Wellington Arch von abranka (PW x AW) ================================================================================ Kapitel 1: Wellington Arch -------------------------- Percy verbrachte seine Mittagspause am liebsten im Hyde Park in der Nähe des Wellington Arch. Wenn er seinen Umhang nicht trug, fiel er hier nicht weiter auf. Es gefiel ihm, in der Nähe dieses Triumphbogens zu sitzen, den die Muggel im 19. Jahrhundert zur Erinnerung an die britischen Siege in den Napoleonischen Kriegen erbaut hatten. Er mochte die Aura dieses Monuments. Außerdem konnte er hier in den vielen Menschen ganz gut verschwinden. Nirgends war man besser allein als unter Menschen. Vermutlich war das auch der Grund, warum Tauben in den Städten gerne so große Schwärme bildeten: Die einzelne fiel nicht mehr weiter auf und konnte mit dem Schwarm vollkommen verschmelzen. Percy hatte eine freie Bank gefunden, biss von seinem Sandwich ab und starrte auf die Tauben. Sie waren eigentlich eine recht gute Gesellschaften. In ihrer Nähe konnte man seine Gedanken schweifen lassen und so lange man etwas zu Essen in der Hand hielt, blieben sie auch und hofften – in der Regel vergeblich, denn er wusste ja, dass Taubenfüttern in Muggel-London verboten war – auf etwas zu Fressen. Vielleicht zog es ihn immer in den Schatten dieses Monuments, weil auch für ihn ein gewonnener Krieg für immer Bedeutung haben würde. Der Krieg gegen Voldemort. Denn wenn er ehrlich war, war es nichts anderes als ein Krieg gewesen, auch wenn er die meiste Zeit über nicht vollkommen offen geführt worden war. Er schämte sich der Rolle, die er darin gespielt hatte. Er schämte sich, dass er so lange gebraucht hatte, um an der Seite seiner Familie zu stehen. Und er schämte sich, weil er überlebt hatte und nicht Fred. Fred hatte immer treu zu seiner Familie gestanden und es einfach nicht verdient, zu sterben. Müde schloss Percy die Augen. Er wusste nicht, wie oft er diese Gedanken schon gedacht hatte. Sie drehten sich stets im Kreis und am Ende war er niemals schlauer als zuvor. Und dennoch konnte er sie nicht verhindern. „Die Menschen sind wie die Tauben, findest du nicht?“, fragte auf einmal eine helle Stimme. Irritiert blickte Percy zur Seite und erkannte, dass er Gesellschaft bekommen hatte. Er war so in Gedanken gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie sich die junge Frau zu ihm gesetzt hatte. Hübsch war sie. Dunkle Locken, die ihr Gesicht einrahmten, und blaue Augen, die offen und etwas verträumt in die Welt blickten. Ihr Kostüm deutete an, dass sie in der Nähe arbeiten musste. Vielleicht bei einer der vielen Banken, vielleicht aber auch in einem der teuren Geschäfte. „Was?“, entfuhr es Percy verwirrt. „Na, die Menschen sind wie die Tauben“, wiederholte sie und sah ihn an, als wenn er begriffsstutzig wäre. „Sie schließen sich zu großen Schwärmen zusammen und darin fällt der einzelne nicht mehr auf. Ein Raubvogel kann in dem ganzen Gewimmel kaum jemand einzelnes ausmachen.“ Sie deutete zum Himmel, wo sich gerade einer der vielen Habichte zeigte, mit denen die Londoner Stadtverwaltung der Taubenplage Herr zu werden versuchte. „Und nirgends ist man besser allein als unter einer großen Menge seiner Artgenossen. Denn wie gesagt: Dort fällt man am wenigsten auf.“ Percy zog eine Augebraue hoch. Wie konnte diese Frau seine Gedanken so auf den Punkt bringen? „In der Tat“, sagte er langsam und blickte dann wieder auf die Tauben. Sie hatten den Habicht ausgemacht und wurden nervös. Ein Griff nur in seine Hosentasche, ein kleiner Zauber und der Habicht wäre fort. Aber natürlich tat er es nicht. Es wäre unlogisch gewesen. Hier unter all den Muggeln. „Du kommst oft hierher“, sprach sie weiter. „Ich habe dich die letzten zwei Wochen jeden Tag hier sitzen gesehen. Ich war vorher immer am Marble Arch, aber da ist es mir zu unruhig geworden, seit da die Schulklassen immer hinkommen. Hier gefällt es mir besser.