Dark Night's Kiss von Darklover ================================================================================ Kapitel 11: 11. Kapitel ----------------------- Das war das erste Mal, dass er seit langem wieder einmal so etwas wie Aufregung bei einer bevorstehenden Spendengala beziehungsweise größeren Festivität empfand, bei der er keine Rede halten musste, oder es irgendetwas direkt mit seiner Firma zu tun hatte. Während Cayden sich die schwarze Seidenfliege band, fragte er sich, woran genau das wohl liegen mochte. An der Tatsache, dass er heute wieder einen Haufen Geld loswerden würde, konnte es nicht liegen und auch nicht daran, dass er schon länger nicht mehr an so einer Veranstaltung ohne seine Frau teilgenommen hatte. Cayden hielt in seine routinierten Bewegungen inne und sah sich im Spiegel an. Wenn nicht die Abwesenheit seiner Frau ihn so unruhig machte, dann musste es wohl an seiner neuen Assistentin liegen. Allein der Gedanke an Emma verstärkte dieses kribbelige Gefühl in seiner Magengegend noch. Ja, tatsächlich. Er war aufgeregt, weil er mit ihr dorthin gehen würde und egal wie langweilig der Abend vermutlich sein würde, die Tatsache, dass jemand wie sie mit ihm dort war, konnte es gar nicht zu langweilig werden lassen. Vielleicht bekam er an diesem Abend auch die Gelegenheit, noch etwas näher über ihre Wurzeln nachzuforschen. Ihre Fähigkeiten waren nicht zu verachten und für jemanden wie ihn, auch auf keinen Fall auf die leichte Schulter zu nehmen. Schließlich wäre er nicht so alt geworden, wenn er nicht vorsichtig im Umgang mit Jenen gewesen wäre, wobei es sich natürlich in den letzten Jahrhunderten gebessert hatte. Vielleicht hatte die moderne Zeit da auch ihre Finger mit im Spiel, denn wenn Emma nach jenem Abend in der Männertoilette nicht wusste, wer oder was sie genau angegriffen hatte, schien sie auch nicht zu wissen, womit sich ihre Vorfahren gerne beschäftigt hatten, um sich vor seinesgleichen zu schützen. So oder so, mit Emma konnte es gar nicht langweilig werden.   ***   Es war immer wieder erstaunlich, wie viele reiche Snobs aus ihren Löchern gekrochen kamen, wenn sich die Aussicht bot, mit ihrem Vermögen vor anderen anzugeben. Würde diese Prahlerei nicht einem guten Zweck dienen, Cayden hätte bei diesem Spiel nicht mitgemacht. Dennoch würde er sich dieser Gesellschaft stellen, doch erst wenn seine Assistentin eingetroffen war, die ihn vor den ledigen Frauen schützen würden, die bereits in ihren hübschen Cocktailkleidern herum stöckelten und sich die Hälse nach alleinstehenden, reichen Männern verrenkten, die sie sich unter den Nagel reißen konnten. Zugegeben, er wollte sich auch nicht mit den feinen Herren abgeben und langweiligen Smalltalk halten müssen. Eigentlich wollte er sofort wieder umdrehen und sich einmal einen gemütlichen Abend in seinem Penthouse machen. Immerhin wäre es doch viel einfacher einen Scheck an die betroffenen Posten zu schicken, zu welchem Zweck diese Gala heute veranstaltet wurde. Doch es war seine Pflicht, sich ab und zu unter die High Society zu mischen und da wären ja immer noch Emma und die damit verbundene Möglichkeit, sie einmal außerhalb des Büros zu sprechen. Cayden spähte von seinem zurückgezogenen Posten hinter einer Marmorsäule hervor zum Eingang hinüber. Immer darauf bedacht, so unauffällig wie möglich zu erscheinen, während er darauf wartete, dass seine Assistentin eintraf. Hoffentlich dauerte es nicht mehr zu lange, denn schon jetzt hatte er Glück gehabt, noch von niemandem angesprochen worden zu sein.   Emma sah aus dem Fenster in den verhangenen Himmel hinauf, an dem heute kein einziger Stern zu sehen war. Noch regnete es nicht, aber das würde vermutlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Als sie in das Viertel eingebogen waren, in dem die Gala stattfand, hatte sie sich bestimmt schon zum zehnten Mal die schweißnassen Hände am Polster des Autositzes abgewischt, aber es nützte auch diesmal nichts. Himmel, worauf hatte sie sich da nur eingelassen? Schon zu Hause hatte sie sich überlegt, dass man sie vielleicht in ihrem Kleid gar nicht reinlassen würde. Dass der Türsteher gleichzeitig in Mode ausgebildet war und schon von Weitem erkennen würde, dass Emmas Cocktaildress zu billig war, um mit der High Society mithalten zu können. Und wenn schon nicht ihr Kleid, dann bestimmt der Mantel. Oder die Tasche. Ob es da drin überhaupt eine Garderobe gab? Und wenn ja, musste man dafür bezahlen, wie bei einem Theaterbesuch? Würde sie es sich überhaupt leisten können, ihren Mantel abzugehen? Hektisch zählte Emma die Scheine in ihrem Portemonnaie nach und rechnete sich durch, dass sie fünfzehn Dollar für die Garderobe bezahlen konnte und dann noch genug Geld für den Notfall hatte, um sich ein Taxi für den Heimweg zu leisten. Der Wagen hielt. Und der stumme Fahrer sah sie mit einem Lächeln an, von denen er ihr schon eines geschenkt hatte, als sie darauf bestanden hatte, vorne einzusteigen. Immerhin war sie kein Staatsgast und wäre sich lächerlich vorgekommen, wenn sie hinten gesessen wäre. Emma sah den Fahrer mit einem Lächeln an und bedankte sich, nicht ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie dem Mann vielleicht auch Trinkgeld hätte geben sollen. Aber eine Minute später waren ihre Gedanken sowieso vollkommen von dem eingenommen, was sie vor sich hatte. Vornehmlich die Front eines Luxushotels. Die Treppenstufen mit kleinen Lichtern eingerahmt und der Empfangsraum hell und warm erleuchtet. Jetzt wurde ihr schlecht. Vorsichtig ging sie die paar Stufen hinauf, sah sich nach den wenigen Damen um, die wie teure Accessoires an den Armen offensichtlich reicher Männer hingen. Keine war allein. Emma drehte sich sogar einmal um, doch auch hinter ihr kam gerade nur ein Paar in einem silbernen Importwagen an, die Frau in teuren Pelz gehüllt, der Herr mit funkelndem Gold ums Handgelenk. Seine Assistentin. Sie war hier nur als Assistentin. Und um bezaubernd auszusehen. Emma dachte wie immer in solchen Situationen an „Ich bin ein runder, hübscher, knackiger Pfirsich“ und hatte sofort ein Lächeln im Gesicht. Noch drei Stufen. Noch zwei. Noch eine. Und sie stand vor einem Herrn im grauen Anzug mit Knopf im Ohr, der sie mit einem Klemmbrett und einem fragenden Blick aufhielt. „Guten Abend. Ihre Einladung bitte?“ Emma hatte sie mit einem Griff aus ihrer kleinen Handtasche gezogen, die fast bis zum Bersten gefüllt war mit Dingen, bei denen nur ein Notzelt fehlte. Puder, Wimperntusche, Lipgloss, Minibürste, Deo, alles war dabei. Und noch mehr. Aber bei so einem Abend konnte man es auch wirklich nicht darauf ankommen lassen. „Schön, dass Sie hier sind, Miss Barnes. An der Garderobe hinten links wird man Ihnen den Mantel aufhängen.“ Und ... sie war drin! Emma blieb zwei Schritte hinter der Tür stehen, bis sie von dem Paar von vorhin zur Seite gedrängt wurde, und glaubte es erst nicht. Um sie herum schien alles in glänzenden Lack getaucht und irgendwie einem schlechten Märchenfilm entsprungen. Alle sahen aus, als hätten sie eine persönliche, gute Fee, die ihnen das perfekte Outfit und den dazu passenden, teuren Schmuck herbeizauberten. „Ich will auch 'ne Fee.“ Staunend und peinlich genau darauf bedacht, sich nicht zu auffällig zu verhalten, ging Emma zur Garderobe hinüber, wo man ihr tatsächlich den Mantel ohne Kommentar abnahm und ihn auf einen Bügel hängte. Auf einer Liste mit ihrem Namen wurde eine Nummer eingetragen und das war’s. Kein Pfand – gar nichts. Mit einem erleichterten Lächeln drehte Emma sich in Richtung des Saals um, in dem alle nach einem kleinen Schwatz im Empfangsraum irgendwann verschwanden. Gut. Jetzt musste sie nur noch Mr. Calmaro finden.   „Oh, Mr. Calmaro. Hier verstecken Sie sich also.