The Crystal Palace von Kalliope ================================================================================ Kapitel 14: Alte Freunde ------------------------ Es war ein bewölkter Tag, an dem die Dreiergruppe von Trainern Neuborkia erreichte. Hell- und dunkelgraue Wolken wechselten sich ab und ließen nur hin und wieder ein bisschen blauen Himmel durchscheinen. Dazu war es schwül und ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit, man konnte die ganze Zeit mit offener Jacke durch die Gegend laufen. „Ich brauche ganz dringend eine Dusche“, murrte Lyra, als sie die ersten Häuser in Sicht kommen sah. „Ich will gar nicht wissen, an welchen Körperteilen mir die Kleidung überall klebt. Geht’s euch auch so?“ „Ich bin auch total geschwitzt, blödes Wetter“, stimmte Grace ihr zu und wischte sich dabei über die Stirn. „Als ich das letzte Mal in Neuborkia war, war die Ankunft irgendwie weniger anstrengend gewesen.“ „Wir suchen und erst einmal eine Unterkunft und morgen reisen wir weiter. Lassen wir den Zeitplan lieber nicht aus den Augen“, ermahnte Leo die beiden Mädchen, die bereits in ein Gespräch über Badezusätze und Duftöle abgedriftet waren. „Wir sind nicht zum Spaß hier, außerdem gibt es in Neuborkia kaum etwas zu sehen; hier gibt es ja nicht einmal ein richtiges Pokémoncenter.“ Augenblicklich blieb Lyra wie angewurzelt stehen und schaute Leo mit großen Augen an. „Und wo schlafen wir dann?“ „Na im Hotel.“ Grace blickte sich suchend um. Das Labor des Professors, in dem schon seit Generationen die Jungtrainer aus Johto ihren Starter wählen durften, lag zu ihrer linken. „Ah, da drüben ist ja das kleine Hotel, das ich noch von meinem letzten Aufenthalt kenne. Es wird von Schwester Joy betrieben, aber wir müssen ganz normal dafür zahlen.“ „Zahlen“, murmelte Lyra und folgte den beiden anderen. Das war… problematisch. Sie hatte zwar das wenige Taschengeld, das sie vom Waisenhaus jeden Monat bekam, immer fleißig gespart, aber trotzdem war nie vorgesehen, dass sie auf eine Pokémonreise ging und in Hotels übernachtete. Sie konnte sich das schlichtweg nicht leisten. „Gibt es keine Möglichkeit, dass wir nicht doch in einem Pokémoncenter übernachten? Wie weit ist Alabastia von hier?“ „Weit“, sprach Grace und steuerte bereits auf das kleine, gemütlich wirkende Holzhaus zu, auf dessen Dach ein kleines Windrad stand. „Und jetzt komm, die Dusche ruft und ich will nicht länger hier draußen rumstehen.“ Nur widerwillig folgte Lyra den beiden anderen und überlegte fieberhaft, wie viel Kleingeld sie noch in ihrem Portemonnaie hatte. Gab es hier irgendwo eine Bank, wo sie Geld abheben konnte? „Und wenn wir im Labor nachfragen, vielleicht können wir auch dort schlafen. Der Professor wird ein paar Jungtrainern bestimmt helfen.“ „Professor Lind ist steinalt und wir haben hier den Komfort, den wir wollten. Lyra, was stellst du dich so an?“ „Ich…“ Sie spürte, wie das Herz in ihrer Brust hektisch schlug und wie sie allmählich rote Wangen bekam. Für gewöhnlich war sie nicht um Worte verlegen, aber sich auf ihre gewissermaßen Armut berufen zu müssen, streichelte nicht gerade ihr Ego. „Ich kann nicht“, brachte sie nur schwerfällig heraus und wich den irritierten Blicken aus. „Wieso nicht? Gibt es ein Problem?“ In diesem Augenblick war Leo es, der realisierte, worum es ging. Er seufzte, schüttelte den Kopf und legte Lyra eine Hand auf die Schulter. „Hey, Lyra, schau mich mal an. Dir fehlt das Geld für eine Übernachtung, richtig?“ Nachdem die Rosahaarige stumm und geknickt genickt hatte, fuhr er fort. „Es war nicht richtig von uns, dass wir das nicht bedacht haben, das tut mir sehr leid. Grace?“ „Mir auch.“ Für einen Moment schwieg Grace, dann begann sie zu lächeln und betätigte die Klingel des Hotels. „Mach dir keine Sorgen, ich buche uns einfach ein Doppelzimmer und dann geht das schon in Ordnung.“ „Du kannst mir doch nicht einfach das Hotel bezahlen!“ So gebrandmarkt, wie sie sich gerade noch gefühlt hatte, so aufgebracht war Lyra jetzt. „Grace, das geht nicht!“ „Klar geht das, wofür bin ich denn die Tochter von Trixi Light? Ah, ich höre Schritte, jetzt kommt schon her ihr beiden.