Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 6: Liebe auf den ersten Blick? -------------------------------------- Green hielt sich die Hand vor den Mund, um ein herzhaftes Gähnen zu unterdrücken. Es war kein Wunder, dass sie müde war: Sie war in der gestrigen Nacht unsanft aus dem Bett geworfen worden, um ihre Pflicht zu erfüllen - oder ihre heilige Aufgabe, wie Pink sie so gerne nannte. Green nannte es Schlafraub; und das, obwohl sie gerade erst von der Klassenreise zurückgekommen war und den Schlaf daher eigentlich gut gebrauchen konnte. Doch sie war froh darüber, dass es Pink gut ging, denn sie hatte sich schon ziemliche Sorgen um das kleine Mädchen gemacht, als sie es nicht hatte erreichen können. Merkwürdigerweise hatte Pink sich nicht daran erinnern können, weshalb sie Green so oft angerufen hatte – das hatte Green noch am gleichen Tag herausgefunden, nachdem sie wieder aus dem Fieberschlaf erwacht war. Das Merkwürdige war allerdings, dass Pink ihr auch keine Antwort darauf hatte geben können, warum sie das Handy nicht abgenommen hatte, als Green versucht hatte, ihre Mitbewohnerin anzurufen. Sie wusste gar nichts davon, sagte sie – doch wirklich wundern tat es Green nicht. Eigentlich sollte sie gar nichts an dem Verhalten Pinks wundern. Die Ereignisse der Klassenfahrt beschäftigten ihre Gedanken wie auch ihr Sein, da sie paranoid darauf achtete, dass das Glöckchen immer und zu jeder Zeit unter ihrem Oberteil verborgen lag. Sie wusste immer noch nicht, wie es ihr abhandengekommen war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es ihr jemand hätte gestohlen haben können – das hätte sie doch bemerkt – aber genauso unwahrscheinlich war es auch, dass sie es einfach so verloren hatte. Sie hätte doch bemerkt, wenn es heruntergefallen wäre, oder etwa nicht? Der Körper der Wächterin reagierte ja sogar, wenn sie das Glöckchen auch nur einen halben Meter von ihr entfernt auf den Tisch legte. Aber etwas anderes beschäftigte sie noch mehr als das Glöckchen … „G-Gary?!“ Green starrte ihr Gegenüber geschockt an, während sie das eben erst zurückerhaltene Glöckchen an sich klammerte und spürte, wie ihr Körper sich von Sekunde zu Sekunde immer mehr wiederherstellte. Doch der Angesprochene sah sie weiterhin einfach nur aufmerksam an und hatte sich immer noch nicht vom Fleck bewegt. Da er nicht auf ihre Frage antwortete und auch sonst nicht reagierte, beugte Green sich vor in ihrem Bett, obwohl sie am liebsten aufstehen wollte, um zu ihm gehen; doch zum einen wollte sie Sho nicht aufwecken, die mit dem Kopf auf ihrem Bett schlief und zum anderen fühlte sie sich noch nicht imstande aufzustehen. „Gary, was zum Teufel geht hier vor!?“, flüsterte sie, im Versuch ihre Stimme unter Kontrolle zu halten und endlich reagierte der Angesprochene. Er schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich werde es dir erklären, aber nicht hier.“ Gary machte einen Wink zu Sho und Green verstand, was er mit dieser Geste meinte. „Ruh dich erst einmal aus. Wir reden später.“ Damit drehte er ihr den Rücken zu, und ehe Green etwas tun oder sagen konnte, verließ er ihr Zimmer und die Wächterin konnte nichts anderes tun, als ihm verdattert hinterher zu starren. Auf dieses „später“ musste Green ganze vier Tage warten: vier Tage, in denen sie immer ungehaltener und ungeduldiger wurde, da sie sich entsetzlich viele Gedanken über den Vorfall machte und unheimlich viele Thesen aufstellte: eine unwahrscheinlicher als die andere. Sie war kurz davor zu verzweifeln und Pink hatte nicht gerade dagegen gewirkt. Green hatte sie gleich am ersten Tag, wo es ihr wieder gut ging, angerufen und endlich auch erreicht. