Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 18: Das heilige Reich der Hikari ---------------------------------------- „Bin ich jetzt mal dran mit Fragen stellen?“, fragte Green mit skeptisch erhobenen Augenbrauen, während Grey seine Medizin von Ryô erhielt, sich aber sofort aufgeregt abwandte; wahrscheinlich, weil er glaubte, dass Green irgendeinen von den viel zu langen Namen von irgendeinem enorm wichtigen Hikari vergessen hatte – aber nein, das hatte sie nicht, wie ihn ein Wink in Richtung ihres Kleides vermuten ließ.  „Ist dieses Kleid wirklich notwendig? Ich meine, es ist ein Familientreffen und kein Ball oder so etwas Ähnliches.“ „I-Ich dachte, es gefalle dir?“ Greys Tonfall sagte Green sofort, dass sie jetzt nichts Falsches sagen durfte – und ja, es war ja nicht so, dass sie das Kleid nicht mochte, sie hielt es nur für nicht angebracht; und auch wenn es ihr vielleicht stand, fühlte sie sich unwohl darin. Allein schon, dass der Rock drei Unterröcke besaß, war für Green sehr ungewöhnlich und gehörte für sie nicht zur Alltagskleidung– genau dies versuchte sie Grey zu erklären, doch kaum, dass sie ihm versichert hatte, dass es ihr im Prinzip schon gefiel, winkte er mit der Hand ab und wollte kein „Aber“ mehr hören. Er schluckte seine Medizin, sah den neidischen Blick Itzumis nicht, den Green aber sehr wohl bemerkte, und zerschlug die Einwände seiner Schwester: „Natürlich ist eine solche Kleidung notwendig! Du musst doch angemessen gekleidet sein für deinen ersten Besuch im Jenseits. Oder willst du unserer Familie in Schwarz gekleidet gegenübertreten?“ Green antwortete nicht mehr, denn sie bemerkte, dass die anderen sich bereit machten – und blitzartig spürte sie die bis jetzt mehr oder weniger erfolgreich verdrängte Nervosität in sich emporsteigen. In der vergangenen Woche hatte sie schon konstant Siberu und Gary die Ohren mit ihrer Unsicherheit abgekaut, welche immer wieder auf ihre Art und Weise versucht hatten, sie zu beruhigen und auf andere Gedanken zu bringen. Dabei ging es Green gar nicht direkt um ihre verstorbene Familie, denn sie war nicht scharf darauf, sie kennenzulernen; es war einfach zu deutlich, dass sie getestet werden musste. Das ganze Auswendiglernen der Regeln und der Hikarigeschichtscrashkurs – von dem sie die Hälfte schon vergessen hatte – musste irgendeinen Grund haben; irgendetwas, was nichts mit einem normalen Familientreffen bei Kaffee und Kuchen zu tun hatte. Aber wenn das eine Art Prüfung war, was wollten sie dann überhaupt überprüfen? Die wussten doch am besten über ihre Unreinheit Bescheid und sie sollte wohl kaum ihre Kampferfahrung unter Beweis stellen? Aber was war es dann? Vielen Fragen, die sie in den nächsten Stunden sicherlich beantwortet bekommen würde– aber diese Fragen waren es nicht, die sie nervös werden ließen. Es war das Treffen mit ihrer Mutter. „So, Green, wir können aufbrechen. Bist du so weit?“ Die Angesprochene schreckte aus ihren Gedanken hoch und sah, wie Grey einen mit blauen Juwelen besetzten, goldenen Schlüssel unter seinem Oberteil hervorholte. Doch obwohl die vielen Juwelen sofort Greens Blick fesselten, mitsamt der Frage, wie viel der Schlüssel wohl wert war, war da noch etwas anderes, das sie an der zierlichen Kette bemerkte, die Grey wieder unter seinem Oberteil verschwinden ließ, nachdem er den Schlüssel von der Kette gelöst hatte.  „Was ist denn, Green?“, fragte Grey, denn scheinbar hatte er ihren aufmerksamen Blick bemerkt. „Der andere Anhänger an der Kette – was war das?“ Grey lächelte und antwortete: „Meine Waffe natürlich. Ansonsten trage ich eigentlich keinen Schmuck.“ Erstaunt sah Green ihn an, denn sie konnte sich Grey so gar nicht als Kämpfer vorstellen. Auf sie wirkte er wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, die schon der kleinste Riss zum Zerbersten bringen konnte. Sein Immunsystem war immerhin schwach, weshalb sie ihn eher hinter denen, die kämpften, vermutet hätte - als derjenige, der die strategischen Anweisungen gab. Allerdings hatte er ihr ja auch erzählt, dass das Immunsystem ihrer Mutter ebenfalls schwach gewesen war und den ganzen Lobeshymnen nach zu urteilen hatte sie sich nicht von ihrer Gesundheit von irgendeinem Kampf abhalten lassen. Was war das nur für eine Frau? „Wie kommen wir jetzt eigentlich ins Jenseits, ohne uns umzubringen?“, witzelte Green, nachdem sie sich entschloss, dass jetzt nicht der Zeitpunkt war, über solche Dinge nachzudenken. „Mit dem Schlüssel! Aber das wirst du gleich sehen.“ Grey streckte die Hand nach seiner Schwester aus, ihr versichernd, dass er schon auf sie aufpassen würde. „Du darfst nur meine Hand nicht loslassen. Das ist das Einzige, woran du denken musst, alles andere übernehme ich.“ Green entschloss sich, dass sie besser nicht fragte, was passieren würde, wenn sie aus Versehen seine Hand losließ. Ohne dass sie es bemerkte, drückte sie die Hand ihres Bruders ein wenig fester, was ihm nicht unbemerkt blieb: „Aber Green, du brauchst doch nicht nervös zu sein; es ist genauso wie das Teleportieren! Der einzige Unterschied ist die Notwendigkeit der Schlüssel und dass nur direkte Nachfahren der Hikari dorthin teleportieren können. Es wird vielleicht ein wenig länger dauern, aber das ist schon alles.