Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 35: Rettender Engel ---------------------------                     Als Grey und Green wie immer angefangen hatten sich zu streiten, sobald Grey sie darum bat, ein weißes Kleid anzuziehen, da hatte alles noch nach einem ganz normalen Tag ausgesehen. Green protestierte, weil sie ein weißes Kleid tragen sollte und genauso normal war es auch, dass Grey nicht nachgeben wollte. Seine Reden, dass Green als Hikari nun einmal an diese Farbe gebunden war und dass sie diese Farbe doch auch sehr gut kleidete, waren mittlerweile fest mit Greens Antwort verknüpft, dass sie sich doch gerne „blamieren“ wollte, wenn man sich darüber aufregen musste, dass sie ein schwarzes Kleid trug. Ungewöhnlich war es allerdings gewesen, wie vehement Grey auf ein weißes Kleid bestanden hatte. Er hatte sie darauf hingewiesen, dass er sie nicht mitnehmen würde, wenn sie nicht eines der Kleider anziehen würde, die er für sie geschneidert hatte. Green hatte nur über den felsenfesten Willen ihres Bruders gestutzt, denn eigentlich gab er meistens nach – im Gegensatz zu Ryô, der wusste, was hinter dem Gebären seines Herren lag und auch die Hand, die Grey auf Ryôs gelegt hatte, hatte seine Sorge um das Vorhaben seines Freundes nicht legen können. Grey hatte gewollt, dass Green erkannt wurde. Ohne Probleme hätte er sie tarnen können; wenn ihr Glöckchen unter ihrem Kleid verborgen lag, dann erkannte sie niemand als Hikari – und ihre Aura war noch zu schwach, um eindeutig dem Element des Lichtes zugeordnet werden zu können. Die Bewohner von Sanctu Ele’Saces hätten sich wahrscheinlich nur darüber gewundert, wer sich da in der Begleitung Greys befand, wären aber niemals selbst zu dem Schluss gekommen, dass dieses Mädchen ihre Hikari war. Die Hikari, von der sie alle geglaubt hatten, dass sie tot war. Die Hikari, die eigentlich weiterhin „angeblich tot“ hätte bleiben sollen. Grey brach einen so direkten Befehl der Hikari, dass Ryô sich wunderte, dass nicht sofort ein Blitz eingeschlagen war, als Grey allen Wächtern seine Schwester vorstellte. Aber kein Blitz war eingeschlagen. Die Sonne strahlte immer noch vom blauen Himmel herab und es war sogar kurz ganz still geworden. Fast gespenstisch still und Ryô sah Green an, dass sie nervös wurde. Auch Grey sah Ryô es an, aber der unterdrückte seine Nervosität gekonnt. Im Gegensatz zu Green hatte er nämlich schon politischen Unterricht erhalten. Er wusste, wann und wie er Worte richtig einsetzen musste. Er hatte ein natürliches Gespür dafür – aber hatte er wirklich das richtige getan, als er Green den Wächtern vorgestellt hatte? Diese Nachricht… dass ihre Hikari von den Toten auferstanden ward… würde sich wie ein Lauffeuer ausbreiten. Die Hikari würden es nicht verhindern können – es war bereits zu spät: Ryô bemerkte aus den Augenwinkeln, wie ein Kollege von ihm sich unauffällig, wie die Tempelwächter es nun einmal von Natur aus sein mussten, von der Menge löste. Die Ausbreitung war bereits im Gange. Wie sagte man so schön im Wächtertum? Wusste es erst einmal die Küche – wo nämlich die meisten Tempelwächter auf einem Haufen versammelt waren – dann wussten es danach alle. Die erste Reaktion auf Greys Worte waren aufgerissene Augen: Schock, Überraschung, verwirrte Augenpaare, die alle vom ernsten Grey zur ebenfalls verwirrten, aber auch angespannten Green huschten – und dann richteten sich die verschieden gefärbten Augenpaare Richtung Boden, als sie sich verneigten. Einer nach dem anderen, bis sie alle ihren Kopf gesenkt hielten; sogar der hübsche, hochrangige Wächter, der vor Grey und Green gestanden hatte, verneigte sich nun ehrfürchtig – vor Green. „Willkommen, Hikari-sama!“ Green hatte das Gefühl, dass sie nahe einem nervlichen Kollaps war; in ihrem Kopf schwirrte alles – hätte Grey sie nicht warnen können?! Sie wusste überhaupt nicht, wie sie reagieren sollte?! „Grey, was soll ich machen?!“, flüsterte sie auf Japanisch, in der Hoffnung, dass nicht allzu viele sie verstanden, während es sogar noch mehr Wächter wurden. Sogar Kinder verneigten sich vor ihr! Oh Gott, sie mochte das nicht, sie mochte das ganz und gar nicht--- „Mama, warum hat Hikari-sama denn keine weißen Haare?“ Diese kleine Stimme eines Kindes, das diese unschuldige, aber leider zutreffende Frage gestellt hatte, erreichte trotz ihrer geringen Lautstärke nicht nur Greys und Greens Ohren – sie hatte alle erreicht, die Frage, die wahrscheinlich alle hatten stellen wollen. Aber niemand hätte gewagt, es zu tun und die Mutter des kleinen blauhaarigen Mädchens schien sehr beschämt zu sein, dass ausgerechnet ihre Tochter diese unerhörte Frage gestellt hatte, denn hastig warf sie ihrem Kind die Hand vor den Mund.  Grey, der ahnte, was Green vorhatte, wollte sie gerade an der Hand nehmen, doch schon war es zu spät. Sie hatte sich von ihm gelöst, war an dem hübschen Wächter vorbeigegangen – der sich wie die anderen Wächter wieder aufgerichtet hatte und dem ganzen Spektakel überaus neugierig folgte –  und bückte sich nun, um mit dem Mädchen auf gleicher Höhe zu sein. „Wie heißt du?“ „Hi-Hikari-sama… Ich bitte im Namen meiner Tochter vielmals um Verzeihung…“, antwortete ihre Mutter auf Greens Frage, was die Hikari zuerst zu einem verwunderten Blick brachte, dann jedoch grinste sie: „Ich hatte Ihre Tochter eigentlich nach dem Namen gefragt, aber sie kann schlecht antworten, wenn Sie Ihre Hand vor ihren Mund halten.“ Umgehend, als wäre es ein Befehl gewesen, löste die Frau ihre Hand von ihrer Tochter und das Mädchen antwortete ein wenig eingeschüchtert auf Greens Frage: „I-Iria…“ „Okay, Iria. Du fragst dich also, warum ich keine weißen Haare habe? Die Antwort ist ganz einfach: weil die Farbe Weiß mich ebenso wenig mag wie ich sie!“ Das Mädchen sah sie mit großen Augen sprachlos an und Green fügte grinsend hinzu, eine Strähne ihrer Haare hochhaltend: „Außerdem mag ich meine Haare und bin froh, dass sie nicht weiß sind! So sieht man mich wenigstens immer unter den ganzen weißen Schafen!“ Dann stand sie auf und richtete das Wort an die Mutter des Mädchens: „Eine süße Tochter haben Sie da. Passen Sie gut auf sie auf! Einen schönen Tag noch!“ Mit diesen Worten und einem großen, zufriedenen Lächeln drehte sie sich zu Grey um, der aussah, als hätte er einen Geist gesehen. So viel zu politischer Professionalität. Green dagegen schien sich richtig befreit zu haben; sie hielt ihre Hände auf dem Rücken zusammen und tänzelte an Greys Seite weiter, ohne auf den Blick zu achten, den Grey und Ryô sich zuwarfen – ein Blickaustausch, bei dem Ryô bewusst wurde, dass das von Greys Seite aus nicht geplant gewesen war.  