A Ward in Winterfell von Arcturus ================================================================================ Sansa ----- Vorsichtig griff Sansa nach dem nächsten Ast. Die Rinde fühlte sich rau unter ihren Fingern an und sie spürte, wie sich ihre Haut unter der Belastung spannte. Weit über sich hörte sie Arya johlen. Das Ganze war Wahnsinn, aber sie würde jetzt nicht aufgeben. Es war schon dumm genug, dass sie sich überhaupt hatte überreden lassen, aber jetzt klein beizugeben würde Arya nur noch mehr amüsieren. Also kletterte Sansa weiter. Ihre Schuhe rutschten auf den Ästen des alten, knorrigen Baumes und ihre Hände taten weh. Und es wurde mit jedem Ast schlimmer. Als sie glaubte, dass sie nicht mehr konnte, aufgeben musste, spürte sie, wie Hände nach ihrem Arm griffen. Schwer atmend ließ sie sich von Arya auf den Ast ziehen. „Na siehst, du, war das so schlimm?“, hörte sie Arya fragen. Die ehrliche Antwort lautete: Ja. Sie war völlig außer Atem und ihre Hände taten weh. Bestimmt war ihr Kleid furchtbar dreckig und oh würde Mutter schimpfen! Was hatte Sansa sich dabei nur gedacht? Und Arya machte die Sache nicht besser. Nicht ein bisschen. Finster warf Sansa ihr einen Blick aus dem Augenwinkel zu, doch Arya bemerkte das nicht. Die war einfach nur aufgedreht. Wie immer. Dabei war sie doch viel schneller geklettert als Sansa. Das sah man übrigens auch an ihrer Kleidung. Hosen. Schon wieder. Und dreckig obendrein, so, als sei sie vor ein paar Stunden in eine der Quellen gefallen. Vermutlich war sie vor ein paar Stunden in eine der Quellen gefallen. Oder einfach hineingesprungen. Nicht, dass das auch nur einen Deut besser wäre. Wenn Sansa daran dachte, dass sie vielleicht auch noch in eine der Quellen fiel – immerhin stand der Baum, in den sie geklettert waren, direkt darüber – nein, Sansa wollte nicht daran denken. Septa Mordane würde ihr was erzählen. Am liebsten hätte sie geweint, aber das kam vor Arya nicht in Frage. Dennoch spürte sie, wie ihr die Tränen in den Augen brannten. In ihrem Augenwinkel sah sie, wie Arya die Arme nach dem nächsten Ast ausstreckten. Oh nein, bitte nicht noch höher! Aber nein. Arya kletterte nicht weiter. Stattdessen zog sie sich auf den Ast über Sansas Kopf, setzte sich darauf und ließ sich dann einfach hängen, ihr Gewicht auf den Kniekehlen. „Ach komm schon, Sansa. So schlimm war das doch wirklich nicht, oder? Schau doch erst mal!“ Widerwillig blickte Sansa von ihren geschundenen Händen – oh die Predigt von Septa Mordane würde furchtbar werden! – auf – und sog scharf die Luft ein. Sie waren über den meisten Bäumen des Götterwaldes. In der Ferne konnte sie die Mauer sehen, die den Wald umschloss, und noch weiter entfernt den Horizont. Im Abenddunst konnte sie den Wolfswood sehen und darüber die Sonne, die bald untergehen würde. Sie konnte sogar die Kingsroad erkennen und eine Gruppe von Reitern, die wie schwarze Flecken über die Straße dahinritten. „Wie schön“, haucht sie leise. „Sag ich doch.“ Der Augenblick war dahin. Arya. Du machst auch alles kaputt. „Ich kletter wieder runter, kommst du mit?“ Unwillkürlich blickte Sansa nach unten – und kniff die Augen zusammen. So hoch. Viel zu hoch. Wie soll ich nur je wieder von hier runter kommen? „Nein, ich bleib noch ein bisschen hier.