Sweet Fifteen von Mounira ================================================================================ Kapitel 2: Zucker.Schock ------------------------ SWEET FIFTEEN II Im Wohnzimmer brannte die Stehlampe, wie Stan schon von weitem sah, als er sich seinem Zuhause näherte. Die Stehlampe und nichts weiter. Das konnte nur eines bedeuten: seine Mutter war schon wieder mit diesem komischen Frederic (oder Benedict oder wie auch immer ihr neuer Macker hieß) ausgegangen. Stans Theorie bestätigte sich, als er die Haustür verschlossen vorfand und wenig später beim Betreten der Küche einen kleinen Zettel auf der Anrichte entdeckte: Essen steht im Kühlschrank, bin spät zurück, blablabla Das Papier nur überfliegend, beförderte der Schwarzhaarige es umgehend in den Müll unter der Spüle. Stans nächster Griff galt dem Kühlschrank, wo tatsächlich ein Topf mit kalten Spaghetti in Tomatensoße auf ihn wartete. Eigentlich hatte er überhaupt keinen Appetit. Kenny hatte ihn in irgendeine völlig abgeranzte Frittenbude geschleppt, weil er den Besitzer kannte. Schon allein der Geruch dort erinnerte Stan spontan an etwas Verdorbenes, sodass er letztlich nur angewidert zugesehen und an einer Cola genippt hatte, als sich Kenny eine Portion Fritten und einen Döner zum special Freundschaftspreis reingezogen hatte. Das Dönerfleisch schien seinem Aussehen nach zu urteilen gar nicht dafür geschaffen, um vom menschlichen Körper verdaut zu werden. Stan hätte es, wenn er es denn tatsächlich gegessen hätte, aus reinem Selbstschutz wieder ausgekotzt. Kaum dass er nun den Nudeltopf aus dem Kühlschrank genommen hatte, klingelte das Telefon. Der Name seines Vaters auf dem Display ließ Stan tief Luft holen und mit sich ringen. Er könnte ja so tun, als sei er nicht Zuhause, aber irgendwie brachte Stan es nach dem vierten Klingeln doch nicht übers Herz. „Hi Dad“, meldete er sich ohne einen Funken Elan. „Stan, ist deine Mutter Zuhause?“ Anstelle einer Antwort, seufzte der Jüngere noch tiefer als zuvor und rollte mit den Augen. Das war die Art Gespräch mit seinem Vater, die er ab dem ersten Wort voraussehen konnte. „Nein“, hielt sich Stan also kurzangebunden, während er, das Telefon zwischen Kopf und Schulter festgeklemmt, den Topfinhalt auf einen großen Teller kippte und diesen danach in die Mikrowelle schob. „Und ich weiß auch nicht, wann sie wieder zurück ist. Hör zu, Dad: komm einfach nicht ganz zufällig in der Gegend vorbei und hab auch nicht ganz zufällig deine neue Freundin dabei. Okay?!“ Wenn Stan eines in den letzten Jahren zu hassen gelernt hatte, dann waren es diese verdammten Spielchen seiner Eltern. Mal lebten sie zusammen, dann trennten sie sich boshaft streitend wieder. Darauf folgten ewige Monate des Zornes und der Wut und die Versuche, sich mit anderen Partnern abzulenken. Während Sharon durchaus ein gutes Händchen dafür hatte, die größten Langweiler an Land zu ziehen (die aber immerhin Geld und Benehmen hatten), schien Randy nur wichtig zu sein, dass die neue Herzensdame jünger war als Sharon. Kaum hatte Randy eine solche Frau gefunden, kam er jedes Mal rein zufällig hier vorbei, da er rein zufällig etwas aus dem Keller oder vom Dachboden holen musste, was ihm gehörte und das von Sharon noch nicht zu Kleinholz