“ Sie lächelte. „So?“, antwortete er einsilbig. Er wusste nicht, was er dieser äußerst lebhaften Frau erwidern sollte. „Oh ja. Rothaarige sind selten, weißt du. Und du trägst interessante Schuhe.“ Sie grinste und deutete auf sein Schuhwerk, dem Percy jetzt selbst einen verwirrten Blick schenkte. Dann seufzte er leise. George war es offensichtlich gelungen, bei seinem letzten Besuch im Fuchsbau einen zeitverzögerten Farbzauber anzuwenden. Und da man bekanntlich eher weniger auf seine Schuhe achtete, wenn man sie erst einmal an hatte, war es Percy natürlich nicht aufgefallen, dass seine sonst gewöhnlich schwarzen Lederschuhe purpur leuchteten. „Einer meiner Brüder. Er hat sich einen Scherz erlaubt.“ Percy verdrehte die Augen. „Oh, Geschwister sind etwas Tolles.“ Die junge Frau lächelte ihm zu. „Ich habe leider keine, deswegen beneide ich jeden darum.“ „Glaube mir, ich habe zu viele.“ Percy schaute sie wieder an. „Eine Schwester und fünf… vier Brüder.“ Er brach ab und musste die nächsten Worte regelrecht hervorwürgen. „Vier. Es sind nur noch vier.“ „Oh, das tut mir Leid.“ Spontan legte sie ihre Hand auf seine Schulter. „Schon gut. Du kannst nichts dafür.“ Sein Blick glitt hinüber zu den Tauben, die nun aufgeschreckt das Weite suchten. Der Habicht war ihnen zu nahe gekommen. Als sie sich auch am nächsten Tag wieder neben ihn setzte, fragte Percy sie nach ihrem Namen. „Audrey. Audrey Crowe.“ „Percy. Percy Weasley.“ „Percy.“ Sie lächelte. „Nach Parzival, was?“ „Eigentlich nach einem entfernten Großonkel, aber letztlich läuft es vermutlich auf Parzival hinaus.“ Er hob die Schultern und sie lächelte ihr bezauberndes Lächeln. „Du trägst die Schuhe noch“, stellte sie dann fest und deutete auf Percys Füße. „Ja. Irgendwie war mir nicht nach anderen.“ „Farbe ist gut.“ Audrey nickte ernsthaft. „Denn Farben können heilen und sie sorgen dafür, dass man sich besser fühlt.“ Ihre blaue Augen blickten ihn ernst an und er hatte das Gefühl, dass sie ihm direkt in seine Seele schauen konnte – und dass sie verstand. Percy bedachte sie mit einem langen Blick. Er war sich nicht sicher, ob er diesen Eindruck angenehm oder unangenehm fand. Er verspürte etwas von beidem. „Ich bezweifle, dass das für alles gilt.“ „Das habe ich auch nicht gesagt.“ Sie packte ihr Sandwich aus und nahm einen Bissen. Percy tat es ihr gleich und kauend schwiegen sie gemeinsam. „Ich mag die Tauben“, sagte Audrey schließlich. „Irgendwie schon, ja“, stimmte Percy ihr zu. „Auch wenn ich sie manchmal jämmerlich finde.“ „Nun, da du das aber nicht nur von den Tauben denken wirst, sondern auch und vor allem von den Menschen, sind sich Tauben und Menschen wieder einmal sehr ähnlich.“ Ihre freundliche Miene wurde ernst. „Aber du solltest aufhören, dich selbst jämmerlich zu finden, Percy Weasley. Denn das bist du nicht.