“ „Wie du meinst“, hörte sie Arya noch sagen. Der Ast unter ihr schwankte, nur ein wenig. Einen Augenblick später war Arya fort. Kurz hörte sie noch das Geräusch knackender Zweige, einen dumpfen Aufschlag und davoneilende Schritte, dann war sie ganz allein. Sansa zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Sie sah nicht nach unten. Nur geradeaus. Sie konnte den Wolfswood und die Kingsroad immer noch sehen, auch den Dunst und die Sonne, doch sie hatte zu viel Angst, um die Schönheit zu bewundern. Verzweifelt klammerten sie sich an den Ast, auf dem sie saß. Er würde nicht brechen – immerhin hatte er sogar Arya und sie gleichzeitig getragen – aber wie sollte sie hier nur wieder runter kommen? Jetzt schaute sie doch wieder nach unten. Der Boden des Götterwaldes war viel zu weit weg. Angsterfüllt kniff sie die Augen wieder zusammen und schluckte. Tränen brannten in ihren Augen, aber sie würde nicht weinen. „Arya?“, fragte sie leise, doch sie erhielt keine Antwort. „Arya? Hörst du mich? Ich hab es mir anders überlegt. Hilf mir, Arya. Arya?“ Doch Arya war fort. Sie war allein und bis jemand um diese Uhrzeit in den Götterwald kam, konnte es dauern. Robb und Jon waren sicher noch beim Training, ihre Eltern im Solar. Bald würde es essen geben und dann würde man bemerken, dass Sansa fehlte. Vielleicht würde Arya ihren Vater sagen, dass sie immer noch in diesem verfluchten Baum saß. Vielleicht würde sie sich das auch nicht trauen. Aber wenn sie zum Essen nicht da war, würde es Ärger geben. Wobei der Ärger sicher nichts im Vergleich zu der Aussicht war, die Nacht in einem Baum zu verbringen. Was, wenn sie einschlief und fiel? Nein, nein, besser eine Predigt von Septa Mordane. Aber selbst wenn man bemerkte, dass sie fehlte – dann war es doch bestimmt schon dunkel und man musste sie erst einmal finden. Nein. Ich muss hier nur runter. Ich hab es doch auch hoch geschafft. Ich komme hier auch wieder runter. Dass sie runter kam, stand derweil außer Frage. Runter kommen sie alle, hatte Theon Greyjoy einmal gesagt, als sie Robb und Jon beim Klettern beobachtet hatten, die Frage ist nicht ob, sondern wie. Er hatte gelächelt, daran erinnerte sie sich auch noch. Theon Greyjoy lächelte immer. Sansa hasste sein Lächeln. Septa Mordane sagte ihr zwar immer, sie solle nicht hassen, das sei ein schlimmes Gefühl und gehörte sich nicht, aber wenn es doch wahr war. Sein Lächeln war so furchtbar gemein. Doch das half ihr gerade nicht weiter. Sansa atmete noch einmal tief durch, dann rutschte sie langsam, ganz, ganz langsam näher zum Baumstamm. Vorsichtig streckte sie ein Bein nach dem nächstliegenden Ast aus – sie war zu klein. Es fehlte nur eine Fußlänge. Sie würde sich hängen lassen müssen, so, wie Arya es gerne tat. Zitternd schloss sie die Augen und legte sich auf den Ast, dann ließ sie langsam, ganz langsam ihren Unterkörper nach unten gleiten. Als sie rundes Holz unter ihren Füßen spürte, atmete sie erleichtert auf. Mittlerweile klammerte sie sich wie eine ertrinkende an ihren Ast. Zu spät erkannte sie, dass sie selbigen jetzt würde loslassen müssen. Der Stamm, dachte sie. Ich kann mich am Stamm festhalten. Sie rutschte noch weiter zum Stamm. Ganz langsam streckte sie den Arm aus, bis sie Rinde spürte. Jetzt noch