Dark Night's Kiss von Darklover ================================================================================ Kapitel 46: 46. Kapitel ----------------------- Es hatte angefangen, nachdem sie das Restaurant verlassen hatten. Vielleicht auch schon früher, aber erst, als sie aus der Schusslinie der vielen Leute gekommen waren, die sogar mit Argusaugen bespitzelten, wie Cayden Emma in die Jacke half, schlug das miese Gefühl so richtig ein. Emmas Nackenhärchen stellten sich schnurgerade auf und sie wurde schlagartig nervös. Sie fühlte sich beobachtet. Und das nicht von den dummen Leuten, die meinten, sie könnten hinter vorgehaltenen Händen verbergen, dass sie sich das Maul über Cayden zerrissen. Nein, es war ... noch etwas anderes. Das Gefühl kam ihr bekannt vor. Auf eine Art und Weise, die Emma überhaupt nicht behagte und sie noch näher an Cayden drängte, als sie es ohnehin auf der Straße wagte. Nur schwer konnte sie dem Drang widerstehen, über ihre Schulter zu sehen. Da wäre sowieso nichts zu sehen. Vielleicht jemand, der mit dem Finger auf Cayden zeigte. Aber mehr ... bestimmt nicht. Allerdings wurde das Gefühl stärker, je näher sie dem Bürogebäude kamen, in dem Emma noch ein paar Sachen hatte liegen lassen. Immerhin hatte sie sich zwar mit Cayden treffen, aber nach der Pause wieder ins Büro gehen wollen. Jetzt kam ihr der Weg dorthin irgendwie ... abweisend vor. „Emma, wenn dir nicht wohl dabei ist ...“ Sie sah ihn so erschrocken an, dass es ihr selbst sofort auffiel und Emma den Eindruck schnell zu korrigieren versuchte. Es hatte sie nur ... auf dem falschen Fuß erwischt. Sie war nicht wegen Cayden erschrocken, sondern ... Als Kies hinter ihr knirschte, fuhr Emma doch herum und machte ganz automatisch einen halben Schritt auf Cayden zu. Ihre Hand legte sich auf seinen Bauch, um Schutz bei ihm zu suchen und erst als Emma erkannte, dass nur der Reifen eines parkenden Autos das Geräusch verursacht hatte, zog sie sich zurück. Verlegen sah sie zu Cayden auf. „Ich muss nur schnell meine Sachen aus dem Büro holen.“   Emmas schneller Herzschlag und ihre Unruhe entgingen ihm nicht. Weshalb er auch die ganze Zeit nichts sagte, musste er doch damit leben, dass es momentan so zwischen ihnen war. Bei Gott, man hatte ihn beschuldigt, eine Frau krankenhausreif geprügelt zu haben und vorhin noch hatte Emma ihm seine Unschuld nicht geglaubt. Nun waren da Zweifel. Er konnte es ihr wirklich nicht verdenken. Allerdings wurde seine Aufmerksamkeit erneut erweckt, als sie plötzlich anders reagierte, als er es gedacht hätte. Sie wirkte … gehetzt. Das konnte er sich nicht erklären. „Ist gut. Ich warte dann … oben, wenn es dir nichts ausmacht.“ Er wollte sich nicht schon heute den Leuten im Büro stellen müssen. Schlimm genug, dass er bereits durch die Lobby musste, wo man ihn nur allzu gut kannte und das schon seit Jahren. Überraschenderweise grüßte Paul ihn mit einem Nicken und zeigte dabei sogar ein kleines Lächeln. Cayden nickte grüßend zurück, wollte sich aber nicht näher mit dem Mann an der Rezeption unterhalten. Also ging er mit Emma zum Fahrstuhl und setzte sie schließlich in der Chefetage ab, ehe er selbst nach oben fuhr. Sofort merkte er, dass sein kleines Reich mehrere Tage nicht bewohnt worden war. Nicht etwa, weil es muffig gerochen hätte oder etwas in dieser Art. Seine Haushälterin hatte offenbar trotz der Gerüchte immer noch bei ihm sauber gemacht. Aber es war trotzdem so ein verlassenes Gefühl in der Luft. Dennoch ging Cayden nicht in der Wohnung herum, um nach dem Rechten zu sehen, sondern wartete auf Emma, nachdem er seine Schuhe ausgezogen hatte. Als sie endlich kam, half er ihr wieder aus der Jacke und konnte sich seine Frage nicht verkneifen. Er hatte Minuten lang Zeit gehabt, ihre Reaktion auf der Straße zu analysieren und sich Gedanken dazu zu machen. „Was war das vorhin, Em? Fühlst du dich irgendwie … verfolgt?