Meine kleine Sammlung von w-shine (One-Shot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 3: Was ist Freiheit? ---------------------------- Er fuhr die einzelnen Buchstaben ihres Namens nach. Sarah. Seine große Liebe. Er schloss für einen Moment die Augen und sah sie vor sich: ihr strahlendes Lächeln, die braunen Haare und die unglaublichen himmelblauen Augen. Manchmal hatte er das Gefühl, dass jemand in seinen Kopf geschaut hatte und sie aus seinem Traum gebaut hatte. „Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“ „Hmm… der Spiegel gibt mir nie eine wirklich überzeugende Aussage, aber auf einer Skala von 1 bis 10 wären es vielleicht… hmm… 4?“ Er lachte leise. „4? Wenn du die Zahl mit 2,5 multiplizierst, kommst du der Antwort näher.“ Keiner verstand es so wie sie, das Leben zu leben und einfach zu lieben. Für jeden hatte sie ein Lächeln übrig und jeder ließ sich davon anstecken. In ihrer Gegenwart fühlte er sich einfach nur gut, lebendig, locker… ja, er fühlte sich nahezu frei. „Was meinst du, Sarah, was ist Freiheit?“ Sie blickte ihn an und ihre Augenbraue wanderte in die Höhe. „Warum stellst du mir an einem schönen Samstagnachmittag so komplizierte Fragen?“ „Na ja,… alle streben immer nach Freiheit. Aber was ist das eigentlich?“ „Ach weißt du… lass mich einfach die Sonne genießen, ich denk da irgendwann anders drüber nach.“ Und das hatte sie. Das Thema Freiheit beschäftigte sie fortan häufig und ständig drehte sich der Gedanken in ihren Köpfen. Immer wieder kam er in ihren Gesprächen zum Vorschein und wollte erneut durchdacht werden und so fügten sich immer neue Ideen zu einem großen Mosaik zusammen und schrittweise kamen sie der Antwort näher. „Du.“ Sarah stupst ihn an. „Hmm…“ „Du hast mich doch neulich nach Freiheit gefragt.“ Sie schaute ihn erwartungsvoll an und er nickte ihr zur Antwort. „Ich bin heute über einen Satz gestolpert, der dir deine Frage vielleicht beantwortet.“ Sie fing an in ihrer Tasche zu kramen holte dann einen Zettel heraus. Er erkannte ihre enge, zarte Handschrift darauf. „George Orwell meinte: Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ Und so war das ihre erste Antwort auf seine Frage gewesen. Das musste bedeuten, dass Sarah frei war, schließlich war sie es, die den Leuten immer sagte, was sie dachte, was ihre Meinung war. Die anderen mussten dabei meist mit den Konsequenzen leben und ihre Worte verkraften. Doch bald änderte Sarah ihre Meinung zum Thema Freiheit wieder. „George Orwell hatte nicht Recht.“ „Was meinst du?“ „Ich habe heute einer Freundin erklärt, dass sie sich wie eine Furie aufführen würde und dass es so nicht weitergehen könne.“ „Und?“ „Und ich denke, dass sie nie wieder mit mir reden wird.“ „Und?“ „Was soll das bitte für eine Art Freiheit sein, die dazu führt, dass man, wenn man sie auslebt, andere, die einem etwas bedeuten, verliert?“ Wie Recht sie hatte, wie sie immer einfach nur Recht hatte. Man konnte nicht frei handeln, wenn man das Risiko einging, dabei etwas zu verlieren, was man nicht verlieren wollte. Man hielt sich zurück, schränkte sich ein. Das konnte Freiheit nicht sein. Aber natürlich fand auch dieses Rätsel seine Lösung. „Ich habe die Antwort.“ „Wirklich?“ „Es ist mal wieder eine Frau die Recht hat.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an und er deutete ihr mit einem Nicken, dass sie fortfahren sollte: „Janis Joplin: Freiheit bedeutet lediglich, dass du nichts mehr zu verlieren hast." „Das soll die Antwort sein?“ „Ja, erst wenn man nichts mehr hat, was man verlieren könnte, ist man wirklich frei, alles zu tun, was man will. Ansonsten geht man immer ein Risiko und das schränkt ein.“ Er lächelte. Ja, das war wohl die Antwort. „Aber weißt du, was das auch bedeutet? Wir werden beide nie wieder frei sein…“ Und das war richtig gewesen. Wie er es auch drehte und wendete, es gab für ihn tatsächlich keine bessere Antwort. Er fuhr wieder die einzelnen Buchstaben ihres Namens nach und danach das Datum von vor zwei Wochen, welches darunter stand. Langsam ließ er sich nach hintern in das Laub sinken und starrte auf den Stein. Hätte er gewusst, wie furchtbar frei sein war, hätte er es sich niemals gewünscht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)