Trust me von Flordelis (Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 12: Nachts im Park -------------------------- „Es war Zetsu Akatsuki, der meinte, er hat mal eine der Leichen gesehen.“ Obwohl ich es gern getan hätte, blieb mir an diesem Abend keine Gelegenheit mehr, Zetsu aufzusuchen, um ihn danach zu fragen, ob es stimmte. Außerdem hätte ich auch gar nicht gewusst, wo ich ihn suchen oder wie ich mit ihm Kontakt aufnehmen sollte. Und ich würde sicher keinen der anderen danach fragen, es gab schon genug Gerüchte über ihn und mich. Also müsste ich mich gedulden. Statt aber einfach schlafen zu gehen, suchte ich in dieser Nacht den Park auf. Noch einmal wollte ich nicht zulassen, dass ein Mensch sterben musste, nur weil ich mich geweigert hatte, gegen diese Lakaien zu kämpfen. Der Park war vollkommen verlassen. Es gab nicht einmal Insekten, die im Schein der Straßenlampen ihre Runden zogen. Zuerst dachte ich, das wäre nur bei der einen so, aber ich kam an einigen hell leuchtenden Lampen vorbei und nirgends waren irgendwelche Insekten. Nicht einmal die Geräusche, die sie verursachten, war zu hören. Als hielten sie sich instinktiv von diesem Ort fern. Etwas, das ich auch lieber getan hätte. Nicht aus Angst, sondern nur um Problemen zu entgehen. Aber wenn dafür das Leben anderer auf dem Spiel stand … „Du bist eine wirklich verantwortungsbewusste Person.“ Isolde musste irgendwann neben mir aufgetaucht sein. Diesmal konnte ich meine Überraschung aber gut verbergen. „Du bist hier in einem fremden Land, bei lauter Leuten, die du kaum ein paar Tage kennst. Es gibt keinen Grund, dich irgendeinem von ihnen verpflichtet zu fühlen.“ „Darum geht es auch nicht. Wenn ich den Tod irgendeiner Person verhindern kann, dann muss ich es tun. Es ist wie eine Pflicht.“ Ich legte eine Hand auf mein Herz. „Zumindest fühlt es sich so an.“ Ein tiefgreifendes Bedürfnis, Menschen zu retten, die mich vielleicht genau so wenig mochten wie ich sie. Klang das wie etwas, das sich ein Therapeut ansehen sollte? „Das passt zu deinem früheren Leben“, sagte Isolde. „Du warst-“ „Das interessiert mich nicht. Ich lebe in dieser Zeit, warum sollte ich mir da anhören wollen, was ich irgendwann irgendwo einmal gemacht habe?“ Darauf sagte Isolde nichts mehr. Wir erreichten den tiefsten Punkt des Parks, ohne irgendjemandem begegnet zu sein. Es kam mir vor als hielte sich gerade in dieser Nacht alles von diesem Ort fern. Als ob etwas oder jemand mich zu ärgern versuchte. Und ich hasste es, geärgert zu werden. In der Mitte des Parks war ein kleiner Schrein aufgebaut, der Zugang zu ihm war durch ein Tau, an dem Zickzack-Papier hing, abgegrenzt. Bevor ich nach Japan gekommen war, hatte man mir beigebracht, diese Seile – die Shimenawa – zu respektieren. Ihre genaue Bedeutung entfiel mir im Moment, aber ich hielt mich daran und kam dem Tau nicht zu nahe. Der Schrein dahinter war ohnehin verwittert und zu klein als dass sich jemand darin verbergen könnte. Also war er für mich gerade absolut unwichtig. „Sind überhaupt Feinde da?“, fragte ich Isolde. „Wir sind niemandem begegnet.“ Sie ließ sorgfältig ihren Blick schweifen, ihre Stirn war leicht gerunzelt, aber auch sie schien niemanden wahrnehmen zu können. Was mich nur umso erpichter auf einen Feind machte, denn ich wollte diese Nacht nicht umsonst hier draußen herumgelaufen sein. Schließlich zuckte Isolde mit den Schultern. „Es ist schwer zu sagen. Manchmal fühlt es sich an, als wäre da etwas, aber dann kommen da Differenzen dazwischen ...“ „Was für Differenzen?“ „Ich bin mir nicht sicher.