“ Das Nicken Greens war leider unsicherer als von ihr vorgesehen, denn das Gefühl zu teleportieren gehörte gewiss nicht zu ihren Lieblingserfahrungen und die zwei Sekunden, die es brauchte, von einem Ort zum anderen zu wechseln, waren ihr eigentlich schon genug. „So, Green, schließe bitte deine Augen ...“ Green beeilte sich, es sofort zu tun und wirkte dabei recht angestrengt, was Grey zu einem Schmunzeln brachte, doch Ryô holte ihn auf den viel zu harten Boden der Tatsachen zurück: „Ich wünsche Euch ein angenehmes Treffen mit Eurer Familie.“ Grey sah seinem Tempelwächter ernst in die goldenen Augen, denn er wusste, was Ryô eigentlich hatte sagen wollen: viel Glück. „Danke, Ryô.“ Dann atmete Grey tief durch und sprach folgende Worte:   „Heilige Göttin des Lichts, ich, Euer treuer Erbe, bitte um einen erleuchteten Pfad. Schenkt mir eine Feder Eurer engelshaften Schwingen. Geleitet mich in die lichtdurchfluteten Hallen … … bis ich irgendwann eine Reflektion Eurer Heiligkeit werden kann. Oh, Hikari-kami-sama, ich bitte Euch.“     Noch während er diese für Green ungewöhnlichen Worte ausgesprochen hatte, bemerkte sie das von der Teleportation bereits bekannte Gefühl der Schwerelosigkeit. Sie verlor für einen Augenblick den Boden unter den Füßen – und was war das? Waren das Glöckchen? Es mussten viele sein; viele, die in seliger Harmonie erklangen, aber ... Sie klangen anders als das Klingen, das ihr Eigenes verursachte. Woher kam es? Sie hatte das Gefühl, als käme es ganz aus der Nähe; aber wenn sie die Augen öffnen würde, was würde dann passieren? Sie wollte die Hände ausstrecken, beide, sich von ihrem Bruder lösen, unvernünftig sein, genau wie damals, als Pink ihr ihr eigenes Glöckchen hingehalten und ihr Leben für immer verändert hatte ... und wie damals hörte sie auch wieder eine an sie gerichtete Stimme: „Mein Schmetterling! Mein Schmetterling, endlich, endlich ... Befrei---“ „Green, du darfst meine Hand nicht loslassen!“ „---uns mit deinem sehenden Blau.“ „“Meinem sehenden Blau?““, wiederholte Green im gleichen Moment, als die komische Stimme verschwand und sie stattdessen das Klicken einer Tür hörte – sofort hatte Green andere Dinge, über die sie nachdenken musste, denn als sie nach Luft schnappte, erhielt sie keine. Alle komischen Stimmen verschwanden prompt aus ihren Gedanken, denn die Panik brach in ihr aus – ohne Luft würde sie ersticken!  Dann bekam Green einen Schlag auf den Hinterkopf – sachte, aber hart genug, um sie von ihrer Panik abzulenken. „Du brauchst an diesem Ort nicht zu atmen! Green, öffne deine Augen!“ Green hörte auf, nach Luft zu ringen und tatsächlich: Sie brauchte keine Luft. Aber wie war das möglich? Zögernd öffnete sie ihre Augen und fand sich selbst in einer riesigen, von Licht erleuchteten Halle wieder. Green kniete auf dem Boden, etwas, was sie nicht tun sollte, wie Greys tadelnder Blick ihr sagte, aber sie war zu sehr damit beschäftigt, sich umzusehen, um acht auf die Etikette zu geben. Der Boden unter ihren Knien und Handflächen fühlte sich komisch an, als wäre er aus einer Art Glas; aus weißem Glas, aber sie spürte keine glatte Oberfläche, keine Rillen, die verschiedene aneinandergereihte Platten andeuteten, sah nur ein verschwommenes Spiegelbild von ihrem verwirrten Gesichtsausdruck. Weit entfernt über ihr wölbte sich eine mit fliegenden Engeln reich verzierte Kuppel, in deren Mitte ein kleiner Engel in Form eines Mädchens thronte – in seiner rechten Hand ein massives Buch haltend, die andere warnend erhoben. Da Green das Buch in Massen im Tempel gesehen und Grey ihr immer wieder ein Exemplar unter die Nase gehalten hatte, wusste Green, was dieses Fresko bedeuten sollte: Halte dich an die Regeln oder du bist tot. Naja – außer dass die hier „Lebenden“ bereits tot waren, dachte Green mit einem säuerlichen Grinsen. Dann erstarrte sie plötzlich; noch während sie das selig lächelnde Engelsmädchen angrinste, hörte sie wieder die komische Stimme: „Du musst sehen ... Du musst sehen, um uns von den Ketten befreien zu können.“ „Ich muss ... sehen?“, wiederholte Green verblüfft, doch mit fern klingender Stimme. „Green?“ Überrascht sah sie ihren sehr verwirrten Bruder an, der ihr schon seit einigen Sekunden die Hand hingehalten hatte, um ihr aufzuhelfen. Verschmitzt lächelnd ergriff sie sie nun und kaum, dass sie aufrecht stand, konnte Grey seine Neugierde nicht zurückhalten: „Was hattest du damit gemeint, du müsstest sehen? Schmerzen dir deine Augen?“ Verwundert wurde Grey angesehen: „Ach, ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, die Worte dieser komischen Stimme zu wiederholen.“ „Stimme? Welche Stimme?“ „Na, diese Kinderstimme – sie klang auf jeden Fall wie die eines Kindes ...“ „Green, es gibt hier keine Kinder. Die jüngste verstorbene Hikari, die einen Platz im Jenseits erhielt, ist mit 17 gestorben.