Kalt wie der Winter von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 7: Chaosveranstalter ---------------------------- Sie lagen nach dem kleinen Erlebnis in der Bruchbude und der kilometerlangen Wanderung durch suspekte Stadtgebiete und Winterlandschaften mit Ausrutschgefahr endlich bei Tek zuhause im Bett. JC war inzwischen wieder zu halbwegs sinnvoller Kommunikation zu gebrauchen und benutzte ihn mal wieder als Kissen und Decke in einem. Tek wusste einfach nicht, ob er ihn noch heute Nacht auf die letzten Tage ansprechen oder sich erst einmal Gedanken machen sollte, wie es jetzt eigentlich weitergehen konnte. Die ganz nebenbei geäußerte Offenbarung hatte ihn doch ein klein wenig aus der Bahn geworfen; JC traute man ja viel zu, nur nicht unbedingt, dass er richtige Gefühle entwickeln. Und dann noch für ihn. Wobei er zugeben musste, dass er die Vorstellung gar nicht so grausam fand, nur bezweifelte er, dass sie so etwas wie eine intakte und supertolle, unglaublich romantische Beziehung führen konnten. Immerhin hatte er es hier mit JC zu tun. Der schaffte es, gleichzeitig am untersten Niveau herumzukratzen und sich an ihn zu kuscheln wie eine schlafende Katze. Hier konnte man echt nicht sicher sein, woran man war. Vielleicht steckte JC momentan in einer Identitätskrise und fand ihn deshalb so toll. Das wusste nur der allein. Auf jeden Fall war Tek verdammt verwirrt und unsicher, ob er nicht besser sofort fliehen sollte, bevor das hier in einem Chaos endete, das man nicht mehr steuern konnte. Aber er genoss es auch irgendwie, so vertraut mit JC umgehen zu können. Jara hätte ihm den Kopf abgerissen, wenn sie wüsste, dass er hier mit JC fast rummachte und es nicht abwenden wollte. „Warum hast du Cassia mit Schnee beworfen?“ Nicht unbedingt die Frage, die zur Stimmung zwischen ihnen passte, aber jetzt hatte er die Gelegenheit, ein paar Antworten zu erfahren. „War eifersüchtig“, brummte JC undeutlich vor sich hin; so was gab er einfach nicht gerne zu. „Die klebt dauernd an dir. Das stresst.“ „Sie steht auf Loris. Hab ich heute mitbekommen.“ „Ich kotzt gleich. Wie kann man auf solche Opfer abfahren?“ JC hatte aus Prinzip seine Probleme mit Leuten wie Loris, die sich mehr um Schule und ihren Intelligenzquotienten als um ihr Privatleben kümmerten. „Und was ist jetzt mit diesem Gerücht?“ Wenn man schon anfing, konnte man auch da gleich weiter nachhaken. „Morgen, okay? Dann erklär ich dirs, Tek.“ Um halb drei führte man seiner Meinung nach nämlich keine tiefgründigen Auseinandersetzungen über solche Themen. Stattdessen drückte er hinterhältig grinsend Tek einen Kuss auf den Mund und beobachtete zufrieden die konfuse Reaktion darauf, Tek zuckte und zappelte in seinem Griff und wollte doch nicht davon rennen. Er fand es sehr unterhaltsam, seinen Kumpel in kürzester Zeit übermäßig zu überfordern und in den Wahnsinn zu treiben. Irgendwann am Nachmittag wachte Tek noch ein wenig zerschlagen auf; in seinem Kopf tanzten komische Gedanken herum, während er den Drang unterdrücken musste, JC über die Schulter zu streichen, die dieser ihm zugedreht hatte. Das verbreitete sich wohl wie eine Krankheit, das hatte JC wieder genial hinbekommen. Der pennte immer noch dreist vor sich hin, obwohl er halb aus dem Bett hing und sicher bald Bekanntschaft mit dem Boden schließen würde. Er hätte es irgendwie verdient, weil er in so wenig Zeit so viel Unruhe gestiftet hatte. Außerdem schuldete er ihm noch eine Masse an Informationen, auf die Tek seit Wochen wartete. Draußen auf dem Flur trieb Dunja schon ihr Unwesen und polterte ohne Rücksicht auf andere Menschen herum, hoffentlich klebte sie nicht nachher an seiner Tür und belauschte ihre kleine Unterhaltung, um wieder absolut top informiert zu sein. Dann wünschte er sich zum Geburtstag schalldichte Türen. Durch den von Dunja produzierten Lärm merkte auch JC bald, dass es inzwischen schon Vormittag geworden war und er langsam aufhören sollte zu schlafen. „Ich hasse deine Schwester“, verkündete JC als erste Feststellung des Tages und rollte sich genervt vom Abgrund des Bettes weg, um an diesem Morgen nicht doppelt gestraft zu werden. „Die geht mir auf den Sack mit ihrer Dummheit.