Wikingerblut von CaroZ (MIU-Trilogie 1) ================================================================================ Kapitel 11: Falsche Freunde --------------------------- »Erklärt mir«, verlangte Fritz endlich, »was Fff … Fiäkl Olla, oder wie die heißen, eigentlich sein soll. Ist das ein Orden? Eine Sekte? Was bedeutet das Wort überhaupt?« »Es bedeutet ›Blutzahn‹«, sagte Falk. »Du weißt schon, das wissenschaftlich korrekte Wort für den vampirischen Caninus. Dens sanguinis.« Der Seminarraum war zum Aufenthaltsraum schlechthin geworden, auch wenn es dort etwas unbequem war, seit er als Tobezimmer zweckentfremdet wurde. Die meisten der Tische standen noch immer am Rand, und über die Turnmatte musste man hinübersteigen. Vor den Fenstern dämmerte es mittlerweile; Ingo Hampf war unverändert gänzlich lärmfrei am Kochen. »Und welche Sprache soll das sein? Gälisch, oder wie?« »Irisches Gälisch, ja. Fiacail Fhola ist eine Bande aus Irland. Deshalb fragen wir uns auch, was die hier wollen. Sie sind ein … wie kann man sagen … Netzwerk aus Vampiren, die sich nicht den Menschen unterordnen wollen. Najaah, es lässt sich ja nicht leugnen, dass Vampire von wissenden Menschen allgemein eher schlecht behandelt werden, aber unserer Meinung nach ist das noch lange kein Grund, Menschen zu terrorisieren. Aber genau das tun die. Sie sind – das kannst du dir denken – Bestien, das heißt, sie lehnen Rücksicht gegenüber Menschen, also Beute, prinzipiell ab.« »Was net heißt«, warf Lasterbalk ein, »dass Fiacail Fhola nur aus Vampiren bestehen würde. Witzigerweise haben die eine ganze Menge menschlicher Sympathisanten. Wir vermuten, dass die auch Vampire werden wollen, irgendwann. Oberhaupt des Ganzen ist übrigens ein Vampir namens Paul Frais. Keine Ahnung, ob das sein echter Name ist, und genauso wenig wissen wir, wie alt er ist. Schade, denn das hätte einen großen Vorteil für uns. Vampire werden stärker und trickreicher mit der Anzahl der Leben, die sie gelebt haben. Wir Vampire sind ja net alterslos, Fritz, aber wir können uns verjüngen und ein Leben von vorne anfangen, wenn das aktuelle dem Ende zugeht. Je älter man ist, desto mehr nützliche Sachen kann man lernen. Besonders begehrt: Abkömmlinge erschaffen. Von uns hier in der MIU sind nur ganz wenige alt genug dafür.« Fritz stützte das Kinn auf die Faust. »Ihr wisst also nicht, was dieser Frais alles kann.« »Genau.« »Aber ihr seid sicher, dass er noch an der Macht ist? Wann habt ihr zuletzt gegen diese Bande gekämpft?« »Vor ein paar Jahren in Irland.« Bei der Erinnerung daran stahl sich ein breites Lächeln auf Falks Gesicht. »Der erste große Einsatz von Lámh Dé. Unvergessen.« Schon wieder so ein schreckliches Wort. Fritz imitierte die Aussprache mühsam: »Und was soll das sein … Loww Dschäh?« »Wir haben Verbündete in Irland«, erklärte Lasterbalk. »Die staatliche Vampirfang-Organisation, Fírinne. Das bedeutet ›Wahrheit‹. Die irische Präsidentin, Mary McAleese – übrigens selbst eine Vampirin – leitet sie persönlich. Lámh Dé ist der Name, den sie Alea gegeben haben, es heißt ›die Hand Gottes‹. Lustig, nech? Sie selber haben keinen Vexecutor und hatten auch nie einen, deshalb sind sie einfach unfassbar fasziniert von Aleas Fähigkeiten. Ich glaube, sie würden ganz Irland an Deutschland abtreten, nur um ihn zu kriegen.