Nun, wenn Grey gewollt hatte, dass Green für Aufmerksamkeit sorgte, dann war ihm das auf jeden Fall gelungen: Pelagius war nicht der einzige Wächter, der sich sofort dazu aufmachte, die Nachricht zu verbreiten. Die Hikari war zurückgekehrt! Und was für eine Hikari! „Green, was hast du dir denn dabei gedacht?“ „Was denn? Ich habe nur meine Meinung gesagt.“ „Ja, und wie...!“ „Ich habe eigentlich gedacht, du würdest mich loben! Ich meine, habe ich es nicht ganz diplomatisch geklärt, wie ich ihr da noch einen „Schönen Tag“ gewünscht habe? Ich fühle mich wie eine richtige Prinzessin, haha!“ Grey wollte sich schon aufmachen und zu einer Standpauke ansetzen, als Green ihm zuvorkam: „Es gibt da etwas, was ich dich fragen muss…“, begann sie und Grey und Ryô sahen ihr an, dass ihr Thema nichts mit irgendwelchen Prinzessinnen zu tun hatte; sie war ernst geworden – und beide konnten sich denken, weshalb. Ihr Blick, der auf die spielenden Kinder auf einem Feld rechts von ihnen gerichtet war, war zu eindeutig. „Was ist es, Green?“ Wollte Grey die Antwort wirklich hören? Er musste zugeben: er fürchtete sich ein wenig davor. „Du hast mir, als wir uns kennengelernt haben, erzählt, dass mein Element versiegelt wurde und ich in das verdammte Waisenhaus kam, weil die Dämonen mich umbringen wollten. Also dass das Ganze zu meiner Sicherheit gemacht wurde. Aber ich verstehe etwas nicht…“ Sie ließ ihren Blick über das blanke Wasser des Sees gleiten, der sich unter ihnen erstreckte, denn sie gingen gerade über eine breite Brücke – links und rechts von ihnen war nun, nachdem sie die Felder hinter sich gelassen hatten, das blaue Wasser, das sich bis zum Horizont erstreckte. Wenn man hier stand und den Wind in den Haaren spürte, konnte man kaum glauben, dass man sich im Himmel befand. „… warum hat man mich nicht wieder abgeholt?“ Greens Hand auf dem steinernen Geländer der Brücke verkrampfte sich; der Schmerz war so deutlich zu erkennen, obwohl Green Grey den Rücken zugekehrt hatte. Den Schmerz, den er auch selbst in sich spürte, immer gespürt hatte, wenn er hatte sagen, lügen müssen, dass seine Schwester tot war. Der Schmerz, der ihn immer übermannt hatte, wenn er sich hatte einreden wollen, dass seine Schwester wirklich tot war, damit die Lügengeschichte leichter zu ertragen war; nein, das Getrennt-sein von Green. „Warum hat man mich im Waisenhaus gelassen, wenn es doch einen Bannkreis gibt, der die Dämonen in ihrer Welt einsperrt und wenn es hier auch kraftvolle Bannkreise gibt?“ Green wandte sich nun herum, Grey ernst in die Augen blickend: „Warum, Grey? Du hast mir selbst erzählt, dass es keinen sichereren Ort gibt als den Tempel! Warum also war ich nicht hier? Bei dir? Bei Mutter? Warum war ich alleine?!“ Voller Verzweiflung, die Grey nur zu gut nachempfinden konnte, nahm sie seine Hand und zwang ihn dazu, seine Schwester anzuschauen, obwohl er versuchte, ihrem Blick auszuweichen. „Grey! Sag mir den Grund!“ Es war zwar nicht so, dass sie es bereute als „Mensch“ aufgewachsen zu sein, aber die Jahre im Waisenhaus gehörten gewiss nicht zu ihren Schönsten. Und was hatte das für einen Grund? Sie war immerhin die Hikari, damit ranghöchste Wächterin. Stand es ihr etwa nicht zu, in diesem Paradies aufzuwachsen? Sicherlich gab es unzählige Wächterkinder, die ihre Eltern dank des Krieges verloren hatten und von anderen aufgezogen worden waren – warum nicht Green?! „Grey… Onii-chan… Bitte!“ Noch inständiger als zuvor sah sie ihn an und diesmal wich er ihrem Blick nicht aus. Er sah unheimlich elendig aus; Green sah ihm an, dass er darunter litt, was auch immer es war. Dennoch holte er tief Luft, achtete nicht auf Ryôs alarmierten Blick und…: „…Das hängt alles mit der Vorhe-“ Greens Augen hatten sich schon geweitet – würde sie nun endlich die Antwort auf alle Mysterien finden? Würde sie es endlich erfahren? Den wahren Grund? – als sich auch schon herausstellte, dass die Mysterien noch eine Weile verschwiegen bleiben würden, denn Grey kam nicht weit. Eine junge Frau war so stürmisch an Green vorbeigerannt, dass diese sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, aber ihr Bruder war da, um sie aufzufangen, ehe sie die Balance gänzlich verlor.  „SHITAYAAA!“ Empört drehte Green sich nach der Übeltäterin herum und sah, wie die Wächterin einem blauhaarigen Wächter in die einladenden Arme lief. Ah, das war ja dieser Shitaya, der eben erst geheiratet hatte! Also war die Wächterin, die er jetzt mit Leichtigkeit auf seine Arme hob und ein paar Mal im Kreis herumdrehte, die Frau, die er gestern geheiratet hatte? „Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht, Shiya-chan! Du warst so lange weg und das nur mit halber Mannschaft! Ich dachte, dir wäre etwas zugestoßen!“ Ganz offensichtlich war sie seine Ehefrau, ansonsten würde er ihr wohl kaum einen Kuss auf jede Wange hauchen. Die beiden schwebten in einem so weit entfernten Himmel, dass sie absolut gar keine Augen für Green und Grey – oder überhaupt für ihre Umgebung - hatten. „Und das auch noch in unserer Hochzeitsnacht! Unserer Hochzeitsnacht! Die vermaledeiten Dämonen haben uns unserer Hochzeitsnacht beraubt!“ „Keine Sorge, Säil, ich habe sie dafür extra hart durch die Mangel genommen“, erwiderte Shitaya, dabei sehr stolz aussehend. „Na, das hoffe ich ja wohl - etwas anderes erwarte ich auch nicht von meinem Mann!“ Kurz blickten sich die beiden mit überaus strahlenden Augen an, bis sich ein breites Lächeln auf dem Gesicht des Jeweiligen ausbreitete und Shitaya seine Frau noch einmal empor schwang: „Wir sind verheiratet!“ „Mann und Frau!“ „Endlich!“ „Ah, ich sollte nicht so stürmisch sein - unser Kind!“ „Dummkopf, ich bin doch erst im vierten Monat - unsere Tochter kann das ab!“ Mit einem unsicheren Lächeln wandte Green sich von diesem glücklichen Pärchen ab, ehe sie noch eifersüchtig wurde. Die Luft um sie herum schien ja rosarot zu werden, so verliebt waren sie! „Hattest du nicht gesagt, du wolltest mit Shitaya-san sprechen wegen der Hochzeit?“, fragte Grey, der die beiden genau wie Green beobachtet hatte und sich nun auch zusammen mit Green abwandte. „Ah, nein, ich glaube, ich lass es - die beiden Turteltauben sind ganz offensichtlich in ihrer eigenen Welt.