verarbeitet worden war. Stan kotzte dieses elendige Spielchen noch wesentlich mehr an als jede noch so dämliche schulische Aktivität. Selbst das todlangweilige Sozialkundeprojekt im letzten Jahr war ein Segen gegen dieses widerliche Hin und Her, was seine Eltern veranstalteten. Heute stritten sie, morgen lagen sie sich wieder wie frisch verliebt in den Armen und schworen Stein und Bein, sich nie mehr zu trennen. Die „Versöhnungsessen“ lagen Stan stets so schwer im Magen, dass er sie die letzten drei Male postwendend wieder hoch gewürgt hatte, als er endlich vom Tisch aufstehen durfte. Das einzig Positive an seinem aktuellen „Familienleben“ war, dass seine sadistische Schwester bereits ausgezogen war, um andernorts Menschen das Leben zur Hölle zu machen. An Stans Ohr drang ein ertapptes Hüsteln. „Ähm.. so war das jetzt eigentlich nicht gedacht...“, versuchte sich Randy schlecht lügend herauszureden. Stan würdigte den Versuch mit einem ironischen „Nee, is’ schon klar“ und starrte manisch seinen sich drehenden Teller in der Mikrowelle an. „Möchtest du denn morgen mit mir und Alica in die Badewelt fahren? Wir können dich vormittags abholen und abends wieder Zuhause absetzen.“ Stans Herz schien einen Schlag auszusetzen. Sein Mund hatte sich geöffnet und das Kind in ihm wollte lauthals „Ja!“ rufen, denn schwimmen war immer etwas, was Stan gerne gemacht hatte. Früher waren er und sein Vater sogar häufiger an den Wochenenden in die große Badewelt mit all ihren Becken und Rutschen gefahren, doch jetzt verbot Stan sich jegliche Begeisterung. Seinem Vater ging es nicht darum, etwas mit seinem Sohn zu unternehmen. Stan fühlte sich lediglich ausgenutzt. Randys einziges Ziel war es doch, hier mit seiner neuen Ische aufzukreuzen und Sharon zu demonstrieren, sich wieder mal eine heiße Braut geangelt zu haben. Die Mikrowelle stieß ein lautes Pling aus. Stan spürte ein Loch aus Wut, Enttäuschung und Unfairness in sich aufschreien. Stumpf „Nein“ sagend öffnete er die Mikrowellentür. „Und nächste Woche kann ich auch nich’. Frag gar nicht erst, Dad.“ „Versteh schon. Es ist eben nicht cool, was mit seinem alten Herrn zu unternehmen...“ „Darum geht’s doch hier gar nicht!“ Die Enttäuschung, die Randy völlig unangebracht ausspielte, machte Stan rasend. Sein Vater seufzte jedoch nur laut und bedrückt. „Wie gesagt, ich versteh das schon. Mach’s gut, Junge.“ „Dad!“ Es war zu spät. Stan konnte bloß noch das laute Tuten in der Leitung vernehmen. Sein Vater hatte aufgelegt. Nein, schlimmer noch: er hatte Stan erst ein schlechtes Gewissen eingeflößt und ihn dann vor vollendete Tatsachen gestellt. Wie so häufig... Entnervt knallte Stan das Telefon auf die Anrichte und holte mit Hilfe eines Handtuchs seinen Teller aus der Mikrowelle. Die Nudeln gingen ihm hastig die Kehle hinunter. Stan hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, sich an den Tisch zu setzen. Stattdessen stand er an der Anrichte, blickte in den finsteren Garten hinaus und versuchte so laut zu schlingen, dass es die nagende Enttäuschung in seinem Inneren übertönte. Noch während Stan halbherzig die letzten Nudeln kaute, riss er den Küchenschrank zu seiner rechten auf und holte eine Packung Chocolate Chip Cookies heraus. Aus dem Kühlschrank fischte er