Mondnacht von Sotar ================================================================================ Kapitel 1: Mondnacht -------------------- Jaenna rannte! Sie ignorierte die Schmerzen in ihren Beinen. Sie ignorierte ihre brennenden Lungen. Sie ignorierte die Schmerzen in ihrem Hals, aus dem unentwegt ein erschöpftes Keuchen drang. Sie ignorierte sogar das erdrückende Gefühl der Angst, welches sie plagte und zu diesem Dauerlauf antrieb. Das Laub der Bäume des kleinen Wäldchens raschelte leise in der kühlen Abendbrise. Die Gräser am Rande des Waldweges wippten ganz sacht hin und her. In den Birken sangen die Vögel ihre letzten Lieder für den Tag. Am ruhigen, wolkenlosen Himmel funkelten die ersten Sterne. Der Vollmond stand schon recht hoch und leuchtete der jungen Frau den Weg. Den Weg in die Hölle, denn die junge Frau hetzte über den schmalen Waldpfad und zerstörte so das Bild der sonst so paradiesischen Landschaft. Ein entsetzliches Geräusch hallte durch den sonst so stillen und friedlichen Wald. Schwarze Vögel stiegen in den Himmel auf. Sie spürten die Anwesenheit einer bösen Kraft. Die Anwesenheit einer Kreatur, welche mit den Dämonen der Unterwelt im Bunde stand. Die Anwesenheit einer Kreatur, welche lebte um zu töten. Die Tiere konnten die Gefahr spüren und Jaenna hatte sie sogar gesehen. Schemenhaft. Ein dunkler Schatten der bedrohlich am Rand des Waldes gestanden und sie mit glühenden Augen angesehen hatte. Nun rannte sie um ihr Leben. Die junge Frau wurde noch schneller. Sie achtete nicht mehr auf den Weg und rannte einfach nur. Sie dachte an nichts, außer daran, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie blieb an einer Baumwurzel hängen und stürzte der Länge nach auf den harten Boden. Als sie das Geräusch, ein Wolfs ähnliches heulen, erneut vernahm, sprang sie Augenblicklich auf und rannte weiter. Rannte um ihr Leben. Das Adrenalin, welches ihren Körper durchströmte verdrängte jeglichen Schmerz. Sie bemerkte noch nicht einmal das Blut, welches an ihrem linken Ellenbogen herab lief. Jeder Muskel in ihrem Körper protestierte gegen diese ungewohnte und viel zu schwere Belastung. Die Luft konnte sie nur noch Stoßweise ein und ausatmen. Ihr Hals und die Lunge fühlten sich an, als würden sie in Flammen stehen. Doch sie ignoriert dies alles und rannte so schnell sie nur konnte. In ihrem verkrampften Griff befand sich nach wie vor der geflochtene Korb mit den Äpfeln. Hätte sie sich nur von ihrem Bruder nach Hause bringen lassen! Jetzt war es zu spät! Ihr Rock hatte mittlerweile einige lange Risse, davon einmal ganz abgesehen, dass Jaenna ihn auf Kniehöhe zerrissen hatte um besser laufen zu können. Auch ihre Bluse war mehr oder weniger nur noch ein verdreckter Stofffetzen, der gerade so das nötigste verdeckte. Das war jedoch alles Nebensächlich, sie wollte nur raus aus diesem Wald und nach Hause, in Sicherheit. Sie sah sich nicht nach hinten um. Aus Furcht, das sie es noch einmal vielleicht erblickte. Dieses Wesen der Hölle. Plötzlich hörte sie sein Knurren. Das Wesen hatte es geschafft sich fast lautlos auf sie zuzubewegen, oder hatte sie es in ihrer Panik nur nicht hören können? Nun war es nicht mehr weit hinter ihr. Ein Schatten zog schräg über ihr entlang. Die Welt um sie herum versank in Finsternis. Ihre Augen blendeten alles aus, was um sie herum geschah. Ihr Blick war starr auf die Kreatur gerichtet, welche nun vor ihr aufragte. Zwei