“ Sollte mir das vielleicht Sorgen machen? Ich war nicht gewohnt, in einer solchen Situation zu sein, noch weniger in einer, in der solche Ungereimtheiten im Spiel waren, die sogar Isolde nervös zu machen schienen. Ich bezweifelte stark, dass mir Instinkte oder ein allein handelndes Schwert dabei helfen könnten, so etwas zu überwinden. Isolde legte zwei Zeige- und Mittelfinger an eine Schläfe, sah sich noch einmal um und fixierte dann eine bestimmte Richtung. Es war der Weg, den wir zuletzt genommen hatten. Dort war uns aber auf dem Rundgang nichts aufgefallen. Ich starrte dennoch mit ihr dort hinunter und wartete darauf, dass etwas geschah. Jenseits der von den Lampen geworfenen Lichtkegel herrschte Dunkelheit, deren schwarze Intensität alles übertraf, was mir jemals begegnet war. Nur vereinzelt konnte ich Blätter an Gebüschen oder Bäumen ausmachen, leises Knacken schob ich einfach auf wilde Tiere, die gerade umherstreunten. Nach und nach verlor die Finsternis ihren Schrecken und ich fragte mich, wie lächerlich wir gerade aussehen mussten – oder eher nur ich, da Isolde nicht für jeden sichtbar war. Ich öffnete gerade den Mund, um ihr zu sagen, dass ich zurückgehen wollte – da durchfuhr mich ein eisiges Schaudern. Sofort rieb ich mir die frierenden Arme, aber die Kälte kam tief aus meinem Inneren, deswegen brachte es nicht viel. „Was ist das, Isolde?“ Sie antwortete nicht. „Isolde?“ Allein beim Gedanken, allein in dieser Kälte sein zu müssen, schnürte sich meine Kehle zusammen, weswegen meine Worte viel leiser wurden als angedacht. Ich wandte meinen Blick in ihre Richtung – aber sie stand nicht mehr dort. Verwirrt sah ich mich weiter um, aber ich konnte sie nicht mehr entdecken. Selbst das Gefühl, mit ihr verbunden zu sein, war plötzlich fort. Mein Kopf gehörte wieder ganz mir, und obwohl mich das eigentlich freuen sollte, fütterte es in diesem Moment nur meine Furcht. Der plötzlich aufziehende weiße Nebel, der die Kälte begleitete und nach Schnee roch, trug ebenfalls dazu bei. Ich spürte, dass etwas abgrundtief Böses in meiner Nähe war, die Finger nach mir ausstreckte und … Ich schüttelte heftig meinen Kopf, um wieder klar zu werden. Es half nicht viel, aber die Angst trat erst einmal in den Hintergrund. Ich griff nach meinem Handy, wollte die Nachricht öffnen, um mein Shinken hervorzuholen – doch der Bildschirm zeigte nur Rauschen. „Das darf doch nicht wahr sein!“ Mein Flüstern war heiser, obwohl ich alles an Wut hineinlegte, was ich unter der Furcht finden konnte. Mich zu verteidigen konnte ich vergessen, also blieb mir nur eine Wahl: Ich musste fliehen! Da ich mir nicht sicher war, in welcher Richtung sich das Wohnheim befand, suchte ich mir einfach einen Weg aus und rannte los. Meine Schritte hallten lauter als normal im Park wider, mein Blut rauschte in meinen Ohren. Die Lampen, unter denen ich lief, zersprangen mit einem überraschend leisen Geräusch, gaben klirrend unter der Kälte nach, spornten mich damit an, noch schneller zu rennen. Der Nebel und die Kälte ließen nicht nach, auch nicht als ich wegen der Anstrengung zu schwitzen begann. Es war als gefror jeder Tropfen sofort zu Eis, der sich an meiner Haut festbiss und dann schmerzhaft abplatzte. Ich war für einen kurzen Moment überzeugt, zu bluten, doch als ich mit der Hand über mein Gesicht strich, war die Flüssigkeit klar. An einer Weggabelung hielt ich wieder inne. Schwer atmend blickte ich zwischen beiden Optionen hin und her, aber sie waren mir absolut fremd und schienen mir gerade lediglich in ein Verderben zu führen, das ich für heute nicht geplant hatte. Ich fluchte leise – und auf Englisch – während die Kälte immer tiefer in meine Glieder zu kriechen schien. Inzwischen konnte ich den Schnee sogar schon auf meiner Zunge schmecken. Plötzlich kam es mir wie eine gute Idee vor, mich einfach hinzulegen und auf das Ende zu warten, hier, auf diesem Weg. Es wäre mir sogar einleuchtend erschienen – wenn sich damit nicht auch jede Menge Probleme eröffnet hätten. Zum einen war ich in einem vollkommen fremden Land, in das ich gekommen war, um mich zu ändern. Sicher, es war