“ Auf Caydens Lippen erschien sein perfekt eingeübtes und charmantes Lächeln, das allen, denen es zuteilwurde, vermittelte, er könne sich nicht mehr freuen, die betreffende Person zu sehen, obwohl er meistens am liebsten fluchtartig den Rückzug angetreten hätte. So auch im Falle von Charlotte Rogé. Eine Witwe Anfang vierzig, die dank ihres Geliebten und hoch angepriesenen Schönheitschirurgen nicht älter, wie Anfang dreißig wirkte und trotz ihres Alters nicht davor zurückschreckte, sich junge Männer in ihr Bett zu holen. Da war sie bei ihm allerdings an der falschen Adresse und vermutlich war genau das der Grund, warum sie ihn nicht einfach in Ruhe ließ. Es war einfach zu verlockend, einen verheirateten Mann in Versuchung zu führen. Allerdings war Cayden noch nie versucht gewesen, so sehr sie sich auch bemühte. „Charlotte Rogé. Es ist wie immer ein Vergnügen, Sie zu treffen.“ Cayden ergriff ihre dahingereichte Hand und küsste ihren Handrücken ohne ihn mit den Lippen zu berühren. Die Geste formvollendet. „Ach, Sie Charmeur. Lassen Sie das bloß Ihre Frau nicht hören“, säuselte sie entzückt. Natürlich nicht. „Wo ist Ihre bildschöne Gattin eigentlich abgeblieben? Sie sollte es doch besser wissen und Sie nicht so unbewacht hier stehenlassen. Diese jungen Hühner heut zu Tage scheuen schließlich nicht einmal vor einem gebundenen Mann zurück.“ Innerlich verdrehte Cayden die Augen, doch nach außen wurde sein Lächeln noch breiter. „Heute muss ich leider auf ihre Anwesenheit verzichten, da Sie beruflich außer Landes ist, aber ich werde ihr Bescheid geben, dass Sie nach ihr gefragt haben. Sie wird sich sicherlich freuen. Und wie Sie schon sagten, kann ich es mir nicht leisten, alleine herumzuirren. Natürlich bin ich in Begleitung hier, die mich vor den jungen Hühnern retten wird.“ Hoffentlich nicht nur vor den jungen. So unauffällig wie möglich spähte Cayden an der aufgedonnerten Witwe vorbei, die so dermaßen voll mit Juwelen geschmückt war, dass sie nicht nur einen fantastischen Weihnachtsbaum abgegeben hätte, sondern bestimmt auch sofort auf den Grund des Meeres versunken wäre, würde man sie damit ins Wasser stoßen. Ein äußerst verlockender Gedanke würde ihm da nicht prompt ein vertrautes und zugleich auch willkommenes Gesicht ins Auge springen. Cayden verabschiedete sich von Charlotte Rogé, während diese gerade irgendetwas von berufstätigen Frauen quatschte, die es sich sehr wohl leisten könnten, bei ihrem Mann zuhause zu bleiben und für ihn zu sorgen. Er hörte nicht weiter zu, sondern ging einfach an ihr vorbei und direkt auf die Gestalt zu, die bei den Garderoben stand und sich etwas verloren umsah. Cayden konnte seine Augen nicht von ihr nehmen. Emma sah nicht nur bezaubernd aus, sondern ließ das Flattern in seiner Magengrube sich in seinem ganzen Körper ausbreiten, während er sie mit seinem Blick abmaß. Sie hatte eine gute Wahl bei ihrem Kleid getroffen, das ihre weiblichen Vorzüge betonte, ohne sie jedoch aufreizend zur Schau zu stellen. Vielleicht zum ersten Mal bemerkte er die schöne Form ihrer vollen, natürlichen Brüste, die hinreisenden Kurven ihrer Hüften und ihres Hinterns, die so anders waren als die von Vanessa. Vanessa war ein Knochen mit Silikonimplantaten und bisweilen fühlte sie sich auch so an. Aber wenn er Emma so betrachtete, kam ihm der Gedanke, dass sie sich weich und anschmiegsam anfühlen musste. Etwas worin man gerne einfach versinken würde … Cayden riss sich zusammen, als er plötzlich unmittelbar vor Emma stand und sie anlächelte, wie er sonst niemanden hier anlächeln würde. „Es freut mich, dass Sie gekommen sind.“ Er ergriff ihre Hand, verbeugte sich leicht und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken, während er seine Augen nicht von ihren abwandte. „Sie sehen … zum Anbeißen aus.“ Sein Lächeln wurde tiefer. Mehrdeutiger, auch wenn nur er als Vampir die volle Bedeutung dessen verstehen konnte, was er gerade gesagt hatte. Oh ja, in diesem Augenblick hätte er nur zu gerne einmal von ihr gekostet und allein der Gedanke daran, versetzte ihn in Aufregung. Langsam ließ er ihre Hand wieder los und richtete sich auf, dennoch hatte er immer noch das Gefühl, er stünde ganz alleine mit ihr hier in dem großen Raum.   Sie hatte schon aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrgenommen. Jemanden, der sich aus der Umgebung der plaudernden Menge herausschälte und auf die Garderoben zukam. Und Emmas Herz hatte sofort hoffnungsvoll höhergeschlagen. Das änderte sich auch ganz gewiss nicht, als sie nicht nur den geschmeidigen Gang, sondern auch Calmaros roten Haarschopf und den Rest von ihm deutlich erkennen konnte. Wow, er sah ... Wow. Unter anderen Umständen hätte Emma sich unsicher gefühlt und nicht gewusst, ob sie hin- oder lieber wegsehen sollte. Allerdings erübrigte sich das jetzt vollkommen. Denn sie hätte nicht woanders hinschauen können, selbst wenn sie gewollt hätte. Der Anzug war wirklich unglaublich toll. So, wie man sich das immer vorstellte und im normalen Leben doch nie zu Gesicht bekam. Emma konnte sich bei dem Anblick sogar vorstellen, dass Calmaro ihn sich persönlich hatte anpassen und schneidern lassen. Ein Anzug nur für ihn. Ein kleines Vermögen zum Hineinschlüpfen. Allerdings gab ihr das Lächeln, das ihr schon entgegen strahlte, bevor er bei ihr angekommen war, absolut den Rest. Ihr Herz fing an heiß in ihrer Brust zu klopfen und Emma hatte das Gefühl, gleich explodieren zu müssen. Stattdessen ließ sie das glückliche Grinsen, das in ihr herum hüpfte einfach auf ihre Lippen und wagte es sogar, zu erröten, als er edel ihre Hand küsste. „Hallo.“ Sie sah zu ihm hoch und bedauerte schon fast mit körperlichem Schmerz, dass er ihre Hand wieder losgelassen hatte. „Freut mich auch, hier zu sein. Sie können sich aber auch sehenlassen.“   „Nun, wie heißt es doch so schön: Wenn Frauen das Gemälde sind, sind wir Männer der Rahmen, der dazu dient, das Kunstwerk in seiner herrlichen Pracht noch hervor zu heben. Ich konnte Ihnen also unmöglich einen hässlichen Sack zur Seite stellen.“ Die sanfte Röte auf ihren Wangen war das größte Kompliment, das sie ihm machen konnte und es stand ihr wirklich gut. „Na dann wollen wir. Auf ins Gefecht!“ Lächelnd hielt Cayden ihr seinen Arm hin, damit sie sich unterhaken konnte, so wie das alle Männer hier mit weiblicher Begleitung taten. Ob es nun lediglich ihre Mutter, Großmutter, Schwester oder eben Geliebte beziehungsweise Ehefrau war, spielte keinerlei Rolle. Außer vielleicht für Cayden, denn Vanessa wünschte er sich nun wirklich nicht an seine Seite. Emma war ihm also höchst willkommen. Wenn die Galaveranstaltung an sich nichts mehr Neues und Unbekanntes zu bieten hatte, so musste man doch wenigstens dem Hotel groß anrechnen, dass sie jedes Jahr ein anderes Thema für ihre Gestaltung verwendeten und sich stets selbst zu übertreffen schienen. Laufmeterlange Buffets zogen sich die Wand im riesigen Veranstaltungssaal entlang, die nicht nur mit unzähligen und bestimmt wie immer hervorragenden Appetithäppchen vollgeladen waren, sondern auch mit schönen Blumenarrangements, Eisskulpturen, bunten Bändern und kleinen Täfelchen auf jeder Platte, um dem Hungrigen mitzuteilen, worauf er sich einließ, wenn er das eine oder andere Häppchen probieren mochte. Auch die Tische waren wunderschön dekoriert und erinnerten Cayden stets daran, dass er sich zuhause selten einmal an einen Esstisch, geschweige denn, einem so schön gedeckten Tisch zum Essen setzte. Wenn schon die ganzen Leute ihn hier nicht begeistern konnten, die festliche Stimmung tat es ihm auf jeden Fall immer wieder an. Das konnte er nicht leugnen. Er durfte schon lange kein Partylöwe mehr sein, umso mehr freute es ihn daher, wenn er sich ab und zu einmal schick machen und den Bürokram vergessen durfte. Natürlich alles davon abhängig, dass er in guter Begleitung war. Denn solche Veranstaltungen konnten noch so schön hergerichtet worden sein, wenn sie einen zu Tode langweilten, war selbst das null und nichtig. „Waren Sie schon einmal bei einer Spendengala?“, wollte er von Emma wissen, um ein Gespräch zu beginnen, da er nicht sofort auf das Buffet zusteuern, sondern sich vorher lieber noch ein bisschen mit ihr in einer ruhigeren Ecke unterhalten wollte. Währenddessen hatte er die Gelegenheit, die anderen Gäste zu mustern, um schon im Vorhinein zu wissen, auf was er sich dieses Jahr eingelassen hatte und ob ein verfrühter Rückzug nicht doch die bessere Wahl wäre.   