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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Gemeutert, nicht geläutert

»Wir haben die Ergebnisse der chemischen Analyse des Wikingerbluts«, teilte Buschfeldt seinen Agenten missmutig mit. »Es enthält, wenn Dr. Saltz mich richtig informiert hat, einen bunten Cocktail an Hormonen.«

»Und zwar in völlig übertriebener Menge, Chef«, fügte Bock hinzu. »Vor allem Adrenalin und Testosteron. Da die Hersteller offenbar wissen, dass Hormone bei Vampiren problemlos die Blut-Hirn-Schranke passieren …«

»Testosteron?«, wiederholte Simon stirnrunzelnd. »Müssten wir davon dann nicht notgeil werden?«

»Nein, gar nicht«, übernahm Lasterbalk, der sich mit Hormonen ebenfalls auskannte, die Antwort. »Manche Leute benutzen das als Doping-Mittel. Es steigert die Leistung, macht aber auch … aggressiv. Und zusammen mit Adrenalin …«

»Da ist noch viel mehr in dem Gemisch«, fuhr Bock fort, »auch Glückshormone wie Serotonin und Dopamin, alles wild durcheinander und in Mengen, die für menschliches Blut unvorstellbar sind. Da kann man als Vampir nur vor Verwirrung durchdrehen!«

»Gibt es eine Möglichkeit, die rauszufiltern?«

»Nein, Schätzchen. Ein selektiver Filter für Hormone wurde leider noch nicht erfunden.«

Wieder ließen alle die Schultern hängen.

»Ich halte ’s nicht mehr aus, hier rumzusitzen und nichts zu tun!«, grollte plötzlich, zu jedermanns Überraschung, ausgerechnet Sugar Ray. »Vor allem hätte Eric sich längst melden müssen. Bei Micha weiß man, dass er unzuverlässig ist, aber nicht bei Eric!« Als niemand ansetzte, ihm beizupflichten, nicht einmal Simon, stand der schwarzhaarige Vampir wortlos auf und ging.
 

»Lass uns noch ein bisschen Bockmist trinken«, schlug Falk seinem Bandkollegen vor. »Ich hab festgestellt, dass es auszuhalten ist, wenn man was von KPs Kakaopulver reinmacht.«

»Klingt noch ekliger, aber mir tut auch schon wieder der Bauch weh«, antwortete Lasterbalk matt.

»Du weißt, wir können im Moment nicht ständig draußen rumlaufen und Leute beißen. Weiß der Geier, warum Eff Eff gerade die Füße stillhalten, aber wir dürfen der Polizei keine neuen Gründe für verschärfte Kontrollen geben. Oh je, mir tun die braven, registrierten Vampire Leid, die hier wohnen.«

»Die werden sich schon rechtzeitig verkrümelt haben, bis die Luft wieder rein ist.« Lasterbalk hob aufmerksam den Kopf, als El Silbador in den grauen Raum spaziert kam.

»Na? Ist schon wieder ganz schön spät, aber ich bin noch überhaupt nicht müde. Boris und ich haben gerade Anna und Birgit mitgeteilt, was Sache ist, und sie haben versprochen, sich drum zu kümmern. Was ist mit euch, wollt ihr jetzt wieder die Nacht unsicher machen?« Elsi lächelte verwegen. Er hatte auch als jüngstes Mitglied der Band kein Problem damit, bluttrinkende Vampire um sich zu haben. Ja, er war schon ein furchtloser Bursche, der Elsi.

»Nein«, antwortete Falk, während er El Silbador skeptisch beäugte. »Nein, ich fürchte, heute bleibt für uns die Küche kalt.«

»So, und was macht ihr dann stattdessen?« Elsi wartete aufmerksam die Antwort ab; als keine kam, verschwand sein gutmütiges Lächeln wie in Zeitlupe. Unter dem prüfenden Blick der beiden Vampire geriet seine Unerschütterlichkeit nun doch ein wenig ins Wanken. »He, wieso starrt ihr mich denn so an?«

»Elsi …«, begann Lasterbalk vorsichtig, doch schon wich der junge Mann mit dem Ausdruck reifender Erkenntnis zurück.

