Dark Night's Kiss von Darklover ================================================================================ Kapitel 12: 12. Kapitel ----------------------- Da Emma so aussah, als würde sie gleich umkippen, zwang Cayden sie mit sanfter Gewalt dazu, sich auf ihren Stuhl zu setzen, ehe er ihr ein frisches Glas mit Orangensaft in die Hand drückte. „Trinken Sie“, befahl er leise, denn sie wirkte, als hätte sie etwas Hochprozentigeres gut gebrauchen können. Aber die zusätzlichen Vitamine und die kühlende Wirkung dürften ebenfalls helfen. Da sie immer noch nichts sagte, sondern lediglich an ihrem Getränk nippte, ohne ihn anzusehen, durchbrach Cayden einfach das Schweigen. „Ich muss gestehen, ich hätte nie gedacht, dass der Abend mit Ihnen an meiner Seite so interessant werden würde. Ich bin ehrlich überrascht und das gelingt nicht vielen. Es würde mich daher ausgesprochen freuen, wenn Sie mich auch bei anderen solcher Gelegenheiten begleiten könnten. Dann müsste ich mir nie wieder Sorgen darüber machen, dass ich vor Langeweile einmal einschlafen könnte.“ Cayden lächelte und sprach weiter, während Emma wieder mehr Farbe im Gesicht bekam und nicht mehr so aussah, als würde sie jeden Moment ohnmächtig werden. Es tat Cayden wirklich leid, dass er sie in diese Machtdemonstration hineingezogen hatte, andererseits war es aber auch für einen guten Zweck geschehen und vielleicht könnte diese kleine Sensation beim nächsten Mal die anderen Millionäre dazu bringen, ebenfalls etwas freizügiger mit ihrem Geld umzugehen. Alle, die darüber hinausgingen, sollten sich ohnehin schämen, dass sie so sehr mit ihrem Geld geizten. Tatsächlich, wie viel brauchte man denn wirklich, um gut leben zu können? Cayden bräuchte noch nicht einmal einen Bruchteil seines Vermögens dafür, was aber nicht hieß, dass es keine gute Idee wäre, seine Unsterblichkeit zur Vermehrung seiner Güter einzusetzen. Wer viel Zeit hatte, hatte auch viele Gelegenheiten, sinnvolle Dinge zu tun. Als er sich schließlich sicher war, dass Emma sich weitestgehend erholt hatte, erhob sich Cayden von seinem Stuhl, verneigte sich elegant vor ihr und ergriff ihre Hand. „Miss Emma Barnes. Würden Sie mir die Ehre zuteilwerden lassen und mit mir tanzen?“ Denn darauf freute er sich schon die ganze Zeit und die High Society hatte auch schon darauf gelauert, wann er endlich seinen Preis für dieses übertrieben hohe Angebot einfordern würde und was nun so Besonderes an der Lady in Grün war, dass er sie so sehr hatte haben wollen. Er spürte die Blicke der anderen auf sich ruhen, doch es war nur ein einziger, der ihn gefangenhielt. Der Blick aus diesen hellbraunen Augen, die einmal von Karamell zu Milchschokolade zu wechseln schienen und wieder zurück. Je nach Licht und Stimmung. Einfach faszinierend!   „Ha. Wenn Sie das spannend fanden, gehen Sie mal mit mir Skifahren.“ Leider klang ihre Stimme überhaupt nicht so scherzhaft locker, wie Emma es gern gehabt hätte. Aber langsam fiel die Anspannung von ihr ab und sie konnte den Orangensaft in kleinen Schlucken trinken, ohne Angst haben zu müssen, sich die Hälfte wegen der zitternden Hände in den Ausschnitt zu schütten. Oh man, sie fühlte sich wirklich wackelig. Wie manche Menschen auf so einen Rummel um ihre Person stehen konnten, verstand sie nicht. Das war alles einfach zu ... Naja, es war einfach nicht Emmas Ding. In Zukunft würde sie solche Sachen getrost wieder denen überlassen, die es mochten. Sie hatte gerade erst wieder vom Boden und ihren Füßen aufgesehen, als Calmaro vor ihr stand. Sein Haar glänzte noch