einen großen Becher Vanillesoße und eine Dose Sprühsahne, um die Kekse zunächst in die Soße zu tauchen und dann mit Sahne zu garnieren. Die Frage, ob er hungrig war, stellte er sich schon gar nicht mehr. Welcher Amerikaner aß bitte, weil er bewusst hungrig war? Stan wusste unlängst, womit all das enden würde. Nach der großen Nudelportion und dem umfangreichen Nachtisch würde ihm übel werden. Aber noch war er so ausgiebig damit beschäftigt sich vollzufressen, dass er rein gar nichts mehr spürte – und das war es ihm alle male wert. „Alter, du bist so was von abgefuckt!“ Die Worte klatschten wütend gegen den Spiegel im Badezimmer. Stan blitzte die Gestalt ihm gegenüber mürrisch an, regelrecht verachtend, wenngleich das schwierig war, da der Junge rot verquollene Augen hatte. Stan war nicht zufrieden gewesen, ehe er sicher sein konnte, alles wieder hoch bekommen zu haben. Sein Hals tat weh, seine Finger taten weh, seine Augen hatten getränt und er hatte jetzt rund eine ¾ Stunde im Badezimmer verbracht. Kalte Nachtluft strömte durch das geöffnete Fenster hinein und trug den sauren Geruch hinaus in die Dunkelheit. Schweiß trocknete an seiner Stirn. Sein Bauch war ein unangenehmer Knoten. Kenny wäre jetzt sicher enorm stolz auf einen... Den Kopf hängen lassend, schleppte sich der Schwarzhaarige in sein Zimmer hinüber und fläzte sich auf sein Bett. Mit einer Hand tastete er nach der Fernbedienung neben seinem Kopfkissen, drückte die richtige Taste und vernahm gleich darauf das laute Gehabe von Werbung. Ohne hinzusehen wechselte Stan die Kanäle, bis er bei einem Musiksender ankam, der irgendwas Radiotaugliches spielte. Die Finger von Stans anderer Hand rutschten derweil in die Ritze zwischen Bett und Wand, um seinen geheimen Vorrat auf dem Boden zu erreichen. Stan konnte nicht sagen, seit wann er unter seinem Bett Süßigkeiten hortete, aber er tat es. Da unten dürften unzählige Schokoriegel, Marshmallowpackungen, kleine Fertigkuchen, Kekse, Chips, Erdnüsse und jede Menge anderes Zeug liegen. Er hatte keinen richtigen Überblick. Er kaufte nur dann und wann eine Fuhre und packte sie dort hin. Alles, was in irgendeine Weise schmeichelhaft aussah und daheim seine Stimmung heben könnte, faszinierte ihn genug, um es in den Einkaufswagen zu schmeißen. Weiche Marshmallows streichelten seine Finger, nachdem er nun eine Tüte gekonnt mit einer Hand aufgerissen hatte. Die zuckersüße Masse schmolz ihm beinahe auf der Zunge. Und darüber sollte er mit Kyle reden? Stan hörte abrupt auf zu kauen, als ihm Kennys Empfehlung in den Sinn kam. Seine Finger ließen die Marshmallows los, die sie gerade aus der Tüte ziehen wollten. Das Gesicht ins Kopfkissen pressend, verlor Stan einen klagenden Laut. Es war Freitagabend und er lag auf seinem Bett, sein Bauch fühlte sich merkwürdig gedehnt und aufgedunsen an, obwohl er relativ leer war – und anstatt mit anderen Leuten irgendwo Party zu machen, wollte Stan einfach nur in Ruhe irgendwelchen Süßkram in sich reinschaufeln. Na dafür würde Kyle sicher vollstes Verständnis haben! Erst recht, wenn Stan ihm erzählte, wie er den Süßkram wieder loswurde, wenn er der Ansicht war, sich überfressen zu haben. In sich gehend, rollte sich Stan auf die Seite und kehrte dabei seinem Vorrat den Rücken