Memori3s von _Myori_ ================================================================================ Die Gattin ---------- Es war spät, als Hades an diesem Abend vor ihrer Zimmertür aufgetaucht war und sie gebeten hatte, ihm in sein Büro zu folgen. Etwas skeptisch war sie dennoch mit ihm ohne große Widerworte mitgegangen. Wahrscheinlich wollte er ihr nur mitteilen, dass sie am nächsten Tag irgendwo anders irgendwen treffen würde, der sie in was auch immer unterrichten sollte. Von Hermes wusste sie, dass er heute ihrem gemeinsamen Chef, Hades, vorsprechen musste, da er wissen wollte, wie ihr Training mit dem jungen Schützen voranging. Persephone war nicht dumm und konnte sich selbst gut genug einschätzen, um den Ausgang des Gesprächs zu erahnen; Hermes hatte sich zwar nicht viel anmerken lassen, aber dass ihre Leistungen nicht ausreichend, geschweige denn als Fortschritt zu betiteln waren, hatte sie auch selbst gewusst. Ihre Laune hielt sich dementsprechend in engen Grenzen, als sie Hades die Gänge entlang folgte. Mit schlechtem Gewissen dachte sie kurz an Hermes und hoffte, dass man nicht zu streng mit ihm umgegangen war, dann öffnete der Mann vor ihr die schlicht gestrichene Bürotür und hielt sie ihr höflich auf. Sein Gesicht zierte das bekannte Lächeln, das er ihr immer schenkte, wenn sie ihn zufällig irgendwo in Olymp antraf oder er mit ihr reden wollte, und ein kleiner Teil ihres unwohlen und demotivierenden Gefühls fiel von ihr ab. Tapfer lächelte sie zurück. Sie wusste, dass Hades ernst und stets mit einer gewissen Erwartung den Mitgliedern seiner Organisation gegenübertrat, was ihm einen gewissen Ruf von Härte und Autorität eingebracht hatte; ihr gegenüber allerdings ließ er diese Maske regelmäßig sinken, und zeigte ihr eine umsorgende und freundliche Seite an ihm, die ihm wohl viele Männer gar nicht zugetraut hätten. Persephone hütete dieses seltene Privileg stolz und zog daraus die Stärke, hier unten nicht völlig durchzudrehen oder zu versagen. „Wir haben heute Abend über dich gesprochen, Persephone“, begann Hades ohne große Umschweife und bot ihr lächelnd einen Stuhl an. Wer ‚Wir‘ nun genau war, schien er ihr nicht verraten zu wollen, allerdings konnte sich Persephone schon denken, wer dem Gott alles Bericht erstatten musste. „Und ich bin zu einer Entscheidung gekommen.“ Aha. Also doch. Mutlos presste sie die Lippen aufeinander und unterdrückte den Drang, sich seufzend durch die Haare zu fahren. Um sich nichts anmerken zu lassen, lächelte sie weiter und tat erwartungsvoll. „Ich denke, dass du für Missionen außerhalb von Olymp … leider nicht geeignet bist. Ich sehe deine Stärken woanders.“ Bei seinen Worten zog sie die Brauen verunsichert zusammen und als er ihren veränderten Blick bemerkte, bekam sein Gesicht etwas beschwichtigendes und stumm stellte er einen schwarzen Laptop direkt vor ihr auf den Tisch, was ihr Stirnrunzeln allerdings nur noch tiefer werden ließ. „Ich möchte, dass du mir in Zukunft bei den anstehenden Recherchearbeiten zu Missionen assistierst.“, sagte er ruhig. „Bis jetzt habe ich das alleine gemacht, aber ich denke, es ist an der Zeit, dass ich jemand Neues anlerne.“ Diese Eröffnung ließ sie stocken und dann verwirrt Luft holen. Sie und Computer? Recherchieren? Als sie seinen erwartungsvollen Blick bemerkte, zwang sie sich zu einem Nicken und griff mit kaltgewordenen Fingern nach dem Laptop. Unsicher, ob sie nur träumte oder sie tatsächlich hier saß, befeuchtete sie ihre Lippen mit der Zungenspitze und runzelte wieder die Stirn. „Das … muss doch immer sehr zeitaufwendig gewesen sein, das alles alleine zu bewerkstelligen. Olymp hat doch genügend Leute, warum haben Sie sich nicht schon früher Hilfe geholt?“ Warum ausgerechnet mich?, fügte sie in Gedanken verwirrt hinzu. Hades‘ Blick wurde mit einem Mal härter. „Weil ich bis jetzt niemanden soweit vertrauen konnte.“ Er machte eine auslandende Handbewegung und fasste kurz sein ganzes Büro in seinen Blick. „Ich habe das alles hier mit aufgebaut, ich kenne die Akte von jedem Mitglied, ich vergebe mit Zeus die Aufträge, und diese Quelle, mein Wissen, teile ich nur ungern oder überlasse sie Leuten, denen ich nicht vollends vertrauen kann.“ Seine Augen verengten sich im leichten Argwohn, der Persephone schlucken ließ. „Und das trifft auf so gut wie jeden Menschen hier zu. Zu oft musste ich mit ansehen, wie Menschen, denen ich etwas anvertraut habe, mir in den Rücken gefallen sind; das hinterlässt mit der Zeit Narben. Ich bin schon immer ein misstrauischer Mensch gewesen.“ Sie hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen. Müsste sie sich jetzt geehrt fühlen, dass er nun ausgerechnet sie in sein Handwerk einarbeiten wollte? Ihn bemitleiden, dass die Welt ihn so oft enttäuscht hatte? Persephone holte tief Luft und wollte sich so noch etwas Zeit zum Nachdenken verschaffen, doch Hades gab ihr nicht einmal die Chance zum Antworten „Und dass ich dich nun einweihe, bedeutet nicht, dass ich bereit bin, dir zu vertrauen.