“ Auf Greens Gesicht war ein Lächeln zu sehen, aber deutlich war erkennbar, dass es mehr gezwungen war als alles andere. Sie war wirklich ein wenig eifersüchtig, anders als Grey, der bei diesen offensichtlichen Liebesbekundungen der Frischvermählten eher errötete, obwohl er das Paar erst gestern auf dem Höhepunkt seiner Liebe erlebt hatte. Gefolgt von dem seufzenden Ryô hatten die beiden Geschwister nun die Brücke überquert, wodurch sie auf einem kleinen Platz angekommen waren, in dessen Mitte ein hohes Straßenschild stand, das in zwölf Richtungen zeigte - zwölf Richtungen, die alle eine andere Farbe hatten, wie Green auffiel, und auch ohne Grey zu fragen verstand sie, was die Farben bedeuteten: jede Straße war nach einem Element benannt und die jeweiligen Schilder waren in den Farben des Elements gehalten. Die Straße, auf der sie momentan entlanggingen und scheinbar auch die ganze Zeit gegangen waren, war die Straße des Lichtes gewesen, die auch weiter geradeaus ging, mit dem Vermerk, dass diese Straße zur Zentrale Sanctu Ele’Saces führte. Unter den anderen Schildern standen auf kleinen herunterhängenden Schildern Orte geschrieben wie „Sanctuarian“, „Ruhestätte“, „Kriegsgericht“, „Stadium“… „Was ist denn „Sanctuarian“?“    „Das ist unser Hospital. Das größte unseres Reiches. Alle Inseln besitzen zwar kleine, medizinische Abteilungen, aber das Sanctuarian ist die Zentrale der Medizin. Es ist auch das älteste der hier stehenden Gebäude.“ Green nickte und sah in die Richtung, in die das hellblaue Schild zeigte. Ah, lag in dieser Himmelsrichtung nicht das fliegende Gebäude? War das das Sanctuarian? „Und wo wollen wir hin?“ Grey sah ebenfalls auf das Straßenschild und obwohl Green sich ziemlich sicher war, dass sie nicht dorthin wollten, wo Grey hinsah, sprach sie ihn dennoch an, denn sein ernster, etwas dunkler Blick, mit dem er das Schild „Ruhestätte“ bedachte, blieb ihr nicht unbemerkt. „Liegt dort dein Vater?“ „Hast du vielleicht etwas dagegen… wenn wir…? Wir hätten noch ein wenig Zeit…“ Ohne zu antworten, ging Green in die Richtung des Friedhofes. Grey blieb kurz stehen, wechselte einen Blick mit Ryô, dann aber breitete sich ein ruhiges, leicht trauriges Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er wusste, warum ihm seine Schwester so viel bedeutete… und warum er nicht wollte, dass sie starb.     Greys Vater war einer der Wenigen, die auf menschliche Art beerdigt waren. Wenn man es genau nahm: der Einzige. Der graue Grabstein stand unter einer hohen Eiche und von dort aus konnte man auch den Rand der Insel sehen, gelegen neben einem hohen, gigantischen Kuppelgebäude, welches wohl der eigentliche Friedhof war - die Grabstätte von Greys Vater lag etwas abgesondert von diesem Gebäude und kaum ein Laut der Stadt drang herüber. Im Schatten der Eiche war es kühl und der Himmel, der nur wenige Meter von dem Grab entfernt abrupt begann, gab einem das Gefühl, am Rand eines ruhigen Meeres zu stehen. Auf dem grauen Grabstein saßen Vögel aus Stein, bemalt mit blauer Farbe, die auf einen Text heruntersahen, der auf Englisch geschrieben war, wie Green mit einem Stirnrunzeln bemerkte: es hätte ebenso gut ein Menschengrab sein können, wenn nicht das Wappen der Windwächter, der Kaze, eingraviert gewesen wäre. Warum er wohl auf menschliche Art… in der Erde zur Ruhe gebettet worden war? Fernab von den anderen Wächtern? Doch Greens volle Aufmerksamkeit gehörte den hellblauen Blumen, die mit einer weißen Schleife zusammengebunden vor dem Grab lagen und sich sachte im Wind wogen. Obwohl Grey gedankenverloren auf den Grabstein blickte, hatte er Greens Blick bemerkt und erklärte: „Mutter kommt jeden Tag. Offensichtlich war sie heute auch schon hier…“ „Sie muss ihn sehr geliebt haben.“ „Ja. Sie hat mir immer sehr liebevoll und lebendig von ihm erzählt. Ich wünschte, ich hätte Vater…“ Ein Windhauch wehte Grey die Haare vor die Augen, so dass Green seinen Gesichtsausdruck nicht deuten konnte. „…ebenfalls kennengelernt.“ Grey hatte die Worte gerade ausgesprochen, als Green ihre Finger um seine kalte Hand herumlegte und sich an den nun etwas verwundert dreinsehenden Grey lehnte, so dass ihr Kopf auf seiner Schulter lag. „Ich auch.“ Grey antwortete nicht, doch Green spürte, dass er ihre Hand ein wenig fester drückte, während die Anspannung seines Körpers von ihm fiel. Ohne etwas zu sagen, lehnte er seinen Kopf gegen den ihren und ein paar Meter hinter ihnen stehend seufzte Ryô ungehört; ein Hauch von sachter Traurigkeit, aber auch von Berührung war in diesem kaum hörbaren Laut zu vernehmen. Ob Green wusste, wie viel Grey dies bedeutete? Ihre Worte, dieser Moment – ihre Anwesenheit an seiner Seite? Nein, wahrscheinlich wusste sie es nicht; ihre Augen waren gedankenverloren auf die Jahreszahlen gerichtet, die von Kanoris Geburt und seinem Tod erzählten. Der Arme war gerade einmal zwanzig geworden, jünger als Grey jetzt. „Der Dämon, der die beiden getrennt hat, muss ein richtiges Arschloch gewesen sein“, zischte Green säuerlich - und zum ersten Mal korrigierte Grey sie nicht wegen ihrem Gebrauch eines Schimpfwortes. „Er war schlimmer.“   Wieder einmal befand sich eine gläserne Kuppel aus buntem Glas über den beiden Geschwistern, als die beiden die runde Eingangshalle der Sanctu Ele’Saces‘ Zentrale betraten und wieder kam Green nicht aus dem Staunen heraus. Schon der Platz vor der Zentrale hatte sie in Staunen versetzt: ein riesiger, runder Platz hatte vor der Zentrale gelegen, von wo aus alle 12 Hauptstraßen ab- und hinführten, mit der Straße des Lichts als der längsten. Ehe sie die Zentrale betreten hatten, hatten sie einen großen Springbrunnen umrunden müssen und waren dann einer Passage gefolgt, die gesäumt wurde von steinernen Statuen von Wächtern, die in Lebensgröße ihre Waffen wie ein Dach über ihnen hielten. Wahrscheinlich hätte Green die steinernen Gesichter erkennen müssen, aber sie hatte sie nur erstaunt angestarrt, wie sie jetzt auch die marmorne Eingangshalle anstarrte, die dank des Deckenfensters erfüllt wurde mit warmem Licht. Auch in der Mitte der großen Eingangshalle befand sich ein Springbrunnen, geformt aus Statuen, die Wächter zeigten, die sich vor der großen Statue in der Mitte verneigten - eine Hikari, wie deutlich an dem Glöckchen zu sehen war und dem Regelbuch, das sie in der Hand hielt. Vor dem Springbrunnen waren die Wappen der Wächter in den Boden eingraviert worden, mit dem Schriftzug:    „Vereint im Wunsch zu behüten“   Vor dem Springbrunnen versammelte sich eine kleine Gruppe von jungen Wächtern – sie konnten nicht älter als acht sein. Ein älterer Wächter zeigte auf eine der sich verneigenden Statuen und fragte, ob eines der Kinder ihm sagen könnte, wer diese Person sei. Sofort sprang ein kleiner Junge auf die Füße: „Shizen-kami-sama! Meine Vorfahrin!