zu. Mit einem Griff in die Hosentasche holte er sein Smartphone hervor und peilte gleich darauf Kyles Namen in seinem Adressbuch an. Hi Alter, was geht bei dir am WE? Das war kurz und gut. Stan starrte die Buchstaben an und haderte mit sich: abschicken oder nicht? Das einzige, was ihn noch davon abhielt, war die Befürchtung, Kyle könne nicht antworten. Aber so hörte man ja auch nicht großartig was von ihm. Also was hatte man bitte zu verlieren? Mit einem finalen Tastendruck überwand sich Stan, die Nachricht zu versenden. Gleichzeitig kniff er die Augen zu und spürte leichte, stechende Kopfschmerzen. Er sollte sich nicht darüber wundern. Alles, was er heute unterm Strich zu sich genommen hatte, war eine Waffel zum Frühstück und eine Hand voll Marshmallows. Den Rest hatte er ja feierlich der Kanalisation übergeben. Das konnte nicht gesund sein. Seit wann war er nur so verflucht mit dieser Kotzerei beschäftigt? Warum hatte Kenny nicht eher was gesagt? War Weihnachten wirklich schon über ein halbes Jahr her? Fest bissen Stans Schneidezähne in seine Unterlippe und ließen ihn erstmalig klar darüber nachdenken, was er tat. Irgendwie hatte sich dieses Erbrechen so heimlich in sein Leben geschlichen und routiniert in seinen Alltag eingefunden... Es war gruselig. Vielleicht wäre man gar nicht so tief gesunken, wenn Kenny einfach mal früher seinen Mund aufgemacht hätte!? Stattdessen hatte er nur stumm zugesehen. Innerlich wusste Stan zwar, dass er seinem Freund keinen Vorwurf machen sollte, aber gerade verspürte er trotzdem einen gewissen Ärger. Es wurde kaum besser, als sein Smartphone nun vibrierte. Hi! Muss scheiße viel lernen... Was ganz Neues bei dir Was soll das denn jetzt heißen?! Sorry, ich dachte halt, du würdest dich für mich vielleicht mal für ein paar Minuten von deinen heiligen Büchern trennen! Stans Wangen loderten. Die Worte waren irgendwo aus seinem Bauch herausgeschossen und brannten den einst harmlos geplanten Chat zwischen ihm und Kyle gnadenlos nieder. Je länger Stan die Unterhaltung anstarrte, desto schäbiger fühlte er sich. Seit wann schrieb er wie ein Hitzkopf drauf los? Das sah ihm eigentlich gar nicht ähnlich... Kein Wunder, dass von Kyles Seite aus nichts mehr zurückkam. Man hatte es ordentlich verbockt! Stan gab das Warten auf, als sein Display nach einiger Zeit erlosch. Ob er sich entschuldigen sollte? Aber dann besser morgen. Am besten, er würde behaupten, besoffen gewesen zu sein. Ja, das könnte die unangenehme Situation noch halbwegs rechtfertigen. Aber auch wirklich nur halbwegs und Kyle wäre trotzdem noch wütend. Ein Magenkrampf brachte Stan letztlich dazu, sich stöhnend in seiner Bettdecke einzurollen und sein Smartphone auf seinen Nachttisch zu legen. Aus dem Fernseher quäkte immer noch Chartmusik, die er offiziell natürlich scheiße fand, inoffiziell aber durchaus gut ertrug. Dennoch mühte er sich, den Ton etwas runter zu regulieren. Es war das letzte, an das er sich bewusst erinnerte, bevor er einschlief. Das nächste, was in sein Bewusstsein drang, war ein leises, plötzliches Klicken. Das Gesicht der Wand zugedreht, stemmte Stan seine Augen ein Stückchen auf. Lichtreflexe und leise Laute des Fernsehers flitzten durch den Raum, doch davon abgesehen war es relativ still. Er musste geträumt haben. Das Klickern war vermutlich Teil seiner ausufernden Kopfschmerzen. Mürrisch presste Stan seine Augen wieder zu; er war so groggy, er könnte jetzt das ganze Wochenende durchschlafen... Klickklickklicker Im Nu sprangen seine Lider wieder auf. Dieses Mal war sich der Schwarzhaarige sicher, keinem Hirngespinst zu erliegen. Das feine Geräusch war direkt an seinem Fenster gewesen und das konnte eigentlich nur eines bedeuten...! Stan vergaß prompt Luft zu holen, als er die Decke eilig von sich runterschmiss, sich halb aufsetzte und seinen Vorhang beiseite zog. Schwindel riss an ihm und ließ ihn beinahe gegen die Glasscheibe fallen. Schwärze durchfurchte sein Blickfeld, doch er konnte eindeutig den Umriss einer Person erkennen, die dort unten im Garten stand und zu ihm hinauf schaute. „Kyle?“ Stans Stimmbänder waren belegt, der Name kam heiser und erstickt hervor. Die Augen angestrengt verengend, hätte sich Stan liebend gern selbst wach gerüttelt, doch stattdessen hielt er sich nur krampfhaft am Fenster fest, um nicht doch noch das Gleichgewicht oder gar die Besinnung zu verlieren. „Endlich, Alter! Türe aufmachen oder an dein scheiß Handy gehen ist wohl nich’ angesagt, wie?“ Kyle klang angesäuert, um es vorsichtig zu formulieren. Stan konnte mit dem Vorwurf nicht direkt etwas anfangen; sein Gehirn schien nicht recht zu funktionieren. Entweder er war zu müde oder das verdammte Organ hatte irgendwie nicht genügend Treibstoff zur Verfügung stehen, um tadellos zu laufen. „Äh... sorry.“ Dichte weiße Wölkchen stiegen auf, als Kyle erbost schnaubte und die kleinen Kiesel, die er in der rechten Hand hielt, zu Boden fallen ließ. „Und lässt du mich jetzt hier stehen oder darf ich vielleicht rein kommen?!“ „Äh ja, ich mach dir auf, Moment...“ Das Fenster ungelenk schließend, mühte sich Stan aus dem Bett. Sein Gleichgewicht schien ihm voraus und zerrte an seinen Beinen, ließ ihn aus seinem Zimmer taumeln und vorsichtshalber nach dem Geländer greifen, als er die Treppen hinab stieg. Wie tief hatte er denn bitte geschlafen? Wie spät war es überhaupt? Und, was wohl noch viel wichtiger war: warum war Kyle hier? Hatte er einem nicht vorhin geschrieben, noch so unglaublich viel lernen zu müssen? Stan rieb sich die Naselwurzel, während er den Schlüssel der Haustüre umdrehte und Kyle gleich darauf an ihm vorbei schneite. Schneidend kalt und das Gesicht puterrot. „Nich’ funny, Alter...“, murmelnd labte er sich an der Wärme des Hauses. Die Nächte in South Park waren eben nicht zu verachten. Kyles Hände rieben über seine Oberarme. Stan bekam unverzüglich ein schlechtes Gewissen. „Ich wusst’ ja nich’, dass du herkommst...“ Er klang emotionsloser als gewollt. Vermutlich, da er primär damit beschäftigt war, gerade zu stehen und nicht vom Schwindel übermannt zu werden. Kyles Augenbrauen sanken aggressiv tiefer. „Na wenn du mir wie so ’ne Vollpussy schreibst..!“ „Ich bin keine Vollpussy!“ Es war nicht möglich, auch nur ansatzweise so forsch zu klingen wie der Rothaarige. Stan lehnte sich heimlich an die Türe, um eine Stütze zu haben. Er bereute es, als er realisierte, von seinem Freund eindringlich gemustert zu werden. Kyle war nicht dumm. Stan wünschte, dem wäre so. „Bist du krank oder voll?