“ „Sie liebt es, das Geld ihrer Mutter auf den Putz zu hauen“, raunte Leo ihr grinsend zu und führte Lyra zu Schwester Joy, die ihnen gerade die Tür geöffnet hatte und sie voller Freundlichkeit herein bat. Wenige Minuten später waren die beiden Zimmer gebucht und die Rucksäcke auf den Zimmern verstaut. Im Preis waren das Abendessen und das Frühstück am nächsten Morgen mit inbegriffen, sodass sie sich darum keine Sorgen mehr machen mussten. Obwohl Lyra noch immer nicht damit klar kam, dass Grace sie einfach eingeladen hatte, war sie froh darüber, dass sie gleich unter die Dusche springen konnte. Und ehe sie sich versah, merkte sie, dass sie Grace und Leo in ihren Gedanken als ihre Freunde bezeichnete. Am nächsten Morgen saßen sie gemeinsam mit Schwester Joy, die nicht oft Gäste bewirtschaftete und daher verbranntes Omelette serviert hatte, am Frühstückstisch und unterhielten sich. Es gab jedoch einen Notfall im Labor und Schwester Joy musste sofort weg, weshalb auch die Jungtrainer das Frühstück beendeten, sich für die Gastfreundschaft bedankten und noch schnell ihre Rucksäcke holten. „Puh, das war ein kurzes Frühstück. Ich habe immer noch Hunger.“ „Ich kann dir ein Sandwich anbieten.“ Leo reichte Grace ein Sandwich und bot Lyra auch eins an, doch diese lehnte ab, hatte sie die Cornflakes doch ziemlich schnell in ihren Magen befördert. Stattdessen warf Lyra Neuborkia noch einen letzten Blick zu, ehe sie den Ort hinter sich ließen und einem Weg folgten, der auf weit entfernte Berge zuführte. „Jetzt lassen wir Johto hinter uns… Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine andere Region sehen würde – jedenfalls nicht so früh in meinem Leben. Mir wird erst jetzt bewusst, wie riesig die Welt doch ist.“ „Es gibt immer etwas Neues zu entdecken“, pflichtete Leo ihr bei. „Deshalb liebe ich das Reisen auch so sehr.“ „Geht mir genauso.“ Grace lächelte die anderen beiden an, dann zog sie den Gurt ihres Rucksacks nach und machte die anderen auf eine Wiesor-Familie aufmerksam, die über den Weg huschte und die Trainer dabei garstig anblickte. „Wie niedlich“, kommentierte Lyra das Geschehen und entließ Felilou und Nebulak aus den Pokébällen. „Wir verlassen Johto jetzt, schaut euch ruhig noch einmal um. Das, was dort vor uns liegt, gehört bald schon zu Kanto.“ Die beiden Pokémon tauschten einen Blick aus, dann begannen sie herumzutollen und schienen sich nicht wirklich etwas daraus zu machen, ob sie gerade auf die Grenze zwischen Johto und Kanto zusteuerten oder nicht. Lyra sah ihnen kopfschüttelnd zu, bis sie Nebulak nach gut einer Viertelstunde zurück in den Pokéball zog. Es hatte sich einen Spaß daraus gemacht schlafende Hoothoot in den Bäumen zu erschrecken, bis ein Noctuh sie angriff und Grace es mit ihrem Arkani verscheuchen musste. „Wie viele Tage werden wir bis Alabastia brauchen?“ „Ich rechne mit etwa fünf Tagen, das kommt ganz darauf an, ob wir noch vor dem großen Regenschauer in den Bergen ankommen oder nicht. Wenn der Weg dort durch den Regen aufweicht und matschig wird, kann es länger dauern, wenn wir Sonne erwischen, sind es gute fünf Tage. Jedenfalls habe ich auf dem umgekehrten Weg so lange gebraucht gehabt.“ „Und wie ist es in Alabastia so? Erzähl doch mal ein bisschen, Grace.“ Die Angesprochene sah nicht gerade begeistert aus, kam Lyras Wunsch jedoch nach. „Alabastia ist nicht besonders groß, aber es fließt ein kleiner Fluss durch das Dorf. Drumherum liegen weite Felder, dann kommen Wälder und die Berge. Die Xanadu-Gärtnerei ist auch ganz in der Nähe, ebenso der Flugplatz, von dem aus wir nach Einall fliegen werden. Alles ist grün mit vielen Blumen, eigentlich eine sehr schnuckelige Ortschaft.“ Lyra wollte noch mehr wissen, doch Grace war schnell so genervt, dass sie beharrlich schwieg, weshalb Lyra sich schließlich eine andere Beschäftigung suchte und Felilou hinter einigen kleinen Rattfratz herschickte, die allesamt lieber die Flucht ergriffen als sich mit dem Katzenpokémon zu messen. So zog sich die Reise bis zum Sonnenuntergang hin, als die drei ihr Nachtlager aufschlugen und sich erschöpft in den Zelten in ihre Schlafsäcke kuschelten, bis nach einer viel zu kurzen Nacht auch schon der nächste Tag vor der Tür stand. „Diese Route ist so langweilig, hier passiert überhaupt nichts.