Digimon Battle Generation von Alaiya ([Digimon Tamers] Wenn Welten kollidieren) ================================================================================ Episode 25: Nachwirkung ----------------------- Episode 25: Nachwirkung Als die Digimon das erste Mal in unsere Welt kamen, habe ich sie verurteilt, weil ich sie nicht verstanden habe. Die Kinder, ihre Partner und wie sie miteinander umgingen haben mich eines besseren belehrt – zumindest habe ich das gedacht. Doch vielleicht hatten sie am Ende doch Unrecht und es ist nicht möglich, dass Gegensätze miteinander koexistieren können. Nach allem, was passiert ist, seit Grenze zwischen den Welten zerbrochen ist, kann ich es denen, die dank der Digimon um ihre Familien fürchten nicht mehr verübeln und frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, hätten die Kinder ihre Partner nie wiedergesehen... - Yamaki Mitsuo Steve saß am Rand eines Erste Hilfe Zeltes, das in der Nähe der Parkumgebung, die nun mehr einem Schlachtfeld glich, aufgebaut. Bisher hatte ihn noch niemand behandelt. Ein Sanitäter hatte ihn nur angesehen und war, da er nicht allzu schwer verletzt war, dann zu den jüngeren Tamern weitergegangen, von denen einige schwerere, wenn auch keine lebensgefährlichen Verletzungen davon getragen hatten. Dennoch standen sie alle unter Schock. Steve fragte sich derweil, ob er selbst noch einen Schock spüren wollte. Er fühlte sich im Moment erstaunlich klar im Kopf und merkte auch nichts von der Zittrigkeit, die normal mit einem Schock einher ging. Doch auf der anderen Seite hatte er gehört, dass manchmal so ein Schock erst einige Stunden nach dem auslösenden Ereignis eintrat. Zwar selten, aber so etwas kam offenbar vor. Allein deswegen war er sich sicher, dass man ihn – sobald die schwer verletzten versorgt waren – in irgendein Krankenhaus bringen würde, um ihn über Nacht zu beobachten, doch im Moment kümmerte sich kaum jemand um ihn, da er so viel anderes zu tun gab. Mittlerweile waren auch Rettungscrews da, die zwischen den Trümmern der durch den Kampf beschädigten Häuser, nach Überlebenden suchten. Es war fraglos alles etwas chaotisch, da neben Sanitätern, Rettungscrew und Feuerwehr, auch Militär und Polizei hier war, doch nicht jede Fraktion sicher war, es sie tun durfte und was in ihrer Befugnis stand. Auch drei der schwarzen Wagen, die zu Hypnos gehörten, hatte er gesehen. Er seufzte und fuhr durch das Fell Leormons. Das Digimon lag, den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, neben ihm und döste vor sich hin. Es war fraglos erschöpft. Nun blinzelte es aber und sah ihn an. Langsam begann Steve sich zu fragen, wo Takato, Shoji und die anderen waren. Immerhin hatte er sie nicht mehr gesehen, seit er den Kampf verlassen hatte – wenn man einmal davon absah, dass er gesehen hatte, wie Dukemon am Ende das seltsame Digimon (sofern es eines war) des Meisters der Spiele besiegt hatte. Er verspürte das Bedürfnis mit jemanden zu reden, wollte erfahren, was eigentlich geschehen war. Schließlich stand er auf und machte einige Schritte zum Ausgang des Zeltes. Als ihn niemand aufhielt, schloss er, dass er das Zelt verlassen durfte und ging hinaus. Vielleicht fand er einen der anderen hier irgendwo oder sonst irgendwen, der ihm sagen konnte, was geschehen war und nun geschehen würde. „Where are you going?“, fragte Leormon, als es zu ihm aufschloss. „Looking for the others“, antwortete er. Das Digimon gab ein leicht unzufriedenes Geräusch von sich, lief aber neben ihm her, als er in Richtung des Parks ging, in der Hoffnung dort vielleicht jemanden von Hypnos zu treffen. „What a mess...“, murmelte sein Partner, als sie die Zerstörung hier aus nächster Nähe sahen. „Yeah...“ Steve sah sich um. Er fragte sich, ob ihn jemand aufhalten würde, wenn er der Wiese – oder besser dem, was von dieser noch übrig war – näher kam. Immerhin liefen Menschen in Uniformen über diese hin und her, machten Fotos und sammelten Proben, auch wenn er nicht wusste, wofür. Doch niemand sagte etwas. Zwar sahen ihn einige misstrauisch an, doch reagierte niemand. So blieb er am Rand der Wiese stehen und sah sich um. Er begriff schnell, dass es unsinnig wäre, nach Takato und den anderen selbst Ausschau zu halten, da dafür zu viele Menschen durch die Gegend liefen. Stattdessen sah er sich nach den Digimon um. Immerhin sollte es nicht so schwer sein, eine rote Echse von knapp vier Fuß Körperhöhe oder einen fast sechs Fuß großen, aufrecht gehenden Fuchs zu finden. Doch zwischen all den Polizisten, Soldaten und wer auch immer die anderen Menschen waren, erkannte er keins der gesuchten Digimon. Waren sie wohl bereits in einem Krankenhaus? Oder vielleicht in einem der Hypnoswagen? Ihnen war doch nichts zu schlimmes zugestoßen, oder? „Hey, Steve“, hörte er auf einmal Leormons Stimme neben sich und sah zu dem Digimon hinüber, das seinen Blick nun eine der Gassen, die zum Park führten, hinab schweifen ließ. „Over there!