»Oooooooh nein! Denkt nicht mal dran! Ich erlaube euch bestimmt nicht, mich anzuknabbern!« Mit diesen Worten ging er ziemlich schnell zur Tür, um den Raum unverkennbar fluchtartig zu verlassen.

»Mist«, murmelte Falk. »Ich wusste nicht, dass er so reagieren würde. Hab gedacht, es würde ihn nicht mal überraschen.«

»Ach, der fängt sich schon. Ich gebe ihm …« Lasterbalk schaute auf die Uhr. »… eine halbe Stunde. Dann ist er soweit. Glaub mir, Elsi enttäuscht uns net.«
 

Er behielt Recht. Falk und Lasterbalk blieben genau zweiundzwanzig Minuten abwartend und schweigend in ihrem gemeinsamen Zimmer sitzen, dann wurde vorsichtig die Tür geöffnet, und El Silbador kam, sich verlegen räuspernd, wieder herein.

»Also gut«, erklärte er, »von mir aus. Ich hab Bock bescheid gesagt. Aber wie halten wir das vor Buschfeldt geheim? Bei Einsätzen ist das nicht erlaubt, auch nicht innerhalb der Bands.«

»Du bist erkältet und trägst einen Schal?«, schlug Falk vor.

»Oh … Okay.« Elsi wirkte nicht beruhigt. »Ich – ich kann euch nicht beide füttern«, erklärte er dann nach tiefem Luftholen.

»Schon klar«, sagte Lasterbalk in betont freundlichem Ton. Er wollte weder, dass Elsi Angst hatte, noch dass er es sich wieder anders überlegte. »Wir wollen net satt werden, nur … durchhalten.«

»Okay, wenn ihr meint …«

»Du wirst danach gut schlafen können«, fügte Falk hinzu. »Du brauchst nicht mal aufzustehen, du kannst gleich hier weiterschlafen bis morgen früh, wenn du magst.«

»Gut …«

»Du hast doch keine Angst, oder?«, hakte Lasterbalk stirnrunzelnd nach.

»Ich sollte keine haben, oder nicht?« Als El Silbador sich schließlich ganz ins Zimmer wagte und die Tür hinter sich schloss, konnte seine unbewegten, tapfere Miene nicht darüber hinwegtäuschen, dass er aussah wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde. »Gut, bringen wir’s hinter uns«, murmelte er. »Ich erlaube euch hiermit, mich zu beißen …«

»Danke, Elsi. Wir werden dich auch net umwerfen, aber du musst dich hinlegen, weil du sonst kein Blut im Hals hast. Am besten – … ja, genau, auf die Seite.«

Elsi legte sich auf Falks Bett, zog die Beine an den Bauch und versuchte immer noch lässig zu wirken, während er sich mit einer Hand das Haar vom Hals strich. Tatsächlich war sein Anblick für einen guten Menschenkenner so erbärmlich, dass er Lasterbalk richtig Leid tat.

»Jetzt komm, Elsi!« Falk lachte leise und kraulte ihm den Kopf wie einem Meerschweinchen. »Keiner will dich umbringen.«

»Ich bin einfach nicht der Typ für spitze Sachen, die einem in den Hals gerammt werden«, gestand El Silbador und zitterte noch mehr. »Und es … naja, soll schon weh tun …«

»Ach was, du bist doch ein großes Mädchen!«, grinste Lasterbalk. Dann wandte er sich ernsthaft an Falk. »Du zuerst, Spielmeister?«

»Nein, ich lasse dir den Vortritt, Chefdichter«, erwiderte Falk großzügig. »Aber lass mir noch was drin!«

Elsi auf dem Bett kicherte nervös. »Ingo hat gesagt, dass man kein echter MIU-Agent ist, wenn man nie von einem Vampir gebissen wurde. Ich sollte froh sein, dass ihr mich entjungfert und nicht eine von diesen Bestien, was?«

»Da habt ihr wohl beide Recht.« Lasterbalk musste ebenfalls kichern, ehe er mit der linken Hand behutsam in Elsis Haarschopf griff und voller Vorfreude seine Fangzähne herausschnappen ließ.
 