“ Der Lehrer lobte ihn für die richtige Antwort und die Gruppe ging weiter, genau wie Green und Grey es taten, jedoch in eine andere Richtung. Der Gang, den sie jetzt betraten, war ebenfalls aus Marmor und war genau wie die Halle vom Sonnenlicht erfüllt; das Licht war angenehm, aber es herrschte eine bedrückende Stille, obwohl auch hier Wächter unterwegs waren. Nur im Flüsterton sprachen sie miteinander; sogar die Kinder rannten nicht, waren nicht laut. „Onii-chan?“ Grey horchte auf und sah Green mit einem fragenden Blick an. „Ja?“ „Was war das gerade? Also…“ „Da wurde gerade „Geschichte und Kulturlehre“ unterrichtet. Ich denke, das war der erste Jahrgang.“ Jetzt wo Green und Grey langsam gingen und die Hikari nicht damit beschäftigt war, alles anzustarren, fiel ihr wieder auf, dass die Wächter, die Grey sahen, sich stets im Gehen ehrfürchtig vor ihm verneigten - und ihr blieb auch nicht unbemerkt, dass einige stutzten, als sie Green sahen. „Das habe ich mir irgendwie gedacht! Grey, was gibt es denn so für Fächer in der Wächterschule? Und wie lange geht man zur Schule?“ „Die Wächterschule dauert drei Jahre, die man von seinem achten bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr belegt. Es gibt folgende Fächer: „Geschichte und Kulturlehre“, „Elementarkenntnis“, „Elementare Philosophie“, „Dämonologie“ und dazu mindestens noch eine Menschensprache, die ganztags unterrichtet werden. Die meisten wählen Latein oder Hebräisch, weil diese unserer Sprache noch am ähnlichsten sind.“ „Das ist doch unschlau. Diese Sprachen werden doch sowieso nicht mehr gesprochen. Oder Moment, Hebräisch vielleicht? Ehm… das weiß ich gerade gar nicht…“ Grey deutete ein leichtes Achselzucken an. „Das Interesse an den Menschen und der Menschenwelt ist bei den meisten Wächtern eher oberflächlich bestimmt. Tempelwächter müssen allerdings mehr Sprachen können – waren es zwei oder drei, Ryô?“ „Drei, Grey-sama.“ Green sah über die Schulter zu Ryô: „Also kannst du Latein und Hebräisch?!“ Der Angesprochene lachte verhalten: „Nein, wir Tempelwächter sind dazu verpflichtet, praktischere Sprachen zu lernen. Wir lernen alle Englisch und viele Französisch. Die Sprachen, die ich beherrsche, sind ebenfalls Englisch, Französisch, Deutsch und Japanisch.“ „Meine Güte, dann beherrscht du aber ganz schön viele Sprachen, Ryô!“, entfuhr es Green überrascht, woraufhin Ryô ein wenig errötete und erklärte, dass er sie nicht alle fließend könnte; sie mussten sich nur verständigen können… „Ryô und ich haben zusammen Japanisch gelernt - die Schriftzeichen waren allerdings eine wahre Herausforderung.“ Green konnte nicht drum herum, Grey zuzustimmen, wurde allerdings von dem Thema „Sprachen“ abgelenkt, als sie über einen Hof gingen, wo sie dabei zusehen konnte, wie ein Naturwächter Jüngeren beibrachte, Pflanzen wachsen zu lassen, während Grey ihr erklärte, dass man dann später, im Alter von 15 Jahren, noch andere Fächer belegen konnte, um seine Qualitäten auszubauen: Fächer wie Kriegslehre und Kriegsstrategie oder natürlich medizinische Fächer, oder Organisation und Kommunikation…  Als die beiden Geschwister wieder ins Gebäude eintraten, konnte man links und rechts durch breite Fenster direkt in die Klassenzimmer hineinsehen, die alle gut gefüllt waren von jungen Wächtern, die dem Lehrer zur Aufmerksamkeit verpflichtet zuhörten. Neugierig blieb Green  stehen und sah in ein Klassenzimmer, von dem sie glaubte, dass dort gerade Dämonologie unterrichtet wurde. Auch hier saßen um die zehn kleine Wächter still an ihren hellbraunen Tischen zusammen mit dicken, aufgeschlagenen Büchern, die Green als die Dämonen-Enzyklopädie wiedererkannte - Gott, die mussten diese armen Kinder schon in so einem frühen Alter lesen? Sie hatten Greens Mitleid, auch wenn es so wirkte, als wären einige von ihnen sehr erpicht darauf, etwas zu lernen, denn eifrig machten sie sich Notizen, während sie--- Green traute ihren Augen nicht, denn der Lehrer, dem sie zuhörten, den erkannte sie sofort wieder - es war der Autor der Dämonen-Enzyklopädie selbst, Hizashi! Also befand er sich in einem Eciencé-Körper, doch seiner war, im Gegensatz zu Seigis, fest und auf den ersten Blick wirkte es wahrlich so, als wäre Hizashi noch am Leben. Genau wie damals bei ihrem ersten und einzigen Treffen im Jenseits hatte der Hikari des Wissens auch jetzt ein sonnenstrahliges Lächeln auf dem Gesicht, während er seine gesamte Aufmerksamkeit den Kindern widmete. Sein Lächeln sah richtig ausgelassen aus; man sah ihm an, dass er seinem Lehramt mit großer Freude nachging. „Was macht Hizashi denn hier?“ Grey gesellte sich zu ihr und antwortete: „Nun, Green, wie du siehst, ist Hizashi-san der Lehrer für dieses Fach. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Dämonenlehre; er selbst hat dieses Fach geschaffen und definiert, immerhin hat er die Dämonen-Enzyklopädie verfasst. Er ist eine Spezialist auf diesem Gebiet und gibt sein Wissen seit Jahrhunderten an die nächste Generation weiter.“ Die Angesprochene konnte nicht drum herum zu grummeln, was Grey nicht entging. „Du kennst dich nicht besser aus als er.“ „Aber ich weiß Dinge, die er in seinen verfluchten Büchern netterweise ausgelassen hat.“ Und dann geschah es. Grey hatte es für einen Moment vergessen; hatte sich verleiten lassen von den angenehmen Augenblicken, die er mit seiner Schwester verbracht hatte, hatte vergessen, dass diese Momente unter einem schlechten Stern standen, dass eben nicht alles normal war - dass Green hier eigentlich absolut nichts zu suchen hatte, obwohl es sich für Grey so natürlich anfühlte, sie an seiner Seite zu haben, Zeit mit ihr zu verbringen. Ryô hatte versucht, seinen Herren mit eindeutigen Blicken dazu aufzufordern weiterzugehen, ehe Hizashi sie sah, aber Grey hatte es nicht bemerkt, war zu sehr von seinen Träumereien verführt worden, um von der Wirklichkeit erreicht zu werden. Aber dann war das Unvermeidliche schon geschehen - Hizashi hatte sie bemerkt. Er hatte Green bemerkt. Green, die hier gar nicht sein sollte – er selbst war ein Befürworter davon gewesen, dass Green den Tempel nicht verlassen durfte. Sah Grey es auch, schoss es Ryô durch den Kopf - wie Hizashi nicht nur das strahlende Lächeln entglitt, sondern auch wie deutlich das Todesurteil förmlich in seinem Gesicht geschrieben stand?! Das Todesurteil, das sich nicht nur gegen Green, sondern auch gegen Grey richtete, der klare Befehle erhalten hatte und gerade offensichtlich gegen sie handelte?! Es war Befehlsverweigerung! Und auf Befehlsverweigerung stand der Tod!  Kurz befürchtete Ryô, dass Hizashi - ganz egal ob er im Unterricht war oder nicht - auf sie zukommen und sie sofort ins Jenseits schleppen würde. Es schien auch so, als würde Hizashi genau das wollen, aber dann rettete die Unschuld eines der vordersten Kinder zum Glück die brenzlige Situation: „Hizashi-sensei? Geht es Euch nicht gut?