewusst dass wir Besuch haben. Kiba, wie geht es dir?“ Es war immer wieder erschreckend, wie sehr sich ihre Laune innerhalb von Sekunden ändern konnte. Mit einem Lächeln ließ sie von ihrem Sohn ab und trat näher an Kiba heran, um durch seine braunen Haare zu wuscheln. Der hilflose Blick den er Naruto dabei zuwarf, wurde mit einem schiefen Grinsen quittiert. Jetzt hatte er wenigstens genügend Zeit, um sich eine plausible Erklärung einfallen zu lassen. Doch, wenn er es sich recht überlegte, wollte er sich nicht herausreden. „Weißt du, was in dem Brief steht?“ Als sie sich wieder zu ihm herumdrehte, stieß er entnervt die Luft aus seinen Lungen. „Nein, aber bevor du jetzt über mich herfällst. Es gibt einen Grund dafür, dass ich an ihrem Spind war. Ich wollte ihr nur Mr. Twinkelz zurückgeben“ Das kurze Auflachen seiner Mutter zeigte ihm, dass sie diese Ausrede nicht gelten lassen würde. Herrgott, er glaubte sich ja selbst kaum. „Naruto, sie hat die Kombination schon 47 mal geändert, was ist nur los mit dir?“ „Ma, bitte, ich wollte ihn doch nur zurückgeben“ Jetzt verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Und du hättest ihr das Ding nicht persönlich geben können?“ „Wie denn?! Sie redet ja nicht mit mir.“ „Und du hättest Mr. Twinkelz auch keinem Kameraden geben können, damit er ihn weiterreicht?“ Überfordert fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Natürlich hätte er es so machen können, doch dann würde er nicht wissen, was sich alles in ihrem Spind befand. Außerdem war der dazu gesteckte Liebesbrief viel zu privat, um ihn durch fremde Hände wandern zu lassen. „Naruto, die Schule schreibt uns, dass wir vielleicht professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollten.“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seiner Mutter ins Gesicht. Wie dreist waren diese Menschen eigentlich? Klar, er war alles andere als zurückhaltend, aber deswegen noch lange nicht krank. „Was für eine beschissene Idee soll das bitte sein?“ „Naruto, sprich nicht so…„, fing sie an, hatte aber keine Chance weiterzusprechen, da er laut dazwischenfuhr. „Nein. Wenn du glaubst ich bin krank, dann raste ich aus.“ Sie zuckte bei diesen Worten zusammen, blickte ihm aber dennoch mit gefasster Miene entgegen. „Es wäre aber eine gute Möglichkeit, um deinem Ärger Luft zu machen. Ein Therapeut würde alles objektiv betrachten und gemeinsam mit dir nach einer Lösung suchen.“ Das war alles was es brauchte, um ihn rot sehen zu lassen. „Ich will keine beschissene Therapie“, schrie er sie an und ballte seine Hände zu Fäusten. Die stumpfen Fingernägel bohrten sich fest in seine Handflächen. „Ich will keine Hilfe. Ich will…“, gab er fast schon verzweifelt von sich. Sein ganzer Körper stand unter Spannung. „Ich will sie zurück.“ Es stimmte. Er wollte nichts weiter. Keine mitleidigen Blicke und keine Sitzungen bei jemandem, der ihm ohnehin nicht helfen konnte. Er verließ das Haus wenige Sekunden später, ohne auf die Rufe seiner Mutter zu achten, oder auf die Tatsache, dass sein bester Freund noch bei ihm auf dem Bett saß. Es war ihm egal. Wenn er noch eine Minute länger in diesem Zimmer hätte stehen müssen, wäre er vor Wut explodiert. Keiner, wirklich keiner konnte nachvollziehen, wie er sich fühlte. Niemand wusste davon, wie lange er nachts wach lag und sich fragte, warum es passiert war. Warum er von dieser Veränderung nichts mitbekommen hatte. Wie verzweifelt er den Schlaf suchte, ihn aber nur durch Erschöpfung fand. Ein halbes Jahr war keine lange Zeit, doch für Naruto bedeutete sie die Welt. Eine glückliche Welt, in der er gemeinsam mit Sakura hätte alt werden können. Also woher nahmen diese Leute das Recht, über ihn zu urteilen? Frustriert über die gesamte Situation lief er ziellos durch die Straßen. Der nahegelegene städtische Park war um diese Jahreszeit nicht gerade gut besucht, ein Umstand, den Naruto begrüßte. Ihn störte dieses Septemberwetter nicht. So konnte er wenigstens weiter nachdenken. Etwas, dass er in letzter Zeit viel zu häufig tat. Aber ihm blieb keine Wahl. Seine Gedanken stellten sich gegen das Bedürfnis von Ruhe. Immer wieder suchte er nach Ungereimtheiten, oder verlor sich in Tagträumen, die nicht selten das Szenario beinhalteten, wie der Parasit und Beziehungszerstörer von der Bildfläche verschwand. Das  Holz der Parkbank knarzte leise, als er sich darauf niederließ. Seine Augen fixierten einen imaginären Punkt in der Ferne. Die Umgebung für ihn nicht existent. Es war einfach zum Verrücktwerden, da er diese Wendung in seinem Leben niemals erwartet hätte. Zwei Jahre hatte es gedauert, um Sakura davon zu überzeugen, mit ihm zusammen zu sein. Genau zu derselben Zeit lernte er ihn kennen. In seiner Schule. Der geheimnisvolle Neue, der in seiner Parallelklasse saß und die Herzen der Mädchen im Sturm eroberte. Allerdings galt dessen Interesse anderen Dingen. Von Sakura hatte er nie Notiz genommen, bis jetzt. Warum ausgerechnet jetzt? Er wusste von Narutos Beziehung, da war er sich sicher. Schließlich war er wie ein liebeskranker Idiot durch die Gegend gelaufen, immer darauf bedacht, alle um sich herum wissen zu lassen, dass er glücklich war. Also wieso zum Henker drängte sich dieser Mistkerl in dieses Glück hinein? Sakuras Handeln verstand er allerdings auch nicht. Wann war der Zeitpunkt ihrer Entscheidung, ihm die Lebensfreude zu nehmen? War die Beziehung zu ihm vielleicht nur ein Vorwand, um den anderen auf sich aufmerksam zu machen? Der Gedanke, dass sie ihn möglicherweise nur benutzt hatte, löste bei ihm das Bedürfnis aus, sich auf der Stelle zu übergeben. Nein, so schätzte er sie nicht ein. So wollte er gar nicht erst denken. Sie brauchte sicherlich nur etwas Zeit, um sich darüber bewusst zu werden, dass Naruto der Einzige war, der sie wirklich glücklich machen konnte. Er würde warten. Ihren Fehltritt verzeihen und neu anfangen. Ohne es zu hinterfragen. So lange würde er mitspielen und darauf hoffen, dass der Schmerz über den temporären Verlust langsam abebbte. „Na sieh mal einer an. Wenn das nicht Uzumaki der ewige Loser ist.“ Er drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der die fremde Stimme kam. Das Gesicht, das er erblickte, brachte ihn dazu die Lippen zusammenzupressen. Suigetsu. Ebenfalls einer dieser Mitläufer, der in seiner Parallelklasse den Ruf als Playboy weg hatte. Zu allem Übel hatte er sogar noch die Person im Schlepptau, die Naruto am liebsten auf der Stelle zerfetzt hätte. Ruckartig stand er auf. Wenn die anderen ihn provozieren würden, wäre er sofort bereit, zuzuschlagen. Er würde ihnen mit seiner Faust zeigen, wie sehr er sie verachtete. Allerdings schien sein Hassobjekt kein Interesse an ihm zu haben. Er würdigte ihn keines Blickes. Als wäre er gar nicht vorhanden. Wie Luft, der man keine Beachtung schenkt, weil sie zwar vorhanden war, man sie aber nicht sehen konnte. Einfach so lief er weiter, als ob Suigetsu niemals gesprochen hätte. Wenn Narutos Zorn zuvor nur eine lodernde Flamme war, verwandelte sie sich mit dieser ablehnenden Geste zu einem Feuersturm. Durch einen Impuls getrieben schubste er Suigetsu mit voller Wucht nach hinten. Dann würde er es eben an ihm auslassen. Schon alleine, dass dieser Mitläufer mit dem Beziehungskiller unterwegs war, reichte als Grund. Mehr brauchte er nicht. Er hätte es so oder so verdient. Nur knapp konnte der Junge den Sturz verhindern und federte sich mit seinen Händen vom Boden ab. „Suchst du Streit?!“ Aufgebracht rappelte er sich auf, bereit dazu, Narutos Angriff zu erwidern. „Wieso, ich hab ihn doch schon gefunden“. Grinsend darüber, Suigetsu überrascht zu haben, wartete er auf einen Konter. Dabei war es egal, ob sie mit Fäusten oder Worten sprachen. „Suigetsu, es reicht. Wir gehen.“ Damit wich das Grinsen von Narutos Lippen. In dem Moment, als sich ihre Blicke trafen, fühlte es sich so an, als würde die Zeit gefrieren. Es gab nur sie beide. Keine Umwelt. Niemanden. Kein Wort. Nur ein bedeutsamer Austausch geladener Emotionen. Hass und Verzweiflung auf der einen Seite, Ablehnung und Überlegenheit auf der anderen. Niemals zuvor hatte er ihn so gesehen. Nie zuvor hatte er ihn so angesehen. Ein stummer Krieg, der allen verborgen blieb. Nur sie selbst wussten es. Die Spannung war greifbar. Ein lautes Rauschen in Narutos Ohren. Doch Augenblicke waren nicht für die Ewigkeit bestimmt. Es wurde ihm schmerzhaft bewusst, als Suigetsu ihm einen heftigen Schlag in den Magen verpasste. Der Junge hatte die Ablenkung wahrlich gut ausgenutzt. Der stechende Schmerz vermischte sich mit dem Gefühl der Atemnot. Die brennenden Augen nur ein Reflex. Krümmend hielt er sich den Bauch und versuchte krampfhaft, die Luft zurück in seine Lungen zu pumpen. „Da guckst du, was du Loser?“ Nun war es Suigetsu, der überheblich grinste. Er lachte über ihn. Offen und fröhlich. Naruto hätte nicht einmal die Kraft gehabt etwas zu erwidern, wenn sein Leben davon abhängen würde. Er war gezwungen ihnen hinterherzusehen, als sie sich von ihm fort bewegten. Der unangenehme Geschmack von Blut vermischte sich mit seinem Speichel. So fest biss er sich auf die Innenseite seiner Wange. Die zurückgehaltenen Tränen lösten sich von selbst. Zu groß war das Gefühl von Niederlage. Zu stark der Schmerz, der nicht nur von dieser äußeren Verletzung stammte. „Hey, geht’s dir gut?“, hörte er jemanden sagen und blinzelte, um sein Sichtfeld zu klären. Mit wackligen Beinen richtete er sich auf und spuckte auf den Boden. Das angewiderte Geräusch des Passanten ignorierte er. Er musste hier weg. Hier würde er keine Sekunde länger bleiben können. Flucht vor der unsichtbaren, drückenden Existenz. Seine Beine übernahmen die Kontrolle und führten ihn mit schnellen Schritten raus aus dem Park, weg von der erlittenen Schmach. Sein Hass vergrößerte sich mit jedem angestrengten Atemzug. Entlud sich in Form von kraftvollen Bewegungen. Ein Puls, der sich nicht mehr regulieren ließ. Nicht, solange er nicht sicher war. Wie von blanker Panik getrieben rannte er gefühlte Stunden durch die Straßen. Er stoppte erst, als seine Muskeln protestieren und sein Brustkorb brannte. Er war machtlos. Ein einfacher Blick hatte genügt, um es ihm deutlich zu machen. Keine Chance. Nicht jetzt. Nicht gegen ihn. „Sasuke“, zischte er voller Abscheu aus. Wie ein verbotenes Wort, das einen Fluch auslösen könnte. Aber auch Flüche konnte man brechen. Vielleicht hatte er die Schlacht verloren, doch der Krieg, der hatte soeben erst begonnen. Seine feste Überzeugung gab ihm die Kraft, daran zu glauben. Eines Tages würde er Sasuke dafür leiden lassen, dessen war er sich sicher.   Die sehnlichst erhoffte Ruhe zu Hause blieb aus. Seine Eltern hatten ihn bereits erwartet und ließen ihm keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Ein weiteres unliebsames Gespräch folgte. Warum sie dazu allerdings noch ein weiteres Familienmitglied einluden, war ihm schleierhaft. Sein Onkel Jiraiya wohnte etwa drei Stunden Autofahrt von ihnen entfernt, also wieso war er hier? Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Die Stille am Küchentisch drückte zusätzlich auf seine Stimmung.   Er musste sich zügeln, nicht einfach loszuschreien. Kibas Ansicht, die Meinung seiner Mutter und das Zusammentreffen mit Sasuke und Suigetsu im Park, all das hatte ihm genug schlechte Laune für sein restliches Leben beschert. Immer wieder Belastung. Immer wieder Streit. Er hasste es. „Naruto, deine Eltern haben mir erzählt, was vorgefallen ist.“ Das hatte er auch erwartet, schließlich war sein Onkel nicht umsonst hier. Doch er zog es vor, weiterhin zu schweigen. Was hätte er auch erwidern sollen. „Ich habe auch von ihrem Problem gehört und werde deswegen gleich zum Punkt kommen. Du wirst in Therapie gehen-“ Naruto fing an zu kichern. Doch dieses Kichern entwickelte sich langsam zu einem hysterischen Lachen. Dachten sie wirklich, dass er sich so einfach fügen würde? Kopfschüttelnd stand er auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Das Porzellan klirrte unter dem Aufprall, und er verstummte abrupt mit dem Knall. Vereinzelte Haarsträhnen sorgten dafür, dass man seine Augen nicht sehen konnte. „Ihr habt überhaupt keine Ahnung.“ Ruhig und fest war seine Stimme, seine Körperhaltung allerdings verräterisch. Seine Muskeln zitterten vor unterdrückter Wut. Nur einen Schritt weiter. Nur ein kleines bisschen mehr und er würde explodieren. Würde implodieren und alles um sich herum zerstören. Ohne Ausnahme. Als er seinen Kopf hob, sah er die entschlossenen Blicke. War das wirklich ihr ernst? Sie konnten ihn nicht zwingen. Niemals würde er klein bei geben. Unbeeindruckt fuhr Jiraiya fort: „Du wirst gehen. Wenn du nämlich nicht gehst, wirst du umziehen und zwar zu mir.“ Naruto brachte ein Grinsen zustande. Er würde verrückt werden, wenn sie nicht gleich mit diesem Mist aufhörten. „Und das entscheidet ihr so einfach über meinen Kopf hinweg? Was ist mit der Schule, mh? Und was ist mit Sakura…“ Ganz langsam fing er an zu verstehen. Das Klicken in seinem Kopf entwickelte sich zu rasenden Gedanken. Wenn er sich weigerte, würde er Sakura nicht mehr fünf Tage die Woche sehen können. Dann hätte er auch keine Möglichkeit mehr, Rache an Sasuke zu nehmen. Nur allein daran zu denken von ihr getrennt zu sein, um ihm das Feld zu überlassen war schmerzhaft. Diese verdammten Sadisten. „Ganz recht mein Junge. Entscheide dich. Entweder du machst eine Therapie, wo die Möglichkeit besteht, dass man dir helfen kann, oder du ziehst zu mir und siehst deine Angebetete vorerst nicht mehr.“ Abschätzend musterte er seine Eltern. Sie hatten nichts gesagt. Sie würden ihn tatsächlich wegschicken. Einfach so. Sicher, sie hielten ihn für krank. Eine Tatsache, die ihm das Herz brach. War er wirklich so schlimm? Zum ersten Mal seit der Zusammenkunft erhob sein Vater das Wort: „Naruto, wir machen uns Sorgen um dich. Du bist einfach nicht mehr du selbst. Weißt du, wie schwer es für deine Mutter und mich ist, dich so leiden zu sehen? Die erste Liebe ist immer die Schönste und die Schmerzvollste, aber dieser Zustand vergeht wieder, glaub‘ mir. Wir wollen dir alle nur helfen“, es entstand eine kurze Pause, in der er sah, wie sich sein Gesicht in den blauen Augen seines Vaters wiederspiegelte, „und vor allem, wollen wir unseren Sohn wieder haben“ Dieses rührende Geschwafel half Naruto nicht im Geringsten. Er kam sich vor wie ein Außenseiter. Er saß auf verlorenem Posten. Drei gegen einen. Kein Platz für eigene Meinungen und Wünsche. Er musste die Situation abwägen. Entweder er stimmte zu, oder er würde gehen. Mit siebzehn hatte er keine Chance sich zu widersetzen, das wusste er. Selbst nächsten Monat, wenn er seinen achtzehnten Geburtstag feierte, hätte er keine Möglichkeit, diese Entscheidung zu verhindern. Er wäre mittellos, ohne Arbeit und Geld. Was sollte er tun? Fieberhaft überlegte er, bis ihm ein Gedanke kam, der ihn Hoffnung schöpfen ließ. Was, wenn er nur so tat, als ob er zustimmte? Wenn er zu diesem Psychoarzt gehen würde, konnte er dafür sorgen, dass er ihm bescheinigte, kein Problem zu haben. Eine deutlich einfachere Lösung. „Okay, ich werde in Therapie gehen.“ Das erleichterte aufatmen seiner Mutter wurde von Jiraiyas Lachen übertönt. „Wunderbar. Kushina, hol die Ramen raus, die hat er sich jetzt verdient.“ Er würde einfach gute Miene zum bösen Spiel machen. Immer weiterlächeln und sich so verhalten wie sie es wollten. Die dunkle Seite in ihm schrie zwar vor Missfallen, gelangte aber nicht an die Oberfläche. Konnte sich nicht zeigen, weil er sie tief in sich vergrub. Gedanken, die er nicht teilen würde. Sie würden schon sehen, was sie davon hatten. Er beobachtete seine Familie dabei, wie sie langsam wieder auflebte. Wie sie sich freuten und so taten, als ob alles in Ordnung war. Ohja, er würde sie alle wissen lassen, wie sehr sie sich in ihm täuschten. Er war niemand, der aufgab. Weder jetzt, noch später. Und wenn es soweit war, würden auch sie es begreifen.     „Nur damit ich das jetzt richtig verstehe. Du gehst in Therapie und tust so, als ob du normal wärst, damit der Arzt es dir bescheinigt und deine Eltern Ruhe geben?“ Naruto nickte. Er stand gemeinsam mit Kiba auf dem Schuldach und beobachtete die Schüler, die sich während der Pause auf dem Hof aufhielten.  Er brauchte einen Moment, ehe er verstand, was sein bester Freund gerade gesagt hatte. Mit gerunzelter Stirn blickte er ihn an. „Was heißt hier so tun? Ich bin normal! Das verstehen die nur nicht.“ Er gestikulierte mit den Händen und schüttelte den Kopf. Kiba grinste.  „Ja, es ist total normal, wenn du ihren Spind dauernd knackst, sie nach Hause verfolgst, vor ihrem Haus rumlungerst und durchs Fenster guckst und dir im Netz Fake-Profile erstellst, damit du mit ihr reden kannst. Wirklich, sehr normal.“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Das entging selbst Naruto nicht. Beleidigt verzog er die Lippen. Es würde ihm nichts bringen, mit anderen Menschen darüber zu diskutieren. Sie verstanden ihn ja doch nicht. War es denn nicht normal, wenn man mit demjenigen, den man liebte, zusammen sein wollte? Etwas von seinem Leben teilen wollte? Wenn man für immer Hand in Hand in eine gemeinsame Richtung gehen wollte? Für sie scheinbar nicht. In ihren Augen war er nur ein Stalker. Seine Gedanken und Wünsche fanden keinen Anklang. Er stieß nur auf Ablehnung.    Nach dem Gespräch mit seiner Familie hatte er sich schnell in sein Zimmer verzogen und dort die halbe Nacht vor sich hingebrütet. Das Für und Wider. Vorstellungen von Sasuke. Gemeinsam mit ihr. Glücklich. Ohne ihn. Er fühlte sich verletzt, einsam und hintergangen. Der Schlaf kam erst, als er nur noch zwei Stunden Zeit hatte, um sich für die Schule fertig zu machen. Es grenzte schon an ein Wunder, dass er pünktlich zum Unterricht erschien. Zu allem Übel musste er seine Aufmerksamkeit sogar dem Lehrer widmen, da Sakura nicht anwesend war. Eine ihrer Freundinnen hatte dem Lehrer am Anfang der Stunde erklärt, dass sie für die kommende Woche fehlen würde, weil sie sich eine Erkältung eingefangen hatte. Das wurmte ihn. Wie sollte er eine Woche ohne ihre Präsenz aushalten? Er spielte sogar mit dem Gedanken sie zu besuchen, doch das wäre nicht gerade förderlich in seiner Position. Also musste er sich zurückhalten.  „Jetzt guck nicht so deprimiert, das sieht echt beschissen aus.