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie Pinks quitschige Stimme hörte, doch lange hielt die Erleichterung nicht an, ehe sie schnell von eben dieser Stimme genervt wurde. Pink erzählte ihr von irgendeinem Alptraum, der absolut keinen Zusammenhang hatte und an den sie sich selbst kaum noch erinnern konnte. Obwohl Pink den Inhalt vergessen hatte, schien es ihr von größter Bedeutung, Green davon zu erzählen und diese hörte auch zu, um einen Sinn in Pinks Traum zu finden. Schon nach fünf Minuten entschloss sie, dass sie Pink nichts davon erzählen wollte, was bei ihr vorgefallen war, da sie bereits Kopfschmerzen von ihrer Stimme hatte. Sie würde es in ihre eigenen Hände nehmen. Dazu kam sie auch, als sie Gary zufällig alleine auf dem Gang traf. Sie hatte bereits den Mund geöffnet, um sich mit ihm zu streiten, als er sagte, sie würden sich am letzten Tag der Klassenreise auf der Lichtung treffen, wo Green gegen den Dämon gekämpft hatte. Gut, damit hatte sie wieder neues Gedankenfutter. Zum Ersten wusste er von Dämonen. Zum Zweiten wusste er von ihrem Kampf und zum Dritten würde sie ihm am liebsten den Kopf abreißen, weil er es so entsetzlich spannend machte. Daher war ihre Begrüßung auch recht unfreundlich, als sie ihn auf der Lichtung sah. „Ich sollte dich umbringen, du verdammter …!“ Sie stampfte durch den weißen Schnee herüber zu ihm und funkelte ihn böse an, wie er da so arrogant an einen Baum gelehnt stand und schneidend antwortete: „Solltest du wirklich. Aber wie ich sehe, hast du deine Waffe nicht umgewandelt.“ Greens Blick lockerte auf, blieb aber nach wie vor skeptisch. „Was geht hier eigentlich vor? Woher weißt du das alles? Bist du etwa auch ein Wächter?“ Überraschenderweise begann Gary zu lachen; nicht besonders laut, sondern eher in sich hinein, doch es genügte, um Green rot werden zu lassen, da sie sich veräppelt fühlte. „Nein, Green, eher das Gegenteil.“ Die Angesprochene wurde bleich und nahm ein paar Schritte rückwärts, hatte aber merkwürdigerweise nicht im Sinn, ihre Waffe hervorzuholen. „Du bist… ein Dämon?!“ Sie holte tief Luft und er sah ihr an, dass ihr tausend Gedanken durch den Kopf liefen, als er bejahte. „Um korrekt zu sein, bin ich ein Halbdämon.“ „Warum hast du mich dann gerettet?“ Gary wusste, dass diese Frage kommen würde und er wusste, was er antworten würde: „Weil ich nicht wollte, dass du stirbst.“ Diese simple Aussage ließ Green erröten und brachte sie aus dem Konzept. Im Gegensatz zu Gary, der ernst blieb. „Du … willst mich also nicht umbringen?“, fragte die Wächterin unsicher. „Nein.“ „Und was machst du dann hier, so als Dämon? Bringst du andere um?“ Gary deutete ein Kopfschütteln an, ehe er antwortete: „Ich mache dasselbe, was du machst, Green. Ich mache meinen Schulabschluss.“ Auf Greens Gesicht erschien ein schiefes Lächeln, als sie die Augenbrauen hob. „Weißt du, wenn mir das jemand anderes gesagt hätte, hätte ich ihm nicht geglaubt. Aber dir glaube ich das sofort; du bist so ein verdammter Streber.“ Er nahm das als Kompliment auf, während Green mit dem Kopf schüttelte und wieder ein wenig näher heranging, so dass sie einen Meter vor ihm stand. Sie sah zu ihm hoch und deutete schon ein leichtes Grinsen an, was Gary ein wenig beunruhigte. „Wenn du ein Dämon bist, dann kannst du doch sicherlich kämpfen.