“ Sofort sah Steve, was sein Partner meinte. Die Tamer, die mit ihm hergekommen waren – die vier, die ebenfalls am Turnier teilgenommen hatten – saßen dort, die Rücken an die Wand gelehnt – ohne, dass sie jemand bisher beachtet hatte. Das eine Mädchen, dessen Pony rot gefärbt war, hatte den Kopf auf die Knie gelegt und schien fast zu schlafen, während das Mädchen mit den platinblonden Haaren ganz offenbar wirklich in einem Schock zu sein schien. Auch den beiden Jungen schien es nicht gut zu gehen und alle vier Jugendlichen hatten Schürfwunden und teilweise offen zu sehenden Prellungen. „Was macht ihr hier?“, fragte er. „Wieso seid ihr nicht bei den Helfern?“ Der eine Junge, dessen Partner ein Kotemon war, sah zu ihm auf. „Was?“ „Ihr müsst zu den Sanitätern“, beschloss Steve laut, „und wahrscheinlich in ein Krankenhaus.“ Keiner der Jugendlichen widersprach. So zog Steve sie einen nach den anderen hoch, auch wenn er sich nicht ganz sicher war, ob die vier überhaupt noch würden laufen können, da sie allesamt sehr wackelig auf den Beinen waren. Für einen Moment überlegte er, sie zu fragen, was passiert war, doch ein Blick in die müden Gesichter sagte ihm, dass sie ihm auch wenig sagen konnten, da sie dazu nicht in der Verfassung waren. Außerdem, so erinnerte er sich, waren sie in eine andere Richtung davongelaufen, als der Kampf begann und hatten vielleicht kaum mehr gesehen als er – auch wenn sie, ihren Wunden nach zu urteilen, definitiv in einen Kampf verwickelt gewesen waren. Kaum, dass die vier, von Steve und auch ihren Digimon gefolgt, ins Licht der aufgestellten Flutlichter taumelten, wurden sie endlich von einigen Helfern gesehen, die bereits in ihre Richtung liefen. Von Takato oder irgendeinem Hypnosmitglied, das er kannte, konnte Steve allerdings immer noch nichts sehen. Tatsächlich war Takato in einem der Wagen, die zu Hypnos gehörten. Der Kleinlaster, dessen Lagerraum zu einer Art mobiler Überwachungszentrale umgebaut war, hielt in einer der Straßen, nicht zu weit von der Zerstörung entfernt. Anders als Steve merkte er deutlich, wie der Schock die Übermacht gewann. Er konnte kaum noch klar denken und war sich nicht sicher, wie lang er sich würde auf den Beinen halten können. Doch Yamaki hatte ihn, kaum das er angekommen war, geschnappt und hierher geschleift. „Was ist passiert?“, fragte er nun, dass sie im Inneren des Wagens waren. „Was ist all das gewesen? Das Erdbeben?“ „Takato?“, erklang auch Guilmons eingeschüchterte Stimme. „Ich weiß es nicht“, murmelte Takato langsam. „Ich weiß es wirklich nicht...“ Er pausierte und atmete einige Male tief durch. „Als... Als dieses Ding sich materialisiert hat, hatten die anderen Digimon keine Chance und ich habe...“ Weiter kam er nicht, ehe die Tür aufgerissen wurde und Ruki in den kleinen Innenraum kletterte. „Was sollte das, Takato? Wieso hast du das...?“ „Ruki!“, erklang Renamons Stimme hinter ihr. „Beruhigte dich.“ Das Digimon sah in das Wageninnere. „Nein!“, erwiderte die junge Frau entschlossen und sah Takato an. „Ich will wissen, was das sollte!“ „Wovon redest du?“, fragte Yamaki, der natürlich von den genauen Ereignissen noch nichts mitbekommen hatte. Ruki ignorierte ihn jedoch. „Jetzt sag schon, Takato. Hättest du ihn wirklich umgebracht? Was hast du dir dabei gedacht?“ „Wovon redet sie, Matsuda-kun?“, fragte nun Yamaki, wobei deutlich Wut in seiner Stimme mitschwang. Takato sah ihn nicht an. „Es tut mir leid...“, murmelte er. „Es tut mir leid, okay?“ „Ist das alles, was du zu sagen hast?“ Ruki klang aufgebracht. „Lass ihn, Ruki“, erklang nun eine weitere Stimme, als Hirokazu und Kenta hinter dem Wagen erschienen. Kenta trat nun hinter die junge Frau. „Jetzt bringt es nichts darüber zu streiten.“ „Aber...“, begann Ruki, doch Kenta schüttelte nur den Kopf und tatsächlich hielt sie sich darauf zurück. „Wovon redet ihr?