Meter war sie groß, mindestens. Kräftige Muskeln waren am gesamten Körper zu erkennen. Dunkelgraues Fell zog sich über den gesamten Körper des Wesens, welches aufrecht vor Jaenna stand. Die hochgezogenen Lefzen der länglichen Schnauze gaben den Blick auf zwei Reihen makelloser Zähne frei. Raubtierzähne! Die hellroten Augen blickten die Frau gierig an. Speichel tropfte aus dem Maul des Werwolfs. Das Wesen war so angespannt, dass an den weniger beharrten stellen die Sehnen sichtbar hervortraten. Er stand schräg vor Jaenna. Die Erde, welche das Wesen bei seiner Landung aufgewirbelt hatte, rieselte noch in alle Richtungen davon und kleine Sandwölkchen stiegen vom trockenen Boden auf. Die Vorderpfoten berührten fast den Boden, da es mit allen Vieren auf dem Boden aufgekommen war. Der Oberkörper war aber dennoch schon leicht in die Richtung der Frau geneigt, so dass die Kreatur Jaenna genau in ihrem gierigen Blick hatte. Die zierliche, zitternde Hand der Frau griff nach dem gekreuzigten Heiland, der an einer Kette um ihren Hals baumelte. Das Kruzifix gab ihr genügend Kraft um die Lippen zu öffnen. „Vater unser, der du bist im Himmel...“ Da stürzte die Bestie nach vorne. Das Maul weit aufgerissen. Jaenna wollte Schreien aber kein Ton kam aus ihrer Kehle. Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen, besprühte die Schnauze und den Oberkörper des Wandelwesens ebenso wie die linke Körperpartie der Frau. Deren Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Schmerzen spürte sie keine. Der Schock war zu groß. Ihre Rechte Hand verkrampfte sich um das Kruzifix, bis warmes Blut über ihre Handfläche floss. Sie war bereit vor ihren Schöpfer zu treten. Das Schmatzen des Werwolfs zerriss schließlich die Furcht der Frau. Es wollte sich einfach kein Schmerz einstellen. Wie konnte das sein wenn sie noch lebte und das Monster an ihren Eingeweiden herumkaute? Sie blickte an sich herab. Sie war unversehrt! Neben ihr hockte die Bestie... die Schnauze im Korb vergraben und fraß genüsslich die Äpfel. Fruchtsaft lief an Jaennas Wange herab. Ihr Blick wandelte sich von erschrocken zu ungläubig bis hin zu belustigt. Zaghaft ließ sie das heilige Symbol los und streckte die leicht blutende und zitternde Hand nach dem „Monster“ aus. Behutsam legte sie ihre Finger hinter dessen linkes Ohr und fing an, den Werwolf zu kraulen. Der Werwolf blickte nicht auf sondern gab ein wohliges, kehliges Geräusch von sich. Es klang fast wie das zufriedene Schnurren einer Katze. Es verging eine halbe Ewigkeit bis das Wandelwesen fertig war mit fressen und Jaenna nun wieder anblickte. Mit milden, hellroten Augen. Die Frau zog ihre Hand zurück und blickte das Geschöpf fragend an. „Ich dachte du bist ein Werwolf und willst mich fressen.“ „Ich bin auch einer.“ Sagte die Kratur mit einer tiefen, brummenden Stimme. „Aber du willst mich nicht fressen?“ „Nein.“ „Warum?“ „Würde es dir besser gefallen wenn ich dich und nicht die Äpfel gefressen hätte?“ „Nein natürlich nicht.“ „Na bitte. Dann frag besser nicht, sonst überlege ich es mir vielleicht noch einmal anders.“ „Aber ich dachte... ich meine... naja... ich dachte immer, dass Werwölfe böse, blutrünstige Bestien sind.“ Der Werwolf schnaubte beleidigt. „Nicht alle Wandelwesen sind freiwillig zu dem geworden was sie jetzt sind. Viele von uns waren Opfer anderer oder wurden bereits als Bestien geboren. Die wenigstens haben darum gebeten.