roter als sonst im Licht der Saalbeleuchtung und bildete einen Kontrast, der seine grünen Augen noch stärker funkeln ließ als sonst. In Emma breitete sich Vorfreude aus, wie ein warmer Sommerregen, als ihr Boss ihre Hand nahm. Allmählich mochte sie das Gefühl. Es war nicht mehr so ungewohnt, steif und vorsichtig, wie noch am Beginn des Abends, als er sie begrüßt hatte. Es fühlte sich ... einfach nur schmeichelhaft an. Emma fand es nett. Sie fand ... ihn nett. „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite“, antwortete sie leise und ließ sich von ihrem Stuhl gleiten, um ihm auf die Tanzfläche zu folgen. Diesmal waren ihr die Blicke der Leute egal. Es verursachte sogar ein breites Grinsen in Emmas Gesicht, weil sie vermutete, die meisten der anwesenden Damen waren einfach nur ziemlich eifersüchtig, da Emma von Calmaro ersteigert worden war und jetzt mit ihm tanzen durfte. Darauf hatte sie sich schon gefreut, seit er vorhin davon gesprochen hatte.   Sein Herz begann schneller zu schlagen, während er sich mit Emma zusammen einen Weg durch die Menge auf die Tanzfläche zu bahnte. Er war so aufgeregt wie schon sehr lange nicht mehr und das wunderte ihn enorm, erhöhte aber auch seine Vorfreude noch weiter. Tatsächlich konnte er es kaum erwarten, zu sehen, wie sie beide während des Tanzes zusammenpassen würden. Manche konnten schließlich noch so gut tanzen und würden dennoch nie wirklich zusammenpassen. Andere schienen dafür regelrecht geschaffen zu sein. Was würde sie sein? Was wäre Emma für ihn und er für sie? Gerade, als er schon das Parkett der Tanzfläche betreten und sich zu Emma herumgedreht hatte, spürte er plötzlich kühle Hände über seinen Augen und einen warmen Atem in seinem Nacken, während ihm ein widerlich süßes Parfum scharf in die Nase stach. „Wer bin ich?“, flüsterte eine nur zu vertraute Stimme direkt in sein Ohr und ließ ihn vollkommen erstarren. „Vanessa.“ Seine Freude erlosch so endgültig wie die Flamme einer Kerze, die ein Hurrikan ausgeblasen hatte. Noch nicht einmal ein letztes Glühen war zurückgeblieben. „Richtig!“ Die Hände ließen von seinen Augen ab, so dass er in das plötzlich viel zu helle Licht blinzeln und sich mit einem scharfen Ruck zusammenreißen musste. Einen winzigen Bruchteil lang, wollte es ihm überhaupt nicht gelingen, die geschauspielerte Fassade seiner ehelichen Bürde mit Vanessa aufrechtzuerhalten, doch schließlich schnappte das antrainierte Muster wieder ein und er drehte sich mit einem Lächeln zu seiner Frau herum, während seine Augen kalt wie Eis blieben. „Ness! Was für eine Überraschung. Ich dachte, du wärst bei einem Shooting in Brasilien?“ Warum zum Teufel bist du nicht dort geblieben und treibst es stattdessen mit deinem Agenten, anstatt mir hier den Abend zu versauen?! „Ich hab dich einfach vermisst, Schatz, und da wir beide uns in letzter Zeit nicht so oft sehen konnten, dachte ich mir, dass ich dir einfach einmal eine Freude mache. Nachdem das Shooting sprichwörtlich ins Wasser gefallen ist.“ Vanessa schlang ihm während ihrer Worte die Arme um den Nacken und küsste ihn anschließend zärtlich auf die Lippen. Sie strahlte tatsächlich so, als würde sie jedes Wort ernst meinen das aus ihrem Mund kam. Dabei wurde sie auch noch von ihrem teuren Kleid und den kostbaren Juwelen, die er ihr an irgendeinem Hochzeitstag geschenkt hatte, funkelnd unterstützt.   