Familienbande von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 22: Kekse sind ungesund ------------------------------- XXII. Kekse sind ungesund Emmet drückte den Klingelknopf, immer noch über die Schneeweihnachtshasen kichernd. Diese Kreation ließ keinen Zweifel daran, dass hier Justin seine Zelte aufgeschlagen hatte. Justin hatte immer schon einen Hang fürs Ungewisse gehabt – siehe Brian. Sein alter Kumpan öffnete die Tür. Emmet schlug die Hände vor den Mund, um nicht hysterisch zu werden. Brian erstarrte und fasste sich an den Kopf. „Kein Wort!“ warnte er. Emmet schluckte. Brian trug eine ziemlich merkwürdige Bommelmütze zu seiner normalen Jeans-Shirt-barfuß-Kombination und sah alles andere als glücklich aus. Mit einem hecktischen Griff riss er sie sich vom Kopf. Justin trat grinsend neben ihn: „Das ist eine Wichtelmütze. Die hat Gus heute Morgen neben unserem Bett gefunden und ist zu der Schlussfolgerung gekommen, dass sie seinem Papa prima stehen würde. Nicht wahr?“ Brian verzog den Mund und murmelte irgendetwas. „Ich habe ja schon einiges erlebt“, meinte Emmet. „Aber ich wage gar nicht zu fragen, warum eine Wichtelmütze in eurem Schlafzimmer rumliegt.“ „Dann lass es!“ zischte Brian. Justin zwinkerte ihm zu. Sie machten sich daran, die Sachen rein zu schleppen. Das Buffet sollte im Wohnzimmer aufgebaut werden. Sie stellten die Tische auf und schleppten weitere Sitzmöbel heran. Emmet verteilte Kerzenensembles, die Brians kritischem Blick stand gehalten hatten. Zu guter Letzt zerrte Justin eine Leiter herbei und befestigte einen Mistelzweig im Zentrum der Eingangshatte. „Muss das sein?“ fragte Brian, der vor der Tür rauchte und misstrauisch nach drinnen spähte. „Müssen nicht. Aber es ist doch nett“, meinte Justin, während er konzentriert balancierte. „Das glaubst du. Also ich will garantiert nicht von deinem Vater abgeknutscht werden.“ „Das beruht wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit. Ich will auch keinen Zungenkuss von Debbie. Dann stell dich doch einfach nicht drunter!“ „Das sagst du so leicht, das Ding hängt genau in der Mitte!“ „Du wirst es schon schaffen, obwohl dir natürlich jeder der Anwesenden ohne Pause darunter auflauern wird.“ „Dein Wort in Gottes Ohr.“ ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Um fünf Minuten vor Vier klingelte es, wie sie es auch nicht anders erwartet hatten, an der Tür. Debbie kam mit einem in einem langen grauen Parka fröstelnden Carl über die Türschwelle spaziert. Sie hatte sich schön gemacht und glitzerte wie ein lila Weihnachtsbaum. „Himmel, Arsch und Zwirn – verirrt ihr euch nicht ständig in diesem Kasten? Kommt her! Frohe Weihnachten! Tolle Hasen, Justin, aber ich hab‘ die Schwänze vermisst…?“ „Sind der Zensur zum Opfer gefallen“, murmelte Justin in ihren Armen. „Und Gus! Du hast aber einen hübschen Hut! Tja Brian, da kommt auch dein Modegeschmack nicht gegen an!“ Gus trug die Bommelmütze und lachte: „Papa hat auch gesagt, dass sie mir besser steht!“ „Wo er Recht hat, hat er Recht. Und Brian…“ Er wurde gedrückt, da gab es kein Entkommen. Carl gab ihnen lieber freundlich lächelnd die Hand und folgte Justin und Gus zu Emmet ins Wohnzimmer. Debbie langte in eine große Tragetasche an ihrem Arm und zog ein in Folie gewickeltes Tablett heraus. „Debbie“, protestierte Brian. „Noch mehr Kekse überlebe ich nicht!“ „Das ist auch nichts für den Hunger… sondern meine ganz speziellen Kekse.“ Brian bugsierte sie in die Küche. „Was bitte sind das für Kekse?“ „Na, du weißt schon.“ „Du hast was…?“ „Du hast mir das Zeug doch aufgenötigt, als diese Sozialtante bei euch aufgeschlagen ist? Ich habe es nur ein wenig veredelt.