Himitsu no Mahou von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 25: Geschwisterliebe ---------------------------- „Grey....Onii-chan.... Ist das hier wirklich nötig?!“ Greens Zähne klapperten in der windigen Kälte, während sie sich bibbernd die Oberarme rieb, um sich ein wenig aufzuwärmen; binnen Sekunden war es dem peitschenden Regen gelungen, sie bis auf die Knochen zu durchweichen. Auch ihr dicker Mantel hatte sie davor nicht schützen können. Im Gegensatz zu der sich beschwerenden Green schien Grey das schlechte Wetter nicht zu stören. Er ging sehr zielstrebig durch dieses Unwetter, welches man mit Recht „Mistwetter“ nennen konnte. Die ganze Zeit hatte Green den Boden der Erde herbeigesehnt, aber jetzt, wo sie ihre schlammigen Stiefel aus dem feuchten Boden beinahe herausziehen musste und sie von Sekunde zu Sekunde nasser wurde, wünschte sie sich schnell wieder zurück in den Tempel. Was taten sie hier überhaupt? Nun, gut, Green wusste, was sie vorhatten, aber warum hatte Grey sich so ein Ort ausgesucht? Hätte er sich nicht einen wärmeren, trockeneren Ort aussuchen können für den theoretischen Unterricht? Hawaii oder so?! Grey blieb plötzlich so abrupt stehen, dass Green gegen ihn prallte, was sie dazu brachte, sich lauthals zu beschweren. Aber darauf achtete Grey nicht: „Green, du weißt, warum wir hier sind?“ Er musste seine Stimme ziemlich anheben, um gegen den peitschenden Wind anzukommen, genau wie Green es tun musste: „Ja, ich verstehe, was wir vorhaben - aber nicht, warum das gerade hier sein muss.“ „Weil hier im Umkreis von 10 Kilometern keine Menschen zugegen sind.“ „Kann ich verstehen!“ Greens Antwort wurde offensichtlich vom Wind verschluckt: „Was hast du gesagt?“ „Nichts!“ Sie gab Grey einen leichten Klaps und bedeutete ihm, dass er anfangen solle – nicht weil sie so erpicht auf den Unterricht war, sondern weil sie ihn schnell hinter sich bringen wollte. Es war nass, kalt, windig und absolut schrecklich. Aber Green verstand schnell, dass es noch einen anderen Grund gab, weshalb Grey diesen Ort ausgesucht hatte, um ihr ein Element im aktiven Einsatz zu zeigen als Teil ihres theoretischen Unterrichts. Der Windwächter bedeutete Green, dass sie ein wenig Abstand von ihm nehmen sollte, ehe er ruhig und mit einem kleinen angedeuteten Lächeln die Augen schloss. Mit Sanftheit hob er die Hand ein wenig in die Höhe, kaum so hoch, dass sie auf Höhe seiner Schulter war. Diese kleine, unscheinbare Geste genügte und schon spürte Green es; der peitschende Wind hielt inne, als hätte die Zeit plötzlich angehalten. Doch Greens nassen Haaren gelang es nur knapp, wieder ruhig auf ihren Platz zurückzufallen, da drehte sich der Wind; nun aber in eine vorgegebene Richtung, dirigiert von einem kleinen Fingerzeig Greys. „Das ist schon wirklich ziemlich cool“, musste Green beeindruckt zugeben, als sie bemerkte, was ihr Bruder gerade mit seinem drehenden Zeigefinger schuf; ein Auge im Sturm. Erstaunt sah sie zu der weit entfernten Öffnung der dunklen Wolkendecke und begrüßte die durchscheinende Sonne mit einem erfreuten Lächeln. „Das ist wirklich wunderschön, Grey, dass du sogar den Regen angehalten hast... – wie machst du das?“ Ein zurückhaltendes Grinsen zeigte sich auf Greys Gesicht, als er sich zu ihr herumdrehte; offensichtlich freuten ihn diese Komplimente sehr, denn Green war sich sicher, dass er nicht sonderlich oft direkt grinste. „Ich habe den Regen nicht angehalten, sondern nur umgelenkt. Das Wetter direkt zu beeinflussen ist das Gebiet der Klimawächter.“ Aber natürlich musste er sie zuerst belehren, natürlich. „Es ist eigentlich ganz einfach, wenn man erst einmal eine Verbindung aufgebaut hat“, begann Grey, eine elegante Geste mit der Hand machend, woraufhin Green einen warmen Luftzug spürte, der um ihr Gesicht herum wirbelte, ehe er Greens Haare in einer warmen Umarmung anhob und diese aufwärmte, besser und schneller als jeder Föhn. Green staunte nicht schlecht, ihre erwärmten Haare durch die Finger gleiten lassend. „Das wichtigste, das aller, allerwichtigste, Green, ist, dass du dein Element hörst. Man nennt es die „Stimme des Elements“, auch wenn es keine Stimme ist, die in der Lage dazu ist, laut hörbare Worte zu formen. Es ist eine Stimme, die mit unseren Herzen kommuniziert; sie schärft unseren Instinkt und ist mit unseren Gefühlen verbunden. Sie ist eine Art Unterbewusstsein.