“ „Ja?“ Sein mulmiges Gefühl verstärkte sich. „Kannst du gut kämpfen?“ „Worauf willst du hinaus?“ Ohne Vorwarnung packte sie seine Hände und strahlte ihn fast schon mit einer kindlichen Euphorie an. Gary mochte das nicht, aber er wusste nicht warum. Er mochte das merkwürdige Gefühl ihrer Hände nicht, wie auch das Gefühl in ihm, denn er kannte es nicht und er verstand es auch nicht. Und er mochte Dinge nicht, die er nicht verstehen konnte. „Wir können uns doch zusammentun! Du hast doch gesagt, dass du nicht willst, dass ich sterbe und ich bin nicht so gut im Kämpfen, ich könnte jemanden gebrauchen, der mich unterstützt!“ „I-Ich halte das für keine gute Idee…“ „Warum nicht?“ „Hast du mir nicht zugehört? Ich bin ein Däm-“ „Ein Halbdämon“, unterbrach Green Gary. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir natürliche Feinde sind. Du bist eine Wächterin.“ „Heißt doch nicht, dass wir es sein müssen. Ich sehe dich nicht als meinen Feind, auch wenn du mich manchmal ziemlich nervst.“ Diese Aussage brachte nun ihn aus dem Konzept, da er nicht verstehen konnte, wie Green dieses Thema so locker nehmen konnte und wie sie überhaupt auf die Idee kam, sie würden zusammenarbeiten können. Green bemerkte, dass er nachdachte, interpretierte es jedoch verkehrt: „Also?“ „Green …“ Sie löste sich von ihm und sagte grinsend (anscheinend war sie sich ihrer Sache sicher, obwohl Gary nicht begeistert von der Idee war), dass sie ihm Zeit lassen würde, bis sie wieder in der Schule waren. Mit diesen Worten schloss sie das Gespräch ab und hatte ihm bereits den Rücken zugekehrt, als er sie aufhielt: „Wie kannst du dir so sicher sein, dass ich dich nicht belüge?“ Green lachte, als er das sagte, und antwortete lächelnd: „Ich glaube gar nicht, dass du lügen kannst, Gary!“ Seitdem war Gary nicht mehr in der Schule gewesen – aus rein praktischen Gründen, wie Green wusste. Denn ihr neuer Nachbar und Kampfgefährte in spe war gleich nach deren Rückkehr erkrankt. Er hatte sich in den Bergen wohl einen Virus eingefangen und lag nun mit Grippe im Bett; so unwahrscheinlich das auch klingen mochte, wenn man bedachte, dass er immerhin ein Dämon war. Die Wächterin hatte ihm eben dies unter die Nase gerieben, doch er hatte nur genervt geantwortet, dass er ja wohl trotzdem krank sein durfte und dass es etwas damit zu tun hatte, dass er zur Hälfte ein Mensch war. In diesem Gespräch fiel Green zum ersten Mal auf, dass es Gary nicht zu gefallen schien, wenn sie ihn auf seine menschliche Hälfte ansprach oder sie auch nur erwähnte. Anscheinend sah er sich selbst mehr als Dämon. Ob er sich für seine menschliche Hälfte schämte? Pink war überhaupt nicht von Gary und dessen Dämonensein begeistert. Sie meinte, Green solle Gary auf der Stelle töten – oder auf jeden Fall umziehen. Er war doch ein Dämon und Wächter töten Dämonen, wie umgekehrt – das waren ihre Worte, die sogar ziemlich ernst klangen. Doch Green schüttelte diese Worte von sich und wollte davon nichts hören, denn sie war zu sehr von der Vorstellung begeistert, einen Kampfpartner zu haben, anstatt sich mit Naturgesetzen herumzuplagen. Sie wusste nicht, ob es etwas damit zu tun hatte, dass sie Gary schlichtweg nicht zutraute, dass er ihr etwas Böses antun wollte oder ob es mit ihrem unterbewussten Hang zum Regelbrechen zusammenhing. Doch Pink hatte nicht vor, aufzugeben und so bestand sie dauerhaft darauf, Green zu begleiten, wenn diese Gary besuchte, und beäugte die beiden plötzlich