Emma liebte es, zu tanzen. Aber wann bekam man unter normalen Umständen schon die Gelegenheit dazu, außer wenn man auf der Hochzeit von Freunden am Singletisch saß und sich jemand erbarmte? Da war das hier ganz anders. Emma brauchte gerade bestimmt nicht das Gefühl zu haben, dass Mr. Calmaro sie nur aufforderte, weil alle anderen Frauen bereits vergeben waren oder er eben niemanden sonst finden konnte. Nein, er wollte mit ihr tanzen. Emma brachte das Grinsen gar nicht mehr aus ihrem Gesicht, als sie hinter ihm herlief, endlich die Tanzfläche erreichte und sich eine Stelle mit ihm suchte, wo sie genug Platz haben würden. Sie mussten nur noch auf das nächste Lied warten, dann ... Der Griff um ihre Hand veränderte sich so stark, dass Emma stumm einfach stehenblieb und wartete, bis er mit einem Ruck losließ. Sie sah die Hände auf seinen Augen, sein Lächeln und dann die Frau im glitzernden, goldenen Kleid, zu der er sich umdrehte. Die Frau, die ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihn küsste. Emma stand da und sah zu. Sie rührte sich keinen Zentimeter, sah nicht einmal weg oder wagte zu tief zu atmen. Irgendwie hatte sie Angst, all das ... könne wehtun.   „Und wer ist das?“, wollte Vanessa mit einem Tonfall wissen, der so gelassen wie möglich klingen sollte und für seine Ohren trotzdem nur so vor Eifersucht troff. Sie ließ von Cayden ab, ohne ihre Hände von ihm zu nehmen und musterte Emma gründlich von den Haarspitzen bis zu den Zehen, ehe sie an ihrem grünen Kleid hängen blieb. „Oh mein Gott! Das ist doch nicht etwa diejenige im grünen Kleid, für die du 100.000 Dollar bezahlt hast?“ Schockiert sah sie Cayden an, ehe ihr Blick wieder auf Emma fiel. Dieses Mal sichtlich von oben herab. „Ach, Schatz. Du hast wirklich schon bessere Geschäfte gemacht. Ich meine, sieh dir Mal dieses Kleid an. Das ist doch höchstens fünfzig Dollar wert und dann erst diese Schuh-“ „Entschuldigen Sie uns bitte, Emma“, unterbrach Cayden seine Frau mit einem schwachen Lächeln, da er kaum noch seine Wut bändigen konnte, und zog Vanessa an ihrem Arm zu den Resten des Buffets hinüber, an dem sich kaum noch Leute aufhielten, da alle bereits genug gegessen zu haben schienen. Dort stellte er sich mit dem Rücken zu den Leuten, setzte aber dennoch sein liebenswürdigstes, wenn auch vollkommen falsches Lächeln auf, während er offenbar sehr vertraut mit seiner Frau sprach und sie dabei nicht losließ. „Wenn du noch einmal, so unverschämt mit jemandem sprichst, den ich kenne …“, zischte er leise zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, die durch die sich verlängernden Fangzähne noch um einiges bedrohlicher wurden. „… sind wir nicht einfach nur geschiedene Leute, Vanessa. Sondern du wirst es so dermaßen bereuen, dass du dir wünschst, mir nie begegnet worden zu sein. Hast du das verstanden?“ Auch Vanessas Lächeln glich nun mehr gezwungen als echt, aber er sah in ihren Augen echte Betroffenheit, als sie seine Fliege richtete und nicht wagte, ihn anzusehen. „Es tut mir leid, Schatz. Ich … war einfach nur eifersüchtig. Es … kommt nicht wieder vor. Versprochen.“ Als wenn es so einfach wäre! Cayden war nicht nachtragend und er würde einen so gesellschaftlichen Ausrutscher auch nicht unbedingt so ernst sehen. Aber es hatte ihm gar nicht gefallen, wie Vanessa über Emma hergezogen war, als wäre sie nichts weiter als eine unbedeutende Fliege, die man mit einem einzigen Handwedeln wieder verscheuchen konnte. Nein, ganz und gar nicht gefallen. Seine Fänge pochten, aber er war nicht durstig. Stattdessen würde er Vanessa nun liebend gern an die Kehle gehen, um eine richtige Schweinerei zu veranstalten. Dennoch riss er sich schließlich zusammen, lächelte, ohne seine Zähne zu zeigen und beugte sich vor, an Vanessa vorbei, um einen der kleinen Brownies zu nehmen und ihn ihr an die Lippen zu halten. „Du hattest keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Denn im Gegensatz zu dir treibe ich es nicht mit allen Leuten, die mir über den Weg laufen. Aber lass uns für den Moment Frieden schließen. Hier koste. Die sind wirklich ausgezeichnet!