The Darkside von somali77 ================================================================================ Kapitel 45: Nachtschicht ------------------------ ~ „Komm schon!“, Naruto kniete in seinem leuchtend orangeroten Overall über einem aufgedunsenen, bleichen Mann, zwei Handballen auf dem Brustbein und pumpte. Das Innere des Rettungswagens schwankte mit jeder Bodenwelle, die Instrumente und Mittel ringsherum klirrten im Takt. Durch die undurchsichtigen Fenster drangen Dunkelheit und fiebrig bunte Lichtblitze von Ampeln und Neonschildern. „Komm schon! Verflucht!“ „Hältst du durch?“, kam die Stimme von vorn aus der Fahrerkabine, „Ich komm hier auch nicht weiter, keine Ahnung was da los ist, umgefallener Laster oder wasweißich! Inzwischen komm ich weder vorwärts noch rückwärts! Ich versuch´s auf der Standspur!“ „Ich bin okay“, brüllte Naruto zurück, „Konzentrier´ dich aufs Fahren, ich halte durch so lange es sein muss!“ Der Wagen neigte sich in eine drastische Rechtskurve. „Das ist schon eine dreiviertel Stunde!“, kamen die Zweifel von vorn, „Wie ist die Sättigung?“ „Dreiundsechzig und immer noch asystol!“ „Scheiße... okay, weißt du was? Lass es-... lass es gut sein!“ „Was?! Spinnst du?! Auf keinen Fall!“ „Denk mal nach, der Typ ist seit einer dreiviertel Stunde herztot trotz aller Bemühungen und er hat eine miese Sauerstoffsättigung! Plus, wir wissen nicht wie lange er da lag... du tust ihm damit keinen Gefallen! Wenn er heute nicht zum Spaß stinkende Klamotten angezogen hat, ist das ein Penner, der danach entweder im Wachkoma liegt oder weiter säuft! Wir brauchen mindestens noch zwanzig Minuten zur nächsten Notaufnahme, seine Zeit ist gekommen, mieses Karma, wir kriegen keine Scheiß- Rettungsgasse, die Straßen sind blockiert- offensichtlich versucht dir das Universum klar zu machen, dass der Mann seine Chancen gehabt hat“ „Das Universum kann mich mal!“, zischte Naruto zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und richtete seine gesammelte Aufmerksamkeit im schwankenden Wagen wieder auf den Brustkorb des reglosen Körpers auf der Liege. „Komm schon, verdammt!“ ~ Eine halbe Stunde später saß er mit tauben Armen, leerem Blick und hängendem Kopf auf der Treppe beim Personaleingang neben der Notaufnahme. Grelles Neonlicht drang vom Eingang her, das Rattern der Rollen von Krankenliegen, aufgeregtes Rufen, das Pfeifen von Piepsern, das Weinen von Kindern. Naruto saß da, rieb sich erst übers Gesicht, dann durchs Haar und ließ seine Hände dann kraftlos herunterfallen. Er rieb sich mit dem Daumen über Schwielen an den Fingern und starrte ausdruckslos auf seine Handfläche. Und plötzlich gab ihm jemand einen herzlichen Klaps auf den Hinterkopf. „Hey!“, Shikamaru hielt ihm mit vollem Mund einen Pizzakarton vor die Nase, „Sie haben doch noch einen Puls gekriegt, du Lebensretter. Herzlichen Glückwunsch, vielleicht hat er noch ein paar Jährchen!“ Aufatmend ließ er sich neben seinem Partner auf die Stufen sinken: „Schnaps macht alles besser, also wenn schon menschliches Gemüse, dann wenigstens gut mariniert, oder?“, er schnaubte grinsend und klappte den Kartondeckel auf, „Iss was. Du hast es dir wirklich verdient“ Naruto schüttelte schwach den Kopf. „Kein Hunger“ „Hey!“ Shikamaru tätschelte ihn beschwichtigend. „Entschuldige den Sarkasmus. Du weißt doch, wie ich das meine... Mann, fast anderthalb Stunden, deine Ausdauer ist echt übermenschlich. Gut, am Anfang haben wir uns abgewechselt, aber trotzdem-...