Tränen sind dicker als Wasser von Ninjagirl (Sherlock (BBC)) ================================================================================ Sie alle heulten. Jedes der Opfer, das Bomben am Körper trug, mit einer Waffe auf sich gerichtet, heulte. Ihre Stimmen zitterten, die Angst war deutlich zu hören, er konnte sich die salzigen Striemen auf ihren Wangen vorstellen, ihre verzweifelten Gesichter, die doch nichts an den Umständen änderten. Nicht, dass Sherlock es nicht verstand. Natürlich, ihr Leben stand auf dem Spiel, wenn sie auch nur ein falsches Wort sagten. Sie mussten in jemanden vertrauen, den sie nicht kannten, dessen Stimme sie bei ihrem Anruf zum ersten Mal hörten. Vermutlich war ihnen nichtmal bewusst, dass er es war, der ihr Leben retten sollte. Und doch machten sie es ihm damit immer schwerer. Es war ja nicht so, dass er nicht wusste, dass er das Rätsel lösen musste und diese Menschen sonst ihr Leben verloren. Sie wussten es, er wusste es – kein Grund also, sich die Seele aus dem Leib zu heulen. Sie könnten zur Abwechslung mal ihr Vertrauen in ihn setzen, ein paar ermutigende Worte verteilen oder aber würdevoll ruhig bleiben. Ihre Tränen änderten nichts. Dadurch, dass sie ihn nervten, verringerten sie sogar die Chance zu überleben, denn sie störten seine Konzentration. Und wer sonst wenn nicht er konnte sie schon aus ihrer Situation erlösen? Sherlock hatte sowieso keine andere Wahl als sie zu retten. Oder anders gesagt wollte er das Rätsel lösen und damit ging ihre Rettung einher. Manchmal hatte er sich gefragt, ob es ihm überhaupt ein Quant um die Leben ging und nicht allein darum, sich zu beweisen. Er wusste genau, was ihm an den Rätseln lag: sich etwas beweisen, seinen Geist auf die Probe stellen und nicht zuletzt der Kick. Doch was lag ihm an den Menschen? Er wusste nicht, ob überhaupt irgendwo tief in ihm das Bedürfnis schlummerte, Leben zu retten. Vielleicht wollte er Dankbarkeit oder Applaus. Sherlock selbst hatte bereits festgestellt, dass Genies nur zu gerne für ihre Begabungen bewundert werden wollten. Gerade diese Frage hatte ihn lange beschäftigt. Er hatte observiert, dass er sich langweilte. Fast freute er sich über die potentiellen Opfer, die ihm mit ihren Anrufen die Eintönigkeit vertrieben als Sprachrohr eines Mörders. Und als er den letzten Fall gelöst hatte, schien alles in seinem Wohnzimmer ihm Langeweile entgegen zu schreien. John war da, redete mit ihm, doch kaum war er allein, konnte er nicht mehr an sich halten. Er wollte sich selbst beweisen, dass er es mit Moriarty aufnehmen konnte, dass er klüger war als der andere. Also setzte er den Eintrag auf seine Webseite. Ein Köder, nicht nur für Moriarty, auch für sich selbst. Lange hatte er wie eine Puppe an Fäden für diesen Menschen getanzt, jetzt endlich wollte er das Spiel wenden, die Waffe sprichwörtlich auf diesen Kerl richten. Nur vorsichtshalber nahm er eine echte mit. Und wo könnte man sich am besten treffen als an einem Ort, den sie beide kennen mussten. Er, Sherlock, weil es den Beginn seiner Karriere bezeichnete, zumindest er war sich dessen sicher. Und Moriarty wusste, dass hier der Mensch gestorben war, mit dem er die erste Spur zu sich gelegt hatte. Perfekt also, das öffentliche Schwimmbad, in dem Carl Powers ertrunken war. Wie es so war mit fixen Ideen – obwohl seine Ideen zwar schnell bei der Hand aber nie unbedacht entstanden – wollte sie umgesetzt werden. Etwas online zu stellen war so einfach, nur Sekunden brauchte er dafür, kaum länger als er überlegt hatte. Sherlock wusste nicht, was er in dem Schwimmbad erwarten konnte. Im besten Fall Unterhaltung und die Beantwortung einiger Fragen, im schlechtesten Fall würde er versetzt. Doch er wusste, dass das nicht passieren würde, denn ob er es nun wahrhaben wollte oder nicht (und vor offensichtlichen Fakten verschloss er nie die Augen), Moriarty und er hatten viel gemeinsam. Es hätte gut und gerne Sherlock sein können, der sich die geschickten Schachzüge um Mord und Scheintod ausgedacht hatte, immerhin war es ihm auch ein Leichtes, ihnen auf die Schliche zu kommen. Hätte er in seiner Vergangenheit den falschen Weg genommen, wäre er vielleicht am anderen Ende des Hörers und forderte einen anderen Consulting Detective (aber wer kam schon auf so einen genialen Beruf?) dazu auf, sein Spiel mitzuspielen. Doch so kämpften sie an unterschiedlichen Fronten und Sherlock wusste, dass es ihm nie so viel Freude bereiten würde, Verbrechen zu verschleiern wie sie aufzudecken. Er hatte seine Seite gewählt. Und schließlich stand er im Schwimmbad, im klinischen Licht von Leuchtröhren, neben einem Pool, der die Leiche, die er vor so vielen Jahren getragen hatte, längst vergessen hatte. Sherlock wusste, sein Köder würde gefressen werden, genauso wie er selbst den dargebotenen Brocken nachgejagt war. Als die Tür aufschwang und John heraustrat war er ernsthaft überrascht. Nicht, dass sein Hirn in den wenigen Sekunden, bevor Watson sich äußerte, nicht schon dreizehn verschiedene Erklärungen aufgebracht hatte, von denen vier plausibel klangen. In keiner von ihnen war John der Täter. Und dann sah er die Bomben, die er fast schon erwartet hatte, zusammen mit dem roten Punkt der Feuerwaffe, die auf John gerichtet war. Doch es war nicht der Zündstoff um Johns Körper, der ihm den Atem verschlug. Es war die Tatsache, dass John nicht heulte. Ganz im Gegenteil, er war die Ruhe selbst verglichen mit seinem Zustand nach dem Zwischenfall der elektronischen Kasse, mit der er einen Streit angezettelt hatte – wie auch immer das möglich war. Natürlich, er hatte Kriegsschauplätze gesehen und sein Leben mehrmals riskiert, aber das hier war nicht Afghanistan und wenn er starb dann nicht aus einem guten Grund sondern allein wegen der Willkür eines Mörders und weil er Sherlocks Freund war. Und doch, obwohl er dem Tod ins Auge sah und weiß Gott sicher noch genug mit seinem Leben vorhatte, wirkte er völlig unbeeindruckt. Seltsamerweise war es dieses stoische Verhalten, gerade die Abwesenheit von Tränen, die Sherlock klarmachte, dass er diesen Mann, diesen Freund, retten musste. Dieser Freund, der so wirkte, als hätte er keine Hilfe nötig und käme mit allen Problemen gut alleine klar, weckte mehr Beschützerinstinkt in ihm als eine weinende Frau oder ein jammerndes Kind. Denn er war bereit zu sterben. Für ihn, Sherlock. Er wusste, John musste das Schwimmbad lebend verlassen. Und wenn es Sherlock sein Leben kostete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)