mit größter Skepsis. Drei Mal war Green bei ihm gewesen im Laufe der einen Woche, die seit der Klassenfahrt vergangen war und diese drei Besuche hatten ausgereicht, um Pink ebenfalls flachzulegen. Nun hatte Green zwei Patienten, obwohl Gary wohl nicht als Patient galt, da sie ihm nur Medizin brachte. Green selbst war absolut unberührt geblieben und fühlte sie frisch und munter, als sie im Mathematikunterricht saß. Okay, frisch war vielleicht etwas übertrieben, da sie in der letzten Nacht wieder einen Dämon eliminiert hatte, aber krank war sie jedenfalls nicht. Die Verletzung, die ihr der Dämon während der Klassenfahrt zugefügt hatte, war wieder so gut wie verheilt. Green sah aus dem Fenster, da es der Unterricht wieder einmal nicht vermochte, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen; stattdessen starrte sie in den trüben Himmel an diesem grauen Novembertag und überlegte, wie lange es wohl noch dauern würde, bis der Winter auch nach Tokio vordrang. Gerade als sie sich das fragte, weckte sie etwas aus ihren Gedanken: der Unterricht war von etwas unterbrochen worden. Sie wandte ihr Gesicht zur Tafel und umgehend öffnete sich ihr Mund überrascht. „Das ist euer neuer Mitschüler, Nakayama Siberu.“ Green traute ihren Augen nicht, aber es war wirklich Siberu, der da vor der Tafel stand und eben seinen Namen in Hiragana geschrieben hatte. Die Mädchen waren hin und weg von Siberus selbstbewusstem Auftreten und seinem hervorragenden Äußeren, doch das war es nicht, was Green dieses Mal umhaute. Es war ganz und gar sein simples Dasein: die Tatsache, dass ihr Mathelehrer ihn gerade als deren neuen Mitschüler vorgestellt hatte. Nicht, dass Green sich nicht freute, ganz im Gegenteil! Sie war begeistert davon und sie verfluchte ihr Herz nicht einmal, als es vor Freude einen Hüpfer machte, als sie bemerkte, dass er sie ansah. Green musste sich eingestehen, dass sie sich freute, ihn wiederzusehen. „Ist der Platz noch frei?“, fragte Siberu, als er durch die Reihe gegangen war, um zu Green zu gelangen. Diese hätte glatt vergessen, dass der Platz neben ihr Gary gehörte und sie hätte ihn Siberu auch überlassen, wenn der Lehrer Siberu nicht den Platz hinter Green gegeben hätte. Green sah über die Schulter hinweg zu ihm, denn sie hatte ihm tausend Fragen zu stellen, doch auf ihren fragenden Blick, bekam sie nur ein vielsagendes Grinsen. „Schlagt bitte Seite 144 auf.“ Die Schüler folgten der Anweisung des Lehrers und man hörte, wie die Bücher aufgeschlagen wurden; Sho hatte jedoch ihren Blick nicht auf das Buch gerichtet, da sie vollauf beschäftigt damit war, die neue Situation zu analysieren. Einen kurzen Augenblick fragte sie sich, ob er wohl mit ihr verwandt war: wegen der roten Farbe seiner Haare, was eindeutig eine natürliche Farbe, genau wie in ihrem Fall, war. Aber Sho kannte ihren Stammbaum recht gut und wusste, dass sie noch nie von einer Familie namens „Nakayama“ gehört hatte. Ob er wohl eine Freundin hatte? Hm, vielleicht wäre die bessere Frage wohl eher, wie viele er momentan hatte. Ohne Zweifel war er ein Casanova; Sho hatte einen Blick für sowas und im Moment schien dieser Siberu wohl einen Blick auf Green geworfen zu haben. Ob Sho sie warnen sollte? Aber Green wusste es sicherlich selbst. Allerdings war ihre Freundin noch nie wirklich verliebt gewesen und ihrer Röte nach zu urteilen, war dies Liebe auf den ersten Blick. Sho gefiel das nicht. Aber sie konnte nicht sagen, ob es etwas mit Eifersucht oder