“ „Er hatte ein Foto“, murmelte Naruto und rieb sich mürrisch mit der Handkante die Schläfe, an der verschwitzte blonde Strähnen sich kräuselten. „Mh?“ Der Nara krümmte fragend die Augenbraue, schob sich den Mund voll mit noch mehr Pizza. „In seinen Taschen“, fuhr Naruto fort, „Als er zwischendurch Puls hatte und ich nach Papieren gesucht hab. Da war ein Bild von seiner Frau und seiner kleinen Tochter“ Shikamaru ließ schwer den Kopf sinken und schnaufte tief. Er hob die Hand, um sie in blondes Zottelhaar zu graben und Naruto kräftig zu zausen, bevor er es bei väterlichem Kraulen beließ und ihm fürsorglich seine Schulter klopfte. „Was ist das Wichtigste?“, er hob einen mahnenden Zeigefinger, „Professionelle Distanz. Hör zu, du bist ein cooler Kollege. Ich will nicht, dass der Job dich hier vor nächstem Monat noch ganz kaputt macht. Du darfst nicht persönlich da ran zu gehen, hm? Wir kennen die Leute nicht, du musst knallhart sein, sonst drehst du durch... Sei ein guter Junge und sag mir, dass alles cool ist. Okay? Denn weißt du... wenn du bei einem Einsatz heute noch durchdrehen und einen Hysterischen kriegen würdest-... das wär´ echt das Letzte was wir gebrauchen könnten.“ Der Blonde schnaubte gekränkt und schob den tröstenden Arm von sich. „Ich bin okay" „Ja, klar“, Shikamaru seufzte und rutschte ein Stück auf kalten Steinstufen zur Seite, um das Band in seinem Haar zu öffnen, einmal mit den Fingern hindurch zu fahren und es dann wieder sorgfältig in einen strengen Zopf nach oben zu binden, „Mach dir keinen Kopf. Die ganze Welt ist verrückt. Und du bist echt ausgepumpt, mann. Deine Akkus gehören wieder aufgeladen. Also, Frage an dich... dieser komische Laden dort hinten, zwei Querstraßen weiter vom Puff, Ichirakus-... der hat doch auch Suppe zum Mitnehmen, oder?“ Narutos Kopf hob sich. In den tiefen, blauen Augen zeigte sich ein kleines, ungläubiges Funkeln von Interesse. „Na komm“, meinte Shikamaru versöhnlich und rieb sich verlegen die Nase, „Du bist der Held des Tages, ich geb eine aus. Die cooleren Fälle sind wahrscheinlich eh in der Ecke“ Etwas in dem misstrauischen Blick des Uzumaki schmolz, seine Unterlippe bebte in dramatischer Rührung, starke Arme schnappten um den Hals des überraschten Nara, der im nächsten Moment das volle Gewicht seines Partners an sich hängen hatte, „Ohh Shika“, schniefte der Blonde, „Du bist der beste Kollege der Welt!“ „Ist ja gut!“, protestierte der, „Und du bist schwer!“ „Ich bin eben erschöpft und brauche jetzt ganz viel Liebe!“, jammerte Naruto. „Darauf würde ich wetten... aber nicht von mir!“ „Trag mich zum Auto!“ „Hast du den Typen mit den Füßen reanimiert? Du kannst noch selber laufen! Lass los, du Arsch!“ Das halbherzige Gerangel zog sich noch den ganzen Weg über den Parkplatz, der Nara versuchte genervt, seinen Freund abzuschütteln, scheiterte an dessen Sturkopf und gab schließlich auf um ihn resigniert zum Wagen zurück zu schleifen. „Ich darf die Musik dorthin aussuchen!“, verkündete Naruto zufrieden. „Wie wär´s mit „Staying alive“ von den Bee Gees?“, konnte Shikamaru sich nicht verkneifen. „Bloß nicht, von dem Rhythmus hab ich genug für die nächsten zwei Stunden!“ „Dann vielleicht „I just died“ von der Cutting Crew?“ „Dein Humor ist so schwarz, Alter, der könnte in Amerika Präsident sein!