Das Wunder des Lebens von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 11: Großeltern wider Willen ----------------------------------- XI. Großeltern wider Willen Justin saß auf der Wohnzimmercouch im Haus seiner Mutter. Er hielt Lilly auf dem Arm, die wach, aber friedlich mit Armen und Beinen durch die Gegend strampelte. Ihr Blick war klarer geworden, aber der Himmel wusste, was sie wahrzunehmen in der Lage war. Was dachte ein Baby? Dachte es überhaupt…? Wie ging das ohne Worte? Oder fühlte sie nur…? Wenn sie schrie… hungrig… nass… einsam… kalt…? Und wenn sie so war wie jetzt? War sie glücklich…? Die Grundbedürfnisse befriedigt… reichte das…? Wohl nicht… sie sah nur so aus, bewegte sich nur so, wenn sie sie hielten, wenn sie Nähe fühlte… der Mensch, ein soziales Tier, auch an der Grenz des Bewusstseins. Seine Mutter hantierte in der Küche, kochte Kaffee. Justin hatte sie gebeten, Molly elegant für ein paar Stunden aus zu quartieren, was kein Problem gewesen war, da sie darauf brannte, mit ihren Teenager-Freundinnen durchs Einkaufszentrum zu bummeln. Sie brauche dringend neue Ohrringe hatte sie gesagt. Nun ja… Aber sie würden dennoch nicht unter sich bleiben. Punktgenau klingelte es an der Haustür, Jennifer öffnete. An Justins Ohr drang ein verdächtiges Schmatzgeräusch. Seit wann machten sie denn sowas…? Hatten sie doch, soweit er sich zurück erinnern konnte, nie gemacht… oder, doch, aber da war er noch ein Kleinkind gewesen. Wie hatte Brian es genannt? Zweiter Frühling? Sei es ihnen gegönnt. Aber dennoch… sie benahmen sich gar nicht wie sie selbst… Oder waren sie einmal so gewesen? Bevor er und Molly geboren worden waren? Sie hatten ja zuvor auch ein Leben gehabt, waren irgendwann wohl einmal verliebt gewesen. Was war mit ihnen passiert? Wann war aus seinem Vater so ein Arschloch geworden? Oder war er es immer gewesen? Aber warum hätte seine Mutter ihn dann geheiratet? Dinge, von denen er nichts wusste. Aber die Liebe konnte sterben, wenn man es zuließ, das hatten sie ihm ungewollt gelehrt. Wenn man außer dem Alltag nichts mehr zuließ. Wenn man aufhörte, sich zu bemühen. Wenn man vergaß zu schätzen, was man hatte. Dann starb die Liebe einen unbemerkten leisen Tod, der kaum Trauer weckte. Justins Eltern traten ins Wohnzimmer. Craig trug zuvorkommend das Tablett mit dem Kaffee und ein paar Baisers. Das war auch neu… Und er kleckerte ziemlich, als er Justins mit dem Baby ansichtig wurde. Rasch stellte Craig seine Fracht ab. Sie setzten sich, der Kaffee wurde ausgeschenkt. „Das… das ist sie… Lilly?“ fragte Craig schließlich. „Ja, Papa. Das ist sie“, antwortete Justin ruhig. Craig musterte sie über den Wohnzimmertisch hinweg. „Das ist… Daphnes Tochter?“ fragte sein Vater zögerlich. „Aber warum hast du sie…?“ Justin atmete tief durch. „Mama. Papa. Ich muss euch um etwas bitten.“ Beide starrten ihn gebannt an. „Was?“ fragte schließlich Jennifer. „Ich kann euch sagen, was es mit Lilly auf sich hat. Zumindest halbwegs, ich bin weit davon entfernt, alles zu wissen – geschweige denn zu verstehen. Aber ich kann das nur tun, wenn ihr mir schwört, dass kein Wort von dem einer anderen Person zu Ohren kommt. Egal, wie sehr er ihr traut. Niemandem. Niemals. Nicht bloß für mich – für Lilly. Das ist von absoluter Wichtigkeit.“ Seine Augen fokussierten abwechselnd seine Mutter und seinen Vater. „Ich verspreche es, Schatz“, sagte Jennifer schließlich. Craig räusperte sich: „Mir ist nicht wohl… so einen Blankoscheck zu unterschreiben. Aber… es ist für das Mädchen? Okay… ja… okay… ich verspreche es. Kein Wort kommt über meine Lippen.“ „Gut“, sagte Justin. Dann fuhr er fort: „Herzlichen Glückwunsch, ihr seid Großeltern. Und das auch in biologischer Hinsicht.