Kalt wie der Winter von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 1: Stimmungskiller -------------------------- Ob es nur stark regnete oder man das Ganze schon als Hagelschauer bezeichnen konnte, war Tek nicht ganz klar, aber seiner Meinung nach machte es auch keinen besonders großen Unterschied. Es stand nämlich fest, dass er fror, auf übelste Art und Weise, seine Schuhe langsam aber sicher immer stärker durchweichten und seine Laune alle fünf Minuten noch ein wenig mehr in Richtung Nullpunkt sank. Er hätte es ahnen müssen, schon im ersten Augenblick, als er JC den Vorschlag unterbreitet hatte, gemeinsam den Weihnachtsmarkt zu besuchen, und sein Freund ihn mit einem Blick angesehen hatte, als zweifelte er nun endgültig an Teks geistigen Fähigkeiten. Das anschließende „Wie gay ist das denn? Find mal jemand anderen, der auf so eine Scheiße steht“ hätte ihm eigentlich verraten müssen, dass er es wirklich vergessen und sich jemand anderes, kooperativeres hätte suchen müssen. Jemand, der nicht schon bei der Vorstellung, mit ihm auf einem Weihnachtsmarkt nur einen harmlosen Glühwein trinken zu gehen, schon einen Grund für andere Personen witterte, sich über sie beide lustig zu machen. JC legte manchmal zu viel Wert auf seinen Ruf als kompletter Vollidiot. Stattdessen hätte Tek ein weibliches Wesen um diesen Gefallen bitten sollen, die rissen sich gerne darum, von Stand zu Stand zu schlendern, ausgiebig die Auslagen zu betrachten und alles schön und toll zu finden. Bei JC war das leider nicht der Fall, wie Tek es auf ein Neues festgestellt hatte; aber wenigstens absagen hätte er können, wozu hatte sich sein Kumpel erst vor drei Wochen ein Handy der neusten Generation zugelegt, mit dem man schon fast Kaffee kochen und Kinder zeugen konnte? Bestimmt nicht nur zum Angeben, obwohl Tek vermutete, dass das auch ein Faktor gewesen war, weswegen JC sein halbes Taschengeld für dieses Stück elektronischen Alptraum hingeblättert hatte. Frustriert holte er sein eigenes, deutlich älteres Gerät aus der Hosentasche, wählte die ihm inzwischen so bekannte Handynummer und brummte missmutig, als ihm die monotone Stimme der Mailboxfrau verkündete, dass er soeben umsonst zehn Cent verschwendet hatte. Warum zum Henker stellte JC auch sein Handy aus? Noch ein Zeichen seiner null Bock Stimmung? Tek fühlte sich absolut idiotisch, da er seit einer knappen Stunde auf ein und demselben Fleck direkt vor dem Markt stand und auf den Kerl wartete, der es nicht einmal für nötig hielt, sich bei ihm zu melden. Zwar war er es gewohnt, dass JC sich nicht unbedingt vorbildlich in zwischenmenschlichen Dingen verhielt und auch öfter Termine ganz zufällig vergaß, wenn sie für ihn nicht relevant schienen, aber das ärgerte ihn momentan extrem. Zum Affen machte er sich nicht für ihn, egal wie lange sie sich kannten und wie viel sie miteinander erlebt hatten, da konnte JC sich wirklich einen anderen Volltrottel suchen, der diese Rolle mit Freuden übernahm. Wütend verstaute Tek sein Handy wieder dort, wo er es hergezaubert hatte, vergrub die halbtoten Finger tief in seinen Jackentaschen und begann endlich, den Markt abzulaufen, weswegen er überhaupt hergekommen war. Zurück nach Hause ging er nicht, das wäre noch dümmer als das ewige Warten gewesen. In ein paar Wochen fand Weihnachten statt, vielleicht fand er hier eine Kleinigkeit, die er seinen Eltern oder seiner Schwester schenken konnte, da er nie so genau wusste, mit was er sie überraschen sollte. Zum dritten Mal hintereinander Dunja ein Armband aus Silber zu kaufen wäre fast genauso unverschämt wie seinen Großeltern in einer Karte zu erklären, dass ihm nichts eingefallen war und er sie deshalb dieses Jahr ausgelassen hatte. Ob er sein Geld an JC verschwendete oder ihn mit einer Packung Taschentücher aus der Schreibtischschublade beglückte, hing ganz vom Verhalten seines Freundes ab, denn wenn er weiterhin so unmöglich mit ihm umsprang und sein Hirn ausschaltete, reichte es nicht einmal mehr für ein zusammengeknäultes Stück Papier, das er ihm unter den Tannenbaum warf. JC konnte so unglaublich froh sein, dass Tek nicht so nachtragend war, wie er es so gerne wäre, sonst hätte er ihm schon längst einmal die Meinung über seine spontanen Dummheiten mitgeteilt. Langsam taute Tek auf und er konnte den Gang über den belebten Platz genießen; er mochte Weihnachtsmärkte wirklich gern, durch sie kam er meistens erst überhaupt in Stimmung für Weihnachten. Ansonsten hatte er selbst mit einem geschmückten Baum und Fetzen von zerrissenem Papier vor seinem Gesicht keinerlei weihnachtlichen Gefühle, während um ihn herum Dunja ein Lied nach dem anderen trällerte – bevorzugt Leise rieselt der Schnee in jeglicher Tonart – und seine Mutter ihm fast mit Gewalt Spekulatius aufzwingen musste. Nein, ohne dieses saisonale Ritual, den Weihnachtsmarkt unsicher zu machen, hätte Tek auch die letzte Woche des Jahres komplett verschlafen können, die Wirkung wäre ungefähr dieselbe gewesen. Aus irgendeiner Ecke eines Standes lockte ihn der Geruch von Glühwein und Schokoplätzchen, die ihm praktisch zuschrien, sie sofort in Massen zu kaufen und zu essen, was er auch getan hätte, wenn JC und sein dämliches Benehmen ihm nicht den Appetit verdorben hätte. Das nächste Mal fragte er lieber seine Oma, auf die war mehr Verlass. „Tek, bist du das?“, hörte er eine Stimme hinter sich rufen; zu hoch und hell für einen Jungen, also hatten sich gewissen Personen nicht spontan zum Kommen bekehren lassen. Wäre auch zu schön gewesen. Als er sich umdrehte, stand hinter ihm Cassia, eine seiner unzähligen Mitschülerinnen, die kaum unterdrücken konnte, wie sehr sie sich freute, dass sie mit ihrer Vermutung Recht gehabt hatte. „Sieht so aus.“ Er musterte sie genau; sie war deutlich schlauer als er gewesen und hatte Handschuhe, einen Schal und ihre anscheinend neuen, blauen Stiefel im Kampf gegen das Wetter angelegt. Ihre Haare trug sie offen, wie üblich. Wie eigentlich alle aus seiner Klasse, wie ihm zum tausendsten Mal auffiel. Und sie strahlte wie ein radioaktives Glühwürmchen, wie immer, wenn sie vor ihm stand und sich mit ihm unterhielt. Aber es war ein ehrliches Lächeln, nur etwas extrem übertrieben für seinen Geschmack. „Bist du allein?“ Für sie erschien das kaum möglich, da sie Tek in der Schule sonst nur in der Gegenwart von JC antraf. „Ja, schon. Muss auch mal sein.“ Er musste ihr nicht auf die Nase binden, dreist versetzt worden zu sein. Im Stillen hoffte er nämlich, dass diese Pappnase eines Freundes noch auftauchte. Er hatte nämlich eigentlich keine Lust, mit JC wegen geplatzten Treffen herumzuzanken, aber alles ließ er wirklich nicht mit sich machen, so weit kam es noch. „Hast du was dagegen, wenn wir uns den Markt zusammen ansehen? Macht sicher mehr Spaß als allein.“ Entweder ein Wink mit dem Zaunpfahl oder er las darin schon wieder zu viel, aber sei es drum, Tek konnte auch später noch stundenlang alleine herumsitzen und sich langweilen, da nahm er das Angebot lieber an. Nach mindestens zwei Stunden hatte er dann endgültig kein Geld mehr, was er ausgeben konnte, zu viel Lebkuchen und Zimtsternpackungen hatten den Weg in seine Taschen gefunden; etwas zu überstürzt verabschiedete er sich von Cassia und stapfte in Richtung zuhause. Erst jetzt wurde ihm schmerzhaft bewusst auf, dass er seine Fingerspitzen und Fußzehen nicht mehr spürte. Er ließ sich von diesem Meer an Süßigkeiten, Holzfigürchen und Glitzerschmuck jedes Jahr zu sehr in den Bann ziehen. Nachher würde es sehr unangenehm werden, wenn er ins Warme kam, aber da musste er durch. „Tek, wo warst du?“ Dunja öffnete ihm die Tür, bevor er auch nur klingeln konnte. Sie und ihr ewiger Tick, von ihrem Fenster den Nachbarn nachzuspionieren. „Du hättest auch mal was sagen können, wenn du weg gehst. Was hast du gekauft? Kann ich mal sehen?“ Sie merkte schon gar nicht mehr, dass sie mal wieder kurz davor stand, einen Dialog mit sich und der Luft zu führen, weil sie ihn gar nicht ausreden lassen wollte. „Nein, später.“ Mit ihrer penetranten Neugier entdeckte sie ständig ihre Geschenke, bevor man sie in den Tiefen des Kleiderschranks verstecken konnte und dann beschwerte sie sich darüber, dass man sich gar keine Mühe gegeben hatte, es für sie geheim zu halten; Dunja war gerne anstrengender als jedes kleine Kind, das Tek je über den Weg gelaufen war. „Finger weg von meiner Tüte!“ Und vor allem hörte sie aus Prinzip nicht auf das, was er sagte. Stattdessen hatte sie ihm schon seine Einkäufe aus der Hand gerissen und forschte kritisch in den Weiten der Weihnachtsgeschenke herum. Es fehlten nur noch die Lupe und der Notizblock zum Mitschreiben ihrer Erkenntnisse. „Ist das für Mum und Dad?“, fragte sie gespannt und hielt einen kleinen Tonengel mit weißen Flügeln und dekorativen Goldsternen auf dem Kleid hoch. „Ja, und jetzt lass mein Zeug in Ruhe.