Gegen zwei Uhr fünf schlief Boris Pfeiffer gerade ziemlich tief. Dieser Tatsache war es geschuldet, dass es ziemlich lange dauerte, ehe das zaghafte Meldesignal des im Stand-By-Modus neben dem Bett stehenden Laptops seinen Schlaf durchdrungen hatte. Erst Minuten später zeichnete sich ab, dass derjenige, der da Kontakt aufzunehmen versuchte, dies offenbar in dringlicher Angelegenheit tat. Mühsam die Müdigkeit abschüttelnd griff Pfeiffer neben sich, hob den Laptop vom Boden auf – es gab im Zimmer nichts, auf dem man ihn hätte abstellen können – und setzte ihn vor sich auf der Bettdecke ab, um ihn im Vollmodus zu starten und sich das Headset aufzusetzen. Nicht immer gab es einen Grund, auf nächtliche Nachrichten umgehend zu reagieren, doch in der herrschenden Situation war Boris sofort angespannt und wissbegierig auf die Information. Er hoffte, dass es Micha war oder wenigstens Eric oder auch Fírinne, hoffte aber nicht, dass ein Anklopfen zu so mieser Zeit etwas Schlimmes bedeutete.

Wir werden sehen, dachte er und meldete sich. »Hallo, hier Adler Eins …«

»Yellow Pfeiffer von In Extremo?«, fragte eine gemessene weibliche Stimme, die Boris kannte. »Kannst du offen sprechen?«

»Frau Schmitt!«, rief er aus. Mit ihr hatte er am allerwenigsten gerechnet. »Ja, kann ich! Schieß los!« Schon verrenkte er sich den Oberkörper, um mit den Fingern den Lichtschalter in der rohen Betonwand zu erreichen. Für diese Unterhaltung musste er einfach wach sein.
 

Marco und Basti waren die ersten, die anlässlich der hochbrisanten, neu eingegangenen Informationen ebenfalls aus dem Schlaf gerissen wurden.

»Schnell, wir müssen alle zusammentrommeln!«, insistierte Boris, und er sah nicht aus, als würde er einen Witz machen. »Holt alle!«

»Etwa auch den Chef?«, fragte Flex, sich die Augen reibend.

»Ich sagte alle

»Jaja, schon gut.«

Innerhalb der nächsten Viertelstunde gelang es, den gesamten MIU-Unterschlupf mit allen verbleibenden vierzehn Mann zu mobilisieren.

»Also!«, erklärte Pfeiffer den Versammelten, die angesichts seiner Erregung mittlerweile hellwach waren. »Frau Schmitt hat mir alles mitgeteilt. Micha und Eric sind bei Fiacail Fhola, und zwar als Paul Frais’ persönliche Gefangene. Angeblich weiß er inzwischen, wo wir uns verstecken. Das Sicherheitsleck muss bei Fírinne liegen, denn Eric und Micha wurden geschnappt, sobald sie sich von denen getrennt hatten. Eff Eff müssen bei den Iren einen Informanten haben.«

»Was sollen wir machen?«, fragte Simon. »Angreifen? Wie bei Aleas Befreiung?«

»Nein«, wies Boris den Vorschlag strikt zurück, »das geht jetzt nicht mehr. Frais hat auf diesen Schlag reagiert und seine Leute zusammengezogen. Das Versteck ist jetzt uneinnehmbar.« Er zögerte und fügte hinzu: »Uneinnehmbar für … viele.«

»Ich verstehe nicht«, knurrte Buschfeldt.

»Ich auch nicht«, gestand Schievenhöfel.

Boris befeuchtete sich die Lippen und hielt den Laptop hoch, den Bildschirm den Umsitzenden zugewandt. Darauf zeichnete sich der Scan einer labyrinthartigen Skizze ab. »Seht ihr? Silke hat mir einen Plan des ganzen Verstecks geschickt. Das Tunnelsystem ist sehr weitläufig, es unterkellert fast die halbe Stadt, wie ich schon befürchtet habe. Es gibt mehrere Zugänge. Sie kann mich auf dem Laufenden halten, wann welcher Eingang wie bewacht wird, und sie kann ein paar von uns durch die Tunnel lotsen. Aber wir können nicht alle da runter, das fällt sofort auf.« Seufzend fügte er hinzu: »Wir können keine Vampire runterschicken. Die Eff-Eff-Vampire würden das sofort wittern. Menschen allerdings tummeln sich da unten gewaltig viele, weil Paul Frais ständig unter Vorwänden Fremde runterlockt. Vor allem natürlich als … Speisevorrat.«

»Ah ja«, begriff Ingo. »Ich sehe schon, was du vorhast: Ein paar von uns Menschen lassen sich als Hauptgericht einschleusen … und wenn sich die Gelegenheit bietet, dann …«

»Genau.« Pfeiffer nickte.