“ Zu einem Lächeln konnte er sich nicht durchringen, doch er gab sich Mühe, normal zu wirken. Keine leichte Aufgabe, wenn er daran dachte, dass er heute noch zwei Stunden Kunst hatte. Zwei Stunden in einem Raum mit dem Mistkerl von Beziehungskiller. Die einzigen zwei Stunden in der Woche, die er zusammen mit ihm Unterricht hatte. Naruto hasste sie. Während er an die Begegnung mit ihm dachte, musterte er wieder seine Mitschüler. Fast sein kompletter Jahrgang war um den Tisch versammelt, an dem Sasuke saß. Warum die Leute mit ihm befreundet sein wollten, konnte Naruto nicht verstehen. Was hatte man davon mit einem abweisenden, arroganten und wortkargen Arschloch befreundet zu sein? Er folgte Sasukes Blick, der abwesend in der Ferne lag. Kein fester Punkt, den er anvisierte. Er wirkte in Gedanken versunken. Ob er gerade an Sakura dachte? Ob er an gestern dachte? Oder dachte er darüber nach, was er später zu Mittag essen würde? Neugierde flammte in ihm auf und Naruto wurde sich erst darüber bewusst, dass er starrte, als Sasuke ihn direkt ansah. Da war sie wieder, diese unbändige Wut. Das Bedürfnis, den anderen durchzuschütteln, bis diese emotionslose Maske von seinem Gesicht fiel. Bis er zeigte, dass er menschlich war. Dass auch er voller Fehler war. Weniger würde Naruto nicht akzeptieren. Seine Finger drückten sich gegen die Balustrade. Am liebsten hätte er geschrien, wirkte jedoch äußerlich wie erstarrt. Nur dieser Blick zwischen ihnen. Ein Hochverrat der Gefühle. Zumindest auf seiner Seite. Sasukes Augen zeigten keine Regung. Waren so starr wie immer. Naruto fragte sich selbst, was es brauchte, um diese Augen zum Glänzen zu bringen. Wie es aussah, wenn dort Tränen wären, die über diese blassen Wangen fließen würden. Wegen Schmerzen, die er ihm zugefügt hätte.   Weitere Gedanken konnten nicht ausgeführt werden, da Sakuras Freundin Ino den Blickkontakt zwischen ihnen unterbrach, indem sie sich direkt vor Sasuke stellte. Aufgebracht wirbelten ihre Hände durch die Luft. Sie schien zu schreien, doch Naruto verstand kein Wort. War zu weit weg, um etwas hören zu können.  „Und wen gaffst du an?“ Kibas Stimme drang laut an sein Ohr und er erschrak, da er diese Nähe nicht erwartet hatte. Sofort drehte er seinen Kopf in die Richtung seines besten Freundes. Er fühlte sich ertappt und fing an zu grinsen. „Niemanden, ich hab nur nachgedacht.“ Kiba musterte ihn und suchte mit wachsamen Augen nach der Wahrheit, die ihm Naruto offensichtlich verschwieg.  Das Geräusch der Pausenklingel beendete die unangenehme Stille zwischen den Beiden. Naruto setzte sich zuerst in Bewegung und Kiba folgte nur einen Moment später. Schon auf dem Weg zum Kunstraum verkrampfte er sichtlich. Es war ihm zuwider, dieselbe Luft zu atmen wie Sasuke, doch er hatte keine Wahl. Er würde keine Schwäche zeigen, nicht wegen ihm. Die letzte Reihe im Saal wurde sofort von ihm besetzt, noch bevor weitere Schüler die Chance dazu hatten. Ein Platz direkt am Fenster, um seinen Gedanken nachgehen zu können. Es war keine Seltenheit, dass er dort saß. Fast in jeder Unterrichtsstunde suchte er nach einem Blick in die Freiheit. Außerhalb der Wände, die ihn einengten.    Den ganzen Unterricht über versuchte er sich selbst dazu zu zwingen, Sasuke keine Beachtung zu schenken. Er wollte ihn nicht sehen. Doch er tat es. Unbewusst. Er saß vorne in der zweiten Reihe neben Suigetsu, der ihn allem Anschein nach etwas ins Ohr flüsterte. Doch Sasuke ignorierte den Jungen, schien vertieft zu sein in der Aufgabe, die sie bekommen hatten. Ob er gerne zeichnete? Naruto blickte auf seinen eigenen Block. Nicht ein Strich. Keine Linie. Im Moment brachte er überhaupt nichts zu Stande. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, weil sich in seinem Kopf alles um Sasuke und Sakura drehte.   Als endlich der langersehnte Unterrichtsschluss eingeläutet wurde, war er der Erste der durch die Tür lief und das Gebäude hinter sich ließ. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben. Niemanden sehen, niemanden hören und vor allem nicht mehr denken. Doch selbst Zuhause wurde ihm dieser Wunsch nicht gewährt. Denn dort musste er sich von seiner Mutter sagen lassen, dass sie bereits jemanden gefunden hatten, der sich seinen Problemen annehmen würde. Es machte ihn wütend, doch er versuchte es nicht zu zeigen. Er musste mitspielen. Er hatte keine Wahl, doch hätte er gewusst, was auf ihn zukam, wäre er nicht so ruhig geblieben.   Denn bereits wenige Tage später lief Naruto mit finsterer Miene durch die Gegend, hielt Abstand zu seinen Eltern und verbrachte die Nachmittage stets alleine in seinem Zimmer. Nie hätte er gedacht, dass es so schlimm werden würde. Dass sein erster Besuch in der Praxis von Professor Dr. Hatake der Hauptfaktor für seine schlechte Laune war, war jedem im Hause Uzumaki bewusst.   Dieser Mann hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass weitere Besuche folgen würden, denn er hielt Narutos Anwandlungen für alles andere als normal. An die erste Sitzung, die er bereits vor zwei Tagen wahrnehmen musste, erinnerte er sich nur ungern. Doch die Gedanken kamen, selbst jetzt, als er im Unterricht saß und dem Lehrer zuhörte, wie er mit monotoner Stimme die vergangene Geschichtsstunde wiederholte.  Rückblick „Soll ich mit reinkommen?“ Mit verschränkten Armen und zur Seite geneigtem Kopf saß Naruto auf dem Beifahrersitz des grauen Volvos. Die ganze Fahrt über hatte er jeden Versuch seitens seiner Mutter, ein Gespräch zu beginnen, im Keim erstickt. Konversation war unerwünscht. Sie hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass er schwieg. Schließlich war sie es, die den Termin arrangiert hatte.  „Schatz, ich weiß du bist sauer, aber wir wollen dir doch nur helfen“. Eine mütterliche Geste, die sie trieb, als sie mit ihrer Hand über den blonden Haarschopf ihres Sohnes fuhr. Von Naruto wurde es nicht gewürdigt. Wortlos schnallte er sich ab und öffnete die Tür, ehe er sie fest ins Schloss knallen ließ. Er würde ihr nicht vergeben, jedenfalls nicht so bald. Der feste Klumpen von Reue in seinem Magen kam erst, als er schon durch die Eingangstür der Praxis gelaufen war. Er fühlte sich fehl am Platz und wünschte sich insgeheim, seine Mutter wäre doch mitgekommen. Zumindest hätte er sich verabschieden sollen. Das wurde ihm bewusst, als er einen Blick auf das offenstehende Wartezimmer erhaschte, wo eine Mutter saß, die ihr Kind offensichtlich begleitet hatte. Für eine Kinder-und Jugendpraxis wäre sie eindeutig zu alt gewesen.  Ein Räuspern lenkte seine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Die Frau hinter dem Schreibtisch hatte er bis eben gar nicht wahrgenommen. Sie lächelte. Eine Geste, die er unbewusst erwiderte. Die großen braunen Augen strahlten so viel Freundlichkeit aus, dass es für ihn unmöglich war, seinen Frust an ihr auszulassen.  „Du musst Naruto sein“, sprach sie mit einer angenehm hellen Stimme, die ihn nicken ließ. Er trat näher an sie heran und zog währenddessen sein Portemonnaie aus der Hosentasche, um seine Krankenkassenkarte vorzulegen. Dabei musterte er sie genau. Mit einem stetigen Lächeln erledigte sie Formalitäten, von denen er ausging, dass sie ihn betraften. Er erwartete, dass sie ihm sagen würde, dass er im Wartezimmer Platz nehmen sollte, doch das geschah nicht. Stattdessen legte sie ihm einen Zettel vor. „Und zwar sieht es folgendermaßen aus. Das ist eine Einverständniserklärung, die jeder Patient unserer Praxis unterschreiben muss. Es handelt sich dabei um eine Bestätigung, dass einzelne Therapiesitzungen aufgezeichnet werden dürfen“. Die neu gewonnene Information sickerte langsam zu ihm durch.  „Sie wollen mich aufzeichnen? Wie aufzeichnen?“ Er verstand nicht ganz, warum man ihn aufnehmen wollte. Für seine Eltern? Für den Arzt, damit er nicht vergaß, um welchen Patienten es sich handelte? „Um genau zu sein, wird hier jeder Patient bei seiner ersten und letzten Sitzung per Videokamera aufgezeichnet. Das ist für den Arzt, damit er die Fortschritte dokumentieren kann. Also keine Angst, es gerät nicht an die Öffentlichkeit.“ Sie grinste, während Naruto so aussah, als ob sie chinesisch gesprochen hätte.  „Es gibt allerdings noch eine Ausnahme, bei Patienten die sich länger als ein Jahr in Behandlung befinden. Für sie gibt es dann noch extra Aufzeichnungen, in der vergangene Sitzungen wiederholt werden“, fügte sie noch hinzu und legte einen Kugelschreiber an die Stelle, wo er unterzeichnen sollte. Als ob er ein Jahr hierher kommen würde. Er war sich sicher, dass er bereits heute zum letzten Mal hier war. Schließlich war er gesund. Gab es hier überhaupt Menschen, die so kaputt waren, dass sie länger als ein Jahr in Therapie mussten? Selbst wenn, er war sicherlich keiner davon. Er unterschrieb den Wisch, ohne ihn vorher durchzulesen und setzte sich dann im Nebenzimmer auf einen der harten Stühle. Die Frau, die bereits hier war, sah nur kurz auf, widmete sich dann aber wieder ihrer Zeitschrift.  Keine schlechte Idee wie Naruto fand. Er selbst müsste noch fünfzehn Minuten warten, ehe er den Arzt sehen konnte. Als er sich eines der Magazine griff, spürte er den Blick der Frau auf sich ruhen. Demonstrativ starrte er zurück und wartete darauf, dass sie wegsehen würde. Doch sie tat es nicht. Nein, ihre grauen Augen bohrten sich förmlich in seine eigenen.  „Was?“, grummelte er unfreundlich und brach den Blickkontakt schließlich ab. Vielleicht war die Frau ja doch Patientin hier. So wie sie ihn angesehen hatte, würde er sich darüber nicht wundern. Ihr leises Kichern ließ ihn schnauben. Er spürte die Wut, die in ihm aufstieg, während er die Seiten durchblätterte, ohne dabei wirklich zu lesen. Was war ihr verdammtes Problem? Er zwang sich selbst dazu, sich zu beruhigen. Am besten strafte man solche Menschen mit Ignoranz.  Er war so vertieft in seinen Gedanken an die Menschheit, dass er zusammenzuckte, als sein Name aus dem Lautsprecher ertönte, der über der Tür vom Wartezimmer hing. Die Zeitschrift schmiss er zu den anderen und verließ mit schnellen Schritten den Raum. Das leise Kichern der seltsamen Frau begleitete ihn dabei. Als ob er hierher gehören würde. Niemals. Die Leute, die hier zu Besuch kamen, waren eindeutig gestört.  „Geh doch bitte in das Behandlungszimmer Eins. Der Doktor wird dann gleich für dich da sein.“ Er nickte der Sprechstundenhilfe nur kurz zu. Seine Hände schwitzen. Mit den Fingern zog er den Stoff seines Pullovers über die Handflächen. Er war nervös, das würde er nicht leugnen. Die verrückte im Wartezimmer, der lange Flur, der den typischen Geruch von Praxis ausstrahlte und das kurz bevorstehende Zusammentreffen mit dem Psychodoc. Das alles machte ihn nervös. Etwas verwirrt blieb er stehen, als er drei Türen erblickte. Da standen keine Zahlen, sondern ausgeschriebene Wörter. In Großbuchstaben. War der Arzt vielleicht auch verrückt? Für ihn nicht verständlich, warum die Zahlen ausgeschrieben waren, doch es kümmerte ihn nicht weiter, schließlich hörte man ständig, dass Psychologen selbst nicht ganz richtig im Kopf waren. Wie erwartet öffnete sich die Tür zum Behandlungszimmer EINS, als er die Klinke herunterdrückte. Sofort musterte Naruto die Umgebung. Sein Blick fiel auf den Schreibtisch, wanderte weiter zu dem Stuhl, der gepolstert und mit Leder überzogen war bis hin zu dem Schrank, der ein Schloss besaß. Ein völlig unscheinbares Zimmer in seinen Augen. Wenn er von der Videokamera in der Ecke absah. Gelangweilt schmiss er sich in den Sessel und blickte durch das einzige Fenster im Raum. Der Himmel war grau, die Bäume verloren ihre Blätter. Es ging auf den Oktober zu. In weniger als vier Wochen würde er seinen Geburtstag feiern. Die Hoffnung, dass sein einziger Wunsch erfüllt werden würde, war ungetrübt. Sakura in seinen Armen zu halten war alles, was er wollte. Glücklich mit ihr sein, eine Zukunft haben… „Ah, wie ich sehe bist du bereits hier.“ Naruto hatte das Eintreten des Mannes gar nicht gehört, geschweige denn damit gerechnet, dass er so aussehen würde.  „Sie tragen eine Maske“, stellte er monoton fest. Er fühlte sich vollkommen verarscht. Was zum Teufel sollte das?  „Nun, ich würde Mundschutz dazu sagen, schließlich ist nur die untere Hälfte meines Gesichts verdeckt, nicht mein Ganzes, so wie es bei einer Maske üblich ist.“ Naruto nickte. Aber es war kein zustimmendes Nicken. „Und jetzt verarschen Sie mich, oder? Ich dachte Sie sind Psychologe, kein Clown.“ Seine Arme waren verschränkt.  „Wie aufmerksam du doch bist. Nein, Clown ist nur mein Zweitberuf und wesentlich ertragreicher als das hier“, erwiderte der Mann gelassen, lief an ihm vorbei und drückte einen Knopf auf der Kamera. Sie blinkte. Mit ausdrucksloser Miene ließ er sich auf dem großen Stuhl nieder, der hinter dem Schreibtisch stand. Er saß ihm direkt gegenüber. Einige Minuten sagte keiner der beiden etwas. Naruto fühlte sich unwohl dabei, aufgezeichnet zu werden. „Können wir es jetzt hinter uns bringen? Sie bescheinigen mir, dass ich gesund bin, dann gehe ich und komme nie wieder?“ Selbst mit dem Tuch im Gesicht konnte Naruto erkennen, dass der Mann grinste.  „Warum sollte ich dir etwas bescheinigen, von dem ich nicht weiß, ob es tatsächlich der Wahrheit entspricht?“ Naruto grummelte. Dieser Typ war ihm jetzt schon so unsympathisch, dass er ihm am liebsten das verdammte Tuch aus dem Gesicht gerissen hätte, um ihn damit zu erwürgen.  „Was wollen Sie hören?“ Er wusste, dass er unfreundlich war, aber es war ihm egal. Je schneller sie es hinter sich brachten, desto besser.  „Ich will hören, was du mir erzählen willst“. Fast hätte er gelacht, unterdrückte es aber gerade noch rechtzeitig. „Und wenn ich Ihnen nichts erzählen will?“ Der Arzt zeigte sich unbeeindruckt von Narutos Antwort und benutze eine Hand, um eine Kugel von dem Kugelstoßpendel anzuheben, das auf seinem Tisch stand. Er sah Naruto nur kurz an, ehe er losließ. Der Mechanismus war aktiviert. Ein leises klickendes Geräusch, das die Stille durchbrach.  „Mhh, dann würde ich sagen, wir schweigen uns die verbleibenden 45 Minuten an und treffen uns nächste Woche wieder.“ Sein Blut kochte vor Wut. Dieser verdammte Mistkerl. Er spielte mit ihm. Es fehlte nicht mehr viel und er hätte die Zähne gefletscht.  „Gut, meine Eltern denken ich bin krank, weil ich meine Ex-Freundin noch immer liebe.“ Schon alleine das Wort Ex-Freundin ließ etwas schmerzhaft in ihm verkrampfen. Lange blickten sie sich in die Augen.  „Und was denkst du darüber?“ Naruto sah weg. Das Kugelstoßpendel wurde zu seinem Fixpunkt. Das kontinuierliche Geräusch beruhigte wilde Gedanken, die er nicht preisgeben wollte. Er hatte diesem Mann nichts zu sagen. Er würde ihn nicht verstehen, weil er genau wie die Anderen war. Voreingenommen. Derselbe Blick, der ihm immer galt, wenn man ihn für seine Liebe verurteilte.  „Ich verstehe“, gab der Arzt von sich und lehnte sich weit in seinem Stuhl zurück. Die Arme auf den Lehnen, Finger ineinander verschränkt.  „Und was genau verstehen Sie?“ Naruto war sich sicher, dass er überhaupt nichts verstand.  „Ich sag Ihnen was. Sie verstehen gar nichts. Sie sitzen hier in ihrem Sessel und tun so, als ob Sie alles wüssten. Aber Sie wissen absolut nichts über mich oder das, was mir passiert ist. Sie sind genau wie meine Eltern. Nicht mehr, nicht weniger.“ Auch wenn er es ruhig aussprach, im Inneren war er kurz davor zu zerbersten. Er hatte genug von Menschen, die meinten, alles besser zu wissen.  „Dann würde ich vorschlagen, du erzählst mir deine Geschichte, damit ich mir selbst ein Bild davon machen kann.“ Das gepresste Knurren konnte Naruto nicht zurückhalten. Wie oft müsste er diesen Mist noch hinter sich bringen? Er kannte den Ablauf schon zu genüge. Er würde beteuern, dass er nur verliebt war, während die Anderen ihn als Stalker und Kranken bezeichnen würden.  „Wie Sie wollen. Alles fing vor zwei Monaten an, als meine Ex beschlossen hat, sich von mir zu trennen. Kurz vor unserem halbjährigen Jubiläum. Sie hat mir mein Herz rausgerissen, und ist zur Krönung noch mit dem Arschloch von Bastard zusammen. Ende der Geschichte“. Mit der Stimme eines Märchenerzählers, doch das Gesicht so verhärtet, dass der Kontrast bizarr wirkte. Seine Kieferknochen traten bei dem Druck hervor, mit dem sich seine Zähne aufeinander pressten. Er musste sich selbst dazu zwingen, nicht einfach aufzustehen und dieses Gebäude hinter sich zu lassen, um mutwillig Dinge zu zerstören.  Der Mann vor ihm wirkte nachdenklich. Wenn auch nur für einen kurzen Moment. „Also hat sie dich für einen anderen verlassen?“ Der Arzt schien sein Glück testen zu wollen. Es missfiel Naruto. Die Beherrschung die er aufbringen musste, war kaum ertragbar.  „Welchen Teil von: Sie ist jetzt mit dem Arschloch von Bastard zusammen haben Sie nicht verstanden?“ Wieder dieses sichtbare Grinsen unter dem Tuch. Naruto sah es, weil sich leichte Falten um die Augenpartie des Arztes bildeten.  „Das war aber nicht die Frage. Dass sie einen anderen hat, ist mir bewusst, ich möchte aber wissen, ob er der Grund war, weswegen sie sich von dir getrennt hat.“ Naruto schwieg daraufhin. Ernsthaft, warum schmerzte dieses Gespräch so? Er würde die verbliebenen Minuten einfach nichts mehr sagen.  Die Stille ließ den Arzt seufzen.  „Gut, dann werde ich mit deinen Eltern einen weiteren Termin vereinbaren.“ Eines der Dinge, die Naruto mit Sicherheit nicht wollte. Aber was sollte er tun? Mit einem Fremden über seine Probleme reden? Es war ihm zuwider.  „Ja, sie hat sich wegen ihm getrennt. Um genau zu sein, hat sie mich vor der Haustür abserviert und mir gesagt, dass sie ihn liebt. Dass sie mich nicht lieben würde und ich es akzeptieren sollte, dass sie jetzt mit ihm zusammen ist. Dann hat sie die Tür zugeschlagen.“  Er erlebte die Situation von damals jetzt zum ersten Mal bewusst. Als es wirklich passiert war, fühlte sich alles so weit weg an. Wie durch einen Schleier hatte er die Umwelt gesehen und war nach Hause gelaufen, unfähig zu begreifen, was sie ihm gerade gesagt hatte. Wie brutal und herzlos ihre Worte waren, ihr Blick dabei so entschlossen, dass er es ausgeblendet hatte. Bis jetzt. Bis er es bewusst aussprach. Die Kraft, die es ihn kostete, nicht sofort in Tränen auszubrechen, schien von dem Mann mit der Maske unbemerkt. Wieder folgte die Stille. Dabei das stetige Geräusch des Kugelstoßpendels. „Was ist danach passiert?“ Naruto atmete tief durch. Versuchte sich zu erinnern, wirklich hartnäckig daran zu erinnern, was dann passiert war. Doch in seiner Erinnerung war alles unscharf. Er hörte seine eigenen Schreie und das Weinen, erinnerte sich an den innerlichen Todeskampf, aber an nichts genau, weil alles zu viel war. Jedes einzelne Gefühl gebündelt in Einem. Schmerzhaft.  „Ich weiß nicht genau. Danach ging alles wie gewohnt weiter. Nur mit dem Unterschied, dass alles beschissen war. Leerer. Grau.“ Seine brüchige Stimme ließ ihn innehalten. Wenn er jetzt weitersprechen würde… „Und wie fühlt es sich jetzt an?