“ Woher hatte sie das Talent, ihre Geschenke immer als erste zu finden? Das nächste Mal klebte er gleich Schilder mit Namen drauf, das ersparte ihr die dumme Fragerei und ihm jede Menge Erklärungen. Als er sich endlich in sein Zimmer gerettet und vorsichtshalber die Tür abgeschlossen hatte, seufzte er erleichtert auf. Manchmal zweifelte er, wer hier älter war, er oder Dunja. So wie sie sich aufführte, durfte sie sich nicht wundern, wenn alle ihn für den großen Bruder hielten. Wenn man dann auch noch einen Kopf größer war, wurde der Verdacht erneut bestätigt. Nun hatte er die freie Wahl, ob er zuerst sein Dasein als lebender Eiszapfen beendete oder es ein letztes Mal bei JC probierte, um ihn mitzuteilen, dass er es sich mal wieder großartig mit ihm verscherzt hatte. Noch öfter rief er nicht bei ihm an, die Stimme der Mailboxtussi ging ihm dafür ein wenig zu sehr auf die Nerven. Schließlich beschloss er, das Angenehme mit dem Notwendigen zu kombinieren, weswegen er sich in seine Decke einwickelte, an die Heizung setze und sein Handy in die Hand nahm. Nein, er beließ es lieber bei einer SMS, die JC mitteilte, was für ein ignoranter Trottel er war, nur schöner umschrieben, und versuchte, sich nicht weiter darüber zu ärgern. JC war einfach manchmal dumm wie ein Schokoriegel, da konnte er nichts daran ändern. Er sollte seine Energie lieber daran verschwenden, sich einen Kakao zu machen, selbst wenn dann wieder die Gefahr bestand, von einer wahnsinnigen Schwester mit Detektivkomplex gelöchert zu werden. Es interessierte sie immer brennend, was er in seiner Freizeit so trieb, vor allem wenn sie der Verdachte beschlich, es könnte etwas höchst Skandalöses dahinter stecken. Für ihren Geschmack benahm sich ihr Bruder zu zivilisiert, an JC hätte sie größeren Gefallen, aber der hasste sie regelrecht, deshalb bespitzelte sie lieber Tek auf Schritt und Tritt. Gut, dass sie nie erfahren würde, dass er zufällig Cassia vorhin getroffen hatte, sonst hätte er den ganzen Abend keine Ruhe mehr vor ihr und ihren dämlichen Theorien. Kapitel 2: Alienkumpel ---------------------- JC rief ihn nicht zurück, kam nicht bei ihm daheim vorbei und zeigte auch sonst nicht, dass er noch am Leben war. Nicht mal im ICQ geisterte er als Abwesender, aber trotzdem nicht offline herum. Tek beschlich der seltsame Verdacht, dass sich da jemand wirklich in Luft aufgelöst haben könnte. War JC spontan mit seinen Eltern weggefahren? Das hätte er ihm erzählt; nicht, damit sich Tek keine Sorgen machte, sondern lediglich, um sich bei ihm über diese Tatsache auszukotzen. JC fand seine Eltern fast genauso schrecklich wie Dunja. Irgendwann hatte Tek absolut keine Lust mehr, sich Gedanken um seinen ziemlich ignoranten Kumpel zu machen, und beschloss, sich sein restliches Wochenende nicht verderben zu lassen. Es gab so viel Ätzendes auf der Welt, das ihm gerne die Laune verdarb, da ließ er sich nicht auch noch von gewissen Menschen ohne empathische Fähigkeiten runterziehen. Weil Dunja gerade nicht in ihrem Zimmer regierte, sondern mit einer ihrer Freundinnen Christbaumschmuck bastelte, obwohl sie gar keinen Platz mehr am Baum für Pappengel und ähnlichen Krimskrams hatten, schlich er sich in ihren Raum, der im Gegensatz zu seinem nicht in Unordnung und Weltuntergangschaos ertrank, und klaute sich ihre Gitarre. Er mochte das Ding; zwar konnte er nur dann spielen, wenn seine Schwester nicht in der Nähe war, weil sie sonst aus Prinzip nicht ihre Erlaubnis gab, und sein Talent hielt sich extrem in Grenzen, aber das hinderte ihn nicht daran, es immer wieder auszuprobieren und die Spinnen hinter dem Schrank zu unterhalten. Er setzte sich auf den Teppich und begann, ein paar Akkorde zu zupfen; dazu summte er leise mit, Singen war auch keine seiner Stärken. Während er zum dritten Mal Oh Tannenbaum in den Sand setzte, wurde seine Laune wieder etwas besser und er nahm sich vor, JC endlich die Meinung zu sagen, wenn er sich mal wieder dazu herabließ, mit ihm in Kontakt zu treten. Kurz bevor Dunja eigentlich von ihrer kleinen Bastelstunde zurückkehren sollte und ihn dann unsanft vor die Tür setzen würde, verzog sich Tek wieder in seine eigenen vier Wände, von denen man nicht so viel zu Gesicht bekam, weil er sie fast komplett mit anderen Sachen zugehängt hatte oder ein Regal die Sicht versperrte. Hier fühlte er sich wohl, das Durcheinander gehörte sozusagen zu ihm; selbst wenn Jara, seine beste Freundin, wieder anprangerte, dass man für das Aufräumen hier fast Geld bekommen müsste, störte ihn das nicht. Lustigerweise sah es bei Jaras Freund Tjark auch nicht besser aus, was sie ebenfalls regelmäßig auf die Palme brachte. Eigentlich hätte er Jara und Tjark fragen können, ob sie zu dritt auf den Markt hätten gehen können; die beiden waren immerhin seine besten Freunde, er kann sie länger als JC und sie gingen auch seit Jahren mit ihm in eine Klasse. Was ihn aber daran gehindert hatte, war dieser verdammte Pärcheneffekt gewesen; seitdem die zwei seit einigen Monaten zusammen waren, fühlte er sich in ihrer Gegenwart immer ein bisschen wie das fünfte Rad am Wagen – oder im diesen Fall das dritte, das zwar nicht unerwünscht war, aber auch ohne Probleme zuhause bleiben konnte. Das lag nicht einmal daran, dass die beiden es darauf ansetzten, ihn auszugrenzen, das geschah irgendwie unbeabsichtigt. Trotzdem hatte Tek keine Lust darauf, immer hinterher zu trotten und für sich selbst den Alleinunterhalter zu spielen, deswegen beschäftigte er sich seitdem immer öfter mit JC. Und merkte immer mehr, wie unfähig dieser war, sich nicht wie ein Außerirdischer aufzuführen. Umso mehr wunderte es Tek, dass er es immer wieder mit ihm aushielt und sich sogar manchmal freute, wenn er mit seinem genervten Ausdruck und absoluter Unmotiviertheit in jedem Knochen vor ihm stand und ihn gerne anpflaumte, dass er endlich mal seine Klappe aufbekommen sollte. Manchmal konnte JC nämlich auch ganz anders sein. Aber nur dann, wenn sie alleine waren, keiner JC mit irgendwelchen Nichtigkeiten auf den Keks ging und er auch bereit dafür war; ansonsten motzte JC alles an, was nicht bei drei auf dem Baum oder vor ihm geflohen war, legte sich mit älteren Mitschülern auf dem Pausenhof an oder beleidigte in einem Satz so gut wie alles und jeden, ohne es überhaupt zu merken. Sozialität wurde hier sehr klein geschrieben. Diesem JC würde Tek gerne mal vors Schienbein treten, bis er sich endlich zusammenriss und auch mal seine andere, unbekannte Seite hervorkramte. Sie kam nur dann zutage, wenn JC mal wieder bei Tek übernachtete; dann benahm er sich zwar immer noch nicht wie die Freundlichkeit in Person, aber er wurde ruhiger und auf eine seltsame Weise anhänglich, sodass es Tek fast gruselte, vor allem wenn sein Kumpel nachts ohne seine ausdrückliche Erlaubnis sich in sein Bett schlich und ihn als Kopfkissen verwendete. Beim ersten Mal hatte Tek ihn gnadenlos rausgeworfen, beim zweiten Mal nur noch leise protestiert und schließlich aufgegeben, weil Widerstand sowieso zwecklos gewesen wäre und er diese Verhalten an JC um Welten besser fand als diese daueraggressive Überheblichkeitsnummer, mit der er sonst permanent konfrontiert wurde. Vor allem hielt JC in den Augenblicken, wenn er seltsam verdreht auf ihm lag und langsam wieder einschlief, einmal die Klappe, wofür man ihm nur dankbar sein konnte. Aus diesem Grund war dieses schräge Ritual für Tek etwas ganz besonderes geworden und er merkte auch jedes Mal, wie wichtig es JC war, der wirklich absolut talentfrei war, sich verbal vernünftig auszudrücken. Das einzige, was Tek weiterhin sehr gewöhnungsbedürftig fand, war die Tatsache, dass JCs Haut sich erschreckend kalt anfühlte, wenn er ihn zivilisiert anfiel, als hätte er die letzten Stunden vor der Tür gehockt statt bei ihm am Schreibtisch. Unfreiwillig schlichen sich bei Tek Assoziationen von Leichen ein, die plötzlich in seinem Bett lagen. Zumindest hatte er das im Halbschlaf krankerweise befürchtet, als sich eine kalte Hand auf seinen Arm gelegt hatte. Gruselstunde pur. Zum Glück änderte sich seine Temperatur mit der Zeit und passte sich seiner eigenen an, sonst hätte er ihn mehr als einmal auf die Matratze neben sich verbannt. Wer schlief auch gerne mit einem kleinen Eisklötzchen in einem Bett, das sich urplötzlich an einem festkrallte und Satzfetzten murmelte? Ja, eindeutig, JC war in jeder Beziehung komisch, anstrengend und eigensinnig, aber Tek störte es höchstens, wenn es direkt gegen ihn gerichtet war. Ansonsten fand er es fast unterhaltsam. Aber auch nur fast. Kapitel 3: Einstiegsgangster ---------------------------- „Also ich glaub nicht, dass die wirklich so dumm sind und da eingestiegen sind. Ganz ehrlich, ich find die ja alle dämlich, aber so blöd muss man erst mal sein!“ „Aber es stimmt, Mann, ich hab die gesehen, ernsthaft. Ich konnte es ja auch erst nicht glauben.“ „Um was geht es? Ich will das wissen!“ „Ich erzähls dir in der Pause, okay?“ „Ihr seid doch bescheuert. Ich wills jetzt hören.“ Das Getuschel aus der letzten Reihe kannte Tek nur zu gut; Montag morgens vor der ersten Stunde musste man sich schließlich immer erst das mitteilen, was man auch schon gestern Abend hätte tun können. Man besaß ja die neusten Kommunikationsmittel nicht zur Zierde, wobei das bei manchen wirklich deutlich besser gewesen wäre, wenn er so mitbekam, was sich da im Internet für Dramen abspielte. Wie immer versuchte er das Gerede zu überhören und zu einem überflüssigen Hintergrundgeräusch verkommen zu lassen; ihn interessierte sowieso nicht, was die da tratschten, meistens kannte er die Leute, die da im Mittelpunkt des Meinungsaustauschs standen, sowieso nicht. Und selbst wenn wäre es nicht wichtig für sein weiteres Leben gewesen, ob jetzt Person A mit Person B am Wochenende angeblich einen Streit angefangen hatte oder ihn endlich beendet hatte. Nein, davon wollte Tek eigentlich aus Prinzip nichts wissen. Als JCs Name fiel, waren alle seine Vorsätze, die er sich angeeignet hatte, über Bord geworfen und Tek lehnte sich nicht besonders unauffällig zurück, um doch noch mitzubekommen, was mit seinem Kumpel in Verbindung gebracht wurde. Immerhin hatte er seit Freitag Nachmittag von ihm nichts mehr gehört, vielleicht war tatsächlich etwas passiert, von dem er mal etwas erfahren müsste, um auf den neusten Stand der Dinge zu kommen. Nachdem er mehr oder weniger erfolgreich die Wort- und Satzfetzen, die er von der Klatschtantenfraktion hinter sich aufgeschnappt hatte, in einen Zusammenhang gesetzt hatte, fragte er sich, ob sie vom selben JC sprachen, der in ihrer Parallelklasse sein Unwesen trieb. JC hatte mal wieder mit seinen tollen Gangsterfreunden abgehangen. Nichts, was Tek freute – er fragte sich, wie solche Leute überhaupt die Tür ihres Hauses fanden –, aber auch nichts völlig Schockierendes. Soweit zum harmlosen Teil. Irgendeiner von den Informanten hier im Raum hatte aber mitbekommen, wie JC mit besagten Personen in ein Haus angestiegen war und dort dezent die Hälfte der Wertgegenstände hatte mitgehen lassen. Das konnte Tek gar nicht glauben, entweder dachte sich da jemand was aus, um sich großartig in den Mittelpunkt zu rücken, oder brauchte dringend eine neue Brille. JC war vielleicht laut, unerzogen und leicht reizbar, wirkte also genau wie seine Deppen, mit denen er unverständlicherweise seine Zeit verschwendete, aber damit endete es schon; er gehörte eher zur Kategorie Hunde, die bellen, beißen nicht. Wenn er drohte, jemanden aufs Maul zu hauen, hätte er das nicht getan, weil er immer noch genau wusste, dass das üble Konsequenzen für ihn haben konnte. Er wäre also auch nicht so dumm, irgendwelchen Menschen die Wohnung leer zu räumen und sich dabei erwischen zu lassen, obwohl er manchmal vor seinen Mitschülern angab, dass er sich das durchaus zutrauen würde. Wie gesagt, JC war kein Assi, er verhielt sich nur wie einer und diese Anschuldigungen, die hier im Raum