Dark Night's Kiss von Darklover ================================================================================ Kapitel 53: 53. Kapitel ----------------------- Als Emma gegen den Schreibtisch taumelte, riss ihn das Geräusch aus seinem Blutrausch. Erst jetzt zuckte Caydens Blick ihren Arm entlang nach oben, direkt in das verzerrte Gesicht der Frau, die er über alles liebte. Beinahe hätte der Schock ihres Anblicks ihn zurückschrecken lassen, aber er hatte immer noch die Spitzen seiner Fänge in ihrem Fleisch und damit ging eine Menge Verantwortung einher. Also schlang er instinktiv einen Arm um ihre Taille und zog sie zu sich heran, damit sie sich mehr schlecht als recht auf seinen Schoß fallen lassen musste, bevor sie ihm am Ende noch umkippte. Danach begann er gründlich ihre Wunde zu versorgen, obwohl er weder genug hatte, noch so leicht von diesem köstlichen Geschmack ablassen konnte. Aber Emma war nicht Vanessa und darum machte er sich ernsthaft Gedanken darüber, dass er sie bereits ernsthaft in Bedrängnis gebracht haben könnte, was ihre körperlichen Kräfte anging. Zudem kam auch noch hinzu, dass Emma noch nie Blut von ihm angenommen hatte und deshalb schwerer damit fertig wurde. Einer der triftigsten Gründe, warum er heute Morgen beschlossen hatte, rauszugehen, um sich jemand anderen zu suchen, der seinen Durst stillen konnte. Sein Bedarf war schon zu hoch gewesen, um Emma nicht deutlich zu schwächen. Erst als er sichergegangen war, dass die Wunde in ihrer Armbeuge sich geschlossen hatte, ließ er ihren Arm los und konzentrierte sich nun stattdessen auf ihr Gesicht. Fast hätte er geflucht, als er die Blässe ihrer Wangen sah und dass sie Mühe hatte, ihren Kopf gerade zu halten. „Em, sie mich an. Du musst tief durchatmen“, forderte er sie auf, während er in Gedanken bereits alle Möglichkeiten durchging, um es ihr wieder besser gehen zulassen. Aber einmal von seinem Blut abgesehen, erschienen ihm die anderen Hausmittelchen ziemlich dürftig.   „Ich ...“ Das Durchatmen machte es nur noch schlimmer. Ihr wurde so schlecht, dass Emma geradeaus durch Cayden hindurch starrte und sich mit den Fingern in das Erste verkrallte, was sie zu fassen bekam. „Darf ich ... mich hinlegen?“ Sitzen war schon besser als Stehen, aber Emmas Körper schien nach noch mehr zu verlangen. Ihr Herz klopfte und sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. „Bitte. Mir ist übel.“ Halb schob sie ihn weg, halb zog sie sich von seinem Schoß. Der Papierkorb wurde immer verlockender, aber da es sich um ein Drahtgeflecht handelte, würde das auch nicht reichen. Hilfesuchend sah Emma sich um, schrumpfte in sich zusammen und umschlang kauernd ihre Knie. Sie wollte sich bloß nicht vor Cayden übergeben müssen. Bitte, bitte nicht.   „Warte, ich bin gleich wieder da.“ Cayden ließ Emmas Schultern los, die er berührt hatte, nachdem sie sich von ihm losgemacht hatte. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass sie umfiel und sich irgendwie dabei verletzte. Aber da sie saß, konnte schon einmal nicht mehr so viel passieren, weshalb er einen kurzen Sprint in das kleine Bad riskieren konnte. Schnell schnappte er sich ein kleines Handtuch, befeuchtete es und griff nach dem Plastikkübel unter dem Waschbecken, ehe er auch schon wieder bei Emma war und sich neben sie hinkniete. Den Kübel stellte er zur Seite, sodass sie ihn zwar nicht wirklich sehen, aber er schnell genug danach greifen konnte, falls sie sich tatsächlich übergeben musste. Danach half er ihr, sich vorsichtig für einen Moment hinzulegen. Mit seinem Aktenkoffer lagerte er ihre Beine hoch, während sein zusammengerolltes Jackett als Kopfstütze herhielt. Vorsichtig betupfte er ihr mit dem feuchten Handtuch das Gesicht, während er sich in Gedanken selbst zusammenstauchte. „Besser?