“ „Wenn du sonst keine Probleme hast.“ Für ein Guten Morgen an ihn reichte es wohl noch nicht trotz dieser höchst aufschlussreichen Nacht. Eine Stimme in ihm flüsterte ihm zu, dass er das sowieso nur geträumt hatte; Wunschdenken sozusagen. Spätestens, als JC sich auf ihn stürzte und ihn fast unter sich begrub, entschied Tek, das noch einmal zu überdenken und JC von einem weiteren Mordversuch abzuhalten. „Hey Tek, Bock auf rummachen?“, fragte ihn JC völlig unvermittelt mit einem bösen Grinsen im Gesicht. „Äh…“ Ging es noch eine Spur unsensibler? Entweder man ließ es bleiben oder man tat es einfach, aber nicht so! Das schreckte den guten Geschmack ab. „Das war ein Witz, Mann.“ Genervt über Teks Unvermögen, seine Pseudowitze zu verstehen, kletterte JC von ihm herunter, stieg aus dem Bett und begann sich anzuziehen. War das wieder das typische Fluchtverhalten? Was sollte das denn bitte? War er jetzt beleidigt, weil er nicht auf der Stelle darauf angesprungen war? „Willst du weg oder was?“ Das fand er dezent feige, JC hatte ihm gestern etwas versprochen, was er noch einlösen musste. Aus ihm wurde man wirklich nicht schlau. JC zuckte unbestimmt mit den Schultern, sah aber nicht ein, sich von seinem Vorhaben abbringen zu lassen. Genialer Vollidiot. „Weißt du was? Hau doch ab, wenn du es einfach nicht hinkriegst, irgendwas konsequent durchzuhalten“, startete Tek einen Versuch, ihn durch Provokation am Ausbruch zu hindern. Einmal hatte es schon über ICQ funktioniert, vielleicht klappte es auch im real life. „Hä?“ „Erst bin ich Luft für dich, dann kannst du plötzlich kaum die Finger von mir lassen. Gestern wolltest du mir alles erklären, jetzt bist du einfach wieder verdammt dumm. Kannst du dich mal entscheiden?“ Je länger dieser Witz andauerte, desto mehr regte es Tek auf. Schon wieder wurde er als Dummkopf hingestellt. „Was soll ich denn machen, Mann?“, verteidigte sich JC. „Glaubst du, ich find die ganze Scheiße, die hier läuft, einfach?“ „Nee, aber ich auch nicht.“ Und er benahm sich nicht wie ein Trottel auf dem größten Egotrip seines Lebens. Oder zumindest nicht absichtlich. „Red endlich Klartext und hör auf, dauernd auszuweichen und wegzurennen und noch dumme Witze drüber zu reißen. Wer mit mir rummachen kann, kann auch sagen, was das alles zu bedeuten hat.“ „Was willst du denn hören?“ JC warf ihm böse Blicke zu. „Ja, ich steh auf dich. Nein, ich finds alles andere als geil. Ich könnte kotzen, weil das alles so dämlich und kompliziert ist.“ Tek schnaubte ein wenig verächtlich über diese Selbstmitleidstour, die nun angekurbelt wurde. „Gestern hattest du nicht solche Probleme damit.“ Oder zumindest keinen Grund, das so offen vor sich herzutragen. „Da war ich dicht, da fand ich eh irgendwann alles gut“, rechtfertigte JC sich eilig. „Und, nein, ich bereue es nicht, was ich getan hab.“ „Ich auch nicht.“ „Und was bringt uns das jetzt? Tek, ist ja toll für dich, wenn du mit mir labern willst, aber das hier ist echt fürn Arsch. Wir können eh nichts miteinander anfangen.“ „Weil du es nicht willst.“ „Weil es insgesamt dumm ist! Was will ich mit nem Kerl?“ „Was willst du mit einem Mädchen?“ Auf der Basis seine Argumentation aufzubauen grenzte an absoluter Beschränktheit. Passte also zu JC. „Willst du jetzt auch was von mir oder warum bist du so scharf drauf?“ Tek zuckte verzweifelt mit den Schultern. „Ich hab keinen Plan.“ „Du hast es voll nicht drauf, Tek.“ „Und du auch nicht, sonst würdest du nicht abhauen, sondern hier bleiben.“ Und wieder eine Provokation, vielleicht checkte er die. Der Restalkohol blockierte immerhin noch den Hauptteil seines Denkens. „Und mit dir sinnlose Scheiße diskutieren?