“ „Verzeiht. Das wusste ich nicht.“ „Natürlich nicht. Woher auch. Den meisten Menschen reicht es, dass, was sie nicht verstehen, zu bekämpfen. Es ist der einfachste Weg und um so vieles leichter, als die Gründe zu hinterfragen und verstehen zu wollen.“ Jaenna schluckte. Sie hatte diese Wesen immer für Bestien gehalten, Ausgeburten der Hölle. Aber in den Worten des Werwolfs lag Wahrheit, Wahrheit und Weisheit und in seiner Stimme glaubte sie, eine unbeschreibliche Traurigkeit zu hören. „Ihr Menschen bekämpft uns, ihr jagt uns. Es kümmert euch nicht wer oder was wir sind. Für euch sind wir einfach nur Monster, ohne wenn und aber. Dabei jagen nur die wenigstens wirklich Menschen.“ „Aber die Kirche...“ „Die Kirche?! HA! Diese religiösen Fanatiker sind größtenteils ebenso unwissend wie du. Ihnen mache ich keinen Vorwurf. Sie folgen Blind ihren Oberhäuptern, jenen, die Wissen was wir sind. Jene, die sich vor unserer Macht fürchten.“ Die Augen des Werwolfs verengten sich. Er blickte an ihr vorbei, in die Richtung, aus welcher sie gekommen waren. Lichter waren auf der Straße zu sehen. Ein Pfeil sauste an Jaenna vorbei und bohrte sich in den Boden. Sie sah wesentlich erschrockener aus als das Wandelwesen, welchem das Geschoss gegolten hatte. Dieser schüttelte jedoch nur traurig den Kopf und brummte. „Genau das meine ich. Ihr Menschen handelt bevor ihr fragt. Ihr seid bereit alles zu vernichten, was nicht so ist wie ihr selbst und sogar unter euresgleichen ermordet ihr jene die anders denken.“ Weitere Pfeile sausten an den beiden vorbei, konnten den Werwolf aber nicht treffen, da die Frau direkt vor ihm Stand und die herannahenden Männer sie nicht verletzen wollten. „Bete zu deinem Gott, dass dein Volk irgendwann zu sinnen kommt. Hoffentlich bevor ihr jedes andere Geschöpf ausgelöscht und diese Welt zu Grunde gerichtet habt.“ Mit diesen Worten machte er einen Satz und landete im nächsten Busch. „Warte! Warum hast du mich verschont, wenn wir Menschen so schlecht sind?“ „Du bist nicht so, es gibt glücklicherweise einige unter euch die mehr Weisheit zeigen. Außerdem...“ Der Werwolf wandte sich ihr noch einmal zu und grinste sie breit an. „...ich lebe im Einklang mit der Natur. Ich bin Vegetarier.“ Jaenna sah ihn verblüfft hinterher, als er in dem kleinen Wäldchen zwischen den Bäumen verschwand. Sie hörte die Stimmen der Männer immer näher kommen. Die ersten rannten an ihr vorbei, dem Werwolf hinterher. Zwei der Männer, eindeutig Inquisitoren, blieben neben ihr stehen. „Geht es euch gut? Hat euch die Bestie verletzt?“ Der Mann sah auf die verwundete Hand der Frau. „Nein..., nein. Das Wesen hat mir nichts getan... es hat mich nur... beobachtet.“ „So seht ihr aber nicht aus.“ Sagte einer der beiden Männer und blickte auf ihre verdreckte und zerrissene Kleidung. „Das ist passiert als ich vor ihm geflohen bin... hätte ich gewusst, dass er mich nicht angreift hätte ich auch stehen bleiben können.“ Sie lächelte die beiden Männer etwas verlegen an und diese blickten fragend zurück. Mehr würden sie von Jaenna allerdings nicht erfahren. Die Inquisitoren würden ihre ohnehin nicht glauben. Allerdings fasste sie den Entschluss, nach Menschen zu suchen, denen sie ihre Geschichte erzählen konnte. Nach Menschen, die bereit wären, sich und andere zu verändern. Zum Wohl der friedlichen Werwölfe, zum Wohl der Menschheit und zum Wohl ihrer ganzen Welt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)