Emma hielt sich zwar an dem ihr angebotenen Arm fest, aber nur so weit, wie sie es bei einem Tanz mit einem Fremden getan hätte. Höflich ihre Hand auf dem glatten Stoff abgelegt, auf eine Art und Weise, dass Calmaro sie vermutlich kaum spürte. Aber dennoch war sie sehr froh für den Halt und vor allem auch seine Gegenwart, die sie in den vielen Menschen nicht untergehen ließ. Außerdem hatte sie einen triftigen Grund hier zu sein und jeder, der sie bei Calmaro sah, wusste das auch sofort. „Nein, war ich noch nicht“, antwortete sie wahrheitsgemäß und leise auf seine Frage. Was hätte sie auch bei so einer Veranstaltung tun sollen? Die Beträge, in denen heute Abend Spenden über den Tisch gehen würden, hatte sie im Traum noch nicht auf ihrem Bankkonto gesehen! „Gibt es denn ein Programm?“ Sie sah fragend zu Calmaro hoch, der sich schon die ganze Zeit irgendwie unruhig umsah. Ob er jemanden suchte? Eigentlich wäre es Emma ganz recht gewesen, wenn irgendwo jemand Programmfaltblätter verteilt hätte. Dann wüsste sie wenigstens annähernd, auf was sie sich einzustellen hatte. Denn im Moment huschte ihr Blick bloß von einer glänzenden Oberfläche zum nächsten teuren Kleid, anschließend zu dem überladenen Buffet und wieder von vorn. Es war eine Fülle an Eindrücken, die vollkommen neu für sie waren und Emma absolut faszinierten. Sie kam sich ein bisschen vor wie in einem Zauberschloss der Reichen und Schönen. Sie konnte bloß hoffen, dass ihr Kleid um Schlag Mitternacht nicht in Fetzen fiel und ihr Taxi sich in einen Kürbis verwandelte. Na, zumindest würde ihr Begleiter auch dann noch der Prinz bleiben, wenn alles Andere beim Wegfallen des Zaubers zu zerfließen begann. „Kennen Sie denn viele Leute hier? Viele Bekannte?“ Emma stellte es sich so vor, dass Calmaro wegen seines Terminkalenders eigentlich ganz froh über solche Veranstaltungen war. Da kam er wenigstens dazu, einmal mit Leuten zu sprechen, die ihm ... ähnlich waren. Es konnte doch nicht so einfach sein, unter Menschen, die nicht seiner Gehaltsklasse entsprachen, Freunde zu finden. Da bot sich die High Society – die größer sein musste, als Emma sich das je hatte vorstellen können – doch bestimmt eher an.   Nick Carter, Eveline Scott, Brian Redford und sogar Scarlett Ming. Heute hatten Sie tatsächlich einmal die Schlimmsten der prominenten Persönlichkeiten in Wellington rausgelassen. Hoffentlich übersahen sie ihn in der leicht abgeschiedenen Ecke und der immer größer werdenden Menschenmenge im Saal. Cayden konnte es nur hoffen, denn diese Vier waren das Spitzenquartett der Abscheulichkeit. Sie gehörten zu den reichsten Anwesenden in diesem Raum und waren zugleich die geizigsten, herzlosesten und eingebildetsten Snobs, die ihm je untergekommen waren und das wollte schon etwas heißen. Alles natürlich schön verpackt in einer Hülle aus liebenswürdigem Lächeln, charmantem Smalltalk und prächtigen Abendgarderoben. Aber ihre kalten Augen konnten nicht darüber hinwegtäuschen. Nicht, wenn man gelernt hatte, Menschen zu deuten. „Das Programm ist im Gegensatz zur Umsetzung, eher dürftig. Im Groben und Ganzen geht es darum, die reichen Snobs abzufüllen, ihre niederen Bedürfnisse nach Essen, Gesellschaft und Aufmerksamkeit zu befriedigen und dann darauf zu hoffen, dass sie in ihrer heiteren Stimmung ordentlich etwas vom Kuchen abgeben. Würden die Gelder nicht hilfsbedürftigen Kindern zugute kommen, wäre es im Grunde für diese Leute nichts weiter, als eine weitere Gelegenheit, um zu prahlen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die sind eher selten. So wie es Ausnahmen nun einmal sind.“ Was seinen Blick an Liasana Orsáne haften bleiben ließ. Cayden hätte nicht gedacht, dass die nordische Vampirin hier in Neuseeland, geschweige denn auf einer so simplen Spendengala wie dieser hier zu finden war. Er war ehrlich verblüfft, aber man konnte zugleich nicht leugnen, dass das den Status dieser Veranstaltung definitiv hob. Sie sah genau wie das aus, was Cal ihm klarzumachen versucht hatte. Hochgewachsen und zierlich. Beinahe durchscheinend und zerbrechlich und das lag gewiss nicht an der weißen Seide, die ihre schmale Gestalt wie Nebelschwaden umfloss, oder dem goldenen Haar, das sie kunstvoll aufgesteckt trug. Sie war wunderschön. Ihr Blick stolz und stark, doch das mochte nicht über ihre körperliche Zerbrechlichkeit hinwegtäuschen. Ein Kind zu gebären, würde ihren sicheren Tod bedeuten. Dazu schien sie einfach nicht gemacht worden zu sein. Das allein zeigte der Anblick ihres sehr schmalen Beckens. Vermutlich war aber genau dieser Ausdruck von Hilfsbedürftigkeit der Grund, warum so viele menschliche Männer sich um sie scharten und förmlich an ihren vollen Lippen hingen. Ihre vampirischen Bodyguards waren demnach nicht weit und Cayden entdeckte sie tatsächlich sofort in der Nähe. Sollte auch nur einer der Männer es wagen, ihr nahezutreten, würde Blut fließen. Etwas, worüber Cayden sich heute keine Sorgen machte. Liasana mochte vielleicht die Ausnahmeerscheinung in der Gesellschaft der weiblichen Vampire sein, aber genau deshalb würde sie auf sich selbst aufpassen können. Sonst wäre sie nicht schon so lange ungebunden und eigenständig. Etwas musste also doch am weiblichen Geschlecht seiner Art stark sein. Wenn es auch nicht in der körperlichen Stärke zu finden war. Als sie seinen Blick spürte, sah sie sich nach ihm um und nickte ihm auf eine uralte Geste erhaben zu, nachdem sie ihn entdeckt hatte. Cayden erwiderte diese Geste mit gleicher Ehrerbietung und war sich zugleich bewusst, dass noch so viele Menschen um sie herum sein konnten, sie würden dennoch nie zu ihnen gehören. Sie war vielleicht nur halb so alt wie er, doch das war bei weitem schon älter, als viele Vampire von sich behaupten konnten und somit etwas Besonderes. „Ich kenne die meisten Anwesenden hier, wenn auch nicht unbedingt mit Namen“, nahm er schließlich den Gesprächsfaden von Emma auf und wandte sich ihr nun vollständig zu. Er hatte sich genug Überblick verschafft, um auf alles und jeden gefasst zu sein, der ihn ansprach. „Zugegeben, solche Veranstaltungen sind die perfekte Gelegenheit für uns, um aus unseren Löchern zu kriechen und einmal die Arbeit oder womit man sich eben sonst so beschäftigt, hinter sich zu lassen und sich zu treffen. Zum Glück ist das kein Dauerzustand, denn um ehrlich zu sein, die meisten hier sind entweder verdammt langweilig, oder man würde ihnen am Liebsten einen Drink ins Gesicht schütten, kaum dass sie den Mund aufmachen.“ Was ihn auf ein Manko seinerseits hinwies. „Oh, entschuldigen Sie. Möchten Sie etwas trinken? Auch auf die Gefahr hin, dass Sie mir vielleicht bis zum Ende des Abends damit den Kopf waschen.“   „Oh … Sie sehen das also als niedere Bedürfnisse.“ Der Satz war von Emma nur leise dahin gemurmelt. Aber irgendwie war sie ein bisschen enttäuscht. Eigentlich hatte sie gedacht, dass das hier etwas Berauschendes an sich haben würde. Für sie persönlich wie eine Art Film, in den sie eintauchen durfte. Zwar mit dem Wissen, dass sie danach wieder außerhalb stehen würde, aber das machte ja nichts. Sie hatte sich ausgemalt, neben ihrem Chef zu stehen, während der sich mit wichtigen und prachtvollen Leuten unterhielt. Wie er sich amüsierte und vielleicht ab und zu sogar ein kleines Bisschen aus seiner starren Haltung ausbrach und Spaß hatte. Das war aber wohl von Anfang an nicht der Anspruch gewesen und Emma ärgerte sich über ihre eigene Naivität. Zumindest ein wenig, bis sie wieder dazu überging, sich die Menschen um sie herum anzusehen. Inzwischen hatte sie Calmaros Arm losgelassen und hielt ihre Tasche ruhig in beiden Händen, während sie lächelnd den Saal betrachtete und sich überlegte, was sie von diesem meterlangen Buffet am liebsten probieren würde. Eine für heute leicht gelockte Haarsträhne fiel ihr über die Schulter, als sie ein Stück den Hals reckte, um auch noch zum Tisch mit den Nachspeisen hinüberschielen zu können. Oh man, es gab Eiscreme! „Ich kann ehrlich nicht glauben, dass nur Leute zum Abgewöhnen hier sind ...