der andere Arm. Ganz langsam. Wenn Arya das kann, kannst du das auch, Sansa. Arya ist erst sieben und du bist schon neun. Sie ließ den Ast los. Irgendwo unter ihr ertönte ein Knacken. Sie zuckte zusammen, doch das war eine schlechte Idee. Zu spät bemerkte sie, dass sie den Halt verlor. Sie schrie. Für einen Moment schwebte sie in der Luft, dann spürte sie, wie sie fiel. Zweige schlugen ihr ins Gesicht. Blind streckte sie die Arme aus, suchte halt – und fand ihn. Mit einem schmerzhaften Ruck endete ihr Fall. Ihre Arme taten so sehr weh, dass sie am Liebsten wieder losgelassen hätte, doch das konnte sie nicht. Durfte sie nicht. Zitternd zog sie sich an dem Ast hoch, an dem sie sich festhielt und blieb auf ihm liegen. Erst dann atmete sie die Luft aus. Die Rinde des Astes rieb hart gegen ihre Wange und ihre Hände. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie sie aussah. Einer ihrer Schuhe fehlte. Aber im Moment war ihr alles egal. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust und ein Blick an ihrem Ast verriet ihr, dass sie immer noch viel zu weit oben im Baum hing. Wieder brannten in ihren Augen Tränen. Dieses Mal konnte sie sie nicht zurückhalten. Laut schluchzend begann sie zu weinen. Sie rief nach Arya, nach Robb und nach Septa Mordane und nach ihrem Vater. Vor allem nach ihrem Vater. Niemand hörte sie. Irgendwann gingen ihr die Tränen aus. Ihre Stimme war nicht mehr, als ein heiseres Krächzen. Bestimmt war das Essen bereits vorbei. Bestimmt suchte man nach ihr. Aber nein – das war närrisch. Es war immer noch hell. Wie viel Zeit wohl vergangen war? Für Sansa fühlte es sich wie Stunden an, aber sicher spielte ihr Zeitgefühl ihr Streiche. Dennoch – lange würde es sicher nicht mehr dauern und dann saß sie im Dunkeln in einem Baum. Sie musste einen zweiten Versuch wagen. Nur wie? Sie hatte sicher nicht noch einmal den Mut in sich, einen Ast loszulassen und die anderen Äste waren alle so viel tiefer, als der, auf dem sie lag. Und ständig knackte es um sie herum. Dann hörte sie die Schritte. Leise als erstes, nur ein leises Rascheln zwischen dem Gras. Ob das Arya war? Sicher wollte sie nachschauen, ob Sansa immer noch im Baum festsaß und um sie auslachen – das würde zu Arya passen. Doch nein, die Schritte passten nicht zu Arya. Arya war gerade erst sieben und die Schritte waren viel, viel schwerer als die einer Siebenjährigen. Und viel zu langsam, wenn man bedachte, dass Arya immer rannte. Vorsichtig spähte sie an ihrem Ast vorbei nach unten. Nein, die Gestalt, die sie sah, war ganz sicher nicht Arya. Es war ein Erwachsener, ein Mann. Kurz rang sie mit sich, dann entschied sie sich nach ihm zu rufen. Wie viel schlimmer konnte es schon werden? Zögerlich öffnete sie den Mund – dann erkannte sie, dass es noch viel, viel schlimmer werden konnte. Der Mann unter ihr war niemand geringeres als Theon Greyjoy. Sie stöhnte leise. Alles – jeder! – nur nicht er. Theon indes bemerkte sie nicht. Er schien gerade vom Training zu kommen. Sein Haar und seine Stirn waren schweißnass, sein Wams und der Rest seiner Kleidung dreckig. Selbst in diesem Zustand lächelte er. Mit aller Seelenruhe begann er an seinem Wams zu nesteln. Erst als er sich den Stoff über den Kopf zog, verstand Sansa, was er vorhatte. Bevor