»Dann steht das Team ja fest, oder? Sebastian, Marco … und ich.«

»Und ich!«, fügte jemand hinzu. Alle Köpfe wandten sich nach ihm um.

»Och, Fritz«, sagte Falk kopfschüttelnd. »Wir wissen deinen Mut zu schätzen, aber hältst du das wirklich für klug? Du warst doch schon bei Eff Eff da drinnen, willst du das wiederholen?«

»Micha ist mein Partner!«, beharrte Fritz.

»Jaah, aber aus irgendeinem Grund, den du uns nicht nennen willst, haben Eff Eff dich entführt, ohne dass der alte Herr Rhein irgendwas dagegen unternommen hätte, oder sehe ich das falsch?«

»Ich glaube nicht, dass er das für Micha macht«, behauptete Ingo Hampf und kreuzte die kräftigen Arme vor der Brust. »Ich glaube eher, Klugscheißer will sich selbst was beweisen.«

Fritz senkte den Blick und sah ertappt aus.

»Ick bin dafür, dass wir ihn mitnehmen«, sprach sich Basti für Fritz’ Teilnahme am Einsatz aus. »Wir können jeden jebrauchen, und als Fakefang isser doch mittlerweile janz brauchbar.«

»Gut.« Pfeiffer nickte beifällig und wandte sich wieder dem Laptop zu. »Dann werden Frau Schmitt und ich jetzt einen Plan ausarbeiten, damit wir anfangen können, bevor es hell wird. Elsi, kommst du?«

»Ja, ja, bin schon da …« Die Antwort ging in einem Gähnen unter.

Boris drehte sich nach dem wenig affirmativen Geräusch um und stutzte, als sein Blick auf El Silbador fiel. Nicht nur, dass der junge Mann einen dünnen Fransenschal eng um den Hals geschlungen trug, nein, er sah auch noch verdächtig blass und müde aus. Pfeiffer holte tief Luft und beherrschte sich, bis Buschfeldt ohne jeden Kommentar das Besprechungszimmer verlassen hatte; dann sprang er auf, um den Vampiren, die ihm gerade folgen wollten, den Weg abzuschneiden und vor ihren Nasen die Tür zuzudrücken. Falk und Lasterbalk schauten ihn unerfreut an und schienen schon zu ahnen, was ihn verärgert hatte.

»Sagt mal, habt ihr sie noch alle?«, schimpfte Boris, der es immer noch nicht ganz glauben konnte. Anklagend zeigte er auf Elsi. »Wir brauchen jeden wachen Kopf und ihr beißt einen unserer Supervisors? Spinnt ihr? Ihr wisst, dass das auf Einsätzen tabu ist!«

»Bock hat es erlaubt«, murmelte Elsi. »Er hat mir Tabletten gegeben. Es ist eine Notsituation, und … ich lebe ja noch.«

»Notsituation?«, wiederholte Boris. »Nur weil diese Pfeifen das Buck-Up nicht trinken wollen?«

»Man kann das nicht trinken!«, rechtfertigte Falk sich ärgerlich.

»Trotzdem könnt ihr euch nicht einfach durch das Team beißen!«

»Machen wir ja auch gar nicht!«

Unerwartet ging Ingo Hampf dazwischen. »Ich frag mich gerade, warum ihr das nicht macht. Das ist eine verdammt geile Idee! Wir jammern, dass wir kein Blut für unsere Vampire haben, dabei sind wir Menschen voll mit dem Zeug! Wer könnte besser im Geheimen Blut spenden als wir

Pfeiffer ließ entgeistert die Schultern fallen. Darauf fiel ihm so schnell keine Erwiderung ein, doch Basti und Flex sprangen ihm zur Seite.