« Er und Falk tauschten ein wissendes Lächeln. »Und ihr habt Fiäkl Olla damals alle gemeinsam zerschlagen …« »Ja«, nickte Falk. »Das Gute ist, dass Alea jetzt unter dem Namen Lámh Dé auch Fiacail Fhola gut bekannt ist. Tja, so eine lebende Legende spricht sich rum. Unsere Feinde wissen, was er kann, und machen sich in die Hosen, wenn er auf den Plan tritt.« »Genau, und nur auf diese Weise haben wir damals Eff Eff bei den, wie Micha wohl sagen würde, Eiern gehabt. Wir, also Saltatio Mortis, waren gerade bei der MIU aufgenommen worden – was Subway To Sally gut fanden und In Extremo net so, aber egal –, da kriegten Fírinne die ersten Probleme mit diesen Irren und baten uns um Hilfe. Aleas Fähigkeit hatten wir zu dem Zeitpunkt schon erkannt, aber net in allen Ausmaßen. Wir haben ihn ermutigt, die Vampire zu töten, und er hat es getan. Einen nach dem anderen. Paul Frais ist bald ausgetickt vor Angst. Zuletzt ist er mit ein paar wenigen Übrigen abgetaucht und ward net mehr gesehen. Naja, bis heute.« »Oh je.« Fritz starrte, von neuerlichen, unangenehmen Ahnungen gepackt, vom einen zum anderen. »Wenn das also wirklich die sind, die uns hier Probleme machen …« »Dann wird es haarig«, nickte Falk, »und deshalb müssen wir das Versteck am Bahnhof auch sofort säubern. Dumm, dass wir unsere Locksänger nicht herkriegen, Faun sind anderswo unterwegs. Es kann also sein, dass die ganze Vampirschar sich verkrümelt, wenn wir Alea zu ihnen bringen … Das kann gut für uns sein, weil sie dann weg sind, aber auch schlecht, weil wir sie nicht kriegen. Außerdem gibt es uns Anlass zur Sorge, dass Paul Frais sich offenbar überhaupt wieder blicken lässt. Hat er keine Angst mehr? Hat er eine Möglichkeit gefunden, sich gegen uns zu wehren? Wir wissen es nicht. Werden es wohl in Bälde erfahren. Wirst du mitkommen, Fritz?« Fritz zog die Brauen hoch. »Muss ich denn?« »Das wird Chefchen entscheiden. Wenn er meint, er hätte dich noch nicht genug gequält …« »Ich finde, das hat er«, murmelte Fritz düster. Kurz nachdem ein unschlüssiges Schweigen eingesetzt hatte, kam Simon Schmitt in den Seminarraum gehuscht. »Alea kommt!«, wisperte er sichtbar hektisch. »Schnell, schnell, schnell weg!« Er deutete auf eine angebrochene Packung Azathioprin, die unschuldig auf dem Tisch lag und die Falk hastig ergriff und in eine Tasche steckte. Fritz duckte sich unwillkürlich. Der Killer, dachte er. Muss mich gut mit ihm stellen. Auch wenn er richtig fies und grausam und brutal ist … Es könnte lebensverlängernd sein! Jemand kam herein, aber es war nur Ingo. »Ihr könntet mal den Tisch decken«, sagte er. »Fritz? Geh mal draußen die Außenleuchte anschalten. Gleich neben der Haustür ist so ein kleiner weißer Knopf, drück den. Sonst findet man den verfickten Eingang im Dunkeln nicht.