Morpheus und die Gefallenen von abgemeldet (Zera x Jaibo) ================================================================================ Kapitel 1: -Zera- ----------------- Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Jahre später. Jahre, wie Myriaden schwer. Es war Winter, mal wieder, kalter Winter. Er mochte den Winter. Zum Zeitpunkt der Konfrontation mit dieser Erscheinung saß Zera Tsunekawa in einem Café, die einzige Gesellschaft ein Laptop und eine Tasse schwarzer Kaffee. Herrlich bitter, so wie er ihn mochte. Jahre lagen hinter ihm zurück, Jahre, so schwer und so vollkommen anders, wie aus einem anderen Leben. Vielleicht hatten sie es doch geschafft, ihn zu brechen, seinen kranken Geist zu durchdringen. Etwas, das nicht mal er selbst für möglich gehalten hatte. Der Schleier um seinen Verstand hatte sich immer mehr gehoben, es war immer mehr Platz geschaffen worden für etwas, das er manisch gefürchtet hatte: Einen erwachsenen Geist und verkümmerte Hochbegabung, ein Jammer eigentlich. Er führte die Tasse zu den mittlerweile erblassten, schmalen Lippen, doch der verkniffene, leicht überhebliche Zug war noch immer geblieben. Das einzige Überbleibsel von damals, die einzige Erinnerung. Lippen, die nur von einem geküsst worden waren. Erkaltete Augen. Und deren Blick war steif auf den Laptop gerichtet. Zera Tsunekawa, inzwischen 21, griff nach der Tasse mit dem mittlerweile lauwarmen Kaffee, einen kurzen Moment wandte er den Blick ab. Nur einen kurzen Moment. Und dann nahm er die Spiegelung wahr - augenblicklich ruckte sein Kopf herum, nach draußen, versuchte in den vorbeilaufenden Menschen den zu auszumachen, den er glaubte, erkannt zu haben. Nein, er sah ihn nicht, wohl doch nur Einbildung. Die Augen verengten sich auf eine verbitterte Weise. Einbildung. Wurde es mal wieder Zeit für Tabletten? Er hasste es, verabscheute es, aber es war die einzige Bedingung gewesen, dass man ihn entlassen hatte. Psychopath hatte man ihn genannt. Geistesgestört. Er schrieb nun Dinge auf. Er war genial. Der junge Mann stützte das Kinn in seine Hand, der Blick wurde leicht trüb, als er aus dem Fenster wanderte. Wie lange war es her, seit sie sich das erste mal trafen? Seit sie diese schicksalhafte Begegnung teilten? Sehr lange. Müsste ich meine Kindheit mit einem Gemälde vergleichen, dann wählte ich eines von Dalis Werken. Vielleicht die Zeit. Hinweggeschmolzen, gebeugt und verstörend. Ich habe meine Mutter das letzte Mal gesehen, als sie mich in den Polizeiwagen zerrten und daraufhin über Jahre wegsperrten. Ihre großen, verständnislosen Augen, in stummer Frage aufgerissen - ich hätte speien mögen. Diese dumme Frau hat versucht, Dinge zu verstehen, die weit über ihren Verstand hinausgingen. Bis heute haben wir uns nicht wieder gesehen. Hoffentlich ist sie tot. Ich kann nicht einmal sagen, dass sie sich nicht um mich gekümmert hat als Kind, es war viel mehr ... etwas Entgegengesetztes. Ich wollte sie nicht. Sie war eine Erwachsene, stereotyp in ihrem Handeln und Denken als Mutter. Ich hab sie nie geliebt. Und schon gar nicht, als sie anfing, Männer nachhause zu bringen. Da wandte ich mich endgültig ab und erschuf mir meine eigene Welt, in der sich meine Schachfiguren nach meinen Regeln bewegten, drehten und fielen. Heute erscheint es mir, wenn ich zurückdenke, wie ein LSD-Trip, schrill und laut und unendlich verstörend, aber das Gefühl der Macht nahm mir die Angst. Die Selbstzweifel, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt vollkommen in mir vergraben hatte. Alles fort. Wie neugeboren. Auf einmal hatte ich Untertanen, jene, die meiner Ideologie der Perfektion bedingungslos folgten. Wozu schreibe ich das auf? Diese Kleingeister, und es gibt zu viele davon unter ihnen, werden das ohnehin nie begreifen können, sie werden mich nie in Frieden lassen, bis sie nicht das aus mir gemacht haben, was die Welt sehen möchte. Einen normalen, langweiligen, jungen Mann, dem alles genommen