Dark Night's Kiss von Darklover ================================================================================ Kapitel 45: 45. Kapitel ----------------------- Cayden war schon um 12 Uhr in der Nähe des Restaurants, das er mit Emma bereits zweimal besucht hatte. Natürlich ging er nicht gleich hinein, sondern drückte sich in die Schatten einer Seitengasse gegenüber des Häuserblocks mit dem Restaurant. Also eigentlich ganz nahe am Büro, und obwohl er die Ablenkung eines stressigen Tages regelrecht vermisste, zog es ihn dennoch nicht dorthin. Nein, er war noch nicht bereit, sich alledem zu stellen, weshalb er sich auch vor den vorbeigehenden Passanten im Schatten verbarg. Heute Morgen hatte er die Zeitung gelesen. Sein momentanes Leben war natürlich bereits ordentlich ausgeweidet und in aller Öffentlichkeit verteilt worden. Doch zumindest wurde damit auch seine Unschuld verbreitet. Wenigstens das, was die Sache mit dem Gewaltverbrechen anging. Die Presse hatte natürlich auch gleich den Faden aufgenommen, dass es offenbar nicht das erste Mal gewesen sein soll, dass er Vanessa geschlagen hatte. Und in der Klatschpresse ging sogar das Gerücht herum, seine Frau hätte nur für ihn ausgesagt, weil sie Angst hatte, er würde sie sonst doch noch umbringen. Zum Glück aber blieb diese Geschichte vorerst im untersten Niveau der Printmedien. Dennoch … es fühlte sich nicht gut an, so etwas über sich zu hören und doch ganz genau zu wissen, dass es nicht stimmte. Cayden hätte nicht einmal die Mittel dafür, um zu bewerkstelligen, dass man Vanessa umbrachte, während er hinter Gitter saß und noch einmal, er hatte auch jetzt keinen Grund dazu, ihr wehtun zu wollen … Immer noch über das nachdenkend, was sein Leben so rapide verändert hatte, verging die Zeit nach und nach, während er keine Sekunde lang den Eingang des Restaurants aus den Augen ließ. Erst als Emma auftauchte, richtete er sich kerzengerade auf und sein Herz begann loszudonnern. Sofort zitterten seine Finger und seine Kehle wurde ganz trocken, während es unangenehm in seinem Nacken kribbelte und seine Sinne in höchster Alarmbereitschaft waren. Er hatte Angst. Verdammt große Angst. Und es brauchte am Ende sogar mehrere Anläufe, ehe er es schaffte, aus den Schatten zu treten, die Straße zu überqueren und Emma in das Restaurant zu folgen. Dass sich sofort viele Blicke auf ihn richteten, war ihm egal. Sein eigener war fest auf Emma geheftet, die bereits einen Platz gefunden hatte. Elegant, aber mit zitternden Knien, schlängelte er sich zwischen den Tischen hindurch und glitt schließlich auf die lederne Sitzbank Emma gegenüber. Er war ein einziges Nervenbündel, obwohl er es sich so gut wie möglich nicht anmerken ließ. Lediglich seine Finger zitterten, weshalb er sie schließlich ineinanderschob. Cayden hatte bereits den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, doch irgendwie wollte nichts heraus kommen. Weshalb er es noch einmal versuchte, mit dem gleichen Ergebnis. Dabei hatte er das bei Adam heimlich geübt. Doch nun fehlten ihm die passenden Worte, weshalb er schließlich einfach nur seufzte und über seine eigene Unfähigkeit freudlos lächelte. „Ich habe dich vermisst, Em.“   Es war zehn vor eins, als sie im Restaurant ankam. Warme Luft schlug ihr entgegen und sie zog sich die weiße Wollmütze vom Kopf, bevor sie sich einen freien Tisch suchte. Relativ nah am Eingang, aber doch so weit davon entfernt, dass nicht jeder, der vorbeiging, sie sehen konnte. Ein Tisch, an dem sie nicht nebeneinandersitzen konnten. Nicht weglaufen. Nicht weglaufen. Nicht weglaufen. Mit einer fahrigen Bewegung streifte sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und versuchte dann ihre Finger mit der Speisekarte zu beschäftigen. Allerdings hatte das genau den gegenteiligen Effekt, da das Papier das