“ Emma bemerkte erst richtig, dass ihr Boss an ihrer Seite weitergesprochen und sie ihn sogar kommentiert hatte, als er ihr direkt eine Frage stellte. Mit einem sanften Lächeln sah sie ihn an und konnte selbst nicht so genau sagen, warum sie seine Worte so störten. Aber vermutlich, weil das wieder so eine Wahlmöglichkeit seinerseits gewesen wäre – und das verstand sie einfach nicht. Wenn er diese Menschen alle für so schlimm und unerträglich hielt ... warum war er dann hier? Er hätte es sich locker leisten können, einfach nicht zu erscheinen. „Das liegt Ihnen nicht besonders, oder? Menschen?“ Es war mehr eine zarte Vermutung, als eine Frage gewesen. Daher erwartete Emma auch keine Antwort, die mehr über ihn selbst verraten hätte. Das maßte sie sich als kleine Assistentin gar nicht an. Sie fand es nur … schade. „Ja, ich würde ganz gern etwas trinken. Meinen Sie, es gibt Orangensaft?“   „Natürlich. Sogar frisch gepresst. Kommen Sie.“ Cayden legte seiner Assistentin ganz leicht die Hand zwischen die Schulterblätter, um sie durch die dichter werdende Menge an Leuten zu manövrieren, direkt auf die Bar zu, hinter der zwei fleißige Barkeeper damit beschäftigt waren, den ansteigenden Durst der Gäste zu stillen. „Zwei Mal Orangensaft, bitte“, bestellte er kurz, ehe er sich wieder an Emma wandte, die offenbar den gleichen Geschmack für Getränke zu teilen schien wie er. Viele fingen bei solchen Veranstaltungen nur allzu gerne mit Alkohol in Form von Champagner oder anderen leichten Drinks an, ehe es nach und nach an die härteren Getränke ging. Cayden hätte hier zwar jeden unter den Tisch trinken können, da sein Metabolismus so schnell arbeitete, dass der Alkohol schneller im Blut verloren ging, als er ihn trinken konnte, aber das hieß nicht, dass er sich deshalb damit zuschüttete. „Sie haben nicht ganz unrecht“, meinte er schließlich und fuhr schnell fort, als er Emmas fragenden Blick bemerkte. „Was mich und die Menschen angeht. Da muss ich Ihnen fast zustimmen.“ Er lächelte und dachte darüber nach, dass ihre Frage für einen wie ihn, gleich noch eine völlig andere Bedeutung bekam. „Aber Sie sollten vielleicht eines verstehen. Ich arbeite gerne mit Menschen und ich denke, das kann ich auch ganz gut. Doch das ist etwas anderes, als mit Menschen seine freie Zeit zu verbringen und obwohl das bei mir eher selten vorkommt, ziehe ich Menschen wie Sie dieser Gesellschaft hier vor.“ Er machte eine knappe Geste mit dem Arm, die den ganzen Saal beinhaltete, während der Barkeeper ihre beiden Getränke abstellte. Cayden nahm sie an sich und überreichte Emma ihr Glas. „Darum habe ich Sie auch mitgenommen, damit ich mich normal mit jemandem unterhalten kann. Denn glauben Sie mir, die Themen: Geld, Skandale, Ruhm und Macht, das alles ist schon so abgelutscht, das es mein Interesse nicht mehr wecken kann.“ Wie so wenig in seinem Leben. „Und trotzdem gibt es natürlich auch bei Veranstaltungen wie dieser hier interessante Menschen zu treffen. Hier zum Beispiel.“ Cayden stellte sich so neben Emma, dass er mit ihr zusammen den ganzen Raum überblicken und sie auf einen großen, etwas rau wirkenden Mann im Smoking aufmerksam machte, der unter den vornehmgekleideten Menschen etwas deplatziert wirkte und trotzdem war er umringt von jungen Damen, die pausenlos auf ihn einplapperten, obwohl man ihn nicht gerade attraktiv nennen konnte. Zumindest nicht auf die klassische Art. Dafür war sein Haar schon zu sehr ergraut, das Gesicht wirkte irgendwie hart und die Augen wachsam. Trotzdem konnte man nicht leugnen, dass er Ausstrahlung besaß, und zwar genau jene, auf die offenbar diese jungen Hühner flogen. Sie war leicht gefährlich, obwohl Cayden genau wusste, dass dieser Mann niemandem etwas tun würde. „Das ist Charlie Mason. Ein inzwischen erfolgreicher Unternehmer einer der bekanntesten Brückenbaufirmen der Welt. Ich denke, man sieht ihm an, dass etwas anders an ihm ist, aber nur die aller wenigsten wissen wirklich, dass er selbst einmal unter einer Brücke gelebt hat, bis ihm der Aufstieg aus eigener Kraft gelungen ist. Für mich ein leuchtendes Beispiel dafür, dass es für den Charakter nicht schaden kann, sich seine Brötchen selbst zu verdienen, anstatt es von Geburt an in den Rachen geschoben zu bekommen. Und dort drüben, Lauren Bell.“ Er deutete dezent in Richtung einer schwarzhaarigen Frau in einem leuchtend roten Kleid, die sich abseits der Menge hielt und etwas gelangweilt in die Runde blickte, ehe sie an ihrer Champagnerflöte nippte und sich nur widerwillig an dem Gespräch mit Scarlett Ming beteiligte. „Sie verbringt die meiste Zeit in Afrika, um dort den Waisenkindern zu helfen. Sie ist eine sehr gute Ärztin und konnte mit ihrem Engagement schon viel Gutes tun. Vielleicht werden wir später am Abend eine Weile ihre Gesellschaft genießen können. Für gewöhnlich rotten wir Normalsterblichen uns irgendwann zusammen, um den langweiligen Litaneien der anderen weniger imposanten Erscheinungen zu entgehen, die überall zu leben scheinen, aber mit Sicherheit nicht in unserer Durchschnittsrealität.“   Mit einem breiten Lächeln bedankte sie sich bei dem Barkeeper und auch ihrem Boss, als er ihr das Glas reichte. „Dann ist es also so, dass es selbst in den höchsten Klassen noch echte Unterschiede gibt?“ Emma sah sich die Ärztin in dem roten Kleid an und stellte sie sich in Afrika vor. In sengender Hitze und mit aggressiven Fliegen, die sie sich dauernd aus dem Gesicht scheuchen musste. Vielleicht nur ein einfacher Pferdeschwanz, statt dieser perfekten Hochsteckfrisur. „Es ist schon seltsam, finden Sie nicht?“ Emma sah zu Calmaro auf, der neben ihr stand und mit fragenden, grünen Augen zu ihr hinunterfunkelte. „Für mich sehen sie alle irgendwie gleich aus. Alle ausnahmslos prächtig, reich und auf ihre Art schön. Sie haben da eine ganz andere Art, die Dinge zu betrachten. Ich finde es immer sehr interessant, wie sich so etwas unterscheiden kann.“ Da er darauf nicht antwortete und sie irgendwie ansah, als wüsste er nicht, was er damit anfangen sollte, sprach Emma einfach weiter. „Ich muss zugeben, dass ich gar nicht wirklich vorhatte, hinter die Fassaden der Leute hier zu sehen. Ehrlich gesagt hatte ich nicht gedacht, dass ich Zeit dazu hätte. Aber es macht das Ganze sogar sehr viel spannender. Sehen sie die Dame mit dem weißen Kleid? Sie ist wunderschön, wirklich. Und das liegt nicht daran, dass ihr Kleid und ihr Schmuck vermutlich so viel kosten, wie ein Einfamilienhaus. Sie ist ... fast schon so schön wie eine antike Statue. Perfekt geschliffen könnte man sagen.“ Calmaro war ihrem Blick gefolgt und runzelte nun leicht die roten Brauen, was Emma registrierte, aber nicht deuten konnte. Vermutlich kannte er die elegante Dame und überlegte sich gerade, ob er Emma sagen sollte, dass sie seiner Meinung nach mit ihrer Einschätzung total daneben oder genau richtig lag. „Wenn Sie mir etwas über die Frau erzählen würden, könnte sich mein Bild von ihr verändern. Sehr stark sogar. Das ... ich weiß nicht. Das ist spannend.“ Ein großer Schluck Orangensaft rettete sie vor weiteren Aussprüchen, die sie noch weiter in eine Bredouille bringen konnten. Immerhin sollte sie vor ihrem Chef nicht so ihre Meinung auf den Tisch legen. Er kannte die Leute, sie nicht. Das war auch mehr oder weniger alles, was sie ihm hatte sagen wollen. Naja, nicht alles. „Wer gehört für Sie noch zu der Gruppe derjenigen, die sich später zu einem Schwatz zusammenrotten werden?“ Emma konnte sie sich nur in der Küche vorstellen. Dort, wo die richtig guten Partys mit den richtig guten Leuten endeten. Man quatschte, hielt sich gegenseitig philosophische Vorträge und lachte so viel, dass einem am nächsten Tag noch der Bauch schmerzte. Emma wollte sehr gerne wissen, wer die Menschen waren, mit denen Calmaro am ehesten so eine Party auf diese Weise würde ausklingen lassen.   