“ Lyra war gelangweilt, schaute sich um und atmete bewusst die frische Luft ein. Der Weg war gepflegt, aber dennoch wirkte es nicht so, als würden hier oft Trainer vorbeikommen. Es gab so gut wie keine Wegweiser, nur die Karte in ihrem ComDex zeigte ihr die aktuelle Position irgendwo zwischen Johto und Kanto an. „Es ist nicht immer einfach, wenn man mit anderen Leuten reist“, erwiderte Grace genervt und fuhr sich durch die Haare. „Wir können uns nicht die ganze Zeit unterhalten; Schweigen kann auch mal sehr angenehm sein.“ „Schon, aber ich mache mir jede freie Minute Sorgen um Cassie, wenn ich nichts habe, an das ich sonst denken kann.“ Gerade wollte Lyra dazu noch etwas ausführlicher etwas sagen, als in einiger Entfernung eine andere Person in Sicht kam. „Noch ein Reisender, seht mal. Vielleicht können wir uns kurz austauschen, wie der Weg in den Bergen aussieht.“ „Gute Idee.“ Einige Minuten vergingen, in denen sie der Person, die sich als ein Mädchen etwa in ihrem Alter herausstellte, immer näher kamen, bis die Fremde auf einmal einen Freudenausruf machte, auf die Gruppe zulief und Grace lachend in die Arme fiel. Leo und Lyra wirkten irritiert, doch Grace erwiderte die herzliche Umarmung. „Du meine Güte, Tina, was machst du denn hier?“ „Ich bin auf dem Weg nach Neuborkia – und dich zieht es zurück nach Hause?“ „Nicht ganz, wir wollen nach Einall und machen nur kurz Halt in Alabastia, um zum Flugplatz zu gehen.“ „Einall, wow!“ Tina und Grace stimmten gemeinsam in ein Lachen ein. Erst nach einer Weile bemerkte Grace die fragenden Blicke ihrer Begleiter, sodass sie ihnen ihre Freundin vorstellte. „Das ist Tina Rabi, wir sind quasi Nachbarn und kennen uns schon, seit wir in Alabastia leben.“ „Bist du auch eine Koordinatorin wie Grace?“ Auf Lyras Frage hin schüttelte das Mädchen mit den kurzen, braunen Haaren den Kopf. „Nein, ich bin auch keine richtige Trainerin, jedenfalls sammel ich keine Orden oder dergleichen. Ich bin gerade auf dem Weg zu Professor Lind, weil ich für einen Infoflyer über sein Labor einige Zeichnungen anfertigen soll. Wir sind uns mal bei einer Tagung begegnet und letzte Woche hat er mich dann ziemlich überraschend angerufen.“ „Das ist großartig, Tina.“ Grace freute sich mit ihrer Freundin, dann unterhielten die beiden Mädchen sich bei einer kleinen Rast über dieses und jenes, vorrangig jedoch über ihre Pokémon. Bei dem Gespräch, aus dem Leo und sie sich weitestgehend heraushielten, erfuhr Lyra, dass Grace‘ Freundin ein Chelterrar besaß, das sie vor einigen Jahren als kleines Chelast geschenkt bekommen hatte. „Damals war ich total neidisch, weil Tina einen Starter aus einer anderen Region hat“, sagte Grace schmunzelnd, doch bald darauf wurde beiden Mädchen klar, dass sie sich voneinander verabschieden mussten, wenn sie ihre Termine einhalten wollten. „Ich freue mich schon auf unser Wiedersehen.“ „So bald wie möglich.“ Tina umarmte ihre alte Freundin, verabschiedete sich dann auch von Lyra und Leo und machte sich auf den weiteren Weg nach Neuborkia, während Grace, Lyra und Leo auf die Berge zusteuerten. „Tina ist sehr nett.“ „Ja, das ist sie. Wir haben früher oft gegeneinander gekämpft, wobei ihr Chelast immer stärker war als mein Schiggy. Aber irgendwann hat sich das ausgeglichen, weil ich auch Fukano hatte. Na ja, ich schätze, ihr Chelterrar kann es zumindest von den Typen her mit Schillok und Arkani aufnehmen.“ „Es ist schön, wenn man so alte Freunde hat.“ Leo berichtete von einem Freund aus Kindertagen, erzählte einige Anekdoten und auch Lyra steuerte Geschichten von Cassandra und sich bei. Alte Freundschaften waren etwas Wundervolles, das wusste Lyra, doch jetzt mit Grace und Leo an ihrer Seite merkte sie auch, wie toll neue Freundschaften sein konnten. Jedenfalls würden sie gemeinsam alles dafür tun, dass Cassie bald wieder bei ihnen war, damit alles seine Richtigkeit hatte. Und so vergingen auch die weiteren Tage, bis schließlich Alabastia in dem weiten Tal vor ihnen zu sehen war. Sie waren in Kanto, der Flugplatz war in greifbarer Nähe und fest entschlossen gingen die drei den Rest des Weges entlang. Einall konnte kommen, sie waren bereit und egal was kommen würde, sie würden es gemeinsam überstehen, weil sie Freunde waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)