“ „Debbie…“ Die ältere Frau grinste. „Stell sie sicher weg. Du kannst sie auch einfrieren oder in eurem Palastgarten verbrennen, wie du willst. Aber das ist dein Kram. Und jetzt bedanke dich gefälligst!“ „Danke, Debb, für die schönen Drogen.“ „Geht doch“, sagte sie, warf einen Röntgenblick durch die Küche und spazierte hinaus. Brian starrte kopfschüttelnd auf das Gebäck. Es war fast schwarz, so schokoladig war es. Wohin damit? Wohl kaum aufs Buffet. Er quetschte das Tablett provisorisch in einen der oberen offenen Küchenschränke, außer Reichweite von Kinderfingern, und ließ es verdeckt. Da konnte er sich später drum kümmern. Mit Mrs. Lennox Bestechungs-Gebäck sollten sie es besser nicht verwechseln. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Die Tür klingelte, und Brian konnte aus den rasch ertönenden Kreisch- und Jubellauten auch aus dem Nebenzimmer ohne weiteres bestimmen, wer da anmarschiert gekommen war. „Oh Gott, Justin, das ist ja ein Palast!“ rief Daphne. „Wo ist denn dein Traumprinz?“ Bevor Brian gegen diese Bezeichnung Einspruch erheben konnten, fand er sich von der zierlichen jungen Frau gedrückt, die auf Justins Fingerzeig in die Küche gestürmt gekommen war. „Ich weiß Daphne“, murmelte er, die Nase tief in ihr unbändiges Haar vergraben, „wenn Justin nicht wäre…“ „Haha, du glaubst doch wirklich, jeder – und jede – steht auf dich?“ lachte sie, zu ihm hinauf blickend. „Das stimmt doch auch“, erwiderte Brian und schaute ihr tief in die Augen. Daphne kicherte: „Ach Brian, leider muss ich gestehen: Ich bin über dich hinweg!“ „Du brichst mir das Herz“, stöhnte er. „Und davon hast du sehr viel da drin“, sagte Daphne liebenswürdig und tippte ihm auf die Brust. „Psst!“ flüsterte Brian. „Erzähl das bloß niemandem!“ „Dein finsteres Geheimnis ist bei mir sicher“, versprach sie. „Möchtest du vom Punsch?“ fragte Brian, sich seiner Aufgaben als Gastgeber besinnend. „Was ist da denn drin?“ fragte sie neugierig. „Wodka,...“ setzte er an aufzuzählen, wurde aber jäh unterbrochen. „Nein danke. Kann ich ein Glas Wasser bekommen?“ „Wasser?“ fragte Brian verdattert. „Du bist doch nicht mit dem Auto da. Was ist denn aus Justins guter alter Saufkumpanin geworden? Vielleicht ein Bier?“ Daphne schüttelte resolut den Kopf: „Echt nicht. Mir ist nicht nach Alkohol.“ Brian starrte sie immer noch an. Daphne war immer eine schlanke Person gewesen, die ihre körperlichen Vorzüge auch nicht unbedingt versteckte, auch wenn der sportliche Look immer etwas mehr ihr Ding gewesen war. Jetzt steckte sie in einem dicken Wollpullover, der sie ziemlich unförmig wirken ließ. „Daphne“, fragte er leise. „Du darfst mich gerne köpfen, wenn du in Wirklichkeit nur über deinen Studien verfettet bist. Und es geht mich eigentlich auch nichts an. Aber ich habe schon mehr Frauen, als mir lieb war, in diesem Zustand gesehen. Bist du… schwanger?“ Daphne fuhr zusammen, ihre Gesichtsfarbe schien unter dem dunklen Teint leicht ins Grünliche zu wandern. Das war Brian Antwort genug. „Brauchst du Hilfe?“ fragte er vorsichtig. Sie sah ihn undurchdringlich an, nur ihre Lippen bebten ein wenig. Dann schüttelte sie den Kopf. Das fröhliche Strahlen von eben war verschwunden, sie wirkte erschöpft. „Brian, bitte… Sag niemandem etwas davon, okay? Auch Justin nicht.“ Brian nickte nachdenklich. Es war ihre Angelegenheit, es war nicht an ihm, sie ins Rampenlicht zu zerren oder ihr Fragen zu stellen, die sie nicht beantworten wollte – oder konnte. „Du wirst es nicht ewig geheim halten können, wenn du es behalten willst. Soweit ich informiert bin, gewinnt frau dabei an Format… einer Bowlingkugel, eines Pottwals, je nachdem. Ist denn alles in Ordnung…?