“, fragte Yamaki nun zum dritten Mal, doch noch immer antwortete Takato nicht. Er spürte, dass seine Beine langsam nachgaben. Ohne darüber nachzudenken, lehnte er sich gegen die Wand und glitt an ihr zu Boden. Er hörte die Stimmen der anderen noch, hörte Guilmon, das seinen Namen rief, doch ihm war, als kämen sie von weit weg. Shoji saß derweil in einem der Sanitäterzelte und ließ sich die Wunden, die er vom Kampf davongetragen hatte reinigen und verbinden. Er war mit einigen Kratzern, oberflächlichen Schürfwunden und ein paar Prellungen recht glimpflich davon gekommen, doch immerhin kamen diese fast ausschließlich von dem Sturz, nachdem sich die Verbindung zwischen ihm und Gazimon aufgelöst hatte. „Ich sage doch, mir geht es gut“, protestierte Denrei derweil eine Liege weiter, während einer der Sanitäter darauf bestand, ihn zu untersuchen. „Mir ist nichts passiert. Lassen sie mich gehen! Ich muss zum Krankenhaus!“ Shuichon, die ohnmächtig gewesen war, hatte man sofort in eins der Krankenhäuser gebracht – das Tokyo Medical University Hospital, soweit Shoji verstanden hatte, also das Krankenhaus, in dem auch Denreis Vater arbeitete. Er vermutete, dass sie nicht zuletzt wegen Yuki Nobou in das Krankenhaus gekommen war, obwohl es nicht das nächste war – und weil ihre Familie in der Nähe des Krankenhauses lebte. Shoji selbst hätte viel darum gegeben, zu erfahren, was den beiden Zugestoßen war und warum sie seit mehr als zwei Monaten nichts von ihnen gehört hatten, doch er ahnte, dass sein Freund im Moment nicht die Ruhe – oder die Zeit – hatte, ihm dies zu erzählen. „Moumantai“, bemühte sich Lopmon, das man nicht hatte im Krankenwagen mitfahren lassen wollen und das so am Rand von Denreis Liege saß, den jungen Mann zu beruhigen. Schließlich ließ Denrei widerwillig zu, dass man seinen Blutdruck maß, seinen Pupillenreflex testete und einige andere Standarduntersuchungen durchführte. Derweil bemerkte Shoji, das Gazimon in Richtung der Zeltplane starte, so als erwarte es dahinter irgendetwas zu sehen. „Was ist?“, fragte er, nachdem ein Sanitäter endlich sein geprelltes rechtes Handgelenk verbunden hatte. „Takato“, erwiderte sein Partner nachdenklich. „Ich frage mich, was mit ihm gewesen ist.“ Shoji seufzte leise. Er konnte verstehen, woher der Hass kam, der Takato und Guilmon dazu gebracht, selbst wenn es auch ihn überrascht hatte. Immerhin war Takato normaler Weise gutmütig und beherrscht. Er hatte ihn nie auch nur wirklich wütend erlebt. Doch war auch Shoji aufgefallen, dass Takato in den letzten Wochen immer verschlossener geworden war. Die ganze Situation hatte ihnen allen zugesetzt. Erst die Morde und der folgende Selbstmord, und währenddessen die Sache mit dem Turnier. Es waren all die Dinge, vor denen sie sich letzten Endes gefürchtet hatten, seit die Grenze zwischen den Welten zerstört worden war. „Shoji?“, fragte Gazimon und sah ihn fragend an. „Entschuldige“, murmelte er. „Ich war mit den Gedanken woanders...“ Noch einmal ließ er ein Seufzen hören. „Ich... Kann ihn verstehen...“ Dabei war an seinem Ton deutlich zu hören, dass dies eher eine Bemerkung an sich selbst war, als eine Antwort auf Gazimons Frage. Sein Partner sah eine Weile auf sein Gesicht, doch dann wandte er sich ab und rollte sich unter der Liege, auf der Shoji saß, zusammen. Da ließen die Sanitäter schließlich von Denrei ab, der sich schnell sein Hemd überzog und aufsprang. Shoji, selbst noch immer nicht ganz verbunden, stand ebenfalls auf und ging auf ihn zu. „Was ist mit euch passiert?“, fragte er, auch wenn er wusste, dass er keine Antwort erhalten würde. „Nicht jetzt“, erwiderte Denrei. „Was ist mit Shuichon passiert?“ Denrei schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was mit ihr ist. Deswegen muss ich zum Krankenhaus.“ Niedergeschlagen nickte Shoji. „Pass auf dich auf, ja?“, meinte er. „Du siehst müde aus.“ „Ja“, erwiderte sein Freund und wollte gehen, als er noch einmal inne hielt. „Danke“, murmelte er. „Ich werde alles erklären, sobald es Shuichon besser geht.“ Shoji nickte ein weiteres Mal. „Sag mir Bescheid, wenn du genaueres weißt.“ „Werde ich“, meinte Denrei und wandte sich dann noch einmal um. „Komm, Dracomon. Lopmon.“ Beide Digimon gähnten, standen aber auf. Während Dracomon hinter dem jungen Mann hertrottete flog Lopmon los und landete auf seiner Schulter, wo es sich erschöpft festhielt. „Moumantai.