standen, stören Tek gewaltig, aber er konnte sie nicht ausräumen, weil sich das Ganze genau zu dem Zeitpunkt abgespielt hatte, als JC ihn dumm im Kalten hatte rumstehen lassen. So blieb Tek nichts anderes übrig, als die verschiedenen Theorien über den Vorfall mitzuhören und sich drauf vorzubereiten, JC in der großen Pause auf diese Gerüchte anzusprechen, obwohl er Gefahr lief, deswegen angeraunzt zu werden, weil er den Schwatzsuchtis, wie JC sie immer abfällig bezeichnete, mehr glaubte als ihm. Kaum klingelte es, machte sich Tek auf den Weg, um die Wahrheit höchstpersönlich aus JC herauszukitzeln. Zwar vertraute er ihm, dass er sich trotz schlechtem Einfluss nicht zu solchen Dummheiten überreden ließ, aber das war gerade das Nervige an Gerüchten: Irgendetwas Wahres war meistens an ihnen dran, außer man setzte bewusst völlig verdrehte Tatsachen in die Welt, um anderen zu schaden. Und ehrlich gesagt hätte die hintere Reihe gar keine Grund gehabt, so etwas zu behaupten, vor allem hatte sie JC ja nicht einmal besonders hervorgehoben, sondern über das Einbrechergrüppchen insgesamt geredet. Er sollte nur angeblich ausgiebig dort mitgewirkt haben. JC saß auf seinem Lieblingsplatz; der kleinen Mauer, die die armseligen Blumenbeete der Schule, deren genauer Zweck bis heute im Dunkel lag, vor den übelst bösen Schüler schützen sollte. In einer Hand hielt er seine Wasserflasche, in der anderen einen halb aufgegessenen Apfel. Neben ihm standen zwei Typen aus seiner Klasse, die er ungefähr so gut leiden konnte wie einen Schwarm Feuerquallen in der Badewanne, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie nutzen jede Gelegenheit, um ihn zu provozieren, worauf er sie beleidigte, sie sich mit ihm anlegten und der ganze Terror wieder von vorne begann. Was machten sie also wieder hier? Bestimmt nicht nach seinem Befinden fragen, das ahnte Tek schon, als er noch ein paar Schritte weit entfernt von ihnen war. „Haut ab, ihr Wichser, ich hab keinen Bock auf eure beschissene Anwesenheit“, wetterte JC wie ein Verrückter und wirkte mal wieder wie kurz vor der endgültigen Explosion. „Ach, Gay Sissi, stell dich nicht so an, der Schulhof ist für alle da“, belehrte einer der beiden ihn in gespielt freundlichem Ton, um ihn noch mehr zu reizen. Sein Freund stand daneben und freute sich über ihre ultrabösen Absichten, die sie dank JCs aufbrausender Art auch gut umsetzen konnten. „Nenn mich nicht so, du Hurensohn!“ Und wie erwartet klappte es wie am Schnürchen, Tek seufzte verzweifelt bei so viel Dummheit auf einem Fleck. Wie oft hatte er ihm eingetrichtert, sich von den beiden nicht auf die Palme bringen zu lassen, und wie oft hatte JC diesen gutgemeinten Rat in den Wind geschlagen. „Aber du hältst dich jetzt für verdammt hart, weil du mit deinem Vollpfostenverein andere Leute ausraubst oder was? Willst du Anerkennung oder so? Das verdient man sich ja eigentlich anders, aber dafür bist du zu bescheuert.“ „Halt endlich deine verfickte Klappe, sonst mach ich dich kalt.“ Das Geschrei nahm kein Ende, länger wollte sich Tek das nicht antun; sein guter Geschmack verbat es ihm, solche Schimpftiraden der untersten Kategorie länger als drei Minuten zu ertragen. Außerdem befürchtete er wirklich, dass JC die beiden mit seinem Frühstück bewusstlos schlagen wollte, was er gar nicht gut fand. Es gab schon dieses dumme Gerücht, was sich herumgesprochen hatte, da mussten sich nicht auch noch unschöne Szenen auf dem Schulhof abspielen. „Könnt ihr bitte mal weggehen? Ihr stört.“ Er hatte keine Lust, hier herumzuprollen wie sein Kumpel, das hatte er nun wirklich nicht nötig. „Musst du den Affen wieder verteidigen?“, versuchte Depp Nummer eins sich wieder aufzuplustern, aber als er merkte, dass Tek keine Anstalten machte, sich am Niveaulimbo zu beteiligen, zuckte er etwas enttäuscht und genervt mit den Schultern und trat mit seinem Anhängsel, das nicht mehr grinste, die Flucht an. „Was willst du?“ Abweisend biss JC in seinen Apfel, als wäre dieser an allen Bösartigkeiten des Lebens schuld, und wich nicht sehr geschickt Teks Blicken aus. „Mit dir reden? Oder darf ich das nicht?“ Sonst wurde er dazu genötigt, sich mit JC auszutauschen, weil dieser kein Interesse an Monologen hatte, nur wenn er mal wirklich ein Gespräch anforderte, wurde er behandelt, als beginge er ein Verbrechen an der Menschheit. „Hab kein Bock, kannst wieder gehen.“ „Du bist ein Idiot. Ich will dir helfen.“ Aber irgendwie kam das nie bei JC an, der unterstellte ihm dann nur gerne, ihm auf den Sack gehen zu wollen. „Du weißt schon, dass inzwischen eigentlich alle von deinem Gangstertrip am Wochenende wissen?“ Falls es den überhaupt gegeben hatte und er keine Erfindung von hobbylosen, sensationsgeilen Kindern war, was Tek immer noch hoffte. Wie gesagt, trotz allem war JC nicht unbedingt so, wie er gerne auftrat, er vermutete da mehr Schein als Sein dahinter. Wobei die Beleidigungen mit Sicherheit ernst gemeint waren. „Scheiße, was ist das für ein Abfuck?“ Nun warf JC den Apfel endgültig ins Beet hinter sich; viel fehlte nicht mehr und die Flasche würde folgen. „Welcher Penner hat das rumerzählt?“ „Keine Ahnung, ich habs nur nebenbei gehört. Stimmt das wirklich, dass du da fremden Menschen Laptops und solches Zeug klaust?“ Nicht, dass JC es nötig hätte, zwar schwammen seine Eltern nicht in Geld, aber sie litten auch nicht unter Armut, soweit er das als stiller Betrachter mitbekommen hatte. „Nein, glaubst du, ich bin so blöd und mach das?“ „Nein.“ Aber fragen kostete nichts und wenn er es bestritt, dann glaubte Tek auch daran. „Aber wo warst du am Samstag? Ich weiß ja, dass du keinen Bock hattest, mit mir auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Hättest aber trotzdem mal absagen können.“ Dafür hatte man Handys erfunden, nicht zum Angeben und Pornos runterladen. „Lass mich, okay?“ JC stand ruckartig von der Mauer auf, warf dabei tatsächlich seine Flasche um – das Wasser spitzte Tek theatralisch auf die Schuhe – und ließ ihn einfach ohne ein Wort der Erklärung stehen. Langsam fragte sich Tek, was heute Morgen eigentlich mit allen los war; hatte er etwas verpasst und benahm sich deshalb als einziger noch normal? Er hatte absolut nichts getan, weswegen JC sauer auf ihn sein konnte, er hatte ihm verdammt noch mal nur helfen wollen. Als ob er sich hier zum Spaß in diese unmenschliche Kälte stellte und leere Sätze um sich feuerte. Irgendetwas ging in JC vor, aber Tek hatte gerade absolut kein Verlangen danach, sich darum zu kümmern oder ihm hinterherzulaufen wie einem kleinen Kind. Sollte er seine Probleme und Gerüchte doch alleine klären, wenn er seine Hilfe nicht benötigte. Frustriert über solche Unverschämtheit suchte Tek schnell wieder das warme Klassenzimmer auf, nachdem er sich am Automaten noch einen heißen Kaffee geholt hatte, und beschloss, sich wirklich für einige Zeit von JC zu distanzieren. Er ahnte sowieso, dass dieser Vorsatz nicht lange hielt, aber sein Stolz verlangte es von ihm. Kapitel 4: Fluchtexperte ------------------------ Jara und Tjark bemerkten während des Schultags, dass Teks Laune am untersten Ende der Skala festhing, aber er konnte es heute nicht besonders gut verstecken, vielleicht weil es in letzter Zeit zu oft vorkam, dass JC sich wie die Axt im Walde aufführte und ihn damit doch erheblich verletzte, obwohl Tek das niemals zugeben würde. Einfach, weil es für ihn so absurd klang, von einem unsensiblen Kerl wie JC zu einem gewissen Teil emotional abhängig zu sein. Er wollte das ja nicht einmal, es hatte sich so entwickelt, seitdem er auch die gemäßigte Seite von JC gespürt hatte, die sich nachts im Schlaf an ihn gedrängt hatte, als wäre er eine flauschige Decke. „Tek, komm mal her“, fing ihn Jara nach dem Unterricht vor dem Gebäudeausgang ab. Wenn sie nun nach dem Motto Willst du drüber reden ankam, konnte Tek nicht einmal darüber lachen, weil er tatsächlich mal jemand zum Reden und Auskotzen brauchte, wofür Jara und auch Tjark tendenziell besser geeignet waren als andere. Mit Dunja hätte er nie über seine Probleme sprechen können, die kapierte schließlich nicht einmal, dass er welche haben könnte, sie schnüffelte nur in seinem Privatleben herum. „Irgendetwas ist mir dir.“ Jara sah ihn prüfend an, wie es nur eine beste Freundin konnte. „Komm, wir wollen dir nur helfen.“ Sie wusste, dass er nicht so gerne über solche Themen sprach, deswegen musste man ihn manchmal zu seinem Glück zwingen. „Ich weiß.“ Das war ja das Gute an den beiden, sie sagten das wirklich, weil sie es so meinte, nicht nur, um gut dazustehen. Zu dritt verzogen sie sich in eine Ecke des Flures; Jara und Tjark warteten gespannt, dass Tek endlich mal wieder ihnen ihr Herz ausschüttete, wie er es schon länger nicht getan hatte. Tek wusste gar nicht genau, wo er anfangen sollte; ihm war die Angelegenheit jetzt schon unangenehm, obwohl er sich noch mit keinem Wort dazu geäußert hatte. „Es geht im JC:“ Allein bei der Erwähnung dieses Namens warfen sich Jara und Tjark Blicke zu, als ginge es um den Teufel höchstpersönlich. Auch bei ihnen kam er nicht gut an, ganz und gar nicht. Sie verstanden bis heute nicht, wieso sich Tek auf ihn einließ statt ihm ins Gesicht zu sagen, dass er endlich mal erwachsen werden sollte. „Was hat er jetzt wieder angestellt?“ Man sah Tjark an, dass er wirklich über alles, nur nicht über diesen Menschen mit Tek gesprochen hätte. In der Grundschule waren sie in derselben Klasse gewesen und hatten mehr als nur kleine Streitigkeiten damals gehabt. „Naja… er geht mir aus dem Weg und solche Sachen.“ Es ließ sich so schlecht in Worte fassen, was ihn aufregte, und er ahnte, dass er von den beiden auch nicht besonders viel Unterstützung bekommen würde, selbst wenn sie merkten, wie wichtig es ihm war. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte er JC schon längst aus seinem Gedächtnis gestrichen, aber Tek gehörte nicht zu denen, die für Freundschaften andere Freundschaften wegwarfen, da zog er nicht mit. „Tek, ich weiß, du willst das sicher nicht hören, aber vielleicht ist es ganz sinnvoll, wenn du nicht mehr so viel mit Jo… ich meine, JC zu tun hast. Ich versteh wirklich nicht, wie du es mit ihm aushältst.