“ Eine Frage, die Naruto überlegen ließ. Abgesehen davon, dass es immer noch grau war, fühlte er Wut. Unbändigen Hass, den er auf eine Person projizierte. Und genau das füllte die Leere in ihm.  „Immer noch beschissen. Aber der Hass auf ihn hilft mir dabei, es anders zu sehen.“ Eine schwammige Aussage, doch der Arzt verstand. Ein zustimmendes Geräusch, das seine Lippen verließ, während er Naruto musterte. „Und wenn sie erst mal begreift, was für ein Arschloch er ist, wird sie meine Mühe zu schätzen wissen und…“, bevor er überhaupt weitersprechen konnte, unterbrach ihn der Doc.  „Du denkst, sie wird zu dir zurückkommen.“ Die Feststellung ließ Narutos Magen verkrampfen. Auf der einen Seite, weil er wirklich die Hoffnung hatte, es würde so kommen und auf der anderen Seite hatte er das Gefühl, dass der Mann ihm mit diesem Satz jegliche Hoffnung nahm. Als ob er ihm damit sagte, dass Tote nicht wieder auferstehen konnten. So endgültig.  „Das wird sie, wenn dieser Mistkerl verschwindet.“ Er glaubte an sich. An seine Worte und an seinen Wunsch. Das konnte ihm niemand nehmen.  „Wünschst du dir denn, dass sie glücklich ist?“ Naruto nickte. Natürlich, er wollte dass sie glücklich war, Dass sie lachte, wie sie es immer tat wenn ihr etwas gefiel, sodass sein Herz bei dem Anblick wild in seiner Brust trommelte.  „Selbst, wenn ihr Glück deines ausschließt?“ Das war der Moment, in dem der Muskel in seiner Brust stoppte. Sich schmerzlich zusammenzog, bevor er unregelmäßig weiter schlug. Er wollte darauf nichts erwidern.  „Was, wenn sie ohne dich glücklich ist, gemeinsam mit ihrem neuen Freund?“ „Aber sie ist es nicht!“, schrie er und stand so schnell auf, dass der Arzt ihn überrascht ansah. Die verzweifelten Augen des Jungen starrten ihm entgegen. Er wirkte so verloren, dass er es vorzog, vorerst zu schweigen, um Naruto die Zeit zu lassen, die er brauchte, um sich wieder zu beruhigen.  „Sie ist es nicht. Sie sieht so unglücklich aus. Egal wie sie lächelt. Egal wie sie sich an ihn klammert, sie sieht so unglücklich aus. Sie…“ Damit war der Damm gebrochen, der die Tränen hartnäckig unter Verschluss hielt. Sie liefen über seine Wangen, tropften ungehindert zu Boden. Einfach so. „Er macht sie nicht glücklich.“ Seine Hände waren zu Fäusten geballt, die Augen fest zusammengekniffen. Es war egal, dass Sakura mit Sasuke zusammen war, weil Naruto wusste, dass Sakura unglücklich war. Er beobachtete es jeden Tag. Jeden verdammten Tag sah er die grünen Augen, die so hoffnungslos auf Sasuke lagen, sich an etwas klammerten, das gar nicht vorhanden war. Nicht eine Geste, kein einziges Lächeln. Die Initiative ging stets von ihr aus. Sasuke agierte nie. Es war immer sie, die die Nähe zu dem Eisblock suchte und Naruto wusste es, weil er es sah.  Die Hand auf seiner Schulter hatte er nicht erwartet und das war auch der Grund, warum er seine Augen wieder öffnete.  Der Mann vor ihm drückte leicht zu. „Ich denke nicht, dass du krank bist, aber es ist nicht gut an etwas festzuhalten, was womöglich gar nicht existiert.“ Naruto begriff die Bedeutung dahinter. Aber nur kurz. Nur kurz ließ er es zu, die Wahrheit über seine Liebe zu sehen, bis eine innere Stimme ihm riet, es auszublenden. Es schmerzte zu sehr, um darüber nachzudenken, um alles zu fühlen. Nicht in diesem Moment.  Rückblick Ende Seufzend vergrub er das Gesicht in den Händen. Heute. Ausgerechnet heute, an einem Freitag, hatte er seinen nächsten Termin in der Praxis. Dabei lag der letzte Besuch erst zwei Tage zurück. Ja, er hatte viel darüber nachgedacht, aber eine wirkliche Lösung fand er nicht. Der zusätzliche Sakuraentzug machte ihm zu schaffen. Der Schultag zog sich hin und jedes Mal, wenn er auf den leeren Platz starrte, an dem sie sonst saß, wurde die Sehnsucht nach ihr nur noch größer. Zusätzlich erinnerte er sich immer wieder daran, wie er Sasuke gestern und heute in den Pausen beobachtet hatte. Jede seiner Bewegungen hatte er studiert, um zu versuchen sie zu imitieren, damit er hinter das Geheimnis kam, warum die Menschen ihm so verfallen waren. Er suchte die unmöglichsten Plätze auf, um ungestört seiner neusten Tätigkeit nachzugehen. Es war schon fast ein Zwang, den anderen anzustarren. Warum wirkte Sasuke bei allem was er tat so desinteressiert? Warum lächelte er nie, wenn alle anderen sich vor Lachen kringelten, weil jemand einen Witz erzählt hatte? Es schien so, als ob er gar nicht anwesend wäre. Nur eine Hülle. Eine unantastbare Hülle. Leblos und dennoch verehrt. Von Menschen, denen es scheinbar egal war, dass Sasuke mehr tot als lebendig wirkte. Solange sie sich in seiner Anwesenheit befanden, war es okay. Naruto verachtete diese Leute. Und doch fiel ihm auf, dass Sakuras Freundinnen Abstand zu Sasuke und dessen Leuten hielten. Er wusste, dass sich etwas verändert hatte, nur kam er nicht darauf.  Jedenfalls nicht bis zur letzten Pause, in der Kiba das Glück hatte Naruto abzufangen, ehe er wieder verschwinden konnte. „Du kleiner Wichser, heute haust du nicht so einfach ab. Was ist los mit dir? Du versteckst dich seit gestern vor mir, was soll der Scheiß?“ Sein bester Freund klang wütend und Naruto konnte es ihm nicht verübeln. Schließlich hielt er seit Mittwoch Abstand zu ihm, aus Angst, ungewollte Fragen beantworten zu müssen. Trotzdem gefiel es ihm nicht, dass Kiba sein Handgelenk zusammendrückte.  „Lass mich los“, grummelte er und entzog sich nur mit Mühe dem festen Griff.  „Wenn du mir versprichst mich nicht wieder zu ignorieren. Warum reagierst du nicht auf Anrufe, SMSen, Mails oder Briefe?“ Es stimmte, er erwiderte keinen von Kibas Versuchen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Die Briefe, die er während der Stunde von ihm bekam, knüllte er sofort ungelesen zusammen und stopfte sie in seinen Rucksack. Zu Hause entsorgte er sie. Genauso machte er es mit SMSen. Sie landeten ebenfalls ungelesen im Papierkorb seines Handys und jedes Mal, wenn Kiba versuchte im Unterricht mit ihm zu reden, ignorierte er ihn. Und in den Pausen war er nie auffindbar. Doch nicht heute. Heute hatte er ihm aufgelauert. Pech für Naruto, dass er ausgerechnet an diesem Tag die Toilette aufsuchen musste.  „Also?“ Kiba wartete auf seine Erklärung. Naruto rollte die Augen und lief den Flur entlang. Er war sich sicher, dass der Andere ihm folgen würde.  „Ich hatte einfach keinen Bock auf dumme Fragen. Ja, ich war beim Arzt und es war scheiße. Ja, ich vermisse Sakura und ja, ich hasse Sasuke noch immer.“ Kiba fing an zu lachen. Aber es war kein freundliches Lachen. „Du bist so ein gestörter Bock, ich weiß gar nicht, warum wir eigentlich Freunde sind. Willst du dich nicht wenigstens für dein Asiverhalten entschuldigen?“ Er blieb stehen und drehte sich herum. Dass er sich wie ein komplettes Arschloch verhalten hatte, merkte er erst, als er in Kibas treudoofes Gesicht sah. „Ist es wirklich so schlimm mit mir zu reden?“ Naruto schluckte.  „Hättest du mir nicht schon gestern sagen können, dass du derselbe Penner bist, wie immer? Mit der Ausnahme, dass du beim Arzt warst? Ist es echt so schlimm für dich mit mir darüber zu reden? Mhh?“ Kiba war während seines Monologs näher gekommen. Seine braunen Augen bohrten sich in Narutos. Schuldbewusst wandte er den Blick ab.  „Entschuldigung.“ Und damit lachte Kiba erneut. Aber diesmal klang es erleichtert. Die Faust, die er Naruto gegen die Schulter schlug, war seine Art ihm zu zeigen, dass alles okay war.  „Im Ernst, du bist der dümmste Freund, den ich jemals hatte.“ Naruto grinste. Auch wenn er ihn beleidigte, es war alles in Ordnung, solange Kiba nicht mehr sauer war.  „Ich nehme mal an, du hast die Zettel oder SMSen nicht gelesen oder?“  „Nein.“ Jetzt grinste auch Kiba.  „Hab ich mir schon fast gedacht. Komm mit aufs Dach, dann gebe ich dir die Kurzfassung. Kaum zu glauben, dass du es noch nicht weißt.“ Jetzt war er neugierig. Er folgte Kiba, auch wenn er lieber etwas anderes getan hätte. Aber auch von oben konnte er Sasuke beobachten, nur eben nicht mehr so ungestört.  Kiba ließ sich auf dem Boden nieder und lehnte gegen die Balustrade. Naruto stand neben ihm, Augen auf ihn gerichtet, bereit dazu, die Neuigkeiten zu hören, die sein bester Freund so angepriesen hatte.  „Also, heute steigt eine echt geile Party, alle werden da sein und wir beide auch.“ Innerlich verdrehte Naruto die Augen. Toll, für das hatte Kiba nun so einen Wirbel gemacht? Eine Party auf die er eh nicht gehen würde. Obwohl, vielleicht wenn Sasuke dort wäre. Oder vielleicht sogar Sakura? „Außerdem solltest du wissen, dass Sasuke Sakura abgeschossen hat.“ Unbewusst hielt er den Atem an. Augen so groß, dass Kiba anfing zu glucksen. Dieser Satz war wie ein Atomschlag, mitten in seine Gedärme. Er war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. „Was?“, hauchte er ungläubig. Seine Hände zitterten. War es Freude? Nein, so fühlte es sich nicht an. In diesem Moment war es nur Überraschung.  „Jup, hättest du meine Nachrichten gelesen, wüsstest du warum Sakura seit Montag fehlt. Ino hat mir alles erzählt. Der Creeper hat sie abgeschossen“, erzählte Kiba belustigt und kramte in seiner Jackentasche nach Zigaretten. Der einzige Grund, warum er sich jede Pause aufs Schuldach verzog. Naruto tat etwas anderes. Er suchte in der Masse an Schülern nach einem bestimmten Gesicht. Als er es schließlich fand, spürte er dieses Kribbeln in sich. Wie konnte Sasuke es wagen, Sakura so einfach von sich zu schieben? Und dann besaß er die Dreistigkeit, völlig desinteressiert zu wirken. Als ob es ihm egal wäre, dass Sakura wegen ihm fehlte. Fest biss er sich auf die Innenseite seiner Wange. Der Schmerz war angenehm im Vergleich zu dem Gefühl in seinem Bauch. Ja, er würde auf die Party gehen. Er musste mehr darüber in Erfahrung bringen und wenn sich die Gelegenheit bot und Sasuke wirklich dort auftauchte, würde er ihm die Fresse polieren.    Sag mir, wie fühlt es sich für dich an? Kapitel 2: Resignation ---------------------- Wenn Resignation das Einzige ist, was in meinem Herzen überlebt, dann bin ich gescheitert. Noch immer sind Wünsche und Hoffnungen nicht dasselbe. Es verschiebt sich. Wird schmerzhaft verzerrt. Und das alles ist meine eigene Schuld. Wenn Gefühle sterben, bleiben Narben zurück und es ist egal, wer dafür leidet. Das alles ist unwichtig. Nur die Tatsache, dass es schmerzt, bleibt für immer erhalten. Am späten Nachmittag saß Naruto erneut im Wartezimmer der Praxis. Besonders angenehm empfand er die Tatsache, dass er dieses Mal alleine dort wartete. Nachdem er mit Kiba ausgemacht hatte, sich gegen zehn Uhr an dem Haus zu treffen, wo die Party stattfand, aß er mit seinen Eltern zu Mittag. Er war sogar dazu bereit, sich etwas in die banalen Gespräche einzubringen, die am Tisch geführt wurden. Aber irgendetwas stimmte nicht. Warum zum Teufel freute er sich nicht so, wie er es angenommen hatte? War es nicht sein Wunsch, dass Sasuke und Sakura sich trennten? Wollte er nicht genau das erreichen? Was zur Hölle war nur los mit ihm? Lag es vielleicht daran, dass Sasuke Sakura verletzt hatte? Indem er sie von sich geschoben hatte, ohne ihre Gefühle zu berücksichtigen? Er empfand Mitleid mit ihr. Das war alles. Keine Freude darüber, dass er sie jetzt womöglich trösten konnte. Er verstand sich selbst nicht mehr. Er musste unbedingt mit jemandem darüber reden, denn langsam glaubte er, seinen Verstand zu verlieren. Als man ihn aufrief, hastete er an der Sprechstundenhilfe vorbei, die ihm gerade noch hinterherrufen konnte, dass er in Behandlungszimmer Zwei warten sollte. Das Zimmer glich dem ersten fast genau, mit der Ausnahme, dass statt einem Kugelstoßpendel ein Metronom auf dem Tisch stand. Angespannt ließ er sich in den Sitz sinken. Er würde verrückt werden, wenn er nicht aufhörte darüber nachzudenken. Was für einen Grund gab es für Sasuke, Sakura, seine Liebe, einfach so von sich zu stoßen? Sie war das Beste, was einem passieren konnte und Sasuke würdigte es nicht. Seine Muskeln verspannten sich dabei immer mehr. „Ich würde sagen, du bist wütend.“ Er erschrak fürchterlich, da der Arzt es geschafft hatte, lautlos ins Zimmer zu treten. „Er hat mit ihr Schluss gemacht!“, brach es aus ihm heraus, bevor er den Mann überhaupt begrüßt hatte.   „Er hat sie einfach abgeschossen und deswegen fehlt sie! Warum hat er mit ihr Schluss gemacht?“ Sichtlich verwirrt über Narutos Ausbruch nahm er Platz und musterte ihn. „Ich nehme an du sprichst von dem Jungen, der mit deiner Freundin zusammen war?“, erkundigte er sich und Naruto verdrehte die Augen. „Natürlich spreche ich von diesem Bastard. Er hat sie verlassen und scheiße, warum bin ich nicht glücklich? Warum stört es mich so, dass es vorbei ist? Was stimmt bei mir nicht?“ Er war aufgebracht, so viel konnte er erkennen. Ein wissender Blick folgte, der Naruto nicht entging. „Was empfindest du dabei?“ Eine einfache Frage, doch er verabscheute sie. Weil er selbst nicht verstand, warum er so fühlte. „Ich fühle mich scheiße. Ich meine, ich hab mir gewünscht, dass sie sich trennen, aber nicht so. Ich dachte Sakura wäre diejenige, die sich trennt, nicht er. Wie kommt der Bastard dazu, sich einfach von ihr zu trennen? Sie ist das liebste, süßeste Wesen das auf der Erde herumläuft und er? Er ist ein dummer Bastard.“ Seine Mimik veränderte sich während er sprach. So viele Emotionen, die der Arzt in seinem Gesicht ablesen konnte. „Ich weiß nicht warum ich mich so fühle und warum ich mich nicht freuen kann, wo es doch endlich vorbei ist. Warum? Warum ist das so?“ Er war ratlos und blickte den Doc abwartend an. Er musste ihm die Information geben. „Ich glaube das liegt an zwei Faktoren. Erstens, du bist davon ausgegangen, dass sie sich von ihm trennt, weil sie ihn nicht mehr liebt. Was aber nicht eingetreten ist. Demnach ist sie traurig über den Verlust und das weiß dein Unterbewusstsein. Es ist also kein Abschluss von ihrer Seite. Sie wäre noch mit ihm zusammen, wenn er es nicht beendet hätte.“ Soweit klang alles ganz einleuchtend, auch wenn es Naruto fast umbrachte es so zu hören. „Zweitens, ich denke du kannst nicht akzeptieren, dass das was dir so wichtig ist, von ihm nicht gewürdigt wird.“ Und es stimmte. Er begriff es einfach nicht. Wer war Sasuke, dass er so handelte? Dass er so ein Mistkerl war? Dass er das Gute mit seinen Füßen trat? „Dieser Wichser macht mich wahnsinnig. Ich hasse ihn. Ich hasse ihn so sehr“, grollte er und griff so fest mit den Händen in die Lehnen des Stuhls, dass seine Fingerknochen weiß hervortraten. „Naruto. Beruhige dich.“ Er atmete hektisch, stand kurz vor einem Anfall. „Ich wünschte Sasuke würde verschwinden. Für immer“, presste er hervor und schloss die Augen. Er musste lernen sich zu kontrollieren. Auch wenn es aussichtslos war. Dieser Junge war einfach ein rotes Tuch für ihn. „Sasuke“, wiederholte der Arzt nachdenklich. Er überlegte. Die Erwähnung des Namens hatte etwas bei ihm ausgelöst, doch es fiel Naruto nicht auf, da er zu beschäftigt damit war, sich selbst zu beruhigen. Der Doc sah ihn mit unergründlicher Miene an, als er die Augen wieder geöffnet hatte. „Ja, er ist der mieseste Bastard, der je auf Erden gewandert ist. Er ist an allem Schuld“. Von da an geriet das Gespräch zwischen ihnen ins Stocken. Als ob der Arzt nach den richtigen Worten suchte, die er stets so umschrieb, sodass sie für Naruto keinerlei Sinn ergaben. Dr. Hatake suchte nach einem anderen Ansatz. „Erzähl mir etwas von der Beziehung zwischen Sakura und dir. Wie war sie? Was macht sie in deinen Augen so besonders?“ Auch wenn es Naruto seltsam vorkam wie der Andere sich verhielt, fing er an zu erzählen. Viele Geschichten, die nicht gerade von romantischen Momenten gekrönt waren. „Sie hat dich geschlagen, weil du die Aufgabe nicht verstanden hast?“ Etwas verwirrt von Narutos Auffassung der Liebe machte er sich Notizen. Naruto grinste, war so sehr in den Erinnerungen gefangen, dass er sich gut fühlte. Das erste Mal an diesem Tag. „Ja, sie hat immer gesagt, ich brauch das, weil ich mir sonst nichts merken kann und wissen Sie was? Sie hatte recht damit. Ich konnte mir seitdem immer alles merken. Manchmal hab ich nur so getan als ob ich was vergessen hätte, damit sie mir eine reinhaut. Krank, oder?“ Der Arzt runzelte die Stirn. Er verstand es schon, aber er bezweifelte, dass sein Patient das auch tat. „Du hast nach ihrer Aufmerksamkeit gesucht.“ Narutos Augen verengten sich leicht. „Natürlich hab ich das, das ist doch normal“, murmelte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast innerhalb der Beziehung so sehr nach ihrer Aufmerksamkeit gesucht, dass es dir sogar recht war, dass sie dich geschlagen hat.“ Naruto wusste genau, worauf der Mann hinaus wollte. Dennoch, das würde er nicht einsehen. „Und was wollen Sie damit sagen?“ Er wartete darauf. Und er wusste es würde kommen. „Ich will damit sagen, dass ihre Aufmerksamkeit vielleicht schon anderen Dingen galt, während ihr noch zusammen wart.“ Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass es mit so einer Intensität bei ihm einschlug. Er wusste der Doc beurteilte alles objektiv. Und er wusste auch, dass so eine Betrachtungsweise wichtig war, um die Wahrheit zu finden. Menschen neigten nun mal dazu, alles was sie selbst betraf, nicht ausreichend zu sehen. Und genau deshalb war die Ansicht von Außerhalb, die Einzige die alles aufdeckte. Aber er konnte es nicht akzeptieren. Er wollte es nicht sehen, weil dieses Wissen an seinen Nerven zerrte. Doch es wurde ihm bewusst. Er konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Nicht in diesem Moment, als er anfing ihre gemeinsame Vergangenheit zu durchforsten. Nur ein winzig kleiner Augenblick genügte und er wusste es. Sie war niemals wirklich bei ihm. Sie hatte immer diesen Blick, wenn jemand über Sasuke sprach, wenn sie gemeinsam über den Pausenhof schlenderten und zufällig an ihm vorbeiliefen. Diese hungrigen Blicke. Warum sah er sie gerade jetzt? Das Gefühl von Übelkeit überwältigte ihn. Er konnte kaum atmen. War er so blind? War er so dumm, dass es ihm ausreichte, ihre zweite Wahl zu sein? War er so geblendet von seiner Liebe zu ihr, dass er ihre Liebe zu Sasuke nie wahrgenommen hatte? Sie nie wahrnehmen wollte? Er fühlte sich so leer wie niemals zuvor. Sein ganzes Liebesgerüst fiel in sich zusammen. Seine Augen brannten, als er sich an die Verbote erinnerte, die er einhalten musste, wenn er mit ihr schlief. Nie durfte er stöhnen, geschweige denn sprechen. Sie hatte immer die Augen geschlossen, fasste ihn nie an, wenn es sich vermeiden ließ. All das wurde ihm innerhalb von wenigen Sekunden bewusst.   „Sie hat nie gesagt, dass sie mich auch liebt.“ Er schluchzte. Ein kompletter Zusammenbruch von den Gefühlen, die er so gut versteckt hatte. All die Zeit hatte er sie verschlossen, doch sie brachen aus ihm heraus. Vor einem Arzt. Vor einem verschissenen Psychologen, der ihm die Wahrheit brutal vor Augen geführt hatte. Es tat so sehr weh, dass er nicht mehr aufhören konnte darüber nachzudenken, was alles schief gelaufen war in seiner Beziehung zu Sakura. Wie sehr er sich an etwas geklammert hatte. Genau wie sie es tat. Wie einseitig diese Liebe gewesen war. Was unter der Oberfläche gebrodelt hatte, kam nun zum Vorschein. „Es ist okay Naruto. Es ist okay so zu fühlen. Es ist der Anfang. Es ist ein guter Anfang.“ Hier in den Armen eines Fremden. Es kümmerte ihn nicht, dass der Arzt ihn in eine feste Umarmung zog und er erwiderte den Druck mit all der Kraft, die er aufbringen konnte. Die Verzweiflung, die ihn beherrschte, ließ ihn das Gesicht tief in den Pullover des Docs vergraben.   Die Sprechstunde war schon längst vorüber, doch er blieb dort. In diesem Zimmer, auf dem Boden, angelehnt an den Mann, der ihn so weit gebracht hatte. Er beruhigte sich nur langsam, doch irgendwann versiegten die Tränen und er löste sich aus der Umarmung. Etwas wacklig stand er auf den Beinen, doch es ging wieder. Er fühlte sich zwar wie ausgekotzt, doch um einiges leichter. Als hätte man ihm eine tonnenschwere Last genommen. „Ich werde dir etwas verschreiben, damit du schlafen kannst.“ Er lächelte schief, als der Doc aufstand und seine Knochen dabei knackende Geräusche von sich gaben. Ein alter Mann, der ihn zum Weinen gebracht hatte. Seine Nase kräuselte sich leicht. „Ich werde heute sicher gut schlafen, aber danke.“ Er wollte keine Medikamente, nicht heute. Erst müsste er zu dieser Party. Er brauchte die Gewissheit und betete, dass Sakura auch dort war. Heute würde sie ihm die Wahrheit sagen müssen, ob sie wollte oder nicht. Das war sie ihm schuldig. Verdammt, sie war es ihm schuldig. „Dann würde ich sagen, wir sehen uns nächste Woche wieder.“ Naruto nickte. Er wusste, er würde wiederkommen. Das musste er einsehen, denn die Gespräche halfen ihm. Auch wenn er es niemals laut zugeben würde. Er winkte dem Arzt kurz zu, ehe er verschwand und sich auf den Heimweg machte. Unterwegs textete er mit Kiba und erzählte ihm, dass er sich heute abschießen wollte. Schließlich war es Wochenende. Und es war ein Start für ihn. Möglicherweise ein neuer Start in ein anderes Leben. Eines, in dem er sich nicht mehr vor der Wahrheit verschließen musste. Auch wenn er Angst davor hatte. Angst, es nicht verkraften zu können, sollten Sakura oder Sasuke wirklich anwesend sein. Fünf Stunden später war Naruto so betrunken, dass er schwankte, als Kiba ihn auf die Beine zog, da er sich mit unbekannten Menschen in einen Kreis gesetzt hatte und völlig unkontrolliert Mist von sich gab. „Alter, reiß dich mal zusammen, wie viel hast du schon getrunken?“ Naruto grinste. Seine glasigen Augen sprachen Bände. „Ich hab nur drei Vodka Dinger und vier Bacardi Razz getrunken, beruhig dich.“ Es war eine Lüge. Nachdem Naruto gemerkt hatte, dass weder Sasuke noch Sakura da waren, hatte er sich alles hinter die Binde gekippt, was er zu fassen bekam. Sein Lallen ließ Kiba den Kopf schütteln. „Ich denke wir sollten jetzt gehen“, schrie ihm sein Bester ins Ohr, da die Musik lauter geworden war. „Aber warum? Es ist Party Zeit. Komm mal wieder runter und verdammt, hör auf an mir zu zerren.“ Kiba dachte nicht daran ihn loszulassen. Er bugsierte ihn geradewegs in Richtung Tür. Doch als Naruto zur Seite blickte, blieb ihm fast das Herz stehen. Da stand sie. Mit all ihrer Schönheit. Und doch war etwas anders an ihr. Die Haare. Sie hatte kurze Haare. Der Widerstand den er Kiba nun entgegenbrachte, ließ den anderen innehalten. „Scheiße“, fluchte er und kam zum Stillstand. Er wusste, wen Naruto anstarrte. Das war auch der Grund, warum er gehen wollte. Ehe er sich versah hatte sich Naruto von ihm gelöst und stiefelte geradewegs auf Sakura zu. Sie stand in einer Ecke, mit einem Becher in der rechten Hand. Dass sie alleine war, zeigte deutlich, wie sehr sie die Trennung von Sasuke mitnahm. Das sonst so gesellige Mädchen stand einsam und verlassen in einer Ecke und blickte mürrisch umher. „Warum hast du deine Haare geschnitten?“ Mit einem Schlag fühlte er sich nüchtern. Etwas schwindelig, aber das lag sicherlich nur an ihrer Anwesenheit. Ihre grünen Augen blickten zu ihm auf und er hatte das Gefühl, dass sie ihn heute zum ersten Mal wirklich ansah. „Was willst du?“ Es war nicht die erhoffte Antwort, doch sie sprach mit ihm. Wahrhaftig. „Ich muss mit dir reden“, gab er etwas lauter von sich, da die Musik immer noch den Pegel sprengte. „Du willst immer reden. Wann begreifst du es endlich? Es ist aus, also lass mich bitte einfach in Ruhe“, zischte sie ihm zornig zu und drückte sich an ihm vorbei. Sie steuerte auf die Vordertür zu und Naruto folgte ihr prompt. „Das ist nicht worüber ich mit dir reden will. Ich habe es kapiert. Du liebst mich nicht. Du willst nicht mit mir zusammen sein, aber es gibt etwas, dass ich wissen muss. Bitte.“ Sichtlich geschockt drehte sie sich zu ihm herum. Der Becher in ihrer Hand fiel samt Inhalt zu Boden. Mittlerweile waren sie draußen. Zwar war es noch immer laut, doch Naruto hörte, dass sie die Luft scharf einzog. Es stimmte. Er hatte begriffen, dass sie ihn nicht wollte. Weil er in sich gegangen war. Weil er tief in sich danach gesucht hatte. Er hatte verstanden. Nichtsdestotrotz schmerzte es. So sehr, dass er sie am liebsten in seine Arme gezogen hätte. „Du hast es verstanden?“ Sie klang so ungläubig, wie er sich fühlte. Eine einfache Sitzung, in der er diese Erkenntnis erlangt hatte. „Ja, aber da gibt es etwas, das ich wissen muss. Und sei bitte ehrlich zu mir. Wenigstens dieses eine Mal.“ Ihr Gesichtsausdruck wechselte. Nun war sie sichtlich erzürnt. „Wann war ich bitte nicht ehrlich zu dir?“ Damit brachte sie Naruto zum Schmunzeln. „Du hast ihn schon damals geliebt, nicht wahr? Die ganze Zeit, in ich dir hinterhergelaufen bin, hast du nur ihn geliebt. Du hattest nur Augen für ihn und ich war so dumm es nicht zu sehen. Richtig?“ Sie öffnete die Lippen, doch sie schlossen sich gleich darauf wieder. Er hatte sie eiskalt erwischt. Entlarvt. Sie war aufgeflogen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus. Er griff nach ihren verkrampften Fingern und sie wehrte sich nicht. Nicht einmal, als er ihre Hand an seine Brust presste. Sie spürte den wilden Herzschlag, der von ihm ausging, unter ihrer Handfläche pochen. „Sag es mir Sakura.“ Nur ein leises Hauchen. Doch sie antwortete nicht. Nun hatte er die Gewissheit. Die schmerzhafte Wahrheit, die er unbedingt finden wollte. „Weißt du was ich lustig finde? Dass es dir jetzt genauso geht, wie mir. Dass du jetzt genau das spürst, was ich spüre, Tag für Tag. Dass du nicht schlafen kannst und das alles was du zu dir nimmst, wie Scheiße schmeckt. Dass du dich nach dem Warum fragst und es nicht begreifen kannst, weil du in deinen Augen nichts falsch gemacht hast.“ Es war grausame Ironie, doch Naruto genoss das Gefühl. Ja, er liebte sie, doch es war wie eine Heilung für ihn, dass sie genau dasselbe fühlen musste wie er selbst. Bittere, widerliche Medizin. Er lächelte. Ein melancholisches Lächeln. Selbst als die Hand, die eben noch an seiner Brust ruhte, für den brennenden Stich in seiner Wange sorgte. Sie blickte zu Boden, ihre Atmung beschleunigt. Und er? Er sah durch sie hindurch. War hinter all ihre Lügen gekommen. Nach so langer Zeit brach er aus dem Netz heraus, das sie um ihn gesponnen hatte, weil er es zuließ. „Du hast überhaupt keine Ahnung, was ich fühle. Du verstehst überhaupt nichts davon. Du bist nur krank. Ich liebe ihn so sehr, dass ich alles getan habe, damit er mich akzeptiert. Und was hast du getan? Gar nichts. Ständig hast du mich genervt mit deiner Anhänglichkeit. Mich mit deinen jämmerlichen Gefühlen erdrückt. Du weißt gar nichts du Psycho“, schrie sie ihm entgegen und stürmte dann davon. Geschockt und sprachlos starrte er ihr hinterher. Sie irrte sich. Denn auch er hatte alles dafür getan, dass sie sich wohlfühlte. Dass sie ihn zurückliebte, wo er ihr so viel von sich gab. Doch das sah sie nicht, weil sie von ihrer eigenen verzweifelten Liebe geblendet war. „Scheiße, alles okay bei dir Mann?“ Kibas Hand berührte ihn leicht an der Schulter. „Ja“, erwiderte er, weil es so war. Es war okay, wenn sie es nicht sehen wollte. Sie musste alleine durch den Schmerz, so wie er es musste. Auch wenn ihn dieses Wissen verletzte. Doch im Moment war er unfähig noch mehr zu fühlen, weil einfach alles zu viel war. Er war betäubt und wünschte sich nichts sehnlicher, als in sein Bett zu fallen, damit er endlich Ruhe fand. „Ich will Heim.“ Mehr musste er nicht sagen. Gemeinsam mit Kiba erreichte er nur eine halbe Stunde später sein Elternhaus. Sein bester Freund brachte ihn in sein Zimmer, wo er sich aufs Bett schmiss und sich sogar helfen ließ, sich auszuziehen. So kaputt fühlte er sich. „Okay. Ich werde jetzt auch gehen. Meine Eltern stressen schon die ganze Zeit am Telefon ab“, durchbrach Kiba die Stille und Naruto brummte zustimmend. Er war so erschöpft, dass er in dieser Nacht mehr als acht Stunden am Stück durchschlief. Ein traumloser Schlaf. Willkommene Dunkelheit. Doch der nächste Morgen sorgte für mehr als nur Herzschmerzen. Sein Kopf pochte bei jeder Bewegung, obwohl er schon zwei Tabletten genommen hatte. Nach einer langen Dusche und einem schweigsamen Frühstück mit seinen Eltern, hatte er sich wieder zurück auf sein Zimmer verzogen. Am kommenden Mittwoch hatte er einen neuen Termin in der Praxis und seltsamerweise wehrte sich sein Verstand nicht mehr dagegen. Das Gespräch mit dem Arzt hatte ihm geholfen, einen Schritt nach vorne zu machen. Auch, wenn es wehtat, mit der Zeit würde es besser werden. Er widerstand sogar dem Drang, Sakura auf ihren Internetprofilen auszuspionieren. Er wollte nicht lesen, wie sehr sie ihren Verlust betrauerte. Stattdessen suchte er nach Sasuke. Warum genau er das tat wusste er nicht, aber er hatte das Bedürfnis mehr über den Mann herauszufinden, der zwei Herzen auf dem Gewissen hatte. Wie zu erwarten fand er nichts Nützliches. Zwar war Sasukes Profil von Einträgen gespickt, doch kein Einziger davon stammte von ihm. Nur tausend Liebesbekundungen, oder Anfragen, warum er keine Nachrichten beantwortete. Gerade als er im Begriff war seinen Laptop wegzulegen, sah er, dass Sasuke online war. Sein Herz schlug schneller, als er sich bewusst wurde, dass er das Nachrichtenfenster geöffnet hatte. Sollte er ihm wirklich schreiben? Was sollte er ihm sagen? ‚Hey Arschloch. Danke, dass du mein Leben zerstört hast.‘ Er drückte auf Senden. Er hatte es tatsächlich getan. Nicht, dass er eine Antwort erwartete, doch als sie kam, starrte er förmlich auf die getippten Worte.   ‚Reih dich hinten in der Schlange ein, Unbekannter.‘   Und da war sie wieder, absolute Wut. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie Sasuke gerade aussah. Völlig gelangweilt. Mit ausdrucksloser Miene. ‚Ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr, dass ich dich am liebsten auf der Stelle mit meinen Fäusten bearbeiten möchte.‘   Seine Finger zitterten, doch als die Nachricht übermittelt wurde, war Sasuke bereits Offline. Enttäuscht von diesem Austausch schlug Naruto die Klappe seines Laptops fester zu als gewollt. Dieser Junge brachte einfach alles in ihm durcheinander. Mit dieser verdammten stoischen Art. Warum zeigte er nicht einmal Anteilnahme am Leben anderer? Warum fragte er nicht danach, was er getan hatte? Niemals zuvor hatte er so einen Menschen kennengelernt. Sein Telefon holte ihn schließlich aus seinen Gedanken. Kiba hatte sich für den Abend angekündigt, um die neusten Spiele auf seiner Konsole auszuprobieren und Naruto war dankbar dafür. Es wurde ein recht ereignisloses Wochenende, aber eine gute Abwechslung zu den seelischen Strapazen der letzten Zeit. Fast fühlte es sich so an wie früher, als die Welt noch mehr Farben hatte und nicht so trist wirkte. Sogar seine Familie wurde mit einbezogen und Naruto machte ab und an sogar Witze, bereit weitere Schritte nach vorne zu wagen. Die nächsten drei Wochen verliefen nach einer gewissen Routine, die für ihn wichtig geworden war. Zwar schmerzte es ihn noch immer, dass Sakura ihn mit Missachtung strafte, doch es wurde besser. Die Sitzungen in der Praxis halfen ihm über das Vergangene hinwegzukommen. Weiter in die Zukunft zu blicken. Schritt für Schritt. Auch die Freundschaft zu Kiba fühlte sich gefestigter an. Als wären sie Verbündete, gemeinsam im Kampf gegen arrogante Schnösel. Sein bester Freund hasste Sasuke mindestens genauso sehr wie er selbst.   „Morgen ist eine große Party und rate, wer dabei sein soll“, flüsterte Kiba Naruto ins Ohr, darauf bedacht, Ebisus Aufmerksamkeit nicht zu erregen. Der Mann würde nämlich nicht davor zurückschrecken, mit Tafelkreide nach seinen Schülern zu werfen. Das hatte Kiba schon häufig feststellen müssen. Da Naruto nichts erwiderte, sprach er weiter: „Sasuke Uchiha.“ Er rollte mit den Augen. „Und? Was ist damit?“ „Was schon, er ist da und wir sind auch da, wenn wir ihm 'ne Abreibung verpassen wollen, dann mor-“, Kibas plötzliches Aufjaulen ließ Naruto zusammenzucken. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Gespräche jetzt einstellen würden und sich stattdessen wieder meinem Unterricht widmen.“ Ebisus Stimme erzeugte eine Gänsehaut bei ihm und ein Blick auf Kiba genügte, um ihre Unterhaltung als beendet zu erklären. Dass die Klasse lachte, schien den Lehrer nicht weiter zu interessieren, da weniger als zehn Sekunden später die Pausenklingel läutete. „Mann, der dumme Wichser, warum macht der so 'nen Aufriss? Der ist doch nicht mehr ganz richtig im Kopf.“ Während Kiba über Ebisu lästerte, blickte Naruto über die Balustrade nach unten auf seine Mitschüler. Es war das übliche Szenario auf dem Hof. Sakura rannte zu Sasuke, während er sie konsequent ignorierte und sie kurz darauf einfach stehen ließ. Eine Tatsache, die Naruto wütend, aber auch glücklich machte. Er war der Meinung, dass ihm dieser Egoismus zustand. Es war die Freude darüber, dass sie beide nicht das bekamen, was sie wollten. Sein Schmerz linderte sich stetig, da er wusste, dass auch sie litt. Wenn auch aus anderen Gründen. Wütend war er jedoch deshalb, weil Sasuke keinerlei Respekt für das Mädchen aufbrachte. Es war immer irritierend für ihn, den anderen zu sehen. Da konnte ihm selbst der Doc nicht helfen. Egal wie sehr er ihm zuredete, dass jeder mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hatte. Er verstand es ohnehin nicht, warum sein Arzt Partei für so eine Kreatur wie Sasuke ergriff. Es war ein Freitag, als er seinen fünften Termin bei Dr. Hatake wahrnehmen sollte. Er war viel zu früh in der Praxis angekommen, doch störte sich nicht daran sich ins Wartezimmer zu begeben, das wie auch die letzten Male leer war. Die Tür war einen Spalt weit geöffnet, sodass er einen direkten Blick auf die Rezeption werfen konnte, an der Shizune, ihren Namen hatte er mittlerweile herausbekommen, ihre Berichte abtippte. Er griff wahllos nach einer Zeitschrift, da die Uhr an der Wand ihm anzeigte, dass er noch eine halbe Stunde warten musste. Er hasste es zu warten, auch wenn er selbst daran schuld war. Die Berichte aus dem Magazin wurden von ihm nur überflogen, da er keinen Nerv hatte, sich mit den Problemen von unbekannten Prominenten zu befassen und sein Interesse starb gänzlich in dem Moment, als sich eine bestimmte Person in sein Blickfeld schob. „Ah, Sasuke, was führt dich her? Du hast doch am Montag deinen Termin.“ Ihm stockte der Atem. Sein Mund war geöffnet. Was zum Teufel? Wie…wieso war er hier? „Ja, ich möchte den Termin verschieben. Außerdem brauche ich ein neues Rezept.“ Sasukes Stimme brannte sich in sein Trommelfell. Bisher hatte er sie nur einmal wirklich gehört, damals im Park, als Suigetsu ihm eine Faust verpasst hatte. Shizune tippte auf der Tastatur herum und Naruto zog im letzten Moment die Zeitschrift nach oben, damit man sein Gesicht nicht sehen konnte. Sein Herz schlug heftig gegen seinen Brustkorb. Sasuke hatte sich direkt in seine Richtung gedreht. Ob er ihn bemerkt hatte? Er schluckte hart und versuchte seinen rasenden Puls zu beruhigen. „Dein letztes Rezept ist schon eine Weile her. Reichen die Tabletten übers Wochenende? Hast du noch welche?“ Die Besorgnis in ihrer Stimme ließ Narutos Magen rumoren. Warum musste der Bastard Tabletten nehmen? „Ja.“ Sehr einsilbig und Naruto hätte geschnaubt, wenn er nicht so verdammt nervös gewesen wäre. „Okay, passt dir Donnerstag? Da hat er noch was frei“. „Ja.“ Wieder hörte er sie auf der Tastatur herumtippen. Dann das Geräusch des Druckers. „Gut, hier ist dein Termin und warte kurz, ich lass dein Rezept von Kakashi unterschreiben.“ Nun war es still. Er hörte nur seinen eigenen angestrengten Atem, während er darauf wartete, dass etwas passierte. Doch es kam nichts. Wie gerne hätte er nun nachgesehen? „Okay, hier dein Rezept. Sei so gut und lass dir das nächste etwas früher geben. Nicht, dass es zu knapp wird“. Eine kurze Stille. Ihr Stuhl knarzte. „Ich wünsche dir ein schönes Wochenende, bis Donnerstag dann.“ Sasuke erwiderte darauf nichts. Womöglich hatte er genickt. Als die Tür der Praxis ins Schloss fiel, schmiss Naruto das Magazin in die Ecke, denn es wurde ihm etwas klar. Die ganze Zeit über hatte Kakashi davon gewusst, wer Sasuke war. Hatte er ihn deswegen verteidigt? Weil er sein Arzt war? Hatte er über ihn gelacht, während er sich bei ihm darüber ausweinte, dass Sasuke ein fieser Mistsack war? Bevor er überhaupt überlegen konnte, war er an Shizune vorbeigelaufen, nur ein Ziel vor Augen. Erst im letzten Zimmer fand er ihn. Gemeinsam mit einer sehr verwirrten Sprechstundenhilfe im Rücken. „Sie hätten es mir erzählen müssen!“, rief er aufgebracht, ungehindert dessen, dass er gerade mitten in eine Sitzung hineingeplatzt war. Das Mädchen auf dem Stuhl hielt ein Taschentuch in der Hand, doch es war Naruto egal. Kakashi scheinbar nicht. „Naruto. Raus. Sofort. Die Warnung war vorhanden, doch er ignorierte sie. „Nein, Sie hätten mir sagen sollen, dass Sasuke Ihr Patient ist! Wie lange lachen Sie schon über mich, hä?“ Von seiner blinden Wut getrieben beschuldigte er den Arzt. Kakashi begriff was vor sich ging. „Warte in Zimmer Eins auf mich.“ Die letzte Möglichkeit für Naruto, doch er nutzte sie nicht. „Vergessen Sie es. Ich lass mich nicht mehr von Ihnen verarschen. Ich bin weg.