“ Und auch nur ein Bissen davon hatte so viele Kalorien, dass Vanessa sich dafür eine Stunde lang auf ihrem Stepper abstrampeln würde. Zwar nur ein kleiner Trost, aber es half, um seine Wut zu bändigen. Tatsächlich beäugte sie die Süßigkeit wie eine giftige Schlange, zwang sich dann aber doch dazu, einmal davon abzubeißen, widerwillig zu kauen und ihn schließlich hinunterzuwürgen. „Mhm. Köstlich“, log sie und Cayden lächelte.   „Und wer ist das?“ Mit aller Not und Mühe riss Emma sich aus ihrer Erstarrung und setzte ein freundliches Lächeln auf. Seine Frau. Das hast du gewusst. Kein Grund unhöflich zu sein. „Hallo, wir haben uns schon einmal im Büro –“ „Oh mein Gott! Das ist doch nicht etwa diejenige im grünen Kleid, für die du 100.000 Dollar bezahlt hast?“ Mrs. Calmaro fuhr Emma über den Mund und beachtete die Hand gar nicht, die diese ihr zur Begrüßung hatte entgegenstrecken wollen. Stattdessen schlug sie verbal auf Emma ein, mit jedem Wort, das sie ihr so laut entgegen warf, dass alle Umstehenden es hören konnten. Emma starrte das blonde Model zuerst vollkommen geschockt an, bis jedes bissige Detail in ihren Kopf und dann in ihre Magen sank. Ihr wurde schlecht und gleichzeitig fingen Emmas Augen zu brennen an. Selbst mit verschleiertem Blick und tapferem Lächeln erkannte sie die nun herablassenden und teils offen belustigten Blicke, die an ihr zerrten, während sie wie ein geprügelter Hund die Tanzfläche wieder verließ. Weg von den Menschen, weg von ... Sie schaffte es bis zur Toilette, bevor sie sich die Hand vor den Mund schlug und ein Schluchzen sie durchschüttelte. Emma sah an sich herab, sah das Kleid, die Schuhe ... Das alles hatte sie ein halbes Monatsgehalt gekostet. „Fiese Mistkuh!“   „Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu“, bestätigte Liasana Orsáne ernst, die so unvermittelt in der Toilette aufgetaucht war, dass man nicht anders konnte, als so wie Emma einfach erschrocken zusammenzufahren. „Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken“, beteuerte die nordische Schönheit mit singendem Akzent, während sie an Emma herantrat und ihr ein seidenes Taschentuch entgegenhielt. „Aber ich kam nicht umhin, um die kleine Szene von geradeeben zu bemerken und auch wenn es Ihnen vermutlich kein Trost sein wird, Sie sind nicht die Einzige, die eine derartige Meinung über Caydens ... liebreizende Frau besitzt. Dennoch würde ich Ihnen empfehlen, nehmen Sie das Gift aus dem Mund dieser Schlange nicht ernst. Es war pure Eifersucht, die da aus ihr gesprochen hat. Schließlich hat ihr Mann nicht für sie, sondern für Sie, 100.000 Dollar bezahlt, um nur ein einziges Mal mit Ihnen zu tanzen. Der beleidigende Kommentar ihrer Person war daher nichts weiter als ein rachesüchtiger Akt der Verzweiflung, dem Sie keinen Glauben schenken sollten. Immerhin sehen Sie gerade in ihrer Schlichtheit toll aus und sind Vanessa Calmaro in diesem Sinne weit voraus, denn im Gegensatz zu Ihnen, musste sie eine Menge hinblättern, um so auszusehen, wie sie es jetzt tut.“ Die Vampirin schob sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und musterte kurz ihr Gesicht im Spiegel, ehe sie sich entschuldigend, an Emma wandte. „Oh Verzeihung, wo sind meine Manieren? Ich heiße Liasana Orsáne. Aber Sie dürfen mich gerne Lia nennen.