“ Für Jara schien die Vorstellung, mit JC befreundet zu sein, unvorstellbar, aber Tek konnte es ihr auch nicht unbedingt verübeln, zu ihr und Tjark war JC noch nie besonders nett gewesen, allein wegen seiner und Tjarks früheren Differenzen. „Versuch noch einmal mit ihm zu reden und wenn er dann immer noch blockt, lass ihn erst mal. Vielleicht ist ja doch was an den Gerüchten dran; lass dich da nicht reinziehen, Tek, das wäre echt übel für dich.“ Etwas verhalten nickte Tek; einerseits wusste er, dass seine Freunde nur das Beste für ihn wollten, andererseits ging es ihm immer wieder auf die Nerven, dass JC in ihren Augen ihn aus Prinzip in kriminelle Kreise ziehen musste. „Ich geh dann mal“, unterbrach er die eher mäßig verlaufende Kummerkastenstunde; es wäre wirklich am sinnvollsten, das Problem mit JC direkt zu besprechen und sich nicht bei Jara und Tjark auszuweinen und sie zu zwingen, ihm entgegen ihrer Vernunft gute Ratschläge zu erteilen. Daheim war Tek sich nicht sicher, ob er es wirklich wagen wollte, gleich JC wegen dem Vorfall in der Schule anzusprechen und zu riskieren, ihn noch mehr zu verscheuchen. Aber eigentlich durfte diese komische Phase nicht so ewig lange anhalten; selbst wenn sie sich früher ziemlich heftig gestritten hatten, was hauptsächlich von JC ausging, kam er schon nach zwei Wochen wieder, als wäre nichts gewesen. Das bedeutete, Tek könnte nun vierzehn Tage warten und weihnachtlichen Tee trinken oder von sich aus die Initiative ergreifen. Nein, am besten wartete er erst, zum Schluss war er nämlich der Dumme und darauf verzichtete er gerne; er war geduldig genug, um zumindest heute nicht sofort JC per Telefon zu belästigen. Der würde sowieso nur genervt fragen, was das nun schon wieder für eine schlechte Aktion seinerseits gewesen war. Etwas Freundlicheres bekam er jedenfalls nicht zu hören. Die nächsten Tage verbrachte Tek damit, sich auf Weihnachten vorzubereiten und nebenbei die letzten anstehenden Arbeiten zu meistern; auf seinem Schreibtisch stapelten sich verschiedene Rollen Geschenkpapier, weil er sich nicht entscheiden konnte, welches er benutzen sollte, in der Luft schwebte der letzte schwache Geruch von gegessenen Zimtsternen, Kakaoresten, verteilt auf ein halbes Dutzend Tassen auf der Fensterbank und Plastik. Keine besonders bejubelnswerte Mischung, aber für Teks Zimmer nicht gerade ungewöhnlich. Hier gab es fast nichts, was es nicht gab. Über seinen PC Bildschirm flimmerte im Augenblick irgendeines seiner diversen gewalttätigen Computerspiele, während im Hintergrund unpassend dazu die ewig lange Liste aller existierenden Weihnachtslieder in Dauerschleife lief und Cassia ihn an Telefon dazu überreden wollte, noch einmal mit ihr im Kalten umherzuwandern. „Nein, danke, ich hab schon was vor.“ Nämlich nichts tun; nein, er hatte einfach keine Lust, sich im Kalten die Nase abzufrieren. Vor allem nicht mit ihr. „Bitte, Tek, sonst will keiner mit mir mitgehen… und du gehst doch so gerne auf Weihnachtsmärkte“, versuchte sie an seine gute Seite zu appellieren. „Nein, Cassia, ein andermal.“ Am besten in fünf Jahrzehnten oder so. Was verstand man denn an einer Absage nicht? Sollte er es ihr mit Morsezeichen verdeutlichen? „Schade.“ Sie klang geknickt und es tat ihm ja auch Leid, ihr einen Korb geben zu müssen, aber er hatte gerade wirklich keinen Kopf für Schnee, Eis und Lichterketten. JC hatte sich seit vier Tagen nicht bei ihm blicken lassen; das hörte sich nicht nach viel an und wäre im Normalfall nicht so dramatisch gewesen, aber da gab es dieses gewisse Muster, dass nicht dazu passte. Immer, wenn Tek auch nur in seine Blickweite trat, war JC auf einmal wie vom Erdboden verschwunden, ein klärendes Gespräch in der Pause wäre auch dann nicht möglich, wenn man es darauf angelegt hätte. Irgendwas stimmte da nicht; wenn JC sonst Probleme hatte, floh er nicht vor ihnen, im Gegenteil, er löste sie meistens, indem er die Leute, die das Problem verursachten, auf seine gewohnt einfühlsame Art aufforderte, sich nicht so anzustellen und den Blödsinn sein zu lassen. Von daher wunderte sich Tek von Tag zu Tag mehr über ihn, aber vielleicht stresste ihn auch einfach nur dieses dämliche Gerücht, für das man bis heute keinen handfesten Beweis gefunden hatte, es aber trotzdem weiterhin erörtern musste. Und von JC wie von einem angehenden Kriminellen sprach. Nicht einmal an Weihnachten hatte man seine Ruhe vor unschönen Vorfällen. Tek seufzte; dank dutzender Faktoren war für ihn die Weihnachtszeit für dieses Jahr schon jetzt gelaufen, da half auch kein Nachhelfen mit künstlichen Tannennadel auf dem Schreibtisch. Außerdem musste er sich endlich eingestehen, dass er die Situation ziemlich scheiße fand. JC eingeschlossen. Aber auch irgendwie nicht. Ehrlich gesagt hatte er selbst keine Ahnung, wie er sich gerade fühlen sollte und ob Zocken für ihn wirklich eine gute Ablenkung war. Wohl eher weniger, sonst hätte er deutlich andere Gedanken als die, die momentan sein Gehirn verkleisterten. Aus reiner Verzweiflung packte er sein Steinzeithandy aus und versuchte, seinen Kumpel auf diesem Weg der Kommunikation zu erreichen. Vielleicht passte ihm im Moment einfach nur sein Gesicht nicht und deshalb wich er ihm aus, das konnte ihm hier nicht passieren, mit einer eingebauten Kamera hatte Gott das Ding nicht gesegnet. Er ließ es eine halbe Minute klingeln, ohne dass sich jemand meldete; entweder war JC spontan taub geworden oder er hatte es ihm Aquarium versenkt, er ging nämlich nie ohne seine neuste Errungenschaft weg und es piepte so nervtötend, dass man es gar nicht nicht bemerken konnte. Verdammter Elektromüll mit Lautsprechnern. „Was ist?“ Endlich ein Lebenzeichen vom Verschollenen, wie unerwartet. „Was wohl?“ Das konnte sich doch jeder Vollidiot denken. „Tek?“ Nein, Dunja als Tek getarnt, um die Wahrheit aus ihm herauszuangeln. Niemand von ihnen wusste, was er genau sagen sollte. Awkward silence, na wunderbar, Tek hatte sich die Sache viel einfacher vorgestellt, sonst erklärte JC nämlich immer klipp und klar, was abging, und spielte nicht Friedhof mit Grabesstille. „Wir sollten wirklich mal was klären, JC.“ „Nicht jetzt, okay? Ist gerade alles etwas extrem scheiße.“ Ausnahmsweise knurrte JC nicht wie wild ins Telefon, um ihn zum Auflegen zu bringen. „Meld dich später, Tek.“ „Und wann genau?“ Wenn er nämlich um halb drei in der Nacht anrief, wäre ein paar Straßen weiter der Teufel los und er bald einen Kopf kürzer. „JC, ich mach mich hier nicht für dich zum Depp der Nation.“ Und auch nicht zu seinem Leibeigenen, so abhängig war er nun auch wieder nicht. „Irgendwann später, was weiß ich. Nicht jetzt, Tek.“ Und damit endete das sinnloseste Telefonat, das Tek in seinem ganzen kurzen Leben bis jetzt gehalten hatte. Mal wieder hatte er unnötig Geld an diesen Endlosfreak verschwendet. Kapitel 5: Schweigeordenanhänger -------------------------------- „Ach Tek, jetzt lass dir die Stimmung doch nicht von diesem Typen verderben, das ist echt anstrengend“, kritisierte ihn Jara, während sie in ihrem Geldbeutel nachsah, ob es für sie noch möglich war, eine Schneeflocke aus Glas mitzunehmen, oder ob sie sich diese auf andere Wege beschaffen müsste. Was sie natürlich nie tun würde, Jara traute sich solche Aktionen gar nicht. Tek hatte es tatsächlich gewagt, trotz besseren Wissens die beiden zum Weihnachtsmarkt zu schleppen, um wenigstens jemanden um sich zu haben, der ihn nicht konsequent wie Luft behandelte. Genau vor einer Woche war der Mist richtig los gegangen und in etwas mehr als einer Woche war Weihnachten, das Timing hätte schlimmer nicht liegen können. Musste man ihm seine Lieblingszeit im Jahr so versauen? „Freu dich doch mal, dass wir da sind und du was mit uns unternehmen kannst.“ Das klang, als lebten sie am anderen Ende der Weltkugel, im hintersten Winkel des Polarkreises oder so; er war nicht schuld, dass die beiden von Monat zu Monat immer mehr zu einem siamesischen Zwilling verschmolzen und somit für Normalsterbliche kaum noch zu erreichen waren. „Ich freu mich doch“, behauptete er schnell und wandte sich zu Tjark, der neben ihnen stand und skeptisch das Treiben um ihn herum beobachtete; Tjark konnte mit dieser ganzen Aufmachung nichts anfangen, für ihn zählten die letzten Wochen des Jahres sowieso nur zur extremem Konsumgeilheit der Bevölkerung und gehörten somit am besten verboten. „Ähm, nein, nicht wirklich“, erklärte ihm Tjark knallhart. „Tut mir leid, Tek, aber du hast schon mal besser gelogen.“ War das nun eine Beleidigung oder ein Kompliment? Am besten überhörte er es einfach und kaufte sich stattdessen noch einen Berg Marzipankugeln zum Frustessen; nach den Festtagen war man eh fett wie ein Wal, da störte es niemanden, ob man schon ein wenig früher mit Intensivfuttern begann. „Lass dich doch nicht von JC so runterziehen. Wäre er ein Mädchen, in das du verknallt wärst, könnt ich es ja verstehen, dass es dich nervt, wenn du ignoriert wirst. Aber das ist JC; der tickt eh ganz anders als du und ich, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Lass ihn am besten einfach mal in Ruhe, vielleicht kriegt er sich wieder ein. Und wenn nicht, hast du noch uns.“ „Können wir vielleicht über was anderes sprechen?“ Mit ihnen über JC zu philosophieren war ungefähr so sinnvoll wie Grundschüler an die Uni zu schicken; in beiden Fällen kam nichts Sinnvolles zustande. Sie hatten wirklich ein Einsehen mit ihm, wohl auch, weil sie selbst keine Lust mehr hatten, dasselbe Problem fünfhundert Mal durchzukauen und immer zur selben Lösung zu gelangen. Nämlich gar keiner. Sie holten sich noch eine Runde Glühwein und beschlossen dann, sich im kleinen Park in der Innenstadt, in dem im Winter eher weniger Eltern mit kleinen Kindern im Gepäck die Gegend unsicher machten, aufzuhalten. Es war zwar kalt, für die Uhrzeit viel zu dunkel und die Bank, auf der sie saßen, glänzte nicht gerade mit Gemütlichkeit, aber es kam ihnen auch mehr darauf an, sich mal wieder mehr miteinander zu befassen. Tek merkte, wie lange sie nichts mehr zu dritt unternommen hatten; früher hatte das ja fast an der Tagesordnung gestanden. Aber irgendwie hatte die Beziehung der beiden da ein wenig zu sehr die Finger im Spiel gehabt, sodass sich das dann dezent erledigt hatte. Jara war gerade mittendrin, mit Tek gespielt bösartig über Tjark und seine Dummheit herzuziehen, als sich mal wieder das Schicksal eine nette Idee einfallen ließ, um sie gekonnt von ihrer ruhigen Plauderrunde abzulenken. Zuerst sprang nämlich Cassia fast aus einem Busch hervor, ziemlich mit Schnee bedeckt und der seltsamen Begründung, ihre neue Halskette suchen zu müssen. Das nahm Tek ihr allerdings nicht ab, er unterstellte ihr inzwischen eher, hier mit Absicht herumzuwuseln und dadurch in seine Nähe zu kommen. Konnte sie das nicht etwas unauffälliger betreiben, das war ihm fast selbst peinlich. Jara und Tjark grinsten sich wissend an; entweder hatte Cassia sie in ihre Wahnvorstellung eingeweiht oder sie fanden allein die Tatsache an sich lustig; es gab nicht viele Mädchen, die Tek mehr als drei Blicke schenkten, weil er viel zu wenig quasselte, damit sie sich ein Bild von ihm zusammenbasteln konnten. Der nächste Zufall ließ ihre gute Laune recht schnell in Winterschlaf verfallen, JC und einer seiner ultragenialen Kumpels bogen nämlich nicht sehr weit von ihnen entfernt um eine Miniaturbaumgruppe, näherten sich ihnen und stritten sich dabei lautstark über etwas. Man hörte den Lärm sicher bis an die Straße. Kann der nicht einmal weggehen?