Cayden hörte Emma aufmerksam zu und machte sich so seine Gedanken über das von ihr Gesagte. Wieder ließ er seinen Blick über die Leute streifen und versuchte die Gesellschaft mit den Augen seiner Begleiterin zu sehen, was zugegebener Maßen gar nicht so einfach war. Er kannte das alles schon. Hatte schon viel zu viele dieser Anlässe mitgemacht und das nicht nur in den unterschiedlichsten Städten, Ländern und Kulturen, sondern auch in allen möglichen Epochen, seit er auf dieser Welt war. Es mochte sich mit der Zeit die Form, die Art wie eine Gesellschaft gehandhabt wurde und die verschiedensten Anlässe ändern, doch Menschen blieben im Grunde immer gleich. Darum war es für ihn so schwer, die Dinge aus unverbrauchten Augen zu sehen, wie sie Emma noch besaß, da sie so unglaublich jung war. „Die Dame in Weiß ist Liasana Orsáne. Sie besitzt nicht nur das Talent, jeden Mann in ihrer Nähe zu verzaubern, sondern ist zudem auch äußerst intelligent und im Gegensatz zu einigen der Schönheiten hier im Saal ist ihr Wesen ebenso rein und weiß, wie die Farbe ihres Kleides. Sich mit ihr zu unterhalten, mag sehr anspruchsvoll sein, aber auch ungemein interessant.“ Selbst für ihn. „Bestimmt bekomme ich heute Abend noch die Gelegenheit, sie Ihnen vorzustellen. Ich habe sie seit langem nicht mehr gesehen und ihr Erscheinen ist durchaus überraschend für mich gewesen. Man kann sie also in jedem Fall zu denen zählen, die nichts gegen einen Schwatz einzuwenden haben.“ Er lachte leise. „Mit Sicherheit wäre es ihr sogar lieber, wenn wir sie besser früher als später von dem Männerandrang retten würden.“ Cayden nahm einen Schluck von seinem Orangensaft, warf einen kurzen Seitenblick auf Emmas Nacken, der von einer Haarlocke umspielt wurde, und richtete seine ganze Aufmerksamkeit schließlich wieder auf die Menge. Denn wenn es etwas gab, das einen Vampir hungrig machen konnte, obwohl er keinen Hunger hatte, so war es ein dezent verdeckter Nacken, dem ein so angenehmer Duft entstieg, wie der von Emma. Dagegen half jeder rationelle Verstand nichts. Ohne ihre Instinkte wäre seine Art vermutlich schon längst ausgestorben. „Die Auswahl an anspruchsvoller Gesellschaft ist nicht besonders groß, und bevor ich Ihnen die wenigen zeige, sollte ich Sie vielleicht viel mehr vor denen warnen, die Sie am besten meiden sollten. Da wäre zudem die Frau neben Lauren Bell. Scarlett Ming. Ein augenscheinlich zuckersüßes Ding, das einem gekonnt Honig ums Maul schmiert, aber vorsicht, hinter diesem zauberhaften Lächeln verbirgt sich eine gespaltene Zunge. Es reichen meist schon fünf Minuten mit ihr aus und Sie können sich sicher sein, dass irgendwelcher Tratsch über Sie schon bald die Runde macht. Dazu müssen Sie ihr noch nicht einmal irgendwelche persönlichen Details verraten. Die Frau hat eine unglaublich große Fantasie, der viele nur zu gerne Glauben schenken. Dann hätten wir da noch Brian Redford. Der Mann dort hinten in der Ecke, der mit dem Brandy in der Hand. Er ist zugegeben ein verdammt guter Geschäftsmann und hat sein Vermögen von ganz alleine erwirtschaftet, doch im Gegensatz zu Charlie Mason nicht immer auf saubere Art und Weise. Eigentlich liegen ihm der Schwarzhandel, Prostitution und Drogen mehr, als legale Geschäfte. Zudem hüten Sie sich davor, bei einem Gespräch zu dicht vor ihm zu stehen. Wenn ihn ein Thema nicht vollkommen langweilt und er Interesse dafür zeigt, bekommen Sie selbst an einem sonnigen Tag Nieselregen ab.“   Es war schon merkwürdig. Emma hatte einen winzigen Stich in sich gespürt, als Calmaro so von der Dame in reinem Weiß erzählte. Das erste Mal, seit sie mit ihm hier war und sie beide sich unterhielten, schien er von etwas eine gute Meinung zu haben. Eine ausgezeichnete Meinung sogar. Und dass dieser Lichtfleck eine Frau von solcher Schönheit war, die jede Andere nur erblassen lassen konnte ... hatte Emma für einen schwachen Moment lang gar nicht gefallen. Dabei musste ihr Blick nur auf seine Finger fallen, die das Glas mit Orangensaft hielten und ihr wurde klar, wie dumm sie eigentlich war, sich von so etwas überhaupt treffen zu lassen. Es betraf sie überhaupt nicht. In Emmas Gegenwart durfte er schwärmen, soviel er wollte. Für Frauen, für Männer – egal. „Ich würde mich freuen, Miss Orsáne kennenzulernen.“ Ja, überraschenderweise tat sie das wirklich. Denn wenn Emma es so betrachtete, konnte sie auf diese Frau nicht einmal neidisch sein. Sie war ... so wunderschön. Wie hauchdünnes Porzellan. Genau. Daran erinnerte sie Emma. An eine Figur, die so zart gearbeitet war, dass man gar nicht wagte, sie zu berühren. Wie eine Elfe. „Was die weniger angenehmen Menschen hier betrifft ... bleibe ich einfach an Ihrer Seite. Da bin ich ja in jedem Falle sicher und gut aufgehoben.“ Ihr Herz klopfte ihr bis in die Ohren, aber zurücknehmen würde sie nicht, was sie gerade gesagt hatte. Denn es stimmte doch! Calmaro war schon einmal ihr Retter in der Not gewesen – wenn man es romantisch ausdrücken wollte. Da konnte sich Emma nicht vorstellen, warum sie es nicht aussprechen sollte. Gut, vielleicht war es etwas kitschig formuliert gewesen, aber ... jetzt war es sowieso schon zu spät. Und sie konnte und wollte es eigentlich auch gar nicht mehr zurücknehmen.   „Was die weniger angenehmen Menschen hier betrifft ... bleibe ich einfach an Ihrer Seite. Da bin ich ja in jedem Falle sicher und gut aufgehoben.“ Als er das von Emma hörte, stahl sich von selbst ein bedeutendes Lächeln auf seine Lippen und etwas in ihm schien voller Inbrunst zu sagen: Ja, das bist du! Nicht nur vor diesen Leuten, sondern auch vor jenen, die sie zur Ader lassen wollten. Da war er sich mit einem Mal absolut sicher. Als würde sie etwas in ihm ausgraben, das schon lange schlief und durch ihr Vertrauen in ihn sanft wachgerüttelt wurde. Einst war er der Beschützer eines ganzen Stammes gewesen. Heute brauchte ihn niemand mehr, doch für Emma würde er da sein. Zumindest für diesen Abend konnte er es versprechen. Sie war in guten, fähigen Händen. Und er hatte noch ein ganzes Repertoire an delikaten Details bezüglich der anwesenden Reichen und Schönen, das er ihr nur zu gerne eröffnete. Cayden nannte Emma Namen, zeigte ihr die dazu passenden Personen und erzählte ihr viele Dinge über die Betreffenden, welche man nicht einfach so der Klatschpresse entnehmen oder nachgoogeln konnte. Er hielt sich dabei mit seiner eigenen Meinung stark zurück und stützte sich stattdessen auf solide Fakten, brachte es aber fertig, sie nicht trocken zu erzählen, sondern es mit einem gewissen Etwas rüberzubringen. Cayden konnte nicht sagen, wie Emma die Sache sah, aber ihm gefiel es, endlich einmal die ganzen Dinge loszuwerden, die er mit der Zeit hatte, erfahren können, ohne auch nur vorzuhaben, sie irgendwie zu verwenden. Was das anging, war er lieber über alles und jeden hervorragend informiert, anstatt sich überraschen zu lassen. Denn nicht alle Überraschungen waren von der guten Sorte und auf die konnte er getrost verzichten.   Sie sahen sich noch ein paar Leute an. Welche von den Angenehmen und viele von den Unangenehmen. Emma fiel bald auf, dass Calmaro sich wirklich sehr intensiv mit den Anwesenden und damit den Mitgliedern der hohen Gesellschaft beschäftigt haben musste. Sonst wüsste er nicht so viel über sie alle. Was irgendwie nicht mit dem zusammenpassen wollte, was er selbst von sich behauptete. Der Mann schien voller Rätsel und Widersprüchen zu stecken. Vor allem wenn er einmal mehr erzählte, als es bei der Arbeit der Fall war. Nach einer Weile stieg eine mehr als schlanke Frau in einem pinken, langen Kleid auf die Bühne, klimperte mit ihrem Klunker von Diamantring an ihr Sektglas und bat um Ruhe. Was zumindest dafür sorgte, dass das Geplauder etwas abebbte und die Blicke sich aufmerksam auf die Bühne richteten. Es wurde eine kleine Rede gehalten, dann grüßte ein älterer Mann die versammelte Gesellschaft, wünschte einen schönen Abend und sprach noch eine Weile. So lange, dass Calmaro sich überraschend zu Emma umdrehte und ihr nun tatsächlich ein Champagnerglas in die Hand drückte. „Viele Dank“, flüsterte sie leise, bevor auch schon darum gebeten wurde, auf den heutigen Abend die Gläser zu heben. Emma tat es mit einem Lächeln und einem eigentlich viel zu tiefen Blick in Calmaros grüne Augen.   