“   Ihre ganze Aura war so sanft und weich wie das Taschentuch, das Emma immer noch ungenutzt in den Fingern hielt. Liasana Orsáne wirkte auch aus der Nähe betrachtet wie eine Porzellanstatue, die durch Magie das Vermögen zu sprechen und sich zu bewegen geschenkt bekommen hatte. Und zu fühlen, wenn man ihr Mitleid Emma gegenüber bedachte. Denn nichts Anderes war es, was die Dame wohl empfand, wenn sie so ehrlich über die Sache von eben sprach, die Emma immer noch wie ein gifttriefender Stachel im Herzen steckte. „Freut mich.“ Aus Emma klang ein Lachen, das mit einem Blick auf ihre verlaufene Wimperntusche und die roten Flecken unter dem Puder nur als Galgenhumor gelten konnte. „Mein Name ist Emma Barnes. Emma, wenn Sie möchten.“ Da sie nicht vorhatte, das glänzend weiße Taschentuch schmutzig zu machen, faltete Emma es vorsichtig zusammen und legte es neben einem der Waschbecken ab. Danach zog sie sich eines der Papierhandtücher aus dem Spender unter dem Spiegel und begann, sich die Augen sauber zu wischen. Es war das erste Mal, dass ... „Nein ...“ Emma sah sich kurz erschrocken um, obwohl sie genau wusste, dass ihr das nichts bringen würde. Ihre Tasche, mit all den Dingen, die sie jetzt so gut hätte brauchen können, um ihr Make-up aufzufrischen, lag auf ihrem Stuhl an dem Tisch, an dem sie zuletzt gesessen hatte. Zum Tanzen hatte sie ihre Sachen nicht mitgenommen. Na gut, dann eben nicht. Wenn ihr jemand die Tasche auch noch klaute, war das bloß die Faust aufs Auge dieses blöden Abends. Erst als sie sich wieder zum Spiegel umdrehte und in ihr eigenes, gerötetes Gesicht sah, fiel ihr auf, dass es schon lange still zwischen ihr und der Dame in Weiß gewesen war, die geduldig neben ihr stand und sie mit einem undurchdringlichen Lächeln betrachtete. „Lia, es ist ... wirklich nett von Ihnen, mit aufzuheitern, aber ...“ Sie sah die Frau an, die sie um ein ziemliches Stück überragte. „Darf ich Sie fragen, warum Sie das tun? Sie ... kennen mich doch gar nicht.“   Lias Lächeln wurde breiter, während sie ein Papierhandtuch mit kaltem Wasser befeuchtete und es Emma hinhielt. „Hier, für die Augen. Das hilft gegen die Röte. Und ich weiß, es ist seltsam von einer Wildfremden in einer Toilette angesprochen zu werden, zumal Sie auch noch bedrückt sind. Aber gerade das, ist doch eigentlich Grund genug, für mich hier zu sein, oder nicht? Frauen sollten sich gegenseitig unterstützen, anstatt anzugiften … Nun, vielleicht sehe nur ich das so, aber dazu müssen Sie wissen, dass ich in einer sehr von Männern dominierenden Welt aufgewachsen bin. Da bleibt einem nicht viel anderes übrig. Zudem kamen Sie in Begleitung von Cayden. Ein weiterer Grund, Sie unbedingt kennenlernen zu wollen.“ Ihr Lächeln verblasste keine Sekunde lang, während sie sich die Hände abtrocknete und aus ihrer kleinen weißen Handtasche Kosmetikartikel herausholte, um sich den Lidstrich nachzuziehen und auch noch den perfekt roten Lippen, etwas nachzuhelfen. „Sie dürfen sich gerne bedienen“, half Lia Emma etwas auf die Sprünge und schob ihr die kleine Handtasche weiter hin. „Schließlich wollen wir doch nicht, dass jeder sieht, dass Sie ein Herz haben, das man verletzen kann. Schwäche ist leider etwas, das die Meute dort draußen wie Köter wittern kann und das können wir uns nicht leisten. Vor allem geben Sie dieser Silikonschlampe nicht die Genugtuung Sie getroffen zu haben. Das würde ihr nur gefallen.