“, seufzte Tjark genervt und schüttelte den Kopf, um einige hartnäckige Schneeflocken von seinem Jackenkragen herunterzuwerfen. Erfolglos, sie mochten ihn wohl zu sehr. Wütend ließ JC seinen Kumpel, der ihm noch „Verräter bekommen aus Maul, du Opfer“ hinterher schrie, links liegen und blieb stehen, als er die versammelte Gemeinschaft auf der Bank sitzen sah. Awkward silence Teil zwei, Tek fragte sich, ob nun jedes Treffen mit ihm so ablaufen sollte. Cassia, die sich zu ihm auf die Bank gesetzt hatte, schaute JC wie eine Geistergestalt an. Ja, JC hatte das Talent, sich absolut nirgendwo besonders beliebt zu machen, nur bei wenigen Menschen funktionierte es. Oder er gab sich nur bei ihnen Mühe, so genau ließ sich das nicht bestimmen. Das Schweigen hielt an; Tek wusste, dass er aus Prinzip nicht beachtet werden würde, Cassia hatte Angst, auf der Stelle angefahren zu werden und Jara und Tjark hielten sich lieber zurück. Ihrer Erfahrung nach versagte hier die Kommunikation auf jeden Fall, deshalb ließen sie es bleiben. JC sagte auch nichts, musterte nur wenig begeistert die Leute um Tek herum; schließlich hob er eine Hand voll Schnee vom Boden auf, drückte sie leicht zusammen und warf das Ergebnis Cassia direkt ins Gesicht. Dann schlurfte er davon. Wieder daheim in seinem Zimmer fragte sich Tek immer noch, was er von den vielen Vorkommnissen in den letzten Tagen halten sollte. Cassia war durch den provisorischen Schneeball nicht verletzt worden, ihr Auge hatte höchstens etwas getränt und ihr Make up verschmieren lassen, aber allein die Tatsache, dass JC wahllos so mit unbeteiligten Menschen – auch noch Cassia, die ihm wirklich nichts getan hatte – umsprang, kotzte ihn an, es machte ihn richtig wütend zuzusehen zu müssen, wie sein Kumpel zu dem Arschloch wurde, für das ihn alle hielten. Fand er das geil, wollte er sich etwas damit beweisen? Dann wäre er noch erbärmlicher als seine Assifreunde, die Tek schon immer für unfähig zum Atmen gehalten hatte. Er musste ihm wohl zeigen, dass er langsam Grenzen überschritt, wofür er wirklich einen Tritt in den Hintern verdient hätte. Und wenn reden nicht ging, weil man plötzlich stumm wie ein Baguette geworden war, mussten andere Möglichkeiten gefunden werden. Wofür zum Geier hatte JC ICQ und das sogar auf seinem Handy? Tek würde ihm einfach dort eine kleine Botschaft hinterlassen und wenn die ihn auch nicht zur Besinnung brachte, kickte er ihn halt notgedrungen vorzeitig aus seinem Leben. Klang hart, tat weh, aber selbst schuld, wenn man sich wie ein Höhlenmensch benahm. Mit einer Tasse Kaffee, einem Teller Butterplätzchen und genügend Aggression im Bauch setzte sich Tek vor den Rechner, öffnete das Internet und ließ seinen Gedanken freien Lauf. an Johann Cornelius irgendwie scheinst du nicht zu wissen, wann man endlich aufhören sollte. Ich weiß nicht, wieso du sauer auf mich bist und ob du es wirklich überhaupt bist, du bekommst ja plötzlich deine klappe nicht mehr auf. es wäre echt nett von dir, wenn du dich mal von deiner wolke herabbegeben würdest und dich mit mir austauschst, statt vor mir abzuhauen, mich zu ignorieren, mich dumm dastehen zu lassen und mir das gefühl zu geben, ein idiot zu sein. du kannst doch sonst immer jeden zur schnecke machen, wenn du ein problem mit ihm hast, warum also nicht bei mir? bisher hast du dich das doch auch immer getraut. also rede gefälligst mit mir, sonst kannst du es vergessen, dass ich mich noch mal bei dir melden werde. ich lauf dir nicht hinterher, weil es mir spaß macht. außerdem weiß ich nicht, ob man dir noch glauben kann. das Gerücht hat sich noch nicht als falsch erwiesen, du hast nichts getan, um es zu revidieren, du hängst dauernd mit diesen hohlen Affen ab… haben die anderen doch recht und du machst jetzt einen auf cooler einbrecher und dieb? dann hab ich mich ja schön von dir verarschen lassen, ich dachte nämlich, so dreist bist du nicht, du redest viel scheiße, aber machst sie wenigstens nicht. hab ich mich wohl getäuscht. ach ja: fühlst du dich jetzt stark, weil du Cassia mit dem schneeball beworfen hast? hat es dir irgendwas gebracht außer nen armseligen egopush für dein völlig verkorkstes selbstbewusstsein? hoffentlich nicht. ich hab keine lust mehr, mich mit dir zu befassen, wenn du genauso gestört wirst wie deine 'freunde'. sei bitte wie früher, dann weiß ich, woran ich bin, obwohl du ruhig mal etwas mehr rücksicht auf mich nehmen könntest, termine absagen hat einen zweck. oder sei so wie freitag vor vier wochen. ansonsten hat es echt keinen sinn mehr, dass wir befreundet sind. Tek Seufzend las er sich den Eintrag noch einmal durch; von provokant bis verzweifelt schwang da alles mit, vielleicht wurde wenigstens hier rauf geantwortet. Und wenns nur eine Zeile mit dem bekannten Sorry, komm nicht mehr vor, das JC immer dann benutzte, wenn ihm etwas wirklich leid tat, er es aber wie üblich nicht zeigen konnte. Ego stand im Weg und so, typisches Männerproblem. Nach einem Klicken auf die Entertaste wurde der Buchstabensalat unwiderruflich zu JC geleitet und Tek wartete ungeduldig, ob sich jemand regte und ihn schnell mit einer Antwort beehrte. Er war doch online, er musste das sehen, wenn er nicht wieder mit ganz anderen Dingen beschäftigt war. Schneebälle austeilen oder Leute ausrauben, das war ja inzwischen zum neusten Trend verkommen. Es blinkte, man hatte seinen böse formulierten Hilferuf wahrgenommen. Natürlich wollte Tek es lesen, aber er fürchtete sich auch ein wenig vor der Wahrheit; JC verpackte sie nie schonend. es tut mir leid tek Gib mir noch etwas zeit Das war nicht sein Freund, nie und nimmer, den juckte es doch nicht, wie es ihm ging. Nur zu gerne hätte Tek statt in die Plätzchen in die Tastatur gebissen vor Frustration. Musste er erst leidend vor JCs Haustür zusammenbrechen, bis der sich mal zu einem Gespräch bewegen ließ? Oder nutzen hier Drohbriefe mehr? Aus Protest antwortete Tek ihm nicht; lieber brachte er Dunjas Gitarre in seinen Besitz und zupfte darauf die düstersten Mollakkorde an, die ihm einfielen. Viel Zeit blieb JC nicht, um das Chaos, das er selbst veranstaltet hatte, wieder zurechtzurücken. Kapitel 6: Rieseneiszapfen -------------------------- Die Woche kam, die Woche verging; nur das Wetter blieb gleich eisig und niemand noch so Wahnsinniges ging wirklich freiwillig vor die Tür, wenn es nicht unbedingt sein musste. Die Laune von Teks Mitschülern hob sich von Tag zu Tag mehr, immerhin bekam man endlich Ferien und musste sich nicht mit Schule, Arbeiten und dämlichen Test herumärgernd. Zumindest vorläufig nicht mehr. Seine eigene Stimmung schaffte diesen Aufschwung nicht, sondern hing wie festgenagelt in denselben Tiefen der Frustration wie zuvor. Tek war niemand, der fröhlich pfeifend durch die Umgebung rannte und vor Freude Bäume umarmte, aber so mies ging es ihm seit Langem nicht mehr. Zu Weihnachten schenkte er JC als Dank für seine Leistung jede Menge vergifteter Süßigkeiten, dann merkte er, was er verdiente. Zur Feier des Tages, weil man den letzten Schultag überlebt hatte, waren Tek, Jara und Tjark auf eine Art Feier von jemandem aus ihrem Jahrgang eingeladen worden. Eigentlich wollte Tek gar nicht hin, weil ihn solche Veranstaltungen abschreckten – überall nur Verrückte –, aber Jara wollte das nicht durchgehen lassen und nötigte ihn sozusagen, sich ihr und Tjark anzuschließen. „Damit du nicht nur depri in der Ecke sitzt“, lautete ihre schlüssige Begründung. Und irgendwie hatte sie recht, weswegen er sich schließlich protestlos mitschleifen ließ. Weil derjenige, der das alles organisiert hatte, am Ende der Welt wohnte, mussten sie dem Schrecken der öffentlichen Verkehrsnetze stellen und kamen mit Verspätung, aber ansonsten nur etwas genervt auf der Feier an. Tek vermutete, dass man nur nach einem halbwegs logischen Grund gesucht hatte, sich kollektiv zu besaufen. Ihm war es recht, dann konnte er daneben stehen und über den Rest lachen; viel trank er nicht mehr, seitdem er nach einem Geburtstag mit Kopfschmerzen, einem verdammten Filmriss und der Gastgeberin neben sich auf dem Teppich aufgewacht war. Ja, auch ein Tek hatte mal seine wilden Zeiten gehabt. Die angekündigte Party verlief aber viel zivilisierter, als es auf den ersten Blick geklungen hatte; lag wohl daran, dass die Eltern von Franzi im Wohnzimmer saßen und ein Augen darauf hatten, dass keiner die teure Deko oder die Playstation einpackte. Wenigstens durfte man sich noch frei bewegen, ohne gleich verhaftet zu werden. Jara und Franzi kamen schnell ins Gespräch über den Kuchen, den man hier alle Meter essen sollte, obwohl die beiden ansonsten noch nie mehr als drei Worte miteinander gewechselt hatten, Tjark fand natürlich gleich jemanden von seinen Basketballkumpeln, die ihm wichtige Details unterjubeln mussten, und auch bei Tek dauerte es nicht lange, bis auch er nicht mehr allein und verloren im Eingangsbereich stand und den Schneeflocken beim Schmelzen auf seinem Jackenärmel zusah. „Du bist ja auch da.“ Cassia, wer sonst? Sie war wieder im Ultrafröhlichmodus, hielt ihm einen kleinen Pfefferkuchen unter die Nase – er wurde wirklich fett; bei dem ganzen Essen, das man in der Vorweihnachtszeit so konsumierte, war das gar nicht zu verhindern – und entführte ihn ins Wohnzimmer an den Esstisch, wo noch ein paar Stühle frei waren. Tek hoffte, dass im Laufe des Abends nichts passierte, was sie beide irgendwann bereuen könnten; Cassia war zwar nett, lieb und ganz süß für ein 1,80 Meter großes Mädchen, aber nicht mehr, da lief nichts. Und das lag nicht daran, weil sie fast so groß wie er war. Sie plauderten ein wenig alibimäßig über das Wetter, die Leute, die gekommen waren, nur um die Vorratskammer zu plündern, und ihre Pläne für die Ferien, bevor sie sich interessanteren Themen zuwandten. „Glaubst du, mir stehen kurze Haare?