Zittern ihrer Hände in sehr sichtbarem Maße übertrug. Sie hatte doch sowieso keinen Hunger. Nein, das stimmte nicht ganz. Denn ihr Magen knurrte schon die ganze Zeit und Emma hatte sogar das Gefühl, sich etwas schwach zu fühlen, weil sie seit dem Apfel zum Abendessen am Tag vorher, nichts mehr zu sich genommen hatte. Aber sie hatte keinen Appetit. Nichts, das mehr Substanz hatte als ein Smoothie, hätte sie herunter gebracht. Sie würde Kaffee bestellen. Etwas zum Festhalten. Dabei würde es gar nicht so schlimm werden. Sie würden reden, mehr mussten sie gar nicht tun. Nur reden. Wie erwachsene Menschen, denn damit ließ sich fast jedes Problem lösen. Ja genau. Es wird schon alles seine Richtigkeit finden und dann – Ihr Herz boxte ihr in den Magen und ihre Augen fingen von einer Sekunde auf die andere zu brennen an, als sie ihn sah. Irgendetwas hatte sich um Emmas Herz gelegt und drückte so stark zu, dass sie nicht atmen konnte. Nicht einmal denken oder sich bewegen. Selbst als er sich schon zu ihr gesetzt hatte. Gott, er sah ... genauso aus, wie immer. Das dürfte sie eigentlich gar nicht überraschen, aber irgendwie tat es das doch. Emma wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber das hier ... war es eindeutig nicht gewesen. Das Bedürfnis, ihre Hand auszustrecken und Cayden zu berühren, ihm über die Hände zu streicheln oder ihn einfach in den Arm zu nehmen, sich an ihn zu drücken ... war riesengroß. Er hatte sie vermisst? Sie hatte ... in seiner Abwesenheit anscheinend gar nicht bemerkt, dass die Welt um sie sich zu drehen aufgehört hatte. Dafür tat sie es jetzt mit doppelter Geschwindigkeit und riss Emma mit sich. „Geht es ... dir gut?“   Er war nicht so gefasst, wie er es eigentlich sein wollte und auf Emmas Frage, wusste er eigentlich auch nicht wirklich eine Antwort. Aber es war ein Anfang. Wenn auch nur ein dürftiger. „Ja … nein … naja, nicht wirklich“, gestand er schließlich leise und musste all seinen Mut aufbringen, um Emma in die Augen zu sehen. Wieso kam er sich so schuldig vor, obwohl er nichts getan hatte? Vielleicht, weil er nicht wusste, was für ein Urteil auf ihn wartete? Oder, weil es sehr wohl Dinge gab, die er ihr verheimlichte und die man nicht so einfach auf die leichte Schulter nehmen konnte? Cayden war sich nicht sicher, was davon zutraf. Aber es war auf jeden Fall eine Mischung aus allem. Dennoch, der wesentliche Grund für dieses Treffen hier, würde sich nicht davon beeinträchtigen lassen. „Em … das, was man mir vorwirft oder vorgeworfen hat, das stimmt nicht. Ich weiß nicht, wer es war, aber ich hatte keinen Grund dazu. Warum auch? Ich liebe dich. Ich will mit dir zusammen sein. Für dich und das Baby da sein, wieso sollte ich dann so etwas Dummes tun?“ Noch dazu so offensichtlich? Wenn er es wirklich getan hätte, dann auf wesentlich subtilere Art und Weise. Es wäre schließlich nicht die erste Leiche in seinem Leben. Aber sicher die sinnloseste.   Emma versteifte sich keine Millisekunde, nachdem Cayden das Thema anschnitt, das sie eigentlich hatte noch eine Weile umschiffen wollen. Ihre Wirbelsäule drohte zu knirschen, als sie die Anstrengung auf sich nahm, ihren Kopf Cayden weiter zuzuwenden. Wieso sollte ich so etwas Dummes tun? Weil sie dir mit dem Vertrag gekommen ist. Weil sie darauf bestanden hat, dass du sie nicht so einfach verlassen kannst. Weil sie dich zwingen wollte. Weil sie ... Weil du ein einziges Mal deine gelassene Fassade nicht aufrechterhalten konntest. Emma wurde richtig flau im Magen, als ihr diese Gedanken durch den Kopf schossen. Was tat sie denn da? Nächtelang hatte sie alles so gedreht und gewendet, dass sie ihm glauben konnte. Entgegen allen Argumenten der Presse, gegen den Verdacht. Und jetzt? Wie konnte sie denn so grausam sein, ihm jetzt nicht zu glauben? Warum hörte sie nicht auf ihr ängstlich bebendes Herz, das genau wusste, dass er unschuldig war? „Ich ...