“ Audrey erhob sich und ohne ein Wort des Abschieds schritt sie durch die Menschen und suchte zwischen ihnen zu verschwinden. Ganz gelang es ihr jedoch nicht, denn Percy verfolgte ihr türkisfarbene Kostüm mit den Augen, so lange es ihm möglich war. Er war sich trotz des plötzlichen Abschieds sicher, dass er sie auch morgen wiedersehen würde. Er hätte geschworen, dass Audrey Crowe so schnell nicht mehr aus seinem Leben verschwinden würde. Und das wiederum fühlte sich recht gut an. Percy musste einräumen, dass er wenig Freunde hatte. Seit er und Penelope sich getrennt hatten, war seine Liste an Freunden um hundert Prozent geschrumpft. Er wusste nicht, mit wem er sonst sprechen sollte, also flohte er Charlie in Rumänien an. Dieser war jedoch auf einer zweiwöchigen Tour durch das Reservat und konnte ihm also nicht mit brüderlichem Rat zur Seite stehen. Bill war zu Besuch in Frankreich bei Fleurs Familie. Somit kam nur noch eine einzige Person in Frage, um mit ihr zu sprechen: seine Schwester Ginny. Unkompliziert, wie sie war, lud sie ihn sofort in die kleine Wohnung von Harry und ihr im Südwesten Londons ein. Harry war mit Ron auf der Jagd nach Bösewichten, wie sie sagte, also hatten sie alle Zeit der Welt. Sie ließen sich in den Sesseln vor dem Kamin nieder und Ginny musterte ihren Bruder aufmerksam. Sein Anruf via Flohnetzwerk war unerwartet gekommen, aber er war ihr stets willkommen. Schließlich war er ihr Bruder. „Die Schuhe sind schön“, sagte sie lächelnd. „Die Farbe ist unerwartet, aber sie passen zu dir.“ „Danke. Georges Werk.“ Percy starrte auf die Schuhe. „Ist es komisch, dass ich sie nicht ändern will?“ „Nein, eigentlich nicht. Vermutlich waren sie vorher eh langweilig.“ Ginny grinste. „Wie ich“, stellte Percy trocken fest. „Percy, das habe ich nicht gesagt...“ Abwehrend hob sie die Hände. Ihr ging auf, dass Percy in einer wirklich seltsamen Stimmung war und ehe sie sich auf mögliches dünnes Eis vorwagte, wollte sie ihm erst in Ruhe zuhören. Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch Percy unterbrach sie. „Schon gut. Ich weiß doch, wie ich bin.“ Er schnitt eine Grimasse und sah seiner Schwester dann in die Augen. „Bin ich jämmerlich, Ginny?“ Oha. Das war offenbar eine ganz große Krise, in der sich Percy gerade befand. Oder vielleicht immer noch befand, seit er sich zwischenzeitlich von seiner Familie abgewandt hatte und erst in der großen Schlacht von Hogwarts zu ihr zurückgekehrt war – nur um den schweren Verlust ihres Bruders Fred gemeinsam zu tragen. Sie fragte sich, wie sehr sich Percy mit Schuldgefühlen quälte. Dass Freds Tod nun zwei Jahre her war, bedeutete noch lange nicht, dass die Wunden verheilt waren. Nein, das wirklich nicht. „Weißt du...“, antwortete sie zögerlich: „Vor einigen Jahren hätte ich sofort Ja gesagt. Weil du immer so perfekt sein wolltest, immer auf alle Regeln bestanden und darüber jeglichen Spaß vergessen hast. Mittlerweile jedoch verstehe ich dich. Ich meine, ich bin Quidditchjägerin. Es gibt Regeln, über die ich mich nicht hinwegsetzen darf, sonst werde ich disqualifiziert und meine Mannschaft verliert. Es hängt etwas davon ab. Und ich glaube, ich habe dich damals nicht verstanden. Ron, Fred und George haben dich auch nicht verstanden. Ich glaube, Bill und Charlie waren die einzigen, die es getan haben...“ Ginny legte die Stirn in Falten. „Aber jetzt... Ich glaube, du hast immer das getan, was du für richtig gehalten hast. Sicher hat es auch eine Rolle gespielt, dass wir es dir immer schwer gemacht haben und die Familie für dich nicht immer der Rückzugsort sein konnte, die sie für uns war. Aber jämmerlich? Nein. Ich finde dich wirklich nicht jämmerlich. Ich meine, du machst einen wichtigen Job im Ministerium. Du bist die rechte Hand von Minister Shacklebolt und besonders am Anfang hat er deine Hilfe doch sicher sehr gebraucht. Es war vom alten Mitarbeiterbestand doch kaum noch jemand übrig, der sich mit allem auskannte. Und du hast den Weg für neue Dinge geebnet.“ Ginny lächelte. „Ich bin mir sicher, dass du alles toll machst. Ich bin jedenfalls stolz auf dich.