“, unterbrach er sie barsch. Als er sah, wie sehr seine Worte Persephone verunsicherten und zusammensinken ließen, glätteten sich seine Züge ein wenig. Kurz schloss er seine Augen, dann fixierte er sie erneut ernst und bestimmt. „Ich bringe dir die harmlosen Sachen bei, bei denen ich mir sicher sein kann, dass du mit diesem Wissen mir oder der Organisation nicht schaden kannst. Du wirst von mir lernen, wie man an den Grenzen zum Illegalen entlang an Informationen über Personen rankommt, und du wirst mir helfen, die Missionen, an denen meine Männer, also Olymps Schützen, beteiligt sind, zu organisieren.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als wolle er damit seine vorangegangene ruppige Art wiedergutmachen. „Damit wäre mir schon sehr weit geholfen.“ Persephone schwieg erst einen langen Moment lang, dann jedoch nickte sie. „Ich werde mein Bestes geben.“ Hades‘ Lippen verzogen sich in gewohnt freundlicher Manier und das beflügelte auch sie innerlich ein bisschen. Hades hatte seine Eigenarten, aber wer hatte die nicht? Mit ihm zu arbeiten würde bestimmt nicht viel leichter werden, als mit Hermes oder Herk, aber sie schöpfte aus diesem warmherzigen Lächeln neue Zuversicht. „Hades?“ Er sah fragend auf. „Ja?“ Zum ersten Mal seit langem grinste sie aus vollem Herzen „Ich werde Ihnen beweisen, dass Sie mir vertrauen können!“, versprach sie selbstsicher und zuerst schien Hades diese Reaktion zu verwundern, doch dann lächelte er breit zurück, dass seine geraden Zahnreihen sichtbar wurden. „Das wäre wundervoll.“ Das ‚simple‘ Recherchieren in legalen Grenzen erwies sich als anstrengender, als zuvor von Persephone angenommen. Zu Beginn erhielt sie von Hades lediglich einen Namen und ein Foto des Gesuchten, ein Standbild einer Überwachungskamera, und mit diesen spärlichen Angaben durchforstete sie beinahe eine Stunde lang Datenbanken, Zeitungsartikel und Seiten der Polizei, ohne dabei auf bedeutende Informationen zu stoßen. Hades gab ihr immer mal wieder Hinweise und verriet mit der Zeit mehr Angaben über die Zielperson, welche vor kurzem als ein Spion der Regierung entlarvt worden war, der sich für Wochen in die illegale Waffenszene der Stadt eingeschleust hatte. Aber weder fand sie genauere Angaben über seine Vergangenheit, noch bekam sie den richtigen Namen des seit zwei Tagen vom Erdboden verschluckten Mannes heraus. Als sie dann nach einiger Zeit des weitestgehend erfolglosen Suchens lustlos durch die gepostete Bildergalerie einer Polizeistation irgendeines kleinen Bezirkes scrollte, blieb sie an einem älteren Gruppenfoto mit den Augen hängen und setzte sich aufrechter hin. Eine knapp fünf Jahre jüngere Ausgabe ihres Zieles lächelte ihr freudestrahlend entgegen und präsentierte stolz seine eben erhaltene Dienstmarke. Euphorisch lächelte sie zurück. „Ich hab ihn!“ Sofort stand Hades hinter ihr und nickte anerkennend. „Sehr gut, das ist ein vielversprechender Anfang.“ Seine Worte ließen ihre Mundwinkel wieder nach unten sacken. Ein Anfang? Nur? Wie lange hatte sie nun für diesen Anfang gesucht? Sie schnaubte leise und hoffte, dass Hades ihr schmollendes Gesicht nicht in dem Bildschirm ihres Laptops widerspiegeln sah. Sieh es positiv, nun hast du eine Spur und vielleicht schon bald einen Namen, sprach sie sich aufmunternd selbst zu und durchsuchte die gefundene Quelle nach einer Namensliste der Absolventen des entsprechenden Jahrgangs. Zwölf Absolventen, Zehn Namen. Natürlich hatte man nachträglich die Namen der Männer, die für Inkognito Aufträge weitergebildet wurden, aus der Kartei entfernt; ganz unvorsichtig und dumm war die Polizei auch nicht, auch wenn viele Mitglieder von Olymp diese so darstellten... Seufzend grub sie sich tiefer in die Archive. Irgendwo gab es bestimmt noch Hinweise auf diesen verdammten Kerl! Doch ihre Recherche fand nach weiteren zwei Minuten ein jähes Ende: ein Eingabefenster prangte im nächsten Moment über der Seite, die sie eigentlich öffnen wollte, und verlangte nach einem Passwort. „Verdammt“, zischte sie leise und strich sich einige Strähnen aus der Stirn. Wieder tauchte Hades neben ihr auf und schmunzelte. „Warte, ich helfe dir.“ Er beugte sich über ihre rechte Schulter und griff von beiden Seiten an ihr vorbei, um mit kurzen Handgriffen ein Programm zu öffnen. Die plötzliche Nähe ließ sie erstarren. Sie spürte Hades‘ Hemdkragen an ihrer Wange kitzeln und eine herbe Duftmischung aus Duschgel, Kaffee und dem individuellen Eigengeruch eines jeden Menschen stieg ihr in die Nase. Ungewollt begann ihr Herz zu rasen. Hades schien von ihrer Anspannung nichts zu bemerken. Ohne großes Zögern tippte er einige Kürzel in ein Feld des Programmes ein und gab den Befehl zur Passwortsuche. Schneller, als Persephone mit bloßem Auge gucken konnte, huschten Zahlen- und Buchstabenkombinationen über den Bildschirm. Endlich richtete sich Hades hinter ihr wieder auf, ging um den Tisch herum und setzte sich zurück in seinen Drehstuhl. Für einen kurzen Moment atmete sie ihr unwohles Gefühl aus, nur um im nächsten Augenblick blinzelnd auf das zu starren, was sich vor ihr auf dem Bildschirm abspielte. „Und wie lange braucht das … Ding nun, bis es das Passwort geknackt hat?