Sorge zu tun hatte. Ein wenig später begutachtete Green stolz ihr mit einer roten Schleife zusammengebundenes Werk: selbstgebackene Kekse - und sie war mit sich selbst doch recht zufrieden, da sie nicht nur gut aussahen, sondern auch fabelhaft rochen. Dazu kam, dass sie wusste, dass sie gut schmecken würden, denn Green konnte gut kochen und dazu gehörte auch das Backen. Das war auch der Grund, weshalb Sho während des Hauskundeunterrichtes dauernd versucht hatte, einen der kleinen brauen Kekse zu ergattern, welche sich auf Greens Blech befunden hatten. Sie selbst war nämlich absolut nicht in der Lage, auch nur irgendetwas in die Richtung von Essbarem zu vollbringen, da sie noch nie darauf angewiesen gewesen war, sich selbst etwas zu kochen. „Green, du hättest mir wenigstens einen abgeben können! Du hast so viele gemacht … und du weißt genau, dass man meine nur als Drohung gebrauchen kann!“ Die Angesprochene schüttelte weiterhin den Kopf, als sie ihre Jacke über ihre Schuluniform anzog. „Glaubst du, ich weiß nicht, warum du mir keine abgibst?“ Die Angesprochene sah Sho fragend von unten herauf an, da sie sich niedergekniet hatte, um die Kekse in ihre Tasche zu packen. „Warum fragst du denn, ob du einen abhaben kannst, wenn du weißt, dass sie nicht für dich bestimmt sind?“ Sho sah missgestimmt aus, als sie antwortete: „Ich glaube, dieser Typ ist nicht für dich geeignet, Green.“ Green blinzelte sie kurz an, ehe sie sich aufrichtete und ihre Freundin mit dem Zeigefinger anstupste, nicht ohne dabei breit zu grinsen. „Na, man wird doch wohl nicht eifersüchtig sein, was, Sho?“ Das Grinsen Greens wurde ein ganzes Stück breiter, als sie bemerkte, dass Sho rot geworden war, weil ihre Freundin sie offensichtlich ertappt hatte. „Ich bin nur besorgt um dich! Das ist alles.“ „Danke, Sho, aber ich denke, ich kann auf mich aufpassen.“ „Aber solche Typen sind nur auf Spaß aus.“ „Wie gesagt, Sho. Ich kann auf mich aufpassen, ich gehe nicht mit einer rosaroten Brille durch die Welt.“ Sho seufzte, schien aber nicht im Sinn zu haben, aufzugeben. Doch Green unterbrach sie: „Sag, musst du heute noch zu deiner Redaktion?“ Dieses Ablenkungsmanöver hatte Erfolg, denn es brachte Sho dazu, nachzudenken und schon schüttelte sie den Kopf, als sie die Antwort auf Greens Frage gefunden hatte. Der Wächterin gefiel diese Antwort nicht, da das bedeutete, dass sie heute alleine nach Hause gehen musste, da Sho sie nicht mitnehmen konnte. Das Problem dabei war, dass die Wächterin bereits bemerkt hatte, dass es regnete und nicht nur ein wenig: Es regnete in Strömen. Natürlich hatte Green gerade heute ihren Regenschirm vergessen und leider musste sie selbst noch zur Rhythmischen Gymnastik, was bedeutete, dass Sho jetzt frei hatte und sie nicht. Mit anderen Worten: Green konnte nicht mit ihr nach Hause fahren, in einer warmen und bequemen Limousine. „Ich kann James sagen, dass er dich nachher nach Hause bringen soll. Du hast doch sicherlich keinen Regenschirm dabei.“ „James“ war nicht der richtige Name von dem privaten Butler der Minazaiis, doch sie hatten Spaß daran, ihn so zu nennen, da der Name so herrlich stereotyp wäre. Green hatte lange Zeit nicht einmal bemerkt, dass er in Wirklichkeit einen anderen Namen trug. „Nein, danke, Sho. Ich komm schon alleine heim, ist ja nicht das erste Mal.