»Willste jetzt damit sagen, dass wir uns alle schwächen lassen sollen, bevor wir da in dit Versteck rennen? Ick denk ja nicht dran!«

»Es ist doch nur ein bisschen Blut, Lange!«, hielt Hampf dagegen. »Hab dich doch nicht so! Wer ist denn hier, um unser Versteck zu schützen, wenn wir weg sind, na? Außerdem haben Simon und Silvio genauso Hunger wie wir!«

»Ick gloobe nicht, dass ick für die Subway-Vampire bluten werde, Kumpel.«

»Für uns auch net?«, fragte Lasterbalk.

»So was sollte gar nicht nötig sein!«, befand Flex.

»Pech, es ist aber nötig.« Ingo sah fest vom einen zum anderen. »Wenn Michael hier wäre, hätte er jetzt genau das gleiche Problem.«

»Micha würde uns niemals beißen!«, empörte sich Marco. »Ganz egal, wie großen Hunger er hat!«

»Oh, ja, ich erinnere mich«, sinnierte Ingo und zitierte, wobei er versuchte, Michas Tonfall zu imitieren: »Nääääh, ich beiße meine Bänd nicht! Sind meine Fräunde, keine Bierdosen! Wär doch total respäktlos!«

»Janz jenau.« Basti reckte das Kinn vor.

Energisch trat Ingo auf ihn zu und fuhr ihn an: »Und wenn euer letztes Einhorn am Verhungern wäre, he?! Würdet ihr ihm nicht mal so ’nen kleinen Freundschaftsdienst erweisen, ihr Feiglinge?«

Basti machte einen Schritt rückwärts, verblüfft über die Offensive, und war plötzlich um eine Antwort verlegen. Fragend suchte er die Blicke seiner Bandkollegen.

Schließlich sagte Marco ruhig: »Natürlich würden wir.«

»Jeder von euch?«, bohrte Ingo.

»Ja. Klar.«

»Ach! Und wenn er sich weiterhin weigern würde, euch zu beißen? Würdet ihr ihn verrecken lassen? Oder würdet ihr den Beißzwang benutzen, um ihm das Leben zu retten?«

Wieder zögerten die Männer von In Extremo. Wieder war es Flex, der leise sagte: »Ja, würden wir bestimmt.«

»Na, dann sind wir uns doch einig!« Ingo klatschte theatralisch in die Hände. »Jeder blutet für seine Vampire, alles klar? Bock kann das Blut sammeln und kühlen, und aus diesem Pott kriegt dann der Vampir was, der es braucht. Ihr wisst so gut wie ich, dass es Vampiren dreckig geht, wenn sie nichts trinken. Simon, Silvio, Falk und Lasterbalk müssen unser Rattenloch hier verteidigen.«

»Vergiss nicht Asp«, erinnerte ihn Boris.

»Jaah, aber der wird das hormonverseuchte Wikingerzeug unserem Frischblut vorziehen. Was ist? Gehen wir jetzt spenden, oder was?« Ingo machte eine energische Geste zur Tür. »Los jetzt! Und aufpassen, dass der Chef nichts mitkriegt!«
 

Dr. Saltz verriegelte die Tür, nachdem sich alle in den Bockshof gedrängt hatten.

»Ihr habt es euch überlegt?«, wandte Falk sich in versöhnlichem Ton an In Extremo.

Boris nickte etwas verlegen. »Wir müssen zusammenhalten. Tut uns Leid, dass wir das vergessen haben.«

Lasterbalk lachte und sang: »Eins zwei, eins zwei, eins zwei drei … sieben Köche kotzen Brei …«

»Du krichst gleich jar nüscht«, murrte Basti, dem Bock gerade grinsend eine sterile Nadel in die Armbeuge trieb, um das Blut auszuleiten.

»Was ist mit Fritz?«, fragte Pfeiffer.