“, wollte er leise wissen, obwohl er kaum eine merkliche Besserung feststellen konnte. Außerdem war die Frage an sich ziemlich unsinnig, da Emma gerade eine nicht zu unterschätzende Menge Blut verloren hatte. Blut, dass jetzt seinen eigenen Kreislauf wieder ordentlich anheizte, um sämtliche entstandenen Schäden zu reparieren. Wenn er doch nur wüsste, was er für sie tun könnte! Aber ihr einfach den blutenden Daumen hinhalten ging auch nicht. Da könnte er ihr gleich den Kübel unter die Nase halten. Gott, warum hatte er das nur zugelassen!   „Hm?“ Emmas Magen schien sich um die eigene Achse zu drehen und das in nicht gerade langsamer Geschwindigkeit. Sie war so froh, liegen zu können und fühlte sich so angestrengt, dass sie die Augen schloss und am liebsten eingeschlafen wäre. Bloß wollte Cayden wahrscheinlich eine Antwort auf seine Frage. „Ja, es geht schon. Ich ... will nur noch ein bisschen liegenbleiben.“ Der Teppich kam ihr unglaublich flauschig und einladend vor und Emmas Augen schlossen sich wieder, während sie die Hand auf ihren immer noch rebellischen Magen legte. Das kühle Wasser in ihrem Gesicht war ihr egal, sie wollte sich bloß nicht bewegen.   Cayden fühlte Emmas Puls, ohne dabei zu offensichtlich vorzugehen. Er wollte sie schließlich nicht noch weiter beunruhigen, auch wenn er es selbst war. Ihr Puls flatterte schnell und hektisch. Für einen Moment hielt er inne, um intensiv zu überlegen, was er machen sollte. Er konnte sie unmöglich in diesem Zustand lassen, auch wenn ihr das selbst vielleicht gar nicht so bewusst war. Immerhin lag sie hier auf seinem neuen Teppich und nicht in einem weichen Bett, das sie seiner Meinung nach auch noch stundenlang nicht hätte verlassen müssen. Aber sie waren hier einfach nicht sicher genug. Schnell kam er zu einem Entschluss, der Emma garantiert nicht gefallen würde, aber er hatte auch nicht vor, ihn ihr gleich auf die Nase zu binden. „Ich bin gleich wieder da“, versicherte er ihr, während er das Handtuch zur Seite legte und aufstand. Beim Vorbeigehen sperrte er seine Bürotür endgültig ab und schnappte sich das angebrochene Päckchen mit Aspirin von seinem Schreibtisch. Damit und mit einem leeren Glas ging er wieder ins Bad und lehnte die Tür so an, dass Emma ihn im Notfall nicht sehen konnte, falls sie sich doch dazu entschloss, die Augen wieder für längere Zeit aufzumachen. Cayden füllte die Hälfte des Glases mit Wasser, warf danach noch eine halbe Aspirintablette hinein und wartete erst einmal ab, bis sich alles aufgelöst hatte. Danach wusch er sich gründlich die Hände und biss sich schließlich in den Zeigefinger, den er anschließend tief in das sprudelnde Getränk hielt. Er rührte die bis dahin klare Flüssigkeit um, bis sie einen zarten Hauch von Rosa aufwies und drückte danach so lange auf die Wunde in seinem Finger, bis sie zu bluten aufhörte. Erst dann kam er mit dem Glas zurück zu Emma. Vorsichtig stellte er es neben ihr ab und berührte mit seiner anderen Hand zart ihre Wange. „Emma? Hör mir genau zu, du musst das hier trinken. Es wird dir danach gleich besser gehen. Versprochen.“ Sehr viel besser, schließlich war er ein sehr alter Vampir, aber das würde sie ohnehin selbst herausfinden und bis dahin wollte er sie, so gut es ging, nicht anschwindeln müssen. „Zuerst auch nur einen Schluck, bis dir nicht mehr so schlecht ist.“   Ohne groß darüber nachzudenken, setzte Emma sich ein wenig auf und trank einen Schluck von dem Wasser, das Cayden ihr hinhielt. Es schmeckte ein wenig nach sprudeliger Zitrone, was sie aufmerksam werden ließ, aber Cayden nahm ihr das Glas sofort wieder ab und Emma störte sich nicht weiter daran. „Aspirin?