« Widerstrebend tat Fritz, wie ihm geheißen, auch wenn er seit den letzten Tagen gar nicht mehr gern allein im Dunkeln war. Der Flur erschien ihm unnormal lang und finster. Draußen, stellte er mit noch größerem Unbehagen fest, hatte es schon wieder zu regnen begonnen. Fritz tastete an der nassen Hauswand nach dem Lichtschalter, möglichst ohne über die Schwelle in den Regen zu treten. Sein Arm war minimal zu kurz. Die Augen gegen vorwitzige Tropfen zusammenkneifend, reckte er die Finger noch weiter. »Warte, ich mach schon. Bin ja sowieso nass«, sagte jemand und schaltete das Licht ein. Fritz erschrak. Sein Blick, jäh erhellt, fiel auf einen jungen Mann, einen halben Kopf kleiner als er, dem Regenwasser aus teilweise rot und schwarz angefärbtem Haar perlte und der einen markanten Kinnbart trug. Was wollte der Typ denn jetzt? Verdammt, sie warteten doch auf den Killer! Offensichtlich hatte der dreiste Kerl vor, das Haus zu betreten. »He, Sie können hier nicht rein!«, beeilte sich Fritz und versperrte den Weg. »Hä? Wieso nicht?«, fragte der Fremde verwundert und blieb im Regen stehen. »Weil das hier kein öffentliches Gebäude ist! Das ist ein – Wohnhaus!« Scheiße, niemand hatte ihn auf neugierige Passanten vorbereitet! Vielleicht war das sogar ein Vampirspion! Allerdings – wenn, dann ein verdammt harmlos aussehender. Er war ja nicht mal besonders groß, nur irgendwie drahtig, und seine Augen sahen für einen Vampir viel zu offensichtlich freundlich aus. Keine Aura des Undurchschaubaren umgab ihn. Fritz plapperte weiter: »Also, wie Sie sehen, sind hier keine Namensschilder, das Haus steht also offiziell leer. Vielleicht kann ich Sie ja doch noch überzeugen, dass Sie sich in der Tür geirrt –« »Ah, Musik!«, unterbrach ihn der Fremde, als wäre ihm etwas Wichtiges wieder eingefallen. »Genau! Es ist so still …! Nee, Mist, das war’s nicht. Moment, Moment. Irgendwas mit Musik war das doch …« Angestrengt nachdenkend wischte er sich das nasse Haar aus der Stirn. »… Moooooment …« Fritz ließ perplex die Schultern fallen. Was zum Kuckuck …? »Musikmusikmusikmusik … Ach ja! ›Was ist nur aus der guten alten Musik geworden‹?«, zitierte der Fremde endlich triumphierend die Parole, die Fritz in der Papierfabrik in Alfeld benutzt hatte, um sich Zugang zu verschaffen. »So! Kann ich jetzt bitte rein? Ist echt eklig nass hier draußen.« Fritz’ Verblüffung fühlte sich grenzenlos an. »Aber wir … wir erwart– …« Und dann machte es in seinem Kopf endlich PLONK, und zwar so laut, dass es zwischen den Ohren weh tat. »Moment mal … Sie – ich meine, du bist Alea? Duuu?« Scheiße, der Bart passt … »Ääh … Ja?« Der Angesprochene zuckte die Schultern, was eine Menge Wassertropfen dazu veranlasste, von seiner Jacke abzuspringen. »Wer denn sonst? Kennen wir … uns überhaupt …?« »Äh – nein.« Wie in Zeitlupe trat Fritz von der Tür weg und starrte sicherheitshalber noch einmal an Alea vorbei, als könnte es sich immer noch um einen Irrtum handeln. »Ich – ich bin Fritz. Entschuldige, aber ich hab mir dich irgendwie anders vorgestellt.« »So? Und wie?«, fragte Alea, während er, im Flur den Regen abschüttelnd, Fritz vorsichtig anlächelte. »Du wirkst so … enttäuscht.« »Naja, ich … ich hab dich mal auf ’nem Poster gesehen, da sahst du … gefährlicher aus. Naja, ist ja auch egal!«, versuchte Fritz hektisch, den ersten Eindruck zu retten. »Ich weiß nur, dass du Vampire töten kannst! Das finde ich spitze!