“ Brr, was für eine Vorstellung, dachte Green, immerhin war sie selbst fast genauso alt und sterben wollte sie jetzt garantiert nicht.  Grey machte ihr schnell klar, dass jetzt nicht die Zeit war, um über irgendwelche Stimmen zu sprechen und bedeutete ihr, dass sie es eilig hatten. Kaum dass Green einen Schritt gegangen war, bemerkte sie auch schon eine weitere Eigenart des Jenseits: Ihre Schritte waren ungewöhnlich leicht, viel eher federleicht, als hätte sie Flügel auf dem Rücken. „Oh mein Gott! Grey, guck mal, guck mal! Als wäre ich schwerelos!“ Und ehe Grey etwas dagegen tun konnte, nahm Green Anlauf und hopste von einer Stelle zur nächsten mit federnder Leichtigkeit. „Green, ich habe wirklich größte Ehrfurcht davor, dass du überhaupt auf diesen Absätzen springen kannst, aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du es unterlassen und dich stattdessen deinem Alter angemessen benehmen würdest.“ Spielend streckte Green ihm die Zunge aus, doch die Röte auf ihren Wangen sagte ihm, dass sie sich schon bewusst war, dass es weder der rechte Zeitpunkt war noch dass das Kleid für ausgelassenes Springen geeignet war. Aber entschuldigen tat sie sich nicht, auch als die beiden Geschwister vor eine riesige Flügeltür gelangten, die von zwei – ohne Zweifel – Tempelwächter bewacht wurde, die Green beide etwas länger mit hochgezogenen Augenbrauen bedachten, ehe sie sich ihrer Pflicht widmeten: „Wir bitten um Autorisierung“, forderten die zwei Tempelwächterzwillinge – ob die immer im Doppelpack kamen? – sie gleichzeitig auf. Grey wollte ihrer Aufforderung gerade nachkommen, da unterbrach Green ihn: „Ich dachte, du wärst schon oft hier gewesen, warum musst du dich also autorisieren?“ „Wir bitten um Verzeihung für die Unannehmlichkeiten, doch Vorschrift ist Vorschrift“, antworteten die zwei Tempelwächter ein weiteres Mal absolut synchron. „Da haben sie vollkommen recht, Green“, erwiderte Grey mit einem verstehenden Nicken: „Auch wenn ich bezweifle, dass sich ein Dämon auch nur mit einem Fuß hierher wagen würde.“ Er holte tief Luft, wandte sich von Green ab und verkündete dann das, was die beiden offensichtlich hören wollten: „Eien Kaze Grey. Sohn von Hikari Akarui Tenshi Shinsetsu White und Eien Kaze Kanori. Elementarwächter des Windes; erster Rang.“ Er warf einen erwartungsvollen Seitenblick an Green, welche sich zusammennahm und es ihm gleichtat: „… Kurai Yogosu Hikari Green. Tochter von Hikari Akarui Tenshi Shinsetsu White und …“ Sie sah Grey verwirrt an; sie wusste den Namen ihres Vaters doch gar nicht.  „Ehm, Elementarwächterin des Lichtes; dritter Rang“, schloss Green ihre Vorstellung ab und sofort verbeugten sich die beiden gleich aussehenden Tempelwächter. „Willkommen, Grey-sama und Green-sama.“ Nachdem sie ihre Verbeugung ausgeführt hatten, öffneten sie zusammen die große Flügeltür. Green spürte wieder eine kleine Welle an Nervosität in ihr hochsteigen, als Grey ihre Hand nahm und sie durch die Tür führte. Er hatte ihr nicht gesagt, wann und wie sie ihre Mutter treffen würde, aber sie spürte regelrecht, dass es nicht mehr lange dauern konnte ... Ausgestorben lag eine Weggabelung vor ihnen; beide Wege schienen in ein endloses weißes Nichts zu führen, denn sowohl die Wände als auch der Boden waren komplett weiß. Auch hier war der Boden unter ihren Füßen wie in der Eingangshalle mit merkwürdig aussehenden Schriftzeichen graviert; war es überhaupt eine Schrift? Sie wirkte wie eine, aber es war nicht die Sprache der Wächter. Doch dies war die einzige Verzierung, denn anders als im Tempel gab es hier keine Gemälde, weshalb alles recht eintönig auf Green wirkte. Green wollte gerade fragen, welchen Weg sie nehmen sollten, als von rechts Schritte zu hören waren. Ohne dass Grey sich überhaupt herumgedreht hatte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus und Green sank das Herz in die Knie. „Mutter!“ Green traute sich nicht, sich umzudrehen wie Grey es getan hatte, denn die Nervosität war in ihr ausgebrochen, als ihr bewusst geworden war, dass es ihre Mutter war, die hinter ihr stand. Ihre Mutter. Ihre ... leibliche Mutter.  Ihre Mutter, nach der sie sich in ihren Kindheitstagen immer gesehnt hatte … Was war, wenn ihre Mutter sie jetzt abschätzend anschauen würde, sie skeptisch beäugen und sich dann angewidert abwenden würde? Immerhin hatte Green gehört, dass ihre Mutter die Reinheit in Person war und das ... das spürte sie jetzt auch regelrecht. „Green?“ Ihre Stimme … Die Stimme ihrer Mutter. Sie war ruhig, aber nicht ausdruckslos; Green meinte sogar, ebenfalls ein wenig Nervosität heraushören zu können und das erleichterte sie ein wenig - wie auch, dass sie keine abschätzende Kälte vernehmen konnte, weshalb sie sich traute, sich zögernd umzuwenden.  