“ In der Notaufnahme des St. Luke‘s Hospitals ging es hektisch zu, während Takumi, Rin, Ai und Makoto dort im Wartebereich waren. Man hatte sie hierher geschickt, um sie zu untersuchen und von allem, was Takumi verstanden hatte, diskutierte man nun, ob man sie nach Hause schicken konnte oder nicht. Zwar hatte man ihre Wunden versorgt, doch ging es wahrscheinlich darum, ob sie unter Beobachtung bleiben mussten oder nicht. Es war ihm im Moment egal. Er fühlte sich unglaublich erschöpft und ausgemergelt. Zwar war er sich nicht sicher, ob er wirklich würde schlafen können, doch es fiel ihm auf jeden Fall schwer, die Augen offen zu halten. Kotemon saß auf dem Boden und hatte sich gegen Takumis Beine gelehnt, schien halb eingeschlafen zu sein. Schließlich kam eine junge Schwester zu ihnen. „Ihr könnt nach Hause“, meinte sie. „Wir haben eure Eltern angerufen, damit sie euch abholen...“ Die vier Jugendlichen nickten, während die Schwester, deren dunkles Haar unter einer Schwesternkappe größtenteils versteckt war, zögerte. Dann wandte sie sich Rin zu. „Du bist Okamura-san, richtig?“ Das blonde Mädchen nickte nur stumm, während Kunemon, das sich wieder um ihren Hals geschlungen hatte, die Schwester träge ansah, was diese für einen weiteren Moment zögern ließ. „Ähm“, begann sie so, offenbar etwas verängstigt wegen der Digimon, „wir konnten deine Eltern nicht erreichen. Weißt du, woran das liegen könnte?“ Rin antwortete nicht sofort. „Mein Vater ist auf Geschäftsreise. Wahrscheinlich arbeitet meine Mutter auch noch, oder so“, murmelte sie dann teilnahmslos. Die Schwester war verunsichert. „Hmm, ich werde mal mit dem Doktor reden, was wir mit dir machen...“ „Das müssen Sie nicht“, warf Ai schnell ein. „Sie kann sicher bei uns übernachten.“ Daraufhin ließ die Krankenschwester ein leises Seufzen hören. „Ich weiß nicht, ob wir das so machen dürfen...“ Sie sah die beiden Mädchen an. „Meine Eltern können sicher die Verantwortung übernehmen“, erwiderte Ai. „Das ist bestimmt kein Problem.“ „Darüber sollten deine Eltern dann mit einem der Ärzte sprechen“, antwortete die Schwester schließlich. Ai nickte und die Schwester wandte sich von ihnen ab. „Danke“, flüsterte Rin leise. Zur Antwort schenkte ihr Ai ein etwas müde wirkendes Lächeln. „Kein Problem.“ Dann sah sie zu Makoto, der sich mit zwei Stühlen Abstand zu ihnen gesetzt hatte und seinen Blick starr auf den großen Fernseher, der an der Wand des Warteraumes hing, gerichtet hatte. Sie holte tief Luft. „Makoto?“, fragte sie dann leise, doch er erwiderte nichts. Leise seufzte sie und tauschte dann Blicke mit Impmon aus. Dann schüttelte sie den Kopf. Auch Takumi sah nun mit müden Augen zum Fernseher, wo pausenlos über die Ereignisse berichtet wurde, auch wenn von diesen selbst kaum Videoaufnahmen existierten – was ihn wunderte, da es immerhin in einer Tourismus starken Gegend passiert war. Doch wer weiß, was Metamormon alles für Auswirkungen gehabt hatte. So starrte er auf den Bildschirm, ohne wirklich auf diesen zu achten. Er merkte, wie er langsam in einem unruhigen Dämmerzustand verfiel, ohne wirklich einzuschlafen oder sich auch nur richtig entspannt zu fühlen. „Takumi!“, ließ ihn schließlich die Stimme seiner Mutter aufschrecken. Er sah auf und sah sie auf ihn zulaufen. Sie kniete vor ihm und nahm ihn in den Arm. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht, als ich gehört habe, dass du wieder im Krankenhaus bist!“, meinte sie aufgebracht. „Was ist denn nur wieder passiert?“ Takumis Vater sah auf den Fernseher. „Ihr wart dort, oder?“, fragte er nun und sah die Jugendlichen einen nach dem anderen an. Zur Antwort nickte Takumi, den seine Mutter nun endlich losgelassen hatte. „Es tut mir leid, dass ich es euch nicht gesagt habe“, flüsterte er. Sein Vater setzte an, um etwas zu sagen, wirkte dabei aber nicht wütend. Dennoch war es Ai, die ihm das Wort abschnitt, noch ehe er zu sprechen begonnen hatte. „Wir haben den Mann, der für die Ereignisse da verantwortlich war, aufgehalten!“, rief sie, laut genug, als dass nun auch die anderen Menschen, die hier warteten, zu ihr sahen. „Wir haben ihn festgenommen! Auch Takumi! Ohne ihn hätten wir ihn wahrscheinlich nicht fangen können!“ Takumi selbst sah zu Boden, während sein Vater zögerte. „Ist das so?“ Ai nickte vehement. Für einen Moment sagte niemand etwas. Dann legte Takumis Vater ihm die Hand auf die Schulter. „Komm jetzt“, meinte er sanft. „Wir sollten nach Hause.