Zwei Fronten von Schattenprinz ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Zwei Fronten Sie hielten sich eine Zeit lang im Arm, die bloße Gegenwart des anderen genießend. Fünf Jahre war es her, dass sie sich zuletzt so nahe gewesen waren. Fünf lange Jahre. Schließlich war es Modis, der sich langsam von seinem wieder gefundenen Freund löste. Freund … Konnte er es überhaupt mit seinem Gewissen vereinbaren, einen Gardisten als seinen Freund zu bezeichnen? Er wandte sich ab. Hassar streckte eine Hand nach Modis aus, hielt aber kurz vor ihm inne. Etwas befremdliches befand sich plötzlich zwischen ihnen wie eine unsichtbare, unüberwindbare Schranke. „Es ist falsch, an der Seite des Schatten zu kämpfen“, begann Modis dann langsam, aber ohne sich zu Hassar umzublicken. Dieser schüttelte den Kopf. „Die Rebellen sind es doch, die uns ständig attackieren und einen militärischen Putsch nach dem anderen versuchen! Das Leben könnte so friedlich sein wenn sie nicht wären!“ Nun endlich wandte Modis sich um. Tränen blitzten in seinen Augenwinkeln, ein verzweifeltes Lächeln hielt krampfhaft seine Lippen in Beschlag. Hassars Herz stockte, am liebsten hätte er seinen geliebten Freund in die Arme genommen. Doch dessen heiser geflüsterte Worte hinderten ihn daran. „Nein, nicht sie, Hassar. Wir. Ich bin einer von denen, mein Freund. Und nichts –“, er stockte und schloss seine Augen, sodass die Tränen keinen Halt mehr fanden und zu Boden stürzten, „auch du nicht – wird etwas daran ändern können. Solange ich lebe, werde ich meine gesamte Kraft dazu nutzen, dem grausamen Regime des Schatten Einhalt zu gebieten. Und wenn du … auf seiner Seite stehst …“ Modis’ Stimme brach, als die Tränen immer zahlreicher, immer ungezügelter über seine Wangen liefen. Hassar hatte seinem Freund fassungslos gelauscht, der letzte Rest an Farbe war aus seinem sowieso schon äußerst blassen Angesicht gewichen. Es war ihm, als hätte eine eiskalte Faust sein Herz umschlungen und würde es am Schlagen hindern. „Komm mit mir, Hassar“, flehte Modis. „Ich verlange gar nicht, dass du für die Sache der Freidenker kämpfst, aber bitte … Komm mit mir.“ Er wischte sich unwirsch die Tränen aus dem Gesicht. Hassar schüttelte den Kopf. Zunächst war es nicht mehr als ein Zucken, doch nach und nach wurde es immer heftiger. Modis starrte ihn zunächst unverstehend an, dann versteifte er sich und trat einen Schritt zurück. „Gut. Wie du willst. Dann rate ich dir, schleunigst von hier zu verschwinden, sonst kann niemand mehr für deine Unversehrtheit garantieren.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und verschwand in der Dunkelheit zwischen den heruntergekommenen Hütten. Erst dann brach Hassar weinend zusammen. *** Hagan hätte ihn gefunden. Egal wohin er geflohen wäre. Ihn und mit ihm Modis. Und er hätte sie beide getötet. Hassar war sich dessen bewusst, doch es hatte so unendlich wehgetan. Modis’ abweisende Haltung, seine kalte Stimme, sein verzweifelter, gebrochener Blick. Als Hassar sich zurück zur Festung schleppte, wünschte er sich fast, Modis wäre damals wirklich gestorben. Zu wissen, dass sich sein Freund noch irgendwo da draußen befand, aber sie auf zwei verschiedenen Fronten gegeneinander kämpfen mussten, war noch viel schlimmer. Bei der Festung angekommen, führte ihn sein Weg zuallererst zu Hagan. Er hatte bei seinem General noch etwas wichtiges klar zu stellen. Nach einem kräftigen Schlag gegen die Tür trat er ein, ohne darauf zu warten, hereingebeten zu werden. Hagan saß wie erwartet an seinem Schreibtisch, wo er die Angelegenheiten der Königlichen Garde verwaltete. Bei Hassars Eintreten sah er nur kurz auf. „Ah, Offizier Hassar. Was brauchst du?“, fragte er fast schon gelangweilt, während er sich wieder den Dokumenten widmete. „Ihr habt mich angelogen.“ Hassar bebte vor Wut, versuchte aber, sie bestmöglich aus seiner Stimme zu verbannen. Diese fünf Jahre hätten nicht sein müssen. „Wie kommst du darauf?“, kam die abwesende Gegenfrage. Jetzt zog Hagan eine Landkarte herbei, die er nachdenklich studierte. „Modis ist noch am Leben“, fuhr Hassar unbeirrt fort. Jetzt endlich hatte er die volle Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten. „Modis soll noch am Leben sein? Wie kommst du darauf?