“ Die Stimme versagte ihr und Emma schluckte einen brennenden Kloß in ihrer Kehle herunter. „Ich weiß nicht.“   Sie glaubte ihm nicht ... Oh Gott, sie glaubte ihm wirklich nicht! Sie dachte, er wäre tatsächlich zu so etwas fähig?! Für einen Moment blieb Cayden das Herz stehen und alles um ihn herum schien sich zu drehen, ehe er zurück in den Ledersitz sackte und zur Seite blickte. Alle Spannung war aus seinem Körper gewichen. Er fühlte sich wie erschlagen. Eigentlich konnte Cayden es gar nicht wirklich glauben. „Ich habe noch nie eine Frau geschlagen“, meinte er leise. „Wenn mein Leben oder das meiner Liebsten davon abhinge, dann vielleicht ja, aber diese Macht hat Vanessa nicht über mich. Sie ist unwichtig. Sie bekommt alles, was sich eine geschiedene Frau an Abfindung nur wünschen kann. Ich hatte keinen Grund. Überhaupt keinen.“ Warum glaubte sie ihm nur nicht? War es denn so offensichtlich, dass er noch sehr viel mehr vor ihr verbarg? Aber in diesem Fall hatte das eine mit dem anderen noch nicht einmal etwas zu tun!   Jetzt fing Emmas Körper an zu zittern. Zu beben, wenn man es genau nahm. Denn Emma hatte das Gefühl, gleich unter den Tisch zu rutschen, weil sie sich nicht mehr auf dem Stuhl halten konnte. Sie hatte ... ihn verletzt. Dummerweise fiel ihr dazu im ersten Moment nur ein, dass ihr das noch nie bei einem Mann gelungen war. Nicht einmal im Ansatz – selbst wenn sie es gewollt hatte. Und jetzt, da sie es wirklich getan hatte – ohne es zu wollen – fühlte es sich so an, als hätte sie sich selbst eine Gabel in die Brust gestoßen. „Was ist ... mit eurem Vertrag?“, wollte sie mit leiser, aber fester Stimme wissen. Ihre Augen wurden gegen ihren Willen kalt. Es war etwas, mit dem er Emma immer einen Riegel vorgeschoben hatte. Etwas, das ein Geheimnis gewesen war. Entweder packte er jetzt alle Karten auf den Tisch oder ... Jetzt wurde Emma richtig schlecht.   Cayden saß in der Falle. Es sah zwar nicht so aus, aber er war mit Emmas Frage tatsächlich noch mehr in die Ecke gedrängt worden. Eigentlich hatte er gehofft, sie würde nicht auf den Vertrag zu sprechen kommen. Allerdings hätte er wissen müssen, dass Hoffnung in letzter Zeit Mangelware gewesen war. Es hatte einfach so kommen müssen. Caydens Finger zupften unauffällig am Saum seines beigefarbenen Pullovers, während er seine Gedanken zu bändigen versuchte, die sich regelrecht überschlugen. Erstens war das Restaurant hier absolut ungeeignet, um so etwas zu besprechen. Zweitens war es schon etwas merkwürdig, dass bisher keine Kellnerin aufgetaucht war, um ihn aus dieser Antwortsmiesere herauszuholen und drittens, er konnte Emma jetzt noch nicht die ganze Wahrheit sagen. Gerade nach dem Schock seiner Verhaftung würde das nur noch mehr Zweifel in ihr schüren. Sie würde glauben, dass er ihr noch sehr viel mehr verheimlichte, als seine bloße Existenz und dass er somit durchaus im Stande wäre, diese schrecklichen Dinge zu tun, denen man ihn bezichtigt hatte. Nein, sie würde es nicht verstehen. Er würde sie und das Baby stattdessen nur verlieren. Davor hatte er sogar noch mehr Angst, als ihr die Wahrheit zu sagen. Ein Grund, es erst recht nicht zu tun. Cayden bemerkte nicht, wie er eine ganze Weile schwieg, ehe er schließlich hochsah und seine Schuldgefühle ob seiner Verschwiegenheit sich in seinen Augen widerspiegelten. Schließlich schüttelte er leicht den Kopf. „Es gibt keinen Vertrag mehr zwischen ihr und mir, aber …“ Genau das würde alles nur noch komplizierter machen. Allerdings war es für eine Weile kein Problem, an seine wöchentliche Ration Blut zu kommen. Nur war das für ihn keine Dauerlösung. „… es wird nicht leicht werden. Trotzdem …“ Er atmete gequält tief ein und aus. „Trotzdem kann ich dir das jetzt nicht erklären. Ich möchte es gerne, aber nicht jetzt. Nicht hier. Nicht so. Du würdest es nicht verstehen.