“, wollte sie leise wissen und kniff sich in die Nasenwurzel, um ihre müden Augen vielleicht ein wenig aufzuwecken. Sie war wirklich platt und wollte sich schon wieder hinlegen, wäre das nicht sogar noch anstrengender gewesen, als einfach sitzenzubleiben. Emma seufzte und hielt sich immer noch den Magen, der aber langsam entschied, sich doch nicht gewaltsam entleeren zu wollen. Das Wasser tat ganz gut und Emma streckte die Hand aus, damit Cayden ihr noch einen Schluck davon gab.   „Ja.“ Unter anderem. Cayden gab ihr das Glas, während er mit seiner anderen Hand ihren Rücken berührte und sie sanft in kleinen Kreisen streichelte. Aber eigentlich wollte er sich selbst beruhigen und auch sichergehen, dass sie ihm nicht noch einmal umkippte, obwohl er das nicht erwartete. Immerhin trank Emma das Glas leer. Cayden nahm es ihr wieder ab und stellte es zur Seite. Danach berührte er sie sanft am Kinn, damit sie ihn ansah. „Geht’s dir jetzt wieder besser?“, wollte er wissen. Alles andere musste noch warten, denn er würde auf jeden Fall über diesen Vorfall mit ihr reden müssen. Immerhin hatte sie sich einem Risiko ausgesetzt, das sie wohl nur schwer selbst einschätzen konnte und das wollte er auf keinen Fall nochmal geschehen lassen. Auch wenn er ihr dankbar war. Denn es ging ihm selbst wieder ausgesprochen gut.   Es war das erste Mal, seit ihr Magen die Führung übernommen hatte, dass sie Cayden ins Gesicht sah. Sorge spiegelte sich darin und sofort sah Emma wieder weg, bevor ihr noch unwohler werden konnte. Obwohl ... so unwohl fühlte sie sich eigentlich gar nicht mehr. Ihr Magen schien sich wieder beruhigt zu haben und auch die Müdigkeit hatte sich einigermaßen verzogen. Sie zitterte auch nicht mehr. Ein Hoch auf die moderne Pharmaindustrie! „Mir geht’s schon viel besser.“ Etwas entspannter, weil sie nicht mehr befürchtete, sich jeden Moment ihr Frühstück wieder durch den Kopf gehen lassen zu müssen, lehnte sich Emma mit dem Rücken gegen ein Bein des Schreibtischs. Wow, was hatte sie da nur angestellt? Diesmal war ihr Blick eher schüchtern, als sie in Caydens Richtung sah und sich in der nächsten Sekunde wünschte, sie hätte es gar nicht erst getan. Himmel, das war vielleicht peinlich!   „Gut.“ Das erleichterte ihn noch um ein gutes Stück. Aber seine Nerven flatterten immer noch aufgeregt. Allein der Gedanke, was alles hätte passieren können … Cayden stand auf und begann damit die Sachen wegzuräumen. Ihm wurde selbst schlecht bei dem Gedanken, was passieren hätte können, wenn er noch ausgehungerter gewesen wäre und er sein Leben nicht jederzeit für das von Emma und das des Babys geben würde. Als er wieder aus dem kleinen Bad zurück war, setzte er sich vor Emma in den Schneidersitz und sah sie ernst an. Weiteren Aufschub konnte er sich nicht leisten. Dafür bedeutete sie ihm einfach zu viel. „Em. Ich bin dir wirklich überaus dankbar, was du für mich getan hast. Das kannst du mir glauben. Aber bitte mach das nie, nie wieder bei einem ausgehungerten Vampir! Auch nicht bei diesem.“ Er berührte seine Brust, um seine Worte noch zu bekräftigen. „Das Risiko ist dabei einfach zu hoch. Das Letzte, was ich wollen würde, wäre dir zu schaden.“   Emma versuchte Cayden konzentriert anzusehen, um ihm zu zeigen, dass sie ihm zuhörte und auch verstand, was er ihr sagen wollte. Ihr Herz schlug dabei immer schneller und sie hatte das Gefühl, seine Sorge und vor allem die Art, wie er mit ihr sprach, würden sich auf sie übertragen. Ihre Finger fingen an zu zittern und Emma hatte das Gefühl, sie würde gleich wieder einen Schwächeanfall erleiden. „Ich wollte nur ...“ Herrgott, sie hörte sich an, wie ein eingeschüchtertes, kleines Kind! Um den Eindruck nicht auch noch zu untermalen, stand Emma mit so viel Würde, wie sie zusammenkratzen konnte, auf. Zwar hielt sie sich vorsichtshalber noch am Schreibtisch fest, aber ihre Miene war gesetzt und sie wirkte bestimmt, als sie noch einmal anfing. „Ist gut.