Als sie ihre Mutter das erste Mal sah, verstand Green plötzlich, warum die Künstler der Wächter ihre Mutter auf Gemälden oft mit Engelsflügeln darstellten; sie sah tatsächlich aus wie ein Engel. Ihre Erscheinung war beinahe komplett weiß; ihre weißen Augen waren groß, weich und warm, unterstrichen ihr ebenso warmes Lächeln. Sie schien förmlich von Innen heraus zu leuchten; reiner und gegensätzlicher zu Green hätte sie gar nicht aussehen können. Dieser Engel, nein, diese Frau war ihre Mutter und doch wirkte ihre Reinheit bedrückend und Green fragte sich tatsächlich kurz, ob sie sich verbeugen sollte. Aber nein, es war ihre Mutter; keine Königin. Doch was sollte Green tun? Einfach „Hi Mutter!“ sagen? Da Green ihren Blick abgewandt hatte, hatte sie nicht bemerkt, dass White näher herangekommen war – sie bemerkte Whites Nähe erst, als sie eine warme Hand an ihrer Wange spürte und ihr Gesicht langsam und sanft nach oben gehoben wurde, damit Mutter und Tochter sich zum ersten Mal in die Augen sehen konnten. Erst da bemerkte Green, dass ihre Mutter recht klein war; sogar ein wenig kleiner als sie selbst. „Du bist wirklich meine Tochter; unverwechselbar. Das gleiche Gesicht, die gleichen Haare und der gleiche, zierliche Körperbau; aber zum Glück hast du nicht meine Zerbrechlichkeit geerbt. Es freut mich sehr, zu sehen, dass dir auch mein schlechtes Immunsystem erspart geblieben ist; du siehst sehr gesund aus.“ „I-Ich bin auch kaum krank“, purzelten die Worte unkontrollierbar aus Greens Mund, ohne zu wissen, warum sie gerade diese Worte als die ersten an ihre Mutter gewählt hatte. White lächelte weiterhin, auch wenn es Green schien, dass es ein wenig erfreuter wurde, als hätte Green irgendetwas besonders Bedeutsames gesagt. „Aber deine ungewöhnlichen Augen hast du von deinem Vater; es ist dasselbe Blau. Wie das tiefe Meer ... Ganz anders als die Augen Greys. Seine sind offen und weit wie der Himmel. Wie ... Kanoris.“ Die letzten Worte hatte sie kaum hörbar ausgesprochen, weshalb Grey sie wahrscheinlich nicht gehört hatte. Doch Green hatte sie hören können und in diesen wenigen Worten hatte sie mehr als nur Traurigkeit herausgehört. Sie musste Greys Vater wirklich sehr geliebt haben … „Nun gut“, begann White wieder mit einem gelassenen Lächeln: „Leider ist es notwendig, dass wir unser Gespräch hier abbrechen müssen, denn es gibt viel zu tun dank einiger kurzfristiger Planänderungen.“ „Kurzfristige Planänderungen!?“, entfuhr es Grey aufgeregt; ganz offensichtlich war er über diese Neuigkeit nicht nur überrascht, sondern auch empört. „Aber wir sind doch extra eine Stunde früher hier, damit wir drei Zeit miteinander verbringen können, ehe alles anfängt ...“ Jetzt war es Green, die die Augenbrauen hob, denn davon hatte sie bis jetzt nichts gehört; hatte er sie nicht die ganze Zeit gescheucht? „Das war auch ein sehr schöner Gedanke von dir, Grey“, sagte White immer noch lächelnd, sich nun an ihren Sohn wendend: „Nur leider verlangt euer Großvater nach Grey und mir. Er besteht vehement darauf, noch einmal mit uns zu sprechen, bevor wir uns alle versammeln.“ Grey wollte gerade seine Unzufriedenheit zur Kenntnis geben, als Green dazwischen ging: „Ach, das macht gar nichts! Du bist ja hier im Jenseits, wir können dich also immer besuchen! Sagt mir einfach die ungefähre Richtung und dann finde ich schon den Weg ...“ „Das geht leider nicht, Green", unterbrach Grey seine eifrige Schwester: „Hier im Reich der Hikari können nur Hikari – also tote Hikari – den Weg finden. Versucht jemand anderes, seinen Weg durch das Jenseits zu finden, wird er sich zwangsläufig verirren, denn die Korridore selbst werden sich der Person in den Weg stellen, indem sie sich verschieben oder endlose Weiten annehmen. Du siehst, ohne einen Hikari ist es unmöglich, von einem Punkt zum anderen zu kommen.“ „Meine Güte, wie kompliziert!“ „Sicherheitsvorkehrungen.“ Es gab eindeutig ziemlich viele Sicherheitsvorkehrungen dafür, dass man bezweifelte, dass Dämonen jemals einen Schritt hierher wagen würden. Wofür das Ganze? Waren die Hikari nicht sowieso tot? Wo lag denn der Sinn darin, tote Hikari schützen zu wollen?  „Wer wird Green dann zum Familientreffen bringen, wenn es nicht du bist?“ White bedeutete ihnen mit einer ruhigen Geste ihrer Hand, dass sie anfangen sollten zu gehen, während sie antwortete: „Seigi-kun wird sie geleiten.“ Green konnte mit den Namen nichts anfangen, aber Grey konnte es ganz offensichtlich, denn sein Gesicht verfinsterte sich augenblicklich: „Warum denn der?“ „Weil der Rat es so bestimmt hat, mein Sohn.“ „Hätte es keine Alternative gegeben? Seigi ist ein Mörder!“ White seufzte erschöpft bei dieser Antwort und machte nicht gerade den Eindruck, als würde ihr das Thema sonderlich behagen. „Wenn Seigi-san ein Mörder ist, sind wir alle es.“ Green kam nicht drum herum, ihre Mutter verdattert anzustarren; eine solche Aussage hatte sie von ihrer Mutter nicht erwartet.  „Dämonen zu töten ist kein Mord. Das, was Seigi getan hat, schon.“ „Das Gericht hat ihn einmal für unschuldig befunden und es ist nicht an uns, diese Entscheidung anzuzweifeln.