“, fragte sie ihn unvermittelt mit einem absolut ernsten Blick, als ginge es um Leben und Tod. „Ähm…“ War das jetzt eine Fangfrage, wie sie nur Frauen stellen konnten? Wenn er ja sagte, schnitt sie sich vielleicht nur seinetwegen die Haare ab, aber wenn er ihr klar machte, dass sie mit langen Haaren besser aussah, dachte sie zum Schluss noch, das wäre ein Kompliment und machte sich noch falsche Hoffnungen. „Ich weiß es nicht, das musst du selbst entscheiden.“ Etwas Besseres, um eine konkrete Aussage zu vermeiden, fiel ihm natürlich nicht auf Anhieb ein, das wäre auch zu schön gewesen. „Was glaubst du, würde es Loris gefallen?“, fragte sie ihn leise und sah sich um, ob auch niemand ihrer kleinen Unterhaltung lauschte. „Äh…“ Erstens war er nicht darauf vorbereitet gewesen und zweitens schockierte es ihn ziemlich. Das klang verdächtig, als wäre Cassia hinter Loris, diesem komischen Oberstreber, her. Aber dann wäre seine Theorie, die er sich fleißig aus vielen kleinen Andeutungen ihrerseits zusammengesetzt hatte, völlig für die Tonne. „Weißt du das auch nicht?“ Sie sah ihn mit großen Augen an, bis es plötzlich bei ihr Klick zu machen schien. „Oh, dachtest du etwa, dass ich… das tut mir Leid, das wollte ich echt nicht!“ Mit einem Mal war sie ganz entsetzt und das Haarproblem war wie weggewischt. „Warum entschuldigst du dich?“ Jetzt hatte sie ihn verwirrt, musste er zugeben, anscheinend durfte das jeder abwechselnd mal. „Weil ich dachte, dass du auf mich stehst… anscheinend nicht?“ Sie lächelte schon wieder, aber es wirkte weiterhin mehr irritiert als gewohnt fröhlich. „Ich fand dich zwar immer ganz nett, du hast nicht nur permanent von dir erzählt und dich selbst toll gefunden, aber mehr wollte ich ja auch gar nicht. Kam das so rüber?“ Tek nickte einfach nur, langsam wurde es ihm zu seltsam. Wollten sie nicht doch lieber über Gebäck reden? Er hatte ewig lange gedacht, Cassia stand auf ihn, dabei hatte sie nur mit ihm reden wollen. Und deswegen freute sie sich dauernd, wenn er um die Ecke geschlurft kam? Dann die mysteriöse Aktion im Park und die anhaltenden Versuche, ihn zum Weihnachtsmarktspaziergang zu überzeugen… das konnte er doch nicht alles falsch gedeutet haben, das taten nur Mädchen, die wohl verknallt waren. Kopfschüttelnd verjagte er die Zweifel, die in seinem Kopf herumsegelten. Wenn sie das sagte, dann war es auch so, Ende, länger diskutierte er nicht darüber, solche Themen interessierten Tek wenig bis gar nicht. Er sollte froh sein, dass das wohl ein für allemal geklärt und aus der Welt geschafft war und sich keine Jara erbarmen musste, um ihre Verkupplungskünste an ihm anzuwenden. Stattdessen wollte Cassia von ihm Empfehlungen für Computerspiele, was ihn doch deutlich mehr ansprach, da ließ er sich bereitwillig drauf ein. Auch wenn sie mit seinen Vorschlägen ihrer Miene nach zu urteilen nicht so viel anfangen konnte, dafür konnte er schließlich nichts. Es wurde immer später, ab und zu tauchte mal Tjark an ihrem Tisch auf, um nachzusehen, ob Tek überhaupt noch anwesend war, ging dann aber recht schnell wieder, weil Jara ihre tägliche Portion Aufmerksamkeit von ihm verlangte, die Tek ihr nicht verweigern wollte. Einsam und allein war er immerhin nicht. Spätestens als JC hinter ihm stand und ihm auf die Schulter tippte, stand das eindeutig fest. Tek war sich nicht ganz sicher, ob er sich freuen oder ihm gleich eine reinschlagen sollte, entschied sich dann aber, erst einmal abzuwarten, was sein toller Kumpel ihm Geistreiches mitzuteilen hatte. „Komm mal mit.“ JC griff rücksichtslos nach seinem Arm und zerrte ihn vom Stuhl aus seiner Konversation heraus, ohne darauf zu achten, ob er ihm überhaupt folgen wollte. Cassia war von so viel Dreistigkeit zu verblüfft, um aktiv einzugreifen, sondern beobachtete das seltsame Schauspiel nur ungläubig, während Tek sich innerlich in Grund und Boden ärgerte, sich so herumschubsen zu lassen. Das passierte ihm immer nur bei JC. Zwar war es ein Fortschritt, dass der sich bei ihm blicken ließ – und ihn ansprach! –, aber das rechtfertigte noch lange nicht sein Verhalten. Sie verließen den Wintergarten durch die Glastür, die in den Garten führte; auch hier hatte der Winter gewütet und mit Schnee um sich geworfen, kleine Eiszapfen hingen vom Dach und auf dem Wasser in der Regenonne hätte man Schlittschuh fahren können, wenn man eine Maus gewesen wäre. „JC, was wird das?“ Was zerrte er ihn hier in die eisige Kälte, ohne Jacke und ein Wort der Erklärung? Hatte er jetzt eigentlich nur wochenlang geplant, wie er ihn am geschicktesten umbringen konnte, ohne dabei gestört zu werden? Tod durch Gefrierbrand, eindeutig. Natürlich erhielt er keine Antwort, die hätte sowieso nur aus einem „Halt die Klappe“ oder etwas Ähnlichem bestanden. In seinem nächsten Leben suchte sich Tek deutlich freundlichere Bekannte, das stand fest. Im hintersten Teil eines verblühten Blumenbeetes endete ihre Wanderung, doch Tek fühlte sich noch keine Spur schlauer als vor drei Tagen. „Was willst du?“ Er fror, in seinem Nacken lagen Schneeflocken, er wollte sich an den verdammten Kamin setzen und sich aufwärmen, nicht hier Vogelscheuche spielen. „JC, mach dein Maul auf oder ich geh wirklich.“ Das meinte er toternst, verarschen konnte er sich auch allein daheim. Da brauchte er ihn nicht dafür. „Dann kommt wieder nur Mist raus und dann bist auch weg, ist alles irgendwie scheiße, Tek. Ich kenn das.“ JC wirkte aufgekratzt und hibbelig, nicht so bösartig wie sonst, er versuchte sich sogar an zivilisiertem Deutsch. Etwas lag ihm auf dem Herzen, das er los werden wollte. Er hatte nur keine Ahnung wie, weil er ahnte, dass es unter Umständen zu einer Katastrophe heranwuchs. „Ich erfriere deinetwegen, schlimmer kann es gar nicht werden.“ Außer wenn er ihn anzündete, damit ihm wieder warm wurde. „Jungs, was zum Geier macht ihr da?“ Franzi hatte die offen stehende Gartentür bemerkt und musste natürlich kontrollieren, was ihre Gäste draußen für Dummheiten anstellten, bevor sie den Ärger dafür von ihren Eltern abbekam. „Nichts, alles in Ordnung.“ Sie suchten nur kurz unter den verschneiten Steinen den Sinn des Lebens und testeten, wie lange es dauerte, bis einem bei diesem Vorhaben die Finger abstarben. „Wir kommen gleich wieder.“ In gefühlten drei Jahrzehnten. Franzis Kopf verschwand wieder ins Innere und gab ihnen Gelegenheit, sich endlich über einige wichtige Themen in ihrem Leben auszutauschen. Tek hätte das auch gerne getan, wenn JC ihn nicht plötzlich umklammert hätte, als hinge sein Leben davon ab; dass er ihm fast die Luft abdrückte, merkte er gar nicht, er war viel zu sehr damit beschäftigt, ihn nie wieder loszulassen. Vor Überraschung und Verwirrung wusste Tek gar nicht, ob er lachen oder ihn anschnauzen sollte, warum er sich plötzlich so untypisch benahm. Er kannte das ja, aber dann saßen sie bei ihm zuhause im Stockdunklen in seinem Bett. Das hier war ein verdammter winterlicher Garten, den man vom Wintergarten aus ohne größere Probleme einsehen konnte. Das hieß, mit etwas Pech klebten da gleich vierzig Leute an den Scheiben und betrachteten sie schamlos. Das passte ihm ganz und gar nicht. Aber JC konnte sich ja momentan sowieso nicht entscheiden, ob er dämlich und nett zu ihm sein sollte. „Was ist eigentlich los mit dir?! Mal bist du der größte Assi und haust vor mir ab, jetzt machst du so was in Franzis Garten… bist du noch zu retten?“ Es regte ihn auf, nicht zu wissen, woran er war. Mutierte JC zur Frau? JC schwieg ihn einfach weiterhin an, hielt ihn fest und ließ mit seinem eiszapfenkalten Körper nicht zu, dass Tek den Temperaturen entfliehen konnte. Er hätte sich von ihm befreien können, notfalls mit Gewalt, aber Tek wollte es eigentlich gar nicht; er war froh, nicht mehr komplett übersehen zu werden. Nicht mehr wie der Dumme von Dienst herumzustehen und die Welt nicht mehr zu begreifen. Da ertrug er auch diese zusätzliche Kälte, die JCs Finger auf seinen Unterarmen hinterließ. „Kann ich heute Nacht bei dir pennen?“ JCs Gemurmel war kaum zu verstehen, obwohl Tek direkt vor ihm stand. Irgendwie hatte er es sich gedacht, dass so eine Anfrage kam, die erfolgte gerne, wenn JC ihm etwas mitteilen wollte. Normal auf dem Pausenhof reden ging ja nicht, hörten Menschen zu, da benahm er sich dann wieder wie ein gefühlloser Trottel ohne Anstand. „Wenn du willst.“ Zwar kapierte Tek nicht, wofür er ihn dann hier nach draußen hatte schleifen müssen – doch nicht wirklich nur, um ihn zu umarmen? –, aber bevor er sich deswegen mit ihm ein episches Battle auf unterstem Niveau führte, ließ er sich lieber noch eine Runde zerdrücken. JC meinte es ja nur gut, nahm er an, er war halt ein bisschen extrem unfähig, sich wie der Durchschnittsbürger zu seinen Emotionen zu äußern. Die kamen dann mal ganz spontan und unkontrolliert; meistens auf negativer Basis. „Können wir wieder rein gehen, meine Füße sind tot.“ Und der Rest der Truppe war bestimmt vor Neugier am Spannen, morgen flogen bestimmt die ersten Gerüchte durch die Stadt. Gut, dass nun Ferien waren und er das nicht mitbekam. Jara und Tjark hatten schon mal begeisterter ausgesehen, als Tek mit JC im Schlepptau wieder ins Haus kam und sich sofort an die Heizung lehnte. Hoffentlich hinterließ er keine Pfütze auf dem Fußboden vom geschmolzenen Schnee, das wäre ziemlich peinlich und steigerte nicht gerade Franzis Freundlichkeit ihm gegenüber. Im schlimmsten Fall verklagten ihn ihre Eltern. Cassia hatte sich in der Zwischenzeit unauffällig zu Loris geschlichen und versuchte gerade, mit ihm in Kontakt zu treten; dumm nur, dass der sich lieber mit seinem Geschichtsbuch beschäftigte als mit ihr. Sie konnte einem schon leid tun. Gegen zwölf Uhr warf Franzi diejenigen, die noch nicht freiwillig gegangen waren, raus; unter ihnen auch JC und Tek. Jara und Tjark waren schon früher gegangen, weil sich Jara etwas am Kuchen übernommen hatte und ihr ziemlich schlecht geworden war. „Geschieht ihr recht“, hatte Tjark Tek noch leise zugeraunt, bevor er mit seiner leidenden Freundin zur Tür hinausmarschiert war. Manchmal merkte Jara zu spät, wann sie aufhören sollte, besonders bei Süßspeisen. „Wie kommen wir heim?