Die Zeit war schneller vergangen, als er gedacht hätte, denn für ihn überraschend schnell, wurde die Spendengala offiziell eröffnet. Kurz hörte er noch der Einstiegsrede zu und weshalb sich hier heute alle versammelt hatten, ehe er auch schon abschaltete und dem ganzen Geschwafel nur noch ein halbes Ohr schenkte. Nichts, was er nicht schon viel zu oft gehört hätte. Stattdessen erwischte Cayden sich dabei, wie sein Blick nach einer Weile vom Redner zu Emma hinüber schwenkte, die dem Ganzen noch mit bewundernswerter Aufmerksamkeit zuhörte und seine eigene Aufmerksamkeit ihr gegenüber nicht bemerkte. Cayden musterte ihr Kleid noch einmal gründlich. Sie sah wirklich hinreißend darin aus und verwandelte etwas, das vom Stoff, der Verarbeitung und der Qualität her nicht dem Standard des heutigen Abends entsprach, in einen einzigen Blickfang. Emma trug keinen teuren Schmuck oder ein Kleid von einem berühmten Designer, aber deshalb sah sie keinesfalls billig aus. Ganz im Gegenteil. Gerade die Schlichtheit brachte ihre körperlichen Vorzüge erst so richtig zur Geltung. Mehr als einmal an diesem Abend hatte sich Cayden bereits dabei ertappt, wie sein Blick auf ihre üppigen Vorzüge fiel, vor allem auf das, was den Ausschnitt ihres Kleids füllte. Aber auch ihre Hüften waren nicht zu verachten. Etwas woran man sich bestimmt gut festhalten konnte und bei dem man keine Angst haben musste, ihr im Eifer des Gefechts wehzutun. Was die Frauen seiner Art anging, war Leidenschaft niemals in ihrer vollendetsten Form möglich. Was nicht heißen sollte, dass männliche Vampire brutal wären, aber wenn etwas so zerbrechlich war, wie weibliche Vampire, dann dämpfte das die Stimmung durchaus immer wieder. Kein Wunder, dass menschliche Frauen auf seinesgleichen eine solch große Anziehungskraft hatten. Vom Blut einmal abgesehen. Gerade als Caydens Blick auf Emmas entzückenden Zehen fiel, die übrigens in sehr schönen Schuhen steckten, wurde ihm klar, was er da eigentlich dachte, besser gesagt, worüber er gerade nachdachte. Er dachte an Sex mit Emma … seiner Assistentin. Wobei dieser beigefügte Titel in Anbetracht des ersten Satzteils keinerlei Bedeutung hatte. Leicht die Stirn runzelnd, ging er diesem Gedanken weiter nach, denn es war zu seltsam, um wirklich wahr zu sein. Cayden würde niemals von sich behaupten, er wäre ein Unschuldslamm und hätte Vanessa noch nie betrogen. Denn das wäre eine Lüge gewesen. Aber es entsprach nun einmal der Tatsache, dass Sex für ihn, wie vieles andere auch, schon lange seinen Reiz verloren hatte. Natürlich schlief er ab und zu mit ihr, da er trotz des Artenunterschieds immer noch ein Mann war und dementsprechend körperliche Bedürfnisse hatte und wenn er einmal etwas mehr Spaß daran haben wollte, ging er in ein luxuriöses Bordell, aber das hieß nicht, dass ihn dieser Akt noch irgendwie tatsächlich berühren oder gar heißmachen könnte. Es hatte schon lange an Farbe, Reiz und Geschmack verloren. Darum war der Gedanke daran, sich Sex mit Emma vorzustellen, so abwegig. Denn das bedeutete, dass er sich tatsächlich wieder etwas dafür zu interessieren begann. Als Cayden merkte, dass sich plötzlich etwas in ihm zu verschieben begann, was die bisherige Betrachtung seiner Assistentin anging, griff er nach dem ersten Strohhalm, den er finden konnte, und schnappte sich zwei Champagnergläser von einem der Tabletts, die gerade von Kellnerinnen in schwarzweißen Uniformen an die Gäste herumgereicht wurden. Sex mit seiner Assistentin … diesen Gedanken sollte er so bald wie möglich wieder loswerden. Denn sie war mehr als nur seine Assistentin. Sie könnte ihm mit ihren Fähigkeiten wirklich gefährlich werden, wenn sie herausfand, was er war und das waren nun einmal zwei Dinge, die sich nicht miteinander vereinbaren ließen, ohne dass das eine zum anderen führte. Außerdem befand er sich in den Jahren der Arbeit. Er hatte also auch gar keine Zeit dafür. Da damit der Fall für den Moment abgeschlossen war, reichte er Emma ein Glas und blickte ihr wieder auf eine unverfängliche Region. Zumindest dachte er das, denn eigentlich war die Farbe ihrer Augen irgendwie faszinierend. Abhängig vom Licht schienen sie mal dunkler und mal heller zu sein. Er erwiderte ihr Lächeln und erhob sein Glas. „Auf einen erfolgreichen Abend, eine gute Gesellschaft und die Hoffnung, Sie wenigstens einmal zum Tanz auffordern zu dürfen.“   Emma lachte leise und bekam doch einen neugierigen Blick von einem älteren Herrn ab, den sie einfach mit einem charmanten Lächeln erwiderte. Der Mann sah ohnehin nicht so aus, als würde er davon am Tag viele bekommen. „Dass sie sich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, Mr. Calmaro. Ich tanze nämlich sehr gern.“ Auch wenn sie bestimmt wieder nervös werden würde, sollte er sie tatsächlich auffordern. Aber noch bestand die Gefahr nicht, denn die Band, die gerade wieder die Redner ablöste, spielte nur leise. Vermutlich war das der Startschuss für das Buffet, denn dort schien gerade der Großteil der Anwesenden hinzudrängen. „Mist, bei sowas bin ich immer zu langsam. Bestimmt ist gleich das Cookies and Cream Eis weg.“ Sie stellte sich trotz ihrer Absätze auf die Zehenspitzen und sah über die vielen Köpfe hinweg. Leider ausweglos. Von der Bar aus konnte sie nicht erkennen, ob genug Eis für alle da sein würde. Als sie wieder zu Calmaro aufsah, dem sie seltsamerweise mit ihrer kleinen Aktion näher gekommen zu sein schien, stellte sie sich wieder normal hin. Die Wimpern etwas gesenkt, nahm sie noch einen Schluck von ihrem Champagner. Das Zeug schmeckte ihr nicht besonders. Waren ja mehr Bläschen als wirkliches Getränk. „Ich mag Eiscreme“, fügte sie ein bisschen entschuldigend hinzu. Sie sollte sich hier wirklich nicht so aufführen, als wäre sie bei einem Kindergeburtstag. Immerhin zahlte ihr Boss für den Abend, da wollte Emma nicht wie ein verfressener Scheunendrescher wirken. „Möchten die Herrschaften vielleicht eines unserer Lose erstehen? Natürlich kommen alle Gelder unserer guten Sache zugute.“ Die Dame, die einen glitzernden Bauchladen mit ebenso glitzernden Losen vor sich hertrug, sah aus, als wäre sie gerade einem sehr edlen Zirkus entsprungen. Alles an ihr glitzerte, warf das Licht von kleinen Paletten und Strasssteinchen zurück. „Toller Zylinder“, meinte Emma ganz ehrlich, denn der Hut gefiel ihr wirklich. „Oh danke. Ich mag ihre Schuhe.“ Emma sah auf ihre Zehen und strahlte die junge Frau dann glücklich an. „Danke, ich mag sie auch. Was gibt es denn zu gewinnen?“ Jetzt fiel die Blonde mit den aufgedrehten Locken wieder in ihre vorbestimmte Rolle zurück und leierte die Preise herunter, wie eine Maschine. „Oh, wow. Ein Tag allein im Te Papa? Wirklich?“ Emma wagte einfach nicht zu fragen, wie viel so ein Los kosten würde. Wenn sie sich die Preise so anhörte, konnte sie sich nicht einmal eines leisten, wenn sie die Idee mit dem Nottaxi für heute sausen ließ.   Es war herrlich erfrischend Emmas Begeisterung für Eis mit anzusehen, und wie sich die Sehne an ihrem Hals anspannte, als sie ihren Nacken streckte, das war so … Cayden bemerkte erst, dass er näher gerutscht war, als Emma sich wieder auf ihre Absätze niederließ und zu ihm aufsah. Sehr viel dichter, als noch vorhin, aber noch nicht allzu auffällig. Kein Grund also, daran etwas zu ändern. „Ich mag Eiscreme“, entschuldigte sie sich bei ihm, als hätte Emma mit ihrer Begeisterung etwas Schlimmes angestellt. Dass sie ihn damit zum Lächeln brachte, ob er nun wollte oder nicht, schien ihr dabei gar nicht aufzufallen. Gerade wollte Cayden ihr erklären, dass er auch Eiscreme mochte, seit es diese göttliche Erfindung gab, aber da kam ihm auch schon jemand anderes dazwischen und er ließ den Mund zu, um den beiden Frauen zu lauschen. Da Emma nicht den Eindruck machte, als wolle sie ein Los kaufen, stellte er schließlich seinen Champagner ab, an dem er nur zum Anstoßen einmal genippt hatte, zog dann einen Geldschein aus der Innentasche seiner Anzugjacke und kaufte bei der Verkäuferin zwei Lose, damit diese wieder ihrer Arbeit nachgehen konnte. Wieder mit seiner Assistentin alleine hielt er vor ihren Augen die zwei Lose hoch. „Also ich persönlich würde mich ja mehr für die Wasserscooter interessieren, aber da ich in solchen Dingen wie Glücksspiel oder es auf pures Glück alleine ankommen zu lassen, ausgesprochen schlecht bin, dürfen Sie gerne Ihr Glück versuchen.