“ Und damit war er wirklich weg. Nie wieder würde er in diese Praxis zurückkehren. Er fühlte sich so hintergangen, dass all die Fortschritte, die er gemacht hatte, keinen Wert mehr hatten. Waren das alles nur Lügen, um ihn ruhig zu stellen? War irgendein Rat auch nur annähernd ernst gemeint? Erst zu Hause dachte er über andere Dinge nach. Warum zum Beispiel Sasuke in Therapie war. Wie lange er schon dort war. Was für Probleme er hatte. Die Neugierde in ihm wuchs immer mehr an. So sehr, dass er nach drei Stunden Überlegung einen Entschluss fasste. Er wählte die Nummer seines besten Freundes und verzichtete sogar auf eine Begrüßung. Es gab nun Wichtigeres. Viel Wichtigeres als ein Hallo. „Kiba, sei heute um zwölf bei mir“, eine kurze Pause in der Kiba antwortete, „ja, zwölf Uhr nachts. Ich brauche deine Hilfe. Ich erkläre dir alles, wenn wir da sind. Sei pünktlich“. Damit legte er auf. Ja, er würde zurück in die Praxis gehen. Aber nicht für eine Sitzung. Nein, er würde dort einbrechen und sich Sasukes Akten holen. Und wenn er erfuhr, was den Bastard in die Praxis trieb, würde er es knallhart gegen ihn verwenden. „Ich hoffe du weißt, dass wir uns gerade strafbar machen.“ Kiba war es sichtlich unangenehm, dass Naruto die Tür zur Praxis mit dem Brecheisen bearbeitete. Vor Montag würde niemand den Einbruch bemerken und ehrlich gesagt war es ihm egal. Er wollte nur die verdammten Akten. „Wenn du so gut wärst und deine Klappe halten könntest.“ Auch Naruto war angespannt, aber nur, weil die Tür erst beim vierten Versuch nachgegeben hatte. Sofort stürmte er in die Praxis. Die Zimmertüren waren geöffnet, doch die Schränke verschlossen. Wieder kam das Eisen zum Einsatz. „Alter, du bist echt verrückt. Warum sind wir eigentlich hier? Warum brauchst du irgendwelche Akten? Ich dachte du willst nicht mehr zurückkommen.“ Er hatte Kiba nicht erzählt, welche Ordner er suchte, sondern nur, dass er welche brauchte. „Kannst du jetzt mal bitte die Fresse halten? Mach deinen Rucksack auf.“ Der Schrank in Zimmer Eins hatte nicht die gewünschten Akten, doch Naruto würde sie trotzdem stehlen, um sie dann später irgendwo zu entsorgen. Schließlich sollte es nicht so aussehen, als ob er nach etwas Bestimmten gesucht hatte. Kiba tat was ihm befohlen wurde, auch wenn sich sein Gesicht zu einer wütenden Fratze verzogen hatte. Sein bester Freund verhielt sich merkwürdig und schreckte nicht einmal davor zurück, eine Straftat zu begehen. Irgendetwas musste vorgefallen sein und er nahm sich vor, es herauszufinden.   Naruto wurde auch im Zimmer Zwei nicht fündig und war schon fast frustriert darüber, dass er noch einen weiteren Schrank aufbrechen musste. Sein Herz schlug schneller, als er den dritten und letzten Ort geöffnet hatte, wo er Sasukes Akte schließlich fand. Sie war dick. Viel schwerer als die Anderen. Er warf einen kurzen Blick in das Innere. Zum Vorschein kamen vier CDs, vermutlich waren es Videoaufnahmen, die auf DVDs kopiert wurden. „Soll die auch in den Rucksack?“ Er wirbelte zu Kiba herum, der ihn fragend musterte. „Nein, ich hab, was ich brauche. Hör zu. Wir waren niemals hier. Nimm die Akten und schmeiß sie in die nächstbeste Tonne. Okay?“ Er lief an Kiba vorbei in Richtung Ausgang. „Wie jetzt? Du klaust die ganze Scheiße damit du sie wegschmeißen kannst?“ „Ganz richtig. Eine kleine Racheaktion. Damit er weiß, dass er niemanden verarschen sollte.“ Kiba hielt mit ihm mit, als Naruto immer schneller wurde. Warum fing er an zu joggen? „Für sowas brichst du in die Praxis ein? Was ist vorgefallen verdammt? Und warum klammerst du dich an dieser Akte fest?“ Mittlerweile rannten sie. Narutos Bedürfnis, sie sofort zu lesen, musste er verdrängen. Es ging nicht, solange Kiba in der Nähe war. „Geh Heim Kiba. Wir sehen uns morgen auf der Party. Ich werde dir alles erklären, versprochen.“ Kiba versuchte zwar zu Naruto aufzuschließen, doch es war nicht möglich. Er war einfach zu schnell. Zusätzlich lag das Gewicht der ganzen Akten schwer auf seinem Rücken. „Idiot“, zischte er, ehe er sich auf den Weg nach Hause machte und unterwegs in einer dunklen Gasse das Diebesgut entsorgte. Als Naruto sein Elternhaus erreicht hatte, lief er ohne Umschweife direkt in sein Zimmer und warf die Akte auf sein Bett. Er war völlig außer Atem, da er den kompletten Weg gerannt war. Eine Strecke von fünf Kilometern. Seine Muskeln zitterten von der Anstrengung. Die Wasserflasche neben seinem Bett wurde mit hastigen Schlucken geleert. Sein Puls raste. Schon alleine bei dem Gedanken daran, dass er etwas über Sasuke herausfinden würde, breitete sich ein angenehmes Gefühl in ihm aus. Der Lattenrost knarzte, als er sich auf die Matratze setzte und die erste Seite aufschlug. Die DVDs würde er später ansehen. Wie gebannt starrte er auf die Berichte. Konoha Research Asylum Diagnosebericht Patient: Sasuke Uchiha Datum: 01.07.20XX Patient hat versucht, Suizid durch autoaggressives Verhalten herbeizuführen. Einweisung durch Erziehungsberechtigten in die Privatklinik eingeleitet. Naruto hielt den Atem an. Er wusste was dort stand. Warum wollte der Bastard sich vor drei Jahren umbringen?   Diagnostizierung: Bipolare affektive Störung Klassifikation: ICD-10 Datum: 11.07. 20XX Er verstand nicht ein Wort. Nachdem sein Laptop hochgefahren war, suchte er im Internet danach. Der Bastard war depressiv. Manisch depressiv. Warum war Sasuke depressiv? Seine Augen überflogen den Text, all das was dort stand, wurde förmlich von ihm aufgesaugt. Patient unterliegt ständiger Beobachtung. Aggressives Verhalten wurde beobachtet. Gereizte Stimmung. Beginne mit medikamentöser Behandlung. Seine Augen wurden während des Lesens immer größer. Patient musste ruhig gestellt werden. Wurde von dem behandelnden Arzt in die geschlossene Einrichtung eingewiesen. Klagt über Muskelschmerzen. Droht immer wieder mit Selbsttötung. Was zur Hölle brauchte es, um einen stoischen Mistkerl wie ihn soweit zu bringen? Patient beginnt mit der Einzeltherapie. Spricht immer wieder davon, die Dunkelheit zu sehen. Macht einen leicht desorientierten Eindruck. Medikamentöse Behandlung schlägt nicht an. Patient beim Fluchtversuch erwischt. Musste erneut fixiert werden, da er physische Gewalt anwenden wollte. Beruhigungsmittel verabreicht. Diagnose: Verdacht auf schizoide Persönlichkeitsstörung. Datum: 27.08.20XX Patient zeigt deutliche Auffälligkeiten einer schizoiden Persönlichkeitsstörung. Wird einem neuen Therapeuten zugewiesen. Behandelnder Arzt: Tsunade Senju. Zugewiesener Therapeut: Kakashi Hatake Vorheriger Therapeut: Kabuto Yakushi Da stand der Name des Docs. Kakashi Hatake. Seit über drei Jahren war Sasuke nun schon bei ihm in Therapie? Naruto tippte die Krankheit in den Browser ein. Während er versuchte zu verstehen, was Sasuke hatte, presste er seine Lippen fest aufeinander. So ergab das Verhalten von ihm wenigstens einen Sinn. Der Bastard war eindeutig gestört. Nur weshalb? Patient vermeidet jeglichen Blickkontakt. Beginne mit der Videoaufnahme. Erste Sitzung findet im Kohoha Research Asylum statt. Patient redet nur, wenn man ihm direkte Fragen stellt. Zeigt typische Verhaltensweise schizoider Persönlichkeit. Erste Sitzung ohne nennbaren Erfolg beendet. Datum: 03.08.20XX Behandelnder Therapeut: Kakashi Hatake   Der Bericht war mit der Unterschrift des Arztes versehen. Naruto blätterte weiter. Viele Begriffe, die er nicht verstand, überflog er, bis er bei einem Absatz hängenblieb. Patient erleidet einen schweren Rückfall. Erziehungsberechtigter veranlasst Verlängerung des Klinikaufenthaltes. Hat medikamentöse Behandlung eigenhändig abgebrochen. Beginne mit erneuter medikamentöser Behandlung. Zweite Sitzung findet im Konoha Research Asylum statt. Patient befindet sich während der Sitzung in einer hypomanischen Episode. Gesteigerter Redefluss. Gibt häufig zynische Äußerungen von sich. Redet über die Vergangenheit. Redet viel über Dunkelheit. Erzählt von Bindungen, die er nicht haben möchte. Hat Probleme im Umgang mit seinem Vater. Erzählt viel über seinen Bruder. Gibt zu, ihn zu vermissen. Gibt sich selbst die Schuld an dem Unfall. Würde gerne an dessen Stelle sein. Hat eine geringe Wertschätzung sich selbst gegenüber. Und dann lichtete sich der Nebel in seinem Kopf. Sasuke hatte einen Bruder, der scheinbar durch einen Unfalls ums Leben gekommen war. Und er selbst gab sich die Schuld daran. Was war passiert? Er legte die Akte weg. Geschockt von dem, was er gelesen hatte ließ er sich zurückfallen. Seine blauen Augen hefteten sich auf die Zimmerdecke. Tief in Gedanken bemerkte er nicht, dass sein Handy vibrierte. Er wusste, dass die DVDs ihn der Wahrheit ein Stück näher bringen konnten, doch er wollte sie jetzt nicht sehen. Die Furcht davor, was er finden würde war größer als das Verlangen danach, Sasuke zu richten. Als er sich wieder aufrichtete, fiel sein Blick auf das lose Blatt, das aus der Akte herausragte. Datum: 08.07.20XX Patient wird mit sichtbarem Erfolg entlassen. Wöchentliche Sitzungen in der Privatpraxis vom zugewiesenen Therapeuten durch Erziehungsberechtigten veranlasst. Patient konnte im Laufe der Sitzungen ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Redet öfter von sich aus. Medikamentöse Behandlung wird beibehalten. Über ein Jahr lang war er in der Psychiatrie. Ein Jahr lang eingeschlossen, weil er so gestört war. Und kurz darauf wurde er an Narutos Schule geschickt. Verwirrt über die ganzen Gefühle, die er in sich trug, nahm er eine der DVDs in die Hand und stand auf. Er musste sie sehen, nur dann konnte er eine Entscheidung treffen. Als er wieder auf seinem Bett saß und die Lautstärke des Fernsehers einstellte, flackerte auch schon das erste Bild auf. Sasuke, der auf einem Stuhl saß, Kakashi darauf nicht zu sehen. Von dem Blickwinkel der Kamera nach zu urteilen, war Kakashi hinter dem Schreibtisch. Naruto hörte ihn sprechen. Das Datum war erst drei Monate her. Zu der Zeit, als sich Sakura von ihm getrennt hatte. „Ich würde vorschlagen, wir fangen dort an, wo wir das letzte Mal aufgehört haben. Beantworte mir doch bitte die Frage von letzter Woche. Warum führst du eine Beziehung zu ihr?“ Sasuke rollte die Augen und wandte den Blick ab. Naruto verstand sofort worüber die beiden redeten. „Weil es so ist. Du hast selbst gesagt ich soll mich meinen Mitmenschen mehr öffnen“.   Eine Antwort, mit der Naruto gerechnet hatte. Schon alleine Sasukes Stimme zu hören regte ihn auf.   „Ja, aber du wusstest, dass sie eine Beziehung geführt hat. Du hast dich da in etwas hineingedrängt“. „Ich habe mich nirgends reingedrängt. Der Idiot sollte mir lieber dankbar sein, dass ich ihn von ihr erlöst habe“.   Kurz darauf drückte Naruto auf den Pause Knopf. Er zoomte das Bild heran, hatte Sasuke ganz nah vor sich und sah, dass sein sonst so ausdrucksloses Gesicht einen anderen Zug angenommen hatte. Zornig. Warum? Wieder drückte er auf Play. „Sasuke. Es ist ganz egal, ob du denkst, dass sie nicht gut für ihn ist. Man drängt sich nicht in Beziehungen herein.“   Fast schon tadelnd hörte sich die Stimme des Docs an, doch Sasuke schnaubte nur. „Wie lange geht das jetzt schon so? Vier Monate? Findest du es nicht grausam, ihm so etwas anzutun?“   Geschockt darüber, was Kakashi gerade gesagt hatte, starrte Naruto auf den Bildschirm. Vier Monate? Seine Gedanken ratterten die Zeit durch. Dieser Bastard hatte sich bereits zwei Monate nach der Beziehung zu Sakura hineingedrängt. In sein Glück. Er war schlichtweg fassungslos, bekam nur am Rande das weitere Gespräch mit. Erst nach einigen Minuten hörte er wieder zu. „Wenn er so erbärmlich ist und nicht merkt, dass sie nicht gut für ihn ist, werde ich eben nachhelfen. Ich werde ihr sagen, dass sie es beenden soll.“ Und mit diesem Satz brach etwas in ihm. Er bekam eine völlig neue Sicht auf die ganze Situation. Einen Blick auf das Lügennetz. Die ganzen Intrigen, von denen er ein Teil war, ohne es zu wissen. Sasuke hatte ihr gesagt sie solle es beenden. „Was empfindest du für sie?“   Naruto war sich nicht sicher, ob er die Antwort hören wollte. Für ihn dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis Sasuke endlich sprach: „Nichts.“ Ihm kamen die Tränen, doch nicht aus Erleichterung. Er war zutiefst verletzt von dieser monotonen Stimme, die dieses Wort ausgesprochen hatte. Sein Magen rebellierte. Der Hass festigte sich, wurde immer stärker. „Warum hast du es dann getan? Du hättest jeden anderen nehmen können. Warum also gerade sie? Es liegt an ihm, oder?“ Naruto kämpfte damit, nicht auf den Stopp Knopf zu drücken. „Es liegt nicht an ihm“, verneinte Sasuke, doch Kakashi fuhr ihm dazwischen. „Oh doch. Es liegt an ihm. Du willst nicht, dass er mit ihr zusammen ist, dabei liegt dir gar nichts an ihr. Also sag es mir Sasuke. Sag mir, warum ist das so?“   Der Doc war aufgestanden und stand genau vor Sasuke, sodass Naruto nur den Rücken des Arztes sehen konnte. Mittlerweile spürte er seinen Herzschlag im Hals pochen. Es war unangenehm, doch er musste es wissen.   „Ich hasse ihn.“ So simpel sagte er diese Worte. Mit einer Ruhe, als ob es nicht von Bedeutung war.   „Du lügst. Du hast schon damals gelogen Sasuke. Woran liegt es wirklich? Du weißt, dass du mich nicht täuschen kannst.“ „Ich hasse ihn.“ Diesmal war seine Stimme lauter. Kakashi ging einige Schritte zurück und verschwand schließlich aus dem Blickfeld der Kamera. Sasukes Augen waren zu Schlitzen verengt, die Lippen fest aufeinander gedrückt. Das sonst so emotionslose Gesicht spiegelte tatsächlich Gefühle wider. „Ich hasse ihn. Ich hasse einfach alles an ihm. Ich hasse es, wenn er lacht. Ich hasse es, wie er lacht. Ich hasse es, wenn seine Augen leuchten, sobald er sie ansieht. Ich hasse es, dass er nur sie sieht, obwohl sie ihn wie Dreck behandelt. Ich hasse die Art, wie er sich bewegt, als ob die Welt aus Wolken bestünde. Ich hasse es, dass er diese Gefühle in mir auslöst. Ich hasse es, dass er mir nicht egal ist, so wie all die anderen. Ich hasse es ihn zu hassen. Ich hasse den Duft, der von ihm ausgeht, wenn er an mir vorbeiläuft und ich hasse es zu wissen, dass er so dumm ist und ihr seine Liebe schenkt. Er ist so erbärmlich. Einfach nur erbärmlich. Ich hasse ihn…ich. Hasse. Ihn“. Narutos Mund war geöffnet, völlig überrumpelt von dem, was er gerade gehört hatte. Sasuke hatte so viel am Stück gesprochen, dass er es kaum glauben konnte. Und das, was er gesagt hatte, ergab für ihn Null Sinn. War nicht greifbar. Die Art, wie er es zum Ausdruck brachte. Verzweifelt. Irritierend. Aufgebracht. Und zum ersten Mal lebendig. Sasuke tat es, weil er ihn hasste? Weil er sein Lachen hasste? Weil er alles an ihm hasste? Deswegen quälte und manipulierte er? „Ich bin erstaunt darüber, dass du es endlich zugibst. Nur müssen wir noch etwas daran arbeiten, dass du dieses Gefühl auch zulässt.“ Jetzt war Naruto verwirrt. Der Doc sprach für ihn in Rätseln. „Die Zeit ist fast um. Sprich mich nie wieder darauf an. Verstanden?“ Sasukes Stimme war so kalt, dass es Naruto einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich verstehe“, erwiderte Kakashi und trat kurz darauf ins Bild, ehe es schwarz wurde. Die Sitzung war beendet. Und genauso fühlte sich auch Naruto. Am Ende. Mit seinen Gedanken, seinen Gefühlen und dem, was er wollte. Er wusste gar nichts mehr. Ein flüchtiger Blick auf seinen Nachtisch. Dort lag sein Handy und es vibrierte. „Kiba, kannst du vorbeikommen? Bitte“, fragte er in den Hörer nachdem er das Gespräch angenommen hatte. Er brauchte dringend seelische Unterstützung, denn alleine bekam er es nicht mehr hin. Sein Geist alleine reichte nicht aus, um es zu begreifen. Kiba war nur eine Stunde später in seinem Zimmer und suchte besorgt nach einem Anhaltspunkt, warum sein bester Freund so fertig war. Als er die Akte auf Narutos Bett, und den Namen der darauf stand sah, wurde er bleich. „Was zur Hölle ist das?“, hauchte er und griff nach den Blättern. Während er die Einträge las, wechselte seine Mimik konstant. Ungläubig, verwirrt, geschockt. Naruto erzählte ihm die ganze Wahrheit und auch das, was er auf der DVD gesehen hatte. Kurz nach drei Uhr hatte Kiba ihn davon überzeugt, die Aufnahme noch einmal anzusehen. Sie saßen beide nebeneinander auf Narutos Bett. „Ich kann echt nicht glauben, dass der Creeper so gestört ist. Und Mann, nehm es mir nicht übel, aber ich glaube er ist in dich verknallt.“ Naruto schüttelte heftig den Kopf. „Nein, er hasst mich, hast du es nicht gehört? Er hasst mich und deswegen hat er die Scheiße abgezogen.“ „Alter, ersetz mal hasse durch liebe. An den meisten Stellen passt es haargenau. Der Typ hat deine Beziehung sabotiert, damit du keine Freundin hast. Er liebt dich. Und überleg doch mal, er ist krank im Kopf. Vielleicht kann er es nur so zeigen.“ Er wurde müde von den Behauptungen, die Kiba in den Raum stellte. Sicher, Sasuke war gestört, aber selbst er sollte wissen, dass man Liebe so nicht zum Ausdruck brachte. Niemals. Er bewirkte damit eher das Gegenteil. „Und dann noch das, was der Zausel gesagt hat. Blabla endlich gibst du es zu, das Gefühl zulassen blabla. Der redet eindeutig von Liebe Mann.“ „Halt einfach die Klappe, ich kann den Scheiß nicht mehr hören. Er hasst mich, Ende und aus.“ An dem Punkt wurde Kiba bewusst, dass Naruto nur versuchte es zu verdrängen, genau wie alles andere in seinem Leben.   „Lass uns die DVD schauen. Da steht Hypnose drauf.“ Damit erhob er sich und legte die CD in den Player, der über Narutos Fernseher stand. Wenn er seinen Freund nicht davon überzeugen konnte, dass der Creeper in ihn verknallt war, dann würde er eben sehen, was man in der Psyche des Sasuke Uchiha noch alles finden konnte. Geräuschvoll ließ er sich wieder aufs Bett plumpsen.   Es war nicht die Praxis, in der sich Sasuke in dem Video befand und Naruto schätzte, dass es sich um die Psychiatrie handelte. Eine vollbusige blonde Frau saß gemeinsam mit Kakashi auf einer Couch, während der Bastard auf einem Ledersessel sitzen musste. „Er ist vorbereitet. Läuft die Kamera?“   Ein strenger Unterton begleitete die Stimme der Frau und wer immer hinter der Kamera stand, antwortete:   „Ja Mrs. Senju. Das Video läuft.“ „Alter, das ist als ob ich mir 'nen schlechten Horrorfilm reinziehen würde. Da hätten wir einmal die Rolle des Zausels, dann die geile Frau mit den Riesentitten und der Creeper, der während der Hypnose alle Morde gesteht.“ Naruto rammte Kiba seinen Ellenbogen in die Seite. Er ignorierte das Aufkeuchen des Anderen und starrte weiter auf die Mattscheibe. „Sasuke. Ich möchte, dass du in die Vergangenheit zurückgehst. Bis zu dem Tag, an dem du deinen sechsten Geburtstag feiern solltest.