“ Selbst aus seinem Mund klang es lächerlich, allerdings meinte er es absolut ernst.   Etwas überrascht und noch mehr verlegen wegen ihrer Reaktion auf der Straße hob Emma nicht den Blick, sondern blieb verloren im Flur vor Cayden stehen und überlegte sich, was sie sagen sollte. Fühlte sie sich denn ... verfolgt? Vorhin, das war ein ungutes Gefühl gewesen. Im Rückblick war Emma sogar unendlich froh darüber, dass Cayden bei ihr gewesen war. Ansonsten hätte sie sich vielleicht fluchtartig ins Gebäude gerettet. Leicht müde von diesem ganzen Wirbel in ihrem Leben schüttelte sie langsam den Kopf. „Ach, das war ...“ Sie brach ab, wusste aber immer noch nicht, was sie jetzt machen sollte. Zum ersten Mal kam sie sich in Caydens Penthouse wie ein Gast vor. Wie jemand, der nicht tun und lassen konnte, was er wollte. Es war ... unangenehm. „Ich schlafe in letzter Zeit wieder etwas unruhig. Vielleicht waren es nur die Nerven. War ja nichts.“ Niemand, der gegen eine Fensterscheibe donnerte oder irgendwelche streunenden Tiere, die sie nachts erschreckten. Nur ... ein Autoreifen auf Kies.   Kein Wunder, ihr Jedisandmann war ja schließlich auch nicht hier gewesen. Doch das verschwieg Cayden. Diese Bezeichnung musste er sich wohl erst wieder verdienen. „Dann setz dich doch erst mal. Ich muss ohnehin meine Fische füttern.“ Er wollte Emma zu nichts drängen, und auch wenn seine Fische sicher noch nicht vom Fleisch gefallen waren, so würden sie doch bestimmt schon hungrig sein. Außerdem war es eine gute Beschäftigung. Es war angenehm warm in der Wohnung, dennoch machte Cayden zuerst Feuer im Kamin. Er brauchte jetzt dringend ein heimeliges Gefühl. Kaminfeuer war für diese Eigenschaft geradezu prädestiniert. Danach holte er das Fischfutter aus dem Schrank und ging zu dem riesigen Aquarium hinüber, das in dem großen Regal stand, das ihm als Trennwand diente. Auf dem ersten Blick sahen alle Fische gut aus. Allerdings schienen sie bereits zu ahnen, dass es etwas zu Essen gab, kaum dass er die Schiebefläche in der Abdeckung geöffnet hatte. Cayden gab die angemessene Menge ins Wasser und schloss den Deckel wieder. Wie immer beruhigten ihn die Bewegungen und der Anblick der Fische. Je bunter sie waren, umso besser. Egal was sie kosteten. „Möchtest du Tee?“, fragte er schließlich, nachdem das Futter restlos verschwunden war.   „Ja, gerne.“ Sie kam sich auf dem leeren Sofa ohnehin vollkommen verlassen vor. Gleich, nachdem sie sich gesetzt hatte, und sich nicht hatte dazu überwinden können, Cayden zu lange zu beobachten, hatte ihr Kopf ihr einen bösen Streich gespielt. Emma hatte kaum hingesehen, aber ... dieses Sofa. Natürlich war ihr eingefallen, was sie hier schon gemeinsam getan hatten. Sofort hatte Emma sich abgewendet, auf ihre Hände gesehen, die gefaltet in ihrem Schoß lagen. Zum Glück kam ihr Cayden mit dem Tee zur Hilfe. Zuerst hauptsächlich verbal, was er sofort zunichtemachte, als er an ihr vorbei zur Küche ging. Emma konnte ihn riechen, musste verträumt die Augen schließen und ihr Herz brannte leise vor Verzweiflung. Sie wollte so gern zu ihm in die Küche gehen, ihn umarmen und sich an ihn kuscheln. Es sollte alles vergessen sein. Emma wollte ihm so gern glauben – sich sicher sein, dass er kein Schwein war, das sich nur ausgezeichnet tarnte. „Weiß man denn, wer es war?“ Emma drehte sich auf dem Sofa herum, sodass sie in die Küche sehen konnte. „Ich meine, hat Vanessa eine Beschreibung von dem Kerl geben können?“   Cayden hielt kurz inne, als er nach den Teetassen greifen wollte und sich Emmas Fragen durch den Kopf gehen ließ. Danach stellte er sie vorsichtig auf die Arbeitsplatte. „Man hat mich nicht gerade ausführlich über den Fall in Kenntnis gesetzt. Aber die offizielle Version lautet, dass sie den Mann nicht kannte und man ihn für einen Einbrecher hält, der sie überfallen hat, weil sie alleine zuhause war. Da jedoch nichts gestohlen, sondern zusätzlich nur Sachbeschädigung verübt wurde, hält die Polizei das für unwahrscheinlich.