“ Als hätte die Stimme des Mädchens ihn aus einer anderen Welt wieder zurückgezogen, verschwand alle geschockte Empörung aus Hizashis Gesicht, als er sich dem Mädchen zuwandte. Kurz blinzelte er, schien ein wenig verwirrt zu sein, aber dann fand er zu seinem Lächeln zurück: „Ah, nein, Marnie, lasst uns mit dem Unterricht fortfahren.“ Dieser kleine Zwischenfall schien auch Grey alarmiert zu haben, denn er hatte diese paar Sekunden erfolgreich genutzt, um Green vom Fenster wegzuzerren - im richtigen Moment, um nicht Hizashis Blick zu sehen, der ihm deutlich gesagt hätte, dass das Konsequenzen nach sich ziehen würde. „Grey-sama, sollten wir nicht zurückkehren in den Tempel?!“, flüsterte Ryô Grey nervös zu, ohne dass die ebenfalls verwirrte Green es bemerkte - sie war immer noch damit beschäftigt, sich einen Reim daraus zu machen, warum Hizashi plötzlich so finster ausgesehen hatte. „Nein, noch nicht…“ „Aber, Grey-sama…“ „Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, ehe Hizashi-sensei ins Jenseits zurückkehrt; sein Unterricht geht noch bis 14 Uhr…“ „Aber…“ „Warst du der schlechteste Schüler des Jahrhunderts oder warum hat Onkel Hizashi dich so angesehen?“ Grey schreckte auf und Ryô entfernte sich sofort von ihm, damit Green keinen Verdacht schöpfte und mit ihren Worten lenkte sie auch Grey von der eigentlich sehr ernsten Situation ab: „Warum ist jetzt sogar Hizashi-sensei ein „Onkel“?“ „Ich weiß auch, dass er eigentlich mein sonst was Urgroßvater ist, aber keiner der Hikari sieht alt genug aus, um als Großvater oder Großmutter durchzugehen.“ „Unser Großvater sieht auch nicht gerade alt aus, Green?“ „Nein, aber er ist griesgrämig genug für den Titel!“ Green lachte unbeschwert und sofort erwischte sich Grey dabei, wie er fast ebenfalls lachen wollte - aber dann wurde ihm wieder bewusst, dass sie über Shaginai sprachen; Shaginai, der oberste, erste Befürworter für Greens Hinrichtung. Der in wenigen Stunden… erfahren würde… was Grey…      „Also, Grey, erzähl! Oder lass mich raaaten: Dämonologie war dein schlechtestes Fach! Stimmt’s, Onii-chan?“, begann Green, als sie wieder zu Grey aufgeschlossen hatte. Ryô nahm wieder seinen Platz hinter ihnen ein, Grey einen besorgten Blick zuwerfend, den er versuchte mit einem Lächeln zu erwidern, ehe sie nun weiter gingen. Ryô würde lieber laufen. Fliehen. Irgendwohin – aber wohin?! „Ja…“ Grey schluckte und beeilte sich, seine Stimme wieder zu festigen, nicht an die Hikari zu denken: „…da hast du allerdings recht. Das war das einzige Fach, in dem ich nur einen Rang Zwei belegte.“ Er musste sich auf Green konzentrieren. Sie durfte keinen Verdacht schöpfen… „Zum Abschluss der drei Jahre wird die Leistung bewertet, indem die Ränge verteilt werden: Rang Eins, Rang Zwei und Drei. Eins ist der beste Rang.“ „Also genauso wie wir Wächter eingestuft werden“, erwiderte Green mit einem Lächeln, das zeigte, dass sie stolz darauf war, beweisen zu können, dass sie etwas gelernt hatte. „Genau. Auch das kann vom Abschluss beeinflusst werden.“ „Was passiert denn mit denen, die es nicht schaffen? Kriegen die einfach keinen Rang?“ Grey lachte und das Gespräch begann sich langsam auch für Grey wieder normal anzufühlen: „Nun, die wenigen - und das sind wirklich wenige, Disziplin liegt uns Wächtern im Blut - die es nicht schaffen, bleiben Unterwächter und haben nur noch eine Chance aufzusteigen: wenn sie besondere Taten vorweisen können. Im Krieg teilnehmen dürfen sie allerdings schon, genießen jedoch keinen Status und haben keine Privilegien. Ein Unterwächter dürfte dich zum Beispiel nicht einmal ansehen, geschweige denn ansprechen.“ „Ach du Sch… Wie viele Wächterstufen gibt es denn?“ „Von unten angefangen wären das zuerst die Tempelwächter, dann die Unterwächter. Dann folgen die normalen Wächter und danach die zwölf Offiziere, die uns Elementarwächtern unterstellt sind - zuletzt, an der Spitze…“ „Der Lichtwächter beziehungsweise die Lichtwächterin“, beendete Green Greys Erklärung und er nickte ihr zustimmend zu. Green seufzte und dachte wieder an den Springbrunnen in der Eingangshalle - wie sich alle vor der Hikari verneigt hatten … genau wie vor ihr. „Das heißt, dass ich ganz oben stehe…? Über allen?“ Sie wusste es natürlich. Grey hatte es ihr oft genug klargemacht, alle Gemälde im Tempel schienen es ihr klarmachen zu wollen - aber irgendwie hatte sie erst jetzt das Gefühl, dass es ihr wirklich bewusst wurde. Dass sie es fühlte. „Über allen. Ja. Aber erst nach deinem 17. Geburtstag, nachdem du die Weihe vollzogen hast, die dich offiziell zur Regime-Führerin des Wächtertums macht.“ Grey bekam bei diesem Gedanken ein flaues Gefühl. Was, wenn Green niemals so alt werden würde…? „Was für eine Weihe?“ Grey versuchte, wieder munter zu klingen: „Oh, das! Hatte ich das nicht bereits erwähnt? Alle Hikari vollziehen an ihrem 17. Geburtstag die Weihe, die heiligste unserer Traditionen, die den Erben des Lichts vollkommen mit ihrem Element vereint und somit zum Oberhaupt aller lebenden Wächter salbt.“ Jetzt war es Green, die ein flaues Gefühl im Magen hatte, jedoch aus einem völlig anderen Grund als Grey. „Ich glaube, ich will nicht siebzehn werden…“ Grey schwieg kurz, dann lächelte er plötzlich leicht errötet. „…Also ich freue mich schon lange darauf… Weißt du, vor meinem siebten Lebensjahr konnte ich gar nicht besonders gut schneidern. Erst als ich erfuhr, dass ich eine kleine Schwester bekommen würde… habe ich ernsthaft angefangen, mich damit auseinanderzusetzen. Weil… es seitdem mein Traum ist, dir für diesen Tag ein Kleid zu machen, das deiner würdig ist. Denn ich bin mir sicher, dass du trotz allem eine gute Hikari sein wirst.“ Green sah nur verwundert drein. Anders als Ryô und Grey wusste sie nicht, wie traurig diese Worte eigentlich waren – sie wusste nicht, wie schwarz der Stern war, unter dem sie sich gerade befand. Sie spürte nicht, wie schwer das Herz Greys in diesem Moment wurde und wie deutlich Ryô den Drang hatte, sich nach ihm auszustrecken, eine Hand auf seine Schulter zu legen – ihm einfach zu sagen, dass es schon irgendwie alles gut werden würde, obwohl er doch wusste, dass eben dieses „irgendwie“… womöglich niemals…  Green bemerkte davon nichts; sie fragte sich nur wie Grey darauf kam, dass sie eine gute Hikari sein sollte. Wenn sie jetzt schon keine gute war, wie sollte sie es dann sein? Sie war nicht dafür geboren, für so viele Wächter – für so viele Leben die Verantwortung zu übernehmen. Das konnte sie einfach nicht und das wollte sie auch nicht. Doch sie wagte es nicht, Grey zu widersprechen - sie wollte seinen Traum nicht ins Wanken bringen. Denn obwohl sie seine Worte nicht ganz nachvollziehen konnte, fand sie es dennoch unheimlich süß von ihm und mit einem Lächeln antwortete Green: „Ich verspreche dir, Grey, dass ich das Kleid anziehen werde, ohne mich zu sträuben, auch wenn es weiß ist!