“ Sho gefiel diese Aussage nicht, das fiel Green sofort auf, dennoch sagte Sho nichts, sondern verabschiedete sich von ihrer Freundin, die sich gerade ihre Sporttasche über den Rücken geworfen hatte. Sho ging jedoch nicht hinaus in den Regen, ohne Green vorher ein weiteres Mal vor Siberu zu warnen. Green schüttelte nur ratlos mit dem Kopf und sah vom Fenster aus, wie Sho in die warme Limousine hüpfte. Wenn sie sich so die dunklen Wolken ansah, bereute sie es ein wenig, das Angebot ihrer Freundin nicht angenommen zu haben, immerhin musste sie in diesem Mistwetter auch noch einkaufen. Green seufzte und wollte sich gerade zur Gymnastik aufmachen, als sich ihr Nachmittag plötzlich erhellte und alle Gedanken über den Regen verdrängt waren. „Siberu-san!“ Perfektes Timing, dachte Green, als sie Siberu vor sich sah, einen Regenschirm geschultert. Er grinste, zum einen erfreut darüber, sie zu sehen, aber auf der anderen Seite schien es ihn wohl doch zu ärgern, dass sie weiterhin das Suffix bewahrte. Sie schritt zu ihm und fragte ihn, wie sein erster Schultag gewesen war. „Gut“, antwortete er jedoch mit mangelndem Interesse, dies änderte sich jedoch, als er Folgendes sagte: „Ich hatte ja einen schönen Rücken, auf den ich gucken konnte.“ Green erwiderte sein Grinsen, als sie antwortete: „Liegt es in deiner Natur, so viele Komplimente von dir zu geben?“ „Wenn das Mädchen so hübsch anzusehen ist wie du, ja.“ Das ließ Green doch als Antwort gelten und ihr Grinsen wurde zu einem süßen Lächeln. Wie auch Siberus. „Soll ich dich denn nach Hause bringen?“, fragte er sie, nachdem sie sich einige Sekunden lang angelächelt hatten. Anscheinend hatte er bemerkt, dass sie, im Gegensatz zu ihm, keinen Regenschirm dabei hatte. Green konnte sich schon vorstellen, dass er sehr auf seine Haare achtete und es sicherlich nicht mochte, wenn sie vom Regen durchweicht waren. Green freute sich über sein Angebot, doch mehr aufgrund seiner Anwesenheit als wegen der praktischen Vorzüge, dennoch zögerte sie mit dem Annehmen, da sie Shos Worte noch im Ohr hatte und diese sie auch dazu brachten, das Angebot abzulehnen, immerhin musste sie noch zum Training der Rhythmische Gymnastik. Doch er reagierte anders, als sie es erwartet hatte: „Rhythmische Gymnastik? Da warte ich doch gern auf dich!“ „Wirklich? Du willst echt deine Zeit für mich opfern?“ „Ich würde dir gern zusehen, oder störe ich dich?“ „Was? Ach, so habe ich das nicht gemeint! Natürlich darfst du zuschauen, du musst nur ruhig sein. Aber das dauert schon eine Stunde.“ „Das macht mir nichts aus. Im Gegenteil.“ Siberu klappte seinen Regenschirm auf, weil sie das Gebäude verließen und in den Regen schreiten mussten, um die Turnhalle zu erreichen. Er hielt den Schirm schützend über sie, jedoch ebenfalls darauf bedacht, dass seine Haare nicht nass wurden, was Green in ihrem Verdacht, was seine Haare anging, bestätigte. Da plötzlich fielen Green ihre gebackenen Kekse wieder ein und kaum, dass sie daran gedacht hatte, bat sie Siberu darum, doch bitte stehen zu bleiben. Sein Lächeln wurde zu einem Ausdruck der Verwunderung, als sie sich bückte, um etwas aus ihrer Tasche zu holen. Als sie endlich fand, was sie gesucht hatte, drückte sie es Siberu in die Hand. „Für mich?“ Sein fragender Blick, als er einen der Kekse aus der Tüte holte, ließ Green leicht erröten und dieses steigerte sich, als sie seine Frage bejahte. Ob es doch ein wenig zu altmodisch war? „Darf ich das als Andeutung sehen?“, fragte er mit einem bedeutungsvollen Grinsen. „Eine Andeutung? Für was?“ „Dafür, dass es zwischen uns beiden endlich persönlicher wird.