“ Das Wasser im Wasserkocher fing zu kochen an und Cayden stellte ihn ab, damit der Tee nicht brühend heiß wurde. Danach suchte er Emmas beliebte Teesorte heraus und gab sie in einen Filter, den er in die Teekanne hing. Er hielt nicht viel von Beuteltee, aber das war nichts mehr Neues für sie. „Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass es so gewesen ist. In dem Haus gibt es sehr viele wertvolle Gegenstände. Sogar kleine Dinge, die keine Mühe gemacht hätten, sie einfach einzustecken. Aber nichts davon wurde angerührt. Wenn du mich fragst, tippe ich auf irgendeinen eifersüchtigen Liebhaber. Sie hatte schließlich genug davon.“ Auch wenn ihm diese Version nicht in den Kopf ging. Da war immer noch zu Vieles, was sich nicht richtig anfühlte. Schließlich hatte er Vanessa verlassen. Sie wäre also eine freie Frau gewesen, und selbst wenn es nur ein eifersüchtiger Liebhaber gewesen wäre, dann hätte der doch sicher irgendetwas mitgehen lassen. Soweit er wusste, waren die Kerle nämlich nicht gerade reich gewesen. Nun, vielleicht hatte der Typ auch einfach nur Panik gekriegt. Während der Tee zog, lehnte sich Cayden mit verschränkten Armen an die Küchenzeile und starrte nachdenklich ins Leere. Er hatte bereits genug Zeit damit verbringen können, über all das nachzudenken, daher würde er auch jetzt zu keinem Ergebnis kommen. Das wusste er. Er versuchte es trotzdem.   „Aber ein Liebhaber hätte doch gar keinen Grund mehr zur Eifersucht gehabt.“ Emma zog ihr Bein angewinkelt auf das Sofa und legte ihren Arm über die Rückenlehne, um Cayden besser ansehen zu können. Er sah müde aus. Nicht unbedingt so, als hätte er die vergangenen paar Nächte nicht geschlafen, sondern einfach ziemlich fertig. Was Emma an ihm gar nicht kannte. Es war immer noch anders, als die Vorboten seiner Grippe, bei denen sie gesehen hatte, dass es einfach an der Krankheit lag, die an ihm zehrte. Jetzt war es ... Oh Gott, sie wollte ihn einfach nur in den Arm nehmen! Da das Bedürfnis so stark wurde, dass Emma nicht mehr sagen konnte, ob sie in den nächsten Sekunden nicht doch aufspringen würde, sah sie aus dem Fenster. Der trübe Nachmittag half nicht unbedingt, die Stimmung zu heben, aber zumindest passte er zur Situation wie die Faust aufs Auge. „Du hast sie doch verlassen an diesem Abend. Sie war nicht nur wieder frei, sondern die beiden hätten sich auf dem Geld ausruhen können, das sie bekommen wird ...“ Wenn ... das denn stimmte. Emma hasste sich für den Gedanken, dass es im anderen Fall viel mehr Sinn ergeben würde. Wenn der Liebhaber gerne mehr aus der Scheidung geschlagen hätte. Vielleicht stand Vanessa doch ohne Vermögen da? „Oder hat vielleicht ... sie auch ihn verlassen?“ Um sich allein mit dem Geld ein gutes Leben zu machen und sich eine neue Affäre zu suchen? Emma lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als sie an etwas dachte, was Cayden noch tun konnte ... Auf Emmas Unterarmen breitete sich sogar eine Gänsehaut aus, als sie daran dachte. Aber vermutlich würde es ... Einiges an Klarheit in die Sache bringen. „Willst du ... denn mit Vanessa sprechen?“ Jetzt sah sie ihn doch wieder an und versuchte dabei so viel Haltung zu bewahren, wie möglich. Verdammt, sie hatte ihn gerade derart auf Eis gelegt und sich beinahe mit Cayden gestritten. Was, wenn er zu Vanessa ging und erkannte, dass er einen Fehler ... Scheiße.   