« Aleas Lächeln verschwand. »Oh, ja«, seufzte er. Mist, dachte Fritz. Irgendwas stimmt mit dem Typen nicht. Vielleicht sollte ich die Klappe halten. Er führte Alea durch den schummrigen Gang – inzwischen konnte er die weißen Flure halbwegs voneinander unterscheiden – an den Türen vorbei, die zu den Schlafzimmern führten, bis in den Seminarraum, wo sich scheinheilig lächelnd alle MIU-Mitglieder eingefunden hatten und ihren Teamkameraden nun begeistert willkommen hießen wie einen verlorenen Sohn. Besonders zum Tragen kam dieser Vergleich, als Lasterbalk, neben dem Alea tatsächlich wie ein Kind wirkte, ihn an die Brust drückte und ihm mit den Worten »Na, mein kleiner König?« auf den Kopf patschte. »Hört auf, hört auf«, protestierte Alea schwach, als ihm jeder mindestens einen freundschaftlichen, aber deshalb nicht minder schmerzhaften Knuff verpasste. »Jetzt ist’s genug, ich … Hey, ich bin klatschnass … Sagt mal, bin ich hier auf ’nem Meet-and-Greet mit lauter Groupies? Hört auf jetzt!« »Lasst unsere Killermaschine in Ruhe und kommt essen!«, forderte Hampf die Männer endlich mit Nachdruck auf. Kurze Zeit später saßen sie alle mehr oder minder friedlich, aber wie immer laut redend, um den Tisch. Alea kommentierte die herrschende Unordnung und die Übungsmatten nicht; sicherlich kannte er das sogenannte Vertuschungsprogramm, in dem Menschen die Rollen von Vampiren übernahmen. Fritz fiel auf, dass sogar Buschfeldt gut gelaunt aussah. Er selbst saß zwischen Sebastian und Simon, dem Lasterbalk gerade ganz leise von rechts zuraunte: »Net spucken, Schmittchen. Iss vorsichtig.« Der jüngere Vampir hob nur kühl eine Augenbraue. »Ich hab’s kapiert.« Nach dem glücklicherweise ereignislos verlaufenen Abendbrot kehrte postwendend wieder Ernst in die Runde ein. »Du weißt, wieso du hier bist«, sagte Buschfeldt streng. Alea sah ihn aufmerksam an. »Ja.« »Wir nehmen ein Vampirversteck hoch, von dem wir nicht wissen, wie viele Schwarzblütige sich dort aufhalten.« »Ja, ich weiß.« »Bist du bereit, deine Fähigkeiten einzusetzen?« »Wenn’s nicht anders geht«, wich Alea aus. Er wirkte angespannt. »Gut, das muss reichen.« Mit gewichtigem Nicken fuhr der Direktor, an die ganze Runde gewandt, fort: »Ich will nur diejenigen auf der Pirsch, die zu was zu gebrauchen sind. Alea, Falk, Lasterbalk, Asp, Hampf, Einhorn, Lange, Flex.« Sein Finger war vom einen zum anderen gewandert. »Der Rest bleibt hier.« Fritz fiel ein Stein vom Herzen. »Ich muss nicht mit!«, brachte er selig hervor, was die anderen dazu veranlasste, ihm schräge Blicke zuzuwerfen. »Moment mal, ich denke, Fritz ist jetzt mein Baby«, erinnerte Micha und zeigte mit dem Daumen auf ihn. »Muss ich ihn nicht mitschleppen?« »Wenn du dir einen Klotz ans Bein binden möchtest, gerne.« Buschfeldts Gesicht hatte wieder die übliche, unbewegte Miene angenommen. Widerwillig korrigierte er sich: »Ich halte Friedrich einfach für noch nicht ganz einsatzbereit, was das Zerschlagen eines Vampirnests betrifft. Aber ihr arbeitet ja daran, nicht wahr?« »Wir üben weiter, während ihr weg seid«, versicherte Pfeiffer. Damit war das Ganze beschlossene Sache, und das Einsatzteam rüstete sich ohne Verzögerung zum Aufbruch. Fritz nahm mit Verwunderung zur Kenntnis, wie unwohl sich Alea angesichts seiner Aufgabe zu fühlen schien, und sprach ihn darauf an. »Du … Du magst es nicht, Vampire zu töten, oder?