“ ~ Sasuke bog mit hochgezogenen Schultern und raschem, energischem Schritt um eine dunkle Ecke im zwielichtigen Viertel der Stadt und blieb bei dem Anblick der sich ihm bot wie angewurzelt stehen. Dort die Straße hinunter waren hell erleuchtet die halbrunden Vorhänge am Dach von Ichirakus Nudelsuppenrestaurant, am Bürgersteig parkte mit glühenden Rücklichtern und laufendem Motor der Krankenwagen- und wer da eben zwei Schüsseln Ramen zum Mitnehmen einpackte, hatte blondes Zaushaar, Narben auf der Wange und einen Augenkrebs erzeugend orangefarbenen Overall. Augenblicklich warf er sich flach an die Wand in Deckung. Hoffentlich hatten sie ihn nicht gesehen... Vorsichtig lugte er um die Ecke. Da stand der Blonde und lachte den verfluchten Nudelsuppenverkäufer an, der Idiot. Nicht einmal stehen bleiben wie ein normaler Mensch konnte er, dieses Herumgetänzel von einem Bein aufs andere, dieses Tippen mit der Fußspitze auf den Boden hatte er schon seit er ihn kannte. Der Ton dieser durchdringend lauten Stimme war anders geworden als früher- dunkler, männlicher, aber er schallte immer noch unverkennbar die Straße hinunter, auch wenn man kein Wort verstand. Ja ja, musste Nudelsuppe essen lustig sein. Was hatten die nur so lange zu reden? Endlich drehte der Uzumaki sich um und stieg zurück in den Wagen. Was war das für eine Hand, die sich ihm da entgegen streckte? Wer war bei ihm? Etwa der selbe Typ von damals, bei der gesprengten Dealerwohnung..? ~ Naruto gähnte sichtlich gerädert und öffnete den Deckel seines Mitnehmbechers. Shikamaru tat es ihm gleich. Routiniert knackten sie Einwegstäbchen und begannen einträchtig zu schlürfen. „Ohne Scheiß“, meinte Shikamaru erst nach einigen Momenten, als er die Hälfte gegessen hatte, „Du siehst fertig aus. Ist dein Lieblingskaktus gestorben?“ Naruto grunzte unbegeistert. „Nein, dem geht’s gut“ „Hmmm... dann lass mich raten, warte-... dein Ex hat dir klar gemacht, dass ihr lieber nur Freunde bleiben solltet und jetzt schmollst du, weil du die letzten paar Wochen keinen Sex hattest und alleine nicht einschlafen kannst?“ Naruto verschluckte sich an einer besonders fiesen Nudel und verbrachte die nächsten Momente damit, in die Suppenschüssel zu husten. „Alter“, brachte er dann röchelnd heraus, „Ich... hatte einfach nur ein paar echt harte Nächte, okay? Nicht deswegen!“ „Schon klar“ Shikamaru justierte den kleinen Bildschirm der Kamera an der Heckseite des Wagens und warf einen kurzen Blick darauf. „... Wir haben übrigens einen Stalker“ Naruto blieb der Bissen im Hals stecken. „Hngrh?“, grunzte er irritiert. „Mmh ... schwarze Haare... ist das der Typ von der Drogenhöhle da neulich, der dich zerfleischen wollte, weil du ihm Sauerstoff gegeben hast?“ Narutos Kopf ruckte hoch. Auf einen Schlag war er hellwach und starrte auf den Bildschirm. „... Zoom mal näher ran, ich kann gar nichts sehen!“ „Oh mann, dann ist alles verstellt und ich kann es wieder hinfummeln! So nervig...!“ Shikamaru zoomte. Zum Vorschein kam eine Straßenecke, eine leicht angerostete Regenrinne und nur bei äußerst genauem Hinsehen ein paar schwarze Schatten merkwürdiger Form, die mit viel Fantasie ein paar Haarsträhnen sein konnten... Naruto kniff die Augen zusammen. „Herzlichen Glückwunsch, dein Stalker!“, kommentierte Shikamaru ungerührt, „Der will dir sicher persönlich danken, dass du ihn letztens so hoch motiviert ins Leben zurück geholt hast... mann, der war gleich danach schon so maßlos begeistert...