Cayden blieb still und reglos, während er sich Emmas Sicht anhörte, die ihm vielleicht weiterhalf, da er das Gefühl hatte, nur noch im Kreis zu denken. Aber eigentlich war klar, dass sie auch nicht mehr in dieser Sache sehen konnte als er. Sie beide wussten zu wenig, als dass sie den vollen Umfang hätten erfassen können. Als sie schließlich auf Vanessa zu sprechen kam, schüttelte er langsam den Kopf und begutachtete seine Zehenspitzen. „Nein, um ehrlich zu sein. Ich will nicht mit ihr sprechen. Ich will in Wahrheit gar nichts mehr mit ihr zu tun haben. Weil mir irgendein Gefühl sagt, dass sie an der ganzen Sache nicht ganz unschuldig ist. Ich kenne sie zu gut. Ich war dabei, als ich mit ihr schlussgemacht habe. Darüber war sie sehr wütend, weil es ihr nie allein ums Geld ging, sondern …“ Er presste die Lippen fest aufeinander. Cayden hatte zwar das Gefühl, Emma alles von sich erzählen zu können und dass es bei ihr sicher aufgehoben wäre, doch er konnte es nicht. „… sie hat mir in manchen Dingen hinterher gestrebt. Wollte wie ich sein. Verstand aber natürlich nicht, dass sie das nie sein kann und vielleicht war es auch meine Schuld, dass ich ihr das nie so deutlich klar gemacht habe. Dennoch …“ Er seufzte. „Ich weiß einfach nicht mehr, was ich denken soll. Aber vermutlich wäre es wirklich besser, noch einmal mit ihr zu sprechen. Auch, wenn ich nicht glaube, dass sie mir nach allem diesen Gefallen so einfach tun wird, in dem sie Klartext redet. Vielleicht weiß sie auch wirklich nichts.“ Da der Tee nun lange genug ziehen konnte, nahm Cayden den Beutel heraus und stellte alles auf ein kleines Tablett, samt Zucker und kleinen Löffelchen, ehe er es zu Emma hinüber trug und auf den Couchtisch abstellte. Er schenkte ihr ein, ehe er sich seine eigene Tasse füllte. Die Frage, wo und wie nah er wohl bei ihr sitzen durfte, ohne ihr zu nahe zu treten, umging er einfach damit, dass er sich gar nicht setzte. Nachdem er sich ausreichend Zucker in den Tee getan hatte, ging er zum Fenster hinüber, um hinauszusehen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich es einmal bereuen könnte, zu heiraten. Selbst wenn’s keine richtige Ehe war.“   Emma sah, wie sich der Dampf auf der Oberfläche der heißen Flüssigkeit kräuselte. Ihre Finger streckten sich nach der Tasse aus, schlossen sich darum und nahmen für einen Moment die Wärme in sich auf. Emma sagte nichts. Stumm und nachdenklich betrachtete sie die Tasse in ihrer Hand. Für Sekunden schloss sie die Augen, ließ dieses ganze Chaos auf sich wirken und versuchte – vielleicht zum ersten Mal, sich in Cayden hineinzuversetzen. In den Cayden, der vollkommen unschuldig war. Den man aus seinem Büro in Handschellen abgeführt hatte. Der in der Zelle hatte sitzen müssen, nicht wissend, was passieren würde. Der nicht wusste, ob es noch einen Menschen gab, der zu ihm hielt, wenn er ... Emma sah auf, betrachtete die Silhouette, die sich vor dem Grau des Fensters abzeichnete. Alleingelassen? Sie zog ihre Hände von der warmen Tasse und stand auf. Mit leisen, weichen Schritten – nicht mehr unsicher, sondern zielstrebig – ging sie zur Fensterfront hinüber. Neben Cayden angekommen sah Emma zum Fenster hinaus. In Nieselregen und einen trüben Tag ... „Manche Dinge ... sollte man nicht bereuen müssen.“ Sie sah zu ihm auf, ohne den Kopf zu drehen. Stille legte sich zwischen sie beide. Aber Emmas Hand zitterte nicht, als sie sich auf Caydens Rücken legte, zu seiner Seite glitt und sie ihn endlich umarmte. Nur halb, sich an ihn lehnend. Vorsichtig. Aber doch ... er würde es hoffentlich verstehen.   Sein Herz beschleunigte sich, als Emma näherkam. Ihre Nähe war tröstlich und quälend zugleich, obwohl er sich die ganze Zeit schon Mühe gab, nicht daran zu denken. Aber es war unmöglich, sie nicht berühren zu wollen, als sie so dicht bei ihm stand und ihr Duft zusammen mit dem warmen Aroma des Tees seine Nase erfüllte. Inzwischen konnte er sogar sehr genau dadurch erkennen, dass sie sein Kind in sich trug. Es war anders, ungewohnt und doch nun so deutlich für ihn, dass er sich fragte, wie er es anfangs überhaupt nicht hatte wittern können. Als er schließlich Emmas Hand auf seinem Rücken spürte, musste er die Tasse auf einem der Bücher im Regal neben dem Fenster abstellen, da ihm wohl sonst der Tee übergeschwappt wäre. Seine Finger zitterten. Cayden wagte sich nicht zu rühren, als sie sich gänzlich an ihn lehnte und er ihre Wärme durch den dünnen Pullover fühlen konnte. Es war wirklich eine Qual, so lange, bis er seine Hand vorsichtig um ihre Taille legte und sie auf diese Art an sich festhielt. „Und manche Dinge …“, begann er leise, fast flüsternd. „… hört man auf zu bereuen.