“ Die Nacht schritt voran, während die Bergungsarbeiten und Untersuchungen in Chiyoda nicht ruhten. Bald war es schon halb elf, ohne dass Mitsuo das Gefühl hatte, dass etwas voran gegangen war. Zumindest wusste er noch immer kaum, was genau passiert war, beziehungsweise wie dies hatte passieren können. Mit Takato zu reden hatte keinen Sinn, da dieser offensichtlich unter Schock stand und auch der Begriff, den er von Ruki bekommen hatte, was nur bedingt aufschlussreich gewesen. So wusste er nun zwar, wie die Dinge grob abgelaufen waren, wusste, dass der selbsternannte Meister der Spiele, der mittlerweile von der Polizei fortgebracht worden war, erst etwas, das Ruki als eine Art Drohnen beschrieben hatte, innerhalb eines Digital Fields „beschworen“ hatte, welche dann die Digimon der verschiedenen Tamer, die am Turnier teilgenommen hatten, gelöscht hatten. Dann hatte sich offenbar das größere Wesen materialisiert und die Digimon hatten gegen es gekämpft, es aber nicht berühren können, ehe Takato eine rote Karte benutzt hatte und dann als Dukemon das Wesen vernichtet hatte – jedoch nicht, bevor dieses einige der anliegenden Häuser schwer beschädigt hatte. Derweil hatte offenbar Ai, die nun scheinbar mit Impmon verschmelzen konnte, den selbsternannten Spielemeister eingefangen. Und offenbar hatte Dukemon daraufhin versucht, diesen zu töten und war im letzten Moment vom plötzlich aus dem Nichts erscheinenden Slayerdramon davon abgehalten worden. Doch das alles waren nur grobe Angaben und was Mitsuo fehlte, waren die nötigen Details. Woher hatte der „Meister der Spiele“ die Technologie, selbst Digimon zu erschaffen? Was war das für ein Wesen, das all diese Zerstörung angerichtet hatte? Was für eine Karte hatte Takato benutzt, um dieses Wesen, Digimon oder was es auch immer gewesen war, zu besiegen? Und war die Karte oder das Monster für das Erdbeben und die anderen auftretenden Probleme verantwortlich? Er wusste, dass man ihn am Ende dafür verantwortlich machen würde, deswegen wollte er Antworten haben – und das so schnell wie möglich. Denn wer würde diese Antworten am Ende selbst vor anderen geben müssen. Wer war der Meister der Spiele überhaupt? Er hoffte innständig, dass man ihm die Möglichkeit geben würde, später mit ihm zu sprechen – auch wenn er diesen Menschen auch so bereits verabscheute. Für einen Moment schloss er die Augen. Er fühlte sich jetzt bereits erschöpft und er wusste, dass für ihn diese Nacht gerade erst anfing, denn in seiner Position konnte er es sich nicht erlauben, einfach nach Hause zu gehen. Immerhin war er genau für diese Dinge verantwortlich – für die Digimon. „Yamaki-chou“, hörte er eine Stimme und einer der Männer, die für Hypnos arbeiteten, stand hinter ihm. Mitsuo brauchte einige Momente, um sich zu sammeln. „Haben Sie Neuigkeiten für mich, Fujimatsu-san?“ Der Mann nickte. „Wir haben soweit alle Daten, die bisher Verfügbar sind gesammelt“, antwortete er. „Auch wenn wir noch keine Ergebnisse haben.“ „In Ordnung“, erwiderte Mitsuo. „Wenn sie irgendwelche Ergebnisse haben, sagen sie mir Bescheid.“ „Natürlich, Yamaki-chou“, erwiderte Fujimatsu. Dann zögerte er. „Da ist noch etwas...“ Mitsuo sah ihn an. „Was?“ „Die rote Karte, die Matsuda-san benutzt hat... Wir haben sie untersucht und nach allen bisherigen Erkenntnissen ist es kein Code, der aus einer unserer Datenbanken stammt“, antwortete der Informatiker zurückhaltend, aber Mitsuo nickte nur. Es war ihm auch so klar gewesen, dass es etwas anderes war – selbst wenn die Frage blieb, was dies für eine Karte war und woher sie kam. Am liebsten hätte er Takato angeschrien, bis er die Antwort hatte, doch er wusste, dass dies keinen Sinn hatte und er dabei zudem sein Gesicht verlieren würde. Er musste warten – warten, dass die Antworten von alleine kamen. Ob das ganze Chaos dieses Jahr auch noch einmal enden würde, fragte er sich, während Fujimatsu in einen der Wagen zurückkehrte. Das schlimmste war, dass Mitsuo innerlich froh war, dass all die Dinge dieses Jahr zumindest nicht in Shinjuku passiert waren – wo er lebte, wo seine Familie lebte. Er fühlte sich schlecht deswegen, immerhin waren hier nun andere Menschen betroffen, davon, dass der Kampfplatz sehr nahe am kaiserlichen Palast gewesen war, einmal ganz abgesehen. Gerade letzteres – das wusste er jetzt schon – würde noch für einige Probleme sorgen. Da fiel sein Blick auf einen weißen Automaten, der am Rand der Straße, in der ihre Wagen geparkt waren, stand. Noch war es nicht elf... Er seufzte. Er brauchte etwas, um diese Nacht nicht gänzlich die Nerven zu verlieren. So wandte er sich zum Wagen um und sah hinein. „Fujimatsu-san“, begann er, woraufhin der Informatiker aufsah, „Sie haben eine Taspo-Card, oder?