“ Jennifer schnappte nach Luft, aber sie hielt sich einigermaßen, war sie zuvor doch schon argwöhnisch gewesen beim Anblick des Babys… zu wenig Daphne, zu viel Justin… Craig hingegen traf es ohne Vorwarnung. Sein Gesicht wurde bleich, er fasste sich an die Brust. „Was?“ stammelte er. „Was hast du gesagt?“ „Ich sagte“, wiederholte Justin, „dass Lilly eure Enkeltochter ist. Sie stammt von euch ab.“ „Aber!“ protestierte Craig, „du bist doch… schwul?! Oder was? Oder wie?“ „Keine Panik, ich habe es mir nicht anders überlegt. Aber auch schwule Männer haben vermehrungsfähiges Material zu bieten. Und dank modernster Technik ist es dabei nicht Mal nötig, sich der holden Weiblichkeit in geschmackloser Absicht zu nähern.“ „Daphne hat sich mit deinem… ähem… künstlich befruchtet?“ wollte Jennifer wissen, während Craig versuchte, seinen Herzschlag wieder in halbwegs geordnete Bahnen zu leiten, bevor er noch einen Infarkt bekam. „Jein… Um es gleich zu sagen. Ich hatte keine Ahnung. Daphne hat mich nicht um Erlaubnis gefragt und es sich bedauerlicherweise auch verkniffen, mich bei Zeiten von meinem Glück zu informieren. Erst ein Vaterschaftstest brachte ein wenig Licht in das Dunkel.“ „Sie… sie hat dein Sperma geklaut? Wie bitte ist das denn passiert?“ platzte es aus Craig heraus. „Weiß ich nicht mit absoluter Sicherheit. Die wahrscheinlichste Theorie ist, dass sie, sagen wir mal, „verdächtiges Material“ aus dem Badezimmer im Loft hat mitgehen lassen.“ Craig begriff. „Und dann hat sie…?“ wollte er wissen, den Blick an Lilly geheftet. „Ja… Aber das ist nicht alles…“ „Was hat sie gemacht? Wenn es ihr nur um ein Baby gegangen wäre…?“ wollte Jennifer wissen. „Wäre das ein ziemlich blöder Weg gewesen“, schloss Justin. „Ist ja nicht so, als ob ich mich prinzipiell dagegen gesperrt hätte – wenn auch nicht unbedingt sofort, aber ich hätte mich wahrscheinlich breitschlagen lassen. Und das dürfte Daphne auch gewusst haben. Oder sie hätte sich ja auch wen anderes suchen können… Nein… da ist noch was…“ Seine Eltern starrten ihn gebannt an. Sie wirkten ein wenig wie hypnotisiert. „Sie war in so einem Forschungsprojekt bei irgendso einem Ober-Guru der Fortpflanzungsmedizin in Chicago. Promotionsstipendium. Sie war völlig hin und weg. Elitär, und sie war dabei. Aber ich bin mir nicht sicher, was in ihr vorgegangen ist. Sie hat experimentiert. Und es war auch nicht nur mein Erbmaterial, dass sie zu diesem Zwecke gekidnapt hat.“ „Was, es gibt noch andere…?“ würgte Craig hervor. „Nein. Nur Lilly. Aber Lilly ist… Wie soll ich sagen… Sie ist wohl auf eine Art und Weise zustande gekommen, die es so eigentlich nicht gibt…“ „Justin, bitte“, sagte Jennifer sanft, „sag es uns… was ist mit Lilly?“ „Daphne hat… also wir glauben… Also Brian und ich haben uns, als uns die Sache spanisch vorzukommen begann wegen der Ähnlichkeiten und so, beide testen lassen. Lilly stammt von mir ab. Und von Brian. Keine Ahnung, wie viel von Daphne in ihr steckt.“ Jetzt war es raus. Seine Eltern starrten fassungslos. „Das… das ist…“, kam konfus aus Craig. Jennifer sank rückwärts in die Polster. „Um Himmels Willen!“ konnte sie nur sagen. „Um Himmels Willen!“ „Wenn das raus kommt, wird die Presse, die Jurisprudenz, Fanatiker aller Arten und wer weiß wer noch über Lilly her fallen. Das darf nicht geschehen“, schloss Justin. „Das… Lilly ist unser Enkelkind?“ verhaspelte sich Craig, krampfhaft Ordnung ins Chaos zwingen wollend. „Sieht so aus. Sie ist meine Tochter. Zwar nicht mit derselben Prozentangabe wie bei auf sonst üblichem Wege gezeugten Kindern. Aber sie ist das Ergebnis meiner körpereigenen… Vermehrungszellen?... –Produktion.