“   Ich würde es nicht verstehen. Verdammte ... Natürlich verstehe ich es nicht, wenn du mir nur solche kryptische Brocken an den Kopf wirfst! Wie sollte ich auch?! Hättest du mir von Anfang an gesagt, was es mit diesem verfluchten Vertrag auf sich hat, dann ... Emmas Augen wurden noch kälter und sie atmete flacher. Sie ärgerte sich. Nein, eigentlich ... war sie stinksauer! Dabei hatte sie sich überhaupt nicht ärgern wollen. Eigentlich hatte sie hier sitzen, sich mit Cayden versöhnen und das alles vergessen wollen! Es sollte besser werden und sich nicht so ... beschissen anfühlen! Um sich nicht bockig in ihrem Stuhl zurückzulehnen und die Arme abweisend vor der Brust zu verschränken, schob Emma ihre Hände flach unter ihre Oberschenkel und starrte auf die Tischplatte. Der klebrige Ring auf dem Plastik war ihr vorher gar nicht aufgefallen ... Sie schwiegen eine Weile. Emmas Lippen fühlten sich an wie verklebt und sie konnte auch keinen Gedanken fassen, der sie jetzt irgendwie weiter gebracht hätte. Wenn sie zur Hölle nur gewusst hätte, was sie wollte!   Ihr Duft war heiß und scharf wie eine gewetzte Klinge. Er verstand es, aber er konnte nichts dagegen tun. Nicht jetzt und schon gar nicht hier. „Emma ... Ich kann es dir jetzt nicht sagen. Dafür ist es zu … kompliziert. Aber es ist nicht das, was du denkst.“ Ach, das war es doch nie. Aber in diesem Fall konnte Emma denken, was sie wollte, darauf käme sie tatsächlich nicht. Ansonsten müsste er sich ernsthafte Sorgen darüber machen, dass er sich nicht mehr gut genug tarnen konnte, um für Menschen menschlich zu wirken. „Und das ist auch nicht der Grund, weshalb ich hier sitze. Ich will doch nur, dass du weißt, dass ich diese Dinge nicht getan habe und nicht nur, weil die Presse sich nun entschieden hat, etwas anderes zu drucken, sondern weil es die Wahrheit ist. Ich mag meine Geheimnisse haben. Wir kennen uns vielleicht noch lange nicht so richtig, wie wir das wollen, aber das heißt nicht, dass ich plötzlich eine komplett andere Persönlichkeit habe, als du kennen gelernt hast. Ich bin immer noch der Gleiche, egal wofür man mich beschuldigt.“   „Okay!“ Es kam so schneidend über ihre Lippen, dass es eine eisige Spur darauf hinterließ. Aber für jetzt ignorierte Emma das einfach. Stattdessen tat sie das, was sie bei anderen in solch miesen Situationen gar nicht glauben konnte. Sie sagte, was sie fühlte. „Weißt du, wie sich das für mich anhört? Es hört sich in meinen Ohren so an, als hältst du mich nicht nur für naiv, sondern auch noch für dumm. Aber Cayden, ob du es glaubst oder nicht, ich habe mir während deines Aufenthalts im Gefängnis auch Gedanken gemacht. Ich bin nicht nur vor der Glotze gesessen und habe geglaubt, was man mir in den Klatschnachrichten vorgekaut hat. Ich habe tatsächlich – ja, stell dir vor – nachgedacht. Gegrübelt. Darüber, wie wahrscheinlich die Variante der Geschichte ist, die ich mir so sehnlich wünsche. Wer dich wohl aufs Kreuz gelegt hat und warum. Wie es derjenige geschafft hat, dass deine Ehefrau da auch noch mitspielt, wenn sie doch ihr Leben dabei riskieren musste.“ Emmas Stimme war anstatt anzuschwellen noch leiser geworden. Stechende Nadeln aus Eis schienen aus ihrem Mund zu springen und das, obwohl in ihr ein Orkan aus Feuer tobte, der sich einen Ausgang über heiße Tränen in ihren Augen suchen wollte. „Ich habe nie angenommen ... nie annehmen wollen, dass du getan hast, was man dir vorgeworfen hat. Aber du hast recht: Wir kennen uns kaum. Ich weiß so gut wie gar nichts über dich. Außer, dass du immer wunderbar zu mir warst. Trotzdem frage ich mich, wie ich es bewerkstelligen soll, dir ohne Zweifel zu glauben, wenn du mir noch nicht einmal zutraust, einen Ehevertrag zu durchblicken.