“ Ihr Bruder schlug kurz die Augen nieder, dann legte er lächelnd die Hand auf Greens Kopf und flüsterte: „…Womit habe ich dich nur verdient.“ Seine Schwester sah ihn ein wenig ratlos an; sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also wechselte sie das Thema, indem sie die Gedanken laut aussprach, die sie seit dem Thema Dämonologie im Kopf hatte: „Aber Regime-Führerin kann ich gar nicht werden, denn ich habe mich gerade dazu entschieden, Lehrerin für Dämonologie zu werden!“ Grey klappte der Mund auf und noch während er seine Hand fallen ließ, brachte er ein heiseres „Was?!“ heraus. „Naja, ganz einfach: Dann bringe ich unserer nächsten Generation bei, dass nicht alle Dämonen böse sind. Auf diese Art kämpfe ich gegen diese bekloppten Vorurteile!“ Grey musste nach kurzer Schockstarre schmunzeln. Als ob Green jemals die Erlaubnis dafür bekommen würde.   Ukario war wohl zu sehr in seine Arbeit vertieft, zu abgeschottet in seinem Büro, um bemerkt zu haben, welche Nachricht sich gerade wie ein Lauffeuer auf der Insel verbreitete, denn als Grey und Green zusammen mit Ryô sein Büro betraten, sahen Ryô und Grey deutlich, wie das Lächeln auf seinem Gesicht steif wurde, als er Green erblickte – wie er sie fast versteinert anstarren wollte---- aber ein Blick an Grey, ein kurzer Blickaustausch genügte und der Kommandeur verstand. Alles verstand er zwar genauso wenig wie Ryô, aber er verstand genug, um der Situation angemessen zu handeln. „Hikari-sama! Es ehrt mich sehr, Euch auf Sanctu Ele’Saces begrüßen zu dürfen – und dass Ihr endlich nach so vielen Jahren zu uns zurückgekehrt seid.“ Weder Grey noch Ryô hatten bemerkt, dass auch Green erstarrt war, als sie Ukario erblickte – das war er! Der Wächter, der in ihrem „Der fremde Wächter“-Fall die Hauptrolle spielte! Er war der Wächter, mit dem Grey sich getroffen hatte! Und--- und er war der Wächter, der hier auf Sanctu Ele’Saces das Sagen hatte? Ahaaaa? Unbedingt aufschreiben! Und jetzt professionell tun! „Die Freude ist ganz meinerseits“, antwortete Green lächelnd und sah dann auch schon nach Bestätigung suchend zu Grey, doch dass sein Lächeln ein wenig steif war, entfiel ihr nicht – er sah auch ein wenig… blass aus. „Ukario Gensou Katar, Hikari-sama.“ Es folgte wieder die übliche Verbeugung und die Hand auf dem Herzen: „Oberster Kommandeur Eurer Bataillonen und Verwalter Sanctu Ele‘Saces, Rang eins.“ Wie geschwollen das mal wieder klang – als würde morgen schon ein Krieg beginnen. Nein, als wäre ein Krieg schon längst im Gange. „Eure Bataillonen“ alleine schon! „Dass Ihr gesund seid, sind wahrlich außerordentlich gute Neuigkeiten…“ Green bemerkte es nicht, aber Grey: als Ukario diese Worte sprach, warf er einen fragenden Blick an Grey. „… das Licht ist also endlich in unser Leben zurückgekehrt.“ „Scheint so?“, antwortete Green, denn sie wusste nicht genau, was sie darauf sonst hätte erwidern sollen. Aber sie konnte in Greys Gesicht keine Ärgernis ablesen, als er sich zu ihr herum wandte und lächelnd erklärte: „Ukario-sama hat bereits unserer Mutter gedient. Er ist einer unserer besten Wächter.“ Ukario verneigte seinen Kopf noch einmal: „Ihr ehrt mich, Grey-sama.“ Green lächelte weiterhin, obwohl das einzige, was ihr gerade durch den Kopf schoss, keine Komplimente waren, sondern dass Ukario auch wirklich danach aussah, als wäre er in die Jahre gekommen. Seine Uniform strahlte zwar förmlich vor Eleganz, aber er sah irgendwie… mitgenommen aus. Wie ein richtiger Kriegsveteran eben. Seine dunkelblauen Augen waren ein wenig stumpf und er hatte einen stechenden Blick, der ihr erst jetzt auffiel, als sie ihn von Nahem sah. Naja, vielleicht musste man so einen Blick haben als oberster Heerführer… „Green, wenn du uns kurz entschuldigen würdest…?“ Grey sah zu seiner Schwester und zu Ryô: „Ich denke, das Gespräch, das ich mit Ukario zu führen habe, ist für dich nicht sonderlich interessant. Du kannst dich ja mit Ryô zusammen ein wenig in der Parkanlage umschauen? Sie ist wirklich wunderschön angelegt.“ Der Angesprochenen war es aber vollkommen egal, wie schön der Park angelegt war – sie wollte mehr von Ukario erfahren und was so besonders an ihm war, dass Grey sich heimlich mit ihm traf… aber als sie Ryôs Hand auf ihrer Schulter spürte, fügte sie sich ohne einen Ton des Widerwillens. Kurz schwiegen Ukario und Grey und der Windwächter erwartete fast schon, dass Ukario seufzen oder irgendwie aufstöhnen würde; irgendeine Reaktion, irgendein Wort – aber dafür war der Illusionswächter zu professionell. „Dann lasst uns über unseren neuen Elementarwächter der Illusionen sprechen, Grey-sama.“      „Saiyon!“, rief Shitaya winkend, als er seinen jüngeren Bruder unter einem Baum erspähte. Doch obwohl die Stimme Shitayas laut und überaus deutlich zu hören gewesen war, beachtete Saiyon ihn nicht - auch nicht, als Shitaya direkt vor ihm stehen blieb. Nach wie vor hatte der blauhaarige Wächter den Blick in sein Buch gerichtet. „Ich bin wieder da, Saiyon! Die Mission lief erfolgreich.“ „Das ist nicht zu überhören, Aniki“, antwortete der leicht fahl aussehende Saiyon dann nun doch, als er sein Buch mit einem Klappen zusammenschlug und den Ankommenden ansah - zwei Brüder, die sich von außen her mit ihrem ultramarinen Haar und den gleichen dunkelgrünen Augen sehr ähnlich waren. Sogar ihre Frisur ähnelte sich, nur dass Shitayas zu einem Zopf zusammengebundene Haare länger waren als die seines Bruders. Doch ihre unterschiedliche Kleidung verriet, dass ihnen unterschiedliche Rängen innewohnten, denn während Shitaya in eine prachtvolle Uniform gekleidet war, trug Saiyon nur ein simples weißes Oberteil, wo das einzig auffällige war, dass sein rechter Arm bis auf die Hand komplett verbunden war und somit war kein einziges Fitzelchen Haut zu sehen. Aber obwohl ihr Äußeres einander glich, so hätte ihr Innerstes nicht unterschiedlicher sein können.    „Ich soll dir ausrichten, dass Säil-chan heute unser Lieblingsessen macht, Brüderchen!“ „Ich werde zum Essen nicht da sein.“ Shitaya sah etwas geknickt aus, doch so schnell gab er nicht auf: „Und warum nicht?“ „Glaubst du im Ernst ich schaue zu, wie ihr beide in euren Schwärmereien untergeht? Nein, ich möchte gerne darauf verzichten. Ich werde stattdessen…“ „… ziellos und sinnlos umherstreifen und später die Reste von Rie warm machen lassen?