“ Hades hatte sich in der Zwischenzeit wieder seinem eigenen PC zugewandt und sah konzentriert auf den Bildschirm. Er hob nicht den Blick, lediglich ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen. „Je nach Passwortlänge fünf bis zehn Minuten.“ Verblüfft starrte Persephone auf das Fenster. „Aber … das ist doch bestimmt illegal!“ Hades‘ Grinsen wurde noch breiter. „Unsere ganze Existenz ist illegal, meine Liebe.“ Das unwohle Gefühl breitete sich wieder in ihr aus. Natürlich hatte sie nie gedacht, dass an Olymp irgendetwas gesetzlich korrekt sei, aber nun selber auf solchen Pfaden zu wandeln, war noch eine Spur unheimlicher. „Und wenn jemand nun bemerkt, dass wir uns zu dieser Seite Zugriff verschaffen, indem wir sie hacken? Das … tun wir doch gerade, oder?“ „Keine Sorge, ich habe Maßnahmen einprogrammiert, sodass es unmöglich ist, unsere Wege zurückzuverfolgen.“ Seine Worte ließen sie aufhorchen. „…Sie haben das programmiert?“ Nun sah Hades doch von seinem Computer auf. Etwas blitzte vergnügt in seinen hellen Augen auf. Er antwortete ihr nicht, allerdings sprach sein breites Grinsen ausreichende Worte. Persephone brauchte noch zwei weitere Abende, bis sie den Agenten zu nahezu hundert Prozent durchleuchtet hatte. Sie kannte seinen richtigen Namen, seine Anschrift, sie wusste sogar um seine Vorliebe für billige Hotels in der Umgebung, in denen er häufiger mit Begleitung gesehen wurde; er kannte sich in diesen Kreisen aus, wahrscheinlich ist er deshalb auch mit der Aufgabe, die Waffenszene zu beschatten, betreut worden. Stolz präsentierte sie ihre mehrseitige Analyse Hades, der ebenfalls sehr zufrieden mit ihren Ergebnissen zu sein schien. „Ich bin beeindruckt“, gab er lächelnd zu. „Du scheinst ein Händchen für Recherchen zu haben. Mein Gefühl hat mich also nicht getäuscht.“ Sein Lob trieb ihr die Wärme in die Wangen und verlegen senkte sie die Augen, ihr breites Grinsen nahm allerdings noch weiter zu. Es tat gut, nach so langer Zeit endlich eine positive Bestätigung zu erhalten, etwas richtig getan zu haben. „Du bist erstaunlich, Persephone.“ „Naja, ich denke, Sie hätten viel weniger Zeit benötigt, um-“ „Nein, das meinte ich nicht.“ Hades‘ veränderter Tonfall ließ sie innerlich stocken und verwirrt musterte sie ihn. Ihr Gegenüber sah ihr fest in die Augen, sein Gesicht eine undurchdringbare Maske. Etwas an ihm ließ ihr Herz einen schnelleren Rhythmus anschlagen. Als er keine Erwiderung erhielt, fuhr Hades ruhig fort: „Du bist wunderschön. Das sollte man dir häufiger sagen, weißt du? Nicht so, wie die anderen hier es sagen. Nicht so plump.“ Er verstummte kurz, als wartete er auf etwas ihrerseits, doch Persephone brachte keinen Ton heraus. Mittlerweile brannte ihre Gesichtshaut. Hades erhob sich aus seinem Stuhl und ging an ihr vorbei durch den Raum. „Ich weiß, dass dich viele hier ansprechen“, begann er auf einmal in ihrem Rücken, sodass Persephone sich schnell zu ihm umdrehte. Er steuerte auf die Tür zu. „Stört dich das? Nerven dich die niveaulosen Annäherungen?“ Hades blieb stehen, sah sie, weiterhin hinter seiner Maske versteckt, an. „Wenn du mich fragst, hast du so ein Verhalten nicht verdient.“ Wie von selbst begannen ihre Finger an dem Saum ihres Shirts zu nesteln und nervös wandte sie den Blick ab. Was sollte das auf einmal? Ihr Kopf glühte immer noch, ihr Herz raste, doch etwas zog sich in ihr schmerzhaft zusammen. Seine Fragen wurden ihr unangenehm… Um Worte ringend schnappte sie nach Luft. „Es stört mich zwar, aber … aber es gibt schlimmeres.“, stammelte sie leise und versuchte mit den Augen irgendetwas in diesem Raum ausfindig zu machen, auf das sie ihren Blick konzentrieren konnte; alles wäre ihr recht gewesen in ihrer Verlegenheit, nur nicht der Gott, der sie mit bohrendem Blick musterte. Hades erwiderte nichts. Er schwieg nur. Umso deutlicher hörte sie den Schlüssel, der sich im Schloss der Tür, neben der Hades verweilte, umdrehte. So schnell wie ihr das Blut in den Kopf geschossen war, sackte es ihr in diesem Moment in die Beine. Was war hier los? „Du bist schwach“, begann er im ernsten Tonfall und ging langsam auf sie zu. Ihre Augen blieben an seiner Bewegung kleben und mit jedem Schritt, den er näher kam, wollte sie vor ihm zurückweichen, doch ihre Beine fühlten sich kraftlos und steif an, gehorchten ihr nicht mehr. „Wenn sie dich wirklich wollten, hättest du nicht die geringste Chance gegen sie.“ Er hatte sie erreicht. Schweigend blieb er vor ihr stehen, ehe er seine Hand an ihr Gesicht hob, um eine verirrte Strähne von ihrer Wange zu wischen. „Sie sind darauf trainiert worden, das zu kriegen, was sie wollen. Was man ihnen aufträgt.