“   Cayden konnte sie nicht ansehen, während Emma sein Herz mit jedem ihrer Worte schwerer und schwerer machte, bis er glaubte, es müsse unter der Last zerquetscht werden. Stattdessen blickte er auf die dunkle Holzvertäfelung an der Wand, schwer daran arbeitend, das Zittern seines Körpers zu verbergen. Selbst als Emma mit ihren Worten fertig war und bestimmt auf eine Reaktion oder Antwort von ihm wartete, konnte er sich nicht rühren. Cayden fühlte sich wie erstarrt in dem Wissen, noch nie solch intensive Gefühle gehabt zu haben, wie er es in diesem Augenblick tat. Er war zerrissen zwischen dem Verlangen, alles vor Emma zu offenbaren, was ihn betraf und dem brennenden Begehren nach ihr, das ihn dazu brachte, die dümmsten Dinge zu tun, die man nur tun konnte. Hauptsache sie verließ ihn nicht. Er fühlte sich ohnmächtig in seiner Hilflosigkeit und ungleich verletzlich. Es war, als würde sie wirklich real sein Herz – sein Leben in Händen halten und es bedurfte nur ihre alleinige Entscheidung, ob sie ihn vernichtete oder am Leben ließ. Diese Schwäche war ihm gleich, da er sie mehr als sein eigenes Leben liebte. Aber es war dennoch nicht leicht, dieses Wissen zu ertragen. Während er schwieg, kam schließlich doch eine Bedienung an ihren Tisch, um nach Bestellungen zu fragen. Irgendetwas musste er wohl gemurmelt haben, denn die junge Frau rauschte schnell wieder ab. Vielleicht hatte er ihr auch gesagt, sie solle sich ihre Bestellungen sonst wohin stecken. Er wusste es nicht. Schließlich schloss Cayden die Augen, um sich zu fassen. Um all diese explosiven Gefühle hinter der fleischlichen Hülle zu lassen, wo sie keinen Schaden anrichten oder ihn noch tiefer in seine Miesere hineinreiten konnten. Daher war sein Äußeres fast kühl, als er endlich wieder den Mut aufbrachte, um Emma anzusehen. „Du kannst es nicht“, meinte er endlich, auch wenn sie vermutlich keine Ahnung hat, was er meinte. „Du kannst es nicht bewerkstelligen, mir ohne Zweifel zu glauben. Dafür bist du zu klug und achtest zu gut auf dich selbst. Man muss dein Vertrauen verdienen und das ist nicht leicht. Ich weiß, wie es ist, wenn man nur schwer jemandem vertrauen kann. Mir geht es selbst so. Und gerade weil ich so unglaublich ...“ Cayden schluckte das Wort hinunter, dass er hatte sagen wollen. In ihren Augen war er nicht alt. Schon gar nicht unglaublich alt. Aber bei Gott, in diesem Augenblick fühlte er jedes einzelne seiner Lebensjahre auf sich. „Gerade weil ich so Vieles gesehen und erlebt habe, fällt es mir nur umso schwerer“, wich er schließlich aus. Im Grunde bedeutete es ohnehin das Gleiche. „Ich habe dir einmal gesagt, dass die Sache zwischen Vanessa und mir nur auf einer Scheinehe aufgebaut ist. Weshalb ein simpler Ehevertrag kein Grund für mich wäre, dir etwas zu verschweigen. Du könntest den offiziellen Vertrag jederzeit von mir haben, wenn du ihn möchtest, allerdings wirst du nicht das darin finden, was du suchst. Du suchst eine Antwort, zu der ich noch nicht bereit bin, sie dir zu geben. Nicht, weil ich dir nicht vertrauen würde … sondern weil ich dich so sehr liebe, dass es mir Angst macht, auch nur daran zu denken, ich könnte dich verlieren.“ Cayden holte tief Luft. Sein Atem zitterte dabei. „Ich weiß, dass du offen und aufgeschlossen bist. Dass du dir lieber deine eigene Meinung bildest, anstatt auf andere zu hören und selbst entscheidest, was du glauben willst und was nicht, sofern dir alle Fakten bekannt sind. Aber, Em … Im Augenblick sind da so viele Zweifel in dir. Wie willst du objektiv bleiben, wenn dich bereits eine bloße Behauptung so verwirren kann?