« Alea schüttelte nur den Kopf. »Nee … nicht so.« »Warum nicht? Du kannst dir nicht vorstellen, was ich tun würde, um mit dir zu tauschen! Wenn ich Vampire so erledigen könnte, wie ich’s von dir gehört hab, dann würde ich mich so unendlich sicher fühlen … Das wäre traumhaft!« Er meinte es ganz ehrlich. Diesmal rang sich Alea immerhin ein schwaches Lächeln ab, das jedoch sofort verschwand, als er erklärte: »Fritz … so heißt du, ne? Fritz, glaub mir, es ist nichts, wirklich gar nichts Angenehmes daran, jemanden vom Leben zum Tod zu befördern. Ich mache das nur, wenn es wirklich keinen anderen Weg gibt. Ich behaupte, das, was ich mache, ist sogar noch schwieriger als jemanden einfach … zu erschießen, oder so. Wenn man sich auf einen Herzschlag konzentriert und spürt, wie er … langsamer wird … und schließlich aufhört … fühlt man sich grausam. Klar. Eigentlich sollte keiner die Macht haben, so was auf so einfache Weise zu machen. Ich wünschte, ich könnte das nicht, ganz ehrlich.« »Oh.« Aus dieser Perspektive hatte Fritz die Angelegenheit noch nicht betrachtet; er versuchte, sich darauf einzulassen, doch so richtig gelang es ihm nicht. Dass Alea diese Fähigkeit gern los wäre, wollte einfach nicht in seinen Kopf. »Aber du … machst es ja trotzdem«, stellte er schließlich fest. »Naja, weil ich Menschen beschützen muss. Manchmal muss man von zwei Entscheidungen eben die treffen, die für einen persönlich erst mal unangenehmer ist, aber die dann insgesamt einen … hm … höheren Zweck hat.« Nach diesem Gespräch wusste Fritz nicht mehr so richtig, was er von Alea halten sollte. In jedem Falle war er maßlos enttäuscht darüber, die Geheimwaffe der MIU eher als Pazifisten zu erleben, auf den die Beschreibungen lieb und nett weit besser passten als tödlich und gefährlich. Im HQ zurück blieben außer Fritz noch Bock, Buschfeldt, Schievenhöfel, Simon, Pfeiffer und El Silbador. Letztere holten sich, nachdem das Jagdteam aufgebrochen war, aus der Polizeizentrale das iPhone des jüngsten Opfers, denn natürlich war auch dieses mit aufgesetzten Kopfhörern gestorben. Fritz setzte sich gelangweilt neben sie, während sie die Tracklist durchgingen. »Diese komische Wuppertaler Studentenband ist auch wieder dabei«, stellte Boris fest. »Snowine … Was soll denn bloß heißen? Ist das ein Mix aus Snow und Wine?«, mutmaßte Elsi, das Kinn auf die Faust gestützt. Fritz lauschte ihrer Diskussion nur mit halbem Ohr, bis er sich plötzlich angesprochen fand. »Du bist ganz schön ernüchtert davon, wie Alea wirklich ist, oder?«, fragte Elsi ihn neckend. »Aber wir haben dir gesagt, dass er kein Superheld ist.« »Ihr habt mir nicht gesagt, dass er es hasst, Vampire zu töten«, grummelte Fritz. »Den Job hasst er wirklich, ja. Da ist er doch lieber Spielmann.« Fritz schüttelte nur betrübt den Kopf. »Spielleute … Mann. Seid ihr das eigentlich alle?