“ Das hörte sich in Greens Ohren schon ein wenig eigenartig an, aber sie schwieg, ließ Grey fortfahren: „Es ist von Wächter zu Wächter sehr unterschiedlich, wie sich diese Verbindung zeigt; einige  sind in einem so starken Einklang mit ihrem Element, dass sie nie mit diesem kommunizieren müssen; das ist allerdings ein Ausnahmefall... Allgemein ist es für jeden Wächter erstrebenswert, eine erfolgreiche Kommunikation mit seinem Element aufzubauen, um so sein ganzes Potential entfalten zu können. Es ist allerdings schwer, eine solche Verbindung zu „erlernen“, denn die Verbindung ist, wie gesagt, sehr unterschiedlich von Wächter zu Wächter. Innerhalb desselben Elementes gibt es natürlich gemeinsame Nenner, aber jedes Element ist anders und jeder Wächter muss selbst herausfinden, wie er die Verbindung mit seinem Element schmiedet. Das kann ein sehr harter Prozess sein... zugegeben, einige scheitern daran; einige gänzlich, andere teilweise, weil das Element sie nicht als würdig ansieht.“ „Na, da muss ich mir ja keine Sorgen machen! Bei mir hat das heute Morgen doch gut geklappt!“, erwiderte Green mit einem erfreuten Grinsen, was Grey versuchte, mit einem kleinen Lächeln zu erwidern; er war wahrlich erleichtert darüber, dass es Green gelungen war, Licht entstehen zu lassen und noch erleichterter darüber, dass sie ihm erzählt hatte, dass sie das Gefühl gehabt hatte, etwas zu hören. Er hatte sofort erfreut einen Bericht für das Jenseits geschrieben, denn das bedeutete immerhin, dass das Licht sich Green nicht gänzlich verweigerte. Ein gutes Zeichen. Die Tatsache, dass die Zahlen allerdings immer noch eine starke Verunreinigung bezeugten, klammerte Grey zum Wohle seines Optimismus aus. „So, Green, ich werde dir dann auch noch etwas Anderes zeigen; nämlich wie man eine effektive Verbindung mit seinem Element für einen Angriff nutzen kann...“ Gespannt auf das, was sie sehen würde, nickte Green eifrig und beobachtete, wie Grey seinen Hals nach seiner Kette und dem damit verbundenen Anhänger abtastete. Es war derselbe geflügelte Anhänger, über den Green sich schon einmal gewundert hatte und kurz leuchtete auch der juwelenbesetzte Schlüssel für das Tor zum Jenseits auf. Wieder schloss Grey die Augen und erstaunt stellte Green fest, dass der kleine, silberne Flügel, der bis eben noch über seiner ausgestreckten Hand geschwebt hatte, sich nun in Luft auflöste.  Green vernahm einen starken Windstoß, der ihre Haare kurz in die Lüfte hob und der auch Greys Haare herumwirbelte, welcher eine kämpferische Bewegung mit der rechten Hand vollführte, fast als würde er ein Schwert in der Hand halten, doch Green konnte nichts dergleichen erkennen. Er merkte ihren verwirrten Blick und erklärte: „Das ist das „Katanakaze“; eine Klinge, die die Gestalt von Wind annehmen kann, was einen gewissen Vorteil bietet, da meine Gegner es somit nicht sehen können.“ Green nickte verstehend.    „…Ich habe sie von meinem Vater geerbt.“ Sie schaute zu ihrem Bruder, doch die Haare wehten ihm vor sein Gesicht, so dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. „Dann zeig mir mal, was du drauf hast, Onii-chan!“, feuerte Green ihren Bruder an und weckte ihn somit aus seinen traurigen Gedanken. Grey sah sie kurz an und erwiderte dann ihr Lächeln, ehe er wieder ernst wurde. Er drehte sich wieder von ihr weg, bedachte sie mit den Worten, dass sie gut aufpassen solle und holte dann in einer wahrlich sehr geübten Manier mit seinem unsichtbaren Schwert aus, die Beschwörungsformel dabei rufend: „TOUREMENTERUM ELEVERI!“ Die Zerstörungskraft dieser Attacke war wirklich außerordentlich. An sich konnte sie die Attacke nicht sehen, aber spüren konnte sie sie dafür umso deutlicher – und die Schäden, die diese Attacke hinterließ, waren unglaublich: der aufgebrachte Wind, geführt von der unsichtbaren Klinge, hatte den schlammigen Boden förmlich zerrissen; drei tiefe Spalten klafften nun im Boden, deren Länge und Tiefe Green kaum ausmachen konnte. „Boah! Boaaaaaaah! Das ist ja heftig! Das ist wirklich eine verflucht heftige Technik, heftig, ja... wow.“ Der Wind um Grey herum erstarb und Green konnte förmlich spüren, dass das Katanakaze sich auflöste. Ihr Bruder ließ seinen Anhänger wieder unter seinem Oberteil verschwinden und antwortete ein wenig errötet: „Vielen Dank für deine lobenden Worte, Green. Ich denke, jetzt verstehst du auch, warum ich solcherlei Techniken natürlich nicht in unserem Zuhause einsetzen kann.“ Green nickte, denn es war ja logisch, dass er diesen Angriff nicht auf der Insel einsetzen konnte, außer er wollte sie vierteln. „Denn wie Regel 74B besagt: “Sei dir deinen Kräften und Fähigkeiten stehts bewusst und setze sie nur im richtigen Moment ein“...“, zitierte Grey, wurde dann aber von einer grinsenden Green unterbrochen, die ihn plötzlich feixend von der Seite angrinste: „Und du meinst, das war der richtige Moment, huh, Onii-chan?“ Grey schien nicht zu verstehen, worauf Green hinauswollte und musterte sie verwirrt: „A-Aber natürlich denke ich das. Diese Gegend hier ist menschenverlassen, den entstandenen Schaden werde ich natürlich melden und er wird sicherlich noch im Laufe der nächsten Stunden von Naturwächtern behoben werden und...