“ Naruto löste sich ungläubig vom Bildschirm, kurbelte das Fenster herunter und reckte den Kopf heraus, um ihn angestrengt so zu drehen, dass er möglichst einen Blick um das Fahrzeug herum werfen konnte. Mit wenig Erfolg. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder mit sehr eng und konzentriert zusammengekniffenen Augen auf die Kamera. Mit noch weniger Erfolg. Nach einiger Zeit ließ er sich schnaufend zurück an die Rückenlehne des Sitzes fallen und hob seine Stäbchen. Mit mürrischer Miene widmete er sich seiner kurzzeitig vernachlässigten Nudelsuppe und schlürfte hingebungsvoll. „Du glaubst, ich verarsche dich?“, meine Shikamaru mit ungläubigem Blick von der Seite, „Wieso sollte ich mir sowas ausdenken? Ich mach mir ein bisschen Sorgen, das ist alles!“ Kopfschüttelnd gab er dem Bildschirm der Rückspiegelkamera einen Fingerschnipp. „Immerhin hab ich am wenigsten Ahnung was hier gespielt wird... Ist das dein Dealer? Dein Freund? Dein psychopatischer Mitbewohner, dem noch ein paar Skalps in seiner Trophäensammlung fehlen?“ „Tze! Nein-... das-... wir...“, Naruto rang nach Worten und fuchtelte kauend und augenrollend mit seinen Essstäbchen durch die Luft, „Das ist kompliziert. Und ich glaube nicht, dass du mich verarschst, ich glaube nur du siehst Sachen-... die ich nicht sehe..! Was waren das nochmal für Pilze auf deiner Pizza...?“ "Tze..." Shikamaru warf kopfschüttelnd noch einen Blick auf den Bildschirm. „Du bist einfach blind wie ein Grottenolm oder so was. Ich sag´s dir, wenn das dein territorialer Kampfstecher ist, der mich gleich anfällt, weil ich im selben Wagen mit seinem Boytoy sitze, kannst du in Zukunft mit jemand anderem fahren“ Naruto gab ein belustigtes Schnauben von sich und ließ schwer den Kopf zurück auf die Lehne fallen. „Du bist so ein Depp...“ „Ja, lach nur! Noch lachst du! Dir wird das Lachen vergehen, wenn der hier frontal durch die Windschutzscheibe kracht und deinen treuen, unschuldigen Kollegen massakriert! Dann fährst du den Rest der Schicht alleine und kannst auch jeden Blutspritzer allein aus den Polstern schrubben! Hoffentlich hinterlasse ich so richtige, fiese Flecken!“ „Oh mann, Nara...“ Naruto zog seine Beine an, um sie entspannter am Amatourenbrett abzustützen und sich aufatmend in bequemere Position zu bringen. So ganz konnte er seinen Blick allerdings auch nicht abwenden, als Shikamaru es einfach nicht lassen wollte am Fokus der Rückspiegelkamera herumzudrehen. Der merkwürdig geformte Schatten hinter der Regenrinne bewegte sich kurz und eindeutig. Naruto erstarrte und hielt mitten in Nudelkauen inne. „Scheiße!“, stieß er hervor, „Da steht ja echt jemand!“ „Wirklich!“, stöhnte Shikamaru laut und resigniert, „Glaub mir halt, wenn ich was sage! Natürlich steht er da! Wahrscheinlich steht er sogar da mit seinem Munitionsgürtel und seiner Panzerfaust und pustet uns gleich in die Luft!“ „Schhh! Verdammt! Scheiße!