“ Saiyon errötete ein wenig, worauf Shitaya nicht achtete, als er sich behutsam ins Gras hockte, ohne dabei mit den Knien das Gras an sich zu berühren – er wollte wohl seine Uniform nicht unnötig dreckig machen. „Ist das etwa deine Vorstellung einer gelungenen Abendgestaltung, Saiyon?“ „Nach der gestrigen Feier könnte ich einfach ein wenig Ruhe gebrauchen.“ „Ich finde, du warst ohnehin sehr ruhig…“ „Entschuldige, dass nicht jeder so ein blühendes Leben ist wie du.“ Beleidigt und schmollend wie ein Kind zog Shitaya die Unterlippe hoch, wechselte aber das Thema - anscheinend wollte er es mit einer anderen Taktik versuchen: „Hast du dir denn um deinen großen Bruder gar keine Sorgen gemacht? Deinen einzigen Verwandten? Nicht einmal ein kleines, kleines bisschen?“ Ein wenig Wirkung zeigte es; Saiyon zog sich abwehrend ein Stück weg:   „Jetzt komm mir nicht mit dieser Tour. Ich habe mir keine Sorgen gemacht. Warum sollte ich auch? Du bist doch perfekt. Du verlierst nie.“ „Danke für das Kompliment! Aber ich würde mich dennoch freuen, wenn du auch mal mitkommen würdest; so wie ich gehört habe, hast du dich nach meinem Aufbruch sowieso aus dem Staub gemacht.“ „Shitaya, ich bin ein Unterwächter. Kein Offizier so wie du. Warum sollte ich mitkommen…“ „Aber du könntest, wenn du es wirk-“ „Hast du du nicht etwas vergessen?“, unterbrach Saiyon ihn und nickte zu seinem rechten Arm, was Shitaya besorgt zu machen schien: „Ist es schlimmer geworden?“ „Nein. Unveränderlich wie immer.“ „Dann ändere etwas! Aores hat selbst gesagt, dass nur du allein dieses Dämonensiegel brechen kannst!“ Saiyon stand auf und schob seinen Bruder beiseite – was interessierte es ihn, was der Oberarzt gesagt hatte… „Dieses Siegel wird nie verschwinden und das weißt du genauso gut wie ich es weiß!“ Shitaya wollte sich nicht streiten, aber dennoch spürte er, wie er langsam wütend wurde: „Es wird auch nie verschwinden, wenn du nicht den Willen aufweist, endlich etwas dagegen zu tun! Deine Magie wird so lange versiegelt bleiben, wie du hier faul rumhängst und anderen die Schuld dafür gibst! Es ist nicht deine Schuld, dass du mit dem Siegel bestraft und nicht länger mit deinem Element verbunden bist…“ Shitaya sah Saiyon deutlich an, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte, aber er gab nicht nach: „… aber dass du nichts daran änderst – das ist deine Schuld!“ Saiyon drehte sich zu Shitaya um und sein Bruder erkannte deutlich, dass er nicht der einzige war, der Wut in sich verspürte. Ah, er wusste schon, warum er sich nicht gerne stritt - erst recht nicht über dieses leidige Thema, das sie schon viel zu lange begleitete: „Ich bin nun einmal nicht so ein perfekter Wächter wie du!“ Mit diesen Worten ging er davon, doch sein Bruder folgte ihm. „Und weißt du, was der Grund ist? Du hast keine Ziele und keine Motivation! Du hast aufgegeben, als deine Magie versiegelt worden ist.“ „Ach, und du hättest natürlich weitergemacht!“ „Ja, das hätte ich! Weil ich, im Gegensatz zu dir, ein Ziel besitze! Ich will meine Familie beschützen.“ Er packte Saiyon am gesunden Arm, drehte ihn zu sich herum und sah ihm ernst ins Gesicht: „Und zu meiner Familie gehörst auch du, vergiss das nicht immer.“ Offensichtlich wollte Saiyon davon nichts hören, denn er riss sich von seinem Bruder los und ging einfach weiter ohne zu antworten; auch auf eine Gruppe Wächterinnen, die den beiden Brüdern freundlich zuwinkten, achtete er nicht. Aber auf den plötzlichen Einfall seines Bruders achtete er: „Eine Wächterin würde dir sicherlich guttun. Liebe ist ein Wunderheilmittel!“ Saiyon seufzte und während sein Blick über die Gruppe glitt, verlor er sich mal wieder in seinen Gedanken: „Du kennst meine Meinung zu diesem Thema, Aniki. Wenn ich mich jemals verlieben sollte, dann muss es „Klick“ machen, wenn ich das Mädchen sehe. Sobald ich sie nur ansehe, muss ich wissen, dass sie die Richtige und Einzige ist – Liebe auf den ersten Blick eben... Und das war mir noch nicht vergönnt. Das wird es auch nicht. Denn alle Wächterinnen, die hier leben, ähneln sich. Sie sind eintönig in ihrer Gleichheit…Es ist niemand dabei, in den ich mich so bedingungslos verlieben könnte wie du in Säil.“ Shitaya sah seinen Bruder kurz nachdenklich an, klopfte dann mit der flachen Hand auf seinen Rücken und konnte nichts anderes tun, als ihm recht zu geben: „Du stellst zu hohe Ansprüche, Brüderchen! So eine Frau wie Säil bekommst du nicht, denn die gibt es nur einmal!“ „Ich will eben jemand Besonderen, jemand Außergewöhnlichen!“ „Jaja, man merkt: wir sind doch verwandt!“ Der Angesprochene lächelte schlapp und antwortete darauf nicht, was auch nicht benötigt wurde, denn ein Wächter war auf Shitaya zugegangen, der nun seine Aufmerksamkeit raubte, denn es war einer der anderen Offiziere, einer von Shitayas Kampfgefährten: Pelagius. Er wirkte ziemlich aufgebracht, ja, fast schon… ach egal. Saiyon interessierte sich nicht dafür, was Pelagius nun so dringend mit Shitaya zu besprechen hatte. Er ließ die beiden daher alleine und schlenderte langsam über die nächste Brücke, ohne zu bemerken, dass Pelagius genau in die Richtung gezeigt hatte, in die er jetzt ging. „… und wenn ich es dir doch sage, Shitaya! Sie ist es! Grey-sama hat es selbst bestätigt!“ „Pelagius, bist du dir wirklich sicher?! Willst du mir wirklich sagen, dass das unsere…“ „Aber ja, siehst du denn nicht das Glöckchen?!“ Saiyon hörte keines dieser Worte und selbst wenn er sie gehört hätte, dann hätte er ihnen keine Beachtung geschenkt, denn er war mit seinen Gedanken bereits bei etwas anderem; bei dem Buch, was er vorhin gelesen hatte, bei dem kurzen, müden Zucken seines Armes… und dann stürzte er.  Noch im Flug verfluchte er seinen Arm und sein ihm nicht zugängliches Element - ein Windwächter, der stolperte und den Sturz nicht abfangen konnte! Was war er doch für eine Schande--- „Hey, hast du dir etwas getan?“ Saiyon hob ein wenig in sich hinein fluchend den Kopf; dank des Aufpralls schmerzte sein Körper, aber sämtliche Schmerzen waren vergessen, als er aufsah und direkt in die dunkelblauen Augen einer ihm fremden Wächterin starrte. Wie Shitaya und Pelagius von weitem bereits entdeckt hatten, war es Green, vor dessen Füße Saiyon gerade gefallen war - aber Saiyon wusste nicht, dass er als Unterwächter gerade gegen jegliche Höflichkeitsregel der Hikari direkt ins Gesicht starrte. Er öffnete den Mund, um etwas auf das grinsende Lächeln vor ihm zu erwidern, doch das einzige, was er konnte, war sie mit offenem Mund anzustarren. „Saiyon!