“ „Und der richtige Zeitpunkt war es natürlich auch, nee?“ „Als Teil deines Unterrichts, ja.“ „Natürlich, nur ein Teil meines Unterrichts, klar.“ Ihr Grinsen wurde breiter, als sie sich zu ihm vorlehnte: „Dass du so erpicht auf diesen Spezialunterricht warst, hat nicht zufälliiiig etwas damit zu tun, dass du dich, nachdem ich Onkel Seigi gestern so in den Himmel gelobt habe, ebenfalls beweisen wolltest, weil ich ja obendrein auch noch an deinen Fähigkeiten gezweifelt habe, oooooder?“ Grey lief rot an wie eine Tomate, aber das war nicht der eindeutigste Beweis dafür, dass der sonst so wohlerzogene Grey einfach ein klein wenig hatte angeben wollen, sondern dass das Auge im Sturm sich plötzlich wieder schloss und die beiden Wächter auf einmal wieder im strömenden Regen dastanden. „Grehey!“     Auch noch nachdem die beiden Geschwister wieder im Tempel angekommen waren, entschuldigte Grey sich für sein Missgeschick, auch wenn er die Gelegenheit ebenfalls sofort dafür genutzt hatte, Green die Wichtigkeit der Konzentration nahezubringen. Aber dennoch war es ein Missgeschick gewesen, für das er sich ärgerte, obwohl er Greens Haare sofort wieder getrocknet hatte, sobald sie in der Eingangshalle des Tempels angekommen waren. „Kein Problem, Grey – als Entschädigung wählst du das nächste Mal, wenn du einen Familienausflug planst, einfach den warmen Süden!“, meinte Green, als sie sich eines Großteils ihrer nassen Kleidung ohne jede Scham entledigte und diese achtlos in Itzumis Arme warf. Green nur noch im Unterrock und Korsett zu sehen brachte seine Röte wieder zum Vorschein und mit halbbedeckten Augen reichte er Itzumi seinen nassen Umhang. „Green, du kannst dich doch nicht einfach im Gang entkleiden...“ „Wieso, hier ist doch niemand.“ „Es ziemt sich dennoch nicht.“ „Ist ja auch nicht so, als wäre ich nackt. Ich hab doch noch genug an“, erwiderte Green, Itzumi nun auch ihre Schuhe und Socken zuwerfend, da auch diese durchnässt waren – von ihrem Blick, der sie hätte töten können, nahm sie keine Notiz. Ohne weiter auf die mit Kleidung beladene Itzumi zu achten, meinte Green, dass sie, wenn Grey nichts dagegen einzuwenden hatte, ein Bad nehmen würde, um sich wieder aufzuwärmen. Nach eigener Aussage war sie durchgefroren bis auf die Knochen. „Du bist Kälte gegenüber wirklich sehr empfindlich, Green. Hat das einen besonderen Grund?“ Die Angesprochene sah ihn eine Weile tonlos an und schüttelte dann verneinend den Kopf; es war völlig ausreichend, dass Siberu und Gary es wussten. Grey brauchte es nicht wissen.   Itzumi hatte die beiden gerade verlassen, da kam Ryô auch schon schnellen Schrittes in die Eingangshalle geeilt. Trotz aller Eile verneigte er sich vor Grey; auf Greens magere Bekleidung achtete er nicht, sondern begrüßte sie einfach nur pflichtgemäß und ohne auf ihr Aussehen zu reagieren. „In Eurer Abwesenheit ist Besuch angekommen, Grey-sama. Es ist Besuch aus dem Jenseits.“ Green sah, dass Grey schlagartig die Farbe aus dem Gesicht wich. Er überlegte kurz, dann schickte er Green sofort los, damit sie sich neu einkleiden konnte; ihre Proteste, dass sie ja eigentlich baden wollte, überhörte er strikt, sie darauf hinweisend, dass sie sich bitte in weiß kleiden sollte. Überraschenderweise protestierte seine Schwester nicht und verschwand ohne Widerworte in Richtung ihres Zimmers, welches sie – jedenfalls von der Eingangshalle aus – schon ohne Hilfe finden konnte. „Grey-sama…“, begann Ryô vorsichtig, doch Grey unterbrach ihn: „Ryô, wenn wir alleine sind, weißt du doch, dass du mich ruhig mit meinem Vornamen ansprechen kannst... du weißt doch, dass mir das lieber wäre.“ Der Angesprochene sah seinen Herren kurz an ohne zu blinzeln, bis er eine verräterische Wärme auf seinen Wangen spürte, die ihn sofort dazu brachte, sich eilends zu verbeugen, ehe Grey sie entdeckte. „...Ich freue mich sehr über Euer großzügiges Angebot…. Doch ich muss es weiterhin ablehnen.“ Grey seufzte klagend und um das Thema zu wechseln, fragte er, wer der unerwartete Besucher sei. Auf Ryôs Antwort hin schlug Grey verärgert die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: „Und der Tag hatte so gut angefangen!“     „Hi, Blacky! Long time not see!“ „“Long time not see“? Also neben der Unkorrektheit dieser Worte ist auch die Aussage falsch, immerhin hast du uns schon gestern mit deiner Anwesenheit... beehrt. Da dachte ich, es wäre ehrenwerter Besuch und dann bist nur du das.