“ Naruto wischte sich rasch mit dem Ärmel den Mund, stellte schleunigst den Nudelsuppenbecher beiseite. Ein paar Momente lang sah er ratlos, aber bemüht konzentriert geradeaus ins Nichts, atmete sehr tief durch. Dann schien er zu grübeln. Er hob den Daumen zum Mund, knabberte leicht am Fingernagel und zwang ihn wieder von sich. Einen Entschluss fassend streckte er Zeige- und Mittelfinger vorsichtig zum Griff der Tür um sie zu öffnen, hakte ein und zog leicht an. Mit hörbaren Klacken löste sich der Verschluss. Die Tür des Wagens schwang auf. Augenblicklich verschwand der Schatten hinter dem Regenrohr auf dem Kamerabildschirm im sicheren Dunkel der Hausecke. „Lass ihn“, flüsterte Shikamaru so eindringlich, wie er das nur hinbekam ohne zu laut zu werden. Naruto drehte nur den Kopf und sah sich zu ihm um. Seine weiten Augen sprachen eine deutliche Sprache. Shikamaru schüttelte vehement den Kopf zu dieser Idee. „Vergiss es! Oh nein! Auf keinen Fall!“ Naruto hielt den Blick, seine Augen wurden noch ein wenig größer, ein Flackern von Bedauern schlich sich in seine Züge-... und dann glitt er in einer blitzschnellen Bewegung vom Sitz. „Nein!“, zischte Shikamaru, griff nach ihm, erwischte ihn nicht mehr, „Verdammt, Naruto! Bleib hier!“ Der Blonde schloss die Wagentür von außen mit leichtem Schwung. „Sasuke?“, fragte er ahnungslos in die Nacht. ~ Sasuke war flach an die Wand des Hauses gepresst, nur ein paar Meter weiter. Ein heißer Schauder, nervöses Zucken im Unterbauch-... schon allein diese Stimme seinen Namen sagen zu hören, löste so etwas aus. Das konnte nicht gesund sein! Seine Handflächen waren nass. Sein Atem ging flach und heftig, aber zum Glück völlig lautlos. Er drehte den Kopf in die Richtung aus der das Geräusch kam: Da waren ferne Schritte. Seine feinen Ohren zuckten. Schritte auf dem Asphalt. Er kannte ihren Rhythmus, ihr Gewicht, jedes kleine Detail-... schmale Lippen hoben sich über seine blanken Zähne. Verflucht. Das letzte Mal hatte er ihn halb bewusstlos am Rücken liegend zurück gelassen. Schon wieder. Er war ihm überlegen. Sein ganzes Leben lang war er Naruto Uzumaki körperlich überlegen gewesen, wann immer sie ernsthaft gekämpft hatten, es gab nicht den geringsten Grund für so eine Reaktion-... also warum waren seine Knie weich wie Butter? Warum sträubte sich jedes Haar an seinem Körper? Warum zitterte er? Der Kehlkopf an seinem Hals zuckte heftig. Er hörte das Schleifen der Schritte langsamer werden. Sachtes Scharren der Kiesel unter den Sohlen der Schuhe. Das sachte Geräusch des Overalls bei jeder Bewegung, das Reiben der Hosenbeine bei jedem Schritt. Sasukes schwarze Augen blinzelten. Er senkte leicht den Kopf, befeuchtete trockene Lippen. „Sasuke?“, wiederholte diese vertraute Stimme seinen Namen ganz nah. Es klang gepresst. Leise. … Ängstlich? Vielleicht nur eine Armlänge von ihm entfernt war der Andere stehen geblieben, unsichtbar hinter der Mauer. Sasuke ließ den Hinterkopf leicht zurück fallen, spürte rauen Stein an der Kopfhaut. Wieso war er nicht schon viel früher einfach weggegangen? Er hätte im ersten Moment umdrehen sollen, dann wären ihm sämtliche unangenehmen Variationen erspart geblieben, auf die das hier hinaus laufen konnte, aber-... Er hörte ihn atmen. Wenn er ganz still wurde und sich konzentrierte, war Naruto nahe genug um ihn atmen zu hören. Die vorwurfsvollen Gedanken in seinem Kopf wurden leiser, dann verstummten sie ganz. Sasukes Zittern ließ nach. Er drehte den Kopf etwas mehr. Für einen kleinen, winzigen Moment schloss er sogar die Augen. Die Schläfe hielt er gegen harten Stein gedrückt. Der Rhythmus seines Pulsschlags pochte lautlos gegen das Innere seines Brustkorbs, lautlos und heftig. So sehr, dass es ein Bisschen weh tat. Er kannte dieses Gefühl... Es war eng verknüpft mit der Erinnerung an Beschimpfungen und Gefluche... an verbissene