“ Persephone spürte die Berührung kaum; ihr Körper war kalt und leblos wie Stein geworden. Krampfhaft fixierten ihre Augen seinen Hemdkragen, unfähig und zu schwach, den Kopf weiter anzuheben. „Du kannst keine Hilfe von irgendjemandem da draußen erwarten.“ Sein rauer Daumen strich ihr sanft über die Wange, fuhr tiefer, berührte ihren verkniffenen Mundwinkel. Sie hörte ihn lächeln. „Ich bin dein einziger Freund, Persephone. Ich habe dir versprochen, dich vor allem zu beschützen.“ Er fuhr ihre Unterlippe nach und hob ihr Kinn an, dass sie ihm in die Augen sehen musste. Sie spiegelte sich in den weiten Pupillen, eingerahmt von einem kalten Irispaar. Etwas schrie in ihr, dass sie weglaufen solle; ihr Körper gehorchte ihr allerdings immer noch nicht. Die Spur seines Daumens auf ihrer Haut war nicht mehr als ein taubes Kribbeln. Sie bemerkte am Rande ihres Bewusstsein, wie sein Gesicht näher kam und im nächsten Moment legten sich seine Lippen auf ihre; zaghaft, vorsichtig, als wolle er ihr den nächsten Schritt überlassen. Doch statt den Kuss zu erwidern, brach der intime Kontakt in ihr alle Blockaden auf, sodass ihr Verstand wie heiße Lava durch ihr Gehirn floss und endlich die Kontrolle übernahm. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie ihn von sich gestoßen und starrte ihn aus geweiteten Augen an. Hades stand für einen Moment lang die Verwirrung und Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, dann war da nur noch grenzenlose Wut und ohne Vorwarnung holte er mit der flachen Hand aus, um sie zu ohrfeigen. Noch ehe sie reagieren konnte, brannte ihre rechte Wange wie Feuer und japsend presste sie die Hand auf die sofort pochende Stelle. Sie hatte kaum realisiert, was passiert war, da hatte sie der Mann an den Schultern gepackt und gegen Wand gedrückt, was ihr die Luft für einen kurzen Augenblick aus der Lunge trieb. „Du undankbares Stück!“, rief er gefährlich grollend und seine Hände gruben sich noch fester in ihre Oberarme. „Ich habe für dich gebürgt, ich habe mich um dich gekümmert, ich bin bereit, dich vor allem zu beschützen und das ist dein Dank?!“ Im nächsten Augenblick brannte auch ihre andere Wange und der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. „Ich verlange doch nur ein wenig Dankbarkeit von dir, mehr nicht!“ Er unterbrach ihr Schluchzen, indem er sie grob schüttelte. „Und hör auf zu heulen! Ich hasse sowas!“ Wimmernd und die Tränen herunterschluckend wagte sie es, ihm ins Gesicht zu blicken. In seine Augen war eine Kälte getreten, die sie so noch nie in ihnen erblickt hatte. Nichts war mehr geblieben von der Warmherzigkeit, dem Liebe- und Verständnisvollen. Vor ihr stand ein anderer Mensch. „Bitte“ Ihre Stimme war ein dünnes Zittern geworden und so sehr sie es zu unterdrücken versuchte, rollten die Tränen dick und schwer über ihre brennenden Wangen. „Bitte lassen Sie mich gehen…“ Das Lächeln, was sich nun in sein Gesicht stahl, war fast noch schlimmer als der kalte Blick. Persephone spürte, wie die Finger seiner rechten Hand sich von ihrem Arm lösten, nur um im nächsten Augenblick auf ihrer Hüfte zu ruhen. Die Berührung ließ sie zusammenzucken und hätte sie nicht die Wand im Rücken gehabt, wäre sie vor ihm zurückgewichen; so aber gab es keinen Ausweg mehr für sie. Sein Zeigefinger fuhr von innen den Bund ihrer Jeans entlang, bis er den Knopf erreichte. Ihr Verstand lief Amok, wollte ihre Arme, ihre Beine dazu bewegen, um sich zu schlagen … doch ihr Körper schien abgestorben zu sein. Einzig und allein ihr Herz schlug wie besessen hart und schnell in ihrer Brust, wie das letzte Zucken und Gebärden eines tödlich verletzten Tieres. „Ich will dir nicht wehtun, Persephone“, sagte Hades leise. Zeigefinger und Daumen hatten inzwischen den Knopf geöffnet. „Das liegt nicht in meiner Absicht. Ich möchte nur ein kleines „Dankeschön“ von dir für meine Mühen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?“ Sie hörte das typische Geräusch eines Reißverschlusses, der sich öffnet; wessen Reißverschluss es war, wollte sie nicht wissen. In ihrem Kopf schrie alles nur noch nach Hilfe und Erlösung. „Bitte“ Hatte sie es tatsächlich geschafft, noch ein artikulierbares Wort über die Lippen zu bringen? Etwas erwachte noch einmal in ihr, bäumte sich auf, wollte sich gegen Hades‘ Griff wehren, gegen das, was er vorhatte. „Ich tue alles, was Sie verlangen, nur bitte-“ Sein Blick veränderte sich und das ließ sie innerhalten. Sie konnte es nicht definieren – war es Mitleid? Ärger? Verwunderung, Schadenfreude? Egal was es war, es jagte ihr einen Schauer über den Rücken, und das letzte Bisschen Überlebenswille gefror bei seinem eisigen Blick. „Ich weiß“, begann er ruhig; zu ruhig. „Das hast du mir schon einmal versprochen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass du dein Versprechen endlich einlöst, findest du nicht?