“ Grey sah sein Gegenüber mit hochgezogenen Brauen finster an. Seigi hatte frech die Füße auf den Tisch geworfen, wackelte mit dem Stuhl und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Grey machte sich nicht einmal die Mühe, ihn auf seinen Bruch der Etikette aufmerksam zu machen, denn sein gesamtes Gebärden diente ganz offensichtlich der Provokation. „Es tut mir ja so leid, dass ich nicht ehrenwert genug bin für den erhabenen Halbhikari“, antwortete Seigi mit einem fiesen Grinsen. Greys Gesicht verfinsterte sich weiter und seine Frage, was ihn denn schon wieder in den Tempel trieb, war sehr unwirsch. „Hey hey! Der Tempel ist genauso mein Zuhause wie deines, wenn mich da manchmal das Heimweh übermannt, dann ist es jawohl mein gutes Recht, hierher zurückkehren zu dürfen. Nur weil du hier momentan wie ein Einsiedler lebst, gehört dir der Tempel nicht.“ Darauf fiel Grey nicht herein: „Dafür, dass du von Heimweh geplagt bist, warst du in den vergangenen Jahren aber sehr selten zu Besuch – und jetzt ganz plötzlich zwei Mal in Folge? Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen… Was willst du hier?“ Seigi seufzte und verdrehte die Augen, fand sein Grinsen allerdings schnell wieder. „Wurdest du etwa nicht informiert?“ „Informiert? Wegen was?“ Seigis Grinsen wurde breiter. „Verstehe… Man hat es wohl nicht für nötig gehalten, einen Kaze zu informieren…“ Grey war kurz davor, seine Beherrschung zu verlieren, als Green, begleitet von Itzumi, ins Zimmer kam. Sie trug tatsächlich die neueste Kreation Greys, was ihn sofort von seiner Wut ablenkte – wie hübsch sie aussah! „Das Kleid steht dir wirklich ganz...“ Aber Seigis Stimme übertönte die von Grey mit Leichtigkeit: „Greeny! Die Hauptperson des heutigen Nachmittags! Wegen dir bin ich hier!“ Seine Stiefel rauschten wieder auf den Boden und begrüßend zwinkerte er Green zu, die sofort wieder errötet zu kichern anfing. Grey dagegen warf einen skeptischen Seitenblick zu Seigi: er war wegen Green hier? Das war kein gutes Zeichen, besonders wenn die Hikari gewählt hatten, es Grey nicht mitzuteilen. „Was macht das Training? Mir ist zu Ohren gekommen, dass du die Sache mit unserem Licht gemeistert hast?“ Grey himmelte mit den Augen angesichts der Respektlosigkeit, mit der Seigi über die Elementbindung sprach, doch kommentierte es nicht. Green dagegen freute sich darüber: „Ja, das stimmt! Endlich!“ „Aber verunreinigt ist das Licht immer noch, huh?“ „Joah, aber man soll es ja auch nicht überstürzen. Es ist ja kein Meister vom Himmel gefallen!“ „“Vom Himmel gefallen“ – was für eine ulkige Redewendung!“ Beide stimmten in ein heiteres Lachen ein, dem sich Grey nicht anschließen konnte. Es war ja nicht zu glauben, wie gut sie sich verstanden! Wenn sie wüsste, was für eine Gefahr von ihm ausging, dass es nichts Gutes bedeuten konnte, dass er gekommen war, um sie zu sehen... „Also, Blacky, wenn du uns entschuldigst?“, begann Seigi, sich kurz an Grey wendend, ehe er wieder Green fixierte: „Ich möchte gerne alleine mit deiner Schwester sprechen, wenn du und das Personal also bitte gehen würdet?“ Das tat Grey alles andere als gerne; sein Blick war sehr widerspenstig und ungewöhnlich finster; aber da er wusste, dass er sich nicht sträuben konnte, fügte er sich und verließ mit Itzumi und Ryô den Raum, allerdings nicht ohne Seigi mit einem skeptischen Blick zu bedenken. Green verlor keine Zeit und setzte sich sofort grinsend auf das Sofa Seigi gegenüber, ihn im gleichen Atemzug fragend, was er mit ihr besprechen wollte – die Antwort überraschte sie: „Ich wollte mit dir über deine beiden Freunde sprechen.“ Seigi sah sofort, dass Green skeptisch wurde. Zuerst sah sie ihn verwundert an, aber sie wurde schnell misstrauisch – sie hatte offensichtlich aus dem Familientreffen gelernt. „Warum willst du über sie reden?“ „Ach, weißt du… Ich würde einfach gern mehr über die beiden erfahren.“ Immer noch blieb sie argwöhnisch und Seigi fügte hinzu: „Immerhin gibt es nicht gerade viele Dämonen – oder eher Halbdämonen – die... anders sind. Eine Freundschaft mit einer Hikari zu führen ist schon ziemlich ungewöhnlich.“ Green legte den Kopf schief, weiterhin skeptisch und Seigi wartete, bis sie über seine Worte nachgedacht hatte. „Ich bezweifle, dass du deshalb gekommen bist.“ Der Angesprochene seufzte. „Da hast du Recht; hauptsächlich bin ich gekommen, um Grey ein wenig zu ärgern. Eine kleine Abwechslung von meinem öden, toten Alltag, verstehst du? Wenn wir nicht gerade Krieg haben, haben wir nicht so viel zu tun. Ich auf jeden Fall nicht.“ Er lachte unbeschwert, ehe er fortfuhr: „Es gibt ja nicht gerade viele, die so Informationen aus erster Hand haben wie du! Daten und Fakten sagen ja nicht viel über das Wesentliche aus – und wer kann schon behaupten, mit zwei Dämonen befreundet zu sein.“ „Ich dachte, das sei bei euch negativ?“ „Ich finde es jedenfalls interessant.