“   Immer noch ein bisschen skeptisch, dass ihr diese Frau so freundlich gesinnt war, wischte Emma sich das Gesicht endlich ganz sauber. So ohne Abschminken dauerte es etwas, bis sie die Spuren ihrer Schwäche ganz entfernt hatte, aber danach griff sie dankbar in Lias kleine Tasche und suchte sich Lidschatten und Wimperntusche heraus. „Vielen Dank. Sie sind wirklich meine Rettung.“ Und das in mehr als nur einer Hinsicht. Denn allein der fiese Titel, den Lia Calmaros Ehefrau gegeben hatte, stimmte Emma weniger traurig. Zumindest schien sie nicht die Einzige zu sein, die gegen diese fiese Schnalle etwas hatte. Auch wenn sich Emma nicht vorstellen konnte, was Vanessa Calmaro Lia getan haben konnte. Selbst mit ihren Silikonbrüsten konnte sie der Elfe in Weiß keine Konkurrenz machen. Nicht einmal im Traum! „Sie und Mr. Calmaro kennen sich also schon länger? Er hat sehr respektvoll und begeistert von Ihnen gesprochen.“ Außerdem hatte Lia ihn beim Vornamen genannt. Das mochte zwar nicht viel heißen, da sie Emma ja ebenfalls gleich dieses Privileg angeboten hatte, aber irgendwie kam es ihr trotzdem so vor, als wäre da mehr zwischen der schönen Frau und ihrem Boss. Ob ... Emma warf einen flüchtigen, aber durchaus sehr interessierten Blick auf die schlanke Gestalt der Frau neben ihr. Ob sie Mrs. Calmaro deswegen nicht leiden konnte? Waren die beiden Frauen vielleicht an demselben Mann interessiert gewesen? Eigentlich eine absurde Frage, wenn man bedacht, für wen er sich dann entschieden haben sollte.   „Ja, das sieht ihm ähnlich.“ Lia lachte und es klang wie das Hallen silberner Glöckchen. „Wir kennen uns schon sehr lange. Weit länger, als die meisten Menschen, denen er begegnet ist. Dennoch waren wir nie mehr, als nur flüchtige Freunde, sozusagen. Obwohl viele meinten, wir würden perfekt zusammenpassen.“ Wieder dieses Lachen, gefolgt von einem fast ungläubigen Kopfschütteln, ehe Lia sich ihre Haare wieder zurechtzupfte und weiter plauderte. Man sah ihr an, dass sie gerne darüber sprach und es trotzdem nicht im Geringsten etwas mit Tratsch zu tun hatte. „Aber das hat und würde auch nie funktionieren. Er interessiert sich nicht für Frauen wie mich und ich bin nicht an älteren Männern interessiert. Zugegeben, auch ich habe eine hohe Meinung von ihm und er hat wirklich viele interessante Seiten an sich, aber allein wenn man die Wahl seiner Frau bedenkt, Gott weiß, ich halte es keine Minute neben dieser verbal inkontinenten Botoxspritze aus, deren Gehirn nicht mehr Fassungsvermögen als einen Fingerhut voll besitzt. Wir treffen uns lediglich alle paar Jahre bei einer Veranstaltung, plaudern eine Weile und gehen dann wieder unserer Wege. Es ist gut so, wie es ist, aber um ehrlich zu sein. Heute haben Sie mir einen Anlass gegeben, ein bisschen über die Strenge zu schlagen.“ Nun verwandelte sich das Engelslächeln in ein kleines liebenswertes Teufelsgrinsen. „Wussten Sie, dass Cayden noch an den alten Werten wie Ehre und Achtung festhält? Ich musste ihn einfach herausfordern! Denn ich versuche schon lange herauszufinden, ob er wirklich jedes Wort, das er je jemandem gegeben hat, auch wirklich einhält. Und tatsächlich. Er hätte gewiss mehr als die Hälfte seines Vermögens für sie geboten, um sie persönlich von der Bühne führen zu dürfen. Dem konnte ich einfach nichts entgegensetzen.“ Lia packte die Kosmetika in ihre Tasche zurück, nachdem Emma fertig war, und sah sie lächelnd an. „Und werden Sie es tun? Ich meine, heute noch mit ihm tanzen? Ich würde zu gerne das Gesicht von Vanessa sehen, wie sie ganz grün vor Eifersucht wird!