“ Dann sollte er aber das nächste Mal vorher Bescheid geben, anstatt so lange zu warten, dass es nötig wurde, so leichtsinnig zu sein, wie Emma es gerade gewesen war.   Emma erklärte sich ihm zwar nicht, aber er verstand auch so, was sie ihm nicht gesagt hatte. Sie wollte ihm nur helfen und er hätte an ihrer Stelle auch nicht anders gehandelt. Daher gab er sich für diesen Zwischenfall auch selbst die Schuld und nicht ihr. Sie hatte es nicht wissen können, wie intensiv es wirken konnte, wenn man einem ausgehungerten Vampir eine ungeschützte Quelle direkt vor die Nase hielt. Cayden kam ebenfalls wieder auf die Beine und studierte für einen Moment Emmas Gesicht, ehe er selbst den Blick abwandte. „Es tut mir leid, dass es überhaupt so weit kommen musste. Ich hätte mich schon viel früher darum kümmern sollen, aber um ehrlich zu sein, hab ich es einfach übersehen. Normalerweise geht es nicht so schnell. Ich vermute stark, dass es an dem ganzen Stress liegt.“ Cayden rieb sich den Nacken und seufzte einmal tief. „Das Meeting gestern war eine Katastrophe. Uns sind weitere Kunden abgesprungen. Wertvolle Kunden, die wir uns nicht leisten konnten, zu verlieren. Ehrlich gesagt, weiß ich momentan nicht mehr, wie es weitergehen soll …“   Emma ließ den Kopf hängen. Natürlich. Der Stress. Die Firma, das Geld, ... Vanessa. Was sonst? Emma verstand, dass das zu seinem Zustand beigetragen hatte. Aber wenn er so einen Hunger hatte, dass er schon krank davon wurde, dann sollte er etwas tun. Sie warf Cayden einen Seitenblick zu. Was hätte er denn getan? Ihr war schon klar, dass er sich wahrscheinlich anderweitig Blut besorgt hätte. Aber wie lange hätte Cayden das denn noch aufgeschoben? Wie schlecht musste es ihm gehen, bevor er etwas unternahm? Und würde es immer so sein, wenn er einmal im Stress war? Es war keine gute Erfahrung gewesen und hatte nichts Angenehmes an sich. Zumindest nicht so, wie Emma es erlebt hatte. Wenn es in Zukunft immer so laufen sollte, war sie nicht sicher, ob sie sich darauf einlassen wollte. „Ich weiß es auch nicht. Aber lass uns einfach weiterarbeiten. Irgendwohin kommen wir damit. Es ist ... leider nur noch nicht sicher, wohin.“ Damit drehte sie sich zur Tür und wollte an ihren Schreibtisch zurück. Außerdem noch etwas trinken und vielleicht etwas zu essen bestellen. Ihr Magen schien sich wieder so gut zu fühlen, dass er großen Hunger entwickelte.   Cayden wusste nichts weiter darauf zu sagen. Emma hatte zwar recht und sie sollten weiter arbeiten, aber sie begriff offensichtlich nicht die Ausmaße, die diese Katastrophe inzwischen angenommen hatte. Wie hätte sie das auch können? Nur ihm alleine waren als Firmenoberhaupt alle Berichte, Statistiken und Zahlen zugänglich und auch er alleine, musste sich damit herumschlagen. Weshalb Cayden langsam um den Schreibtisch herum ging und sich wieder in seinen Sessel fallenließ. Bevor Emma allerdings wirklich gehen konnte, hielt er sie noch einmal zurück. „Danke, Em. Es bedeutet mir sehr viel, dass du das für mich getan hast.“ Auch wenn er vermutete, dass es das letzte Mal gewesen sein würde. Das hier war eine durch und durch schlechte Erfahrung gewesen, und wenn sie wüsste, dass sie im Gegensatz auch noch von seinem Blut getrunken hatte, würde das alles die Sache sicherlich noch verschärfen. Dabei wollte er doch, dass das alles bald vorbei war. Dass er sich mit Emma aus dem anstrengenden Business zurückziehen und die Zeit mit ihr genießen konnte. Es gab noch so viele Dinge, die sie voneinander nicht wussten und die er mit ihr zusammen nur allzu gerne ausgiebig ergründet hätte. Doch momentan musste er erst einmal dafür sorgen, dass die Firma wieder auf sicheren Beinen stand.   