“ Green musterte ihn weiterhin skeptisch, nicht allzu überzeugt, wie es schien. „Ich würde mir einfach gerne ein eigenes Bild von Silver und Blue machen, das ist alles.“    „Sibi und Gary.“ „Hm?“ „Ich nenne sie immer bei ihren menschlichen Decknamen. Das ist so eine Angewohnheit von mir.“ Seigi spürte, dass sie langsam ihre Skepsis fallen ließ und wagte sich ein wenig weiter vor. „Sibi ist der Kleinere, der mit den roten Haaren, und Gary der große Bruder, stimmt´s?“ Green nickte. „Haben die beiden eine gute Beziehung zueinander? Ich meine, gibt es überhaupt so etwas wie Zuneigung unter Dämonen?“ Diese Frage brachte Green zu einem heiteren Grinsen. „Die beiden streiten sich sehr viel; ohne ihre Streitereien können sie gar nicht! Manchmal sind sie auch ziemlich fies zueinander…. Am Anfang hab ich gedacht, dass sie sich hassen würden, aber mit der Zeit ist mir klar geworden, dass die beiden einander brauchen. Sie sind nicht nur ein super Team, sondern auch immer füreinander da, wenn es brenzlig wird und sie vertrauen einander. Auch wenn sie das niemals zugeben würden… Also kann ich von meinem Standpunkt aus sagen, dass es Zuneigung sehr wohl zwischen Dämonen gibt.“ Seigi antwortete nicht, denn er wollte sie nicht unterbrechen. Die junge Hikari hatte ihre Hände gefaltet, stützte ihren Kopf auf diese und schaute verträumt in den Nachmittagshimmel hinter Seigi hinaus. Sie war nicht mehr im Tempel, sondern gänzlich woanders; wie deutlich das zu sehen war! Als Seigi das erste Mal von Green und ihren Freunden gehört hatte, konnte er es nicht glauben. Nie hätte er sich vorstellen können, dass eine Hikari solch eine Bindung zu zwei Dämonen knüpfen konnte. Doch jetzt, wo er diesen Blick sah, dieses Lächeln, teilweise fröhlich, teilweise traurig, glaubte er daran. Wie konnte man nur so leichtgläubig auf die Tricks der Dämonen reinfallen? „Erzähl mir bitte mehr, Greeny“, sagte er leise, doch ein wenig fordernd. Sie horchte auf und sah ihren Verwandten aus den Augenwinkeln heraus an. „Warum?“ „Weil dein Lächeln einfach unbezahlbar ist, wenn du von den beiden sprichst.“ Sie wurde leicht rot und wieder erinnerte Seigi sie mit seinen Schmeicheleien an Siberu. „Weißt du, du ähnelst Sibi. Er ist genauso locker drauf wie du.“ „Ach wirklich?“ „Aber er hat ein wenig mehr Erfolg bei den Frauen, wenn ich an dein Flirten mit Mary denke.“ Seigi grinste leicht dümmlich: „Das ist mehr eine Angewohnheit, als dass es wirklich ernst gemeint ist.“ „Achso, du bist gar nicht in sie verliebt?“ Ein munteres Lachen drang aus Seigis Kehle, als er sofort verneinte. „Wenn ich aus dem Nähkästchen plaudern soll, dann muss ich auch dir ein paar Fragen stellen, Onkel Seigi!“, ergriff Green sofort die Chance und wartete gar nicht darauf, dass ihr Gegenüber antwortete: „Warst du denn jemals verliebt?“ Das Lachen verschwand, Seigi wurde ernster, aber lächeln tat er dennoch immer noch. „Nein.“ War das Traurigkeit, was sich da mit seinem Lächeln vermischte? „Ich bin es immer noch.“ „Immer noch? Ah, also bist du in eine andere Hikari verliebt?“ „In Lights Namen, nein und nochmals nein!“ Erfreut stellte Green fest, dass er wieder zu grinsen begonnen hatte und dass ein Lachen seine Worte begleitete; das schweigsame, traurige Lächeln passte irgendwie nicht zu ihm. „Ich bin in mein Schwert verliebt. Wir sind untrennbar miteinander verbunden.“ Greens Lächeln erfror ein wenig, als sie diese Antwort hörte und sah, wie er das Schwert, das er immer um seine Hüfte trug und das ihr erst gestern bedrohlich nahe gekommen war, hochhob, um es ihr zu zeigen. „Aaah, okay“, erwiderte Green ein wenig verwirrt; sie wusste nicht, was sie sonst zu einer solch eigenartigen Aussage sagen sollte, oder dazu, dass Seigi sein Schwert tatsächlich ungewöhnlich sanft berührte. Ein Themawechsel war wohl angebracht. „Naja, jedenfalls verstehe ich mich sehr gut mit Sibi. Er ist zwar ziemlich aufdringlich und ein kleiner, großer Spanner, aber mit seinem ständigen Aufwirbeln von Problemen sorgt er immer für Spaß.“ Green bemerkte selbst, dass es ihr Freude bereite, über ihn zu sprechen und konnte sich kaum bremsen: „Aber obwohl er immer so cool tut, ist er eigentlich total süß und ich glaube auch ziemlich schutzbedürftig – oh Gott, das habe ich nicht gesagt, das würde er nicht hören wollen... aber ich glaube schon, dass ich da Recht habe. Er will immer gerne cool tun, verstehst du?“ Seigis Englisch war eindeutig zu veraltet, um zu wissen, was sie damit meinte, aber er nickte einfach nur. „Du scheinst den Kleinen ja sehr zu mögen.“ Die Angesprochene nickte schmunzelnd. „Ja, das tue ich. Er hat mein Vertrauen zwar schon mehr als einmal auf die Probe gestellt, aber ich glaube, ich habe verstanden, wie ich ihn zu handhaben habe.