“ Hassar verkniff sich angestrengt einen bissigen Kommentar dazu und antwortete stattdessen beherrscht: „Ich habe ihn getroffen.“ „Dann habe ich ihn wohl nicht fest genug darin belehrt, sich hier nicht mehr blicken zu lassen“, murmelte Hagan laut genug vor sich hin, damit Hassar es verstehen konnte. „Ihr habt WAS?!“, entfuhr es diesem entsetzt. „Ihm gegeben, was er als Rebell verdient.“ Hagan lächelte kalt. „Oder sympathisierst du etwa mit ihnen?“ „Ich … Nein.“ Entkräftet ließ der Gardeoffizier die Schultern fallen. Deshalb die vielen neuen Narben. Modis … „Aber gut, dass du es mir berichtest. Diesen lästigen Freidenker hatte ich schon fast vergessen. Ich will, dass du ihn ein für allemal aus der Welt schaffst.“ „W-was? Ich? Herr … Herr General!“ Hassar traute seinen Ohren nicht. Er sollte Modis töten? Seinen geliebten Freund? „Du hast meinen Befehl verstanden. Mach ihn ausfindig und bring mir seinen Kopf.“ Hagan erhob sich, trat zu Hassar und legte ihm vertraulich den Arm um die Schultern. „Glaube mir, das wäre für alle Beteiligten die einfachste Lösung.“ Er bohrte schmerzhaft fest seine Fingernägel in den Oberarm des Jüngeren. Die Stimme des Generals war nun bedrohlich leise geworden. „Du willst doch nicht, dass ich die Angelegenheit übernehme, oder?“ Hassar war speiübel geworden. Schwach schüttelte er den Kopf und der General ließ wieder von ihm ab. „Es freut mich, dass wir uns verstanden haben. Du darfst zurücktreten und einen Trupp für einen Angriff auf das Rattennest dieser lästigen Rebellen zusammenstellen.“ „Ihren Aufenthaltsort? Konntet Ihr ihn etwa ausfindig machen?“, fragte Hassar mit dünner Stimme nach. Er ahnte schreckliches. „Du solltest es besser wissen, Hassar.“ Hagans Augen blitzten gefährlich. „Räuchere die Slums noch heute Abend aus! Die sind mir sowieso schon lange ein Dorn im Auge …“ „Jawohl, General.“ Es war also doch passiert. Hassar hatte sie verraten. Modis verraten. Er schluckte schwer und verließ das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten, um zu tun, was ihm aufgetragen worden war. *** Ruhig stand Hassar ein paar Stunden später vor dem Armenviertel der Stadt. Er hatte seinen Entschluss gefasst und wusste, was zu tun war. Es gab nur einen Weg, dem Interessenskonflikt zwischen seinem einzigen und wunderbaren Freund Modis und seiner Treue gegenüber der Garde und seinem General Hagan zu belegen. Hinter ihm befand sich eine kleine Armee von Gardisten, die auf seinen Befehl warteten, in die Slums einzudringen und alles, das sich ihnen in den Weg stellte. „Dieses Armenviertel ist ein Schandfleck unserer schönen Stadt“, bemerkte ein anderer Offizier neben Hassar. „Wir hätten es schon lange ausräuchern sollen. Nur Diebe und Mörder bringt es hervor.“ „Du hast Recht.“ Hassar zog sein geliebtes Schwert Jigoku und fühlte alle um sich herum erschaudern. Doch die düstere Aura des machtvollen Artefakts spiegelte genau das wider, was er tief in seinem Herzen empfand. „Auf! Lasst uns diese ketzerischen Unruhestifter endlich zerschlagen!“ Kampfesschreie brüllend rannten die Gardisten an ihm vorbei. Schon kurze Zeit später drangen fürchterliche Schreie aus dem Viertel herauf. Es waren die Schreie Sterbender und Todgeweihter, von Kindern, die ihre Eltern aus den Augen verloren hatten und Frauen, die um ihre Familien bangten. Die ersten Hütten gingen in Flammen auf. Hassar war als einziger stehen geblieben. Mit erhobenem Schwert beobachtete er das Gemetzel wie ein längst verblichener Geist, den die Belange der Lebenden nicht mehr interessierten. Es war rechtens, was sie taten. Es war rechtens, was sie taten. Es war rechtens, was sie taten. Die Slums waren ein Schandfleck, der Kriminelle und Freidenker hervorbrachte. Das gefährdete die Sicherheit des Volkes ihres Landes und nicht zuletzt die ihres großen Herrschers, des Schatten. Es musste sein. Hassar schritt langsam voran, durch Chaos und Zerstörung. Einem wogenden Meer gleich wütete das Feuer lodernd durch die engen, verdreckten Gassen, doch er ignorierte die Hitze, die Gefechte, die Riamer um ihn herum. Alles lief so unwirklich neben ihm ab, als wäre es ein Traum. *** Modis hielt abrupt inne, als er Hassar erblickte. Faroin warf ihm einen fragenden Blick zu. „Lass mich das bitte erledigen. Die anderen brauchen dich dringender.