Emma brachte ein Lächeln zustande, sagte aber nichts weiter, bevor sie das Büro verließ. Im Vorzimmer angekommen, atmete sie einmal schwer und tief durch. Dann ging sie in die Teeküche und machte sich einen Kräutertee, um anschließend weiter zu arbeiten. Immer mehr wurde deutlich, dass ihnen die Firma unter den Finger in viele kleine Scherben zerfiel. Aber Emma wollte nicht aufgeben. Im Moment war der Job das Einzige, bei dem sie genau wusste, was sie zu tun hatte. Die regelmäßigen Abläufe verschafften ihr Sicherheit, auch wenn ihr durchaus klar war, dass sie gegen eine Sintflut ankämpfte. Mit einem durchlöcherten Eimer.   Cayden starrte immer noch die Tür an, obwohl Emma schon vor einer ganzen Weile dahinter verschwunden war. Es hätte genug Arbeit auf ihn gewartet, aber im Augenblick hatte er das deprimierende Gefühl, ohnehin nichts erreichen zu können, egal was er tat. Also hielt er in Gedanken noch an dem gerade geschehenen Ereignis fest. Auch dieses Mal war es ihm nicht wirklich vergönnt gewesen, diese Art der Nahrungsaufnahme zu genießen. Obwohl er das gerade bei Emma nur zu gerne einmal tun wollte. Sie hatte so gut geschmeckt! So anders als Vanessa und auch anders als Helen. Ob es nun an ihrem Hexenblut oder an Emma selbst lag, wusste Cayden nicht. Aber er war sich auch so sicher, dass er sich nur noch schwerlich mit weniger begnügen könnte und das würde er nach dem heutigen Fiasko wohl oder übel müssen. Cayden verspürte zwar nicht mehr den Drang, auf irgendetwas einzuschlagen, aber seine Bewegungen waren dennoch ruppig, als er das Papierchaos vor sich zu schlichten versuchte, um endlich wieder mit den Gedanken zur Sache zu kommen. Alles andere musste einfach warten. Aber er sollte sich nicht zu lange damit Zeit lassen. Er wollte sich nicht noch weiter von Emma entfernen … Das Handy klingelte und Cayden nahm ab, ohne vorher zu schauen, wer ihn da anrief, da er noch vollauf mit dem Sortieren von Statistiken beschäftigt war. „Cayden Calmaro.“ „Hey, Cayden. Hier ist Brad.“ Seine Finger hielten in der Bewegung inne und er nahm das Handy richtig in die Hand, während er sich gerade aufsetzte. „Bradley? Wie geht’s dir?“ Die Überraschung war seiner Stimme deutlich anzuhören, woraufhin Brad kurz lachte. „Besser als dir im Augenblick nehme ich an. Soll ich dir vielleicht meinen Psychologen borgen? Der Typ vollbringt wahre Wunder.“ Offensichtlich, wenn Brad inzwischen auch wieder lachen konnte. Vor ein paar Wochen wäre das noch unmöglich erschienen. Schließlich hatte sein Freund sich die größte Mühe gegeben, sich ins Nirvana zu saufen. „Keine Zeit“, antwortete er ehrlich und erntete erneut ein Lachen, auch wenn es nicht mehr besonders fröhlich klang. „Kann ich mir vorstellen. Ich hab gelesen, was man über dich schreibt. Darum dachte ich mir, ich frag einfach mal an, ob du etwas Unterstützung gebrauchen kannst. Es dürften ja ein paar Plätze frei geworden sein. Von Hendricks und Lucas weiß ich sogar sicher, dass sie übergelaufen sind. Dämliche Penner.“ Brads Entrüstung entlockte nun auch Cayden ein Schmunzeln und er lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück. Es tat gut, die Stimme seines Freundes zu hören, hatte er doch angenommen, dass das vielleicht nie wieder geschehen würde. Wie schön, dass er sich offenbar wieder gefangen hatte. „Natürlich habe ich einen Platz für dich. Der wäre auch frei gewesen, wenn niemand abgesprungen wäre. Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.“ Das war er wirklich. „Spitze. Wann kann ich dann vorbei kommen, um den Papierkram zu erledigen?“ Cayden sah sich kurz das Chaos auf seinem Schreibtisch an, das sowieso nicht so schnell besser werden würde. „Im Augenblick hätte ich Zeit. Ansonsten lass dir einen Termin von meiner Assistentin geben und sag ihr, sie soll dich auf meinen Wunsch hin irgendwo dazwischen quetschen. Ich will mich persönlich darum kümmern.“ „Welch Ehre. Dann sehen wir uns bald. Und Cayden?“ „Ja?“ „Lass dich von der Sache nicht runterziehen. Das ist es nicht wert.