“ Seigi sah deutlich, wie sich Greens Lächeln plötzlich veränderte; er sah ihr an, dass sie etwas erkannt hatte, was ihr Herz schon die ganze Zeit gespürt hatte und dass sie diese Erkenntnis freute. Ihre Stimme war sanft und voller Zuversicht, als sie ihre Erkenntnis mit ihm teilte: „Er ist mein bester Freund.“ „Und der andere? Du kannst immerhin nicht zwei beste Freunde haben.“ Ihr Lächeln verschwand; diese Frage hatte sie scheinbar nicht erwartet zu hören: „Uhm, du meinst Gary?“ Er nickte und fragte, als „was“ sie ihn sah. Doch die Hikari war überfragt. „Heißt das, du magst ihn nicht so gerne wie diesen Sibi?“ Hastig schüttelte Green den Kopf. „Nein! Ich ….mag beide gleich gern.“ „Bist du dir sicher?“ Green wich seinem Blick aus, der auf einmal unheimlich durchdringend geworden war. „Vielleicht hast du ja auch… andere Gefühle für ihn?“ „“Andere Gefühle?“ Was denn für „andere Gefühle?“ Gary ist einfach... Gary.“ „Naja, Gary siehst du vielleicht nicht als Freund, sondern als Bruder oder Lehrer, Vertrauter…. oder…“ Seigi lehnte sich über den Tisch, stützte sein Kinn mit einer Hand ab und sah Green direkt in die Augen, als er fortfuhr: „Oder ist er womöglich dein Geliebter?“ Auch wenn Green schon irgendwie auf diese Frage und die damit verbundene Wortwahl vorbereitet war, lief sie rot an, was ihren Verwandten zu einem heiteren Lachen brachte. „Onkel Seigi, hör auf zu lachen! Das ist nicht witzig! Ich bin nicht in Gary verliebt. Auf jeden Fall nicht auf diese Art - ich liebe sie beide wie meine Familie! Nicht als…“ „Jaja schon gut, Greeny! Kein Grund, gleich so in Panik auszubrechen!“ Munter klatschte er ihr auf die Schulter und meinte daraufhin, dass er deren Gespräch an diesem Punkt wohl beenden müsse; sein Zopf war kaum noch vorhanden. Immer noch grinsend richtete er sich auf, was Green ihm gleich tat, immer noch ein wenig errötet, was sie zu stören schien, denn sie schlug sich mit den flachen Handflächen auf die Wangen, als könnte sie die Röte somit vertreiben.  „Also, Greeny...“ Er öffnete die Tür und schon konnte Green ihren Bruder sehen, der scheinbar die ganze Zeit über vor der Tür gewartet hatte. Ob er gelauscht hatte? Nein, das traute sie ihm nicht zu, obendrein waren die Wände des Tempels ziemlich dick. Sie hatte es schon getestet. „... ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und Spaß beim Training! Möge das Licht auf dich herabscheinen – und so!“  „Warte noch, Onkel Seigi!“ Der Angesprochene hatte schon sein obligatorisches Blickeduell mit Grey begonnen und sah nun verwundert aus eben diesem herausgerissen über die Schulter hinweg zurück zu ihr: „Ja?“ „Das muss unter uns bleiben, versprochen?“ Seigi grinste, das gleiche Grinsen, welches Siberu so ähnelte. „Aber selbstverständlich!“        Grey geleitete Seigi zurück ins Jenseits, denn er hatte sowieso vor, mit seiner Mutter zu sprechen; er wollte ihr persönlich von Green und ihren Fortschritten erzählen, anstatt dass sie es durch die sehr kurz gehaltenen Berichte seinerseits erfahren musste. Während die beiden Streithikari das Labyrinth des Jenseits‘ bestritten, warf Grey Seigi immer wieder skeptische Blicke zu. Doch sie hatten kein einziges Wort gesprochen; Seigi wollte ihm nichts von seinem Gespräch mit Green erzählen und offensichtlich genoss er die Neugierde Greys, die nur er stillen konnte – was er genau aus diesem Grund nicht tat. Erst als Grey bemerkte, dass Seigi auf Shaginais Büro zusteuerte, sprach er ihn an: „Wieso willst du denn zu Großvater?“ „Das wirst du schon sehen, Blackylein – nicht so ungeduldig!“ Als sie das Zimmer betraten war Grey überrascht, auch seine Mutter anwesend zu sehen. White hatte einen ernsten Gesichtsausdruck und stand mit dem Rücken zu ihrem Vater, der an seinem Schreibtisch saß und – zu Greys Verwunderung – erfreut aufsah, als die beiden Hikari eintraten. „Mission erfolgreich ausgeführt, Shaginai-sama!“ „Das freut mich zu hören.“ „“Mission“? Könnte womöglich jemand die Güte haben…“ Dann ging Grey ein Licht auf und er verstand, weshalb Seigi gekommen war; er hatte irgendwelche Informationen beschaffen müssen... aber warum hatte man das ihm aufgetragen und nicht Grey? Fassungslos sah Grey stumm zu, wie Seigi das kleine Gerät aus seinem Haar entfernte und es auf dem Schreibtisch ablegte. „Es diente also als ein Aufnahmegerät“, brachte Grey angesichts Seigis grinsender Unverfrorenheit über die Lippen. Auch jetzt sah er mit einem feixenden Grinsen über die Schulter: „Auch! Aber hauptsächlich misst es meine Gewaltbereitschaft, zwei in einem! Ein Wunder unserer Technik, was?