wurde, was ihn einst ausgemacht hat. Ignoranten. Aber sie haben Erfolg. Tief in mir drin hat etwas begonnen, sich zu verändern. Ich hasse sie dafür, so sehr. Gerade eben hatte ich eine merkwürdige Begegnung. Nein, vielmehr war es vielleicht eine Einbildung, ich weiß es nicht. Ich glaube, ich habe Jaibo gesehen. Jetzt denke ich, dass es mehr Wunschdenken war, geboren aus meinen perversen Trieben heraus, die ich nicht ausleben kann und die mich zerfressen. Ich träume von Blut, von weißen, scharfen Zähnen und rosenroten Lippen und ebenholzenem Haar und der makellosen Haut, die so wunderschön vollkommen war, mit den Blutspritzern darauf. Dieser Anblick, der mich so sehr erregt hat, dass er mich um den Verstand brachte. Es hat sich mir ins Hirn eingebrannt und manchmal glaube ich, schreien zu müssen, wenn ich ihn nicht endlich haben kann. Seine Hände, seine Lippen, seine ... Er brach abrupt ab. Der Kursor blinkte unschuldig gleichmäßig neben dem letzten Zeichen. Ihm stand leichter Schweiß auf der Stirn und sein Unterleib kribbelte verräterisch. Er schluckte, die Kehle fühlte sich an wie Schleifpapier. Nach außen hin allerdings ließ er sich nichts anmerken, niemals. Aber in seinem Inneren, da ... brannte dieses Verlangen nach ihm, diese Lust auf den Knabenkörper, der, wenn er tatsächlich noch lebte, existierte, wohl längst kein Knabe mehr war, aber diese Vorstellung trieb ihm die Galle hoch. In seiner Vorstellung war sein wunderschöner, blutbespritzter, abgedrehter Jaibo noch immer 14 Jahre alt und vielleicht war es auch besser, dass er sich ihn vorhin nur eingebildet hatte, denn er wusste nicht, was er täte, wenn er merkte, dass er tatsächlich kein Kind mehr war. Es würde ihn um den Verstand bringen, denn es wäre der tatsächliche Beweis, dass die frühere Zeit, seine Obsession, für immer verloren und zerstört worden war, durch Menschen, die der Auffassung gewesen waren, ihn heilen zu müssen. Zera bekam plötzlich Kopfschmerzen. Er schob mit dem Handballen die randlose Brille hoch und rieb sich über die Augen. Als er kurz darauf wieder auf den Bildschirm starrte, waren die Buchstaben leicht verschwommen. Einen Moment später klappte er den Laptop schließlich zu. Genug für heute. Er griff nach der Kaffeetasse und trank den kalten, bitteren Kaffee in einem Zug leer. Legte der Bedienung das Geld auf den Tisch und ging ohne ein weiteres Wort, dass das unhöflich war, war ihm schlichtweg gleichgültig. Was kümmerten ihn bitte solche trivialen Dinge? Es hatte noch nicht geschneit, aber es war schneidend kalt draußen, der erste Schnee würde wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Kälte schnitt in sein Gesicht, er zog den Schal enger, mehr aus Routine als aus dem Grund, wirklich zu frieren. Er lebte jetzt alleine. Betreutes Wohnen. Lachhaft, aber es hatte keinen Weg drumherum gegeben, das war die Bedingung dafür gewesen, dass man ihn entlassen hatte. Er hasste es, er hasste es wirklich. Als Kind frei und ein Führer, den so viele angebetet hatten und jetzt, als Erwachsener, entmündigt und unterdrückt. Was für ein erbärmliches Paradoxon. Er bewohnte eine relativ große Zweizimmerwohnung. Sein Vater bezahlte sie ihm. Mit dem er ansonsten keinen Kontakt hatte. Wie man ihn damals ausfindig gemacht hatte, wusste Zera nicht und es interessierte ihn auch nicht. Er hatte ihn nur einmal gesehen und zwar, als er vor etwa einem Jahr entlassen worden war, das war kurz nach seinem einundzwanzigsten Geburtstag gewesen. Sie hatten nicht viel gesprochen, sein Vater, weil er offenbar nicht wusste, wie er mit seinem Sohn, der ihm fremd geworden war, umgehen sollte, und er selbst nicht, weil er schlichtweg keinen Sinn darin sah. Mit den Händen in den Jackentaschen vergraben lief er langsam Richtung Wohnung. Es war ein ganz schönes Stück, aber er fuhr nicht gerne mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Der nahe Kontakt mit fremden Menschen auf engem Raum behagte ihm nicht. Sie