“ Abwechselnd sah Green ihre beiden Familienmitglieder an: White lächelte wieder ruhig und Grey ähnelte einem beleidigten Kind, das seinen Willen nicht bekam, sich aber seinem Elternteil aus Respekt beugte, auch wenn er nicht seiner Meinung war. Dieser Seigi machte Green neugierig, besonders da Grey ihn vorher nie erwähnt hatte, als sie über deren Familie gesprochen hatten, um sie für das Familientreffen vorzubereiten. Warum wollte ihr Bruder nicht, dass sie mit ihm in Kontakt kam? Und was hatte er verbrochen, wofür er vor ein Gericht gestellt worden war und Grey ihn als einen Mörder betitelte? Einen Dämon zu töten war immerhin kein Mord – jedenfalls aus der Sicht der Hikari nicht. Das brachte Green plötzlich ins Grübeln: Fühlte sie sich wie ein Mörder, wenn sie diese monströsen Wesen tötete? Eigentlich hatte sie bis jetzt keine Schuldgefühle oder Gewissensbisse ihretwegen gehabt ...   „Ah – da fällt mir ein, dass ich mich im Namen meiner Schwester über Pinks Befinden erkundigen muss“, ertönte Whites Stimme plötzlich und riss Green somit aus ihren Gedanken hoch und sofort blickte Green ihre Mutter an, weshalb ihr Greys eigenartig bekümmerter Blick, den er kurz seiner Mutter zuwarf, ehe er sich abwandte, nicht auffiel. „Von ihrer Mutter?“, wiederholte Green, als würde ihr erst plötzlich bewusst werden, dass Pinks Mutter natürlich ihre Tante war. „Ja, von meiner großen Schwester Violet.“ „Pink geht es gut! Quietschfidel und fröhlich wie immer! Ich wusste gar nicht, dass Pinks Mutter hier ist ...“ Grey drehte sich zu Green herum: „Aber Green, das habe ich dir doch schon erklärt: Nur Hikari haben die Möglichkeit auf ein Leben nach dem Tod. Außerdem ist unsere Tante nicht tot …“ Abrupt brach Grey sich selbst ab, als die Drei nun in einen etwas belebteren Part des Jenseits gelangten – und jetzt verstand Green plötzlich um einiges besser, warum man von ihr sagte, sie würde nicht zu ihnen passen. Die Hikari waren eine große Ansammlung komplett weißer Wesen: weiße Haare, weiße, sehr vornehme und aristokratisch-wirkende Kleidung mit nur geringen Farbnuancen und weiße Augen, die Green alle gleichzeitig zu bemerken schienen, wie sie Seite an Seite mit ihrer Mutter und ihrem Bruder auf dem obersten Absatz einer Treppe kurz verblüfft stehen geblieben war. Natürlich hatten sie sie bemerkt; Green stach heraus wie ein schwarzer Fleck auf einem komplett weißen Papier; ob mit oder ohne weißes Kleid. Die wenigsten jedoch starrten Green direkt an; die meisten waren gut erzogen und taten so, als ob sie das jüngste Mitglied ihrer Familie nicht bemerkt hätten. Andere jedoch tuschelten hinter vorgehaltener Hand mit ihrem weißen Ebenbild und – war das ein Fingerzeig? Ja, einer der Hikari hatte für einen kurzen Augenblick verächtlich mit dem Finger auf Greens Glöckchen gezeigt, ehe seine Gesprächspartnerin ihn ermahnte und sich beeilte, sich abzuwenden. Es war ganz klar, was Greens Glöckchen anders machte als deren: als einziges Glöckchen im Jenseits hatte ihres schwarze Flügel. Na und? Green hatte oft genug mit Ausgrenzung und Lästerei zu tun gehabt, um nun nicht den Kopf hängen zu lassen – außerdem: Hatten die sich mal im Spiegel geschaut? Was für ein schrecklich langweiliger Einheitsbrei! Sie alle sahen gleich aus; alle trugen sie Kleidung, die einen hohen gesellschaftlichen Stand vermuten ließen – und überall entdeckte Green das kompliziert zu zeichnende Wappen der Hikari, als würden sie befürchten, jemand könnte vergessen, welcher Familie sie angehörten. Ein antrainiertes Lächeln, welches Gelassenheit und Freundlichkeit imitierte, war auf ihren weißen Gesichtern zu finden, als wäre es ein Teil ihrer Kleidung und daher nicht wegzudenken. White wurde von vielen mit strahlenden Augen begrüßt und auch Grey erfreute sich einiger Beliebtheit, wie er freundlich Begrüßungen austauschte, als kenne er sie alle. Wie hielt er sie überhaupt auseinander? Unter den vielen anwesenden Hikari kämpfte sich nun eine vor, ohne dabei sonderlich aufzufallen, denn ihr viel zu leises „Entschuldigung, dürfte ich ...“ wurde nicht gehört, zu sehr waren die Hikari damit beschäftigt, sich zu profilieren oder so zu tun, als würden sie Green nicht sehen. Erst als das Dreiergespann angeführt von White um die nächste Ecke bog, in der nicht so viel los war, gelang es ihr endlich, die Aufmerksamkeit Whites zu erregen: „W-White-sempai!“ Alle drei wandten sich zu dem Mädchen herum, welches mit ihren langen geflochtenen Zöpfen und recht großen Augen sehr jung und mädchenhaft wirkte, wie Green fand; sie war eindeutig eine der jüngeren Verstorbenen, auch wenn Green sie trotz des vielen Lernens mit Grey nicht einordnen konnte. Doch auch wenn sie kindlich aussah, verbarg sich hinter ihrem Aussehen die gleiche Abneigung Green gegenüber wie bei den anderen – nur war sie schlechter darin, sie zu verbergen. Sie begrüßte White begeistert, ebenso wie Grey, den sie ganz offensichtlich enorm sympathisch fand – als sie sich dann jedoch Green zuwandte, kam sie ins Stocken und einen Augenblick lang starrte das Mädchen Green an; nicht nur mit Abneigung, sondern mit ... Furcht? War das tatsächlich Furcht in ihren Augen? Zitterte sie gar kurz? Aber Green tat doch gar nichts, außer ratlos herumzustehen? „Ist das ... Ist das Eure Tochter, White-sempai?“ Als ob das nicht klar war; anscheinend war sie ja bekannt wie ein bunter Hund. Warum die Frage? „Ja, in der Tat, Lili-san. Das ist meine Tochter. Doch ich denke, sie kann sich selbst vorstellen.“ Auch wenn Green diese gezwungene Höflichkeit nicht nachvollziehen konnte, fügte sie sich dennoch und sagte: „Kurai Yogosu Hikari Green.“ Und reichte im gleichen Atemzug Lili die Hand.  Etwas, was sie wohl lieber nicht hätte tun sollen; Lilis Lächeln brach in sich zusammen und erschrocken starrte sie die Hand an, die Green ihr gereicht hatte. Nervös biss sie sich auf die Unterlippe, warf einen flüchtigen Blick zu White, um ein standhaftes Lächeln zu sehen, als hätte White gar nicht bemerkt, wie viele Sekunden Lili schon gezögert hatte. Green konnte sich vorstellen, warum; wahrscheinlich glaubte sie ... „Also so weit ich weiß ist Unreinheit nicht ansteckend, Mutter!“ Alle wirbelten zum Ursprung der sehr selbstbewusst klingenden Männerstimme herum und sofort waren Greens Gedanken um Höflichkeit und Unreinheit vergessen: denn, wow, es gab doch nicht nur langweilige, immer gleich aussehende Hikari, sondern richtig Gutaussehende! Einige Meter von ihnen entfernt lehnte ein verwegen aussehender Hikari an der Wand; ein breites, von sich selbst überzeugtes und Green unwillkürlich an Siberu erinnerndes Grinsen zierte sein Gesicht, auf dessen rechter Wange eine lange Narbe zu sehen war. Zwar hatte auch er weiße Haare, doch seine waren zerzaust und ein wenig unordentlich, seine weiße Kleidung zwar vornehm, aber eher praktisch und die lange Schwertscheide, in der ein geflügeltes Schwert ruhte, ließ vermuten, dass er ein Schwertkämpfer war. Was Green aber an ihm sofort gefiel, war nicht nur der lange schlanke Zopf, sondern vor allen Dingen, dass er keine weißen Augen hatte. Seine waren zwar auch hell, aber sie waren nicht weiß wie die der anderen Hikari: Sie waren minzgrün. „Seigi!“, rief Lili erschrocken, offensichtlich nicht sonderlich begeistert, ihn zu sehen. Das war Seigi? Und das Mädchen … seine Mutter?! Er war eindeutig älter; wie komisch die beiden im Vergleich zueinander wirkten. Kaum vorstellbar, dass sie Mutter Sohn waren – sie sahen eher aus wie Geschwister. Wie eigenartig es sein musste, wenn die eigene Mutter jünger war als man selbst … „Ich habe jedenfalls kein Problem, mich vorzustellen: Mein Name ist Seigi! Ich bin das Licht der Entschlossenheit und trage zu Recht den Titel des Tausendtöters!“ Seine Vorstellung hatte er gerade beendet, da sprang er auch schon auf Green zu und tat etwas, was nicht nur sie überraschte, sondern erst recht Grey und Lilli, die beide vor Schreck an die Decke zu gehen schienen, während White ausgesprochen ruhig blieb, als Seigi plötzlich vor Green stand, mit einer galanten Handbewegung ihre Hand zu seinen Lippen hob und flüchtig ihren Handrücken küsste. Green, sich wie eine Märchenprinzessin fühlend und jede Ablehnung ihrer Familie vergessend, errötete begeistert und grinste übers ganze Gesicht: „Und ich bin Green, hihi!“ „Jaha, ich weiß – das ist ein ziemlich komischer Name in den Ohren von jemandem, der Englisch gelernt hat, so wie ich! Ich meine, nach Farben benannt zu werden ...“ Feixend sah Seigi zu Grey, Lili und White und schien sich enorm über Greys und Lilis erschrockene und teils heftig verärgerte Gesichtsausdrücke zu amüsieren: „Ihr solltet eure Gesichter sehen, wahahahahaha!“ „Seigi! Mein Sohn, wie kannst du nur so unhöflich sein!“, jammerte Lili verzagt, sich hastig an White wendend, um sich beschämt für das kontroverse Benehmen Seigis zu entschuldigen. Auch Grey schien nicht nach Lachen zumute zu sein und schien es alles andere als witzig zu finden, dass sein Name gerade „komisch“ genannt wurde; White schien sich von Seigis Kritik nicht angesprochen zu fühlen. Green stimmte Seigi jedoch zu, was Grey offensichtlich zu erschüttern schien: „Also ich habe mich immer über meinen Namen gewundert. Ich stimme Seigi total zu; es ist verflu … schon komisch, nach Farben benannt zu sein!“ „Nun, dann werde ich euch wohl aufklären müssen, denn an unseren Namen ist nichts „komisch“. Sie sind wohlweislich ausgesucht worden!“ Theatralisch räusperte Grey sich hörbar und fuhr fort in seinem typischen belehrenden Tonfall fort, den Green mittlerweile gut kannte:   „Der Name einer unserer alten Gottheiten, Green, wird ähnlich ausgesprochen wie das englische Wort für „Licht“, weshalb sein Name heutzutage auch auf diese Weise geschrieben wird – jedenfalls, wenn sein Name in den lateinischen Buchstaben der Menschen geschrieben ist. Mit unserem Alphabet schreiben wir seinen Namen ein wenig anders …“ Grey räusperte sich abermals und fuhr fort, ohne auf Greens ungläubigen Blick zu achten, welche wohl nicht geglaubt hatte, dass ihr Name irgendetwas mit einer Gottheit zu tun hatte: „Unser Großvater entschied sich für eine Anlehnung, als er die Namen seiner Kinder beschloss, in der festen Überzeugung, dass sein erstes Kind ein Lichterbe sein würde, von dem er Großes erwartete. Doch obwohl Mutter seine zweitgeborene Tochter ist, erhielt sie den Namen, den sie heute trägt und …“ Grey lachte ein wenig und war ganz offensichtlich recht stolz, als er fortfuhr: „… hat in der Tat Großes vollbracht und macht ihrem Namen alle Ehre. Nicht umsonst nennt man unsere Mutter im Volksmund die „Wiedergeburt des Lichtes“.