“ Während er sprach, rutschte ihre Jeans langsam ihre Beine hinab, dann drückte er sich gegen sie. Auch der letzte Widerstand in ihr gab nach und gebrochen schloss sie die Augen. Leise, fast vorsichtig, drückte sie die Tür hinter sich ins Schloss und verharrte an Ort und Stelle. Angestrengt suchte sie in ihrem Gedächtnis nach dem, was sie nun tun wollte. Tun sollte. Sie erinnerte sich, dass es spät war. Sie sollte schlafen gehen. Oder? Sie wartete darauf, dass sich ihre Beine in Bewegung setzten, doch aus irgendeinem Grund brachte sie nicht einmal die Kraft auf, einen Muskel zu bewegen, geschweige denn einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie bemerkte, wie sie im Stehen leicht hin und her schwankte. Persephones Kopf war leergefegt. Ihr Körper war taub, zumindest fühlte er sich nicht so an, als gehöre er ihr. Wieder versuchte sie sich zu bewegen. Vergeblich. Dann spürte sie auf einmal ein leichtes Kribbeln in ihren Fingerkuppen und sie brachte es tatsächlich fertig, ihre Hand vors Gesicht zu heben. Regungslos starrte sie das Stückchen Haut an und plötzlich brachen die Erinnerungen wie ein Platzregen über sie herein. Sei dankbar! Das leichte Kribbeln in ihren Fingerspitzen breitete sich in ihren Handflächen aus, wurde stärker, bis sie wieder die raue Struktur der hell gestrichenen Wand auf ihnen spürte, gegen die sie sich abgestützt hatte. Immer mehr Erinnerungen, Bilder, Emotionen explodierten in ihr und füllten ihre menschliche Hülle, in der sie gefangen war, in Sekundenschnelle aus. Sei dankbar! Sie hörte seine befehlende Stimme in ihrem Rücken, sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr, wie er ihr diese zwei Worte immer und immer wieder entgegen zischte, hauchte, stöhnte, sie spürte ihn, und das ließ sie japsend nach Luft schnappen, einmal, zweimal, schnell und tief, dass ihr schwindelig wurde und schwarze Flecken vor der verschwommenen Welt ihrer Augen auf und ab tanzten. Alles war wieder da. Jede einzelne Sekunde. Und als sie bemerkte, wo sie sich noch immer befand, schlug sie sich schnell die Hand vor den Mund und befahl ihrem Herzen sich zu beruhigen. Du wirst niemanden davon erzählen. Das hatte er ihr zugeflüstert, kurz nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte, und wie zur Bestätigung fühlte sie ein Ziehen an ihrer Kopfhaut, da, wo Hades ihr Haar gepackt und sie somit aufgehalten hatte, ehe sie durch die Tür hätte treten können. Wenn ich erfahre, dass du mit jemanden hierrüber redest, muss ich das leider als Vertrauensbruch werten. Wieder kitzelte die Erinnerung an seinen Atem an ihrem Ohr und unweigerlich stellten sich ihre Nackenhaare auf. Du weißt, ich will dich nur beschützen. Mit einem Ruck hatte er sie am Arm gepackt und näher zu sich gezogen. Und dafür gehörst du mir. Mir. Unbarmherzig hämmerte das Wort, einem Echo gleich, in ihrem Kopf und mit jedem mir erinnerte sich ihr Körper immer besser an seine Berührungen, an jedem Zentimeter ihrer Haut schien der Druck und die Wärme seiner Hände, seiner Lippen, alles von ihm, an ihr zu kleben. Unter die Tränen mischte sich ein Gefühl von Ekel und sofort begann ihr Magen zu rebellieren. Da endlich schienen ihre Beine sich an das zu erinnern, wofür sie da waren, und stolpernd wankte sie los, die Hand weiterhin vor den Mund geschlagen. Ein Schatten kam ihr entgegen, dem sie, schwindelig und kraftlos wie sie sich fühlte, so gut wie möglich auszuweichen versuchte. Töne schwappten an ihr Ohr, durchdrangen den schmerzend lauten Kanonen aus überlappenden Satzfetzen dumpf, doch sie verstand keinen Sinn in diesem Geräusch. Erst die Hand auf ihrer Schulter, dessen Druck sie erneut die letzten Minuten – oder waren es Stunden gewesen? Tage? – mit brutaler Realität durchleben ließ, brachte sie dazu, schreiend herumzufahren. Zeus zog seine Hand sofort wieder zurück und sah sie aus verwundert wirkenden Augen an. Die Luft anhaltend starrte Persephone zurück, ihrem donnernden Herzschlag lauschend. Nach wenigen Augenblicken legten sich leichte Falten auf die Stirn des Mannes vor ihr und nichts erinnerte mehr an den Schock, den er Sekunden zuvor verspürt zu haben schien. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Zeus besorgt und trat einen vorsichtigen Schritt wieder auf sie zu. Nervös presste sie die Lippen aufeinander. Wenn sie Zeus etwas erzählte, würde Hades das mit Sicherheit erfahren und unweigerlich spürte sie von neuem seinen schmerzenden Griff an ihren Oberarmen, wie er sie gegen die Wand presste. Ihr wurde noch flauer im Magen. Zeus‘ Blick wurde immer besorgter und am liebsten wäre sie einfach vor ihm weggerannt. Stattdessen wich sie seinen dunklen Augen aus und strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Ja, mir geht es gut.“ Ihre Stimme zitterte und war brüchig, als hätte sie sich heiser geschrien. Hatte sie das nicht auch; eine Ewigkeit lauthals gefleht und geschrien? Nein, das hatte er ihr verboten. Ihre Kiefer erinnerten sich an den schmerzenden Druck, mit dem sie diese aufeinander gepresst hatte und für einen kurzen Moment dachte sie fieberhaft darüber nach, ob man die Abdrücke ihrer Zähne auf der Unterlippe noch sehen konnte. Ihre gegenläufige Körpersprache schien Zeus nicht verborgen zu bleiben. Mit tief gerunzelter Stirn sah er kurz an ihr hinab, ehe sich sein Blick wieder auf ihr Gesicht heftete. „Bist du dir sicher? Du bist kreidebleich.