Zuckersüße Zeiten von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich hätte nicht gedacht, dass man mich hört. Ich hätte nie geglaubt, dass die Dinge so kommen würden, wie sie sich letztendlich ergaben. Damals ist anderthalb Jahre her, aber ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen.   Es war ein schwüler Aprilnachmittag. Wir Schüler wurden in der obersten Etage gegrillt, während versucht wurde, uns philosophische Gedanken zu entlocken. „Klasse 11c! Ich erwarte, das Sie sich ein bisschen mehr Mühe geben! In einem Jahr wollen Sie mit Ihrem Abitur durch sein.“ Die Lethargie wurde allerdings erst durch das Pausenklingeln durchbrochen. „Sie bleiben sitzen!“ Herr Dorn war außer sich. Ich bewunderte seine Fähigkeit selbst bei dieser Hitze  die Energie für so etwas aufzubringen. „Ich bin nächste Woche nicht da.“ Erleichterung wogte durch den Raum. „Dafür werden Sie mir einen Aufsatz unter der Fragestellung „Ist der Mensch determiniert?“ schreiben!“ Jemand fragte, wie er sich das genau vorstellte. „ Möglichst auf einem Blatt Papier. Und da es um die großen Fragen geht, denken Sie über Freiheit nach. Ist der Mensch frei? Kann er es sein? Gibt es Schicksal? Und so weiter.“ Damit beendete er die Stunde und verschwand aus dem Raum. „Gibt es Schicksal?“, wiederholte ich ungläubig. „Wer will denn schon ein Leben, das ihm von Anfang bis Ende vorgegeben ist? Es gibt so viel was den Lauf der Dinge beeinflusst, da ist der Zufall ja wahrscheinlicher als das Schicksal.“   Doch auch wenn ich noch immer nicht glaube, dass es ein absolutes Schicksal gibt, so haben sich doch in den letzten achtzehn Monaten mehr Zufälle so zusammengefügt als mir je untergekommen ist.   Einige Zeit später handelte ich mir die Verachtung meiner Deutschlehrerin ein, weil ich ihr offen sagte, dass sie einen meiner Mitschüler diskriminierte. Sonderlich wichtig war mir ihre Anerkennung zwar nicht, aber ich war schon dankbar dafür, dass ich in den nächsten Wochen wohl einfach meine Ruhe vor ihr haben würde. Schon in der nächsten Stunde bei ihr ignorierte sie mich durchgehend. Aber wie gesagt großartig stören tat es mich nicht. Als ich jedoch von meinem Umweg über die Bibliothek wieder zurück in unser Klassenzimmer kam, fand ich an meinem Platz eine kleine Postkarte und eine dieser Traubenzuckeruhren. Ich sah mich um. Doch unter meinen lärmenden Klassenkameraden fand ich keine Antwort auf meine unausgesprochene Frage nach dem Urheber. Also ließ ich mich langsam auf meinen Stuhl sinken und betrachtete die Karte, auf der ein flauschig aussehender Engelsflügel abgebildet war. Ich drehte sie um. „Ein Engel ist gefallen. Dies ist für eine weichere Landung.“ Was zum Teufel?! Zumindest dachte ich das damals, während ich mir das süße Armband über das Handgelenk streifte. Während der Mathestunde würde ich es definitiv nicht brauchen.   Ich spüre wie eine Hand langsam meinen Arm entlang wandert und grinse unweigerlich.   Ich hatte das Armband schon fast wieder vergessen, als ich an meinen üblichen Platz in der Bibliothek zurückkehrte. Allerdings wartete dort schon wieder eine Überraschung auf mich in form von einem kleinen Flügelpaar, das dem auf der Karte sehr ähnlich sah. Daneben lag ein kleiner Zettel. „Ich hoffe es gefällt.“ Daneben ein Smiley. Wieder schaute ich mich suchend um, doch mit dem gleichen Ergebnis wie zuvor: Ich fand niemanden unter den Anwesenden, der aussah, als wäre er dafür verantwortlich. Immerhin kannte ich auch die wenigsten von ihnen. Dann fiel mein Blick auf die Uhr und mein Atem setzte für einen Herzschlag aus. Doch dann schüttelte ich den Kopf. Es war bestimmt nur ein Zufall, dass die Zeiten, die auf der Zuckeruhr und auf der der Bibliothek, identisch waren. Plötzlich erschien ein dampfender Becher vor meinem Gesicht. „Morgen“, sagte eine vertraute Stimme und ich hörte, wie Kevin sich in den Stuhl neben meinem fallen ließ. Auch er kam nicht umhin, das kleine Geschenk zu bemerken, und fragte: „Na, hat endlich jemand ein Auge auf dich geworfen?