“ „Keins von beidem.“ Es war ja nicht mal gelogen. Oder? Auf Stans Gesicht legte sich eine fleckige Röte, die sich in etwa so wohltuend anfühlte wie Säurespritzer. Hinter seinen Schläfen schien das Blut aufgewühlt zu pochen. Die Arme vorm Oberkörper verschränkend, trat Kyle einen Schritt näher. Gerade dicht genug, um an Stan zu schnuppern. „Oah...!“ „Was?“ Direkt noch eine Spur roter werdend, versuchte Stan nach hinten auszuweichen. Gleichzeitig hob er seinen rechten Arm ein Stück, da er vermutete, nach Schweiß zu stinken. Anders konnte er sich Kyles Reaktion nicht erklären. „Sorry... Deo hat versagt.“ Kyle schüttelte energisch den Kopf, noch bevor Stan überhaupt ausgesprochen hatte. „Hast du gekotzt?“ Stan glaubte, der Boden unter ihm täte sich auf und er würde einfach ins Nichts herab stürzen. Seine Augen weiteten sich, sein Puls ließ die 180 weit hinter sich und sein Herz drohte zu explodieren, weil er nicht fassen konnte, wie ihn Kyle das fragen konnte! Einfach so! Frei heraus! „Nein!“, stritt er mit zittriger Stimme ab. Kyle rollte daraufhin übertrieben mit den Augen. Seine Stimme fletschte in hitzige Höhe. „Jetzt lüg doch nicht! Ich riech das doch bis hier!“ So sehr er auch wollte, Stan bekam keinen Ton mehr heraus. Seine Lippen öffneten sich lediglich, aber an Worte oder gar Sätze war nicht zu denken. Alles Logische schien in weite Ferne gerückt. Kyle wirkte bedrohlich, obwohl er nicht sonderlich viel größer war. Stan kam sich lediglich unendlich klein vor. Klein, schwach und zu keiner gescheiten Ausrede oder Lüge mehr fähig. Sich eine Hand nervös in den Nacken legend, stammelte Stan etwas, das zumindest entfernt mit einem „Nein“ verwandt zu sein schien. Nebenbei loderte sein Gesicht und Kyle schien den hässlichen Argwohn langsam wegzupacken. War das gut? War das schlecht? Stan hätte gern ein Urteil darüber gefällt, aber Kyles Hysterie trat auf den Plan. „Stan?! Oh Mann, nicht umkippen, ist alles okay?! Willst du dich lieber hinlegen? Jetzt sag doch was!“ Das stellte sich der jüdische Junge so leicht vor! Stan hätte ja, wenn er nicht unter akutem Herzrasen und diesem starken Zittern gelitten hätte. Irgendwie war ihm das schnelle Aufstehen vorhin überhaupt nicht bekommen. Seine Beine fühlten sich an, als würden sie jeden Moment wegknicken und die Hauptlast seines Gewichts lastete nun auf Kyle, der sich einen von Stans Armen über die Schulter gelegt hatte und ihn stützend in Richtung Treppe geleitete. „Mir ist ’n bisschen komisch“, war alles, was Stan in seiner schieren Angst herausbekam, indessen sie die Treppe Stufe um Stufe erklommen. „Wird schon wieder, keine Panik! Alles wird gut! Gleich kannst du dich hinlegen. Nur noch einen kleinen Moment... So, wir sind schon da.“ Wie ein nasser Sack sank Stans Körper aufs Bett. Kyle tüddelte umständlich an Stans Kopfkissen und zog dann die Decke über ihn, sodass nur noch sein Gesicht hervorlugte. Die Luft im Zimmer wirkte aufgescheucht; Kyle verbreitete eine Atmosphäre wie eine Katze im Kanarienvogelhaus. Stan musste sich wirklich schleunigst wieder sammeln und sich dann etwas einfallen lassen. Magen-Darm-Grippe, Lebensmittelvergiftung oder sonst etwas, das mit der Wahrheit nichts zu tun hatte. 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