“   Emma verstand nicht. Deshalb sah sie mit einem nur schwachen Lächeln zwischen Calmaro und den Karten in seiner Hand hin und her, brachte aber nicht recht den Mund auf, um nachzufragen. Er konnte ja nicht meinen, dass sie die Karten an sich nahm, die er für teures Geld gekauft hatte. Falls sie gewann, hätte ihr Chef ihr damit unter Umständen ein Boot geschenkt! Nein, das ging nicht. Aber was meinte er dann mit seiner Andeutung? Ihr ging erst ein Licht auf, als er die Lose schon wieder sinken ließ. „Oh, Sie meinen als Glücksbringer?“ Jetzt nahm sie ihm die beiden glitzernden Karten gern aus der Hand und sah sich die Nummern an, die in das dicke Papier geprägt waren. „13 und 78. Ziemlich gute Zahlen würde ich sagen. Vor allem die 13 finde ich vielversprechend.“ Sie lächelte breit und konnte ein leicht schelmisches Zwinkern leider nicht mehr unterbinden. „Mal sehen, ob sie bald auf einem Wasserscooter durch die Cook’s Strait düsen werden.“ Allein die Vorstellung brachte sie zu einem Grinsen, aber Emma steckte die Lose sorgsam in ihre Tasche, bevor sie noch einmal zum Buffet hinüberlinste. „Das riecht wirklich verführerisch. Möchten Sie etwas essen? Oder warten Sie lieber noch ein bisschen?“ Emma selbst hatte wirklich großen Hunger, aber sie würde neben Calmaro stehenbleiben und noch Stunden warten, wenn er es für angebracht hielt. Schließlich war sie nicht einmal sein Gast, sondern seine Assistentin. Es würde nach seinem Kopf gehen – nicht nach ihrem.   Cayden lächelte nur über Emmas Annahme, er würde sie nur als Glücksbringer missbrauchen. Er würde sich einfach später querstellen, wenn sie mit den Losen etwas gewonnen hatte. Egal was es war, er brauchte nicht einen der Preise, weshalb er sie ihr nur zu gerne überließ, sofern sie überhaupt etwas gewannen. „Ich bin dafür, dass wir uns in die Schlange der Hungrigen einreihen, solange noch Eiscreme da ist“, meinte er amüsiert grinsend, weil er sich selbst ziemlich gut auf einem Wasserscooter in der Cook’s Strait vorstellen konnte. Das waren schließlich die angenehmen Dinge der modernen Zeit. Wenn man Zeit hatte, verstand sich natürlich und daran mangelte es ihm momentan ziemlich. Also doch keine Tour durchs Wasser. Sein Lächeln bekam einen leichten Riss, weshalb er Emma erneut durch die Menge führte, und ihr dabei einen Weg bahnte, damit niemand sie anrempeln konnte. Das Buffet war wie schon so oft, einfach nur einmalig. Es gab wirklich eine unglaublich große Auswahl, aber in so kleinen Häppchen, dass man alles Mögliche probieren konnte, ehe man wirklich satt war und das war ja schließlich am Ende der Sinn der Sache. Es gab natürlich auch ein paar Fehlgriffe darunter, über die Emma sich mit ihm zusammen gründlich ausließ, während sie bei anderen Dingen förmlich schwärmte. Vor allem das Eis war etwas, das entweder kaum kommentiert wurde, wenn sie beide gerade genüsslich davon aßen oder dann im Nachhinein das wohl größte Lob dafür bekam, wenn sie den Mund wieder frei hatten. Emma war wirklich eine angenehme Tischgesellschaft, was er seit dem Abendessen in seinem Büro immer wieder nur bestätigen konnte. Mit ihr wurde es nicht langweilig und auch die meisten Leute hielten sich von ihm fern, da sie jemanden wie ihn in einem angeregten Gespräch nicht zu unterbrechen wagten. Schließlich war es wieder der Diamantring auf einem Glas, der die unzähligen Unterhaltungen im Raum zum Verstummen brachte und ihre Blicke auf die Bühne zog. Gerald Fitz, der Veranstalter lächelte seiner viel zu jungen und daher 3. Ehefrau dankend zu, ehe er sich ans Publikum richtete. Jetzt kam wohl die übliche Überraschung an diesem Abend, die jedes Mal anders war, so dass selbst Cayden nicht sagen konnte, was es dieses Mal sein würde. Weshalb er nun aufmerksam die weitere Rede verfolgte, die im Endeffekt nur auf eines hinauslief. Sämtliche Damen der Gesellschaft wurden dazu aufgefordert, sich für eine gute Sache auf der Bühne versteigern zu lassen. Der Preis für den Glücklichen, der eine der Damen ersteigern konnte, betrug einen Tanz mit der Ersteigerten. Mindestgebot waren stets 100 Dollar. Ein Klacks, für die Reichen und Schönen der High Society, aber ein beträchtlicher Gewinn für die hilfsbedürftigen Kinder, denen das Geld zugutekam. Als die Rede schließlich beendet war und nun die freiwilligen Ladys nach oben auf die Bühne kommen sollten, sah Cayden Emma mit einem seiner charmantesten Lächeln an, die er besaß. „Was meinen Sie dazu? Darf ich mir einen Tanz mit Ihnen verdienen, wenn es einem guten Zweck dient?“   Emma hatte dem Herrn auf der Bühne vollkommen unbeteiligt und daher mit entspanntem Interesse zugehört. Da es sie nichts anging, konnte sie über diese Aktion denken, was sie wollte. Sie selbst würde sich auf jeden Fall nie– „Was meinen Sie dazu?“ Immer noch ruhig wandte sie sich Calmaro zu. Und verschluckte sich fast noch an ihrem eigenen Atem, als ihr dieses unglaubliche Lächeln entgegen blitzte. Mit einem überraschten Schlag schickte ihr Herz Emma ein Knistern in den Magen. Ihre Hand schloss sich kurz fest um ihre Tasche, bevor Emma sich zur Ordnung rufen und Calmaros weiteren Worten zuhören konnte. Ein Tanz? Aber, den konnte er doch ... Jetzt huschte ihr Blick leicht entsetzt zwischen ihrem Begleiter und der Bühne hin und her, wo bereits die ersten Damen ein paar Stufen erklommen, um sich aufzustellen. Nein! Nein, nein, nein, nein, nein. Emma hielt sich nun krampfhaft an ihrer Tasche fest und kam sich vor, als hätte man sie in einen halb zugefrorenen See geworfen. Sich versteigern lassen? Vor allen Leuten? Vor diesen verdammt reichen, teuer gekleideten, perfekten Leuten? Einer Panikattacke nahe, wagte Emma nicht direkt in Calmaros Gesicht zu sehen. Wenn sie es tat, würde sie vermutlich entweder davon rennen oder etwas sehr, sehr Dummes tun. Was sie aber stattdessen tat, war im Endeffekt auch nicht viel besser. Denn Emmas Augen trafen die, der wunderschönen, weißen Fee. Inzwischen allein stand die Frau am anderen Ende des Saals und strahlte dort trotzdem, als würde ihr nicht nur der Raum, sondern die gesamte Stadt mit einem Lächeln gehören. Emma konnte ihren Blick ganz kurz nicht abwenden, war von dieser zerbrechlichen Schönheit wie gefangen, bis die Dame den Bann brach, indem sie nur in einer winzigen Geste das Kinn senkte und dann mit einem feinen Lächeln zur Bühne hinüberblickte. Jemand nahm Emmas Hand. Ganz vorsichtig legten sich warme Finger um ihre und sie sah nun doch ruhig in Calmaros lächelndes Gesicht, freute sich am Anblick seiner grünen Augen und mühte sich um Ruhe, während sie seinen sanften Griff erwiderte. „Wenn sie mich da oben einfach stehenlassen, kündige ich.“   „Oh, Sie verletzen mich“, meinte er gespielt entrüstet, während er eine Hand auf sein Herz legte und die andere immer noch sanft Emmas hielt. „Ich halte stets mein Wort und Sie haben hiermit meines, dass ich Sie wieder von der Bühne hole, koste es mich, was es wolle.“ Sein Lächeln wurde breiter, ehe er ihr vom Stuhl aufhalf und sich ein Stück zu ihr herabbeugte, um mit gedämpfter Stimme noch hinzuzufügen: „Keine Angst. Ich überlasse Sie keinem von den reichen, alten Säcken, die nur Ihren Hintern betatschen wollen. Sie sind bei mir in guten Händen.