“ Der Angesprochene antwortete nicht und wandte sich fast schon angewidert ab, kurz den ernsten Blick seiner Mutter streifend. Als er Greens Stimme jedoch hörte, drehte er sich wieder herum und sah jetzt auch ihr verträumtes Gesicht als Hologramm über Shaginais Schreibtisch aufflackern. Bei den liebevollen Worten, die er nun hörte, musste er unwillkürlich schlucken. White sah auch hin, ließ sich allerdings nichts von den aufkommenden Gefühlen anmerken, im Gegensatz zu Shaginai, der fast schon amüsiert über die Aufzeichnung war. „Na, da haben wir ja zwei großartige Schauspieler.“ „Und ein überaus naives Mädchen, möchte ich hinzufügen!“, kommentierte Seigi, ehe White sich einmischte: „Vater, dafür kannst du Green nicht verurteilen. Sie trifft keine Schuld.“ Shaginai drehte sich zu seiner Tochter herum und machte eine abweisende Geste mit der Hand. „Keine Sorge, White, das tue ich auch nicht. Aber ich hoffe, du stimmst mir endlich zu, dass die beiden Halbdämonen eine Gefahr ausmachen, die wir nicht unterschätzen dürfen.“ White gelang es nicht zu antworten, denn Grey platzte ins Gespräch, allerdings richtete er sich an Seigi: „Soll das heißen, du hast Green die ganze Zeit ausgefragt und ihr Vertrauen erschlichen, nur um an diese Aufzeichnung ranzukommen?! Hast du denn als Hikari überhaupt kein Gewissen?! Wie kannst du Green so gewissenlos ins Gesicht lügen, ihr sogar versprechen, dass du niemandem etwas davon erzählen wirst?! Wie kannst du es wagen…“ Doch Grey kam nicht weiter, denn Shaginai legte seine Hand auf die Schulter seines Enkels, nachdem er sich aufgerichtet hatte. „Es reicht, Grey. Seigi hat nichts getan, wofür du ihn verurteilen könntest. Er hat lediglich ein paar Informationen für unsere Familie besorgt. Ich hätte die Aufgabe auch dir übertragen können.“ Grey wich dem Blick seines Großvaters aus. „Aber ich wusste schon, warum ich es nicht getan habe. Du bist zu sehr von deinen Gefühlen verwirrt. Auch wenn deine Sinnesempfindungen nachvollziehbar sind, sollte dir endlich klar werden, wo du stehst und wo deine missratene Schwester steht. Ein Sonderregelfall wie sie hat es nicht verdient, dass du solch starke, geschwisterliche Gefühle für sie empfindest. Es ist nur eine Hinderung.“ Grey sah seinen Großvater wie gelähmt an und hatte Schwierigkeiten, sich aus seinem Griff zu befreien. Mit einem gestammelten „Entschuldigt mich“ verließ er den Raum, gefolgt von den Blicken seiner Verwandten. „Ich hatte geahnt, dass Grey zu feinfühlig ist, um sich Yogosu anzunehmen.“ Seigi lachte hohl: „Nun, Shaginai-sama, er ist eben kein Hikari.“       Nur ein paar Minuten später verließ auch Seigi Shaginais Büro, nur dass seine Laune wesentlich besser war als die von Grey; er freute sich diebisch über die Reaktion Greys und dass man scheinbar nun endlich zu verstehen begann, dass Grey eben doch kein so perfekter Hikari war – dass er, genauer gesagt, nämlich gar kein Hikari war, so wie er sein privates Wohl über das Wohl des Wächtertums stellte. Seigi wollte sich gerade selbst loben, als er plötzlich stehen blieb; hastig ging er rückwärts, verbarg sich hinter einer Ecke und spähte vorsichtig um diese. Sein Verdacht war richtig; dort stand Grey, erschöpft und erschlagen stützte er sich mit der Faust an der weißen Wand ab, den anderen Ellenbogen an sein Gesicht gehoben – weinte er etwa? Er war wirklich kein Hikari...   Seigi wollte zuerst schadenfroh grinsend auf ihn zugehen und sich über ihn lustig machen, doch dann verwarf er diesen Gedanken wieder, wurde ernster, das Grinsen verschwand. „…Green, wieso ausgerechnet du…?! … Warum musst gerade du…zum Tode verdammt sein…“ Da erst überkam Seigi plötzlich unaufgefordert und ungewünscht das schlechte Gewissen und als wäre dieses Gefühl nicht schon schlimm genug, vermischten sich längst vergangene Erinnerungen mit diesem; Erinnerungen an seine eigene, längst vergangene und verblasste Lebenszeit, seine Familie, seine kleine Schwester. Es gelang ihm eigentlich gut, nicht an sie zu denken, alle Schuld von sich zu schieben, alles zu verdrängen, so zu tun, als wäre nie etwas geschehen. Er ignorierte ihren Tod jetzt, so wie er früher ihre Gefühle hatte übersehen wollen. Ihre Gefühle für ihn. Ein Unfall. Diese zarten Gefühle und alles, was darauf folgte – ein großer Unfall. Verkettung unglückseliger Umstände, an die Seigi nicht denken wollte, die es nicht gab. Es gab sie nicht. Es gab sie nicht. Seigi atmete tief durch; eine Angewohnheit, die man auch im Tod nicht ablegen konnte, verdrängte alles und kam dann aus seinem Versteck hervor, auf Grey zugehend. Sein Grinsen fand er allerdings dennoch nicht wieder. Als Grey aufsah, bemühte er sich nicht, seine Abneigung für ihn zurückzuhalten; hasserfüllter denn je sah er ihn an.  „Wie konntest du es nur tun…“ „Ach, Blacky, nimm es dir doch nicht so zu Herzen! Das war einfach nur ein Auftrag und wie Shaginai-sama schon sagte hättest du ihn auch übernehmen können – aber nein, du bist ja zu sehr in deine Schwester vernarrt. So sehr, dass du sogar deine Pflichten als Halbhikari nicht voll und ganz erfüllen kannst!“ „Darum geht es mir nicht! Es ist mir egal, ob du den Auftrag bekommen hast. Die Tatsache, dass du Green angelogen hast…. Ist dir nicht klar, wie gern sie dich hat?! Gerade du, der es als Hikari auch nicht immer leicht hatte, müsste sie doch verstehen! Aber nein, du sorgst lieber dafür, dass sie einen weiteren Schritt Richtung… des sicheren Todes geht…“ Diese Vorstellung erschlug Grey ein weiteres Mal und bedrückt sah er zur Seite, worauf Seigi allerdings keine Rücksicht nahm: „Deine Schwester interessiert mich nicht im Geringsten. Alle Dämonen müssen vernichtet werden, deshalb kann ich ihre Gedankengänge auch in keiner Weise nachvollziehen. Ich bin da voll und ganz auf Shaginais Seite, verstehst du? Deshalb kann ich dich auch nicht verstehen. Klar, sie ist deine Schwester, aber so lange kennst du sie noch gar nicht – müsste das Wächtertum dir nicht wichtiger sein als eine Person, die du gar nicht kennst? Obendrein scheint deine Sympathie ziemlich einseitig zu sein, wenn sie mir mehr vertraut als dir. Du hast die Aufzeichnung ja auch gehört, hast ja gehört, wie sie von den beiden schwärmt – tut sie das auch über dich? Sie sieht sie sogar als ihre Familie an, als wären sie ihre Brüder. Sie liebt die beiden mehr als dich und das obwohl du ihr leiblicher Bruder bist! Meinst du nicht auch, dass der Aufstand, den du hier machst, sich überhaupt nicht lohnt?“ Getroffen sah Grey immer noch Richtung Boden, nachdem Seigi seine kleine Rede beendet hatte, sich selbst auf die Schulter klopfend, immerhin war er eigentlich nicht der große Redner. Aber irgendwie... konnte er sich nicht so recht über den Erfolg freuen.   „… Es ist egal, wie lange ich Green schon richtig kenne.“ Grey sah auf, traf Seigis Blick und hielt ihn mit entschlossener Aufrichtigkeit in den hellblauen Augen: „... Es ist mir egal, wie unrein sie ist. Es ist mir auch egal, wie gut sie sich mit diesen Halblingen versteht. Ich verlange auch nicht von heute auf morgen, dass sie mich als ihren großen Bruder akzeptiert... ich weiß, dass ich riskiere, dass sie mich hassen wird! Aber alle Umstände haben keinen Einfluss darauf, dass sie meine Schwester ist und dass ich sie mit allen Mitteln beschützen werde, ganz egal, was ich dafür opfern muss!“ Seigi seufzte, ein wenig ironisch in sich hinein grinsend: „Ich merke schon, es bringt nichts, mit dir zu debattieren.“ Ohne es zu wissen war Greys Antwort auf diese Frage genau der richtige Angriff, um Seigis ohnehin schon wankendes Selbstbewusstsein gänzlich zu zerschlagen: „Wie solltest du mich auch verstehen? Du kannst meine Gefühle unmöglich nachvollziehen, denn du musstest bei deiner Schwester nicht tatenlos mitansehen, wie sie ihrem sicheren Tod entgegengeht!“ Nur sehr knapp gelang es Grey, Seigis Faust zu entgehen, indem er den Kopf schnell zur Seite riss. „Du hast überhaupt keine Ahnung!“ Seigi wollte es nicht aussprechen; er hatte sich geschworen, dass das alles in sein längst vergangenes Leben gehört und dass es alles jetzt keine Rolle mehr spielte; Vergangenheit war Vergangenheit! „Meine Schwester wurde ermordet, ohne, dass mir überhaupt die Gelegenheit gegeben wurde, sie beschützen zu können! Ermordet von einem verdammten Dämon, kurz bevor sie ihr Kind zur Welt bringen konnte!“ Noch mehr wütende, verzweifelte Worte drohten hervorzubrechen, aber Seigi konnte sich gerade noch zusammenreißen – er hatte schon zu viel von dem Verschlossenen gesagt. Immer noch wutentbrannt, mit neuen, unerwünschten Erinnerungen vor seinem geistigen Auge, ließ Seigi Grey an der Wand stehen, doch Grey hielt ihn davon ab, um die Ecke zu biegen: „…Das tut mir leid. Dessen war ich mir nicht bewusst.“ Seigi blieb stehen, drehte sich allerdings nicht um und anstatt seine Entschuldigung anzunehmen, konterte er: „Nein, ich war dir als Hikari wohl nicht wichtig genug, als dass du all deine Hausaufgaben gemacht hättest.“ Ohne die Antwort von Grey abzuwarten, ging Seigi mit schnellen Schritten in sein eigenes Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Er riss sich seinen Umhang von den Schultern, schmiss diesen achtlos in eine Ecke des unordentlichen Raumes und ließ sich, von seiner eigenen Wut erschlagen, inmitten des Chaos von Dokumenten, Büchern – alles, was er nie gelesen hatte und nur zur Zierde sein Zimmer verwüstete –  auf dem Boden nieder. „Du könntest etwas sagen. Irgendetwas. Egal was! Einfach irgendetwas!“ Aber das Schwert, das Seigi mit seinen flehenden Augen bedachte, blieb stumm.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)