sie die Augen schloss, erhaschte sie einen Blick auf seinen Oberkörper – dünn, aber muskulös. Vielleicht sogar gutaussehend, aber eindeutig zu sehr Theon Greyjoy. Sie wartete einen Moment, dann öffnete sie eines ihrer Augen erneut. Er hatte sie immer noch nicht gesehen. Auf seiner Schulter spross ein großer, blauer Fleck, vermutlich vom Training. Als sie sah, dass er jetzt an seinen Beinkleidern nestelte, kniff sie das Auge eilig wieder zu. Das wollte sie nicht sehen. Das durfte sie nicht sehen. Septa Mordane würde ihr eine Predigt halten. Und wenn Theon davon wüsste, oh sie würde ihm nicht mehr unter die Augen treten können! Sachtes Platschen wies sie darauf hin, dass er sich in die heiße Quelle gesetzt hatte, doch sie öffnete die Augen nicht noch einmal. Ich muss hier weg, dachte sie erneut, aber ihn werde ich bestimmt nicht bitten. Über ihr knackte es erneut. Etwas kleines, hartes traf ihren Kopf. Schmerzerfüllt schrie sie auf und klammerte sich an ihren Ast. Für einen Moment war Theon – der nackte Theon – vergessen. Wimmernd hielt sie sich am Holz fest, die harte Rinde unter ihren Fingern. Ihr Kopf pochte. Sie wusste nicht, was sie getroffen hatte, aber sie wollte es auch nicht wissen. Unter sich hörte sie ein leises Platschen. Theon, dachte sie. Oh nein. Er hat mich sicher gehört. Oder? In der Hoffnung, er habe sie tatsächlich nicht gehört – was ob ihres Schreis äußerst unwahrscheinlich war – öffnete sie ihre Augen und sah nach unten. Theon Greyjoy erwiderte ihren Blick lächelnd. Er hatte sich einfach gegen die Steine zurückgelehnt und den Kopf in den Nacken gelegt. In dieser Position sah er fast wie ein Gott aus – Sansa schloss hastig die Augen. „Was macht Ihr dort oben, Lady Sansa?“ Sie hörte seine Worte, aber noch viel besser hörte sie seinen Spott. „A-Arya wollte mir den Ausblick z-zeigen“, stotterte gegen ihren Ast. „Ist der Ausblick schön?“ „J-Ja.“ „Dann lasst Euch von mir nicht weiter stören.“ Unter ihr platschte es erneut. Als sie irritiert die Augen öffnete, sah sie, dass er untergetaucht war. Einen Augenblick später brach er wieder durch die Wasseroberfläche. Wasser lief aus seinen dunklen Haaren und und perlte seine Schulter hinab. Gemächlich begann er damit, sich die Arme zu massieren. Ein anderes Mädchen hätte ihn sicher als ausgesprochen ansehnlich empfunden – aber ein anderes Mädchen hing auch nicht in einem Baum. „Th-Theon?“, fragte sie leise. Als Antwort tauchte er noch einmal unter. „Theon?“ sagte sie noch einmal, dieses Mal lauter, nachdem er wieder aufgetaucht war. Dieses Mal blickte er tatsächlich auf. „Ja, Lady Sansa?“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ich – ich kann nicht allein herunter klettern. Du – du musst mir helfen, Theon.“ Er zog die Augenbrauen zusammen und lächelte zu ihr hinauf. „Ich muss Euch helfen? Ich ging eigentlich davon aus, dass ich das Mündel Eures Vaters bin, nicht sein Knecht.“ Ich wusste es. Er ist so ein furchtbarer Kerl. Gegen ihren Willen schluchzte sie, spürte, wie erneut Tränen in ihr aufstiegen. „S-so meinte ich das n-n-nicht. Bitte, Theon. H-hilf mir. I-ich hab s-solche Angst. B-bitte. H-hol Robb. Oder Vater. A-aber bitte, bitte hi-hilf mir h-hier r-runter.