« Ihm fiel wieder ein, dass er eigentlich vorgehabt hatte, mehr über die Musik seiner Kollegen in Erfahrung zu bringen; er befürchtete jedoch, dass es in die Richtung ging, die Kitty so mochte, und auf dieses Geträller, gemischt mit harten Gitarrenklängen, brannte er nicht gerade. Ach, Kitty, dachte er sehnsüchtig. Wie gerne hätte er sie jetzt auf dem Schoß sitzen gehabt, ein Glas Wein in der Hand und der Tatort im Fernsehen … »Ja, sind wir alle«, beantwortete El Silbador die Frage, von der Fritz schon fast vergessen hatte, dass er sie gestellt hatte. »Falls es dich wundert, dass wir alle in einer ähnlichen Musikrichtung tätig sind: Das liegt an den Vampiren. Die MIU beschäftigt nun mal Vampire, und Vampire lieben Sackpfeifenmusik.« Dies weckte nun doch Fritz’ Aufmerksamkeit. Verdattert drehte er sich nach Elsi um. »Vampire stehen auf dieses ätz– … dieses Gedudel?« »Hmmm.« Boris nickte. »Woran das liegt, weiß man nicht, aber die Töne klingen in Vampirohren offenbar wundervoll. Dabei ist es auch ganz egal, was für ein Typ Sack es ist oder aus welchem Kulturkreis die Musik kommt. Vampire lieben Säcke. Entweder spielen sie selbst einen, oder sie tummeln sich eben da, wo andere Leute einen spielen.« »Kennst du das MPS, Fritz?«, fuhr Elsi fort. »Das größte Mittelalter-Festival Europas. Wir von SaMo betreuen das jeden Sommer, weil sich unter den Besuchern etliche Vampire tummeln, um sich die Abend- und Nachtkonzerte anzuhören. Bisher waren sie immer friedlich, aber man weiß nie; deshalb haben wir zu fast allen Terminen eine Locksängerband dabei, meistens Faun. In jeder Saison müssen wir den Veranstalter aufs Neue überzeugen, uns auch fürs nächste Jahr wieder einzubuchen, damit wir unsere Arbeit machen können. Zum Glück kennen wir ihn schon lange. Es ist ein echt harter Job, den zweiten Tag jedes Wochenendes brauchen wir immer zum Auswerten der Beobachtungen. Aber es ist wichtig, und da wir mit dem MPS überhaupt erst bekannt geworden sind, ist das jetzt natürlich unser Hauptaufgabenbereich.« »Verstehe«, murmelte Fritz. Ein Mittelalter-Festival voller Vampire? Er staunte und war zugleich erleichtert, dass Kitty ihm noch nie damit in den Ohren gelegen hatte. Komisch eigentlich, vielleicht wusste sie gar nichts davon. »Darf ich mir den Laptop mal … leihen?«, erkundigte er sich dann. Pfeiffer und El Silbador schauten gleichermaßen verblüfft zurück. »Ich möchte mal ein bisschen … ins Internet.« Die beiden tauschten einen Blick. Dann zuckte Pfeiffer die Schultern. »In Ordnung. Tob dich aus. Aber denk dran, dass wir weiter Pfählen und Vampirverhalten üben müssen. Buschfeldt wird das prüfen.« »Das hat Zeit. Meine Recherchen nicht«, insistierte Fritz. Daraufhin überließen ihm die beiden Techniker das Feld. Amboss hob die Nase und schnüffelte sichtbar. Seine Schwanzspitze wackelte wie ein empfindlicher Sensor. »Merkwürdig«, bemerkte Asp leise. »Als wir zuletzt hier waren, hat er sofort verrückt gespielt.« »Sicher, dass er nicht nur irgendwas zu fressen gerochen hat?