“ Percy hatte seiner Schwester zugehört und nun lächelte er verblüfft. Er hatte alles Mögliche erwartet, aber nicht das. „Wirklich?“ „Ja, Percy, wirklich.“ Ginny holte tief Luft und fügte hinzu: „Mum ist sowieso stolz auf dich. Und George hat neulich erst gesagt, wie toll es ist, dass du sein Bruder bist und ihm die Lizenz für diese Himalaya-Bonbons besorgt hast. Sogar Ron ist irgendwie stolz auf dich und sei es nur, weil er zwischendurch auf der Arbeit deinen Namen fallen lassen kann, damit irgendetwas für ihn einfacher geht.“ Sie grinste breit. „Sieh es ein: Deine Familie liebt dich und sieht dich ganz eindeutig weit weg von dem Begriff ‚jämmerlich‘. Darauf gebe ich dir auch jederzeit gerne Brief und Siegel. Und Mum auch. Na ja, George vielleicht und Ron wird alles abstreiten. Du kennst ihn ja.“ „Wow.“ Percy lehnte sich zurück und rückte seine Brille gerade. „Ich muss zugeben... Das hatte ich nicht erwartet. Eher eine Standpauke, dass ich so unglaublich langweilig bin und so weiter.“ „Hey, mit den Schuhen ist niemand langweilig!“ Percy musste lachen. „Auch wahr.“ „Und jetzt sag mir, warum du mit dieser Frage bei mir aufschlägst.“ Ginny beugte sich vor. „Da steckt doch irgendetwas hinter.“ „Na ja, es gibt da diese Frau...“ „Erzähl!“ „Tue ich doch, wenn du mich nicht unterbrichst.“ Ein Lächeln glitt über Percys Gesicht. „Aber vorher möchte ich nur sagen, dass es eigentlich vollkommen absurd ist, mit meiner kleinen Schwester darüber zu sprechen.“ Ginny grinste nur und verkniff sich dazu jeglichen Kommentar. Sie war gerade viel zu neugierig, als dass sie Percys Erzählung freiwillig verzögern würde. Kurz schilderte Percy, wie er Audrey kennengelernt hatte und wie sie seither jede Mittagspause gemeinsam am Wellington Arch verbracht hatten. „Sie gefällt dir“, stellte Ginny trocken fest. „Ja, sie ist einfach anders als alle anderen Frauen, die ich bisher kennengelernt habe. Sie ist lebenslustig, aber auch nachdenklich, und aufmerksam. Sie wirkt so... lebendig und...“ Percy brach ab, als er sah, dass Ginny breit grinste. „Mehr muss ich nicht sagen, oder?“ „Nein, musst du tatsächlich nicht.“ Ein leises Kichern entfuhr seiner Schwester. „Und jetzt? Was hast du vor? Immer weiter mit ihr zu Mittag essen?“ „Na ja, schon... Und sie vielleicht einladen...“ „Und herausfinden, ob sie eine Hexe ist?“ „Nun, das merke ich eh früher oder später. Es ist auch nicht weiter wichtig.“ „Das stimmt.“ Ginny lächelte. „Versuch es einfach.“ Percy war nervös. Er hatte im Blumenladen in der Winkelgasse eine kleine Fuchsie besorgt. Die purpurne Pflanze hatte er in einen ebenfalls purpurnen Übertopf gesteckt und dann noch einmal den Versorgungszauber kontrolliert. Dieser stellte sicher, dass die Pflanze in der Wohnung zurechtkam und nicht krank wurde oder vertrocknete. Diese Zauber waren sehr aufwändig und Pflanzen, die mit ihnen versehen waren, entsprechend teuer, weswegen er eigentlich nur für Zierpflanzen und ganz besonders seltene Heilpflanzen verwendet wurde, aber keine generelle Anwendung fand. Audrey schob sich durch die Menge und lächelte ihm schon von Weitem strahlend zu. Heute trug sie einen hellgrünen Rock und eine dunkelgrüne Bluse mit heller Borte. Sie hob sich aus der Menge so hervor, als wenn sie eine Sternschnuppe am Himmel wäre. Percy strahlte. „Hallo.“ Sie setzte sich neben ihn und blickte auf die Blume. „Sie ist für dich. Purpur.“ Er grinste. „Wie schön!“ Sie nahm die Pflanze an und bewunderte die hübschen Blüten. „Aber ich habe wirklich einen braunen Daumen...“ „Das macht nichts. Diese Pflanze ist genau die richtige für dich. Vertrau mir. Sie wird nicht eingehen.