“ Jetzt weinte sie. Theon unter ihr seufzte schwer. Vermutlich überlegte er sich eine weitere Gemeinheit. Stattdessen sagte er schließlich: „Na schön.“ Sie hörte nur, wie er aus dem Wasser stieg. Kurz darauf knackten Zweige. Als sie durch tränenverschleierte Augen nach unten spähte, sah sie, wie er den Baum hinaufkletterte. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich anzuziehen. Sansa spürte erst, wie sie starrte und dann, wie sie rot wurde. Der Ast unter ihr erbebte, als er sich zu ihr hinauf schwang und sich setzte. Sie wagte es nicht, ihn anzusehen. Für einen Augenblick sagte keiner von ihnen ein Wort. „Das ist der Ausblick, den Arya dir zeigen wollte?“, fragte er schließlich. Für einen Augenblick verstand sie nicht. Dann hob sie langsam und vorsichtig den Kopf. Auch von diesem Ast aus konnte sie über den Götterwald schauen, aber nicht so gut. Mittlerweile ging die Sonne unter und tauchte die roten Wipfel in rotes Licht. Sie hielt den Atem an. Schön. „Von weiter oben kann man auch den Wolfswood sehen“, hauchte sie ehrfürchtig. „Und die Kingsroad.“ „Dann sieht es im Abendrot bestimmt atemberaubend aus“, antwortete er und zumindest für diesen Moment hörte sie keinen Spott in seiner Stimme. Sie nickte gegen ihren Ast. „Ja.“ Jetzt schielte sie im Augenwinkel doch zu ihm. Ganz gelassen saß er neben ihr, nackt wie an seinem Namenstag. Seine Haut und sein feuchtes Haar schimmerten im Licht der untergehenden Sonne. In diesem Licht verblasste der blaue Fleck auf seiner Schulter ein wenig, genauso wie die anderen, die sie zuvor noch gar nicht bemerkt hatte. Dafür traten die feinen, dunklen Locken auf seiner Brust viel deutlicher hervor. Noch im selben Moment spürte Sansa, wie sie rot wurde, vermutlich genauso rot wie der Himmel. Beschämt schloss sie die Augen. Sansa wusste, dass diese Situation – er, sie, der Ausblick auf einen Sonnenuntergang – unter anderen Umständen romantisch gewesen wäre. Eigentlich war es romantisch. Aber er war immer noch Theon Greyjoy und eigentlich konnte sie ihn nicht leiden. Wenn er ihre Gedanken bemerkte, dann behielt er es zumindest für sich. „Wir sollten mit dem Abstieg beginnen“, sagte er schließlich. „Sonst verlieren wir das Licht.“ Sie blickte zu ihm. Ihre Wangen brannten immer noch. Irgendwie glaubte sie nicht, dass sich das demnächst ändern würde. „Ich weiß nicht, wie.“ „Du bist zu schwer, um dich zu tragen“, antwortete er unumwunden. Endlich verzichtete er auf das Lady – es klang aus seinem Mund immer so furchtbar höhnisch. „Ich werde dich stützen.“ Da sie keine bessere Idee hatte, nickte sie nur. Das war ihm scheinbar Antwort genug. Einen Augenblick später bewegte sich der Ast unter ihr, als er sich hinstellte. „So, jetzt. Lass dich einfach hinunter gleiten. Ich halte dich fest.“ Sie spähte nach unten. So hoch. Sie erinnerte sich an das letzte Mal, an dem sie sich an einem Ast hinuntergelassen hatte und kniff die Augen zusammen. „Ich kann nicht.“ „Doch, du kannst. Ich bin da.“ Das ist ein Teil meines Problems, dachte sie. Du und die Höhe. Trotzdem folgte sie seiner Anweisung schließlich. Vorsichtig verstärkte sie den Griff um ihren Ast, dann ließ sie ihren Körper nach unten gleiten. „So ist es gut. Unter dir ist ein Ast, stell deine Füße darauf.