“ Persephone schluckte gegen das beklemmende Gefühl in ihrer Kehle an und zwang sich zu einem Lächeln; dass dies ihr tatsächlich gelang, überraschte sie selbst am meisten. „Ich bin nur ein wenig müde“, begann sie leise und ging ein paar Schritte rückwärts, weg von Zeus, weg von ihm, seiner Tür, die immer noch in ihrem Blickfeld war. „Es war ein langer Tag. Ich sollte jetzt besser Schlafen gehen.“ Wieder musterte Zeus sie für einen Moment, dann nickte er. „Ja, tu das.“ Seine Stimme klang nachdenklich, als sei er mit seinen Gedanken woanders. Keine Sekunde zögernd, drehte sie sich um und eilte den Gang hinab, obwohl ihre Beine so zitterten, dass sie jede Sunde damit rechnete, zusammenzubrechen. Sie war ein paar Meter weit gekommen, als Zeus sie noch einmal ansprach. Beim Klang ihres Namens wand sich innerlich ihr ganzer Körper und abrupt blieb sie stehen. Persephone gab sich einen Moment, ehe sie sich noch einmal zu dem Gott umdrehte. Hatte er ihre zitternden Hände bemerkt? Oder ihre zusammengesackte Haltung? Sie wappnete sich so gut wie möglich, versuchte sich irgendwelche Ausreden zurechtzulegen, doch Zeus sah sie nur an. Sie bemerkte, wie es in seinem Gesicht arbeitete, als wolle er etwas sagen, doch der Gott blieb stumm. Nach ein paar Sekunden wurde sie zu nervös, um länger stehen bleiben zu können und im Hintergrund, hinter Zeus, auf Hades‘ Bürotür sehen zu müssen. „Ja?“, fragte sie leicht ungeduldig. Zeus schien bei diesem Wort endlich aus seinem Schweigen auszubrechen und mit ernstem Blick sah er ihr ein letztes Mal in die Augen und schüttelte den Kopf. „Schon gut, ich-“ Er verstummte und für einen Moment schien er wieder in seine Gedanken vertieft zu sein, ehe er leicht lächelte. „Es ist spät, geh ins Bett. Gute Nacht, Persephone.“ Sie erwiderte nichts, machte nur schnell auf dem Absatz kehrt und ging. Etwas in ihr war erleichtert. Der Rest war immer noch ein Chaos, das sie von innen heraus zu zerfressen begann. Das laute Schließen seiner Bürotür ließ Hades verwundert aufschauen. Zeus verweilte im Türrahmen und starrte schweigend zurück. Als nach ein paar Sekunden immer noch keine Reaktion seitens des Göttervaters deutlich wurde, runzelte sein jüngerer Partner die Stirn und richtete sich etwas in seinem Stuhl auf. „Ist was passiert, oder warum tauchst du so spät noch hier auf?“, fragte er mit einem prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Es war weit nach Mitternacht. Auf Zeus‘ bislang emotionslosen Gesichtszügen, brach langsam tiefer Zorn durch, der Hades skeptisch seine eigenen verziehen ließ. „Alles in Ordnung?“ Bei dieser Unschuld und Ahnungslosigkeit heuchelnden Frage, erwachte Zeus endlich aus seiner Starre. Er biss die Kiefer aufeinander, trat auf den Braunhaarigen zu und holte ohne Vorwarnung mit der Rechten aus. Hart traf seine Faust Hades‘ Wangenknochen, sodass er polternd zu Boden ging und von dort verwirrt und erschrocken zu Zeus hochstarrte, die Linke gegen die rot anlaufende Gesichtshälfte gepresst. „Das frage ich dich.“, zischte der Ältere um Beherrschung bemüht. Seine Rechte war weiterhin zur Faust geballt und juckte verführerisch, bereit, wieder zuzuschlagen, sollten ihm Hades‘ folgende Worte nicht gefallen. Er schluckte gegen das zuschnürende Gefühl seines eigenen Hasses in seiner Kehle an. „Du hast mir in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, zu was du alles fähig bist und ich habe es geschluckt und toleriert. Aber so was Perverses habe ich selbst dir nicht zugetraut!“ Das Verwirrte in dem Gesicht seines Gegenübers machte gespielt wirkendem Unglauben Platz. „Ich weiß nicht wovon du-“, begann Hades mit einem kleinen Lachen auf den Lippen, als wolle er so die Situation auflockern, doch in Zeus‘ Augen war das genau die falsche Reaktion gewesen. Er beugte sich zu ihm runter, zog Hades am Kragen in die Höhe und drückte ihn mit einer Wucht gegen die Wand, dass Hades kurz schmerzvoll das Gesicht verzog. Zeus‘ vor Zorn funkelnde Augen fixierten Hades. „Sieh mir in die Augen und sage mir, dass du Persephone nicht angerührt hast!“ Für einen kurzen Augenblick klebte weiterhin Verwunderung an dem Jüngeren, dann jedoch verfinsterte sich Hades‘ Blick, dass der Funken Unschuld, der Zeus immer noch an seinen alten Freund erinnerte, den er damals, vor Jahren, im Gefängnis kennen gelernt hatte, restlos verschwand. Zeus konzentrierte sich so sehr auf Hades‘ kalte Augen, dass er nur am Rande seines Bewusstseins spürte, wie sein Gegenüber nach seinem Handgelenk gepackt hatte und erbarmungslos zudrückte. „Lass mich los.“ Seine Stimme strahlte eine unnatürliche Ruhe und Dominanz aus, die Zeus kurzweilig einen Schauer über den Nacken jagte. Dennoch ließ er sich nicht beirren; er kannte diesen Tonfall. Er wusste, dass Hades begann, wütend zu werden, eine Tatsache, die vielleicht ihren Mitgliedern zu bedenken gab. Ihn veranlasste dieser Umstand nur die Augen zu verengen. „Antworte mir.