“ Er rieb sich übers Gesicht, wollte seine Worte stoppen, aber er konnte es nicht. Nicht ohne, daran zu ersticken. „Das, was ich dir momentan nicht sagen kann, betrifft mich. Mich und mein ganzes Leben. Es ist nichts, was ich einfach von mir wegschieben könnte. Nichts, was nicht voll und ganz ein Teil von mir wäre. Und wenn du dir nicht langsam, nach und nach selbst ein Bild davon machen kannst, werden die vorgefertigten Meinungen anderer dich zu stark beeinflussen und womöglich, könntest du es dann nicht akzeptieren. Du würdest womöglich mich nicht akzeptieren. Und das ist etwas, vor dem ich inzwischen rasende … Angst habe. Erst recht, nachdem ich noch nicht einmal weiß, ob du mich überhaupt …“ Cayden schaffte es nicht, den Satz zu vollenden. Nicht nur, weil ihm die Stimme dabei versagte, sondern die Bedienung in diesem Augenblick mit Getränken kam. Er hatte gar nicht gewusst, dass er Orangensaft bestellt hatte. Frisch gepresst, mit Fruchtstückchen ... Er sprach nicht weiter, selbst als die junge Frau bereits wieder verschwunden war, sondern starrte einen einzelnen Wassertropfen auf dem beschlagenen Glas an, der hinunterlief. Sein Kopf war leer. Cayden wusste absolut nicht, wie es weitergehen würde, außer, dass er Angst hatte.   Emma starrte Caydens Profil an, als wäre es das Einzige, was sie vor dem Strudel aus Wahnsinn bewahren konnte, der sich gerade vor ihren Füßen geöffnet hatte. Sie verstand kein Wort von dem, was er ihr gerade gesagt hatte. Oder vielleicht mochte sie die Aneinanderreihung von Worten verstehen, aber nicht, wie er sie damit von irgendetwas überzeugen wollte. Ja, sie glaubte ihm, dass er sie nicht für dumm und naiv hielt. Sogar das mit dem Ehevertrag kaufte sie ihm ab. Alles ... in Ordnung und nachvollziehbar. Aber der Rest ... Weil das normalerweise immer einigermaßen funktionierte, versuchte Emma alle Informationen in kleinere Teile zu brechen. In kleinere Häppchen, sozusagen, die ihr Hirn besser schlucken und verarbeiten konnte. Dabei konzentrierte sie sich am meisten auf die letzten paar Sätze, die Cayden gesagt hatte. In denen es um ... ihn gegangen war. Und um dieses Geheimnis, das er ihr nicht preisgeben wollte, sondern das sie nach und nach von selbst herausfinden und akzeptieren sollte. Emma kam leider nur Negatives in den Kopf, was er damit hätte meinen können. Da er es ihr aber sicher nicht sagen würde, wenn sie jetzt noch mehr die Krallen ausfuhr, seufzte sie leise und ließ den Kopf hängen. „Cayden, kannst du mir sagen ...“ Sie blickte auf und hoffte so sehr, dass er ihren Blick erwidern würde. Dass sie ihm dadurch zumindest die Antwort auf ihre Frage ohne Zweifel glauben würde. „Dieses Geheimnis, das mit dir zu tun hat ...“ Ihre Kehle wurde trocken, aber Emma zwang sich trotzdem, weiterzusprechen. „Gefährdet es dich?“ Sie starrte zwar nicht mehr, hielt aber seinen Blick eisern fest. „Oder mich? Ist es etwas, das mir Sorgen bereiten müsste? Sorgen um dich, mich oder ... das Baby?“ Wie eine tödliche Krankheit. Oder eine Sucht, die ihn doch so aggressiv machen konnte, dass er in einem Moment des Rausches oder des Entzugs um sich schlug?   Auch sein Tonfall war nun ruhiger. Sanft, vorsichtig. „Nein, Em. Es ist nichts Ansteckendes oder sonst irgendeine Krankheit. Ich bin, was ich bin. So wie ich vor dir hier sitze. Euch beiden droht keine Gefahr. Das würde ich nicht zulassen.“ Langsam, zögernd und den letzten Rest an Mut zusammenkratzend den er noch hatte, legte Cayden seine Hand mit der Innenseite nach oben auf den Tisch und schob sie zu Emma hinüber. „Bitte, Em. Lass uns nicht mehr streiten. Es tut mir leid, dass ich dir etwas verschweige, aber darüber hinaus gibt es nichts, was ich mir zu Schulden habe kommen lassen. Ich bin immer noch die Person, die ich vor ein paar Tagen gewesen bin. Vielleicht etwas erschütterter, aber … ansonsten hat sich nichts geändert. Meine Gefühle zu dir sind die gleichen und das werden sie auch bleiben.