“ Ja, das war Cayden durchaus klar.   ***   Von Bradleys überraschende Rückkehr ins Reich der Lebenden ermutigt, stellte sich Cayden einige Zeit später auch dem nächsten Besuch bei Vanessa. Sie war inzwischen wie erwartet aus der Intensivstation entlassen worden und sah auch schon merklich besser aus, als er ihr Ein-Bett-Zimmer betrat. Inzwischen konnte sie aufrecht sitzen und ihre beiden Augen waren offen. Dafür zeichneten sich unter dem Make-up immer noch alle möglichen bunten Farben auf ihrer Haut ab, aber schon jetzt waren die ersten Anzeichen des Models wieder zu erkennen. Ihre Haare waren frisch gewaschen und zu einer modischen, wenn auch einfachen Frisur frisiert, die sie sich mit Garantie nicht hatte selbst machen können. Was aber besonders ins Auge stach, war nicht Vanessa selbst sondern die Tatsache, dass auf jeder noch so kleinen freien Abstellfläche Blumensträuße, Gestecke und sogar ein Ikebana-Arrangemet standen. Er sah es fast als Genugtuung an, dass keines davon von ihm stammte. Er hatte ihr noch nicht einmal eine Gute-Besserungs-Karte zukommen lassen. Wobei, wenn man es recht bedachte, war sein Geschenk an sie sogar sehr viel mehr wert gewesen, als das ganze Unkraut zusammen. Seine Laune fiel bei diesem Gedanken noch weiter ab. „Wir müssen reden.“ Kein „Hallo“ oder „Wie schön, dass es dir schon wieder besser geht.“. Stattdessen stützte er sich mit beiden Händen am Fußende des Bettes ab und sah ihr ernst ins Gesicht. „Ich will jetzt genau wissen, wer das getan hat.“   ***   Emma war mehr als überrascht über den Anruf und den Terminwunsch, aber sie fand trotzdem irgendwo eine kleine Lücke, um ihn unterzubringen. Allmählich ließen die Terminwünsche nämlich wieder nach. Der erste Sturm schien sich gelegt und die feigsten Ratten das sinkende Schiff verlassen zu haben. Das erste Mal, seit diese furchtbare Sache passiert war, sah Emma sich aufmerksam auf der Etage um. Immerhin in einem Stockwerk, in dem die wichtigen Leute arbeiteten. Nicht nur räumlich sehr nah am Firmenchef, sondern auch von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe ziemlich weit oben. Einige der kleinen Büroabteile hatten sich geleert. Aber es erleichterte Emma, auch gruppierte Schreibtische zu sehen, an denen jemand saß. Und eigentlich ... gar nicht so wenige davon. Mit einem Lächeln, das vielleicht einen Anflug von zufrieden wirkte, setzte sie sich wieder an ihre Arbeit. Vielleicht war doch noch nicht alles zu spät.   Sobald Cayden gegangen war, schloss auch Emma ihre Aufgaben ab, machte sich Notizen für den nächsten Tag und beendete dann die Arbeit und fuhr mit dem Aufzug nach unten in die Lobby. Hier war es leer und draußen herrschte ein Wetter, das nicht unbedingt als einladend zu bezeichnen war. Regen und grauer Himmel. Cayden würde wahrscheinlich nicht so bald von sich hören lassen, und wenn sie auf ihren Körper hörte, war eigentlich ziemlich bald Abendessen angesagt. Also zückte Emma ihr Handy und rief Kathy an.   „Nein, der Typ war ganz süß, aber ehrlich: Wer solche Schuhe trägt, mit dem gehe ich doch nicht nach Hause! Wenn ich mir den Zustand seiner Küche ausmale, wird mir ganz schlecht.“ Wie um das zu unterstreichen, schnappte sich Kathy eine Gamba aus ihrer Tortilla und steckte sie sich in den Mund, um genussvoll darauf herumzukauen. Emma lachte und widmete sich ihrem Burrito. Das Essen war wirklich gut und es war auch schön, wieder einmal draußen zu sein und mit Kathy einen netten Abend zu verbringen. Sie quatschten über alles Mögliche, lachten und hatten Spaß. Irgendwie kam es Emma so vor, als sei das letzte Mal schon ewig her.   „Ich hätte gern noch einen Mangosaft.“ Lächeln drehte sich die Kellnerin um und verschwand an der kleinen Theke, wo sie Kathys und Emmas Bestellungen abgab. „Oh Mann, wenn ich mir das so anschaue ...