“ „Und… und Brian ist auch ihr Vater?!?“ hakte Jennifer nach Begreifen suchend nach. „Ja, ebenso wie ich.“ Craig und Jennifer schauten sich an. Ihnen war bewusst, dass sie wohl recht dümmlich aus der Wäsche schauen mussten. Aber wer konnte es ihnen verdenken? Wer vor ihnen hatte jemals so eine Nachricht bekommen? Niemand, wahrscheinlich. „Ich brauche einen Schnaps“, krächzte Craig, den Kaffee von sich schiebend. „Ich auch“, hauchte Jennifer geplättet. Lilly quakte heiter, auf den ganzen Trubel pfeifend, und patschte weich auf Justins Arm. Justin wartete, bis seine beiden Altvorderen sich mit dem schärfsten Alkohol, den der Hausstand zu bieten hatte, eingedeckt hatten. „Auf die glücklichen Großeltern“, meinte er trocken, als seine Eltern wild entschlossen kippten. Craig verschluckte sich. „Gott, Justin“, hustete er, „ich weiß gar nicht… Das ist doch nicht normal…“ „Wohl nicht“, erwiderte dieser, „aber ausnahmsweise ist das nicht mir in die Schuhe zu schieben. Bedank dich bei Daphne. Und was ist schon normal?“ „Naja“, hob Craig an. „Erspar mir den Vortrag! Hinter fast jeder fein sauberen Fassade verbirgt sich irgendwelcher Dreck. Nur weil es keiner sieht, ist er dennoch da. Vermutlich ist das „normal“. Und all jene, die doch selber was am Strecken haben, zeigen zu gerne auf andere, nur um sich selbst versichern zu können, hach so „normal“ zu sein. Mit Fingern, mit Worten, gewispert oder gebrüllt, mit Fäusten, Baseballschlägern und Bomben! Ist das „normal“? Da lehne ich dankend ab! Und Lilly kann nichts für die Art und Weise, wie sie ins Leben gekommen ist!“ „Sicher, Justin“, mischte sich Jennifer ein. „Aber was ist mit Lilly? Wenn Daphne mit ihrem Erbgut gespielt hat… Ist sie gesund?“ „Nach Auskunft der Ärzte geht es ihr bestens.“ „Und was sagt Brian dazu…?“ hakte sie nach. „Erst mal war es natürlich der totale Hammer. Aber… wie soll ich sagen? Sie ist unsere Tochter. Unverhofft… aber unser leibliches Kind. Und Brian… ja… er ist glücklich… wie ich… Lilly… man mag verdammen, was Daphne getan hat, ohne zu fragen und wohl auch, ohne zu denken, was die wesentlichen Aspekte angeht… aber Lilly… sie ist ein Geschenk… unser Kind…“ Craig blinzelte. Das hatte er auch gefühlt… als Justin und Molly geboren worden waren. Aber an ihnen hatte niemand… rumgepfuscht… Aber das Baby… was war…? Er versuchte sich zu straffen. „Darf ich mal?“ fragte er und streckte die Arme aus. Justin nickte und reichte ihm achtsam den Säugling. Craig starrte auf das winzige Gesicht. Ja… wie Justin und Molly ein wenig… aber die Augen waren anders, die langen Wimpern… Brians…? Was für ein Würmchen, sie war unglaublich klein, Justin war bei der Geburt ein ziemlicher Klops gewesen und Molly auch nicht gerade eine Elfe. Aber sie war, so absurd die Sache auch erschien, sein Nachfahre. Die Tochter seines Sohns, mehr oder weniger. Und seines vermaledeiten Schwiegersohns, gleichfalls mehr oder weniger. Und Daphnes…? Ein Teil von ihm war fasziniert, wie hatte sie das gemacht? Ein anderer Teil war schockiert – er war Opa und jetzt bekamen schon Männer Kinder mit Männern. Wo sollte das hinführen? Und ein weiterer Teil fühlte sich leicht besoffen vom Alkohol und dem zarten Neugeborenen, das seine Enkelin war. Jennifer beugte sich hinab und legte die schlanken, wohl manikürten Finger auf Lillys Wangen, worauf der Säugling weit die riesigen Augen aufschlug. „Sie ist wunder-, wunderhübsch“, flüsterte Jennifer andachtsvoll. Justin schien fast zu platzen vor Beglückung. Craigs Hirn war etwas vernebelt. Ja… Jenn hatte schon recht… das Baby war… schließlich steckten sie mit drin, oder, sie beide…? Was war hier los? Das Babygesicht verzerrte sich plötzlich unwillig. Die gerümpfte Nase sah nach Justin aus, Gott sei Dank nicht Brian Zinken, wie würde das an einem Mädchen aussehen?! Sie holte tief Luft und begann zu brüllen. „Äh… sie will was…?