“ Cayden richtete sich wieder auf und ließ Emmas Hand langsam los, während er sie zur Bühne schickte und ihr dabei stets mit einem Lächeln folgte, das nur auf sie gerichtet war. Er wusste, dass sie nervös war und ihn vermutlich in diesem Augenblick verfluchte, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt und so war ihm zumindest ein Tanz mit ihr sicher. Darauf hatte er spekuliert. Cayden setzte sich wieder und lauschte nur nebenbei den Geboten für die anderen Damen, während sein Blick meistens auf Emma lag und wie schön er sie da oben fand. Gerade in ihrer Schlichtheit stach sie zwischen Glitzer und Prunk hervor wie eine seltene Blume. Er musste zugeben, dass er immer aufgeregter wurde, je mehr Frauen versteigert wurden und je weniger noch übrig waren, bevor Emma an die Reihe kam. Dabei musste er gar nicht aufgeregt sein, da er nicht gelogen hatte. Er würde alles für sie bezahlen, was nötig war und somit war sie ihm bereits sicher, doch die Vorstellung, mit ihr zu tanzen war es, die es schließlich aufgeregt in seinem Magen kribbeln ließ. Wie würde es sein? Ganz normal, wie mit jeder anderen halbwegs begabten Frau? Emma hatte gesagt, dass sie gerne tanzte, also konnte sie es bestimmt auch. Was hieß, dass es durchaus interessant werden könnte. Nur, wie …? „Und nun möchte ich die bezaubernde Lady in Grün nach vorne bitten“, unterbrach Fitz seine Gedanken. Cayden wurde aufmerksam und er richtete sich in seinem Stuhl gerade auf, als Emma ein Stück zwischen den verbliebenen Frauen hervor trat. Er konnte ihre Nervosität förmlich auf seiner Haut prickeln spüren, aber sie hielt sich tapfer und lächelte sogar. „Das Mindestangebot beträgt 100 Dollar, meine Herren. 100 Dollar, wer bietet mehr?“ Cayden hob kurz die Hand, da sie hier keine Versteigerungsschilder mit Nummern darauf hatten. „150 Dollar. 200 Dollar. 250 Dollar …“ Während er seine Mitbieter musterte, hob er immer wieder die Hand, um die anderen zu überbieten. Am Anfang herrschten noch rege Gebote, doch je höher die zu bietende Summe wurde, umso weniger Angebote kamen. Als sie schließlich bei 2850 Dollar angekommen waren, blieb Cayden der Höchstbietende. „2850 Dollar meine Damen und Herren. Höre ich 2900 für diese entzückende Lady? Nein? 2850 zum Ersten. 2850 zum Zweiten und 2850 zum–“ „3000 Dollar.“ Alle Köpfe schossen in die Richtung der Frau in Weiß, die Cayden soeben überboten hatte und nicht den Preisrichter, sondern ihn mit einem herausfordernden Lächeln ansah. Einen Moment war er davon so verblüfft, dass der Preisrichter schon bis zwei gezählt hatte, ehe er endlich den Mund aufbrachte. „4000 Dollar!“ Er versuchte es nicht persönlich zu nehmen und schenkte Liasana daher ein wohlwollendes Lächeln. Sie zog lediglich die Augenbraue in die Höhe und gab ihr nächstes Gebot ab. „5000 Dollar.“ Ihr Lächeln wurde zuckersüß, obwohl hinter ihren Augen die Aufforderung zu einem Duell stand. Sein Lächeln wurde breiter. Nun gut, das konnte sie haben! „8000 Dollar.“ „10.000 Dollar.“ „12.000 Dollar.“ „15.000 Dollar.“ Die Frau ließ einfach nicht locker. Die Frage war nur, warum sie nicht locker ließ. Cayden wusste, dass Liasana nicht mehr Interesse an Frauen hatte wie er an Männern. Was also nicht der Grund sein konnte, wieso sie sich so an Emma festbiss. Er glaubte auch nicht, dass sie auf ihr Blut aus war, denn das hätte sie genauso gut auf anderem Wege bekommen können, sobald Cayden einmal nicht da war, um das zu verhindern. Warum also bot sie immer noch weiter? „48.000 Dollar.“ Caydens Stimme wurde immer ruhiger und gelassener, obwohl er langsam wirklich wütend wurde. Es ging hier nicht ums Geld. Davon hatte er genug und Liasana offenbar auch. Demnach konnte das hier noch eine ganze Weile weiter gehen. Was ihn aber wirklich sauer machte, war die Tatsache, dass sie es mit ihren knapp tausend Jahren wagte, ihn überhaupt herauszufordern. Im Gegensatz zu ihm war sie noch ein Teenager in der Pubertät. Sie sollte sich also nicht so mit ihm messen und doch tat sie es. Immer und immer wieder. „75.000 Dollar.“ Er stand auf. „100.000 Dollar!“, bot er, sein Blick dabei immer noch freundlich lächelnd auf Liasana gerichtet, aber seine Augen ließen ihr eine unverkennbare Warnung zukommen, dieses Spiel nicht zu weit zu treiben. Sie würde verlieren. So oder so. Daran ließ er keinen Zweifel offen. Denn er hatte sein Wort gegeben und er würde es halten. Selbst für sehr viel mehr als 100.000 Dollar. Mit einem unangemessen zufriedenen Lächeln nickte sie ihm verstehend zu und ließ den inzwischen schwitzenden Preisrichter bis drei zählen, ohne es noch einmal zu wagen, eine neue Summe zu setzen. Endlich war ihm der Tanz mit Emma sicher. In aller Ruhe, ohne dem Gemurmel und den Blicken der anwesenden Gäste auch nur einen Deut an Aufmerksamkeit zu schenken, zog Cayden sein Scheckbuch aus seiner Jackentasche, stellte den Scheck über 100.000 Dollar für wohltätige Zwecke aus und ging damit zur Bühne hinüber, um ihn dem Veranstalter zu geben, danach ergriff er die Hand der Ersteigerten und führte sie zu ihrem Tisch zurück. Er hatte sein Wort gehalten.   Emma schien abwechselnd in kalten und heißen Wellen von Nervosität zu baden, während sie auf der Bühne stand und dabei zusah, wie eine Frau nach der Anderen 'versteigert' wurde. Für Manche von ihnen wurden wirklich mehrere tausend Dollar geboten. Summen, die natürlich an den guten Zweck gingen, Emma aber trotzdem riesig erschienen. Immer wieder musste sie sich daran erinnern, dass das hier alles reiche Menschen waren. Die juckten 10.000 Dollar vermutlich so wenig, wie sie selbst ein 10er. Was es aber nicht leichter machte, sich das bewusst zu machen. Eine Dame, die vorhin bei dem Selfmade-Millionär gestanden und ihm schöne Augen gemacht hatte, warf gerade einen Luftkuss in die Menge und erhöhte damit die Gebote sogar noch einmal in höher stelligere Bereiche. Emmas Blick huschte zu ihrer Linken, von wo die Damen bis jetzt immer gekommen waren und zählte die Runden, die sie noch hinter sich zu bringen hatte, bevor sie endlich an der Reihe und alles vorbei sein würde. Noch fünf, dann vier ... „Und nun möchte ich die bezaubernde Lady in Grün nach vorne bitten.“ Bloß zur Sicherheit sah Emma sich unter den Anderen um. Aber keine außer ihr selbst trug grün und vermutlich war sie auch die Einzige, deren Name nicht allen Anwesenden im Publikum bekannt war. Oh Gott, sie wollte nicht! Die paar Schritte bis neben den moderierenden Herren, überlegte Emma sich, auf welches kleine Eiland sie ziehen müsste, wenn sie jetzt stolperte und hinfiel. Sie hatte das Gefühl vor Nervosität so stark zu schwitzen, dass sie im Scheinwerferlicht glänzen musste. Bestimmt würde niemand etwas für sie bieten! Was wiederum hieß, dass Mr. Calmaro günstig davon kam und sie schnell von dieser Bühne herunter konnte. Bitte ... „150 Dollar. 200 Dollar. 250 Dollar …“ Sie boten. Sie boten tatsächlich! Emmas Lächeln wurde etwas weniger verkrampft, auch wenn das Gleiche leider nicht für den Rest ihres Körpers galt. Ihre Augen konnten dem Geschehen nicht folgen, weil sie von den Scheinwerfern ziemlich geblendet wurde, aber die Gebote gingen im Publikum ziemlich schnell hin und her. Bis sie bei einem Betrag angekommen waren, der Emma überraschte und sie sogar ziemlich stolz machte. Fast 3000 Dollar, das konnte sich sehen lassen. Sie warf dem Moderator einen Blick zu und erntete ein Lächeln, während er schon herunter zählte. „3000 Dollar.“ Es wurde still. Die klingende, leise Stimme hatte sich wie ein winziges, aber deutlich hörbares Läuten durch den Raum geschnitten und erwischte wohl nicht nur Emma überraschend. Alles schien einen Moment zu verharren, bis Mr. Calmaros Stimme gleich einen Tausender draufsetzte. Emma zuckte innerlich zusammen. Nein, ist schon gut. Als die Gebote der beiden in ein Gefecht überzugehen drohten, hätte Emma am liebsten eingegriffen. Sie fühlte sich absolut nicht wohl in ihrer Haut und hatte das Gefühl unter den heißen Scheinwerfern Feuer fangen zu müssen. „48.000 Dollar.“ Genug! Emmas Finger zitterten leicht und sie konnte gar nicht glauben, was gerade passiert war, als Calmaro zum dritten Mal an diesem Abend ihre Hand nahm und sie von der Bühne geleitete. Interessierte Blicke ruhten auf ihr und auch andere Mienen, die sie nicht deuten konnte. Aber sie prickelten unangenehm auf ihrer Haut und zwangen Emmas Blick auf den Boden. 100.000 Dollar. Scheiße. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)