“ Sie drehte die Karte bestimmt schon zum dritten Mal in den Händen und immer wieder lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Dabei hatte sie gerade schon gegessen. Und wenn Emma ehrlich war, hatte sie auch mehr Appetit als wirklichen Hunger. „Ich hätte total Lust auf das Knoblauchbrot. Wollen wir teilen?“ Kathy brach in Gelächter aus. Was Emma zwar im ersten Moment stutzen ließ, aber ihr nicht die Laune verdarb. „Was denn?“ „Liebes, wenn das mit den Fressattacken jetzt schon losgeht, kann das ja nur heiter werden.“ Sie zwinkerte Emma zu und umarmte sie zum zigsten Mal innig und herzlich. Emma kamen fast die Tränen, so dankbar war sie dafür, so eine Freundin zu haben. Nicht jeder hätte auf diese merkwürdig plötzliche Schwangerschaft und das ganze Drumherum so lässig und vor allem freudig reagiert, wie Kathy es tat. Aber Kathy war eben – wie manche mehr oder weniger nett formulierten – speziell. „Und klar teilen wir uns das Knoblauchbrot. Ich dachte schon, du fragst nie.“ Schon winkte sie die Kellnerin noch einmal heran und Emma konnte das breite Lächeln gar nicht mehr aus ihrem Gesicht kriegen.   ***   „Glaubst du ernsthaft, ich würde dir diese Geschichte abkaufen?“ Cayden konnte seine Wut nur dank Emmas Blut in sich im Zaum halten. Wäre er immer noch am Verdursten, hätte Vanessa ihn schon längst zum Tier werden lassen. Aber wenn man einmal ehrlich war, setzte sie auch alles darauf an. „Warum glaubst du mir nicht, Cayden? Ich habe genau das der Polizei gesagt und deshalb wurdest du aus der U-Haft entlassen. Ich hätte eigentlich angenommen, dass du mir ein bisschen dankbarer entgegen kommst.“ Caydens Schultern versteiften sich und er drehte sich langsam vom Fenster weg, um Vanessa in die Augen sehen zu können, die ihn fast schon beleidigt und verletzt ansah. Ersteres glaubte er aufs Wort, das mit dem Verletztsein allerdings nicht. „Wir beide wissen ganz genau, dass ich dich niemals geschlagen habe. Daher wundert es mich doch sehr, dass unsere Haushälterin und dein Visagist vom Gegenteil überzeugt sind. Sag mir: Wie viel hast du ihnen für diese Lüge gezahlt?“ Nun fuhr Vanessa empört hoch. „ICH soll sie bestochen haben? Warum sollte ich das tun?“ „Um meinen Ruf zu ruinieren. Um dich an mir zu rächen. Vielleicht willst du mich damit aber auch einfach nur erpressen.“ Cayden verschränkte die Arme vor der Brust, um seine Worte zu untermauern. Er stand zu seinen Worten und eher gefror die Hölle zu, als dass er sich von dieser Frau erpressen lassen würde. „Wenn du dir ohnehin schon deine Meinung gebildet hast, wieso bist du dann noch hier und willst die Wahrheit wissen? Ich werde dich wohl kaum vom Gegenteil überzeugen können, auch wenn ich es nicht war!“ Vanessa drehte ihm den Rücken zu und zog ihre Decke bis über die Schultern. Zugegeben, sie spielte das unwissende Opfer verdammt gut. Aber die Erklärung, Cayden hätte an jenem besagten Abend die Tür offen gelassen und den Tätern somit uneingeschränkten Zutritt zum Haus verschafft, wo sie Vanessa hatten überfallen können, war einfach lächerlich. Zum einen, weil er sich sicher war, die Tür hinter sich zugezogen zu haben, was ein Eindringen von außen ohne Schlüssel schwer machte. Zum anderen fehlte dann immer noch das Motiv. Schließlich war nichts gestohlen worden und einfach nur ins Haus einzudringen, um Vanessa zu verprügeln, war für irgendwelche Einbrecher einfach nicht glaubhaft. Da hätte schon jemand diese Leute auf die Sache ansetzen müssen und Cayden war das ganz bestimmt nicht gewesen. „Hast du irgendwelche Feinde, die es auf dich abgesehen haben könnten?“, wollte er schließlich wissen, weil das für ihn noch die letzte mögliche Option war, die ihm einfiel. „Natürlich nicht!