“ „Danke für die tröstenden Worte. Ja, es ist alles in Ordnung. Ich werde es bekommen. Vierter Monat bin ich“, sagte sie gepresst, den Kühlschrank anstarrend. „Ich werde es Justin selber sagen, aber nicht jetzt. Ich muss noch über Sachen… nachdenken.“ „Okay“, sagte Brian entschlossen. „Aber du sagst Bescheid, wenn du was brauchst.“ Daphne nickte, ohne ihn anzuschauen. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Das Wohnzimmer hatte sich mittlerweile weiter gefüllt, Ted und Blake nippten an ihren Softdrinks, Gus hing an Molly und redete aufgeregt auf das Mädchen ein. Molly lächelte, so dass die Ähnlichkeit mit Justin deutlich zutage trat, und folgte den Ausführungen des kleinen Jungen aufmerksam. Debbie plauderte auf dem Sofa mit Jennifer in trauter Eintracht, obwohl die Kleidung der beiden Frauen sie unterschiedlichen Welten zuzuweisen schien. Aber das stimmte nicht, nicht wirklich, dachte Brian. Jennifer Taylor war genauso wie Debbie eine Frau mit Qualitäten, die weit über das Äußere hinausgingen. Sie vereinten beide Stärke mit Güte und Freiheitsgeist, jede auf ihre Art. Wie auf Signal läutete es erneut. Schon an der Art und Weise, wie die Klingel Laut gab, konnte Brian erkennen, wer da nun vor der Tür stand. Schicksalsergeben setzte er sich in Bewegung. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Joan musterte misstrauisch die beiden merkwürdigen Schneefiguren, die ein paar Meter von der Eigangpforte entfernt auf der Rasenfläche standen. Hasen…? Was sollte das denn, war das wieder so eine Anzüglichkeit? Ein Kind hatte die jedenfalls nicht gemacht. Und Brian gewiss auch nicht. Blieb ja nur noch einer. Brian öffnete die Tür. Er trug, wie immer, ein fein abgestimmtes Kleidungsensemble, das nie ein Kaufhaus von innen gesehen hatte. Eine elegante hellbraune Stoffhose und ein etwas dunkleres Oberteil aus feinem Stoff, unter dem raffiniert an Kragen und Ärmeln ein hellbeiges Hemdes hervor lugte. Er war viel zu durchdacht gekleidet für einen… normalen… Mann. Jack hatte nur unter absolutem Zwang ein Kleidungsgeschäft betreten und hatte das erstbeste gekauft, das einigermaßen passte. Brian nie, auch als sie ihn noch bei Walmart eingekleidet hatte. Er hatte jedes Stück eingehend geprüft, sich stundenlang gemustert und darauf bestanden, dass sie Änderungen daran vornehme, damit es wirklich gut passe. War das ein Zeichen gewesen, dass…? Oder hatte er nur fort gewollt aus ihren beengten Verhältnissen – was ihn offensichtlich hier her geführt hatte? Nach Green Tree. Mit seinem Sohn. Und… Justin. „Frohe Weihnachten, Brian“, sagte sie, als sie eintrat. Er half ihr aus dem Mantel, kurz schweigend, dann erwiderte er: „Frohe Weihnachten, Mutter.“ Stimmen waren aus dem Wohnzimmer zu hören. Sie trat ein und sah sich um. Neben dem Kamin stand eine schön gewachsene Blautanne, mit Holzkugeln und Strohsternen geschmückt, kein Plastik, nichts Buntes, nichts Verspieltes oder gar Kitschiges. Teure Bienenwachskerzen verbreiteten ihr unverwechselbares Aroma und spendeten neben weiteren dezent im Raum verteilten Gestecken ein warmes Licht. Brian stellte sie vor. Debbie Novotny grüßte sie frostig. Nun ja, auf den Zuspruch dieser wandelnden Geschmacksverirrung legte sie keinen größeren Wert. Diese Frau hatte für Brian Familie verkörpert? Ein Wunder, dass ihm dabei die Geschmacksnerven nicht abgestorben waren. Ted Schmidt und sein Freund, nichtssagend für sie. Daphne, eine Schulfreundin von Justin, grüßte sie höflich. Auch nicht weiter von Interesse. Ihr Blick wanderte, während sie die Hände schüttelte, hinüber zum Christbaum, wo Gus einem kleinen blonden Mädchen eine Spielzeugeisenbahn vorführte. Das Mädchen trug zwei üppige blonde Zöpfe und lachte vergnügt, ihren Enkel an sich drückend. Das Lächeln… Justins Schwester? Eine sehr hübsche Person, kurz davor, zu erblühen. Sah Brian in Justin so etwas, fand er ihn… hübsch? Männer waren doch eigentlich nicht… Sie warf einen Blick auf Justin, der neben einer ebenfalls blonden Frau auf dem Sofa saß, die eine natürliche Anmut umgab. Seine Mutter…? Die Frau stand gemeinsam mit Justin auf, als sie näher traten, und reichte ihr die Hand, an der teure Ringe glitzerten. „Jennifer Taylor“, sagte sie. „Ich bin Brians Schwiegermutter. Nennen Sie mich doch Jennifer.