«, murrte Ingo. »Du unterschätzt diesen Hund«, belehrte ihn Falk. Sie standen tief unten in den Eingeweiden des Wuppertaler Hauptbahnshofs in einem Bereich, der durch eine Glastür mit der Aufschrift ›Nur für Personal‹ vom Rest des verlassenen Bahnsteigs abgetrennt war. Die Wände und die niedrige Decke waren roh betoniert und tropften; zwei graue Türen zweigten ab, hinter der linken befanden sich Reinigungsutensilien. An der rechten, die verschlossen war, schnupperte der Bluthund. Nach eher kurzer Diskussion entschieden die Ermittler, die für Amboss nur wenig interessante Tür dennoch zu öffnen. Micha versuchte, seinen Universalschlüssel in das leicht rostige Schloss zu zwingen, und hatte Erfolg. »Ich staune immer wieder«, kommentierte er. Hinter der Tür empfing sie Dunkelheit. »Licht?« Van Lange betastete die feuchte Wand. »Nö. Aber zum Glück können einije von uns ja trotzdem sehen.« »Ich hätte«, begann Alea prompt, wie jedes Mal, »übrigens auch endlich gerne mal solche leuchtenden Kontaktlinsen, mit denen man im Dunkeln sehen kann. Warum krieg ich so was als Einziger nie? Ich soll doch die Vampire erledigen.« »Weil wir genau eingeteilt haben, wer die Vorhut ist«, beeilte sich Falk, »und das sind nun mal wir –« Damit meinte er Lasterbalk und sich selbst. »– Michael und Alex. Du bist wertvoll und bleibst hinten, das ist sicherer.« Rasch wechselte er das Thema, während er sich umsah. »Hier scheint nicht oft jemand reinzukommen, jedenfalls kein Mensch. Wenn ihr sehen könntet, wie’s hier aussieht! Alles voll mit … Stroh und … Klamotten? Könnten auch Decken sein. Ein paar Werkzeuge … Einfach lauter Schrott. Typisches Vampirlager.« »Vampire brauchen halt keen Licht … und keene Ordnung.« »Da kenn ich aber noch andere, Basti«, sagte Micha und rümpfte die Nase. »Übrigens riecht’s hier irgendwie eklig, aber ich weiß nicht genau, wonach.« »Mottenkugeln?« »Kann sein.« Alea, den Falk und Lasterbalk schützend zwischen sich hielten, als könnte ihn aus dem Nichts etwas anfallen, schloss halb die Augen und konzentrierte sich. Die Übrigen hielten an, als sie sahen, dass er auf seine ganz eigene Art Ausschau hielt. »Es sind … Es ist …«, begann er schließlich unschlüssig. »Ja?« »Ich – ich weiß nicht. Hier waren viele, richtig viele …« Wie in Trance begann er weiterzugehen. Ein paar Schritte später fing Amboss an zu knurren und erstarrte zur Salzsäule. Sein Nackenfell sträubte sich. »Hier müssen welche sein!«, flüsterte Lasterbalk angespannt. »Schnell! Sortieren wir schon mal die Babys raus! Alea? Micha? Bereit?« Micha drehte sich nach Alea um, von dem er wusste, dass der immer noch nichts sehen konnte. »Das gleiche wie immer?«, fragte er. »Okay.« Alea öffnete die Augen und nickte. »Bin soweit.« Auf Lasterbalks Zeichen hin stimmten sie zu zweit jenes Lockstück an, das ihnen bisher stets gute Dienste geleistet hatte, wenn es darum ging, neu erschaffene Vampire zu bezirzen. Es war alt, und alte Vampire waren lange gegen seine Wirkung gefeit, doch bei denjenigen, die es noch nicht kannten, war der Effekt seit Jahrhunderten bemerkenswert. Leise sangen sie: »Ai vist lo lop, lo rainard, la lèbre, Ai vist lo lop, lo rainard dancar. Totei tres fasiàn lo torn de l’aubre, Ai vist lo lop, lo rainard, la lèbre, Totei tres fasiàn lo torn de l’aubre, Fasiàn lo torn dau boisson folhat …« Nichts tat sich. Einen Moment lang horchten die Männer ins muffige Dunkel, und nur Amboss’ leises Knurren war zu hören; dann gaben sie auf. »Test negativ«, stellte Falk fest. »Keine jungen Vampire.« »Da!