“ Es war Kakashis Stimme, die sprach. Die Frau schien sich Notizen zu machen. „Erzähl mir, was du an diesem Tag gemacht hast. Erzähl mir, was du siehst.“ „Sechster Geburtstag? Wie alt ist er eigentlich?“ „Achtzehn, und jetzt halt die Klappe“. „Ich sehe mein Zimmer. Es ist ein großes Zimmer. Auf meinem Schreibtisch steht eine Uhr. Es ist 11:23 Uhr.“ Sasukes Stimme hörte sich nicht so an, wie sie es heute tat. Sie war etwas heller, dennoch unverkennbar seine.   „Okay Sasuke. Erzähl mir, was du an diesem Tag machst, nachdem du dein Zimmer verlässt.“ „Ich bin die Treppen nach unten gegangen, nachdem ich in Itachis Zimmer war. Er hat geschlafen. Meine Mutter ist in der Küche. Sie sieht mich und lächelt, das freut mich. Sie streichelt mir über mein Haar und erklärt mir, dass Dad heute später nach Hause kommt, aber dass wir sofort die Torte anschneiden, sobald er da ist. Dann geht sie. Ich sehe die riesige Torte auf dem Tresen. Sie hat sechs Kerzen, alle in verschiedenen Farben. Da ich nicht alles von ihr sehen kann, ziehe ich mir einen Stuhl ran und stelle mich drauf. Sie ist wirklich schön und ich freue mich darauf, dass Dad sie später mit mir anschneiden wird.“ Kiba räusperte sich und fing an zu grinsen. „Ich denke du willst gar nicht wissen was ich denke, oder?“ „Nein“, antwortete Naruto darauf und rollte die Augen. Er kam sich schon lächerlich genug vor dieses Video anzusehen und Kibas dumme Bemerkungen machten es nicht gerade besser. „Als Mum wieder in die Küche kommt, lacht sie und sagt mir, ich solle mich gedulden. Sie meint, sie müsse noch einmal ins Büro fahren, da sie eine wichtige Akte braucht. Sie bittet mich, brav in meinem Zimmer zu warten und ab und an nach Itachi zu sehen. Ich werde sauer, weil ich keine Lust habe nach Itachi zu sehen und weil ich meine Geschenke erst später auspacken darf. Ich renne kurz darauf in mein Zimmer und schlage die Tür zu. Ich finde alles blöd. Nie haben meine Eltern Zeit für mich. Dabei ist es mein Geburtstag. Ich wünsche mir, dass Itachi wenigstens einmal nicht krank ist. Aber er ist es. Er ist es immer und ich werde traurig. Kurze Zeit später ist meine Mutter weg und ich schleiche mich zurück in die Küche. Ich will unbedingt jetzt feiern, also nehme ich die Torte mit auf den Dachboden. Es ist mein geheimer Ort, an dem mich niemand stört, wenn ich alleine sein will. Da kann ich mich immer verstecken. Niemand kommt hier hoch und ich stelle die Torte auf einen Karton ab. Die Streichhölzer, die ich vor ein paar Wochen aus Dads Büro geklaut habe, lege ich daneben. Ich will unbedingt die Kerzen anzünden. Das Erste, das ich anzünde geht fast sofort wieder aus. An dem zweiten verbrenne ich mich. Das dritte werfe ich schnell weg, aus Angst mich noch einmal zu verbrennen. Kiba hustete und es hörte sich in Narutos Ohren an wie ein unterdrücktes ‚Idiot‘. Das vierte benutze ich, um die Kerzen anzuzünden. Sie brennen und ich fange an zu grinsen, weil das Licht so schön ist. Ich mag es, weil nur ich die Lichter sehen kann. „Einmal Creeper, immer Creeper“. „Kiba, bitte.“ „Jaja“, schnaufte der Junge und rutschte unruhig auf dem Bett herum. Naruto ignorierte ihn. Aber dann rieche ich etwas. Es riecht verbrannt, doch es kommt nicht von der Torte. Ich sehe Rauch und Papiere, die auf einmal brennen. Ich erschrecke mich und werfe dabei die Torte um. Ich habe sie kaputt gemacht. Dann geht alles so schnell. Überall ist das Feuer und ich kann mich nicht bewegen. Ich habe so schreckliche Angst, dass ich weine. Ich schreie nach meinen Eltern, doch sie kommen nicht. Niemand kommt. Der ganze Raum wird dunkel. Der Rauch schmerzt, wenn ich versuche zu atmen. Mir wird so schwindlig und heiß. Alles dreht sich. Und dann sehe ich nur noch Itachi. Er nimmt mich in die Arme. Ganz fest drückt er mich an sich. Ich kann fühlen, wie schnell sein Herz schlägt. Auch er hat Angst, das sehe ich. Er schafft es uns beide aus dem Haus zu retten. Der ganze Dachboden brennt. Ich sehe es. Die Flammen, überall. Sie sind überall. Ich bekomme so schlecht Luft. Dann wird alles dunkel. Ich schlafe langsam ein. Itachi ist bei mir, ich spüre es. Er spricht mit mir. Er hustet stark. Aber ich bin zu müde um etwas zu sagen. Er hustet immer stärker. Ich bin zu müde…“   Naruto drückte auf Stopp. Er hatte genug gesehen. Auch Kiba schien es die Sprache verschlagen zu haben. Sasuke war gegen Ende der Aufzeichnung immer lauter geworden. Wirkte, als ob er die Panik von damals noch einmal erlebte. Ein grausamer Unfall, der die Familie erschüttert haben musste. „Scheiße. Das ist böse. Das ist absolut böse“, hörte er Kiba sagen, doch er selbst blieb stumm. Er wusste nun, dass Sasukes Bruder krank war. Doch dessen Tod, worauf war er zurückzuführen? Starb er an den Folgen des Brandes? Starb er später? Sasuke gab sich die Schuld daran, daran blieb kein Zweifel, weil es in einer der Sitzungen erwähnt wurde. „Gott, der Junge ist absolut abgefuckt. Kein Wunder, dass er so drauf ist.“ Kiba war aufgebracht. „Wir müssen ihn in Ruhe lassen. Vergiss das mit morgen. Vergiss es. Ich glaube der hat schon genug gelitten.“ Das war eine Sache, die Naruto nicht so sah.   „Was? Und das gibt ihm den Freifahrtschein mein Leben kaputt zu machen? Tickst du noch ganz richtig? Nur weil er krank ist?“ Kiba starrte ihn an.   „Hallo? Hast du das eben gesehen? Hast du diese Berichte gelesen? Der Junge ist absolut am Ende“, er wedelte mit den Blättern herum, konnte kaum fassen, dass Naruto so reagierte. „Das gibt ihm noch lange nicht das Recht alle um sich herum wie Dreck zu behandeln“, schrie er und dabei war es ihm egal, dass seine Eltern davon möglicherweise aufwachten. „Wenn er wirklich so gelitten hat, warum lässt er andere dann so leiden? Warum versucht er andere zu zerstören?! Hä?! Hää?! Sag es mir Kiba. Sag es mir, verdammte Scheiße! Soll ich Mitleid haben? Soll ich dafür leiden, dass er so ein Krüppel ist?!“ Er redete sich in Rage, wurde immer lauter. „Ohhh, der arme Sasuke, er ist ja so kaputt. Egal, Naruto ist ja gesund, er wird es schon ertragen können. Bullshit! Ich sag dir mal was. Ich habe genauso das Recht darauf verletzt zu sein. Wenn du es ihm zusprichst, dann musst du es mir auch zusprechen. Denn für seine Vergangenheit kann ich absolut gar nichts. Nicht einen Dreck hab ich ihm getan und er ist trotzdem über mich drüber gewalzt und hat mir das Herz rausgerissen! Obwohl ich ihm nichts getan habe. Also bitte. Bitte hör auf mit dieser Scheiße.“ Kiba hatte diesen Ausbruch nicht erwartet, geschweigen denn, dass Naruto weinen würde. Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. Was sollte er darauf erwidern? Auf der einen Seite verstand er Naruto, doch auf der anderen wäre es einfach nur falsch, Sasuke dafür zu verurteilen oder ihm etwas anzutun. Die verdammte Situation war zu kompliziert. „Was ist hier los? Warum schreist du so?“ Und auf einmal stand seine Mutter im Zimmer. Die Haare waren verstrubbelt, das Gesicht vom Schlaf zerknautscht. Sie musterte den Jungen, dann die Blätter auf Narutos Bett, dann den Fernseher, der ein blaues Bild zeigte und dann fiel ihr Blick auf ihren Sohn. „Weshalb weinst du? Was ist denn passiert?“ Sie zog ihn in eine Umarmung, drückte ihn fest an sich, weil er mittlerweile unkontrolliert schluchzte. Es hatte etliche Stunden gedauert, bis Naruto endlich eingeschlafen war. Kiba hatte die Familie kurz nach dem Erscheinen von Narutos Mutter verlassen, ohne sich zu verabschieden. Er brauchte Abstand und musste das Erlebte erst einmal sortieren. Die Blätter und DVDs hatte er mitgenommen. Es war nicht gut, wenn andere das zu Gesicht bekamen. Narutos Eltern hingegen waren ratlos. Ihr Sohn weigerte sich mit ihnen zu sprechen und wollte seine Ruhe haben. Nachdem er schlief, saßen sie gemeinsam in der Küche und suchten nach einer Lösung. Es schmerzte zu sehen, wie sich ihr Kind immer weiter von ihnen entfernte. Dabei hatte es so gut ausgesehen. Sie hatten gehofft, dass Naruto aus diesem Tief herauskommen würde, doch scheinbar war das nicht der Fall. In weniger als einer Woche würde er seinen Geburtstag feiern und wäre dann achtzehn. An der Grenze zum Erwachsensein. Sie wussten beide, dass er dazu noch nicht in der Lage war. Sie mussten unbedingt mit seinem Arzt reden, denn sie waren nicht bereit dazu, zuzusehen, wie er immer weiter in dem Sumpf aus Depressionen ertrank. Es war dunkel, als er seine Augen aufschlug. Die Stille, die ihn umgab, beruhigte ihn. Warum musste er auch sofort an die Bilder denken die er gesehen hatte? Warum fühlte er sich schuldig, und dennoch im Recht? Er überlegte eine lange Zeit, ob er zu dieser Party gehen sollte. Es war bereits nach Acht, als er sich dazu aufraffte aufzustehen, um sich fertig zu machen. Er ließ sich selbst keine Zeit zum Denken. Um mit dieser Sache abschließen zu können, musste er das Gespräch mit Sasuke suchen. Laut den Vorhersagen der Anderen, würde er dort sein. Doch vorher musste er etwas anderes erledigen. Die Unterhaltung mit seinen Eltern war nicht einfach, doch er hatte sie gemeistert. Ihnen versichert, dass er gestern nur einen Streit mit Kiba hatte, bei dem es um Sakura ging. Nicht mehr, nicht weniger. Sie als Ausrede zu benutzen fühlte sich zwar falsch an, doch es war das Einzige, was halbwegs plausibel klang. Als er um zehn Uhr noch immer nichts von Kiba gehört hatte, machte er sich alleine auf den Weg zu der Adresse, wo die Party stattfinden sollte. Ein Bezirk im Reichenviertel. Das Haus war gigantisch und Naruto konnte seine Mitschüler schon von Weitem hören. Das rege Treiben war im vollen Gange, überall drang Musik an seine Ohren und seltsamerweise fühlte er sich nicht wohl. Zu viele Menschen an einem Ort, gebündelt in einem Mob, bei dem einer lauter war als der andere. Es löste Beklemmungen bei ihm aus, deshalb entschloss er sofort die Bar aufzusuchen. Viele unbekannte Gesichter kreuzten seinen Weg und er fragte sich kurz, ob er nicht vielleicht auf der falschen Party gelandet war. Doch dann erblickte er ein bekanntes Gesicht. Suigetsu, der dreckige Mistkerl, stand in einer Gruppe von Mädchen, voll in seinem Element. Dem Herzen brechen. Nachdem er sich von dem Mädchen hinter der provisorisch errichteten Bar eine Vodkamischung hatte geben lassen, lief er zielstrebig auf den Jungen aus seiner Parallelklasse zu. Er klopfte ihm gegen die Schulter. Suigetsus Grinsen ebbte ab, als er in sein Gesicht blickte. „Hää, Uzumaki? Was willst du denn hier?“, fragte er, den Arm um die Schulter einer gut aussehenden Frau geschlungen. Eindeutig viel zu alt für ihn. Aber Alkohol machte ja bekanntlich hemmungsloser. Naruto lächelte leicht. „Ich suche Sasuke. Wo ist er?“ Suigestu grinste und zeigte dabei seine Zähne. Bildete er sich das nur ein, oder waren sie wirklich spitz? „Wieso sollte ich dir das verraten?“ Es war klar, dass er so reagierte. Doch noch würde er nicht aufgeben. Dieser Ort war viel zu groß, um nach Sasuke zu suchen, ohne eine ungefähre Richtung zu haben. Naruto lehnte sich ein Stück weiter nach vorne. Seine Lippen streiften das Ohr des Jungen. „Weil du sicher nicht willst, dass ich deiner kleinen Fickfreundin erzähle, dass du einen Tripper von mir hast.“ Suigetsu zog sich mit angesäuerter Miene zurück. Seine hellen Augen leuchteten violett in dem Licht der Scheinwerfer, die überall aufgebaut waren. „Du bist ein kleiner Hurensohn, Uzumaki. Aber gut. Wenn du heute unbedingt noch Streit suchst, werde ich dir sagen, wo er ist. Im ersten Stockwerk. Wahrscheinlich beim Ficken. Hat sich irgendeine Blonde geschnappt. Aber ich warne dich. Warte bis er gekommen ist, sonst zerfleischt er dich womöglich.“ Sein heimtückisches Grinsen hatte keinen Effekt auf ihn. Er war schon auf dem Weg, als Suigetsu anfing laut zu lachen. Es war ihm egal, ob er Sasuke bei irgendetwas stören würde. Sein Magen kribbelte. War es Vorfreude? Er spürte bereits das Adrenalin durch seine Venen rauschen. Nach und nach kickte er die Türen auf, überall fand er das gleiche Bild. Teenager die sich austobten, manchmal zu zweit, manchmal zu dritt und einmal sogar mehr als vier Leute. Nur Sasuke war nirgendwo aufzufinden. Hatte Suigetsu ihn möglicherweise nur verarscht? Die letzte Tür am Ende des Flurs. Wenn er hier nicht war, wo dann? Ganz langsam drückte er die Klinke hinunter. Er hatte es gehofft. Er hatte es erwartet. Doch als er es sah, war er erschüttert. Sasuke lag auf einem Bett, ein Mädchen kniete über ihm und befriedigte ihn mit dem Mund. Seine Lippen waren leicht geöffnet, die Augenbrauen zusammengezogen. Dieses Bild war so verstörend für ihn, dass er vergaß zu atmen. Das Kribbeln in seinem Bauch wurde stärker. Wieder war die Wut vorhanden. Er trat über die Schwelle und schlug die Tür so fest zu, dass das Mädchen erschrocken aufkreischte. Sasuke hingegen blickte ausdruckslos zu dem Eindringling. „Verpiss dich, sofort.“ Die Frau rappelte sich auf, sah zwischen Sasuke und Naruto hin und her, verwirrt darüber, was hier gerade vor sich ging. „Du hast gehört, was der Mann gesagt hat.“ Scheinbar hatte sie auf Sasukes Bestätigung gewartet, denn sie verschwand, aber nicht ohne Naruto vorher noch einmal deutlich gesagt zu haben, was sie von ihm hielt. Mit einem gezischten ‚Arschloch‘ stiefelte sie an ihm vorbei und ließ die beiden Jungs alleine. Sasuke richtete sich langsam auf und schloss seine Jeans. Dann lagen seine dunklen Augen wieder auf Naruto. „Und jetzt? Willst du an ihre Stelle treten?“ Der Bastard hatte tatsächlich den Nerv ihn anzugrinsen. Es kostete ihn jede Beherrschung die er aufbringen konnte, um Sasuke nicht ins Gesicht zu schlagen. Er verschloss die Tür hinter sich. „Sicherlich nicht. Ich will Antworten und ich will sie jetzt. Und dann tat Sasuke etwas, von dem Naruto ausging, dass er es gar nicht konnte. Er lachte. Kein schönes Lachen, sondern eher das eines Psychopaten, doch das war er ja auch. Ein Psychopath. „Und was mein lieber Unbekannter, soll ich dir antworten?“ Er erinnerte sich an das kurze Internetgespräch mit ihm. Aber er wusste auch, dass Sasuke wusste, wer er war und wenn er Kibas Aussagen Glauben schenken würde, dann wäre der Creeper sogar in ihn verliebt. Doch das wollte er nicht glauben. „Stell dich nicht dumm. Du weißt genau wer ich bin.“ Sasuke ließ den Kopf kreisen. Es knackte. Naruto verzog die Lippen. „Okay. Frag mich. Ich bin gerade in Stimmung.“ Er atmete tief durch. „Warum hast du Sakura gesagt sie soll sich von mir trennen?“   Unbewusst bewegte er sich ein Stück in Sasukes Richtung. Dieser schürzte die Lippen und tat so, als ob er überlegen würde. „Fragen Sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“ Naruto hätte gelacht, wenn es lustig gewesen wäre. In einem alternativen Universum, wo es nicht ihn betraf. Doch in diesem Moment platze etwas in ihm. Mit voller Wucht stürzte er sich auf Sasuke. Er fühlte sich vorgeführt und nicht ernstgenommen. In seiner blinden Wut schlug er auf den Jungen ein, der seine Angriffe nur halbherzig abwehrte. Und er lachte. Er lachte ihn tatsächlich aus. Es machte ihn rasend. Er grollte und richtete sich auf. Sasukes Unterlippe blutete. Es ließ ihn kurz innehalten. Seine Atmung war beschleunigt und sein Brustkorb hob und senkte sich schnell. „Wenn das eine Art Vorspiel sein soll, bin ich schwer enttäuscht. Du schlägst zu wie ein Mädchen.“ Nein, er würde ihn nicht mehr schlagen. Nicht dafür. Es interessierte Sasuke sowieso nicht. Es war ihm egal, er spürte es. Er konnte ihn schlagen so viel er wollte, ihm Wunden zufügen, all das hatte keinen Nutzen. Er konnte ihn nicht erreichen. Nie. Er sah es ein. Stattdessen tat er etwas anderes. Etwas, das er niemals von sich selbst erwartet hätte. Er küsste ihn. Er küsste die Lippen, die Sakura verehrte. Dieselben Lippen, die manipulierten und verletzten. Und endlich zeigte Sasuke eine Regung. Er drückte instinktiv seine Hände gegen Narutos Brustkorb, überrascht von dieser Wendung.   Doch Naruto dachte gar nicht daran aufzuhören. Der Protest starb in dem Moment, als er Sasukes Lippen mit seiner Zunge teilte. Hätte er seine Augen geöffnet, hätte er den Schock in Sasukes Zügen sehen können. Doch er presste sie fest zusammen. In seinem Kopf wiederholte er ein Mantra. Der Zweck heiligt die Mittel. Währenddessen drängte er sich in Sasukes Mund, dominierte ihn mit seiner Zunge, biss ihm in die Unterlippe, nachdem sich ihre Lippen kurz trennten und drückte seinen Körper schwer gegen den des Anderen. Er schmeckte den Alkohol den Sasuke vorher getrunken hatte, aber es war ihm egal. Denn er berührte ihn. An Stellen, wo Sakura ihre Hände hatte. Dachte sie auch darüber nach, dass sich seine Haut weich anfühlte? Hatte sie über den festen Bauch gestreichelt, so wie er es jetzt tat? Er stockte, richtete sich auf und betrachtete Sasukes Gesicht. Seine Lippen waren geschwollen. Von der Wunde die dort prangte, aber auch von den Küssen, die sie ausgetauscht hatte. Seine Wangen waren leicht gerötet. Und dieser Blick. Glasige Augen, verschleierte Sicht. Genoss er diesen Moment?   Naruto war verwirrt. Aber er zog Sasuke dennoch zu sich herauf und küsste ihn erneut. Immer wieder, immer heftiger, fast schon brutal. Es war wie ein Rausch, den er auslebte. Die Geräusche die er machte. Wie schnell er atmete, das alles animierte ihn dazu, immer weiterzugehen. Nein, Sasuke war nun keine Hülle mehr. Fest und warm fühlte er das Leben unter sich. Er zerrte an seiner Hose. Er würde es durchziehen. Tatsächlich würde er es tun. Er spürte ein unglaubliches Machtgefühl in sich, weil Sasuke sich nicht gegen ihn wehrte. Er drängte sich ihm entgegen, willig und untergeben. Diese Sache alleine reichte, um ihn fast vollständig hart werden zu lassen. Weil er sich vorstellte, dass Sakura ihn niemals so gesehen hatte. Dass ihre Liebe ihn begehrte und unter seinen Berührungen wimmerte. Dass er etwas besaß, was sie niemals haben würde. Es dämmerte ihm nur langsam. ‚Ich hasse einfach alles an ihm‘ Er brach den Kuss ab und zog Sasuke den Pullover über den Kopf. ‚Ich hasse es, wie er lacht. Ich hasse es, wenn seine Augen leuchten, sobald er sie ansieht‘ Er starrte ihn an. Diesmal war es Sasuke, der nach Körperkontakt suchte. ‚Ich hasse es, dass er diese Gefühle in mir auslöst‘ Schroff drückte er ihn in die Kissen zurück. Seine Hand lag um Sasukes Hals. Er übte vorsichtig Druck aus, während seine freie Hand sich an seiner eigenen Hose zu schaffen machte. ‚Ich hasse es, dass er mir nicht egal ist, so wie all die anderen‘ Er verhielt sich völlig ruhig unter ihm. Die Erwartung war deutlich sichtbar in diesen dunklen Augen. Er wollte es. Er konnte es sehen. Wieder entfachte Naruto einen Kuss, der von Brutalität gezeichnet war. Er spürte, wie Sasuke seine Arme um seinen Nacken schlang, ihn noch fester an sich heranzog und den Kopf zurücklegte, nachdem er seine Lippen wieder freigab. ‚Er ist so erbärmlich‘ Naruto fing an Sasukes Hals zu saugen und biss so fest zu, dass der Andere aufstöhnte. Kühle Finger schoben sich unter seinen Pullover und kratzen mit stumpfen Nägeln über seine erhitzte Haut. Jetzt konnte selbst er ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Alles war heiß. Er glühte. Würde langsam verbrennen, wenn er diesen Druck nicht loswurde. ‚Ich hasse den Duft, der von ihm ausgeht, wenn er an mir vorbeiläuft‘ Er atmete tief ein, ehe er sich zurückzog und sich das letzte Kleidungsstück vom Körper riss. Sie waren beide nackt. Völlig. Er spürte Sasukes Blick auf sich, doch auch er sah ihn an. Prägte sich jedes Detail ein, das er finden konnte. Von dem Körper, den sie liebte. Den sie unbedingt besitzen wollte. Wie würde sie reagieren, wenn sie die Beiden nun sah? Er drängte sich zwischen Sasukes Beine, spreizte sie soweit er konnte und platzierte sich in der Mitte. Er war immer noch hart, genauso wie der Junge unter ihm. ‚Ich hasse es zu wissen, dass er so dumm ist und ihr seine Liebe schenkt‘ Und dann stieß er zu. Ungeschützt. Erbarmungslos gegen den Widerstand. Zum ersten Mal wehrte sich Sasuke. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt, doch auch für Naruto war es nicht angenehm. Sasuke schrie und verkrampfte, jeder Zentimeter den er weiter vorrückte, kostete ihn Kraft. Doch er hörte nicht auf. Er konnte nicht zurück. Nicht an diesem Punkt. ‚Ich hasse es, dass er nur sie sieht, obwohl sie ihn wie Dreck behandelt‘ Es machte Klick. Nun verstand er es. Das, vor dem er sich verschlossen hatte lag nun vor ihm offenbart. Nur kurz ließ er Sasuke die Zeit sich an ihn zu gewöhnen. Dann stieß er erneut zu. Mehr Druck, den er aufbaute. „Ich hasse dich Sasuke. Ich hasse dich so sehr.“ Unter Tränen presste er diese Worte hervor, ehe er seinen Mund gewaltsam auf den von Sasuke schlug. Ihre Zähne kollidierten, ihr Atem vermischte sich. Noch mehr Hitze. Es schmerzte, aber das musste es. Anders ging es nicht. Niemals würde es anders funktionieren. Zu keiner Zeit. ‚Ich hasse es, ihn zu hassen‘ Die Bewegungen wurden immer schneller. Sasukes Finger zogen fest an seinen Haaren. Schweiß überzog seine Haut. Die Laute, die er von sich gab, waren nicht lustvoll. Nein, sie ließen Naruto spüren, dass er die Macht hatte. Nur wenn er wollte, würde es ein Ende finden. Seine Gedanken drehten sich. Ihm wurde schwindlig bei diesem Gefühl. Er hätte seinen Orgasmus keine Sekunde länger herauszögern können. Das Gesicht war fest in Sasukes Halsbeuge vergraben, als er schließlich seinen Höhepunkt fand. Der Junge unter ihm zitterte, war erschlafft, was angesichts der Tatsache, dass der Akt voller Härte vollzogen wurde, kein Wunder war. Es war lieblos, ohne Leidenschaft und dennoch fühlte sich Naruto so gut wie niemals zuvor. Unsanft zog er sich zurück und hob den Kopf an. Sasuke hatte das Gesicht zur Seite gedreht, atmete genauso schwer wie er.   „Geh runter.“ Es war nicht laut, doch er hatte es gehört. Er rollte sich zur Seite und blieb auf dem Rücken liegen, versuchte zu rekapitulieren, was gerade zwischen ihnen passiert war. Als er zu ihm herüber blickte sah er, dass Sasuke sich aufrichtete und seine Klamotten zusammensuchte. Er stand auf und zog sich an, tat so, als ob nichts geschehen wäre und doch wusste Naruto, dass er große Schmerzen haben musste. Aber das würde der Andere niemals zugeben. „Beantworte mir meine Frage.“ Naruto suchte das Gespräch, weil er nicht mehr darüber nachdenken wollte, dass er Sasuke gerade mehr oder weniger zum Sex gezwungen hatte. „Nein.“ „Und wieder so einsilbig. Wird das nicht langsam langweilig? Ich will wissen, warum du ihr gesagt hast, dass sie mit mir Schluss machen soll.“ Jetzt richtete auch er sich auf. Was er von seinen Klamotten zu fassen bekam, zog er sich über. „Ich habe dir nichts zu sagen“, erwiderte Sasuke gelangweilt und sah nur kurz über seine Schulter zu ihm herüber, nachdem er seinen Pullover angezogen hatte. Naruto streifte sich seine Hose über und schlüpfte in seine Schuhe, die er sich vor dem Sex gemeinsam mit seiner Jeans vom Körper gezogen hatte. Das Gefühl von Hass war augenblicklich wieder präsent. „Das bist du mir schuldig du verdammter Wichser. Du bist es mir verdammt nochmal schuldig“, zischte er dem Jungen zu, der gerade im Begriff war das Zimmer zu verlassen. Sasuke schwieg, hatte die Tür bereits entriegelt und einen Spalt weit geöffnet und Naruto brannten die Sicherungen durch. Mit einem Ruck der durch seinen Körper fuhr, lief er nach vorne und schlug die Tür zurück ins Schloss. Sein Arm zitterte bei dem Druck, den er auf das Holz ausübte. „Du wirst dich nicht einfach verpissen.“ Das würde er nicht zulassen. Sasuke grinste leicht. „Wieso? Willst du dir einen Nachschlag holen? Mich nochmal ficken? Du bist übrigens ein lausiger Liebhaber, ganz nebenbei bemerkt.“ Er provozierte ihn, doch das zauberte nur ein kaltes Lächeln auf seine Lippen. „Nein. Ich würde sagen nun sind wir quitt.“ Sasuke lachte kurz auf und drehte sich dann zu ihm. Sie standen so nah beieinander, dass er die Wärme spürte, die von ihm ausging. „Ich kann mich nicht erinnern dich vergewaltigt zu haben. Ich kenne dich nicht einmal.“ Ein zweifacher Hieb für Naruto. Er kannte ihn nicht. Und dennoch hatte er sich in sein Leben hineingedrängt und es verwüstet. Die Scherben des Überfalls waren überall zerstreut und bohrten sich in sein Herz. Es wurde zum Sterben zurückgelassen. Wegen ihm. „Richtig. Du kennst mich nicht, und trotzdem hat es dich nicht davon abgehalten mein Leben zu zerstören“, presste er hervor und reckte das Kinn in die Höhe, wirkte dabei wie ein Richter, der kurz davor war sein Urteil zu verkünden. Sasukes Finger verkrampften sich um den Türgriff. „Du bist wirklich so erbärmlich. Meinst du dein Leid interessiert mich? Meinst du es interessiert mich, wenn jemand wie du leidet? Du bist nur ein Niemand.“ Bei den Dingen die er von sich gab, stellten sich Narutos Nackenhaare auf. Seine Haut prickelte. „Ach ja? Ich werde dir mal sagen wer erbärmlich ist. Du bist es, sonst niemand. Du bist ein verfickter Psycho, der sich in Beziehungen reindrängt und Herzen bricht, weil er das Glück anderer nicht akzeptieren kann." Er schrie, weil er wütend war. Weil er nicht verstehen konnte, wieso dieser Bastard so grausam zu ihm war. „Sprich nicht von Dingen, von denen du keine Ahnung hast. Du weißt gar nichts über mich.“ Eiskalt sagte Sasuke diese Worte, die Augen verengt. Feindselige Abwehrhaltung. Naruto griff nach ihm, packte ihn am Kragen und zog ihn näher zu sich heran. „Ich weiß alles. Ich weiß alles über dich Sasuke. Du hast sie bereits nach zwei Monaten gefickt. Und warum? Weil du mich hasst. Weil du mein Lachen hasst. Weil du es hasst wie ich sie ansehe. Weil du einfach alles an mir hasst. Weil du die Art hasst, wie ich mich bewege, als würde die Welt nur aus Wolken bestehen“, brüllte er ihm ins Gesicht und schob ihn dann abrupt von sich. Sasuke blickte zu Boden. Seine Lippen waren geöffnet. „Woher weißt du das?“ Nur ein Flüstern. „Woher? Woher ich es weiß? Du willst es wissen, mh? Ich sag es dir Sasuke. Ich weiß alles. Du bist nur ein dreckiger kleiner Psycho, der in der Psychiatrie gehaust hat weil du dich umbringen wolltest, weil …“- Sasuke schrie laut dazwischen: „Sei still!“, doch Naruto ignorierte ihn. „Weil du ja so ein schlimmes Leben hattest. Dein sechster Geburtstag Sasuke. Wie war es mit der Torte auf dem Dachboden? War das Feuer schlimm für dich? Konntest du nicht atmen?“ Immer weiter drängte er ihn in die Ecke. Ein Punkt, an dem er nicht mehr zurückgehen konnte. Es war gesagt. Ausgesprochen. Wunden offengelegt. Immer mehr Salz auf das rohe Fleisch. Sasuke presste seine Hände auf die Ohren, weil er nicht mehr hören wollte. Doch Naruto blieb unnachgiebig. Schaukelte sich immer höher. „Hör auf.“ Flehend, dennoch nicht beachtet. Er drückte Sasukes Handgelenke nach unten. Der Junge war schon längst zu geschwächt, als das er sich hätte wehren können. „Und dann hast du ihn husten gehört. Immer stärker hat er gehustet. Ist er daran gestorben? Gibst du dir die Schuld, hä Sasuke? Weil du nicht warten konntest? Weil du schon als Kind ein dreckiger Egoist gewesen bist?“ Wie geschlagen wich Sasuke zurück. Und Naruto? Er war geschockt von sich selbst. Konnte nicht begreifen, warum er das gerade gesagt hatte. Das hatte er nicht gewollt. Nicht einmal im Ansatz. Hatte sich von dem Impuls leiten lassen, der ihn beherrscht hatte.   Die abrupte Stille zwischen ihnen wirkte betäubend. Die vorherigen Schreie hinterließen ein leises Echo in seinem Kopf. Wachsam und unausgeglichen. Verwirrt. Und so verletzt. Die Begriffe schwirrten durch seine Gedanken, als er in die weit aufgerissenen Augen sah, in denen die verschiedensten Emotionen schimmerten. Wie tausend Nadelstiche bohrten sie sich in sein Bewusstsein. Ließen die Bitterkeit in ihm aufwallen. Die Erkenntnis traf ihn härter als jeder Faustschlag, den er bisher gespürt hatte. War schwerwiegender, schmerzhafter, und fataler. Der Blick, mit dem er bedacht wurde, löste ultimative Reue in ihm aus. Es gab nichts, womit er sich rechtfertigen konnte. Die Linie hatte er überschritten, endgültig. „Ich…“ Nur ein einziger Wimpernschlag genügte, um Sasuke in die Flucht zu treiben. Es war ein anderes Motiv. Er handelte nicht so, weil er wollte, sondern weil er sich selbst dazu zwang. Mit diesem Wissen legte Naruto die Scheuklappen ab. Bereit, wirklich zu sehen. Zu verstehen, warum es so war. Er verstand es. Er verstand es in dem Moment, als er in diese Augen gesehen hatte. Den Wahnsinn, den Sasuke sein Leben lang erdulden musste. Den er sich selbst auferlegt hatte. Den, den er gerade erbarmungslos gegen ihn benutzt hatte. „Warte!“, schrie er, doch es blieb ungehört. Unerfüllt war die Hoffnung, die er in dieses kleine Wort gelegt hatte. Seine Beine bewegten sich von selbst, mit dem Ziel, den Anderen aufzuhalten. Sich zu entschuldigen und um Vergebung zu bitten, wo er doch wusste, dass er das nicht verlangen durfte. Nicht nach diesem Tiefschlag. Ja, er hatte gewollt, dass Sasuke eine Regung zeigte, doch war es wirklich die Reaktion, die er sich erwünscht hatte? Nein. Soweit wollte er niemals gehen. Nicht um diesen Preis. Seine Schritte folgten ihm, hinaus aus dem Haus, vorbei an den Menschen, die so ahnungslos waren, dass Naruto fast gebrochen hätte. Niemand wusste von dem, was er gerade getan hatte. Welche Schuld er trug. Niemals wollte er so verletzend sein. Es war Dummheit. Blindheit. Ein riesiger Fehler, den er unbedingt korrigieren musste.  Der kalte Oktoberwind schlug ihm entgegen, hinterließ ein brennendes Stechen auf seiner glühenden Haut. Und trotzdem hatte er das Gefühl, nicht ausreichend atmen zu können. Sein Brustkorb schmerzte.  Als Sasuke endlich stehen blieb, betrug die Distanz zwischen ihnen vielleicht fünf Meter. Geschockt beobachtete Naruto das Auto, das geradewegs auf den Jungen zuraste. Dieser Idiot, warum lief er nicht weiter? Warum stand er dort mitten auf der Straße? Warum richteten sich seine Augen auf das Licht? Die Tränen waren sichtbar auf seinem Profil. Und dieser Blick. Als hätte er die Hölle gesehen und sie akzeptiert, bereit dazu, in den Himmel zu steigen. Abgeklärt und verstanden. Bereit dazu, es hier und jetzt zu beenden. Todesangst breitete sich in seinem Innersten aus. Nein, so durfte es nicht enden. Nicht so. Er musste etwas sagen, bevor es zu spät war. Er durfte nicht zulassen, dass es so endete. Er musste es verhindern. Er würde nicht mit dem Wissen weiterleben können, Sasuke in den Abgrund gestoßen zu haben. Wenn er sich nicht bewegte, wäre es vorbei. Seine eigenen Tränen verschleierten ihm die Sicht. „Sasuke!“. Ein letzter Versuch. Ein letzter Schrei. Ein weit ausgestreckter Arm. Als ob ich dich verlieren würde… Kapitel 3: Absolution --------------------- Sieh sie dir an. Die Unvollkommenheit meiner Seele. Die Schwäche meiner Gedanken. Schutzlos wird dir alles offenbart. Reglos, und doch so voller Leben. Was wirst du tun, wenn du an der Schwelle stehst, und erkennst, dass es kein Zurück mehr gibt? Mach einen Schritt nach vorne…und noch einen weiteren. Bis es nicht mehr weitergeht. Und dann fall mit mir, gemeinsam in die Absolution.             Die Wucht des Aufpralls presste die Luft aus seinen Lungen, die er hartnäckig dort festgehalten hatte.  Ein leises Flüstern hallte in seinem Kopf wider.      ‚Bitte verzeih mir‘.     Drei Worte. Drei kleine Worte, die er ihm zugeflüstert hatte. Sie waren für seine Ohren bestimmt. Für ihn alleine. Erst jetzt realisierte er die Schmerzen. Sie zogen sich durch seinen gesamten Körper. Wo war die Dunkelheit, die er erwartet hatte? Seine Handflächen brannten, waren wund von dem Fall, den er instinktiv versucht hatte mit seinen Händen abzufangen. Ganz langsam öffnete er die Augen. Er war nicht tot. Nein, er lag noch nicht mal in der Nähe der Stelle, an der er hätte liegen müssen. Warum? Mit einem Ruck brachte er seinen Körper in eine aufrechte Position. Er kniete. Und er lebte. Als er über seine Schulter blickte, wusste er auch warum. Seine Lippen waren leicht geöffnet. Fassungslosigkeit zeichnete sich auf seinen Zügen ab und mit einem Schlag drangen ausgeblendete Geräusche an seine Ohren. Wilde Schreie, die er nicht verstand. Das Auto. Er hatte es gesehen. Er hatte sein Ende gesehen und es begrüßt. Warum also saß er hier auf der dreckigen Straße?     „Wo bleibt der verdammte Krankenwagen?“  Ein Mann schrie in sein Handy. Von überall hörte er die Stimmen.   „Scheiße, mir wird schlecht. So viel Blut. Oh mein Gott“.   Ein Mädchen, das er nicht kannte.   „Fuck, ist das nicht der Typ aus Ebisus Klasse?“ Einer der Jungen, die Sasuke in der Schule immer verfolgten. Immer mehr Stimmen, die laut wurden. Er sah das Blut, das eigentlich seines hätte sein müssen. Ein weiteres Trauma. Seine Augen waren weit aufgerissen und folgten dem Rinnsal, das eine Linie bildete. Rote Flüssigkeit, die sich unaufhörlich auf dem rauen Asphalt ausweitete, keine zwei Meter von ihm entfernt.     „Geht zur Seite, wir müssen hier durch“.  Sanitäter. Zwei von ihnen. In Sasuke stieg Panik auf. Sein Gehirn verarbeitete die Situation. Eine Situation, die unmöglich real sein konnte. Das hätte Naruto niemals getan.   ‚Bitte verzeih mir‘.   Er hyperventilierte. Nein. Niemals. Er hätte ihn nicht gerettet. Warum? Es entzog sich jeglicher Logik.   Er hasste ihn, also warum sollte er so etwas tun? Warum sollte gerade er ihm das Leben retten? Es war die letzte Frage die er sich stellte, als die Dunkelheit endlich an ihm zerrte und seinen ruhelosen Geist mit sich zog.       Als er erwachte, stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Wieder war es dieser Traum. Derselbe Traum, der die letzten Jahre häufig heimsuchte. Nur vage konnte er sich daran erinnern. Sein Bewusstsein versuchte zu verdrängen und ihm vorzugaukeln, dass der Schmerz schon längst vergangen war. Es war das Hier und Jetzt, dem er seine Aufmerksamkeit schenken musste. Er wusste er lag nicht in seinem Bett, denn der Stoff unter seinen Fingerkuppen fühlte sich viel zu rau an. Dennoch, er ließ seine Augen geschlossen und versuchte an Erinnerungen zu gelangen. Der Schleier der Gedanken die über ihn hinwegzogen, ließen ihn die Luft anhalten, waren der Auslöser, dass sich sein Mund zu einem stummen Schrei öffnete. Die körperlichen Schmerzen kamen abrupt. Er blinzelte, fühlte eine fremde Hand auf seiner Stirn. Es war dunkel um ihn herum, doch da war jemand. Niemand mit bösen Absichten. „Du bist endlich wach“. Es war die Stimme seines Vaters. Als seine Sicht sich klärte, konnte er sein Gesicht erkennen. Von Sorge gezeichnet, fragend und dennoch zurückhaltend. Seine Augen wanderten durch den Raum. Die Einrichtung ließ darauf schließen, dass man ihn ins Krankenhaus gebracht hatte. Sasuke erwiderte nichts, sondern versuchte sich aufzusetzen, doch es blieb bei dem Versuch, da der Schmerz der sich durch seine Kehrseite zog, so stark war, dass er sich auf die Unterlippe biss. Sein Vater drückte ihn sanft, aber dennoch bestimmend zurück in die Laken.  „Du solltest besser liegenbleiben. Laut dem was die Ärzte mir gesagt haben, wurdest du…du wurdest…“. Es war ungewohnt diesen Mann so zu hören. Fugaku Uchiha stammelte nie. „Vergewaltigt“. Sasuke schluckte. Er erinnerte sich genau an das, was Naruto und er in diesem Zimmer getan hatten. Er selbst hatte es so bezeichnet, doch nun hörte es sich falsch an. Aus dem Mund seines Vaters hörte es sich nicht richtig an. „Ich bin nicht vergewaltigt worden“. Seine Stimme klang rau. Er wich dem Blick des älteren Mannes aus. „Sasuke, du hast geblutet. Und da war auch…Sperma. Willst du mir wirklich weißmachen, dass das keine Vergewaltigung war? Wer war es?“ Er schüttelte den Kopf. „Niemand. Es war niemand. Ich wurde nicht vergewaltigt“, widerholte er und setzte sich aus Trotz aufrecht hin. Es schmerzte so sehr, dass er kurz davor war ohnmächtig zu werden,  aber das wollte er nicht zugeben. Schließlich war er selbst Schuld. Er hatte Naruto so weit gebracht und sich nicht gewehrt, obwohl er wusste, er hätte sich wehren können. In seinem Kopf war es die gerechte Strafe. Doch es war auch mehr. Als sich ihre Lippen zum ersten Mal berührt hatten, war es die Erfüllung seines geheimsten Wunsches. Er ekelte sich vor sich selbst, als er daran dachte, wie sehr er es genossen hatte, Narutos Haut auf seiner eigenen zu spüren. „Sasuke. Ich weiß, dass du dich schämst wegen dem was passiert ist, aber es ist nicht deine Schuld“. Es stimmte. Er schämte sich, doch das tat er aus einem anderen Grund. Er würde seinem Vater nicht sagen, was wirklich vorgefallen war, das konnte er unmöglich tun. „Ich habe mit Kakashi telefoniert. Er wird bald herkommen, dann kannst du mit ihm darüber reden“. Sasuke schnaubte. Es war ihm bewusst, dass der Mann, der an seinem Bett stand, sich nicht in der Lage dazu fühlte, mit ihm über so etwas zu reden. Das war noch nie der Fall, egal was bisher geschehen war. Selbst als seine Mutter die Familie vor drei Jahren zurückgelassen hatte, wurde professionelle Hilfe in Anspruch genommen. „Auch darüber, dass du deine Medikamente wieder abgesetzt hast“. Der Schock traf ihn unerwartet. Also hatte sein Vater es herausgefunden. „Shizune hat mich angerufen und mir erzählt, dass du dein Rezept vorgestern geholt hast. Die letzte Packung war aber schon vor einer Woche leer“, es herrschte kurze Stille, sein Vater fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, „und Sasuke, so geht das nicht. Du musst dich darum kümmern, dass du deine Medikamente rechtzeitig holst. Wenn du es nicht schaffst, dann sag es mir. Ich trage die Verantwortung für dich“. „Ich hab es vergessen“, erwiderte er, doch sein Vater war nicht zufrieden mit dieser Antwort. „Wie kannst du so etwas vergessen? Es ist wichtig. Du bist fast überfahren worden und dazu noch vergewaltigt! Was wäre als nächstes passiert? Es ist keine kleine Sache Sasuke. Ich habe dir die Freiheit gelassen, damit du langsam auf die Beine kommst, aber du hältst es anscheinend nicht für nötig. Wie soll das weitergehen? Du bist achtzehn Jahre alt. Wie denkst du wird es in Zukunft laufen? Muss ich jemanden arrangieren, der überprüft ob du deine Tabletten nimmst?