“ Er hörte die Stimme seines Bruders nicht. Immer noch starrte er sie an, die ihn jetzt langsam leicht besorgt musterte. Der Wind spielte mit ihren hellbraunen Haaren, die sie sich mit einer beiläufigen Geste wieder hinter ihr Ohr strich. Saiyon hatte selten einen so magischen Moment erlebt - ein magischer Moment, der schnell vorbei war, als Shitaya angerannt, förmlich angestürzt kam und den Kopf seines Bruders packte, um diesen samt seinem eigenen nach unten zu pressen. „Ich bitte vielmals um Vergebung für meinen kleinen Bruder, Hikari-sama! Er hat es nicht gewollt! Er ist nicht immer so unhöflich… Bitte verzeiht ihm!“ „Ähm, schon… gut?“ Green wusste wirklich nicht, was das sollte und auch nicht so recht, was sie sagen sollte - erst recht verwirrte Shitaya sie, als er sich wieder aufrichtete und sich atemlos vorstellte; sie kannten sich doch?! „Offizier des Klimas, erster Rang und zweiter Kommandeur der Offiziere, Kikou Docere Shitaya - erfreut und geehrt, Eure Bekanntschaft zu machen, Hikari-sama!“ Green war einfach nur verwirrt: was ging hier vor, warum stellte er sich vor? Es war doch eigentlich nicht lange her, dass sie sich in Tokyo getroffen hatten, oder hatte er das vergessen, oder war das hier irgendeine komische Wächter-Masche, von der sie keine Ahnung hatte? Egal, sagte sich Green, einfach lächeln. Shitaya richtete sich wieder auf, dabei einen Blick auf Saiyon werfend, um ihn dazu aufzufordern, sich ebenfalls vorzustellen - aber Saiyon starrte Green immer noch nur an, weshalb Shitaya einen Rückzug für die beste Taktik hielt – erst da bekam Saiyon den Mund auf:  „Auf Wiedersehen, Hikari-sama… Auf ein baldiges Wiedersehen.“ Noch eine leichte Verbeugung, dann packte er seinen Bruder am Arm und schleifte ihn über die Brücke. Mit einem gespielten Lächeln erhob Green die Hand zu einem Abschiedsgruß, die Saiyon leicht ungeschickt erwiderte, ehe er von seinem Bruder hart herumgedreht wurde. Green blieb eine kurze Weile perplex stehen – dann sah sie fragend zu Ryô, der aber ebenfalls die Schultern zuckte. Was zur Hölle war das denn gewesen?     „In Lights Namen…“ „In Lights Namen, JA! Saiyon! Das war deine peinlichste Aktion seit langem! Nein! Überhaupt! Was hast du dir nur dabei gedacht?! Bist du von Dämonen besessen?!“, donnerte Shitaya los, als die beiden Brüder sich in sicherer Entfernung befanden und zum Stillstand gekommen waren - und Pelagius natürlich gegangen war. Der angeschriene kleine Bruder reagierte nicht. Er hatte seine Hand auf sein Herz gelegt und sah Green immer noch nach. Erst jetzt war er rot angelaufen. „Wer war das…?“ „Wer das war?!“ Shitaya nahm ihn am Kragen und schüttelte Saiyon kurz: „Saiyon, hast du denn keine Ohren?! Hast du nicht gehört, was ich sagte, ich habe es extra betont - und keine Augen?! Hast du nicht das Glöckchen auf ihrer Brust gesehen?! Das war unsere Hikari! Das war Hikari-sama! Kurai Yogosu Hikari Green! Und du hast sie einfach angestarrt! Unhöflich und unmanierlich direkt ins Gesicht, als hätten unsere Eltern dir überhaupt keine Höflichkeit in die Wiege gelegt! Nicht einmal vorgestellt hast du dich!“ Ganz offensichtlich hörte Saiyon ihm gar nicht zu: auch den Griff seines Bruders bemerkte er nicht, aus dem er sich befreit hatte - um tatsächlich, Shitaya glaubte es kaum, zurückzugehen. „Green ist also ihr Name…“ Shitaya war fassungslos. „Nein, ihr Name ist Hikari-sama, also, warte, nein, ihr Name ist Green, aber wir haben sie nicht so zu… Hast du mir überhaupt zugehört, Saiyon?!“ Da sein Bruder aber wieder nicht reagierte, packte Shitaya ihn wieder am Kragen, um ihn am Weitergehen zu hindern: „Was hast du denn vor, Saiyon?!“ Jetzt endlich drehte der Angesprochene sich herum und Shitaya ließ ihn vor Überraschung sofort gehen: so aufgewühlt, so viele Gefühle auf einmal hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr in Saiyons Gesicht, in seinen Augen gesehen. Oh nein… oh nein, oooooh nein. „Aniki! Es hat „Klick“ gemacht!“ „Nein.“ „Ich habe mich in diesen Engel verliebt. Sie ist genau die Wächterin, auf die ich so lange gewartet habe! Wie deutlich das Anderssein in der Tiefe ihrer meeresblauen Augen doch zu sehen ist! Sie ist keine typische Wächterin… Green… Green ist etwas ganz besonderes… Ein mich rettender Engel…“ Wahrscheinlich sollte Shitaya sich darüber freuen, dass er endlich, nach so langer Zeit, wieder so viele positive Gefühle auf einmal in seinem Gesicht ablesen konnte, wo Shitaya sich doch immer schon darüber hatte freuen müssen, überhaupt ein Lächeln auf Saiyons Gesicht zu sehen – und ja, er freute sich auch, aber gleichzeitig breitete sich auch große Sorge in ihm aus. Saiyon war komplett außer Stande, sich der Wirklichkeit entsprechend zu verhalten oder zu denken: er schien bei der Hikari nur an einen rettenden Engel zu denken und gar nicht darüber, dass eben die Hikari, Whites nicht so ganz tote Tochter, vor ihnen aufgetaucht war. Was das für Konsequenzen hatte! Was das für eine Bedeutung hatte! Und das einen Tag nach seiner Hochzeit! Hätte er gewusst, dass sie lebte, er hätte sie natürlich eingeladen… oh Gott, was dachte sie wohl darüber, dass sie nicht eingeladen gewesen war? Vielleicht wusste sie aber auch nichts davon – hoffentlich… „Ich glaube, nein, Aniki, ich bin mir sicher… ich habe mich in Green verliebt!“ Shitaya seufzte: „Saiyon, bist du wirklich von Dämonen besessen?! Hätte es nicht jemand anderes sein können, der dich rettet?“ „Nein, es ist Green.“ „Hikari-sama, Saiyon, Hikari-sama”, antwortete Shitaya ein wenig weinerlich klingend. Hörte Saiyon sich eigentlich selbst reden? Hatte er nicht verstanden, wer sie war? Und hatte er vergessen, was er war? „Saiyon, es tut mir wirklich leid, dass ich dein Traumschloss zerstören muss, aber…“ Er nahm wieder einmal Saiyons Arm, um ihn dazu zu bringen, ihn anzusehen. „Was bist du?“ „Ein… Wächter?“ „Ja, ein Unterwächter und sie?“ „Eine Hikari?“ „Genau.“ Shitaya seufzte und sah geknickt drein: „Du weißt genauso gut wie ich, dass Hikari nur die Besten der Besten heiraten dürfen. Wächter vom höchsten Rang und Titel. Du als Unterwächter darfst sie nicht einmal privat ansprechen, geschweige denn, nun, andere Dinge.“ Saiyon senkte den Kopf, so dass seine Haare ihm vor das Gesicht fielen und Shitaya ließ ihn los. War das zu hart gewesen…? „Es tut mir leid…“ „Aniki…“ Saiyon sah auf und zu Shitayas Überraschung und Freude sah er auf seinem Gesicht ein Lächeln, das er schon lange nicht mehr gesehen hatte; ein selbstbewusstes Lächeln, von dem er schon gar nicht mehr geglaubt hatte, dass es überhaupt noch existierte oder dass er es jemals wieder zu Gesicht bekommen würde. „Das heißt also, ich muss ein Offizier werden, richtig?“    Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)