“   Emma stutzte, als Lia Calmaro als 'älteren Mann' bezeichnete. Denn ganz ehrlich, ohne das Make-up, und selbst wenn sich Emma um ein paar Jahre verschätzte – wie viel älter konnte er sein? Fünf Jahre, maximal ein oder zwei mehr? Allerdings bekam sie auf dieses und auch das zweite Rätsel von Lia keine Erklärung. Dafür sprang die schöne Blonde zu schnell von einem Thema zum nächsten und kam am Ende dort an, wo Emma eigentlich gar nicht hin wollte. Sie wurde an den Stachel erinnert, der inzwischen aufgehört hatte, Gift in ihren Körper zu pumpen. Aber er steckte immer noch an Ort und Stelle. Und jetzt, wo Lia davon sprach, dass Emma doch noch mit Calmaro tanzen könnte ... „Ich denke nicht.“ Emma warf einen langen Blick in den Spiegel. Sie betrachtete sich selbst in ihrem Kleid, das sie wirklich schön fand. Da raus würde sie auf jeden Fall wieder gehen. Aber bloß um Calmaros Willen, der sie immerhin eingeladen und an diesem Abend schon so viel Geld für sie ausgegeben hatte. Und Emma dachte dabei nicht unbedingt an die 100.000 Dollar bei der Versteigerung. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er noch mit mir tanzen möchte, jetzt wo seine Frau hier ist. Das sähe auch etwas seltsam aus, oder?“ Dass da Hoffnung auf Widerspruch in ihrer Stimme mitschwang, wollte Emma ärgern. Aber sie schaffte es nicht, dieses Gefühl wirklich aufzubringen. „Ich bin nur seine Assistentin und er hat mich mitgenommen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Da seine Frau unterwegs war. Jetzt ...“ Als ihre Augen wieder zu brennen anfingen und sich ein juckender Kloß in Emmas Hals bilden wollte, sah sie Lia mit einem breiten Lächeln an. „Meinen Sie, es gibt noch Eiscreme?“   Lia seufzte und ihr Lächeln verschwand, während sie Emma ansah. Ihr Gesicht war immer noch freundlich, aber auch ein bisschen … nachdrücklich. „Ach, vergessen Sie doch das Eis. Tun Sie sich beiden einen Gefallen und zerren Sie Cayden auf die Tanzfläche. Sie werden sehen, wenn Sie diesen Raum hier verlassen, werden Sie die Giftspritze bei irgendwelchen Frauen vorfinden und sie weiteres Gift verteilen sehen, während gerade einer der geizigen Langweiler auf Cayden einredet, der einfach zu höflich ist, um dem Typen sein Getränk ins Gesicht zu schütten, wie es die meisten hier verdient hätten. Nur weil diese Person seine Frau ist, bedeutet das noch lange nicht, er würde sich deshalb so mit ihr amüsieren, wie er es zuvor mit Ihnen getan hat, oder glauben Sie wirklich, man könnte sich in der Nähe dieser Schlampe wohlfühlen?“ Lia schnappte sich ihre Tasche und ging zur Tür. „Ich weiß, Sie wollen sicher keinen Rat von einer Fremden hören, aber ich würde vorschlagen, Sie würden nicht alles glauben, was Sie sehen. Sie sind Caydens Assistentin, was bedeutet, dass Sie mehr Zeit mit ihm verbringen, als seine Frau; er Ihnen sogar gewissermaßen vertraut, auf Ihre Meinung hört und sich wohl auch gerne in Ihrer Umgebung aufhält. Denn wäre es nicht so, wären Sie nicht seine Assistentin. Geben Sie sich also einen Ruck. Fordern Sie ihn zum Tanz auf und finden Sie selbst heraus, ob es eine gute oder schlechte Idee war. Aber wenn Sie gleich von Anfang an kneifen, werden Sie es wohl nie herausfinden.“ Lia öffnete die Tür, hielt aber noch einmal inne und dieses Mal kehrte ihr Lächeln zurück. „Außerdem, was macht schon ein bisschen Tratsch mehr oder weniger aus? Man redet ohnehin schon über den 100.000-Dollar-Tanz. Wäre doch schade, wenn der nicht stattfinden würde, oder was meinen Sie?“ Damit verschwand sie so schnell, wie sie gekommen war.   