“ „Ich hoffe es. Es wäre so schade darum.“ Audrey lächelte und stricht vorsichtig mit den Fingerspitzen über eine der Blüten. „Oh und ich habe ein Buch für dich mitgebracht.“ Sie holte aus ihrer Handtasche ein abgegriffenes Taschenbuch hervor. Audrey arbeitete in einem kleinen Antiquariat, das ihrem Vater gehört hatte und das sie nun alleine weiterführte. „William Shakespeare, Sonette?“, fragte Percy. „Wer ist William Shakespeare?“ „Du kennst Shakespeare nicht?“ Audrey schaute ihn verblüfft an. „Das ist doch unser größter Dichter.“ „Äh, ja, sicher...“ Percy lächelte verlegen. „Literatur war noch nie meine Stärke.“ „Macht ja nichts. Jetzt kannst du diese Lücke schließen. Und wenn du magst, bringe ich dir gerne noch einige Bücher mit. Romane vielleicht.“ Audreys Augen funkelten vor Vergnügen. Die Aussicht gefiel ihr sichtlich. „Gern.“ Percy hatte den Gedichtband bald gelesen und war angetan. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Muggelliteratur so interessant sein konnte. Sie gefiel ihm. Und das wiederum traf genau auf Audreys Interessen. Sie konnte ihm Literatur näher bringen und ihm Empfehlungen geben, was er auf jeden Fall lesen sollte. Und er las genau das. Allerdings brachte sie auch immer wieder ihre Verwunderung zum Ausdruck, dass er die typischen Muggelschullektüren nicht kannte. „Weißt du, Percy, manchmal glaube ich ja, dass du hinter dem Mond gelebt hast“, sagte sie nach rund zwei Wochen. „Du kennst so vieles nicht oder hast dir nur oberflächlich etwas angelesen...“ Sie schüttelte den Kopf. „Bist du sicher, dass du in Groß-Britannien aufgewachsen bist?“ Percy verkniff sich einen Seufzer. Natürlich hatte Audrey es gemerkt, dass er sich zwischenzeitlich nur mal einige allgemeine Informationen zu Autoren wie Jane Austen, den Brontë-Schwestern und anderen angelesen hatte, um nicht wie ein vollkommener Deppe darzustehen. „Es ist...“ Er brach ab und begann erneut. Er hatte keine große Lust, sich wie ein Elefant im Porzellanladen oder eine Harpyie in einem Drachennest zu benehmen. Allerdings wusste er nicht, wie er ihr sonst alles erklären sollte. Vielleicht war der direkte Weg doch der einfachste. Immerhin war das hier die Audrey, die er in den letzten drei Monaten immer genauer kennen- und immer mehr schätzen gelernt hatte. „Deine Fuchsie blüht noch immer, nicht wahr?“ „Ja. Sie ist wirklich toll.“ Audrey lächelte, aber um ihren Mund lag dieser fragende Zug, den sie immer hatte, wenn sie etwas nicht auf Anhieb verstand. In diesem Fall war es die Frage, auf was genau er herauswollte. „Das ist Magie, Audrey.“ „Ich weiß.“ „Nein, wirklich. Es ist Magie. Ich bin ein Zauberer.“ „Ich weiß, Percy.“ Audrey schenkte ihm dieses Du-hast-doch-keine-Ahnung-Lächeln, das ihn jetzt vollkommen verwirrte. „Wirklich. Ich bin ein Zauberer“, wiederholte er, weil er den Verdacht hegte, dass sie ihn nicht richtig verstanden haben könnte. Woher sollte sie es denn wissen? Sie war doch ganz sicher keine Hexe! „Percy, ich gebe dir Brief und Siegel darauf, dass ich es weiß. Deine Schuhe, dein Verhalten, deine Unkenntnis in Muggel-Literatur. Natürlich bist du ein Zauberer. Ich bin zwar keine Hexe, aber...“ Sie schluckte kurz. „Ich bin eine Squib, okay? Mein Vater ist ein Squib, meine Mutter war eine Hexe. Meine Großeltern waren Hexen und Zauberer. Nur ich habe eben diese magische Gen nicht abbekommen. Keine Ahnung warum.“ Sie hob die Schultern. „Ich bin also quasi das schwarze Schaf der Familie und ehrlich gesagt, macht es mir mittlerweile nicht mehr allzu viel aus. Aber dadurch weiß ich eben, dass es eure Zaubererwelt gibt.