“ Der Anführer der Freidenker nickte verstehend und stürzte sich auf mehrere Gardisten, die gerade einen Rebellen und eine alte Frau attackierten. Hassar und Modis standen sich nun allein gegenüber und sahen sich tief in die Augen. „Du hast uns also verraten“, bemerkte der ältere Riamer. Hassar erwartete Verachtung und Hass aus Modis’ Stimme zu hören, aber die unendliche Traurigkeit, die er stattdessen vernahm, brach ihm das Herz. „Ich konnte es nicht verhindern. Es tut mir leid“, erwiderte er aufrichtig, auch wenn er wusste, dass seine leeren Worte nichts mehr ändern würden. „Was willst du jetzt tun? Mich töten? Oder mich dabei zusehen lassen, wie du all meine Gefährten und Freunde abschlachtest?“ „Es wurde mir aufgetragen, dich zu töten.“ Hassar hob langsam sein Schwert, ohne den Blick von Modis abzuwenden. „Von dem Mann, der dir diese Narben zugefügt hat.“ Der Rebell zuckte zusammen, als würde die bloße Erinnerung an seine Folter durch Hagan die Wunden wieder aufreißen. „Du wusstest davon?“ Wütend stürmte er auf Hassar zu und schlug mit seinem Schwert nach ihm. Dieser parierte gekonnt und auch als Modis weiter blindlings auf ihn einhakte, blockte er jeden der Angriffe mit seiner Waffe. Modis bemerkte, wie ihn die Kraft verließ, und hielt schwer keuchend inne. „Ich dachte, du wärst mein Freund. Ich dachte, ich könnte dir vertrauen. Ich habe dich geliebt, Hassar.“ „Ich habe keine Wahl“, entgegnete Hassar mit einem Anflug von Verzweiflung. „Egal wohin wir gegangen wären, Hagan hätte mich überall gefunden und alles zerstört, was ihm auf seinem Weg zu mir begegnet wäre. … Auch dich …“ „Wir hätten uns schon gegen diesen Bastard zu wehren gewusst. Aber nun, da du keinen Ausweg mehr siehst, willst du es lieber selbst beenden?“ Modis schüttelte den Kopf. „Ich verachte dich. Aus ganzem Herzen!“ „Ja. Ich werde es selbst beenden. Aber auf meine Art!“ Dieses Mal war es Hassar, der nach vorne stürmte. Modis hatte seine liebe Not, die Hiebe des Schwertmeisters zu blocken. Verbissen verkämpften sie sich ineinander, bis Hassar seinem ehemaligen Freund endlich nahe genug gekommen war, um ihm einen Kuss auf den Mund drücken zu können. „Ich liebe dich auch.“ Mit diesen Worten ließ er abrupt seine Verteidigung sinken. Modis konnte nicht rechtzeitig reagieren, zu groß war die Kraft, die er in diesen einen Schlag gesteckt hatte. Ohne etwas dagegen tun zu können rammte er sein Schwert in Hassars Brust und konnte es erst kurz vor seinem Herzen stoppen. Hassar keuchte mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Worauf wartest du?“, presste er gequält hervor. „Bring … es zu … Ende!“ „Was soll das alles? Ich dachte, du willst mich töten!“ Modis wollte sein Schwert aus der Brust des Gardisten ziehen, doch dieser griff rasch nach seiner Hand und hielt ihn fest. „Niemals … könnte ich … dich …“ Hassar lächelte matt und streckte seinen zweiten Arm aus, um Modis eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen. Dann packte er ruckartig den Griff von Modis’ Schwert und stieß zu. *** „Unsere Verluste sind hoch, ganze Stadtteile wurden vollständig niedergebrannt und wir werden uns für die nächste Zeit zurückziehen müssen, um unsere Wunden zu lecken“, fasste Faroin zusammen, als er den Raum betrat, in dem Modis zusammengekauert vor dem offenen Kaminfeuer saß. „Dennoch ist es uns gelungen, die Gardisten zu zerschlagen. Wir haben heute einen großen Sieg errungen.“ Modis reagierte nicht, sondern starrte weiterhin abwesend in die Falmmen, wie schon die ganze Zeit über. Faroin seufzte. „Hagan hat seine Seele verpestet. Und das wusste er. Wir hätten nichts für ihn zun können.“ Er trat hinter seinen Freund und legte mitfühlend die Hände auf Modis’ Schultern. „Doch ich will doch nicht über deinen Verlust hinweg trösten. Ich werde es verstehen, wenn du uns jetzt den Rücken kehren willst.“ „Nein.“ Modis schüttelte die Hände seines Anführers ab und erhob sich. „Hassar ist einen sinnlosen Tod gestorben. Er hat es verdient gerächt zu werden.“ Mein Herz mag gebrochen sein, doch es hört nicht auf zu schlagen. Auch wenn es ewig bluten wird … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)