“ Die Krankenhausflure waren leer, da die Besuchszeiten schon lange vorbei waren, und es war gespenstisch ruhig auf den Stationen, vom regelmäßigen Piepen einiger Überwachungsgeräte, dem Ticken einiger Uhren und den Schritten der Diensthabenden Schwestern, die ab und zu nach ihren Patienten sahen, einmal abgesehen. Denrei saß neben Shuichons Bett, dass in einem Zimmer der Station zur inneren Medizin stand. Eigentlich hätte auch er – nun, vor allem nicht er – hier sein dürfen, da ohnehin kein Besuch nach acht Uhr zugelassen war und er zudem nicht einmal mit Shuichon verwandt war, doch da sein Vater Stationsleiter der Chirurgischen war, hatte man ihn schließlich zu ihr gelassen. Dabei hatte es jedoch noch größerer Überredekunst bedurft, dass man auch die Digimon auf die Station gelassen hatte, da solche nicht allzu gern in Krankenhäusern gesehen wurden. Doch nun lag Lopmon neben Shuichons Kopf auf deren Kissen, während Dracomon sich unter dem Tisch in dem kleinen Zimmer zusammengerollt hatte und schlief. Auch Denrei merkte, wie die Müdigkeit ihn zu übermannen drohte, kämpfte jedoch dagegen an. Er wusste noch immer nicht, was mit ihr los war... Es war alles so schnell gegangen. Das Beben hatte sie in jener seltsamen Welt der Anomalie ergriffen und auf einmal war es gewesen, als würde ein elektrischer Schock durch ihre Körper fahren, ehe sie wie von einer fremden Macht fortgerissen worden waren. Ihm war selbst schlecht und für einen Moment schwarz vor Augen geworden, ehe er das Gefühl hatte zu Fallen und als er die Augen geöffnet hatte, hatte er Tokyo unter sich gesehen. Tokyo, das immer näher zu kommen schien. Shuichon war ohnmächtig gewesen und er hatte sie alle nur retten können, indem er mit Dracomon verschmolz. Dann hatte er eine mächtige Attacke gesehen und war so gerade rechtzeitig am Chiyoda Park angekommen, um zu sehen, wie Dukemon versuchte, einen Mann umzubringen. Im Moment war er verwirrt – verwirrt und besorgt. Er verstand so vieles nicht. Es war Juni und es waren beinahe zwei Monate vergangen, seit er und Shuichon in die digitale Welt aufgebrochen waren, doch nach seinem Empfinden – zumindest anhand dessen, wie oft es Tag und Nacht geworden war – waren sie kaum mehr als drei, vielleicht vier Wochen in der digitalen Welt gewesen. Und die Zeiten in beiden Welten vergingen gleich – zumindest sollten sie das. Davon, was im Chiyoda-Park vorgefallen war, hatte er fraglich nichts mitbekommen, so dass er immer noch verwirrt darüber war, was Takato dazu getrieben hatte, Dukemons Kraft zu nutzen, um zu versuchen einen Menschen zu töten. Zwar hatte Shoji mit ihm geredet, ihm einiges erzählt, doch er hatte nur mit halben Ohr zugehört, so erschöpft war er gewesen und so beschäftigt mit der Frage, was mit Shuichon los war. Diese lag nun friedlich vor ihm, die Nadel von einem Tropf in ihrer rechten Hand, und wirkte fast so, als würde sie nur schlafen. Dabei war er sich außerdem im Moment noch unsicher, ob er Janyuu eine Nachricht schreiben sollte, dass Shuichon hier war, oder ob er warten sollte, bis er wusste, was ihr fehlte. Er seufzte, wobei sein Seufzen am Ende in ein herzhaftes Gähnen überging. Er blinzelte. Es fiel ihm tatsächlich langsam schwer, noch länger wach zu bleiben. Vorsichtig nahm er Shuichons Hand in die seine, bedacht darauf nicht an die Nadel zu kommen. So saß er eine Weile – er hätte nicht sagen können wie lange – da und ging langsam in einen unbequemen Dämmerschlaf über, wobei ihm sein Kopf auf die Brust sackte, ehe er unbewusst den Kopf den Rand des Bettes legte. Er schreckte auf, als die Tür geöffnet wurde. Sein Vater kam herein. Yuki Nobou war ein groß gewachsener Mann, dessen ohnehin hageres Gesicht mittlerweile etwas ausgemergelt erschien. Er hatte kurzes, dunkelbraunes Haar und trug einen weißen Ärztekittel. In der Hand hatte er ein Notizbrett, auf dem einige Zettel befestigt waren. „Du solltest nach Hause gehen und dich ausruhen“, meinte er und sah seinen Sohn besorgt an. „Du brauchst Schlaf.“ Dieser schüttelte den Kopf. „Nein“, murmelte er mit matter Stimme, „ich möchte bei ihr bleiben.“ Yuki Nobou folgte dem Blick seines Sohnes, als dieser zu dem Mädchen wanderte. „Ihr fehlt nichts“, erklärte er dann und ging nun ganz zu Denrei, legte seine Hand auf dessen Schulter. „Ihre Werte sind alle normal. Sie ist wahrscheinlich nur erschöpft.