“ Genervt lachte JC auf und war schon dabei, seine Jacke anzuziehen, kam aber noch einmal auf ihn zu, um nicht durch das halbe Zimmer zu schreien. „Nicht nur das.“ „Was denn noch?“ JC beugte sich über Tek und musterte ihn skeptisch. „Dasselbe wie gestern Abend? Das ist verdammt gay, Tek.“ „Warum tust du es dann?“ Um nicht ganz so extrem von ihm überragt zu werden, kniete sich Tek auf die Matratze und versuchte, seine Verunsicherung nicht ganz so deutlich zur Schau zu stellen. Zwei dumme Jungs, dasselbe Problem. „Was weiß ich…“ „Du bist ein Idiot.“ Konnte er nicht einfach zu dem stehen, was da in ihm vorging? „Stört dich ja irgendwie nicht. Ich geh trotzdem, macht alles keinen Sinn. Lassen wir den Abfuck einfach sein und tun so, als wär nix gewesen, okay?“ „Vergiss es.“ Tek hielt ihn am Handgelenk fest. So leicht kam er ihm nicht davon. „Du kannst nicht immer kommen und gehen, wann du willst, und dann machen, was du willst. Das ist dreist, egoistisch, saudämlich und auf unterster Stufe…“ Er könnte noch Ewigkeiten so fortfahren, es fanden sich immer Beleidigungen, die auf JC zutrafen, aber stattdessen wollte er lieber das Niveau wiederbeleben und zog JC an sich heran; der hatte damit nicht gerechnet, verlor das Gleichgewicht und begrub ihn fast ein weiteres Mal, nur hätte es dieses Mal weitaus mehr weh getan. Ein klassisches Zeichen für Dummheit. Er konnte nur hoffen, dass Dunja sich nicht gerade an der Regenrinne hochhangelte und Beweisbilder schoss, um zu zeigen, wie doof ihr Brüderchen eigentlich war, wenn keiner hinsah. „Du weißt echt nicht, was du willst“, grummelte JC etwas ungnädig, nachdem er sich mühsam wieder auf Hände und Knie hochgearbeitet hatte. „Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, machst du echt alles assi kompliziert.“ „Es ist an sich schon kompliziert, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.“ Und wenn sie sich nicht zusammen rissen, blieb es dabei. Sie mussten endlich auf einen gemeinsamen Nenner kommen, sonst saßen sie noch an Silvester aufeinander und blieben genauso dumm wie vorher. „Du bist so verdammt schlau“, seufzte JC, krabbelte über ihn und hinderte Tek am Wegrennen. „Und ich bin dumm wie ne Colaflasche und hab deshalb keine Lust mehr auf das hier.“ Er drückte Tek einen Kuss auf den Mund. „Du auch nicht, gibs zu.“ Seufzend nickte Tek. Ja, irgendwie wollte er es ja, das konnte er nicht unbedingt abstreiten, genau aus dem Grund ließ er JC seinen Spaß und hörte auf, ihn auf den Geist zu gehen. Es brachte sowieso nichts. Das Kaffeetrinken wurde zu ihrem Frühstück, da sie sich erst gegen drei Uhr dazu durchringen konnten, sich in die Küche zu schleppen und etwas zu essen. „Wow, ihr lebt noch“, rief Dunja überrascht, als sie die zwei schweigend am Tisch mit jede Menge Süßkram zwischen sich entdeckte. „Ich dachte, ihr kommt da heute nicht mehr raus.“ In ihrer Stimme schwang wieder so ein typischer Dunja weiß alles Unterton mit, was Tek gar nicht gefiel. Seine Schwester sollte jetzt noch nicht erfahren, was da theoretisch zwischen ihm und JC lief, das vertrug selbst sie nicht. „Was geht dich das an?“, fauchte JC sie böse an und griff nach dem Zuckerstreuer, als wollte er ihn ihr an die Stirn werfen. „Das war eine Feststellung, reg dich doch nicht gleich so auf.“ Und schon hatte man unbewusst den anhaltenden Zickenkrieg zwischen den beiden wieder eröffnet, wofür Tek beide am liebsten in den nächsten Teich geschubst hätte. „Ich reg mich auf, wann ich will, okay?“ Wenigstens hielt sich JC bei ihr mit seiner extrem unseriösen Ausdrucksweise zurück, aber nur, weil Tek ihr Bruder war, ansonsten hätte er auch sie in Grund und Boden gestampft. „Dunja, kannst du bitte mal rausgehen?