»Ach, den können wir im Leben nicht dazu überreden.« Ingo machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sowieso würde der uns nur umkippen und wäre für den Einsatz nicht mehr zu gebrauchen. Lasst mal, ich bin froh, dass der gerade ausnahmsweise mal ’n bisschen Courage zeigt.«

Nachdem Bock mit Lange fertig war, nahm er auch Flex einen halben Liter Blut ab. »Übrigens«, sagte er, während er an Marcos Oberarm den Gurt festzog, um die Vene anzustauen, »für Alea ist das heute der letzte Tag.«

»Wie?«, fragte Falk verständnislos.

»Ich meine, der letzte, an dem er einfach so rumliegen kann. Länger ist das nicht zu verantworten. Wir haben seinen hilflosen Körper schon viel zu lange sich selbst überlassen. Spätestens heute Abend wird das Personal sich Gedanken machen über künstliche Ernährung, Harnableitung und all das. Ich meine, er schläft zwar, aber sein Stoffwechsel arbeitet natürlich weiter.«

Alle Umstehenden tauschte unbehagliche Blicke. Aleas anhaltende Bewusstlosigkeit war zum unbequemsten Thema von allen geworden. Bock sagte daher nichts weiter dazu. Zuletzt schloss er sich der Blutspendeaktion an und punktierte sich selbst.

»So«, sagte er nach getaner Arbeit. »Wenn wir KP auch noch rumkriegen – und das werden wir –, dann haben wir sechs Spender, macht etwas mehr als drei Liter Blut. Das ist wenig, aber hilft erst mal.«

»Wir hatten ja gestern Abend was, also kannst du erst mal Schmittchen und Silvio damit füttern«, bot Lasterbalk an. »Zum Glück sind wir ohne Alex nur vier Trinker.«

Trotz dieser optimistischen Äußerung war allen klar, dass die aufopferungsvolle Blutspende der MIU-Kollegen nur ein Tropfen auf den heißen Stein war.
 

Fritz verstand sich selbst nicht.

Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was ihn wirklich zu der Dummheit bewogen hatte, sich freiwillig für die Unterwanderung des Fiacail-Fhola-Verstecks zu melden. Was brachte ihm das? Warum ließ er nicht andere Leute diese Arbeit machen, vor der er sich insgeheim so fürchtete? Als er seiner Versetzung zur MIU zugestimmt hatte, hätte nichts, aber auch wirklich gar nichts ihn darauf vorbereiten können, was ihn erwartet hatte. Niemals hätte er den Kampf gegen Vampire aufgenommen, hätte er es damals schon gewusst – gewusst, was die MIU wirklich war. Trotzdem stand er jetzt hier vor dem Spiegel und versuchte, UV-Lampe und Natron-Kanone so an seinem Körper zu verstecken, dass sie von außen nicht zu sehen waren. Ganz und gar nicht einfach. Wie machte Eric das bloß? Dessen Waffe Sonnenauge sah man nie – dabei hatte Simon Fritz erzählt, dass Eric die Natron-Kanone immer trug, sobald er auf der Bühne stand. Besonders die so getauften Eisheiligen Nächte um die Weihnachtszeit herum zögen viele Vampire an, nicht alle davon mit guten Absichten; einige nutzten die After-Show-Parties der Fans auch, um sich uneingeladen am menschlichen Buffet zu bedienen.

Als Fritz gerade seufzend zu dem Schluss kam, dass er den Hammer, ohne den er den Pflock nicht einschlagen konnte, unmöglich unterzubringen vermochte, klopfte jemand aus reiner Höflichkeit an die ohnehin offenstehende Tür und streckte den Kopf herein. »Fritz?« Es war El Silbador.

»Ja?«

»Ich find’s hammer, dass du mitgehst. Respekt. Boris und ich haben was für dich.« Der junge Mann hielt etwas hoch; es war so klein, dass Fritz ganz genau hinsehen musste.

»Was ist das?«

»Ein Peilsender. Damit wir ungefähr wissen, wo du dich rumtreibst, und es auf der Karte von Frau Schmitt verfolgen können. Es wäre zu auffällig, wenn ihr selber eine Karte hättet. Deshalb hat das Gerät auch einen Audiokanal.«

»Das heißt, wir können die ganze Zeit mit euch sprechen?«, fragte Fritz und hielt still, während Elsi den winzigen Apparat hinter seiner Ohrmuschel anbrachte.