“ Denrei ließ ein erleichtertes Seufzen hören, antwortete jedoch nicht. „Du musst dir keine Sorgen um sie machen“, fuhr sein Vater so schließlich fort. „Sie wird bald aufwachen und vielleicht etwas schwach, sonst aber gesund sein.“ Daraufhin nickte Denrei und sein Vater sah ihn für eine Weile nachdenklich an. „Du solltest wirklich nach Hause gehen“, meinte er, so sanft wie möglich. „Du bist auch erschöpft...“ Er seufzte. „Und eigentlich dürftest du nicht einmal hier sein.“ „Ich weiß“, murmelte sein Sohn schließlich. „Aber...“ Er führte den Satz nicht zu Ende. Für einen Moment schwieg sein Vater. „Sie bedeutet dir sehr viel...“ Denrei nickte. Da seufzte Yuki Nobu und ging zum kleinen Schrank, der an der Wand des kleinen Zimmers stand. Aus diesem holte er eine Wolldecke hervor und legte sie seinem Sohn über die Schultern. „Aber es ist eine Ausnahme“, meinte er dann nachdrücklich. „Danke“, flüsterte Denrei. Sein Vater erwiderte nichts, lächelte ihn aber sanft an. Dann wandte er sich ab und ging, nach einem letzten Blick, aus dem Zimmer. Denrei stützte sich mit den Armen auf den Rand des Bettes ab und sah noch einmal zu Shuichon, deren Gesicht unverändert friedlich war. Er holte tief Luft, dann bettete er seinen Kopf auf die eigenen Arme und war bald darauf eingeschlafen. Es war bereits kurz vor eins, als Mitsuo vor dem Hintereingang der Azabu Polizeistation in Minato stand und eine Zigarette rauchte. Er ärgerte sich über sich selbst, hatte aber das Gefühl, dass er ohne das Nikotin im nächsten Moment schreiend durch die Gegend laufen würde. Einer der Polizisten, ein Junior Kommissar, kam heraus. „Sie können jetzt mit ihm Reden, Yamaki-san“, erklärte er. „Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat.“ Mitsuo nickte, ließ die Zigarette zu Boden fallen und trat sie aus, ehe er dem jungen Kommissar in das Gebäude folgte. Im Polizeipräsidium waren viele Polizisten auf den Beinen und die Flure waren hell erleuchtet, da die Station die nächste, nicht evakuierte Station zum Ort des Vorfalls war. „Wir haben nun alle Daten“, meinte der ältere Hauptkommissar, der nun auf Mitsuo wartete, und reichte ihm eine offensichtlich in aller Hast erstellte Akte, auch wenn sein Blick deutlich sagte, dass er diese lieber behalten hätte. „Aber Sie sollten sich eventuell beeilen – das Militär will ihn später abholen.“ Mitsuo nickte nur und sah auf die Akte, die ihm im nächsten Moment beinahe aus der Hand fiel, als er den Namen sah, mit dem sie beschriftet war: Deguchi Masahiro. Nun spürte Mitsuo die Wut, die in ihm anschwoll. Er presste die Kiefer aneinander. Er kannte den Mann. Deguchi Masahiro hatte bis vor eineinhalb Jahren für Hypnos gearbeitet, ehe er gekündigt hatte und danach scheinbar verschwunden war. Mitsuo betrat den Verhörsaal, in dem der Mann, dessen Haar wirr war, während die Kleidung zerrissen und dreckig schien, mit den Handschellen an den Tisch gekettet saß und nicht mal aufblickte, als er hereinkam. „Deguchi Masahiro-san?“, fragte Mitsuo, der den Mann nun tatsächlich als diesen erkannte. Dieser sah nun, als die Tür sich hinter Yamaki schloss, auf: „Yamaki-chou“, begrüßte er ihn. „Ich habe mir schon gedacht, dass Sie mit mir sprechen wollen.“ Mitsuo starrte Deguchi an, dessen Blick vollkommen irr wirkte. Er hatte so viele Fragen, doch nun brauchte er erst einmal einen Moment, ehe er seine Gedanken genug gesammelt hatte, um diese zu stellen. Er wusste, dass man ohnehin alle Gespräche, die man hier führte, aufzeichnete. „Wieso haben Sie all das getan?“, fragte er schließlich und unterdrückte seine Wut. Deguchi starrte ihn nur an. „Warum nicht?“, erwiderte er, wie er es – auch wenn Mitsuo dies natürlich schon wusste – auch den Tamern gegenüber getan hatte. „Ich konnte es tun, wieso sollte ich es nicht tun?“ „Es sind wegen Ihnen Menschen gestorben – viele Menschen“, sagte Mitsuo, ruhig, aber mit Nachdruck. Der Mann ihm gegenüber zuckte nur mit den Schultern. „Wieso haben Sie dieses Turnier veranstaltet?“, fragte Mitsuo weiter. „Weil ich die Daten der Digimon dieser Kinder brauchte“, antwortete Deguchi, mit teilnahmsloser Stimme. „Dank meiner Arbeit bei Ihnen wusste ich dankbarer Weise ja von all den armen Kindern, die ihre Digimonpartner verstecken müssen und von deren Verzweiflung.“ „Wie haben Sie die Kinder gefunden?“ „Man muss nur wissen, wo man suchen muss, dann findet man sie schnell.“ Wieder zuckte Deguchi mit den Schultern. „Foren im Internet. Manche Orte in der Stadt...