“ Joan starrte in die großen warmen Augen der anderen Frau, spürte aber auch, dass diese hier gerade Klarheiten schuf. Das war kein süßes Blondchen, auch wenn der erste Blick das nahelegen mochte. Genauso wenig wie ihr Sohn. „Angenehm“, erwiderte sie, „Joan Kinney.“ „Schön, Sie kennen zu lernen – Joan“, sagte die andere und lächelte verbindlich. Joan zog innerlich die Augenbraue hoch. „Ganz meinerseits, Jennifer“, nahm sie die Herausforderung an. …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Die nächsten Ankömmlinge waren die Novotny-Bruckners, die lärmend einfielen, was größtenteils Michael geschuldet war. Ben machte freundlich lächelnd die Runde, zog sich aber rasch mit Jenny auf dem Arm in einen der Sessel zurück. „Boah!“ staunte Hunter, sich umschauend. „Kann ich mich von meinen Eltern scheiden lassen, damit die hier mich adoptieren können?“ „Du darfst jederzeit vorbei kommen“, lud Brian ihn großzügig ein. „Wir brauchen immer wen zum Klo putzen, Rasen mähen, dumm aus der Wäsche gucken…“ „Untersteh dich, so undankbar zu sein, James!“ fuhr Debbie ihn an und zog ihm spielerisch am Ohr. „Und Klo putzen, Rasen mähen und dumm aus der Wäsche gucken kannst du auch bei uns“, ergänzte Ben lächelnd. „Na, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig“, sagte Hunter, aber er lächelte zurück. Michael sah sich um. Er war ja schon vorher hier gewesen, aber da war dieses Haus kaum mehr gewesen als leerer Raum. Jetzt war es ein Zuhause. Brians Zuhause. Der Stil der Einrichtung erinnerte an das Loft, aber zugleich war hier alles irgendwie anders. Es lebte. Es war nicht bloß Brians Daheim, sondern Justins und Gus‘ gleichermaßen. Brians… Familie, das war es wohl. So wie sein Heim nicht nur ihm gehörte, sondern der Raum war, wo er mit Ben und den Kindern gemeinsam existierte. Dennoch glich dieses Haus ihrem nicht im Geringsten. Zum einen war es weniger ein Haus, es war eine Villa, mit Brians üblicher Maßlosigkeit in solchen Dingen erworben. Alles hier war genau durchdacht, nichts war zufällig oder eine Notlösung oder stand einfach so rum. Er konnte darauf wetten, dass sich nicht einmal bei den Klopapierhaltern Ikea eingeschlichen hatte. Aber er fühlte keinen Neid. Michael liebte sein Haus. Es war… sie, die Novotny-Bruckners. Dies hier waren Brian und Justin – und Gus – auch wenn er dabei Wehmut verspürte. ………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… „Hallo Papa“, begrüßte Justin seinen Vater an der Tür. „Hallo Justin“, Craig räusperte sich. „Das hier ist für dich. Ein Edelstahl-Hobel, ich hoffe, du kannst was damit anfangen.“ „Danke – ja kann ich gut gebrauchen! Komm rein!“ Craig sah sich neugierig um. Jennifer saß auf dem Sofa in gerader Haltung und unterhielt sich mit einer grauhaarigen Frau, die nicht weniger straff da saß. Der kleine Junge tollte mit Molly, die ihm einen raschen Kuss gab, und einem älteren Teenager vor dem Weihnachtsbaum herum. Er erkannte Daphne. Justin stellte ihn vor. Die andere Frau… Joan Kinney. Was hatte Justin gesagt? Sie war auch ausgerastet, als sie erfahren hatte, dass ihr Sohn… Er musterte sie. Er konnte sich nicht vorstellen, dass diese Frau jemals ausrastete. Ein altes Bild erschien vor seinem inneren Auge. Mrs. Kinney im Wohnzimmer ihres kleinen Reihenhauses, wie eine kalte Königin. Aber sie war hier – wie er. Er atmete tief durch. Emmet Honeycutt begrüßte ihn freundlich, Brian ein wenig steif, aber höflich. Gus ließ ein „Hallo, Opa Craig!