stanken. Sie redeten laut. Sie bewegten sich unvorsichtig. Den Blick stur nach vorne gerichtet, jedem ausweichend, der ihm auch nur zufällig begegnen wollte. Mehr beiläufig wandten sich seine Augen kurz zur Seite, in die Auslage eines auf technisches Spielzeug spezialisierten Geschäfts. Unwillkürlich blieb er stehen und ein Mann, der hinter ihm gelaufen war, fluchte kurz, da er beinahe in ihn hineingelaufen wäre, doch Zera beachtete ihn nicht. Seine Augen verengten sich. Es war nur ein kleiner Spielzeugroboter. Nur ein Spielzeug. Und Litchi nicht im Geringsten ähnlich und doch ... Die Hände in seinen Taschen verkrampften sich, begannen zu schwitzen und sein Herz fing unangenehm an, zu rasen. Im nächsten Moment musste er sich loseisen, er ging mit schnellen Schritten weiter, musste es, da er die ersten Anzeichen einer Panikattacke spürte. Schnell weg von hier, schnell nachhause, schnell ... Sirrengrellgestankblutschwindelschwindelschwindel V e r g a n g e n h e i t ... Er rannte beinahe, versuchte, gleichzeitig, ruhig zu gehen. Wieso war seine verdammte Wohnung nur so weit weg? Sein Atem kondensierte vor seinen blassen, schmalen Lippen, er war untrainiert, seine Lungen schmerzten und er lief weiter, weil er es nicht mehr ertragen konnte, hier draußen zu sein, wo ihn alle sehen konnten, wo alle sehen, riechen, spüren, konnten, was er getan hatte, welche Schuld ... Er schlug die Tür regelrecht hinter sich zu. Atmete zitternd ein und wieder aus. Stellte die Laptoptasche ab, vermied den Blick zum Spiegel im Gang, als er an ihm vorbei lief. Er ertrug sein nüchternes Erwachsensein nicht. Mit weichen Knien lief er ins Wohnzimmer. Er hatte keinen Fernseher, kein Radio. Bloß keine Technik, bis auf den Laptop. In der Klinik hatte er Alpträume gehabt, grässliche Alpträume, die ihn fast um den Verstand gebracht hatten, Alpträume von Maschinen, die seine Freunde fraßen - und ja, so gesehen, waren sie seine Freunde gewesen, denn außer ihnen hatte er niemanden gehabt - und die ihn selbst fraßen oder zerfetzten, alles war in blutrot getaucht oder in schwarzweiß. Nur durch Zugabe von Medikamenten hatte man das alles eindämmen und irgendwann stoppen können. Er nahm heute noch Tabletten. Haloperidol, um den Geist ruhig zu halten, zu heilen, Mirtazapin für den Schlaf und die Ruhe. Er hatte sich ihnen ergeben. Sie brachten ihm Heilung. Sie hielten ihn in Ketten und er hing gewisserweise an diesen Ketten, da er sich irgendwann hatte eingestehen müssen, dass er sich schon lange nicht mehr unter Kontrolle gehabt hatte. Die Psychose hatte die Kontrolle übernommen. Diese Besessenheit von ewiger Jugend und einem Utopia nur für sie. Im Endeffekt nur für ihn und Jaibo. Er schluckte trocken, schob sich die Brille mit dem Handballen hoch. Dachte wieder an vorhin. Es ließ ihm einfach keine Ruhe. Wenn er es so bedachte, dann wusste er gar nicht, was aus Jaibo geworden war. Damals war alles so schnell gegangen. Viel zu schnell. Wenn er jetzt daran dachte, erinnerte es ihn irgendwie an das Kabinett des Doktor Panassus. Unwirklich und wahnsinnig machend, zuviele Eindrücke, zuviele Bilder, zu wenig Farben, alles viel zu schnell, zu schmerzhaft. Er konnte sich gar nicht mehr an damals erinnern, nicht mehr wirklich, mehr, wie wenn man sich an einen Traum erinnerte, versuchte, ihn zu fassen, von dem man aber wusste, dass er definitiv dagewesen war. Einer der Psychologen hatte einmal gesagt, dass es ein Schutzmechanismus sein könnte, der begonnen hatte, ähnlich wie die Antikörper das zu zersetzen, das ihn zerstörte. Aber beinahe trotzig schon hatte er daran festgehalten, tat es bis heute. Es war ein innerer, jämmerlicher Zwiespalt und er konnte nicht klar definieren, was ihm lieber war. Jaibo. Schon wieder tauchte sein Gesicht vor seinem inneren Auge auf. Jaibo ... er knipste eine Stehlampe an. Er hatte so lange nicht an ihn gedacht und jetzt ...? Jaibo ... war ihm immer der Liebste gewesen. Hatte er ihn geliebt? Das