“   Emma sah vorsichtig von Caydens Gesicht zu seiner Hand und dann wieder zurück. Es musste unglaublich seltsam für ihn aussehen. Dass sie so stark zögerte und ... sich offenbar nicht entscheiden konnte. Dabei war es gar nicht wirklich so. Emma wusste sehr wohl, was sie wollte. Und sie war auch drauf und dran, es zu tun, es war nur ... Es gab so viel zu bedenken. Sich zu schützen und vorsichtig zu sein. Sie vertraute Cayden in einem Maße, das vielleicht gar nicht klug war. Was, wenn er sie einfach manipulierte? Oder ... Erst als ihre Hand schon in seiner lag, kühle Haut auf ebenso kühler Handfläche, wurde Emma sich bewusst, dass es leicht gewesen war, Cayden zu berühren und auch ihm damit zu zeigen, dass sie den Streit beenden wollte. Ihr Herz schien mit dem Rest ihres Körpers um die Wette zu zittern und Unsicherheit rann durch ihre Adern wie flüssiges Eis. Auf einmal schien sie jeden Blick eines jeden Anwesenden im Restaurant auf sich zu spüren. Jeden missbilligenden Gedanken einer anderen Frau, wie dumm sie doch war, sich von diesem Mann hinters Licht führen zu lassen. Sie sollte es doch besser wissen. „Was wird jetzt passieren?“   Es war nicht schwierig, Geduld für Emma aufzubringen. Er hätte noch sehr viel mehr auf sich genommen als ihr Zögern. Schlimm war nur, dass es überhaupt dazu kommen konnte. Das war es, was ihn quälte, aber nicht, dass Emma einen gesunden Menschenverstand besaß. Dennoch beruhigte ihn ihr kleines Entgegenkommen mehr, als alle anderen wenigen positiven Ereignisse in letzter Zeit. Nicht einmal seine Freilassung hatte ihn in diesem Maße beruhigen können. Das konnte nur ihre Hand in seiner. „Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht. Was ziemlich ungewohnt für mich ist. Allerdings … würde ich mich gerne etwas ausruhen. Vielleicht sollten wir beide das. Ich persönlich habe nicht viel Schlaf in letzter Zeit bekommen, oder Ruhe und morgen … morgen werde ich mich dem Chaos im Büro stellen müssen. Es muss dort bereits schlimmer zugehen, als in der Hölle. Schließlich war ich sehr viel länger nicht da, als angenommen. Allerdings, mit dir im Vorzimmer mache ich mir weniger Sorgen deswegen.“ Er lächelte leicht. Nicht viel, aber immerhin etwas.   Ihre Hände wurden so schnell wärmer, als sich ihre Finger miteinander verschränkten, dass Emma sich kurz nur auf dieses kleine Wunder konzentrieren konnte. Es war schon seltsam, dass sie der Hautkontakt mit Cayden so stark von allem anderen ablenken konnte, was um sie herum wirbelte. Selbst die hämmernden Sorgen schienen weniger laut in ihrem Kopf zu dröhnen und Emma schaffte es sogar, ihre Muskeln wieder ein wenig zu entspannen und den Geruch des Milchkaffees wahrzunehmen, der langsam auf dem Tisch vor ihr kalt wurde. „Es ist gar nicht so chaotisch. Allerdings sind ein paar Kunden abgesprungen, mit denen du sprechen solltest. Viele sind sich noch unschlüssig. Aber wenn du dich darum kümmerst, sie anrufst ...“ Dann würden ein paar Wenige sich umstimmen lassen. Nicht jeder wusste, dass hinter einer kleinen Band der Produzent aus Wellington steckte, der angeblich seine Frau misshandelt hatte. Und wie schnell war über so etwas Gras gewachsen ... Bis zum Sommer vielleicht. Wenn die Konzertsaison losging. „Stella und ich haben alles am Laufen gehalten, so gut es ging. Wir können dich auf jeden Fall über den aktuellen Stand informieren. Es ist ... Es geht schon.“   Nun wurde sein Lächeln größer, während sein Daumen sanft über Emmas Handrücken streichelte und er sie nicht aus den Augen ließ. „Ich wusste, dass ich da ein gutes Team in meinem Büro habe. Danke, für alles, Em. Du bist mir wirklich immer wieder eine große Hilfe.