«, rief Lasterbalk plötzlich aus und zeigte jäh so wild fuchtelnd auf etwas, dass er Alea die Schulter rammte. »Leiche! Los, rüber!« Unwillkürlich sortierten sich die Acht in jene, die sehen konnten, und jene, die blind blieben; letztere verharrten unschlüssig an Ort und Stelle, während die Erstgenannten sich um einen Körper scharten, der etwas abseits zwischen zweien der Stroh- und Deckenhügeln lag, die den hallenartigen Raum anfüllten. Asp kniete sich als erster zu der älteren Frau, deren halb ergrautes Haar sich aus ihrem ordentlichen Dutt gelöst hatte, und drehte sie vorsichtig auf den Rücken. Auf den ersten Blick fehlte ihr nichts; sie trug die Kluft einer Reinigungskraft. »Es ist die Putze!«, sagte Lasterbalk überflüssigerweise. »Ja, das sehe ich auch … Aber woran ist sie … oh.« Asp hatte den Kopf der Frau nach links gedreht, weshalb nun ihre rechte Halsseite sichtbar wurde. »Frische Bisswunden«, murmelte er. »An einem Biss stirbt man aber net.« »Ich sagte Wun-den. Das ist ein Plural.« »Was?« Nun bückten sich alle vier und beglotzten das Opfer. Was sie sahen, ließ sie schaudern: Nicht nur ein Vampir hatte die Unglückselige gebissen, sondern, soweit die vielen Zahneinstiche eine Schätzung zuließen, mindestens fünf. »Die haben ja ’ne Party gefeiert!«, sagte Falk fassungslos. »Wenn jeder von denen einen halben Liter Blut oder mehr getrunken hat, ist das als Todesursache durchaus plausibel.« Asp erhob sich mit einem tiefen Atemzug. Lasterbalk nickte langsam. »Sie sind entdeckt worden … und abgehauen. Aber net ohne die Entdeckerin zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass sie nix verrät. Und net ohne einen leckeren Abschiedssnack.« »Die Arme«, murmelte Falk teilnahmsvoll. »Stellt euch das mal vor … Man wird von zig Bestien gleichzeitig gepackt … liegt auf dem Stein, platt durch das Gift … und wird von einem nach dem anderen ausgesaugt … bis man endlich alle Stadien des hämorrhagischen Schocks durchlebt hat …« »Seien wir froh, dass Fritz net hier ist. Das wäre Stoff für seine Albträume.« Währenddessen standen die menschlichen Teilnehmer der Expedition unverändert nahe der Tür und lauschten mit Unbehagen. »Seid ihr fertig?«, fragte Ingo und staunte selbst, wie hohl seine sonst so kräftige Stimme klang. »Der Hund hat sich beruhigt … Es ging wohl nur um die Leiche.« Lasterbalk ergriff den blutleeren Körper und warf ihn sich einigermaßen behutsam über die Schulter. Zynisch meinte er: »Die Polizei wird kotzen. Wieder ein Vampirgräuel.« »Scheiße, dass Vampire so brutale, scheußliche Viecher sind!«, zischte Alea, und in seiner Stimme schwang schwelender Zorn mit. Niemand korrigierte ihn; natürlich nicht. »Diejenigen, die das gemacht haben … die hätte ich erledigt!« »Das wissen wir«, sagte Micha knapp. »Aber jetzt müssen wir abhauen. Hier ist nichts mehr zu holen. Nur die Tatortreinigung hat hier noch was zu tun.« So mussten die Acht unverrichteter Dinge wieder abziehen. Auf dem Weg durch den Bahnhof kamen ihnen wenige, bereits winterlich gekleidete Reisende entgegen, die nicht einmal ahnten, was sich in unmittelbarer Entfernung vor kurzem ereignet hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)