“, knurrte er und zog Hades noch näher zu sich. Seine rechte Hand fing spürbar zu kribbeln an. Auch Hades‘ Blick wurde eine Spur härter und zorniger. „Ich bin dir keine Antwort schuldig! Ich bin keiner deiner kleinen Zinnsoldaten, Zeus, vergiss das nicht!“ Schweigend starrten sie sich an. „Lass … mich los.“, wiederholte der Gott der Unterwelt dann irgendwann düster und trotz der langsam gesprochenen Worte hörbar ungeduldig. Hinter Zeus‘ Stirn begann etwas zu arbeiten. Eine leise Stimme murmelte beruhigende Worte und griff mit zaghaften Fingern nach seinen verkrampften Fäusten, die Hades‘ inzwischen zerknitterten Hemdkragen immer noch umklammerten. Er hatte sich, mal wieder, in eine Sackgasse manövriert, hatte Hades mit seinen Anschuldigungen so sehr in eine Ecke gedrängt, dass dieser augenblicklich auf Stur geschaltet hatte und nun den Spieß, mal wieder, langsam umdrehte und ihn nun dazu zwang, nach seinen Vorgaben weiter zu verhandeln. Und das stieß Zeus sauer auf. Wieder ertappte er sich dabei, an frühere Zeiten zu denken. Hideki wäre schon bei dem ersten lauten Wort und spätestens bei seinem groben Handgriff wimmernd und flehend vor ihm zusammengebrochen. Aber Hideki wäre auch nicht zu so etwas fähig gewesen, oder?, fragte er sich in Gedanken. Frustrierend musste er feststellen, dass seine Erinnerungen ihm darauf keine zufriedenstellende Antwort geben konnten. Zähneknirschend gab er seinem Verstand nach, der in solchen Momenten der letzte Teil in seinem Gehirn war, der noch etwas mit dem Begriff „friedliche Verhandlungen“ anfangen konnte, und ließ Hades endlich los. Er spürte eine Ader an seiner Stirn pochen. „Sie ist mir auf dem Weg zu dir kreidebleich entgegen gekommen.“, begann er beherrscht, trat zwei Schritte rückwärts und sah Hades dabei zu, wie er seinen Kragen richtete und sich noch einmal prüfend über die Wange fuhr. „Sie hatte Angst vor mir.“, fügte Zeus ungeduldig hinzu, um seine Aufmerksamkeit wieder zu erlangen. Tatsächlich sah Hades auf, das Gesicht wieder glatt und emotionslos, und schenkte ihm ein gelangweiltes Schulterzucken. „Nun, dafür kann ich nichts. Wenn sie sich vor dir fürchtet, solltest du dann lieber den Fehler bei dir suchen, anstatt mich dafür zu schlagen.“ Wie zur Untermalung, betastete er seine anschwellende Lippe und besah eindringlich seine blutigen Fingerkuppen, was ein leichtes Stirnrunzeln bei dem Jüngeren hervorrief, ehe er sich das Blut ableckte. „Du kannst mir nicht weismachen, dass nichts vorgefallen ist.“, entgegnete Zeus nun schon weitaus gereizter. Hades verdrehte nur genervt die Augen. „Wahrscheinlich war sie nur etwas durch den Wind und erschöpft. Sie hat die letzten drei Nächte fast durchgängig an einem Fall gesessen und ihn heute zum Abschluss gebracht.“ Er griff nach einer Akte, die auf seinem Schreibtisch lag und hielt sie Zeus auffordernd unter die Nase. „Das, was sie aufgedeckt hat, scheint ihr ein wenig zu nahe zu gehen; sie ist halt noch eine blutige Anfängerin.“ Widerwillig nahm Zeus den Bericht entgegen und überflog die Zeilen. Hades hatte ihm schon vor ein paar Tagen von diesem Fall berichtet; ein Spion in den Reihen der Waffenschmuggler und Händler. Olymp selbst gehörte zu den Kunden der ausspionierten Gemeinschaften, womit auch sie irgendwann Probleme bekommen hätten. Zeus stieß beim Durchblättern auf Fotos und Aufnahmen von Kameras der Umgebung. Auf allen war ein junger Mann mit kurzen schwarzen Haaren zu sehen. Viele davon zeigten den Spion vor einem Etablissement, das bekannt für sein SM- und Bondageangebot war. Ein Räuspern in seinem Rücken, das höflich wirken sollte, ließ ihn wieder aufschauen. Hades war an die Tür getreten, eine Hand schon auf die Klinke gelegt. „Wenn du also so freundlich wärst, und mich endlich in Ruhe lassen könntest…“, begann er und wollte die Tür aufziehen, doch Zeus ließ ihn mit einem Kopfschütteln innerhalten. „Ich glaube dir nicht.“, sagte er bestimmt und legte die Akte zurück auf den Tisch. Vielleicht war es nicht sehr angenehm, in den dunklen Geheimnissen und Vorlieben anderer Menschen herum zu stöbern, und vielleicht war das ein oder andere davon für manche Gemüter abstoßend und unverständlich, aber niemand, nicht einmal die naivsten unter ihnen, würde sich so sehr von solchen Tatsachen aus der Bahn werfen lassen. Schaufend fuhr sich Hades durch die sowieso schon strubbligen Haare. „Dann tu es halt nicht!“, rief er und vollendete die angefangene Bewegung, die Tür zu öffnen. „Geh, ich bin müde.“ Zeus rührte sich nicht. Hades sah verständnislos und ungeduldig zurück. „Wo ist dein Problem?“, fragte der Jüngere und nun lag ein Hauch Verzweiflung in seiner Stimme, als steuere er auf das Ende seiner Ideenquelle zu, Zeus ohne Gewalt vor die Tür zu kriegen. Zeus‘ Augen verengten sich warnend. „Wenn ich herausfinde, dass du sie zu irgendetwas zwingst, dann-“ „Dann was?