“ Greens Herz beschleunigte sich nicht nur bei seinen Worten, sondern auch weil er sie wieder so charmant anlächelte. Eigentlich war sie gewillt, ihn noch ein wenig zappeln zu lassen, doch dieses Lächeln zog einen förmlich in den Bann. Sie konnte nicht einmal auf sich selbst wütend sein, als sie es nicht sofort verneinte, sondern die Antwort ausschwieg, was er scheinbar als ein „Ja“ auffasste. Als er sich darüber freute, dass er sie endlich „Green-chan“ nennen durfte, lächelte auch sie erfreut, obwohl sie im Prinzip absolut gegen Spitznamen und Suffix aller Art war. Als sie an der Turnhalle ankamen, sagte Green, dass sie ihm im Gegenzug ebenfalls einen Spitznamen geben wollte. „Und? Was hast du dir ausgedacht, Green-chan?“ Siberu schien es zu genießen, sie so nennen zu dürfen, denn sein Grinsen war ziemlich erfreut, als er den schwarzen Regenschirm wieder zusammenklappte. „Ich werde deinen Namen verkürzen. Im Gegenzug dafür, dass du mich „Green-chan“ nennen darfst, nenne ich dich „Sibi“!“ Green trainierte an diesem Tag doppelt so hart, wie sie es normal tat und versuchte, Fehler zu vermeiden, die ihr gewöhnlich öfter unterliefen. Sie wollte sich Siberu von ihrer besten und vor allen Dingen schönsten Seite zeigen, doch umso mehr sie darauf achtete, keine Fehler zu machen, umso mehr schlichen sich in ihre Kür. Es passierte mehr als einmal, dass sie über die Gerätschaften stolperte und der Nase lang hinfiel – nicht gerade elegant oder vorzeigeprächtig. Siberu schien das jedoch amüsant zu finden, auch als sie auf dem Heimweg knallrot geworden war aufgrund ihrer Fehler. Sie hatte erwartet, dass er sich über ihre Peinlichkeiten lustig machen würde, doch das tat er nicht. Er kommentierte diese Fehler nicht einmal, wofür sie ihm dankbar war, denn er wusste natürlich, dass es ihr peinlich war. Sie gingen nebeneinander her, unter dem Regenschirm, welchen Siberu für beide hochhielt, um sie vor dem Regen zu bewahren. Immer wieder ertappte sie sich selbst dabei, wie sie zu ihm herüber sah und sie schallte sich selbst eine Närrin, dass sie Herzklopfen bekam, wenn sie ihn ansah. War das nur sein vorteilhaftes Äußeres oder war sie … wirklich in ihn verliebt? So schnell? Green war noch nie verliebt gewesen, sie wusste nicht, wie es sich anfühlte oder ab wann man sagen konnte „Ich bin verliebt“. War sie verliebt, wenn ihr Herz raste, wenn sie ihn nur ansah? Aber das war kein Grund, dauernd rot zu werden. Seit wann war sie denn so schüchtern? So war sie eigentlich nicht und Siberu war kein Grund, jetzt damit anzufangen. Die anfänglich fast romantische Stimmung bekam für Green jedoch schnell einen Abbruch, als ihr plötzlich etwas einfiel, was die ganze Zeit über erfolgreich von ihren Siberu-geprägten Gedankengängen verdrängt worden war: Sie musste noch einkaufen. Siberu schien das nicht zu gefallen, denn als sie ihm dies sagte, sah er sie ein wenig missbilligend an. „Können das nicht deine Eltern machen?“ Green antwortete schnell, ohne darüber nachzudenken und war, kaum dass sie es gesagt hatte, über sich selbst überrascht: „Ich bin ein Waisenkind. Ich habe keine Eltern.“ Daraufhin schwieg er. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander, wobei Green sich fragte, ob ihn dies nun aus der Bahn geworfen hatte? „Darf ich dich was fragen?“, seine Stimme hörte sich ruhig und plötzlich ernst an, als er sich nach mehreren Minuten des Schweigens dazu entschied, das Sprechen wieder aufzunehmen: „Wenn du alleine lebst … bist du dann nicht einsam?