“ konstatierte Craig ein wenig planlos. Jenn hatte sich früher immer um die Babys gekümmert… „Mmm“, meinte Justin, „entweder sie hat Kohldampf, oder sie hat dir auf den Arm gepinkelt.“ Jennifer begann zu lachen. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………….. „Hallo, Muttilein!“ „Werden diese unangekündigten Besuche jetzt zur Gewohnheit?“ „Ich habe halt Sehnsucht nach dir…“ Brian trug seinen Lieblings-Sommermantel von Boss, der um ihn herum wehte, als er, ohne auf Einladung zu warten, an Joan vorbei ins Wohnzimmer segelte. Claire saß vor dem Fernseher und verfolgte eine Talkshow zum Thema „Du bist zu fett, daher liebe ich dich nicht mehr“. Sie zuckte kurz zusammen, als Brian überraschend hinter ihr auftauchte. „Hallo, Schwesterlein!“ bemerkte er. „Brian“, erwiderte sie augenrollend. „Was machst du denn hier?“ „Freundschaftsbesuch. Geht es dir gut? Bist du glücklich? Halt, Moment, das interessiert mich ja gar nicht!“ „Sicher… Wozu brauchst du schon ein Herz… oder Gefühle? Steht ja kein Label drauf“, entgegnete sie. Brians Kiefer klappten aufeinander. Als ob die eine Ahnung hätte… blöde Kuh. Eigentlich hatte sie ihm nie etwas getan. Sie erschien ihm nur wie eine Versager-Version von sich selbst, und das widerte ihn an. Genaugenommen konnte sie nichts dafür. Von Jacks Prügeleien hatte sie nie etwas abbekommen. Sie war immer das arme, schutzbedürftige Mäuschen gewesen, das keine Widerworte gab. Bloß nicht auffallen. Da hatte sie die Rechnung. Selber schuld. Er musterte sie. Sie könnte wahrscheinlich wirklich gut aussehen. Aber was immer man falsch machen konnte, machte sie falsch. Sie hatte Joans leblose graue Augen, die aber durchaus apart erscheinen könnten, geheimnisvoll, wenn ein entsprechender Charakter dahinter stünde und nicht nur Mus. Ihre Haare hingen schlaff und etwas fettig herab. Ihre Haut zeigte Falten, aber für eine Frau an die Vierzig war das wohl auch in Ordnung. Ein wenig Make up würde allerdings nicht schaden. Und andere Klamotten, nicht dieser indifferente, jede Konfrontation meidende Allerwelts-Look. Aber das war nicht sein Problem. Er war garantiert nicht ihr Stylist. „Ja… liebste Claire… Ich bin ein gefühlskalter, materialistischer Snob, dessen einziger Lebensinhalt ist, seine Kohle gut sichtbar Gassi zu führen – jetzt zufrieden?“ „Wie kannst du nur…?“ „Du kennst mich einen Scheiß! Tut mir ja leid, dass dein Leben zum kotzen ist, aber gib mir dafür gefälligst nicht die Schuld! Das ist dein Leben!“ „Mama?!“ beschwerte sie sich. „Jaja… lass nur andere deine Kämpfe ausfechten… Hast du ja immer so gemacht…“ „Ist halt nicht jeder so ein eiskalter Fisch wie du!“ „Eiskalt? Wenn du das gerne glauben möchtest – bitteschön. Manchmal schon. Deswegen sitze ich jetzt wohl auch nicht da, wo du gerade rumhängst…“, versetzte Brian fies. „Und wo hängst du rum? In irgend so einem mit dem Beschiss anderer Leute finanzierten Protz-Palais! Mit einem jugendlichen Liebhaber a la fesche Blondine! Und zwei Bastarden, die du irgendwo aufgegabelt hast – wahrscheinlich auch gegen bare Münze!“ Mit zwei Schritten war Brian bei ihr und schnappte sie am Ohr, eine uralte Geste. „Wehe dir, wenn du meine Kinder Bastarde nennst. Oder meinen Mann sonst was. Du glaubst, dass dein Leben scheiße ist? Glaub mir, das ist ein Sonntagsspaziergang im Vergleich zu dem, was ich mit dir veranstalte, wenn du sowas auch nur noch einmal denkst!