“ Percy klappte den Mund zu. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie ihm die Kinnlade heruntergeklappt war. „Du...“ „Brief und Siegel darauf, Percy. Das ist ein Muggelspruch und bedeutet, dass ich es dir beschwöre, beurkunde und dir die Garantie darauf gebe.“ „Schon klar... Wow. Ich... Wow.“ Er sah sich kurz um, ob sie Aufmerksamkeit erregt hatten, aber die Muggel gingen noch immer an ihnen vorbei und schenkten ihnen so wenig Aufmerksamkeit wie den Tauben. „Und ich habe die ganze Zeit darüber gegrübelt, wie ich dir das sage!“ Audrey lachte. „Bist du mir böse, wenn ich dir sage, dass ich neugierig darauf war, wie du es tun würdest?“ Jetzt musste auch Percy lachen. „Du bist echt...“ Er schüttelte den Kopf. „Was? Verrückt? Durchgeknallt?“ „Nein, absolut einmalig.“ Er ergriff ihre Hand. „Audrey, lass uns ausgehen. Wohin du willst und wir machen, was du willst. Aber bitte – lass uns herausfinden, ob wir nicht noch mehr Zeit miteinander verbringen wollen als nur die Mittagspausen. Denn ich hätte dich gerne sehr viel mehr in meinem Leben als nur eine Stunde am Tag.“ „Hey, eine Stunde am Tag ist gar nicht so übel.“ Sie zwinkerte ihm zu und legte dann ihre freie Hand sachte auf seine. „Aber ich finde diese Idee auch schön. Denn, Percy Weasley, ich mag dich und deine purpurnen Schuhe richtig gerne.“ Sie holte Luft und fügte dann mit einem schelmischen Grinsen hinzu. „Und ich jetzt, wo du dich selbst längst nicht mehr jämmerlich findest, gefällst du mir noch viel besser.“ Sie stupste ihn mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. „Was?“ „Für mich war es nicht zu übersehen, dass sich bei dir etwas verändert hat, ehe du dich mir mehr öffnen konntest. Vielleicht erzählst du mir auch einmal von deinem verstorbenen Bruder und von all dem, was du als Kind so erlebt hast; jetzt, wo ich ja die Wahrheit kenne.“ „Ms. Audrey Crowe, wenn Sie nicht sofort aufhören, mich aufzuziehen, sehe ich mich gezwungen, Sie verhaften zu lassen“, empörte sich Percy gespielt. „Ah, Ministeriumsmitarbeiter. Nicht schlecht. Magische Strafverfolgung?“ „Rechte Hand des Ministers.“ Audrey pfiff durch die Zähne. „Das ist durchaus beeindruckend.“ „Nun... Und vielleicht solltest du bei Gelegenheit einmal meine Familie kennenlernen. Meine Schwester zuerst. Denn dann haben wir auf jeden Fall eine Verbündete.“ Jetzt musste Audrey wieder lachen. „Percy, Percy, wir wissen doch noch gar nicht, ob es funktioniert!“ „Audrey, wie könnte es nicht?“ Er ergriff ihre Hand auch mit seiner zweiten. „Mit jedem Satz, den du sagst, verliebe ich mich mehr in dich und möchte nichts weiter, als dass du immer bei mir bist. Du machst mich zu einem anderen, besseren Menschen. Du lässt mich vergessen, dass ich sonst eigentlich unglaublich langweilig bin und überhaupt nichts besonderes. Wenn du mich anlächelst, dann fühle ich mich aber so, als wenn ich der besonderste Mensch der Welt wäre“, entfuhr es ihm. „Hey, ich bin Buchhändlerin. Ich gelte als chronisch langweilig“, warf Audrey ein. „Wir ergänzen uns einfach ziemlich gut.“ Wieder trat diese amüsierte Funkeln in ihre Augen. „Du musst mir aber versprechen, dass ein etwaiger erstgeborener Sohn von uns den Zweitnamen Wellington bekommt – in Erinnerung an diesen wunderbaren Ort.“ „Darauf, meine Liebe“, erwiderte Percy mit dem gleichen Funkeln in den Augen, „gebe ich dir Brief und Siegel.“ Und dann küsste er sie, als wenn das das Selbstverständlichste von der Welt wäre. Und niemand schenkte dem jungen Paar auf der Bank neben dem Wellington Arch mehr Aufmerksamkeit als den Tauben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)