“, zischte sein Gegenüber und trat wieder auf ihn zu. Zeus wich keinen Zentimeter zurück, trotz der Wut, die nun wieder in den hellen Augen seines Freundes aufloderte. „Es hat dich nicht zu interessieren, was ich tue! Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig und vor allem lasse ich mir nicht von dir drohen.“ „Wir haben eine Verantwortung unseren Mitgliedern gegenüber. Und ich habe ihrer Aufnahme ganz sicher nicht zugestimmt, damit du sie missbrauchst.“ Zeus‘ Anklage hing für Sekunden stumm in der Luft, in denen Hades ungläubig das Gesicht verzog, ehe er kopfschüttelnd ein hartes Lachen hervorstieß. „Du wirst mit jedem Wort lächerlicher, Zeus!“ „Dann schwöre mir, dass meine Zweifel unberechtigt sind.“, entgegnete Zeus augenblicklich ernst, was seinen Gegenüber verändert aufschauen ließ. Zu seiner eigenen Verwunderung seufzte Hades im nächsten Moment und hob die Schultern. „Wenn du dann endlich Ruhe gibst…“, ergab er sich wenig überzeugend, trat Zeus noch einmal direkt unter die Augen und legte in seinen Blick puren Ernst. „Ich habe nichts getan.“, raunte er düster, ehe ein vielsagendes Grinsen über seine Lippen huschte; eine Geste, die Zeus schon ausreichte, um sein Urteil zu fällen. Seine Finger zuckten. „Zumindest nichts gegen ihren kleinen, naiven Willen – will heißen, dass sie sich nicht gewehrt hat, also kannst du mir auch nichts vorwerfen.“, gab er Zeus seine Bestätigung. Allein die Tatsache, dass Hades sofort wieder auf Abstand ging, rettete ihn vor einen weiteren Fausthieb. Für einen Moment hatte Zeus zu lang gezögert, war zu entsetzt gewesen über die Dreistigkeit seines Partners, über seine Abgebrühtheit, über sein Handeln. Seine Hände ballten sich so stark, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Hades linste auf diese herab. Langsam glätteten sich seine Gesichtszüge wieder. „Du solltest jetzt gut aufpassen, was du tust, Zeus.“ Er schaute wieder auf, die Augenbrauen leicht zusammengezogen. „Meine Geduld ist zu Ende und ich werde mich nicht ein zweites Mal von dir schlagen lassen. Das Spiel lässt sich auch andersherum spielen.“ Diese Annahme ließ Zeus‘ Mundwinkel verräterisch zucken. „Glaubst du?“, fragte er skeptisch, woraufhin auch in Hades‘ Gesicht ein selbstsicheres Lächeln zurückkehrte. „Tu nicht so, als wüsstest du nicht, dass ich gegen dich sehr wohl eine reelle Chance habe. Du hast es doch gerade eben selbst gesagt: du weißt, wozu ich fähig bin.“ Er verstummte kurz und schaute Zeus noch eindringlicher an. „Immerhin warst du mein Lehrer.“ Hades trat noch weiter vor Zeus zurück und stellte sich wieder neben die geöffnete Tür, die Arme vor der Brust verschränkt. „Und nun verschwinde endlich!“ Zeus verharrte weiterhin an Ort und Stelle und presste die Lippen hart aufeinander. In seinem Kopf suchte er nach den passenden Worten, nach Argumenten, gegen die Hades nichts hätte erwidern können, doch da war nichts. Kein noch so kleines Widerwort. Es hatte keinen Sinn mehr, jetzt an dieser Stelle stur zu bleiben. Er schloss kurz die Augen und entspannte seine schmerzenden Finger. Den Blick weiterhin auf den Jüngeren gerichtet, ging er dann doch auf die Tür zu. Vor Hades blieb er jedoch noch einmal stehen. „Ich schwöre dir, wenn ich etwas herausfinde, werde ich mich nicht länger zurückhalten.“, sprach er seine letzte Warnung aus. Hades zuckte nur gleichgültig mit den Schultern; eine Geste, die Zeus deutlich die Überlegenheit des Gottes zeigen sollte und die in diesem Augenblick schlimmer und demütigender war, als sein herablassendes Grinsen von vorhin. „Frag sie, wenn es dich beruhigt.“ Hades wandte gähnend den Blick ab und ging zurück in den Raum. „Die Kleine wird dir auch nicht das sagen, was du unbedingt hören willst.“ Zähneknirschend schluckte Zeus seinen Konter runter, der ihm schon auf der Zunge lag. Er hatte bereits nach der Klinke gegriffen, um die weiße Tür in seinem Rücken zuzuziehen, als Hades ihn noch einmal ansprach. Langsam drehte Zeus sich wieder um. Hades hatte sich in der Zwischenzeit gegen seinen Schreibtisch gelehnt. In seiner Hand lag die dunkle Desert Eagle, die Zeus nur zu gut kannte. Als habe er seine Umwelt vergessen, drehte Hades die Waffe in seiner Hand und sah sie mit einem leicht verträumten Blick an. Weiterhin auf die Eagle achtend, sprach er dann zu Zeus: „Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein. Ich bin mein eigener Herr. Ich treffe meine eigenen Endscheidungen.“ Er hielt inne und suchte nun doch noch einmal Zeus‘ Blick. Nichtssagend. Keine Emotion. Gleichgültigkeit; und das, so wusste Zeus gut genug, war sein gefährlichster Zustand. „Und die hast du gefälligst zu akzeptieren.“ Zeus‘ Hand lag weiterhin ruhig auf der Klinke. Seine Miene ließ nichts von seinen aufgewühlten Emotionen hindurch scheinen. Er nickte leicht, verengte seine Augen nur etwas zu ernsten Schlitzen. „Das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)