“ Es dauerte eine halbe Ewigkeit, dann spürte sie Rinde unter ihrer Fußsohle. Vorsichtig stellte sie ihren Fuß darauf, dann tastete sie auch mit dem anderen nach dem Ast – und rutschte ab. Sie hörte sich schreien, doch zu ihrer eigenen Überraschung fiel sie nicht. Verängstigt klammerte sie sich an das Holz in ihren Armen. Nach ein paar tiefen Atemzügen ging es wieder. Ihr nackter Fuß stand wieder auf dem Ast unter ihr und etwas schweres, warmes hielt ihren Oberkörper fest. Sie zuckte zusammen, als sie verstand, was sie festhielt – oder genauer: wer. Sie schielte zur Seite. Theon stand dicht neben ihr. Während sie Probleme dabei hatte, sich an dem einen Ast festzuhalten und gleichzeitig auf dem anderen zu stehen, fiel ihm das sichtbar leichter, aber er war auch viel größer und viel furchtloser als sie. „Geht es wieder?“, fragte er. Ausnahmsweise lächelte er nicht. Dafür war sie ihm ungemein dankbar. „D-das war ganz schön knapp.“ „Ich lass dich schon nicht fallen. Jetzt setz dich auf den Ast, auf dem du stehst. Halt dich an mir fest.“ „A-Aber –“ Sansa wurde rot, doch er lachte nur. „Du wirst noch genug nackte Männer sehen, Sansa.“ „Was ist, wenn wir beide fallen?“ Er zuckte mit den Achseln. Runter kommen sie alle, hatte er einmal zu ihr gesagt, die Frage ist nicht ob, sondern wie. „Wir fallen besser nicht.“ Die nächsten Äste waren unsagbar mühsam. Außerdem wurde es langsam immer dunkler. Aber Theon hielt sein Wort – er ließ sie nicht fallen. Irgendwann saßen sie schließlich auf dem letzten Ast, zumindest sagte Theon das. Es war vermutlich nicht derselbe Ast, von dem aus sie ihren Aufstieg begonnen hatte, aber das war ihr egal. Inzwischen war es kalt geworden, und dunkel und sie zitterte vor Anstrengung. „Ich kann nicht mehr“, japste sie leise, doch er drückte sie einfach noch etwas fester an sich. Mittlerweile war es ihr sogar egal, dass er Theon war. „Gleich geschafft“, antwortete er und es klang tatsächlich aufmunternd. „Unter uns ist die Quelle. Am besten, du lässt dich einfach fallen.“ Sie sah auf. „Was?“ Theon seufzte. Seine Haare fielen ihm in die Stirn, wie sie es immer taten, doch er lächelte nicht. „Du wirst nicht tief fallen und das Wasser ist tief genug, damit du dir nicht weh tust.“ „Aber – Aber mein Kleid! Es –“ „–ist dreckig und hat mehr Löcher, als dass es sich noch zu flicken lohnen würden.“ Sansa biss sich auf die Lippe. Natürlich hatte er recht. Vermutlich hatte sie ihr Kleid bereits beim Aufstieg heillos ruiniert. Und der Abstieg? Sie sah an sich hinunter, aber mittlerweile war es zu dunkel, um Löcher oder Dreck zu erkennen. „Vermutlich hast du recht.“ „Ich habe nicht nur vermutlich recht. Lass dich einfach fallen. Dir passiert nichts.“ Immer noch skeptisch sah sie zu ihm auf. Aus der Nähe betrachtet, war er eigentlich ganz hübsch, fand sie. Zumindest, wenn er nicht lächelte. Und vielleicht – aber nur vielleicht – war er doch nicht so ein Ekel, wie sie immer gedacht hatte. „In Ordnung. Ich versuche es.