“ JC war etwas neben der Spur, er hatte zu viel Glühwein in zu kurzer Zeit hinuntergekippt und war nun etwas orientierungslos, was Wege und Strecken anging, besonders die, die nicht zu seinem Haus führte. Insgeheim glaubte Tek, dass er nicht nur literweise von dem Zeug getrunken hatte, sondern auch anderes, weswegen er nicht mehr ganz so zurechnungsfähig war. „Mit dem Bus.“ „Wann geht einer?“ „Hab ich vergessen nachzusehen.“ Immerhin hatte er ursprünglich mit Jara und Tjark zusammen gehen wollen, die wussten das immer. „Tek, langsam wirst du genauso dämlich wie ich.“ JC gähnte ausgiebig und wartete, dass man ihm Anweisungen gab, wohin er laufen sollte. Sie trotteten schweigend neben einander her; hätte sich JC nicht so sinnfrei mit Glühwein und Co. zugedröhnt – Tek hatte gar nicht mitbekommen, wie er das zustande gebracht hatte –, hätte man hier schon eine kleine Klärungsstunde einleiten können. Da musste er wohl bis nachher oder morgen früh warten und sich solange mit hochtrabendem „Ey Mann, wie krass ist das?“ zufrieden geben, was JC alle paar Minuten ausstieß, um den Anschein von geistiger Anwesenheit zu wahren. Er war wieder in sein altes Sprachschema verfallen, es fehlten nur noch die üblichen beleidigenden Ausdrücke. Auf diese musste Tek aber zu seiner Freude nicht lange warten, denn JC legte sofort damit los, als sie die Haltestelle erreichten und mit Entsetzen feststellen mussten, dass der nächste Bus in sechs Stunden fuhr. Denn bekanntermaßen hatte an solchen schlechten Zufällen das Haltestellenschild schuld, weswegen JC es auch mindestens eine Minute lang in Grund und Boden fluchte, bevor Tek eingriff. „Dann müssen wir halt laufen.“ Unschön, aber unvermeidlich. Dummheit strafte das Leben sofort. „Bist du bekloppt? Dann sind wir zwei Stunden lang unterwegs.“ Diese Aussicht stimmte JC nicht besonders friedlich, er knurrte leise vor sich hin, doch ihm blieb nichts übrig, als Tek zu folgen. Er fand ja kaum zu Franzis Haus zurück. Sie gingen die Straße entlang, stolperten durch den Schnee, ärgerten sich über die Tücken der Buslinie; ihre Kommunikation wurde aus Sparmaßnahmen ganz eingestellt. JC hätte sowieso nur gemeckert. Was hätte Tek in diesem Augenblick nicht für eine tragbare Heizung gegeben. „Hey, warte mal.“ Sie schlichen gerade durch eine Straße mit halb zerfallenen und unbewohnten Häusern, ungefähr eine halbe Stunde von Franzi entfernt, und Tek wunderte sich, wie sie hier überhaupt hingekommen waren. In diesen Teil des Kaffs ging man nicht einfach so spazieren; zu gammlig. Mit unergründlicher Miene fasste JC ihn am Ärmel und zog ihn auf eins der höchst verwilderten Grundstücke zu, die wie Urwald im Schnee aussahen, es fehlte nur noch Tarzan im Skioutfit. „Was willst du?“ Er war ja auch müde, aber hier pennen konnte JC vergessen, da zog er gleich in die Kühltruhe ein. Dort drinnen gab es sicher nicht einmal Decken, Betten oder Heizung erst recht nicht. Mit Luxus war hier nicht zu protzen. JC äußerte sich noch nicht, trat lieber ein paar Mal gegen die Eingangstür, bis sie sich widerwillig öffnete, und drängte Tek in ein Eckchen des nächstbesten Zimmers, in dem ihnen nur der Schimmel und die Wasserschäden von den Wänden zuwinkten. Ultra romantische Umgebung. „JC, lass das.“ Er ahnte, was gleich passieren würde, das kann man ja aus schlechten Filmen. Alkohol und kalte Nächte sollte man nicht kombinieren, vor allem mit JC. „Du bist betrunken, du wirst das bereuen.“ „Nee, sicher nicht, Tek.“ Etwas unkoordiniert fummelte er an Teks Reißverschluss herum. „Halt die Klappe und freu dich drüber.“ Endlich erfolgreich schob er ihm die Jacke von den Schultern. Tek war verunsichert, was nun folgte; wenn JC ihm zu nahe kam, würde er sich wehren. Immerhin war er kein Spielball für ihn, mit dem man alles tun und lassen konnte. Erst übersehen und dann plötzlich angrabbeln, das könnte ihm so passen. Nein, die Situation fand er absolut paradox, besonders als sich wieder die bekannten Eisfinger auf seine Wange legten und er zu zittern anfing. Natürlich nur, weil ihm kalt war, immerhin stand er hier in einem ungeheizten Haus ohne Oberteil. Daran lag es und nicht an JC, der jede Wärme aus ihm herauszog und in sich aufnahm. Hoffentlich gab er sie später wieder an ihm ab, sonst verwandelte er sich in eine Eisskulptur. Eine Frage brannte Tek inzwischen auf der Zunge, die er sich aber nicht zu fragen traute, weil sie schon beim Denken bescheuert klang. JC war einfach dicht und dachte nicht nach, mehr bedeutete das nicht. Niemals… „Stehst du jetzt auf mich oder warum bin ich plötzlich wieder für dich interessant?“ Oh ja, jetzt, da er sie ausgesprochen hatte, klang sie episch bescheuert, da lachten die Hühner. JCs Blick hätte einen Gletscher schmelzen lassen können. „Du bist echt behindert.“ Seine Arme schlangen sich um seinen Hals, als wollte er ihn erwürgen. „Nicht erst seit gestern, glaubs mir.“ Es wurde immer besser, noch mehr Bekenntnisse und spontane Geständnisse an einem Tag vertrug Tek nicht, da drehte er durch. Und natürlich passierte das alles noch kurz vor Weihnachten, wunderbar. Kapitel 7: Chaosveranstalter ---------------------------- Sie lagen nach dem kleinen Erlebnis in der Bruchbude und der kilometerlangen Wanderung durch suspekte Stadtgebiete und Winterlandschaften mit Ausrutschgefahr endlich bei Tek zuhause im Bett. JC war inzwischen wieder zu halbwegs sinnvoller Kommunikation zu gebrauchen und benutzte ihn mal wieder als Kissen und Decke in einem. Tek wusste einfach nicht, ob er ihn noch heute Nacht auf die letzten Tage ansprechen oder sich erst einmal Gedanken machen sollte, wie es jetzt eigentlich weitergehen konnte. Die ganz nebenbei geäußerte Offenbarung hatte ihn doch ein klein wenig aus der Bahn geworfen; JC traute man ja viel zu, nur nicht unbedingt, dass er richtige Gefühle entwickeln. Und dann noch für ihn. Wobei er zugeben musste, dass er die Vorstellung gar nicht so grausam fand, nur bezweifelte er, dass sie so etwas wie eine intakte und supertolle, unglaublich romantische Beziehung führen konnten. Immerhin hatte er es hier mit JC zu tun. Der schaffte es, gleichzeitig am untersten Niveau herumzukratzen und sich an ihn zu kuscheln wie eine schlafende Katze. Hier konnte man echt nicht sicher sein, woran man war. Vielleicht steckte JC momentan in einer Identitätskrise und fand ihn deshalb so toll. Das wusste nur der allein. Auf jeden Fall war Tek verdammt verwirrt und unsicher, ob er nicht besser sofort fliehen sollte, bevor das hier in einem Chaos endete, das man nicht mehr steuern konnte. Aber er genoss es auch irgendwie, so vertraut mit JC umgehen zu können. Jara hätte ihm den Kopf abgerissen, wenn sie wüsste, dass er hier mit JC fast rummachte und es nicht abwenden wollte. „Warum hast du Cassia mit Schnee beworfen?“ Nicht unbedingt die Frage, die zur Stimmung zwischen ihnen passte, aber jetzt hatte er die Gelegenheit, ein paar Antworten zu erfahren. „War eifersüchtig“, brummte JC undeutlich vor sich hin; so was gab er einfach nicht gerne zu. „Die klebt dauernd an dir. Das stresst.“ „Sie steht auf Loris. Hab ich heute mitbekommen.“ „Ich kotzt gleich. Wie kann man auf solche Opfer abfahren?“ JC hatte aus Prinzip seine Probleme mit Leuten wie Loris, die sich mehr um Schule und ihren Intelligenzquotienten als um ihr Privatleben kümmerten. „Und was ist jetzt mit diesem Gerücht?“ Wenn man schon anfing, konnte man auch da gleich weiter nachhaken. „Morgen, okay? Dann erklär ich dirs, Tek.“ Um halb drei führte man seiner Meinung nach nämlich keine tiefgründigen Auseinandersetzungen über solche Themen. Stattdessen drückte er hinterhältig grinsend Tek einen Kuss auf den Mund und beobachtete zufrieden die konfuse Reaktion darauf, Tek zuckte und zappelte in seinem Griff und wollte doch nicht davon rennen. Er fand es sehr unterhaltsam, seinen Kumpel in kürzester Zeit übermäßig zu überfordern und in den Wahnsinn zu treiben. Irgendwann am Nachmittag wachte Tek noch ein wenig zerschlagen auf; in seinem Kopf tanzten komische Gedanken herum, während er den Drang unterdrücken musste, JC über die Schulter zu streichen, die dieser ihm zugedreht hatte. Das verbreitete sich wohl wie eine Krankheit, das hatte JC wieder genial hinbekommen. Der pennte immer noch dreist vor sich hin, obwohl er halb aus dem Bett hing und sicher bald Bekanntschaft mit dem Boden schließen würde. Er hätte es irgendwie verdient, weil er in so wenig Zeit so viel Unruhe gestiftet hatte. Außerdem schuldete er ihm noch eine Masse an Informationen, auf die Tek seit Wochen wartete. Draußen auf dem Flur trieb Dunja schon ihr Unwesen und polterte ohne Rücksicht auf andere Menschen herum, hoffentlich klebte sie nicht nachher an seiner Tür und belauschte ihre kleine Unterhaltung, um wieder absolut top informiert zu sein. Dann wünschte er sich zum Geburtstag schalldichte Türen. Durch den von Dunja produzierten Lärm merkte auch JC bald, dass es inzwischen schon Vormittag geworden war und er langsam aufhören sollte zu schlafen. „Ich hasse deine Schwester“, verkündete JC als erste Feststellung des Tages und rollte sich genervt vom Abgrund des Bettes weg, um an diesem Morgen nicht doppelt gestraft zu werden. „Die geht mir auf den Sack mit ihrer Dummheit.“ „Wenn du sonst keine Probleme hast.“ Für ein Guten Morgen an ihn reichte es wohl noch nicht trotz dieser höchst aufschlussreichen Nacht. Eine Stimme in ihm flüsterte ihm zu, dass er das sowieso nur geträumt hatte; Wunschdenken sozusagen. Spätestens, als JC sich auf ihn stürzte und ihn fast unter sich begrub, entschied Tek, das noch einmal zu überdenken und JC von einem weiteren Mordversuch abzuhalten. „Hey Tek, Bock auf rummachen?“, fragte ihn JC völlig unvermittelt mit einem bösen Grinsen im Gesicht. „Äh…“ Ging es noch eine Spur unsensibler? Entweder man ließ es bleiben oder man tat es einfach, aber nicht so! Das schreckte den guten Geschmack ab. „Das war ein Witz, Mann.“ Genervt über Teks Unvermögen, seine Pseudowitze zu verstehen, kletterte JC von ihm herunter, stieg aus dem Bett und begann sich anzuziehen. War das wieder das typische Fluchtverhalten? Was sollte das denn bitte? War er jetzt beleidigt, weil er nicht auf der Stelle darauf angesprungen war? „Willst du weg oder was?