“ „Das glaubst du doch wohl selber nicht“, erwiderte ich peinlich berührt und ließ Notiz und Gabe schnell in meiner Tasche verschwinden. „Wie du meinst“, säuselte er. „Ach ich sag dir, Bio ist ätzend. Studier bloß nichts, wo man so viel pauken muss.“ Ich runzelte die Stirn. „Ich dachte, du findest es „megasupertoll“?“ Er seufzte. „Finde ich ja auch. Aber es passt so gar nicht zu meinem faulen Wesen.“ Wie immer packte er seinen weißen Block aus und fing an Skizzen darauf zu werfen. „Von wegen faul“, schnaubte ich. „Du bist ungemein produktiv.“ Er lächelte. „Danke.“ Damit war alles gesagt. Ich kehrte zu meinem Buch zurück und er zeichnete. Neunzig Minuten später stellte ich es weg und stand nach meiner Tasche greifend auf. „Willst du ihm nicht antworten?“ „Wem?“ Er verdrehte die Augen. „Na deinem Verehrer.“ „Erzähl keinen Quatsch“, erwiderte ich unwirsch und stürmte von dannen. Allerdings lenkte die Thematik mich dann doch etwas vom Chemieunterricht ab. Glücklicherweise hatten wir derzeit vor allem Theorie. Wer weiß, was ich sonst fabriziert hätte.   „Woran denkst du gerade?“, flüstert es neben mir. Ich lächele kryptisch: „An den Anfang.“   Auf die dritte Postkarte antwortete ich dann doch, denn diese Aufmerksamkeit war mir doch etwa suspekt. Entsprechend kurz fiel sie aus. „Wer bist du?“   „Aha.“ Wir hängen beide unseren Gedanken nach. Eine Hand streicht durch meine langen Haare. „Es hat zwar lange gedauert, aber es hat sich gelohnt.“   „Sag bloß, du hast mich vergessen? Und du könntest mir ruhig mal verraten, wie dir die Flügel gefallen haben.“ Den Zettel fand ich in meinem Spind. „Was sollte ich vergessen haben? Dass ich nen Stalker habe? Bisher hatte ich das Problem nicht“, ich hatte mit mir gehadert und dann schließlich noch ganz klein daneben geschrieben: „Ich mag sie.“   „Findest du?“ Ich bin mir noch jetzt nicht sicher, wie ich mir dieses Glück verdient habe.   „Du hast mir geholfen. Ich möchte mich revanchieren.“ Neben dieser Notiz lag wieder ein süßes Armband. Als Kevin sah, wie ich meine Antwort faltete und auf dem Tisch liegen ließ, mit der Warnung er solle sie bloß nicht lesen, nickte er nur spitzbübisch. „Wie hab ich dir denn bitte geholfen? Und was meinst du mit „revanchieren“?“   „Finde ich.“   „Das musst du schon selber herausfinden. Aber ich kann dir ein paar Tipps geben. Lass dich doch einfach überraschen.“ Dass wer auch immer das war auch noch unbedingt einen zwinkernden Smiley hinzufügen musste, schlug meines Erachtens dem Fass den Boden aus. „So? Und wo bleiben deine Hinweise? Ich weiß doch nicht, was mich noch erwartet!“   Ein kleiner, unschuldiger Kuss landet auf meiner Hand. Direkt neben dem Armband, an dem nur noch die „Zeitanzeige“ befestigt ist.   Die nächste Postkarte zeigte eine grinsende Katze. „Du hast jemanden für mich abgelenkt.“ Und in der nächsten Zeile stand: „Du brauchst keine Angst haben.“ Inzwischen war der Mai schon fast wieder um. „Wie hab ich wen abgelenkt?“ Und ein Stück darunter: „Wer sagt das?“   „Hey, lass mir auch etwas übrig!“, protestiere ich gespielt.   „Du hast einem Drachen die Chance genommen, Luft zum Feuerspucken zu holen. Ich sage das und du weißt es. Sonst würdest du nicht immer noch schreiben.“ Damit hatte ich zumindest die Gewissheit, dass er nicht zu den totalen Idioten in unserer Klasse gehörte. Allerdings blieben so noch die allgemein frechen Typen übrig, der Neue und die Schlauberger… Was sollte ich sagen? Ich gab mich möglichst wenig mit meinen Klassenkameraden ab. Ein paar Mädels ausgenommen, natürlich. „Und was hütet dieser Drache, dass er es mit Feuer gegen dich verteidigen müsste?