“ „Das wollte ich hören“, antwortete er und für einen Moment wusste sie, dass er lächelte, obwohl sie schon nicht mehr zu ihm sah. Mit zittrigen Armen begann sie, sich am Ast hinunterzulassen. Er hatte recht, die Quelle war wirklich genau unter ihnen. Trotzdem kostete es sie noch einmal eine Menge Überwindung, um loszulassen. Der Fall war nicht tief. Sie schrie, als sie auf das Wasser aufschlug, aber eigentlich nur vor Schreck. Einen Augenblick lang war sie unter Wasser, dann strampelte sie sich hoch und an den Rand. Im Vergleich zur Luft war das Wasser angenehm warm. Hinter sich hörte sie ein sachtes Platschen, als Theon ihr auf gleichem Wege folgte. In ihrem Kleid aus der Quelle zu klettern, war gar nicht so leicht. Sie tat es trotzdem. Dafür brauche ich keine Hilfe. Am Ende lacht er mich aus. Mittlerweile saßen bestimmt alle beim Essen und fragten sich, wo sie war. Oh, es würde Ärger geben. Aber was war eine Strafpredigt von Septa Mordane – oder noch schlimmer: vpn ihrer Mutter – schon gegen eine Nacht in diesem furchtbaren Baum? Nein, die Predigt nahm sie gerne in Kauf. Dennoch blickte sie jetzt missmutig an sich hinab. „Mein schönes Kleid“, seufzte sie leise. „Das Kleid ist nicht so wichtig“, sagte eine Stimme, ganz dicht bei ihrem Ohr. Sansa zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er aus der Quelle gestiegen war. „Ein Kleid kann man flicken. Dich nicht.“ Sie konnte Theons Atem auf ihrer nassen Haut spüren, während er sprach. Sie wagte es nicht, sich zu rühren. Das Gefühl von Wärme jagte ihr eine Gänsehaut über die Arme, doch sie wusste nicht, ob sie das wirklich als so unangenehm empfand. Einen Augenblick später war er fort. Sie hörte, wie das Gras unter seinen Füßen knirschte. Sansa atmete tief durch, dann drehte sie sich um. Mittlerweile hatte er begonnen, sich anzuziehen. Kurz musterte sie seinen Anblick und sie wusste, dass sie schon wieder rot wurde, aber nicht mehr so schlimm. Vielleicht lag das einfach am Abstieg – immerhin war sie ihm schon deutlich näher gekommen und da hatte er kein Wams getragen. „Theon?“, nuschelte sie schließlich, als er mit einem Fuß in seine Hose stieg. „Du hast mich gerettet. Vielen, vielen Dank.“ Er verbeugte sich tief – etwas, das angesichts seiner halb angezogenen Hose sehr lächerlich aussah – und lächelte. „Es war mir eine Ehre, Lady Sansa.“ Sie schnappte nach Luft. Ah, richtig. Das hatte ich fast vergessen. Wut stieg ihn ihr auf. Einen Moment lang blähte sie beleidigt die Backen auf. „Hör auf, mich so zu nennen!“, blaffte sie, bevor sie sich zurückhalten konnte. Noch als sie sprach, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen, doch da waren die Worte bereits über ihre Lippen. Hastig beeilte sie sich damit, sich zu korrigieren. „Ich meine – könntest du bitte aufhören, mich so zu nennen? Es klingt so, als würdest du mich verspotten.“ „Und was ist, wenn ich dich verspotte?“ „Du bist so ein Widerling!“ Theon schnaubte belustigt und lächelte nur, während er seine Hose zuband. Sansa presste die Lippen aufeinander. Die Abendluft kroch ihr langsam durch die nassen Kleider und ließ sie zittern. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust. Sie wusste nicht, wo ihre Schuhe lagen, also ging sie einfach barfuß. Eigentlich hatte sie vor, einfach an ihm vorbeizumarschieren, aber in einem Anflug von Kühnheit entschied Sansa sich dazu, neben ihm stehen zu bleiben. Sie reckte den Kopf. „Weißt du was? Mit ernstem Gesicht bist du hübscher.“ Zufrieden stellte sie fest, dass ihm die Gesichtszüge entglitten. Herausfordernd erwiderte sie seinen Blick und lächelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)