“ Das fand er dezent feige, JC hatte ihm gestern etwas versprochen, was er noch einlösen musste. Aus ihm wurde man wirklich nicht schlau. JC zuckte unbestimmt mit den Schultern, sah aber nicht ein, sich von seinem Vorhaben abbringen zu lassen. Genialer Vollidiot. „Weißt du was? Hau doch ab, wenn du es einfach nicht hinkriegst, irgendwas konsequent durchzuhalten“, startete Tek einen Versuch, ihn durch Provokation am Ausbruch zu hindern. Einmal hatte es schon über ICQ funktioniert, vielleicht klappte es auch im real life. „Hä?“ „Erst bin ich Luft für dich, dann kannst du plötzlich kaum die Finger von mir lassen. Gestern wolltest du mir alles erklären, jetzt bist du einfach wieder verdammt dumm. Kannst du dich mal entscheiden?“ Je länger dieser Witz andauerte, desto mehr regte es Tek auf. Schon wieder wurde er als Dummkopf hingestellt. „Was soll ich denn machen, Mann?“, verteidigte sich JC. „Glaubst du, ich find die ganze Scheiße, die hier läuft, einfach?“ „Nee, aber ich auch nicht.“ Und er benahm sich nicht wie ein Trottel auf dem größten Egotrip seines Lebens. Oder zumindest nicht absichtlich. „Red endlich Klartext und hör auf, dauernd auszuweichen und wegzurennen und noch dumme Witze drüber zu reißen. Wer mit mir rummachen kann, kann auch sagen, was das alles zu bedeuten hat.“ „Was willst du denn hören?“ JC warf ihm böse Blicke zu. „Ja, ich steh auf dich. Nein, ich finds alles andere als geil. Ich könnte kotzen, weil das alles so dämlich und kompliziert ist.“ Tek schnaubte ein wenig verächtlich über diese Selbstmitleidstour, die nun angekurbelt wurde. „Gestern hattest du nicht solche Probleme damit.“ Oder zumindest keinen Grund, das so offen vor sich herzutragen. „Da war ich dicht, da fand ich eh irgendwann alles gut“, rechtfertigte JC sich eilig. „Und, nein, ich bereue es nicht, was ich getan hab.“ „Ich auch nicht.“ „Und was bringt uns das jetzt? Tek, ist ja toll für dich, wenn du mit mir labern willst, aber das hier ist echt fürn Arsch. Wir können eh nichts miteinander anfangen.“ „Weil du es nicht willst.“ „Weil es insgesamt dumm ist! Was will ich mit nem Kerl?“ „Was willst du mit einem Mädchen?“ Auf der Basis seine Argumentation aufzubauen grenzte an absoluter Beschränktheit. Passte also zu JC. „Willst du jetzt auch was von mir oder warum bist du so scharf drauf?“ Tek zuckte verzweifelt mit den Schultern. „Ich hab keinen Plan.“ „Du hast es voll nicht drauf, Tek.“ „Und du auch nicht, sonst würdest du nicht abhauen, sondern hier bleiben.“ Und wieder eine Provokation, vielleicht checkte er die. Der Restalkohol blockierte immerhin noch den Hauptteil seines Denkens. „Und mit dir sinnlose Scheiße diskutieren?“ Genervt lachte JC auf und war schon dabei, seine Jacke anzuziehen, kam aber noch einmal auf ihn zu, um nicht durch das halbe Zimmer zu schreien. „Nicht nur das.“ „Was denn noch?“ JC beugte sich über Tek und musterte ihn skeptisch. „Dasselbe wie gestern Abend? Das ist verdammt gay, Tek.“ „Warum tust du es dann?“ Um nicht ganz so extrem von ihm überragt zu werden, kniete sich Tek auf die Matratze und versuchte, seine Verunsicherung nicht ganz so deutlich zur Schau zu stellen. Zwei dumme Jungs, dasselbe Problem. „Was weiß ich…“ „Du bist ein Idiot.“ Konnte er nicht einfach zu dem stehen, was da in ihm vorging? „Stört dich ja irgendwie nicht. Ich geh trotzdem, macht alles keinen Sinn. Lassen wir den Abfuck einfach sein und tun so, als wär nix gewesen, okay?“ „Vergiss es.“ Tek hielt ihn am Handgelenk fest. So leicht kam er ihm nicht davon. „Du kannst nicht immer kommen und gehen, wann du willst, und dann machen, was du willst. Das ist dreist, egoistisch, saudämlich und auf unterster Stufe…“ Er könnte noch Ewigkeiten so fortfahren, es fanden sich immer Beleidigungen, die auf JC zutrafen, aber stattdessen wollte er lieber das Niveau wiederbeleben und zog JC an sich heran; der hatte damit nicht gerechnet, verlor das Gleichgewicht und begrub ihn fast ein weiteres Mal, nur hätte es dieses Mal weitaus mehr weh getan. Ein klassisches Zeichen für Dummheit. Er konnte nur hoffen, dass Dunja sich nicht gerade an der Regenrinne hochhangelte und Beweisbilder schoss, um zu zeigen, wie doof ihr Brüderchen eigentlich war, wenn keiner hinsah. „Du weißt echt nicht, was du willst“, grummelte JC etwas ungnädig, nachdem er sich mühsam wieder auf Hände und Knie hochgearbeitet hatte. „Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, machst du echt alles assi kompliziert.“ „Es ist an sich schon kompliziert, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.“ Und wenn sie sich nicht zusammen rissen, blieb es dabei. Sie mussten endlich auf einen gemeinsamen Nenner kommen, sonst saßen sie noch an Silvester aufeinander und blieben genauso dumm wie vorher. „Du bist so verdammt schlau“, seufzte JC, krabbelte über ihn und hinderte Tek am Wegrennen. „Und ich bin dumm wie ne Colaflasche und hab deshalb keine Lust mehr auf das hier.“ Er drückte Tek einen Kuss auf den Mund. „Du auch nicht, gibs zu.“ Seufzend nickte Tek. Ja, irgendwie wollte er es ja, das konnte er nicht unbedingt abstreiten, genau aus dem Grund ließ er JC seinen Spaß und hörte auf, ihn auf den Geist zu gehen. Es brachte sowieso nichts. Das Kaffeetrinken wurde zu ihrem Frühstück, da sie sich erst gegen drei Uhr dazu durchringen konnten, sich in die Küche zu schleppen und etwas zu essen. „Wow, ihr lebt noch“, rief Dunja überrascht, als sie die zwei schweigend am Tisch mit jede Menge Süßkram zwischen sich entdeckte. „Ich dachte, ihr kommt da heute nicht mehr raus.“ In ihrer Stimme schwang wieder so ein typischer Dunja weiß alles Unterton mit, was Tek gar nicht gefiel. Seine Schwester sollte jetzt noch nicht erfahren, was da theoretisch zwischen ihm und JC lief, das vertrug selbst sie nicht. „Was geht dich das an?“, fauchte JC sie böse an und griff nach dem Zuckerstreuer, als wollte er ihn ihr an die Stirn werfen. „Das war eine Feststellung, reg dich doch nicht gleich so auf.“ Und schon hatte man unbewusst den anhaltenden Zickenkrieg zwischen den beiden wieder eröffnet, wofür Tek beide am liebsten in den nächsten Teich geschubst hätte. „Ich reg mich auf, wann ich will, okay?“ Wenigstens hielt sich JC bei ihr mit seiner extrem unseriösen Ausdrucksweise zurück, aber nur, weil Tek ihr Bruder war, ansonsten hätte er auch sie in Grund und Boden gestampft. „Dunja, kannst du bitte mal rausgehen?“ Erstens wollte Tek noch ein bisschen mit JC gewisse Themen anschneiden und zweitens ging ihm die Lautstärke extrem auf die Nerven. Sie fand es alles andere als gerecht, dass ihr Bruder zu JC hielt, aber weil sie gegen die beiden sowieso nichts ausrichten konnte, fügte sie sich der Mehrheit und verkroch sich nach sonstwo. Sicher lauschte und spähte sie durchs Schlüsselloch. „JC, ich glaube, wir…“ „Was willst du denn jetzt schon wieder bereden? Wird das zum dümmsten Running-Gag der Menschheit oder so?“ Begeisterung sah anders aus, egal wie sehr JC ihn mochte. „Okay, fang an, dann haben wirs hinter uns.“ Er drehte sich um. „Und Dunja, geh hinter der Tür weg, sonst schlag ich sie dir ausversehen ins Gesicht.“ Jemand verschwand leise meckernd in den Flur und JC lehnte sich stolz über seine Vorahnung zurück. „Warum genau hast du mich jetzt zwei Wochen ignoriert?“ Tek puhlte die Rosinen aus dem Christstollen und stapelte sie daneben. Das Beste kam zum Schluss. „Sag nicht, das hab ich mir eingebildet.“ „Kannst du dir doch denken.“ Ohne zu fragen klaute sich JC einige der Rosinen und erntete dafür böse Blicke. „Wenn man so was merkt, braucht man erst mal Abstand. Deshalb.“ Besonders überzeugend wirkte das trotzdem nicht auf Tek. Aber bevor er in JCs Wahrheit herumstocherte, kam die allerletzte und zugleich wichtigste Frage. „Warst du mit deinen komischen Freunden da in dem Haus?“ JC stockte und verriet sich dadurch eigentlich schon selbst; nur zu gerne hätte ihm Tek seinen Teller dafür gegen den Kopf geschlagen. „Naja, nicht wirklich“, begann er zu zögerlich für den sonst so egostarken JC sich herauszureden. „Also was? Ja oder nein?“ Das war doch der zweite Witz des Jahres; Tek hatte doch so oft um Aufklärung gebettelt und war wohl jedes Mal knallhart angelogen worden. „Ja, verdammt, ich war da“, brach es schließlich aus JC heraus. „Ich hab aber nichts geklaut, ich hab nur für die aufgepasst, das da keiner antanzt und uns verpfeift, okay? Glaubs mir.“ „Dir glaub ich gar nichts mehr.“ Wieso sollte er auch? Man hielt es nicht für wichtig, ihm die Wahrheit zu berichten, dabei hatte er immer gedacht, JC vertraute ihm, selbst wenn es um eher kritische Dinge ging. „Sorry, Mann. Ich weiß, dass es scheiße war, deshalb hab ichs dir auch nicht gesagt.“ Genervt über die unschöne Wendung der Situation hämmerte JC mit seinen Fingern auf der Tischplatte herum. „Es war mir später verdammt peinlich, wenn du es genau wissen willst. Weil du ja auch eigentlich was mit mir machen wolltest. Und ich bin mir wirklich wie der letzte Arsch vorgekommen… deshalb wollt ich dich dann auch nicht sehen. Schlechtes Gewissen und so.“ „Okay.“ Etwas zu viele Geständnisse, die ihm nicht unbedingt gefielen, aber Tek war froh, dass er wenigstens endlich in die Hintergründe von JCs komischen Handlungen eingeführt worden war und er war auch in gewisser Weise stolz auf ihn, dass er den Mut gefunden und seine Dummheit zugegeben hatte. Es machte es zwar nicht unbedingt besser, aber es zeigte ihm mal wieder, dass JC doch sein Verhalten reflektieren konnte. Zumindest, wenn man ihn dazu zwang. „Muss ich noch was wissen?“ „Ja; ich… hab dich… ach scheiße, du weißt schon, was ich meine.“ Verärgert über seine eigene Unfähigkeit, Tek auch nur mitzuteilen, dass er ihn ziemlich mochte, entführte er ihm entschlossen auch die anderen Rosinen und legte ihm daraus ein kleines Herz auf den Teller. „Hier, sagt mehr als Worte.“ Wäre es nicht JC, könnte man diese Geste schon fast als süß bezeichnen, in JCs Fall war es einfach ungewohnt und seltsam, aber trotzdem freute sich Tek darüber, auch wenn er die Rosinen wesentlich lieber gegessen hätte statt sie nur zu betrachten. „Du kriegst das hin.“ Er packte JCs kalte Finger und drückte sie aufmunternd. „Irgendwann bestimmt.“ Der sah ihn höchst skeptisch an. „Ich wünsch es mir von dir zu Weihnachten.“ „Nein, du bekommst dieses Jahr nichts von mir.“ JC hatte sozusagen ihn geschenkt bekommen, das sollte ihm ja wohl für den Anfang reichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)