war schwer zu definieren. Das war ein schwerer Begriff, mit dem ein Kind unmöglich umgehen konnte. Jaibo hatte ihn geliebt, er hatte es ihm ja gesagt. Aber Zera selbst ... er wusste es nicht. Er hatte ihn begehrt, wie man nur einen anderen Menschen begehren konnte. Gott, sie waren so jung gewesen, viel zu jung für solche Dinge, aber sie hatten es getan. Sie hatten zwar nie wirklich miteinander geschlafen, aber Jaibo hatte ihn so oft zum Kommen gebracht, dass er irgendwann aufgegeben hatte, diese kleinen Tode zu zählen. Wie schmutzig er sich dabei vorgekommen war und wie hilflos seiner eigenen Lust unterworfen. Das war das einzige gewesen ... das einzige, in dem er die Kontrolle verlor. Jaibo hatte sich von ihm ins Gesicht schlagen lassen. Es hatte sie beide erregt und jetzt, wo er daran dachte, spürte er abermals das Kribbeln in seiner Lendengegend, stärker als zuvor diesmal, und verstimmt verzog er die Augenbrauen. Er wollte das nicht. Er hasste diesen Bezug zu seinem eigenen Körper, aber die Lust war meistens stärker. Er ekelte sich manchmal vor sich selbst. Zera biss sich auf die Fingerknöchel. Versuchte, nicht an Litchis zu denken. Nicht an die eine Frucht, die er Jaibo damals zwischen die Lippen geschoben hatte, zwischen diese sündigen, roten Lippen, ein Anblick, der ihn damals, salopp ausgedrückt, extrem angegeilt hatte. Er stöhnte leise und ließ dann seinen Blick über sein Bücherregal fliegen, bestrebt, etwas zu finden, mit dem er sich Ablenken konnte. Quantenphysik. Das war doch etwas. Er zog einen schmalen Band mit einem Formelverzeichnis aus dem Regal hervor und schlug es auf. Eigentlich hätte er mit seinem Können locker einen entsprechenden Studiengang belegen können. Aber er war ja "krank" gewesen. Er hatte ja nicht weiter zur Schule gehen, seinen Abschluss machen können. War nicht fähig gewesen, unter Menschen zu sein. Vielleicht holte er es irgendwann nach. Vielleicht, wenn er mit dem Teil der Mechanik wieder umgehen konnte, ohne Panikattacken zu bekommen. Er versuchte, sich die schwierigsten Formeln einzuprägen. Damit tat er sich nicht wirklich schwer, denn er hatte ein fotografisches Gedächtnis, aber die Gedanken ließen sich einfach nicht binden. Ließen sich nicht auf die Physik wenden, nein. Zu Jaibo. Immer wieder zu ihm hin. Mit einem wütenden und frustrierten Schnauben warf Zera das Buch in die nächste Ecke. Der Blick wanderte zu seinem Laptop. Vielleicht sollte er sich wieder online einen dieser kranken Pornos ansehen und sich dann vorstellen, dass der submissive Part Jaibos Gesicht hatte. Wenn er sich da so richtig hineinsteigerte, hatte er meistens hinterher Wochen Ruhe vor diesen lästigen Gedanken. Zögerlich betätigte er den An-Knopf und es dauerte nicht lange, bis das Gerät hochgefahren war. redblood.com Er überflog einige Thumbnails und blieb dann auf einem interessanten hängen. Er trug den Titel: "Hexenaustreibung." Es traf genau seinen Geschmack. Das Gesicht der Frau war unter einer Maske verborgen und der nackte Körper sehr knabenhaft. Man schlug sie immer und immer wieder auf dieselben Stellen, schnitt ihr Wunden in den Körper und penetrierte sie mit allem Möglichen und Unmöglichen. Und man fickte sie. Ziemlich hart. Und sie schrie und stöhnte. Erregend laut. Er stellte sich vor, das mit Jaibo zu tun und als er sich das vorstellte, war er selbst längst hart. Unsanft packte er sich selbst in den Schritt und erledigte mit hilflosem und unterdrücktem Stöhnen das, was in seinen Augen getan werden musste. Um wieder zur Ruhe zu kommen. Als er in seiner eigenen Hand kam, tat er es mit Jaibos Namen auf den Lippen. Er gönnte sich kaum Ruhe. Keine zehn Sekunden dauerte es, ehe er aufstand und dem Drang nach einer Dusche nachgab. Er musste sich sauber waschen. Das war ja widerlich. Das heiße Wasser tat seinem Körper gut. Unheimlich gut. Und es wusch das Zeugnis seiner eigenen Schwäche von seinem Körper. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)