“ Diese Kinder sind überall. Mitsuo zögerte. „Ich nehme an, dass Sie die Daten der Digivices, die Sie von Ihrer Arbeit bei uns haben, benutzt haben, richtig? Sie haben diese mit sich geschmuggelt, als sie aufgehört haben, bei uns zu arbeiten.“ „Schon vorher“, antwortete Deguchi gelassen. Da ihm keine andere Wahl blieb, ignorierte Mitsuo den Tonfall. „Wie haben Sie es geschafft dieses Wesen zu erschaffen und zu materialisieren?“ „Ich habe die Daten der getöteten Digimon verwendet“, erwiderte der Mann. „Es war nicht sonderlich schwer.“ Er lächelte breit. „All das ist nicht schwer gewesen, sobald man eine Sache verstanden hat.“ „Und die wäre?“, fragte Mitsuo kühl. Deguchi ließ ein leises Lachen hören. „Sind Sie darauf noch nicht gekommen, Yamaki-chou? Mit all ihrem teuren Equipment und den vielen, vielen Forschern? Ach, bitte, und sei es nur mit ein bisschen Verstand. Sie müssen es doch verstanden haben, Yamaki-chou.“ Mit wütendem Blick sah Mitsuo ihn an, doch er lachte nur wieder. „Nun“, meinte Deguchi und gestikulierte mit seinen gefesselten Händen, so weit es ihm möglich war. „Die Sache ist eigentlich ganz einfach: Diese Welt, unsere Welt, die Welt der Menschen ist nicht real. Sie ist nicht anders, als jene ‚digitale‘ Welt da oben im Himmel. All das, was sie hier sehen, was sie fühlen – dieser Raum, die Wände, die Luft und auch diese Handfesseln – sind nur eine Simulation, eine Illusion. Das müssen Sie doch erkannt haben, Yamaki-chou.“ Ungläubig starrte Mitsuo ihn nun an. „Sie sind verrückt“, sprach er leise aus, was er ohnehin schon den gesamten Abend gedacht hatte, doch erneut lachte der Mann nur. „Ja?“, fragte er. „Bitte, Yamaki-chou, Sie müssen es doch bemerkt haben. ‚Digitale‘ Wesen, die sich hier ‚materialisieren‘? Kinder, die mit diesen ‚digitalen‘ Wesen in unserer vermeintlich materiellen Welt verschmelzen? Ich bitte Sie! Wie hatten Sie noch gleich den Materialisierungsprozess erklärt? Quantenteleportation? Glauben Sie daran wirklich? Und nun können wir jene Welt die ganze Zeit an unserem Himmel sehen – und Sie wissen genau so gut wie ich, dass es kein einfaches Hologramm ist.“ Darauf wusste Mitsuo nichts zu erwidern. Natürlich waren ihm ähnliche Gedanken schon oft in den vergangenen zehn Jahren gekommen. Denn während es vielleicht noch möglich war, die Materialisierung mit physikalischen Theorien zu erklären, so gab es doch so viel an den Digimon, das kaum zu erklären war. Allein die einfache Digitation der Digimon war nicht so einfach zu erklären, sobald sich diese in der realen Welt befanden – immerhin veränderten Sie ihre Gestalt, ihre Masse und ihre Eigenschaften in kürzester Zeit. Selbst die Attacken der Digimon waren nicht so einfach zu erklären – von der Verschmelzung von Mensch und Digimon gar nicht erst zu sprechen. Sein Zweifeln war ihm offenbar anzumerken. „Ich wusste doch, dass Sie es auch bemerkt haben“, meinte Deguchi und wirkte beinahe Schadensfroh. „Sehen Sie, Yamaki-chou, wir sind nicht real – wir leben nicht wirklich. Deswegen ist es unmöglich einen von uns zu töten. Weil wir ohnehin nie gelebt haben. Deswegen ist es egal. Es ist egal, was wir hier machen, weil es nicht real ist. Also: Wieso sollte ich nicht mächtig werden, wenn ich es möchte?“ Mitsuo sah ihn Fassungslos an. „Aber warum?“ Der Mann grinste nur. „Warum nicht?“ Daraufhin stand Mitsuo auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Einer der Kommisare wartete auf ihn. „Man kann mit ihm nicht reden“, meinte er und sah Mitsuo an. „Glauben Sie mir, wir haben es auch schon versucht.“ Der Angesprochene holte tief Luft, nickte dann, ehe sein Blick auf ein in einem Beweisbeutel eingetütetes Smartphone fiel, das deutlichen Schaden genommen hatte. „Das gehörte ihm, nicht?“ Der Kommissar nickte und noch bevor er etwas erwidern konnte, nahm Mitsuo die gesamte Tüte und ließ sie in der Tasche seines Jackets verschwinden. Der Polizist wollte protestieren, doch Yamaki sah ihn nur über die Gläser seiner Sonnenbrille hinweg an. „Hypnos ist Hauptleiter dieser Ermittlung“, sagte er und wandte sich ab. Er wollte wissen, was für Daten auf dem Gerät waren – und ihm wurde auch noch etwas anderes klar: Sie brauchten die Daten aus der Wohnung Deguchis, bevor das Militär sie bekam. So verließ er das Präsidium, sein Handy schon am Ohr, ohne zu ahnen, dass das Militär, wenn es einige Stunden später Deguchi aus seiner Zelle holen wollen würde, diesen erhängt vorfinden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)