“ Da nun vorerst die Wogen zwischen ihnen beiden etwas geglättet worden waren, er aber dem Frieden noch nicht ganz trauen konnte, ließ er Emmas Hand nicht los, während er einen Schluck von seinem Orangensaft nahm. „Ich werde das schon irgendwie regeln“, fuhr er fort. „Aber vielleicht ist das sogar ein guter Aufhänger, um mich langsam nach einem Nachfolger umzusehen. Ich will nicht mehr so viel arbeiten wie früher, gerade dessen bin ich mir in letzter Zeit nur allzu deutlich bewusst geworden. Das Leben … ist einfach viel zu kurz.“ Nicht seines, sonder das der Menschen um ihn herum und wie schnell er sie verlieren konnte, hatte er soeben die Erfahrung gemacht. Erneut. Er hatte es schon vorher gewusst, doch man hatte ihn noch einmal gründlich daran erinnern müssen. „Wie geht es eigentlich dir? Mit unserem Baby alles in Ordnung?“   „Ist doch kein Problem.“ Nein, das mit der Arbeit war wirklich keinerlei Problem gewesen. Emma wäre sich sogar vollkommen blöd dabei vorgekommen, wäre sie einfach zu Hause geblieben. Aus Protest oder irgendwelchen anderen Gründen. Es hatte auch kaum einen der Angestellten gegeben, der sich nicht jeden Morgen pünktlich hatte blicken lassen. Immerhin kannte fast jeder in der großen Firma Cayden persönlich. Vielleicht nicht von langen Gesprächen, aber die Hand hatten ihm fast alle mindestens einmal geschüttelt. Und die meisten wussten auch, dass er mit seiner Frau eine absolute Musterehe geführt hatte. Obwohl Vanessa ... starker Tobak sein konnte. „Du weißt, dass ich dafür bin, dass du weniger arbeitest ... Absoluter Egoismus.“ Sie wurde gegen ihren Willen ein bisschen rot und senkte den Blick wieder auf ihren Kaffee, von dem sie immer noch keinen Schluck gekostet hatte. Ihr leerer Magen hätte es ihr vermutlich sowieso nicht gedankt. Und im nächsten Moment hätte sie sich ohnehin an dem Getränk verschluckt, als Cayden sie nach ... dem Baby fragte. Ihr Mund klappte einmal wortlos auf und dann wieder zu, bevor Emma sich etwas verlegen eine Strähne aus der Stirn strich und mit gesenkten Wimpern antwortete. „Ich denke ... es ist alles in Ordnung.“ Der Untersuchungstermin beim Arzt war nächste Woche. Emma hatte sich bis jetzt kaum Gedanken darüber gemacht. Es war zu viel passiert, was sie davon abgelenkt hatte.   „Gut.“ Er atmete erleichtert auf. „Das ist gut. Eine Sorge weniger.“ Blieben noch hundert andere. Allerdings wollte er momentan nicht darüber sprechen, also erkundigte sich Cayden nach einem weiteren Schluck Orangensaft nach Emmas Mitbewohnern und erzählte ihr, dass er sie sehr nett gefunden hatte, nur eben noch nicht dazu gekommen war, ihr das zu sagen. Vor allem Rob mochte er auch auf Anhieb, solange er keinen Grund hatte, auf diesen männlichen Mitbewohner eifersüchtig zu sein. Irgendwann wurde ihm jedoch das Getuschel unerträglich. Natürlich hörte er auch so ständig die Gespräche der Menschen um ihn herum, wenn er in der Öffentlichkeit war, und konnte sie für gewöhnlich einfach ausblenden, doch gerade weil permanent auch über ihn gesprochen wurde, fiel ihm das auf Dauer ziemlich schwer. Weshalb er letztendlich bezahlte und Emma bat, ihn noch ein Stück zu begleiten. Auf der Straße war es schon besser, vor allem die frische Luft tat ihm gut und dieses Mal freute er sich sogar über die Sonne, die auf sie schien. Allerdings wurde ihm immer mulmiger zu Mute, je näher sie dem Bürogebäude kamen. Dabei war er unschuldig und hatte nichts getan, um die Blicke der Fremden zu verdienen. Dennoch, es behagte ihm gar nicht. Lieber wäre er bei Nacht und Nebel in seine schützenden vier Wände zurückgekehrt. Vor dem Eingang drehte Cayden sich schließlich zu Emma. Er war hier immerhin nicht der Einzige, dem wohl flau im Magen war. „Emma, wenn dir nicht wohl dabei ist, kann ich das verstehen und dann werde ich dir hier auf Wiedersehen sagen. Allerdings wenn nicht, dann … würde es dir etwas ausmachen noch ein bisschen nach Oben zu kommen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)