“ Daraufhin wurde Green doch ein wenig nachdenklich, und ohne, dass sie weiter darüber nachdachte, sprudelten auch schon die Worte unaufhaltsam aus ihrem Mund: „Wieso fragt man mich das immer? Sho fragt es auch öfter …Wieso glaubt ihr, dass ich einsam bin? Ich muss doch nicht gleich einsam sein, nur weil ich keine Eltern habe. Klar, es ist ruhig, aber alleine zu sein hat auch seine unschlagbaren Vorteile. Ich bin nicht darauf angewiesen, dass andere um mich sind.“ Ihre letzten Worte sagte sie mit einem Anflug von Stolz, denn sie hatte ihr gesamtes Leben lang der Einsamkeit ins Gesicht gesehen; die Einsamkeit war oft ihr größter Feind gewesen … obwohl eigentlich immer Personen da gewesen waren, die ihr eine helfende Hand gereicht hatten, hatte niemand es vollbracht, durch diesen Schleier der Einsamkeit zu brechen und sie davon zu befreien. Vielleicht weil sie es selbst schaffen musste? Weil sie die Einsamkeit aus eigenem Antrieb heraus überwinden musste? Erst nachdem sie Shos Familie verlassen hatte, um sich eine eigene Existenz aufzubauen, hatte sie das Gefühl, die Einsamkeit niedergerungen zu haben. Sie war stark geworden. Und sie war stolz darauf. „Ich weiß nicht“, fing Siberu an und weckte Green aus ihren Gedanken. „Ich glaube, du brauchst jemanden, der an deiner Seite ist, Green-chan.“ Die Angesprochene konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und pikste ihn in die Seite. „Jemanden wie … dich?“ Siberu erwiderte das Grinsen und antwortete: „Vielleicht?“ Green errötete ein wenig, konnte dies jedoch hinter einem Grinsen gekonnt verstecken. Sie antwortete nicht; nicht weil ihr keine geeignete Antwort einfiel, sondern weil es Zeit war, sich von dem rothaarigen Casanova zu verabschieden, da sie vor ihrem Wohnblock angekommen waren. Siberu hatte vor, sie nach oben zu begleiten, doch Green lehnte ab, auch wenn sie es genossen hätte, noch ein wenig mit ihm zusammen zu sein. Zum einen war der Rest ihres Nachmittags sowieso mit Einkaufen und Hausaufgaben verbucht und zum anderen wollte sie vermeiden, dass er sich bei Pink ansteckte. „Okay, Green-chan. Dann morgen?“ Die Angesprochene war bereits dabei, die Treppen zum Wohnblock emporzugehen, als Siberu sie mit diesem Satz davon abhielt und sie sich noch einmal umdrehte. „Was, morgen?“ „Willst du morgen mit mir ausgehen?“ Green blinzelte ihn verwundert an, doch konnte nichts dagegen tun, dass sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Sie musste nicht lange über ihre Antwort nachdenken, da sie bereits klar war: „Gerne!“ Auch über ihre nächste Handlung dachte sie nicht nach, sondern tat es einfach: hastig sprang sie die Stufen wieder herunter, welche sie gerade erst hinter sich gelassen hatte und gab Siberu einen Kuss auf die Wange. Ehe er reagieren konnte, war Green wieder die Stufen emporgestiegen, und gerade als sich die elektronische Schiebetür öffnete, sagte sie mit einem Zwinkern: „Bis morgen, Sibi!“ Dann verschwand das Mädchen hinter der Tür und in der Eingangshalle, womit sie Siberu alleine im Regen zurückließ, der ihr hinterher sah. Nur einen Moment lang verblieb sein Gesicht regungslos, ehe sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Dieses Lächeln hatte allerdings nichts mit Freude oder ähnlichen Gefühlen zu tun, es ähnelte mehr dem Gefühl eines Dämonen, der sich über seinen baldigen Triumph freute – und leicht enttäuscht darüber war, dass der Weg so einfach war. Fertiggestellt: 20.04.09 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)