»Ja, genau. Das Ding ist hochempfindlich. KP hat es gerade von der Polizeistation geholt. Ingo, Basti und Marco haben wir auch schon ausgestattet. Wir werden alles mitbekommen, was in eurer Umgebung passiert. Ihr braucht nur ganz leise zu wispern, wir hören alles.«

Diese Aussicht erfreute Fritz. Es würde beruhigend sein, eine Stimme im Ohr zu haben, die ihm genau sagte, was zu tun war.

»Aber«, brachte ihm Elsi bei, »solange ihr etwas sagt, hört ihr uns nicht, und umgekehrt. Wir können uns nicht gegenseitig ins Wort fallen, so weit ist die Technik noch nicht. Sollte aber kein Problem sein. Bist du bereit?«

Fritz fand, er war bereit.
 

»Es müsste bald hell werden«, stellte Ingo fest. »Auf ins Getümmel.«

Er, Van Lange, Flex und Fritz waren soeben mit aufbauenden Worten von allen Kollegen, die sich in dem engen grauen Flur um sie geschart hatten, verabschiedet worden; zwischen den dicht gedrängt Stehenden schlüpfte Amboss wie ein Stück Seife hin und her und wedelte aufgeregt.

Fritz fühlte sich seltsam ruhig, als sie sich zu viert auf den Weg machten. Es war noch mitten in der Nacht, aber er fühlte sich trotzdem ausgeruht und mit den drei kampferprobten Männern an seiner Seite auch nicht schwach. Der Gang bis zum staubigen Aufgang kam ihm unnatürlich lang vor. Wahrscheinlich würde das auch für den Rest des Weges gelten: Es gab nur eine sehr spezielle Möglichkeit, in das Versteck von Fiacail Fhola einzudringen, und es würde kein Leichtes werden, sie richtig zu nutzen.

Kurz bevor sie die Treppe erreichten, wandelte sich schlagartig das Bild.

»Halt«, sagte eine schroffe Stimme, die Fritz zwar kannte, jedoch noch nie in einem so zornerfüllten Ton hatte sprechen hören. Die Vier drehten sich um. Zwischen ihnen und den Zurückgebliebenen stand Klaus Buschfeldt mit vor Wut weißem Gesicht und geballten Fäusten. Seine Augen waren blutunterlaufen. »Ihr werdet keinen verfluchten Schritt mehr machen«, sagte er drohend.

»Warum nicht?«, fragte Fritz, während die anderen wissend den Mund hielten.

»Weil ich es nicht autorisiert habe«, grollte der Direktor. »Ich habe nichts hiervon autorisiert – weder die Aderlässe noch die Peilsender noch irgendetwas anderes, das hier innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden passiert ist!«

Fritz schluckte. Niemand regte sich; sowohl sein eigenes Team stand still als auch die übrigen Agenten hinter Buschfeldts Rücken. »Ja, und … was soll das jetzt heißen …?«

»Dass Sie, Herr Wunderbaum, genauso wenig irgendwo hingehen wie die drei Herren da neben Ihnen!« Noch immer sprach Buschfeldt gefährlich ruhig.

Fritz’ Hals war trocken. Er räusperte sich und versuchte, vernünftig einzuwenden: »Aber wir müssen, Chef. Soweit ich gehört habe, geht Paul Frais nicht gerade zimperlich mit Micha und Eric um.« Es war nicht klug gewesen, Micha zu erwähnen, deshalb beeilte Fritz sich zu ergänzen: »Eric ist Ihr bester Agent, erinnern Sie sich? Sie wollen bestimmt nicht, dass Frais ihn tötet.«

Buschfeldt sagte nichts. Er starrte Fritz an, und Fritz starrte zurück. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit befahl Buschfeldt unverändert ruhig: »Ihr Vier kommt sofort wieder her. Die Sache ist beendet. Ich ziehe euch alle von dem Fall ab wegen chronischen Ungehorsams. Genauso alle Vampire, weil sie das Blut anderer Mitarbeiter getrunken haben.« Niemand rührte sich. Buschfeldt fügte hinzu: »Jetzt sofort, wenn ich bitten darf.«

»Das ist nicht – …«, begann Falk, doch Buschfeldt fuhr wie eine Furie zu ihm herum.