nicht meine dumme Idee gewesen, aber das hieß noch lange nicht, dass ich einfach aufgeben würde. Zum anderen gehörte aufgeben einfach nicht zu meinem Charakter. Daraus war schließlich die ein oder andere Prügelei überhaupt erst erwachsen; ich war nicht weggegangen, wenn andere an meiner Stelle aufgegeben hätten, sondern war zum Angriff übergegangen. Und dann war da noch die Tatsache, dass ich noch nie auch nur in Erwägung gezogen hatte, sterben zu wollen – und in diesem Park wollte ich ganz bestimmt nicht damit anfangen. Ich spürte immer noch Furcht in meinem Inneren, doch mein Wille zu überleben verbannte sie in eine kleine Ecke, in der sie mich nicht stören könnte. Kampfeslustig sah ich mich nach jedem um, der es mit mir aufnehmen wollte. Abgesehen von Dunkelheit und Nebel war nichts zu entdecken, aber dafür war der Sterbegedanke endlich verschwunden. Ich fragte mich, ob ich meine Flucht so vielleicht endlich fortsetzen könnte. Oder ob zumindest mein Handy wieder funktionierte. Doch gerade als ich danach griff, hörte ich ein Rauschen. Ein blendender Blitz erhellte den Park für den Bruchteil einer Sekunde, ehe er wieder in Dunkelheit getaucht war – und einen Wimpernschlag später waren die Kälte und der Nebel verschwunden, und die Straßenlampen brannten wieder. Ich blinzelte ungläubig, wandte den Kopf hin und her, aber es schien wirklich wieder alles beim Alten zu sein. Ganz so, wie es vor diesem plötzlichen Wechsel gekommen war. Selbst das Gefühl der Boshaftigkeit war verschwunden. „Was war das?“, fragte ich leise. „Was war was?“ Ich zuckte zusammen und wirbelte sofort herum. Isolde stand vor mir und sah mich mit geneigtem Kopf an. „Alles okay, Leana?“ „Hast du das eben nicht mitbekommen?“ Ich wollte nicht glauben, dass ich die einzige war, die davon etwas bemerkt hatte. Doch sie schüttelte mit dem Kopf – nur um sich dann auch skeptisch umzusehen. „Ich weiß nur, dass wir gerade noch nicht hier gestanden haben.“ Es gab hier keinerlei Schrein, daher musste ihr das auffallen. Aber ihr war offenbar nichts aufgefallen, denn sie schüttelte plötzlich mit dem Kopf. „Wie sind wir denn hierhergekommen?“ Statt ihr alles zu erklären, was ohnehin zu lange gedauert hätte, rief ich mir die Ereignisse einfach nur ins Gedächtnis. Sie schloss die Augen, schien sich darauf zu konzentrieren, und nickte schließlich. „Verstehe.“ „Ich dagegen verstehe gar nichts. Was war das denn?“ „Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen“, wehrte sie ab. „Ich muss erst noch einige andere Sachen wissen. Dafür wäre es wirklich gut, wenn du Zetsu einmal nach dieser Leiche fragen könntest.“ Unwillig verzog ich mein Gesicht. Mir war nicht wirklich danach, mich mit diesem Kerl zu unterhalten. „Okay, mache ich, sobald ich ihn das nächste Mal sehe.“ Plötzlich grinste Isolde zufrieden. „Das wird nicht lange dauern.“ Ich runzelte die Stirn, aber sie sah bereits direkt an mir vorbei. Ich folgte ihrem Blick – und wünschte mir, mich doch einfach ergeben zu haben, als ich die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Er war noch etwa hundert Meter weit weg, aber es war eindeutig Zetsu, der uns da gerade entgegenspazierte. Ich stöhnte leise, aber um mich zu verstecken, war es nun zu spät. Ich konnte nur hoffen, dass er nichts von meinem Gespräch mit Isolde mitbekommen hatte. Er schien mich plötzlich ebenfalls zu erkennen, denn er lief nun ein wenig schneller und vor allem zielstrebig auf mich zu, dabei behielt er aber die Hände in den Hosentaschen. „Ah, Vartanian“, sagte er schmunzelnd, als er nah genug bei mir war, „guten Abend. Ich wusste ja gar nicht, dass du dich nachts gern im Park herumtreibst.“ „Dasselbe könnte ich dir auch erwidern.“ An seinem amüsierten Gesichtsausdruck änderte sich nichts. „Oh, es ist nur eine Abkürzung von meinem Abendjob nach Hause.