“ Claire zuckte zusammen. Wie Brian vorausgesehen hatte, knickte sie sofort ein. „Ist ja gut… Ich hab’s nicht so gemeint…“ Hast du, dachte Brian. Aber du hast nicht mal den Schneid, dafür einzustehen. Er verachtete sie. „Kinder?“ fragte Joan, die jetzt erst eintrat, nachdem sie das Brutzelnde in der Küche gerettet hatte. „Alles in Ordnung, Mama!“ rief Claire. „Ja… Plausch zwischen Geschwistern, wie in alten Zeiten!“ bestätigte Brian. „Gut“, meinte Joan. „Was wolltest du?“ „Einen netten kleinen Spaziergang mit dir!“ säuselte Brian übertrieben mit Blick auf Claire. Joan verstand sofort. „Sicher. Wie schön. Gehen wir.“ Claire biss die Lippe zusammen und starrte wieder auf den Bildschirm. Ein von Kopf bis Fuß gepiercter Bauarbeiter schüttete sein Herz darüber aus, warum er seine Zwei-Tonnen-Frau einfach nicht mehr sexy fand. Die Frau weinte herzergreifend. Selbst schuld, dachte Brian naserümpfend. Man mochte fett sein, weil man das so wollte. Aber sich nicht unter Kontrolle zu haben und dann rum zu flennen, damit hatte er null Erbarmen. Friss ne Mohrrübe und beweg deinen drallen Arsch! Oh Gott, jetzt dachte er schon über diese Versager in der Talk-Show nach. Nichts wie raus hier! „Tschüssi, Schwesterchen“, sagte er zu Claire und gab ihr einen fast beleidigenden Kuss auf die Wange, den sie abzuwehren nicht einmal versuchte. Du armeselige… Hau mir doch zumindest in die Fresse, du Null! Aber nichts kam. Sie schluckte es einfach wie ein Schwamm. „Gehen wir?“ fragte Joan. „Ich freue mich!“ log Brian voll offensichtlichem Enthusiasmus. Schweigend liefen sie. Sie erreichten einen kleinen Park, in dem Brians Schulkameraden früher immer gespielt hatten. Brian war indes nach Hause gegangen, hatte akribisch seine Schulaufgaben erledigt und dann gelesen. Erst zum Fußballtraining hatte er sich wieder unter Menschen begeben. Eigentlich hätte ihn jeder für einen Streber oder wunderlichen Nerd halten müssen. Aber nie war jemand auf den Gedanken verfallen. So hatte er seine ersten Lektionen seine spätere Berufslaufbahn betreffend gelernt. Was rar ist, will jeder. Was sich als großartig präsentiert, will auch jeder. Lüge, so will dich jeder. Zeige nichts von dir und sehe gut aus und sei der Beste. Lass sie spüren, dass du ihnen überlegen bist, aber gewillt, ihnen Bröckchen zu zuwerfen. „Also?“ unterbrach Joan seine Gedankengänge. „Lilly ist meine Tochter“, sagte er ohne Einleitung. „Habe ich doch gesagt.“ „Ja, hast du. Aber dennoch war es kein Volltreffer.“ „Wie das?“ „Ich bin Lillys Vater. Zu fünfzig bis achtzig Prozent.“ „Was soll das bedeuten?“ „Daphne hat mit meinem und Justins Erbmaterial ohne unser Wissen und Einverständnis Experimente getrieben. Unsere Erbanlagen sind zu ziemlich gleichen Teilen in Lilly vertreten.“ „Aha“, sagte Joan langsam. „Wo bleibt der bigotte Anfall?“ „Ich bin nicht bigott! Aber diesem Mädchen, Daphne, würde ich schon gern etwas erzählen! Aber ihr könnt nichts dafür. Du nicht, Lilly nicht, Justin nicht, oder?“ „Nein, wir wussten nichts davon. Und Lilly kann nun gar nichts dafür.“ „Hättet ihr es getan, wenn sie es euch gesagt hätte?“ „Schwer zu sagen. Wenn ich jetzt Lilly ansehe, dann würde ich sagen, ich hätte alles getan. Aber damals… nein. Ich hätte dem nicht zugestimmt.“ „Ist sie meine Enkelin?“ „Ja.“ „Ich kann die Umstände, unter denen sie gezeugt wurde, nicht gut heißen. Und es widerspricht der Natur und Gottes Plan. Aber endlich mal ein Mädchen.“ „Du wirst schweigen?“ „Ja. Lilly ist Niemandes Angelegenheit außer der ihrer Familie. Und auch du hast dein Versprechen gehalten.“ „Ja. Ich verspreche nichts leichtfertig.“ „Ich weiß.“ Stumm liefen sie durch die blühenden Beete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)