Emma starrte mit halb offenem Mund auf die Tür, durch die Lia gerade geschwebt war, bloß um sie mit diesen Worten alleinzulassen. Nein, die weiße Elfe hatte sie nicht nur mit Worten, sie hatte Emma mit einer Herausforderung alleingelassen! „Na schön.“ Noch einmal drehte sie sich zum Spiegel um, richtete sich die Haare, zupfte ihr Kleid so zurecht, dass es perfekt an ihr saß, und betrachtete sich dann mit einem Lächeln. Er hatte 100.000 Dollar für einen Tanz bezahlt. Dann soll er den Tanz auch haben!   „Die Zahlen im letzten Quartal waren wirklich schrecklich. Ich habe noch nie so stark geblutet und das, obwohl wir gerade keine Wirtschaftskrise haben. Wie ging es Ihnen? Haben Sie geblutet?“ Cayden nahm lächelnd einen Schluck von seinem Orangensaft, während er in seiner anderen Hand Emmas Handtasche beschützend festhielt, als wäre sie aus purem Gold und die anderen Anwesenden scharf darauf. Wenn du noch einmal das Wort Blut erwähnst, werde ich dir vielleicht wirklich zeigen, wie es ist zu bluten, du verdammter Geldsack! Gut, er übertrieb etwas, aber er hätte Nick Carter auch ohne den Vorfall mit Emma kaum ertragen, nun fand er ihn tatsächlich einfach nur unerträglich, während er immer wieder Ausschau nach seiner Assistentin hielt, die einfach so verschwunden war. Aber sie würde nicht ohne ihre Tasche gehen, da war er sich sicher. „Nein. Nicht im Geringsten. Sie sollten vielleicht anfangen, Ihr Geld nicht irgendeiner Bank anzuvertrauen. Das würde Ihnen einen Haufen Ärger ersparen.“ Außerdem würde er sein Vermögen niemals in Scheinen aufbewahren, denn wenn es wirklich hart auf hart kam, dann war Geld nichts weiter als Papier. Das wahre Vermögen würde immer nur in den materiellen Dingen wie Gold, Silber und Juwelen bestand haben. Was das anging, hatte Cayden es schon sehr früh begriffen.   Erst als die Toilette verlassen und sich zumindest in den Durchgang zum Tanzsaal gewagt hatte, schwand Emmas Zuversicht. Die Leute, die ihr bis jetzt begegnet waren, hatten sie zu auffällig gemustert, um es nur aus Zufall zu tun. Wie hätte das auch sein können? Sie alle hätten blind und taub sein müssen, um mit einem grünen Kleid nicht zumindest einen winzigen Skandal an diesem Abend zu verbinden. Emma atmete noch ein paar Male tief durch, bevor sie sich innerlich wappnete und ihren Blick durch den Raum schweifen ließ. Auf der Suche nach einer Frau, die golden glitzerte. Sie fand Mrs. Calmaro – wie von Lia prophezeit – bei einer Gruppe der Frauen, von denen Mr. Calmaro nicht gerade in gutem Ton gesprochen hatte. Seine Frau schien sich allerdings in deren Gesellschaft köstlich zu amüsieren. Zumindest soweit das spitze Lächeln das vermuten ließ, das wohl bei jemandem, der nicht auf jedes Fältchen achten wollte, als Lächeln durchzugehen hoffte. Ihren Boss fand Emma nicht in der Nähe seiner Frau. Zumindest stand er nicht an ihrer Seite, den Arm um ihre dürre Taille gelegt und beteiligte sich am Geschwätz. Aber wo ... bist du dann? Da sie nun einmal selbst mit den Absätzen nicht zu den Größten gehörte, stellte Emma sich auf die Zehenspitzen und glaubte einen roten Haarschopf in der Nähe des Buffets zu sehen. Das Schlimmste, was er sagen kann, ist 'nein'. Und auch das wirst du überleben. Emma wollte absolut nicht daran denken, dass er sehr wohl Schlimmeres sagen konnte. Ob er es wusste oder nicht, Calmaro konnte diesen fiesen Stachel, den seine Frau angesetzt hatte, tief in Emmas Herz treiben, wenn er es darauf anlegte. Es wäre noch nicht einmal schwierig. „Oh Lia, wenn das schief geht und ich Sie erwische ...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)