“ „Oh ja, das ist White-sempai, in der Tat!“, quiekte Lili begeistert, während Seigi nur mit den Augen himmelte, doch Green bemerkte, dass White nicht sonderlich froh zu sein schien, als sie sich für das Kompliment bedankte; aber vielleicht strahlte White auch nie vor Freude, das wagte Green nicht zu beurteilen. „Großvater hat auch meinen Namen ausgesucht und so die Tradition fortgeführt“, fügte Grey hinzu: „Er hat es mir zwar nie gesagt, aber ich denke, Großvater wollte eine „Familie in der Familie“ schaffen.“ „Also hat Großvater auch meinen Namen ausgesucht?“ Greys vorher noch sehr zufrieden aussehendes Lächeln verkrampfte sich und auch Lilis Begeisterung verpuffte augenblicklich. „Also … das …“ „Nein, das war ich.“ Green sah zu White, die den Blick ihrer Tochter eine Spur zu ernst erwiderte, weshalb Greens Stirn sich in verwunderte Falten legte – doch bevor Green etwas sagen konnte, beendete White das Thema: „Ich glaube, wir sollten das Thema hier lieber abschließen. Meinen Vater würde ich ungerne warten lassen.“ White hatte die Worte kaum ausgesprochen, als Lili schon vorschoss, als hätte sie nur auf die Chance gewartet: „Aber natürlich, White-sempai, Sie haben natürlich absolut recht! Bitte entschuldigt das frevelhafte Verhalten meines Sohnes! Ich bin untröstlich ...“  „Vorher möchte ich allerdings noch kurz mit meiner Tochter sprechen. Green?“ Es gab einen kleinen Ruck in Green, als ihre Mutter ihren Namen nannte und sie mit einer bedächtigen Geste zu sich bat. Für einen kurzen Moment war sie wieder nervös, als sie sich zu ihrer Mutter gesellte und sie Abstand zu den anderen Hikari nahmen, doch Green riss sich zusammen. Ehe White das Gespräch begann, sah sie sich nochmal um, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich nicht von jemandem gehört wurden, was offensichtlich der Fall war, denn Lili hatte angefangen, mit Grey über dessen Schneiderkunst zu sprechen; offensichtlich im schwärmerischen Tonfall, den Seigi mit himmelnden Augen quittierte.  „Green, im Umgang mit meinem Vater, sei so …“ „Höflich wie möglich? Das hat mir Grey schon erzählt!“, unterbrach Green ihre Mutter, die sie verwundert ansah; scheinbar war sie es nicht gewöhnt, dass jemand anderes außer der besagte Hikari sie mitten im Satz unterbrach. „Selbstverständlich. Dem ungeachtet ist es allerdings wichtig, dass du die Ruhe bewahrst. Denn dein Großvater ist bekannt für sein hitziges Temperament und er duldet keinen Widerspruch.“ „Das krieg ich schon hin“, erwiderte Green mit einem selbstsicheren Grinsen – aber da war noch mehr; sie sah es ihrer Mutter an… sie zögerte, als bringe sie es kaum übers Herz. „Er hat allerdings auch etwas gegen … Unreinheit.“ „Mit anderen Worten: Er mag mich nicht.“ Das war nun wirklich mehr als harmlos ausgesprochen, dachte White mit bedrücktem Herzen. Allerdings brachte sie es nicht fertig, Green zu erzählen, dass ausgerechnet ihr eigener Großvater ihr ärgster Feind war; ein starker Feind mit großem Einfluss. Noch war der richtige Zeitpunkt nicht gekommen. Doch wann würde er das? Green konnte sich gar nicht vorstellen, wie sehr ihre Familie sie ablehnte, ohne sie überhaupt jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Green hatte allen Grund zur Verunsicherung, aber diese spürte sie momentan nicht; ja, ihre Familie lehnte sie ganz offensichtlich ab – und offensichtlich gehörte ihr Großvater dazu – aber das störte Green nicht, denn ihr Bruder und ihre Mutter schienen diese Ablehnung nicht zu teilen, und nachdem Green ihre Mutter nun getroffen hatte, war sie auch nicht mehr so nervös – was kümmerte sie schon ein Familientreffen? Was kümmerte es sie, dass fremde Personen ihre Hand nicht schütteln wollten, weil sie glaubten, dass Unreinheit wie die Pest sei? In ihren Augen hatten sie einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank. Und ihr Großvater gehörte wohl dazu; aber darauf hatte Grey sie schon vorgewarnt. Sein Dämonenhass sollte auffällig ausgeprägt sein, sein Stolz enorm und die Würde und die Werte der Hikari-Familie verteidigte er mit eiserner Härte und einem hitzigen Temperament. Aber Green machte sich keine Sorgen, denn so leicht ließ sie sich nicht einschüchtern. „Green, es fällt mir schwer, das zu sagen, aber so leid es mir auch tut, ich werde für dich keine Partei ergreifen können.“ Green nickte, denn obwohl sie keine Ahnung hatte von irgendwelchen politischen Zwisten, hatte sie nichts dagegen, dass ihre Mutter nicht für sie sprechen konnte. Immerhin hatte sie ihre Mutter erst seit gut einer halben Stunde und wollte deshalb nicht, dass White für sie einsprang. Green wollte beweisen, dass die anderen ach so heiligen Hikari nicht mehr wert waren als sie – worum auch immer es ging.  „Was genau muss ich eigentlich tun? Nen Fragebogen ausfüllen?“ „Selbstverständlich nicht. Einzig und allein deine Anwesenheit ist von Nöten; es ist ein einfaches Familientreffen, welches wir regelmäßig abhalten.“ Greens Augenbrauen hoben sich eine Ahnung, denn ihr war klar, dass das nicht alles sein konnte. Sie hatte einfach schon zu viele Mahnungen und Warnungen erhalten. White bemerkte ihre Skepsis und führte daher weiter aus: „Es ist kein Test, Green. Nicht im traditionellen Sinn. Doch manchmal sind die Blicke der eigenen Familienmitglieder die prüfendsten.“ Diese Aussage brachte Greens Augenbrauen nicht dazu, sich zu senken; im Gegenteil. Doch es war ganz offensichtlich Zeit, dass White und Grey sie verließen, denn ihre Mutter wandte sich herum – entschied sich dann aber anders: „Eine Frage hätte ich allerdings noch …“ „Ja?“ Wurde White rot? Ihre Augen flüchteten kurz in eine andere Richtung, ehe sie sich wieder auf Green festigten: „Wurdest du wegen deines Namens gehänselt? Ich bin kaum vertraut mit der menschlichen Gesellschaft und …“ Ihre Augen wurden wieder kurz unsicher, nahmen einen besorgten Ausdruck an: „… ich wollte dir ganz gewiss keinen Kummer bereiten. Nichts läge mir ferner.“ „Ach was, nicht so schlimm. Ich mag meinen Namen!“, antwortete Green grinsend, um ihre Lüge zu verschleiern; aber jetzt war garantiert nicht der Augenblick, über ihre Kindheit zu sprechen – und wenn White der Gedanke schon so sehr plagte, dass sie wegen ihres Namens gehänselt wurde, wie würde sie dann erst bei den anderen Dingen reagieren? White durchschaute ihre Lüge nicht: Sie freute sich auf eine zurückhaltende Art und Weise, dass Green ihren Namen mochte und dass White ihr keine Probleme bereitet hatte – und Green ließ sie in diesem Irrglauben. Irgendwann würde sie ihr vielleicht davon erzählen. Aber nicht jetzt.     Es fiel Lili sehr schwer, Seigi und Green alleine losgehen zu lassen und es beruhigte sie absolut nicht, dass Seigi ihr mehrere Male versicherte, dass er sich benehmen würde, als ob sie befürchtete, dass Green jeden kleinen Fehltritt sofort an ihre Mutter weiterleitete– als ob sie annehmen würde, dass Green sich für Fehltritte interessieren würde. Aus diesem Grund war sie wahrscheinlich auch aufgekreuzt, wie Seigi grinsend zum Unsegen seiner Mutter sagte; sie hätte Green lieber selbst begleitet und hatte sich wohl erhofft, dass sie Seigi zuvorkommen konnte. Zwar traute sie sich nicht länger als nötig, in Greens Nähe zu sein, aber die Angst, dass Seigi sich blamieren könnte, war größer gewesen. Davor musste sie jedoch keine Angst haben, wie Grey und sie bemerkten: munter plaudernd verließen Seigi, den sie jetzt „Onkel Seigi“ nannte, und Green, die er jetzt „Greeny“ nannte, die anderen Hikari, als würden sie sich schon ewig kennen. Grey musste sich eingestehen, dass er doch ein wenig eifersüchtig war, sich deutlich daran erinnernd, dass Green seinen höflichen Arm bei deren erstem Treffen abgelehnt hatte, sich aber nun ohne Scheu bei Seigi eingehakt hatte. Es gab jedoch Wichtigeres als Stolz, denn kaum, dass er und seine Mutter alleine auf dem Weg zu seinem Großvater waren, sagte White leise mit ernster Stimme: „Jetzt ist also sogar Lili-san auf Vaters Seite.“ Kaum merklich nickte Grey, ehe er antwortete: „Konntest du mit Adir-san sprechen?“ „Ja, ich konnte ihn dazu bewegen, heute anwesend zu sein, aber auch er ist nicht auf Greens Seite.“ „Aber Adir-san ist wenigstens neutral. Nur leider …“ Grey seufzte und verlangsamte seine Schritte ein wenig: „… Green trägt ihr Herz auf ihrer Zunge und so wie wir an die Reinheit des Licht-Elementes glauben, so überzeugt ist sie von der Freundschaft mit diesen beiden Halblingen. Ich bezweifle, dass sie sie verleugnen wird.“ Obwohl White Green eigentlich nur von Akten und Greys Erzählungen her kannte und nun nur wenig Zeit mit ihr verbracht hatte, wusste sie, dass Grey recht hatte; Green würde mehr als eine große Portion Glück brauchen, um Shaginai zu überzeugen; sie müsste nicht nur die Freundschaft mit den beiden Halbdämonen verleugnen, sondern auch sich selbst. White besaß zwar einen großen Einfluss bei den Hikari, aber nicht, wenn es um Green ging. Gleich nach dem Familientreffen war bereits eine Ratsversammlung veranlasst worden, bei der abgestimmt werden sollte, ob Green nun ein Sonderregelfall werden sollte oder nicht. Wenn es ihrer Tochter nicht gelang, bei der Mehrheit jener Hikari einen positiven Eindruck zu hinterlassen, dann … konnte White nichts mehr für sie tun. Wenn die Regeln Green nicht länger beschützten, dann konnten jegliche Maßnahmen gegen sie ergriffen werden, um sie unschädlich zu machen und White konnte sich nur allzu gut vorstellen, was der Mann, der keine Skrupel hatte, ein Neugeborenes hinrichten zu lassen, vorhatte, wenn er erst einmal die offizielle Erlaubnis dazu hatte.         Fertiggestellt: 25.08.2013     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)