“ Erstens wollte Tek noch ein bisschen mit JC gewisse Themen anschneiden und zweitens ging ihm die Lautstärke extrem auf die Nerven. Sie fand es alles andere als gerecht, dass ihr Bruder zu JC hielt, aber weil sie gegen die beiden sowieso nichts ausrichten konnte, fügte sie sich der Mehrheit und verkroch sich nach sonstwo. Sicher lauschte und spähte sie durchs Schlüsselloch. „JC, ich glaube, wir…“ „Was willst du denn jetzt schon wieder bereden? Wird das zum dümmsten Running-Gag der Menschheit oder so?“ Begeisterung sah anders aus, egal wie sehr JC ihn mochte. „Okay, fang an, dann haben wirs hinter uns.“ Er drehte sich um. „Und Dunja, geh hinter der Tür weg, sonst schlag ich sie dir ausversehen ins Gesicht.“ Jemand verschwand leise meckernd in den Flur und JC lehnte sich stolz über seine Vorahnung zurück. „Warum genau hast du mich jetzt zwei Wochen ignoriert?“ Tek puhlte die Rosinen aus dem Christstollen und stapelte sie daneben. Das Beste kam zum Schluss. „Sag nicht, das hab ich mir eingebildet.“ „Kannst du dir doch denken.“ Ohne zu fragen klaute sich JC einige der Rosinen und erntete dafür böse Blicke. „Wenn man so was merkt, braucht man erst mal Abstand. Deshalb.“ Besonders überzeugend wirkte das trotzdem nicht auf Tek. Aber bevor er in JCs Wahrheit herumstocherte, kam die allerletzte und zugleich wichtigste Frage. „Warst du mit deinen komischen Freunden da in dem Haus?“ JC stockte und verriet sich dadurch eigentlich schon selbst; nur zu gerne hätte ihm Tek seinen Teller dafür gegen den Kopf geschlagen. „Naja, nicht wirklich“, begann er zu zögerlich für den sonst so egostarken JC sich herauszureden. „Also was? Ja oder nein?“ Das war doch der zweite Witz des Jahres; Tek hatte doch so oft um Aufklärung gebettelt und war wohl jedes Mal knallhart angelogen worden. „Ja, verdammt, ich war da“, brach es schließlich aus JC heraus. „Ich hab aber nichts geklaut, ich hab nur für die aufgepasst, das da keiner antanzt und uns verpfeift, okay? Glaubs mir.“ „Dir glaub ich gar nichts mehr.“ Wieso sollte er auch? Man hielt es nicht für wichtig, ihm die Wahrheit zu berichten, dabei hatte er immer gedacht, JC vertraute ihm, selbst wenn es um eher kritische Dinge ging. „Sorry, Mann. Ich weiß, dass es scheiße war, deshalb hab ichs dir auch nicht gesagt.“ Genervt über die unschöne Wendung der Situation hämmerte JC mit seinen Fingern auf der Tischplatte herum. „Es war mir später verdammt peinlich, wenn du es genau wissen willst. Weil du ja auch eigentlich was mit mir machen wolltest. Und ich bin mir wirklich wie der letzte Arsch vorgekommen… deshalb wollt ich dich dann auch nicht sehen. Schlechtes Gewissen und so.“ „Okay.“ Etwas zu viele Geständnisse, die ihm nicht unbedingt gefielen, aber Tek war froh, dass er wenigstens endlich in die Hintergründe von JCs komischen Handlungen eingeführt worden war und er war auch in gewisser Weise stolz auf ihn, dass er den Mut gefunden und seine Dummheit zugegeben hatte. Es machte es zwar nicht unbedingt besser, aber es zeigte ihm mal wieder, dass JC doch sein Verhalten reflektieren konnte. Zumindest, wenn man ihn dazu zwang. „Muss ich noch was wissen?“ „Ja; ich… hab dich… ach scheiße, du weißt schon, was ich meine.“ Verärgert über seine eigene Unfähigkeit, Tek auch nur mitzuteilen, dass er ihn ziemlich mochte, entführte er ihm entschlossen auch die anderen Rosinen und legte ihm daraus ein kleines Herz auf den Teller. „Hier, sagt mehr als Worte.“ Wäre es nicht JC, könnte man diese Geste schon fast als süß bezeichnen, in JCs Fall war es einfach ungewohnt und seltsam, aber trotzdem freute sich Tek darüber, auch wenn er die Rosinen wesentlich lieber gegessen hätte statt sie nur zu betrachten. „Du kriegst das hin.“ Er packte JCs kalte Finger und drückte sie aufmunternd. „Irgendwann bestimmt.“ Der sah ihn höchst skeptisch an. „Ich wünsch es mir von dir zu Weihnachten.“ „Nein, du bekommst dieses Jahr nichts von mir.“ JC hatte sozusagen ihn geschenkt bekommen, das sollte ihm ja wohl für den Anfang reichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)