“ Die Worte brachten ihn zum Schmunzeln. Als ob er je Freiheit besessen hätte. Sein Vater verfügte über eine Vollmacht, bei der er alles über ihn bestimmen konnte. „Vielleicht will ich die Tabletten gar nicht mehr nehmen. Und vielleicht wollte ich überfahren werden, schon mal daran gedacht?“ Es war gewagt sich aufzulehnen, doch was würde schon passieren? Er würde ihm kein Haar krümmen, dazu war er viel zu passiv. Sein Vater gab sich die Schuld für die Vergangenheit und genau das wusste Sasuke.  Deshalb nutzte er es aus. Ein Ausgleich für die Bevormundung.   „Nein, du hast gar keine Zeit dir darüber Gedanken zu machen. Du bist ja nie da“.  Es war ein innerer Zwang zu provozieren wo es nur ging. Ein Versuch, Aufmerksamkeit zu erlangen. Törichtes, kindisches Verhalten. Die Augen seines Vaters funkelten zornig, doch anstatt seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen, wählte er die Variante, die er immer benutzte, wenn ein Gespräch aus dem Ruder zu laufen drohte. Er drehte sich um und lief zur Tür. „Ich werde nachsehen wo Kakashi bleibt und dem Arzt sagen, dass du wach bist“. Damit war er verschwunden und ließ sein Kind alleine zurück. Alleine mit den Gedanken an die Ereignisse der Vergangenheit, aber auch an Dinge, die vor kurzen vorgefallen waren. Seine Augen glänzten als er sich zurückfallen ließ. Er musste nicht länger zeigen, dass er unverwundbar war. Denn das war er nicht. Nicht im Geringsten. Er hatte nur gelernt sich so zu geben, nachdem seine Welt zusammengebrochen war. Es machte das Leben leichter, wenn nicht unbedingt für ihn selbst.   Als sich wenig später die Tür wieder öffnete, erkannte Sasuke, dass sein Vater nicht wiedergekommen war. Es war Kakashi, der mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck näher an ihn herantrat und ihn musterte, so wie er es immer tat, kurz bevor er eine seiner Lektionen erteilte. Sasuke grinste. Für ihn war der Doc wie ein offenes Buch.     „Spar es dir. Ich hab keine Lust darüber zu reden“.  Das war Kakashi scheinbar egal, denn er fing trotzdem an zu reden.   „Dann werde ich reden und du hörst zu. Was meinst du was passiert, wenn deine Phase vorbei ist?“ Der Arzt nahm auf einem der Stühle Platz, die für Besucher vorgesehen waren. „Deine Depressionen kommen zurück. Und weißt du was das bedeutet? Du wirst zurück in die Klinik müssen, damit man für deine Sicherheit garantieren kann“. Sasuke presste die Lippen aufeinander. Er wollte nicht einmal daran denken an diesen Ort zurückzukehren. „Mir geht es gut. Um ehrlich zu sein, ging es mir nie besser“. Eine Lüge, die Kakashi sofort durchschaute. Auch er kannte Sasuke besser, als sich von ihm täuschen zu lassen. Er hatte die Abgründe seiner Psyche gesehen, sie dokumentiert, und verinnerlicht. „Du bist zu schlau genug um zu verstehen, was das hier für Auswirkungen haben wird. Du wärst heute um ein Haar überfahren worden“. Die Bettdecke raschelte, als Sasuke sie von sich schob und sich aufsetzte. „Und du bist schlau genug um zu wissen, wohin uns dieses Gespräch führen wird“. Jede Bewegung schmerzte, doch er würde sich vor Kakashi nicht die Blöße geben. Der Mann beobachtete ihn genau, er konnte es spüren. „Was ist mit der Vergewaltigung?“ Der Doc versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Er wusste, wenn Sasuke erst einmal dicht machte, war es schwer ihn zum Reden zu bringen. Wenn nicht sogar unmöglich.   „Es gab keine Vergewaltigung“. „Dein Vater und die Ärzte haben gesagt-„  Sasuke fuhr ihm kalt dazwischen: „Es gab keine Vergewaltigung, egal was sie sagen. Ich werde es wohl am besten wissen“. „So wie mit der Einnahme deiner Medikamente?“ Sasuke entwich ein grollendes Geräusch. Kakashi hatte sich festgebissen. Er war hartnäckig und das zerrte an seinen Nerven. Er hatte seine Kraft schon dafür verbraucht, nicht an Naruto zu denken. An Fragen, die versuchte zu verdrängen. „Ich hatte Sex. Das ist alles“. Seine Beine hingen mittlerweile über dem Bettrand. Zentimeter für Zentimeter bewegte er sich. „Sex also. Ich verstehe“. Er sah deutlich, wie sehr Sasuke sich quälte aufzustehen. Doch er half ihm nicht. Der Junge hätte es ohnehin abgelehnt. „Ja, so etwas passiert ab und an. Vielleicht kannst du dich noch daran erinnern. Damals, als du noch ein Leben hattest“.  Wieder wählte er den Weg der Provokation. Sein Leitmotiv. Doch bei Kakashi konnte er mit diesem Verhalten nichts bewirken. Es war eher ein jämmerlicher Versuch Konfrontationen zu vermeiden. „Darf ich fragen, mit wem du den Akt der Liebe vollzogen hast?“ Sasuke rollte seine Augen und verzog die Lippen. „Nein, darfst du nicht“, antwortete er, angewidert davon, dass der Arzt die Frage so verpackt hatte. Liebe stand nicht zur Auswahl. In seiner Realität war es das genaue Gegenteil. „Da es im Moment nichts bringt mit dir zu reden, werde ich alles in die Wege leiten. Spätestens morgen wird dein Zimmer bereitstehen. Ich kläre dann alles weitere mit deinem Vater“. Und damit stand der Mann auf. Er würde gehen, das wusste Sasuke und doch konnte er sich nicht dazu überwinden, etwas darauf zu erwidern. Sie würden ihn immer wieder wegsperren, wenn er nicht so funktionierte, wie sie es wollten. Selbst der letzte Ausweg vor drei Jahren war gescheitert. „Warte“. Es war leise, doch Kakashi blieb trotzdem stehen. Er hatte Sasuke den Rücken zugewandt, fast so, als wollte er sichergehen, dass der Junge sagte, was auch immer er sagen wollte. „Lebt er?“ Er verstand nicht, worauf Sasuke sich bezog und drehte sich zu ihm herum. Er hatte den Blick gesenkt und seine Hände waren um die Seitenstangen des Betts verkrampft. „Wen meinst du?“ Er befürchtete das Schlimmste. Wenn Sasuke bereits jetzt anfing, Fragen über die Vergangenheit zu stellen, musste er schnell handeln. „Naruto“. Kakashi runzelte die Stirn. Was hatte Naruto damit zu tun? „Wieso sollte er nicht leben?“ Zum ersten Mal seit seinem Aufenthalt in diesem Zimmer sah Sasuke ihm direkt in die Augen. Es war noch immer dunkel, doch das Licht, das von außerhalb in den Raum drang reichte aus, um zu erkennen, dass  die Augen des Jungens schimmerten. „Er hat mich gerettet. Er hat mich von der Straße geschubst. Das Auto. Es hätte mich treffen sollen“. Es fiel ihm schwer es auszusprechen, doch er musste es wissen. Kurz erinnerte er sich an die feste Umarmung. Wie er ihn festhielt, ehe er ihn von sich gestoßen hatte, um ihm das Leben zu retten. Kakashi  war schwer erschüttert. Er hatte nicht die leiseste Ahnung von dem was vorgefallen war. Zwar hatte Fugaku ihm erzählt, dass Sasuke in einen Autounfall verwickelt wurde, doch die genauen Einzelheiten kannte er nicht. „Wieso?“ Er sprach es unbewusst laut aus, so verwirrt war er. Was verbarg Sasuke vor ihm? „Was ist passiert Sasuke?“, fragte er besorgt, bereits dabei wieder zurück zum Bett zu laufen, doch Sasukes Stimme hielt ihn davon ab. „Ich kann jetzt nicht darüber reden. Bitte. Finde heraus ob er lebt“. Niemals zuvor hatte Sasukes Stimme sich in seinen Ohren so angehört. Es war, als würde er darum flehen. Ein weiterer schockierender Moment für Kakashi. Zudem war da auch noch die Sorge um Naruto. Was war zwischen ihnen passiert, dass es so weit gekommen war? „Ich werde nachfragen. Leg dich wieder hin“. Er verließ das Zimmer kurz darauf, um etwas über Naruto in Erfahrung zu bringen.   Sasuke hingegen versuchte seine Emotionen unter Kontrolle zu bringen. So viele Fragen blieben unbeantwortet, doch sie schwirrten in seinem Kopf umher. Woher zum Beispiel wusste Naruto von seiner Vergangenheit? Gnadenlos hatte er sie ihm vorgeworfen, sogar seinen eigenen Bruder erwähnt. Dinge, die er einfach nicht wissen konnte. Nur Kakashi und sein Vater kannten die Details, also wie war er an die Informationen gekommen? Es schien fast so, als ob er seine Krankenakte gelesen hätte.    Aber das war längst nicht alles, was ruhelos durch seine Gedanken raste. Weshalb er ihn gerettet hatte, das war die Frage, die er sich jetzt auch stellte. Warum hatte er um Verzeihung gebeten? Warum hatte er sich für ihn vor ein Auto geworfen? Er verstand es nicht. Er hatte alles Erdenkliche getan, um von Naruto gehasst zu werden. Hatte ihn provoziert, ihn verletzt und sogar seine Beziehung zerstört. Weil er es nicht ertragen konnte, dass Naruto glücklich war. Weil er es nicht verkraftete, dieses Lächeln zu sehen. Die Art wie er immer gelächelt hatte, wenn Sakura in der Nähe war. Es war für ihn kaum aushaltbar. Er hasste Naruto dafür, dass er diese Gefühle in ihm hervorrief, da er schon lange damit abgeschlossen hatte. Es nicht erwartet hatte, jemals wieder so fühlen zu können. Selbst jetzt, als er auf diesem Bett saß, verleugnete er seine eigenen Gefühle.             Drei Wochen später   Trotz der Sonne die auf sein Gesicht schien, herrschte beißende Kälte. Es war Mitte November, einer der Monate, die sein dunkles Gemüt zusätzlich trübten. Sein Blick war auf den Stein vor seinen Füßen gerichtet. Heute war sein erster Tag in Freiheit und er hatte ohne Umschweife diesen Ort aufgesucht. Ein Schritt, um wieder Routine in sein Leben zu bringen. Drei Wochen lang hatten sie Sasuke in der Klinik eingesperrt, um für seine Sicherheit zu garantieren. Er wusste es war gerechtfertigt, dennoch verabscheute er ihr Handeln. Mit der neuen Schuld die auf seinen Schultern lastete, hätte er genau das getan, was sie von ihm erwartet hatten und es wurmte ihn, von ihnen durchschaut worden zu sein. Sein Zusammenbruch wurde vorhergesagt und genau so traf es auch ein. Die Depression die ihn dabei begleitete war so schlimm, dass man ihn rund um die Uhr beobachtet musste. Selbst jetzt stand jemand in der Nähe, um auf ihn aufzupassen. Maximale Sicherheit, auf all seinen Wegen. Eine Tatsache, die seine Laune nur noch verschlimmerte. Wie ein rohes Ei wurde er behandelt, weil man ihm etwas Gutes tun wollte, damit jedoch genau das Gegenteil bewirkte. Er hasste seine eigene Schwäche, die von seinem Umfeld reflektiert wurde. Sie hielten ihn für schwach, weil er es war, doch er lehnte es ab, es von ihnen zu hören.     Als er sich an die Gespräche mit Kakashi zurückerinnerte, zog er die Augenbrauen zusammen. Er wusste nun woher Naruto die Informationen über seine Vergangenheit hatte.  Es war ein Schock für ihn gewesen, zu erfahren, dass Naruto ebenfalls in Therapie war, doch ein weitaus größerer Schock war es, dass Naruto in Kakashis Praxis eingebrochen war, um an seine Akten zu gelangen. Kiba hatte dem Doc unter Tränen die ganze Wahrheit gestanden und der wiederrum hatte es Sasuke in einer der Sitzungen in der Klinik erzählt.        Er ging in die Hocke, zog sich seine Handschuhe von den Fingern und streifte über die Inschrift des Steines. Es war der Name der ihn faszinierte. Ohne es verhindern zu können, bildeten sich Tränen in seinen Augenwinkeln.   „Warum?“, fragte er leise und drückte mit der Handfläche gegen den kalten Stein. „Warum hast du mich gerettet? Ich verstehe es einfach nicht. Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen, so wie ich es verdient habe?“ Er wusste er würde keine Antwort erhalten, doch es hinderte ihn nicht daran zu sprechen. „Du hättest leben sollen, nicht ich. Ich hasse dich dafür. Ich hasse…“, er brach ab, da es zu sehr schmerzte, diese Lüge von sich zu geben. Es entsprach nicht der Wahrheit, doch für seinen Verstand war es leichter, mit der Lüge zu leben. Ein trügerischer Selbstschutz, der langsam aber sicher bröckelte. „Es…“ Der Windstoß der über ihn hinwegfegte sorgte dafür, dass er wieder aufstand. „Es tut mir leid“. Mittlerweile hatten sich die Tränen gelöst. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Das alles tut mir leid. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen“. Es war sein größter Wunsch, doch er war sich darüber bewusst, dass es bereits zu spät war. Man konnte die Toten nicht wieder zum Leben erwecken. Und dennoch, er hätte alles dafür gegeben, wenn es eine Möglichkeit gäbe. „Doch es geht nicht. Nicht bei dir“. Er atmete tief ein und versuchte die überwältigenden Gefühle in seinem Inneren zurückzudrängen. Es kostete ihn fast seine gesamte Kraft, an diesem Ort zu stehen. Sein Zustand war labil, es brauchte nicht viel um ihn wieder zurückzuwerfen und doch war es ihm egal. Der Moment war zu wichtig, um ihn nicht zu nutzen.   „Aber bei ihm schon“, sprach er ruhig aus, den Blick dabei in die Ferne gerichtet. Er wollte nicht mehr auf den Namen starren, der der einzige Beweis dafür war, dass er existiert hatte. „Bei ihm ist es noch nicht zu spät“. Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Es war von Traurigkeit geprägt. Die Trauer die er empfunden hatte, als er erfuhr, wie es um ihn und sein Leben stand. „Er lebt, auch wenn er genauso ein Idiot war und mich gerettet hat. Aber er schläft. Und deshalb werde ich jetzt gehen. Die Besuchszeit ist bald zu Ende und ich will da sein, falls er wach wird“. Es war Hoffnung die in ihm aufkeimte. Naruto war nicht verloren. Nicht so wie er. Er würde leben und gesund werden. Wenn er aus dem Koma erwachte, würde alles besser werden. Nur eine geringe Schuld, die Sasuke sich zuschreiben musste, aber dennoch genauso schmerzhaft wie ein Verlust.   Weil er Narutos Motiv nicht kannte. Und sich fest vornahm, es auch nie zu erfahren. Sobald er aufwachte, würde er aus seinem Leben verschwinden, das war er ihm schuldig. In seinen Augen hatte zu viel Schaden angerichtet. Keine Chance auf Wiederherstellung von etwas, das ohnehin niemals vorhanden war. Irreparabel.     Also blieb ihm nur die Möglichkeit, Naruto durch sein eigenes Verschwinden Frieden zu geben. Und diese Möglichkeit würde er nutzen, nachdem er sicher war, dass Naruto wach war. Ein Versprechen das er machte, weil er nicht noch mehr Wunden aufreißen wollte. Weder die von Naruto, noch von sich selbst.    Er blickte noch ein letztes Mal zu dem Grab, ehe er sich umdrehte und dem schmalen Weg nach draußen folgte. Der Wind trug seine geflüsterten Worte und er hoffte, sie würden ihr Ziel erreichen.   „Leb wohl Itachi“.      Die Aufgabe die er sich selbst auferlegt hatte, war erfüllt. Er konnte nun nichts mehr tun außer zu warten. Warten und hoffen, dass sich das Leben zu einem besseren wandelte. Für sie alle. Du kannst nichts verlieren, was dir niemals gehört hat.                 Widmung   Diese Kurzgeschichte, weißt du wann sie in meinem Kopf an Gestalt gewonnen hat? An dem Abend, als wir zusammen bei mir in der Küche gesessen und uns über Projekte unterhalten haben. Naruto kann fliegen, weißt du noch? J… Als mein Freund reinkam, hat er uns gemustert und ich wusste in dem Moment, was er gedacht hat: ‚Ihr FREAKS‘. Aber es war okay, weil ich mich zum ersten Mal nicht mehr alleine mit diesen Gedanken gefühlt habe. Viele Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, haben nicht verstanden, was ich mit meinem Schreiben eigentlich ausdrücken will. Stets wollten sie Erklärungen, aber du nicht. Weil du genau dasselbe fühlst, wenn du an Geschichten denkst. Gerade was dieses Genre betrifft. Dafür bin ich dir wirklich dankbar. Als das mit uns beiden anfing, war ich skeptisch, ob ich wirklich eine tiefere Bindung zulassen sollte, weil ich teilweise ziemlich kompliziert bin. Bei unserem ersten Treffen habe ich dann aber diese Meinung in meinem Kopf wieder revidiert. Ich mochte es dich um mich herum zu haben, und ich mag es auch noch immer. Du hast mich mit all meinen Macken akzeptiert, sogar wenn ich dir manchmal nicht antworte oder zuhöre, weil ich irgendwo anders mit meinen Gedanken bin. Wusstest du, dass ich das manchmal nur mache um dich zu ärgern? Weil du wirklich süß bist, wenn du dich aufregst. Oder so tust, als ob du nicht angepisst bist :D…Ich genieße diese Momente zwischen uns, weil du trotz allem was ich dir manchmal antue, immer an meiner Seite stehst und mich motivierst. Und das ist wirklich wertvoll für mich. Ich glaube einen Höhepunkt haben wir erreicht, als du mir zu meinem Geburtstag eine Ausgabe zu Boundless Friendship als Buch geschenkt hast…So glücklich habe ich mich an meinem Geburtstag schon lange nicht mehr gefühlt, wirklich. Es war das schönste Geschenk, das ich jemals erhalten habe. All die Mühe die du dir wegen mir gemacht hast, ich konnte es kaum fassen. Manchmal glaube ich, ich habe das gar nicht verdient von dir so verwöhnt zu werden. Aber ich liebe es. Ich liebe es wirklich und ich liebe unsere Freundschaft Lisa. Sie bedeutet mir so viel, dass ich gar nicht daran denken will, dass das zwischen uns jemals enden wird. Eigentlich bin ich nicht gut darin meine Gefühle auszudrücken, geschweige denn sie offen zu zeigen, aber für dich tue ich es.   Seit ich dich kenne, bin ich schon über manchen Schatten gesprungen und kann sagen, dass ich froh bin, dass ich diese Sprünge gewagt habe. Weil ich sonst wirklich etwas Gutes verpasst hätte. Weil ich sonst niemals herausgefunden hätte, was für ein wunderbarer Mensch du eigentlich bist. Mit allen Höhen und Tiefen. Ich freue mich auf jedes Treffen, egal wie kurz es ist und ich genieße diese Zeit mit dir wirklich sehr. Ich hoffe wirklich, wirklich inständig, dass noch weitere Jahre folgen werden, in denen wir Zeit miteinander verbringen können. Zeit, in der wir uns ausleben können, in unserer eigenen kleinen verqueren Welt J. Jahre, in denen wir uns gegenseitig motivieren und füreinander da sein können, wenn es einem von uns schlecht gehen sollte. Dass wir viele Momente des Glücks und der Freude teilen können, gemeinsam mit unseren anderen Freunden. Ich kann gar nicht genug dazu schreiben, wie sehr es mich freut, dich als Freundin zu haben. Aber ich denke, ich sollte langsam zum Ende kommen. Lisa, , ich liebe dich dafür, dass du existierst. Du bist mein Licht, wenn ich mich im Schatten verliere und dir gehört mein Herz, auch wenn es unregelmäßig schlägt. Du bist der Mensch, auf den ich niemals wieder verzichten möchte. Danke dir. Danke für alles.   Gez.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)