“ Auf seine zweite Antwort wollte ich zuerst nicht eingehen, da ich mir ertappt vorkam. Andererseits konnte ich das schlecht auf mir sitzen lassen, vor allem da ich noch immer zweifelte. „Neugier war der Katze Tod.“   Jetzt fühle ich, wie er an meinem Handgelenk knabbert. „Das kitzelt.“ Aber gleichzeitig weiß er ganz genau, dass mir das auch einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt.   „Vorurteile. Einen ganzen Berg davon, wie ich mir hab sagen lassen.“ Ein missmutiger Smiley war daneben. Dann folgte in größerer Schrift. „Aber Neugier sorgt für Verständnis und besiegt Vorurteile. Deshalb wird sie von der Wahrheit verteidigt.“ Und daneben ein breites Lächeln. Das ich unwillkürlich erwiderte, obwohl da doch eigentlich niemand war. „Jetzt bist du albern.“ Er gehörte also definitiv nicht zu den Schlaumeiern. Gegen die gab es von Lehrerseite keine Vorurteile, gegen die man sie beschützen müsste. Zumindest hoffte ich das. Immerhin wollte ich wissen, wer dieser Typ war, auf dessen Nachrichten ich mich inzwischen freute. Denen ich erwartungsvoll entgegensah. „Die Wahrheit ist ein zweischneidiges Schwert“, schrieb ich dennoch und dann in der letzten Zeile. „Schöne Ferien!“ Ich malte ein kleines lächelndes Gesicht daneben.   „Ich weiß“, ertönt das Murmeln seinerseits und er zieht mich in eine Umarmung.   Als ich den Briefkasten öffnete, hätte ich nicht mit einer neuen Postkarte nebst Überraschung gewartet. „Ich wünsche dir auch schöne Ferien. Bzw. hoffe ich, dass sie für dich gut angefangen haben und gut weitergehen werden. Tut mir Leid, dass ich erst so spät geantwortet habe. – und ich war nicht albern… ich war ehrlich. Was die Sache mit der Wahrheit angeht, man muss sie wohl mit Samthandschuhen anfassen und viel Geduld aufbringen, aber dann ist sie wunderbar.“ Ich hatte das Gefühl, dass er in diesem Moment nicht nur von der Wahrheit sprach, verdrängte diesen Gedanken aber sofort, als ich mir die Karte noch einmal genauer ansah. Es war ein Foto vom Markt, allerdings stand dabei ein Filmplakat im Vordergrund. An der Karte war wieder eine Traubenzuckeruhr befestigt. Diesmal stand dort 21:37. Ich stand an der örtlichen Kinokasse, als ich Kevin sah. Ich lief auf ihn zu. „Was machst du denn hier?“ „Du bist also doch gekommen“, meinte er grinsend. „Was?! Sag bloß, du hast mich die ganze Zeit zum Narren gehalten!“ Ich spürte wie mir die Zornesröte ins Gesicht schoss. „Ruhig, kleine Lady“, lachte er auf. „Ich bin nicht dein mysteriöser Kartenschreiber. Ich bin nur ein Freund, der einem Freund einen Gefallen schuldig ist.“ „Wie? Was für einen Gefallen?“ „Das wirst du schon sehen. Komm mit.“ Ich zögerte kurz. Dann erinnerte ich mich an die Karte, auf der stand, ich brauche keine Angst haben. Ich vertraute Kevin. Also folgte ich ihm. „Kannst du mir nicht einfach sagen-?“ „Nein“, unterbrach er mich amüsiert. „Außerdem ist es so viel lustiger.“ „Ey!“, protestierte ich. Doch er lachte nur.   „Wieso hast du eigentlich nie etwas gesagt?“, frage ich ihn einmal mehr.   Wir waren zu seiner kleinen Wohnung gegangen, die so dunkel war, dass man die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Kevin machte auch keinerlei Anstalten, das Licht einzuschalten, als er mich zum Sofa dirigierte. „Warte hier. Wenn irgendetwas ist, ich bin nebenan.“ Ich stöhnte entnervt. „Männer und ihre blöde Geheimniskrämerei.“ „Lass uns doch“, erwiderte er mit einem neckenden Unterton. „Deshalb mögt ihr uns doch so. Außerdem sind Frauen doch wesentlich schwieriger zu enträtseln.“ Nach diesen Worten war er verschwunden. „Ja klar“, sagte ich lang gedehnt und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Mit einem Mal sprang der Bildschirm an.   „Hättest du mir geglaubt?“ Ich brauche darauf nicht antworten. Er weiß es. Er musste mich schließlich erst überzeugen. Was er alles dafür getan hatte. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie viel von dem Film ich damals mitbekommen habe, doch irgendwann zwischendrin, als ich fast Panik bekam, umfingen mich zwei starke Arme, die mir Halt gaben.   Als ich am nächsten Morgen aufwachte, waren die Rollläden hoch- und die Vorhänge aufgezogen, von der Kochnische wehte der Duft von Spiegeleiern herein, als ich mich verschlafen auf dem Sofa streckte. Neben mir knisterte etwas. Eine kleine Tüte mit den süßen Armbändern lag dort. An ihr hing eine kleine Karte, auf der ein süßer kleiner Hund abgebildet war. „Nur für den Fall. Wie fandest du den Film?“   „Wie viele Nachrichten haben wir eigentlich ausgetauscht, bevor wir uns richtig getroffen haben?“ „Für meinen Geschmack viel zu viele“, kommt die Erwiderung mit einem Grinsen.   Einer der Höhepunkte  war wohl die Abschlussfahrt. Ich hatte mich meinen Klassenkameraden doch etwas geöffnet, aber eine letzte Sicherheit bezüglich der Identität meines Notizzettelkumpels hatte ich noch nicht. Doch während unseres Aufenthaltes auf dem Schloss bekam ich immer wieder neue Nachrichten, sodass letztendlich nicht mehr viel Auswahl blieb. Am Vortag des Ballabends hatte ich von ihm erneut eine bekommen. „Zieh dir was Hübsches an – Ich will den ersten Tanz mit dir!“ Daneben wieder sein Zwinkern. Als sich dann die Dämmerung am großen Tag  über den Park senkte, in dem wir feiern würden, war ich fürchterlich aufgeregt. Und hätte ich eines dieser fürchterlichen Cocktailkleider getragen, hätte wohl jeder meine Knie zittern sehen müssen. So war ich einfach nur darauf bedacht, nicht auf die Nase zu fallen und näherte mich in meinem bodenlangen, dunkelgrünen Kleid der Tanzfläche. Ich hatte mich zwar darüber gewundert, dass ich diesmal sowohl eine Kette als auch ein Armband aus Traubenzucker bekommen hatte, aber was war in unserer Beziehung schon normal? Ich stellte mich neben die Figur eines tanzenden Engels und wartete dort auf ihn. Mit einem Mal hielt mir jemand eine Hand vor die Augen und hielt mich mit der anderen so fest, dass ich mich nicht hätte umdrehen können. „Heute also die Preisfrage: Wer steht hinter dir?“, hörte ich endlich die Stimme, die vorher zwar aus den Notizen gesprochen hatte, allerdings ohne meine Ohren zu verwöhnen. Ich spürte förmlich wie mein Lächeln zu einem regelrechten Strahlen wurde. „Dennis!“ Nun drehte ich mich doch glücklich zu ihm um. „Ich hab dir doch gesagt, dass sie nicht auf den Kopf gefallen ist“, ließ sich Kevin zu unserer Rechten vernehmen. Ich verpasste ihm einen Hieb in die Seite. „Autsch – ist doch nicht gelogen!“, lachte er. „Ab auf die Tanzfläche – ich will heute noch tausend Fotos vom Traumpaar schießen!“ Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen. Ich sah in die grünen Augen und vergaß die Zeit.   Ich öffne meine Augen, als mein Freund langsam das Armband von meiner Hand zieht und auseinander reißt, so dass er nur noch die kleine Uhr in der Hand hält. Dann schiebt er sie mir in den Mund. Ich grinse und tue so, als ob ich anfangen würde zu kauen. Dennis protestiert. „Hey, lass mir was übrig!“ Seine Stimme ist so… sanft. Ich würde mich am liebsten darin einwickeln lassen. Doch dass sie verklingt ist, dann auch wieder nicht so schade. Denn seine grünen Augen sind meinen wunderbar nah, als er seine Lippen auf meine legt. Es fühlt sich so an, als hätte es niemals anders kommen dürfen und in diesem Moment glaube ich, dass es vielleicht, ja vielleicht wirklich so etwas wie Schicksal gibt. Die Sonne scheint mir in den Rücken und ein leichter Wind streicht um uns, während wir auf dieser friedlichen Wiese sitzen und unsere süße Zeit miteinander teilen. ~Ende~ Ich hoffe, es gefällt. Flamer bitte Abstand halten, ansonsten ist jedwedes Feedback willkommen^^ Schönes Wochenende~ NyokoJT   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)