Schlägereien. Heißen Schmerz in jeder erdenklichen Variation. Kratzen, Beißen, Boxen, Treten, an den Haaren ziehen-... gemeinsamen Flurputzdienst zur Strafe, der darin endete, dass sie sich in erbittertem Zorn nasse Lappen um die Ohren schlugen... Arroganz und Bissigkeit den ganzen Tag über, Provokation, bis einer von ihnen endlich einmal wieder zuschnappte. Gegenseitiges ins-Gesicht-Schnippen von Kartoffelbrei im Speisesaal, bis einer kurzerhand das Tablett griff und es dem Anderen über den Schädel zog-... Die Erinnerung an gemeinsames Knien im Flur, nebeneinander, voller Trotz, eine gefühlte Ewigkeit lang bis zur Urteilsverkündung... Iruka- senseis irrwitzige Idee, sie in ein Doppelzimmer zu legen... Zusammen. Und all die Nächte danach Narutos Atmen im anderen Bett... Dieses ruhige, gleichmäßige Geräusch... und das sanfte, unerträgliche Pochen von Schmerz dabei, im Pulstakt gegen seine Rippen. Sasuke blieb vollkommen regungslos. Und dann startete jemand den Dieselmotor, der Krankenwagen in ein paar Metern Entfernung erwachte mit lautem Brummen zum Leben. Es durchfuhr den Uchiha wie ein Blitz, in geschmeidiger Bewegung stieß er sich von der Wand in seinem Rücken ab, seine Augen glommen ein letztes Mal im Schein der nahen Straßenlaterne, dann verschwand er in den Schatten. Naruto riss der gleiche Lärm seinerseits aus der Erstarrung, er stieß sich das letzte Stück vorwärts, griff mit der Hand an die Regenrinne, wirbelte um die Hausecke... und alles was er noch sah waren Schuhsohlen in der Ferne, die sich im Laufschritt von ihm entfernten. „Sasuke!“, bellte er hinterher, seine Stimme auf einmal wieder laut und voller Entschlossenheit, „Du schuldest mir noch ein paar Kopfschmerztabletten! Du Wichser!“ Aufgewühlt fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar, sah zu Shikamaru auf, der den Wagen neben ihn lenkte und sich aus der Fensteröffnung der Fahrertür lehnte. ~ Sasuke zitterte innerlich, versuchte das lästige Gefühl abzuschütteln und biss die Zähne aufeinander. Kopfschmerzen? Geschah ihm ganz Recht. Er weigerte sich, Schuldgefühle an sich heran kriechen zu lassen. Was er jetzt am nötigsten brauchte war Ablenkung. Irgendetwas, das die Erinnerung aus seinem Kopf brannte. Die tobenden Gefühle machten ihn wahnsinnig. Er wollte- er konnte nicht mehr über irgendwas nachdenken, er wollte im Moment nur noch eins: Stille. Auslöschung. Weißes Rauschen. Seine letzte Dosis Stoff hörte schon wieder langsam auf zu wirken und weil er bestrebt war, innere Stimmen zum Schweigen zu bringen, zog es ihn unwiderstehlich zu äußerem Lärm, grellem Stroboskoplicht, zu Rausch, Sex und ohrenbetäubendem Bass. Jetzt war es sowieso egal. Kein Grund mehr, warum er den Schein wahren und sich bedeckt halten sollte. Wo es Fitnessstudios wie das „Be Gai“s gab, musste es auch Gayclubs geben und vielleicht war so etwas genau das, was ihm im Augenblick gut tat. Ein paar Straßen weiter war das „Rasengan“. Blau strahlte der Name in großen Lettern über dem silbernen, wuchtigen Gebäude in den matten Nachthimmel. Das Wummern der Musik war noch vor dem Eingang auf der Straße durch die Schuhsohlen im Asphalt zu spüren. Genau das Richtige. In seiner Hosentasche krampfte sich seine Faust um kleine Päckchen. Er wollte eintauchen. Tief. In den dunklen, betäubenden Pool aus Rausch, Lust und pumpendem Rhythmus. ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)