Es war ein unscheinbarer Morgen von Nightwatcher ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war ein unscheinbarer Morgen, als er erwachte und aus dem Fenster sah. Nebelbänke zogen sich über die große Wiese hinter seinem Grundstück, die noch unbebaut war. So lange er denken konnte waren diese Wiese und der Wald, der sie zur Hälfte einschloss geschützt. Er seufzte innerlich. Oft hatte er als Kind mit all seinen Freunden dort gespielt, war mit seinen Eltern spazieren gegangen oder hatte einfache Tannenzapfen und Eicheln gesammelt. Manchmal suchte er mit seiner Mutter nach Kräutern für Tee. Diese kleinen Dinge eben. Später, als er dann eigene Kinder hatte und mit seiner Frau in diesem Haus lebte, da boten Wald und Wiese noch immer die gleichen Möglichkeiten. Die Kinder genossen es, sich direkt aus dem Haus in ihre eigenen Abenteuer zu stürzen. Es erinnerte ihn immer an sich selbst. Cowboy und Indianer spielen, Ritter und Burgfräulein oder einfach nur Fangen und Verstecken. Seine Enkel würde hier nicht mehr spielen können. Während er so überlegte ging er ins Bad und machte sich für diesen Tag fertig. Noch vor seinem morgendlichen Kaffee verließ er das Haus durch den Hinterausgang. Die Hände in die Taschen gesteckt und den Kragen des Mantels nach oben geschlagen, um sich gegen die Morgenkälte zu schützen, machte er sich ein letztes Mal auf den Weg. Die Absperrung ignorierend ging er die ersten langsamen Schritte auf die Wiese. Er konnte unzählige Mauselöcher sehen. Um diese Tiere machte er sich weniger Sorgen. Sie waren anpassungsfähig. Es wäre verwunderlich, fänden sie keinen Weg in ein neues Zuhause. Die Vögel würden weiterziehen. Auch die Hasen. Als er die Mitte der Wiese erreichte, blieb er stehen. Sein Blick irrte über die wohl vertrauten Unebenheiten seiner Umgebung. Durch den Nebel konnte er gerade so den Waldrand als schwarzes Band erkennen. Dorthin wollte er gehen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis die Nebelschleier rissen und ihm den Blick auf einen gesunden Mischwald freigaben. Es war ein Jammer. Ohne großartig suchen zu müssen fand er den kleinen Trampelpfad, den er stets benutzt hatte. So auch an diesen Morgen. Nur lag dieses Mal ein Hauch von Bitterkeit in seinen Schritten. Nie hätte er gedacht länger als alles andere zu leben, nie. Bedächtigen Schrittes ging er den schmalen, von Wurzeln durchzogenen Weg entlang, der zudem auch noch uneben von einzelnen großen Steinen war. Mehr als einmal stolperte er, fiel aber nicht hin. Dieses Mal kam ihm der Weg kürzer als sonst vor. Regelrecht verwundert war er, als er sich auf der kleinen Lichtung wiederfand in deren Mitte eine Eiche stand, deren Äste so weit hinaus ragten, dass sie fast ein natürliches Dach über der Lichtung bildeten. Eigentlich war es schon keine Lichtung mehr. Trotzdem hätte der Platz für einen außenstehenden unwirklich, wie verzaubert gewirkt. Für ihn noch mehr. Dieser Platz hatte eine besondere Bedeutung. Feine Nebelschwaden zogen sich auch hier durch die Luft, doch behinderten sie die Sicht nicht sonderlich. Die Wurzeln der alten Eiche ragten aus dem Boden, so dass man unweigerlich auf ihnen laufen musste um den Stamm zu erreichen. Mit wackeligen Beinen balancierte er dorthin, zu seinem Ziel. Fast zärtlich legte er die Hände auf den Stamm, um sich schweratmend abzustützen. Aufmerksam betrachtete er die Muster, die Natur und Wachstum auf der Rinde hinterlassen hatten. Unbeständig ist die Welt. Dieser Baum hätte sich immer weiter verändert und doch wäre er der alte Baum geblieben… Als seine Augen müde davon wurden ging er um den Baum herum und legte den Kopf in den Nacken. Da war es, das Herz mit den Buchstaben J und E. Zittrig streckte er die Hand aus und fuhr mit den Fingern darüber. Wie lange war es her? Hier hatte er seine große Liebe zum ersten Mal geküsst; danach das Taschenmesser genommen und dieses Herz in den Baum geritzt. Hier war es nun, ein Denkmal für die Ewigkeit und doch war es nicht ewig. So viele Erinnerungen steckten hier. Es würden keine neuen dazukommen und die Alten würden mit ihm in Vergessenheit geraten. Bedauernd wandte er sich ab. So wie jetzt würde er sich nie wieder an sie erinnern können. Mit schweren Schritten verließ er die kleine, magische Lichtung und tappte den verwurzelten Pfad entlang auf die Wiese zurück. Der Nebel hatte sich soweit gelichtet, dass er die Umrisse seines Hauses erkennen konnte. Langsam, als hätte er alle Zeit der Welt bewegte er sich darauf zu. Er fühlte sich wie in Trance, schwebte noch immer in alten Erinnerungen. Durch diese Unachtsamkeit stolperte er und fiel. Die alten Knochen schmerzten und er fand lange nicht die Kraft aufzustehen. Bis sein Blick auf eine Pflanze viel. Eine Silberdistel… Es war ein unscheinbarer Morgen, als er erwachte und aus dem Fenster sah. Nebelbänke zogen sich über die große Wiese hinter seinem Grundstück, als die Maschinen kamen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)