“ Wie viele Jobs hatte dieser Kerl? Seine Augen fixierten etwas hinter mir, eine Schrecksekunde lang glaubte ich, er habe Isolde entdeckt, aber dann konzentrierte er sich doch wieder auf mich, ungebrochen gut gelaunt: „Also, bist du in England auch immer nachts durch Parks gelaufen?“ „Das geht dich nichts an.“ Er lachte, aber es klang hohl, als denke er, lachen zu müssen. „Und was machst du dann hier in diesem Park? Du weißt doch sicher, dass er gefährlich ist.“ „Ich konnte nicht schlafen“, erwiderte ich. „Also wollte ich einen Spaziergang machen. Außerdem könnte ich dich dasselbe fragen.“ Er deutete ein Schulterzucken an. „Ich mache mir da keine Sorgen. Viel zu verlieren habe ich ohnehin nicht.“ „Wie sieht es mit deinem Leben aus?“ „Das habe ich doch gerade schon gesagt.“ Er lächelte immer noch, aber es kam mir nun wesentlich freudloser vor, fast schon … traurig. Ich erinnerte mich wieder an den Streit am Telefon, bei dem ich ihn belauscht hatte. War die Person am anderen Ende einer der Gründe, wegen denen er seinem Leben nicht mehr viel Bedeutung beimaß? Er sah in eine andere Richtung und nickte mit dem Kopf dorthin. „Soll ich dich vielleicht zum Ausgang begleiten? Oder willst du weiter durch die Gegend spazieren?“ Ich wusste nicht, wo von meiner aktuellen Position aus der Ausgang war, außerdem bestand Isolde darauf, dass ich ihn nach der Leiche fragte – selbst während dieses Gesprächs schickte sie mir diese Aufforderung immer wieder in meine Gedanken – deswegen gab ich seufzend nach. „Fein, wir können gemeinsam zum Ausgang gehen. Das ist dann aber auch alles, kapiert?“ Spöttisch verneigte er sich in einer übertriebenen Geste vor mir. „Ganz wie Ihr wünscht, Lady Vartanian.“ Etwas an diesen Worten fühlte sich seltsam vertraut an, aber ich wollte nicht darüber nachdenken. Ich schüttelte diesen Gedanken ab, und setzte mich stattdessen in Bewegung, worauf er mir direkt folgte und zu mir aufschloss. „Weißt du“, begann er plötzlich, „es ist eigentlich richtig schön nachts im Park. Wenn man von diesen ganzen Leichen und seltsamen Lichtern absieht.“ „Ist wohl Ansichtssache“, erwiderte ich. „Aber wenn wir schon von Leichen reden ...“ Er lachte freudlos. „Hat dir jemand erzählt, dass ich eine von ihnen gesehen habe?“ „W-woher weißt du das?“ „Das wollen die meisten von mir wissen. Außerdem wüsste ich nicht, warum du sonst mit mir über Leichen reden wollen würdest. Außer du willst mir gestehen, dass du nekrophil bist.“ Er zwinkerte mir zu. Ich verzog das Gesicht. „Nein, sicher nicht. Mir geht es wirklich auch um deine Beobachtung.“ „Was willst du wissen?“ Gab es so viele verschiedene Dinge, die man in einem solchen Fall fragen könnte? „Wie sah die Leiche aus?“ Er runzelte seine Stirn. „Was? Denkst du, ich habe sie mir genau angesehen und eingeprägt, bevor ich die Polizei angerufen habe? Ich weiß nur noch, dass sie rothaarig war. An mehr erinnere ich mich nicht mehr.“ Das half mir nicht weiter, diese Information hatte ich bereits. Ich war davon ausgegangen, dass er sich durch den Schock alles gemerkt hatte, aber offenbar nicht. Der Weg vor uns weitete sich, der Pfad kam mir endlich bekannt vor, wir befanden uns kurz vor dem Ausgang, der in der Nähe des Wohnheims war. Aber wir waren nicht allein. Zetsu wurde ein wenig blass, als er seinen Blick auf das konzentrierte, was vor uns auf dem Weg lag. Ich sah ebenfalls hinüber und spürte einen eisigen Klumpen in meinem Inneren. Eine leblose Frau lag dort zusammengekrümmt als hätte man sie einfach weggeworfen und dann vergessen. Das rote Haar verdeckte ihr Gesicht, die braune freizügige Kleidung passte eher in ein fantastisches Setting statt in eine japanische Stadt. Das Blut rauschte wieder durch meine Ohren. Zetsu deutete auf sie, sein Finger zitterte ein wenig. „Sie sah … etwa so aus wie diese Leiche.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)