“ Vanessa setzte sich wieder ruckartig auf, ehe sie schmerzvoll zusammenzuckte. Cayden sagte nichts dazu. „Und was ist mit dir? Vielleicht hat es ja jemand auf mich abgesehen, weil er eigentlich hinter dir her ist. Du bist ein Vampir, verdammt noch mal. Würde mich nicht wundern, wenn du dir im Laufe deines Lebens Feinde gemacht hast, die es jetzt an MIR auslassen!“ „Könntest du bitte noch ein bisschen lauter schreien? Ich glaube, die Schwestern am Flur haben es noch nicht gehört!“, zischte Cayden sie an, ehe er ruhiger fortfuhr. „Ich habe sämtliche Rechnungen beglichen. Es gibt niemanden, der irgendwie nach Rache sinnen könnte und ...“ Er hielt inne, als ihm plötzlich etwas in den Sinn kam. Vielleicht hatte er sich keine Feinde gemacht, in dem er etwas angestellt hatte. Aber was wäre, wenn … „Ja?“, bohrte Vanessa nach, sodass er den Gedanken für einen Moment fallenließ. „Nicht so wichtig.“ Cayden winkte ab. „Reden wir lieber darüber, wie du der Presse erklärst, dass ich dich niemals angerührt habe. Mein Ruf ist ruiniert, aber ich bestehe darauf, dass du die Tatsachen richtigstellst.“ „Natürlich“, bestätigte sie ungewöhnlich sanft, sodass sie Caydens Blick auf sich zog. „Alles, was du willst.“ Es stellten sich ihm sämtliche Nackenhaare zu Berge, als er in diese blauen, kalten Augen sah, die immer irgendwie berechnend zu sein schienen. Er wusste, dass Vanessa falsch spielte und ihn im Laufe des Gesprächs schon mehrmals angelogen hatte, aber es gab keine Mittel, um ihr das Gegenteil zu entlocken. Foltern hatte nie seine Zustimmung gefunden; außerdem war es illegal. „Ich will die Scheidung, und zwar möglichst bald.“ Damit schnappte er sich sein Jackett vom Besucherstuhl und ging. Für heute hatte er genug Lügen gehört.   Der lange Spaziergang zurück zu seiner Wohnung hatte Cayden gut getan. Anfangs war er noch total in dem Gespräch zwischen Vanessa und ihm verstrickt gewesen, aber nach und nach, tat die kühle Abendluft ihre Arbeit und brachte ihn auf andere Gedanken. Weg von Vanessa, den Gerüchten und seinem angeschlagenen Ruf. Weg von seiner Arbeit, dem Gefühl der hilflosen Ohnmacht und dem Stress. Dafür sehr viel näher hin zu Emma. Die Frau, die er über alles liebte, von der er in letzter Zeit allerdings nur dann etwas zu sehen bekam, wenn er vor sein Büro ging oder sie so nett war und ihn mit Koffein versorgte. Eigentlich waren sie doch zusammen, aber davon merkte man kaum etwas. Cayden wusste nicht einmal mehr genau, wann er sie das letzte Mal richtig geküsst hatte … Er blieb mitten auf dem verlassenen Bürgersteig stehen. Regen prasselte auf ihn nieder, wurde aber kaum von ihm wahrgenommen. Cayden war … bestürzt … Es war nicht nur das Ausbleiben von Küssen, obwohl er Emma zu jeder Stunde hätte küssen können. Sondern auch die immer größer werdende Distanz zwischen ihnen, obwohl keiner von ihnen beiden es bisher ausgesprochen hatte. Aber wenn er es spürte, dann musste auch Emma es fühlen können, und wenn sie es fühlen konnte, dann machte er etwas verdammt falsch! Sie hatte bisher akzeptiert, was er war. Sie hatte sich auf das Wagnis eingelassen, es mit ihm zu versuchen und heute hatte sie ihm etwas gegeben, das man mit Geld nie aufwiegen konnte. Doch was tat er? Cayden vergrub sich in seiner Arbeit. Horchte weder auf die Zeichen seines Körpers noch auf die Warnungen seines Instinkts. Statt bei Emma zu sein, wonach es ihm eigentlich verlangte, gab er sich mit Vanessa ab und lief dann mutterseelenallein in der Gegend herum. Er würde sie verlieren, wenn er so weitermachte! Cayden atmete erschaudernd tief ein und wieder aus, während er sich die völlig angeschlagene Brille von der Nase zog und einsteckte. Die Firma zu verlieren, war eine Sache. Aber Emma und das Baby zu verlieren eine ganz andere. Es würde ihn umbringen und das konnte er nicht zulassen. Er würde es nicht zulassen … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)