“ Cayden neigte seinen Kopf, drehte ihn nur leicht in Emmas Richtung und sah sie schließlich an. „Zum Beispiel unsere letzte Nacht in Tokio.“   Als sie spürte, wie Cayden nun seinen Arm um sie legte, horchte Emma wachsam in sich hinein. War da Furcht oder Misstrauen? Nein ... Nein, Angst hatte sie tatsächlich nicht vor ihm. Keine Furcht vor dem, was man ihm vorwarf. Emma konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er sie je schlagen würde. Wie war nur irgendjemand auf diese abwegige Idee gekommen? Vielleicht war da kurz das Aufbegehren eines winzigen Teils von ihr, der immer noch vorsichtig sein wollte. Ein Teil, den Emma gar nicht ganz abstellen wollte. Immerhin wusste sie nicht, was passiert war. Aber das Meiste wollte sich noch mehr an Cayden schmiegen. Emma wollte ihren Kopf an seine Schulter lehnen, aber noch wagte sie das nicht. Es stand noch Einiges zwischen ihnen. Und Emma war selbst so stark daran schuld, dass sie noch nicht sofort über ihren Schatten springen konnte. Selbst wenn sie es eigentlich gern getan hätte. Eine Weile blieb sie stumm, doch dann schlich sich ein winziges Lächeln auf Emmas Lippen. „Ich wusste nicht, dass du die Nacht bereut hast.“ Sie sah mit lächelnden Augen in seine. „Die Folgen vielleicht.“   Vorsichtig erwiderte Cayden ihr Lächeln. „Die Folgen habe ich nie bereut“, gestand er ihr immer noch in diesem leisen, beruhigenden Tonfall. „Ich freue mich auf unser Baby. Daran hat sich nichts geändert.“ Er wollte sie küssen. Sie in seine Arme schließen. Festhalten und bei sich wissen, allerdings unterdrückte Cayden diese Impulse mit jahrhundertelanger Beherrschung. Er sah wieder aus dem Fenster. „Aber ich bereute die Art unseres ersten Zusammenkommens. Wir waren beide betrunken und damals noch nicht das füreinander, was wir inzwischen geworden sind. Doch inzwischen weiß ich, dass wir diesen Schubs … dieses Loslassen vielleicht gebraucht haben. Sonst wäre es womöglich nie so weit gekommen.“   Es prickelte in Emmas Innerem. Vor Erleichterung und noch mehr Gefühlen, die sie im Moment nicht benennen konnte. Oder vielleicht auch vorsichtshalber nicht benennen wollte. „Ich freue mich auch.“ Es war die Wahrheit. Emma freute sich und bekam gleichzeitig Angst davor, dass sie sich nicht würden vorbereiten können. Was, wenn diese ganze Sache Cayden so stark beanspruchte oder seinen Ruf so stark schädigte, dass er keine Zeit für das wachsende Baby hatte? Emmas Gesichtsausdruck wurde wieder düsterer und sie sah überlegend aus dem Fenster auf die Stadt hinaus. Am liebsten hätte sie jetzt sofort damit angefangen, zu planen. Sie wollte Bücher wälzen, Listen schreiben und für das Baby einkaufen gehen. Sich ablenken ... Das wusste Emma. „Ich hätte mich niemals so ... an dich herangetraut“, flüsterte sie. „Wirklich nicht.“ Mit geröteten Wangen sah sie Cayden wieder an. „Eine merkwürdige Nacht.“   Cayden dachte nicht darüber nach, als er Emmas gerötete Wange zärtlich streichelte, ehe er die Hand wieder runter nahm und sich auf die Landschaft vor dem Fenster konzentrierte. Er sollte sie nicht so berühren, aber er wollte es und es machte ihn ziemlich wütend, dass es jemand geschafft hatte, diesen Keil zwischen ihnen beiden zu treiben. Allein das würde schon zu Vanessa als Schuldige passen. Doch er schob diese Gedanken beiseite. Genauso wie seine Wut. „Und ich hätte dich vermutlich noch Jahre lang vor meinem Büro sitzen haben können, ohne wirklich mehr zu sehen als eine fleißige Mitarbeiterin. Eigentlich habe ich zu der Zeit ohnehin nur meinen Job gesehen.“ Er schnaubte leise und schüttelte über sich selbst den Kopf. „Weißt du, wäre das alles nicht so gekommen, ich hätte noch weitere zehn Jahre so weiter gemacht wie bisher. Arbeiten, Überstunden, Arbeiten. Mehr war da nicht. Aber inzwischen bin ich … geläutert.