»Halt den Rand, du blutsaugender Bastard!«, schrie er. »Haltet endlich alle den Mund und tut, was ich euch sage! Ich habe die Schnauze voll von euch beißwütigen, fangzähnigen Versagern! Ich sage, wir fahren alle zurück nach Alfeld, noch heute! Ich werde Kircher bitten, den Fall anderen Leuten zu geben – Leuten, die der Sache gewachsen sind. Leuten, die keine Probleme machen. Leuten, die kein Blut trinken!«

Schlagartig wurde die Luft ganz kalt. Fritz spürte den eisigen Hauch auf den nackten Armen, die sofort eine Gänsehaut überzog. Eine vibrierende Spannung zwischen den Parteien stand im Raum: zwischen den vier Aufbrechenden an der Treppe, Buschfeldt in der Mitte und dem Rest der MIU am Ende des Kellergangs.

Schließlich sagte Sugar Ray leise: »Nein.«

»Was meinst du mit Nein?«, schäumte Buschfeldt.

»Nein heißt Nein«, schloss sich Lasterbalk an und machte einen provokanten Schritt vorwärts. »Wir werden nicht wegfahren. Wir ziehen das Ding jetzt durch.«

»Wenn ihr das tut«, wisperte der Direktor, »dann sagt eurer dienstlichen und musikalischen Karriere Auf Wiedersehen.«

»Darüber reden wir später.« Auch Lasterbalk war ganz ruhig geblieben; sein Blick fixierte Buschfeldt. Obwohl er Tarnlinsen trug, war in diesem Moment nicht zu übersehen, dass er kein Mensch war; eine bedrohliche, unsichtbare Macht umhüllte ihn und ließ ihn ebenso unwirklich und furchteinflößend erscheinen wie auch die anderen Vampire. »Jungs?«, wandte er sich an die hinter ihm Stehenden, ohne sich nach ihnen umzudrehen. »Ich denke, der Tag ist gekommen, an dem wir mal klarstellen sollten, wer hier die schärferen Zähne hat.« Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung, und die anderen Vampire folgten ihm. Schritt für Schritt näherten sie sich Buschfeldt, nicht eilig, aber auch nicht langsam.

»Was wird das?«, fragte Buschfeldt und wirkte plötzlich angespannt. Erstmals war so etwas wie unterschwellige Furcht in seiner Stimme zu hören. »He – bleibt weg! Was habt ihr vor?«

Als Antwort darauf zogen Lasterbalk, Falk, Simon und Sugar Ray alle gleichzeitig die Oberlippe hoch und ließen leise klickend ihre dolchartigen Fangzähne hervor schießen. Das Geräusch erzeugte an den Wänden ein hohles Echo.

»Nein! Das könnt ihr nicht machen!«

»Legen wir die Nervensäge schlafen«, knurrte Silvio und sprang vor.

Schaudernd sah Fritz, wie die vier Vampire sich auf Buschfeldt stürzten und jeweils dort, wo sie ihn zu packen kriegten, ihre Zähne in sein Fleisch schlugen, um ihr Gift in sein Blut zu spritzen. Das Geheul des Mannes war groß, verebbte aber schon nach wenigen Sekunden in einem Wimmern und Lallen mit den Worten: »Wie könnt ihr es wagen …! Dassssss werdetihr nochbreuen …«

Basti fasste nach Fritz’ Schulter und zog ihn energisch zum Treppenaufgang. »Komm, dit kieken wir uns nicht an.«

»Wieso konnten sie das machen?«, stammelte Fritz, den es immer noch am ganzen Körper fror. »Ich denke, Vampire können nicht beißen, wen sie gut kennen …«

»Wen sie mögen, Fritz«, korrigierte Ingo in beinahe feierlichem Ernst. »Da wir Buschfeldt alle hassen, und zwar schon seit Jahren, war das ein Kinderspiel für sie.«

Nunmehr ungehindert ließen die vier Männer den unheilvollen Keller unter der Uniklinik hinter sich und brachen in die Nacht auf, wo ein erster heller Streifen am Horizont bereits den nahenden Morgen ankündigte.



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