“ Nun drehte er sich doch ganz zu ihr herum, ohne den Arm von ihrer Seite zu nehmen. „Und es war tatsächlich eine merkwürdige Nacht. Allerdings werde ich auch nie den Tanz vergessen. Die Gäste sahen so aus, als wollten sie gleich die Sittenpolizei holen, weißt du noch?“ Caydens immer noch mulmiges Gefühl im Bauch begann sich langsam zu ändern und er lächelte verschmitzt, als er an diesen Tanz dachte.   Ihr Kichern schien im Wohnzimmer ziemlich laut widerzuhallen. Als hätte der Raum schon lange darauf gewartet, dass jemand ein fröhliches Gefühl in ihn entließ. Und jetzt verstärkte er es, so gut er konnte. „Wie könnte ich das vergessen ...“ Nun wurde Emmas Lächeln warm und auch ein wenig melancholisch. „Wobei ich ... unseren Tanz auf der Gala auch mochte.“ Wieder musste sie sehr leise lachen. „Ich war so unglaublich nervös. Vor all diesen reichen Leuten. Wäre Lia nicht gewesen ... ich hätte wahrscheinlich nie mit dir getanzt, sondern wäre still und leise abgehauen.“   „Und du hättest mich tatsächlich mit all diesen Leuten alleine gelassen?“, fragte Cayden voller gespielter Empörung und schlug sich getroffen die freie Hand aufs Herz, ehe er wieder lächelte und etwas ernster wurde. „Ich hätte mehr als Hunderttausend Dollar gezahlt, um einmal mit dir tanzen zu können, Em. Um ehrlich zu sein, wollte ich meine Assistentin auf keinen Fall mit einem der anderen reichen Schnösel teilen. Lia wusste das, weshalb sie mich auch so hoch mit dem Bieten getrieben hat. Ja, zugegeben, sonst wäre ich etwas eifersüchtig auf den Glücklichen geworden.“ Etwas war zwar untertrieben, aber das musste er Emma ja nicht direkt auf die Nase binden. „Und du sahst wirklich hinreißend aus in diesem Kleid.“   Emma merkte gar nicht, wie sie sich nun doch näher an Cayden herantraute und sich an ihn drückte. Immer noch nicht so, wie sie es schon getan hatte – vor dieser Sache. Aber es war ein großer Schritt nach vorne. Mit einem geschmeichelten Lächeln zwinkerte sie Cayden verschwörerisch zu. „Und ich konnte auf jeden Fall sicher sein, dass niemand von diesen Reichen das gleiche Kleid tragen würde.“ Das passierte manchen Hollywoodstars mit den angesagtesten Designer-Stücken. Aber mit ihrem Kleid von der Stange, selbst wenn es für Emmas Verhältnisse teuer gewesen war, war sie absolut auf der sicheren Seite gewesen. „Du warst aber auch ... zum Dahinschmelzen.“   Nun musste Cayden wirklich grinsen, während er versuchte, sich nicht Emma entgegen zu lehnen, um dieses Gefühl von Nähe noch zu verstärken. „Vorsicht. Wenn du solche Sachen sagst, könnte ich am Ende ebenfalls noch rot werden.“   ***   Die Stimmung während dieses gemeinsamen Nachmittags war zwar nicht so gelöst, wie sie es schon einmal gewesen war. Doch auf jeden Fall bereits deutlich besser, als in diesem kleinen Restaurant. Und Cayden gab sich wirklich die ganze Zeit über Mühe, nichts zu tun, was Emma als Anstoß nehmen könnte. Dabei fühlte er sich tatsächlich fast wie ein unsicherer Teenager bei seinem ersten Date. Nur ohne das Gestotter und Herumgezappel. Als es Zeit war, für Emma zu gehen, weil sie natürlich nicht über Nacht bleiben konnte, war Cayden sogar wieder voller Hoffnung und Optimismus. Das alles würde schon wieder werden. Er brauchte also keine Angst zu haben. Obwohl er das natürlich trotzdem hatte, wenn es um Emma ging. Noch lange, nachdem sie dann schließlich gegangen war, dachte er über diesen Nachmittag und die vielen Abende nach, die er mit ihr verbracht hatte. Cayden brauchte es sich nicht zu bestätigen. Er wusste es schon längst und doch wurde er sich immer sicherer, was Emma anging. Sie war die Richtige, und selbst wenn sie die Falsche gewesen wäre, sein Herz hätte sich ohnehin nicht mehr umentschieden. Blieb am Ende also nur noch eines zu tun – ihr die ganze Wahrheit zu sagen. Doch das war ein Schritt, zu dem er mehr Mut brauchte, als er derzeit hatte. Aber er würde ihn gehen. Er musste ihn einfach gehen. Irgendwann, wenn das schlimmste Chaos erst einmal beseitigt worden war.   ***   Cayden wusste am nächsten Tag nicht, was schlimmer war. In Handschellen von der Polizei abgeführt zu werden und das vor dem ganzen Büro, oder als freier Mann zurückzukehren. Ebenfalls vor dem ganzen Büro. So unsicher, zittrig und unwohl fühlte man sich selten im Leben, aber Cayden ließ sich seine Gefühle nicht anmerken. Er grüßte jeden, so wie er seine Mitarbeiter auch früher schon gegrüßt hatte, egal wie die Reaktion darauf war. Manche verwickelten ihn in ein Gespräch, waren einfach nur froh, dass er endlich wieder da war und anderen sah man wiederum die vielen Fragen an, die sie ihm nicht zu stellen wagten. Er hätte heute ohnehin keine Fragen beantworten wollen. Stattdessen gab es Unmengen an Arbeit aufzuholen und so viel Schaden zu begrenzen, wie es nur ging. An Emmas Schreibtisch angekommen, begrüßte er sie – mit Vornamen –und schenkte ihr ein Lächeln, das nur für sie allein bestimmt war. Wenn er eines in den letzten Tagen gelernt hatte, dann das, dass er ihre Beziehung nicht mehr geheim halten wollte. Dass sie es wert war, offen gelebt zu werden und dass er sich niemals für sie schämen würde. Natürlich begrüßte er auch Stella, jedoch wie gehabt. Danach verzog er sich in sein Büro, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und machte sich an die Arbeit. Bis zum Ende des Tages würden bestimmt nicht nur seine Finger, sondern auch sein Ohr von den vielen Telefonaten glühen.   Emma schaffte es nicht, sich vor Stella zusammenzureißen. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als Cayden auftauchte und sie auch noch ganz normal grüßte, als wäre es das Natürlichste der Welt, dass sie sich mit Vornamen ansprachen. Es fehlte nur noch, dass er sich über den Schreibtisch lehnte und ihr einen kurzen, vertraulichen Kuss auf die Lippen drückte. Allein bei der Vorstellung klopfte Emmas Herz schneller. Selbst wenn sie wusste, dass das in naher Zukunft nicht passieren würde. Erst als Cayden im Büro verschwunden war und die direkte Leitung nach draußen an ihrem Apparat aufleuchtete, gestattete sich Emma ein Gähnen. Stella war in die Teeküche gehuscht, um Kaffee für Cayden zu machen und würde ihm das Tablett auch ins Büro bringen. Es war also an Emma, sich den ersten Telefonaten zu stellen, die beide Assistentinnen bis jetzt eisern ignoriert hatten. Ständig klingelte der Apparat und der E-Mail-Eingang lief über vor widersprüchlichen Mails. Da würde der Boss Einiges ins Reine bringen müssen. Ich hole uns später was vom Thailänder. Emma klebte sich ein Post-it an den Bildschirm, das sie daran erinnern sollte, telefonisch vor halb eins etwas beim Thai zu bestellen, damit sie genug Zeit hatten, in der Mittagspause in Ruhe zu essen. Bei dem Wirbel im Büro würde sie es sonst wahrscheinlich vergessen. Wieder das Telefon. „C&C Corporation, Mr. Calmaros Büro. Sie sprechen mit –“ Emmas Mund verzog sich, als hätte sie kräftig in eine Zitrone gebissen. „Er telefoniert gera-“ Wieder wurde sie unterbrochen. Das Fußvolk sollte wohl die Klappe halten, wenn ein ach so wichtiger Kunde sprach. „Nein.“ Dann eben kurz und bündig. „Genau das habe ich gesagt. ... Nein, können Sie nicht. ... Wiederhören.“ Sie legte den Hörer betont sanft auf die Gabel und drehte sich dann zum Mac um. Allerdings sprang eine Gänsehaut Emma so unerwartet und intensiv an, dass sie die Zähne hart aufeinander biss und in der halben Drehung erstarrte. Emma hatte nicht einmal genug Zeit, um zurückzuschrecken. „Hey Puppe.“ Verdammt. „Sie können gleich wieder gehen. Mr. Calmaro ist sehr beschäftigt und kann leider mit niemandem sprechen, der keinen Termin hat.“ Der Mann, der Emma so unheimlich war, dass sie sich stark zusammenreißen musste, um ihre Stimme nicht zittern zu lassen, lehnte sich in einer Geste nach vorn, die das Krabbeln in Emmas Nacken noch anwachsen ließ. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich nicht so’n Termin brauche. Mein Boss und dein Boss sind Kumpels und er hat mich reinzulassen. Verstanden, du –“ Das Energiefeld knisterte so stark, dass Emma das Gefühl hatte, ihre Sicht würde sich kurz trüben. Der Mann wich zurück, anstatt – wie geplant – näher auf ihren Schreibtisch zuzugehen. „Ey, Miststück. Was zur Hölle bist du denn für eine?“ Er giftete sie mit einem Blick an, der Emma zum Telefon greifen ließ. Ihre Miene wurde hart und spiegelglatt wie Eis. „Ich rufe den Sicherheitsdienst.“   „Ich rufe den Sicherheitsdienst.“ Verwundert über Emmas Stimme und dem, was sie gesagt hatte, stellte Stella schnell den Zucker auf das kleine Tablett und eilte mit Calmaros Kaffee aus der Teeküche. Noch ehe sie ganz den Typen gesehen hatte, überfiel sie eine Gänsehaut, wie nur Tasken oder einer seiner Leibeigenen es fertigbrachten. Sofort fuhr Stella ihre Krallen aus und der Beschützerinstinkt einer werdenden Mutter schlug zu. „Wie ich sehe, ist Mr. Tasken wieder einmal so unhöflich, uns einen unangekündigten Besucher zu schicken.“ Ihre Stimme war nicht weniger frostig, als die von Emma, während sie das Tablett mit dem dampfenden Kaffee auf ihrem Schreibtisch abstellte und sich hinter ihrem Bildschirm in Sicherheit brachte, allerdings ohne sich zu setzen. „Sie können Ihrem Boss gerne ausrichten, dass Mr. Calmaro bald überhaupt keinen Besuch mehr entgegen nehmen wird, wenn er sich keine besseren Manieren angewöhnt.“ Flink zischte die Maus in ihrer Hand hin und her. „Morgen. 11:10 Uhr. Wäre das für Sie okay? Gut, dann wäre das ja wohl geklärt und richten Sie Ihrem Boss noch schöne Grüße aus. Auf Wiedersehen.“ Mit verschränkten Armen giftete Stella den Kerl so offensichtlich an, wie es kaum noch ging. Der Typ sollte sich endlich verziehen, sonst würde sie tatsächlich den Sicherheitsdienst rufen.   Der Kerl hatte nur einen herablassenden und trotzdem eklig anzüglichen Blick für Stella übrig. Und das, obwohl die erfahrene Assistentin die Situation so viel besser im Griff hatte, als Emma es je gekonnt hätte. Wie sie das bloß hinbekam? Emma stand ebenfalls auf, hielt aber den Hörer des Telefons immer noch in der Hand. „Meine Kollegin sagte auf Wiedersehen.“ Sie hatte schon damit gerechnet, dass sie damit die Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. Und das nicht gerade im positiven Sinne. Bah, allein der Gesichtsausdruck und die leicht angehobene Oberlippe des Kerls waren ... Emma schauderte und die Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich auf. Das Energiefeld waberte angespannt um die Schreibtische herum und doch konnte Emma es nicht glauben. Nein, das musste an der Müdigkeit liegen. Oder war der Kerl irgendwie total bescheuert und hatte sich die Zähne machen lassen? Die Energie schlug in Richtung des Mannes aus und er wich einen Schritt zurück. Emma drohte schlecht zu werden. Der Typ sah so aus, als wolle er sie anspucken. „Pass schön auf deinen Arsch auf, wenn du heimgehst ... Hexe.“ Sein Gelächter brannte auf Emmas Gesicht. Und das hielt auch noch an, als der Mann verschwunden und die Aufzugtüren hinter ihm geschlossen waren.   „Verdammter Freak. Dass man sich überhaupt mit sowas abgeben kann, verstehe ich nicht. Aber dieser Tasken scheint diese Typen zu sammeln wie Actionfiguren.“ Stella ließ sich kurz in ihren Stuhl sinken. Ihr zitterten die Beine so sehr, dass sie vermutlich Calmaros Kaffee vollkommen verschüttet hätte. Dann sah sie zu Emma. „Hey, alles in Ordnung? Mach dir keine Sorgen, was der Typ gesagt hat. Die haben mich schon schlimmer beschimpft. Das sind nichts als leere Drohgebärden.“ Stella meinte es ernst, fügte aber nicht hinzu, dass sie sich nach solchen Begegnungen immer von ihrem Mann hatte abholen lassen. 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