“ verlauten, bei dem er Jennifers Blick im Nacken fühlte. Weitere Schwulenpärchen, auch mit Kindern, aber älter als Justin. Justin war doch zu jung… Aber andere hatten in seinem Alter doch auch schon Kinder? Kein Motorrad-Toy Boy weit und breit. Er nutzte die Gelegenheit, als Mrs. Kinney aufstand, um sich neben Jennifer zu schieben. „Hallo Jennifer.“ „Hallo Craig.“ Sie blieb ruhig sitzen, die Hände im Schoss gefaltet. Er nahm einen beiläufigen Schluck von dem Punsch, den Justin ihm gereicht hatte. Eigentlich war ihm nicht so sehr nach Alkohol, der Scotch von gestern Abend meldete sich noch, aber er war froh, sich etwas daran fest halten zu können. „Hat Molly dir mein Päckchen gegeben?“ fragte er schließlich. „Hat sie. Danke“, sagte Jennifer nur. „Du hast es mir damals vorgelesen“, stellte er ruhig fest. Sie schüttelte nur den Kopf und lächelte dabei. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Michael trat in die Küche. Er war leicht beschwipst. Gestern hatte er auch ein wenig tiefer ins Glas geschaut, aber hatte die Schmerzgrenze nicht überschritten. Dazu gab es schließlich die Feiertage, um sich ein bisschen zu amüsieren, der Alltag und seine Tücken würde sie schon schnell genug wieder haben. Er schaute sich um, wo in diesem Chromtempel war bitteschön der Kühlschrank. Sein Blick glitt über Schränke und Regale, dann blieb er kleben. Verdammt, das war doch das Tablett seiner Mutter, noch immer mit Alufolie bedeckt. Er musste grinsen. Sie hatte ihm erzählt, wie sie Brians zu ihr entsorgte Grasvorräte wiederaufzubereiten plante. Da oben im Schrank standen sie gut, da würden weder Gus noch Molly drankommen. Auf James musste man ein Auge haben. Und auf ihn, kicherte er in sich hinein, stieg auf einen Hocker, zog die Abdeckung fort und genehmigte sich einen. Einen würde er verkraften, ohne völlig unangenehm aufzufallen. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Brian saß neben Ted auf dem Sofa und behielt die Lage im Blick. Gus spielte fröhlich und sonnte sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit. Joan ließ sich von ihm seine Spielzeugeisenbahn vorführen. Der Anblick hatte auf Brian dieselbe Wirkung wie der Biss in eine Zitrone… wie… liebevoll… du kaltes Miststück, dachte er. Dann rief er sich zur Raison. Seine Mutter mochte es mit ihm verpatzt haben, aber das hieß nicht, dass sie immer so bleiben musste. Darauf hatten sie sich verständigt. Aber es stieß ihm dennoch übel auf, seine Mutter so zu sehen, wie eine richtige… Großmutter. Mit finsterem Blick nippte er an seinem Bier. Ben sah gar nicht gut aus. Scheiß Krankheit. Er selber hatte Glück gehabt, mehr Glück als Verstand. Andererseits hatte er immer mit dem Abgrund geflirtet, obwohl er immer vorsichtig gewesen war. Wenn‘s ihn erwischt hätte – ein gepatztes Kondom, ein falsch verlaufender Blow Job… das wäre es gewesen. Er hätte nicht bis ans Ende seiner Tage Körner gefressen und nach jeder Medikamentenumstellung ins Klo gekotzt oder sich halb tot geschissen. Ohne ihn. Und Justin? Was hätte er getan, wenn es ihn…? Hastig nahm er einen weiteren Schluck. Hatte es aber nicht. Und würde es auch nicht. Nein. Aus dem Augenwinkel betrachtete er Justins Eltern, die schweigend nebeneinander saßen. Craig musterte Jennifer mit verstohlenen Blicken. Nanu, hatte da jemand wieder erwachte Frühlingsgefühle? Schleimte er sich deshalb bei Justin ein? Brian traute dem Braten nicht recht. Craig Taylor hatte Justin zum Teufel gejagt. Was wäre aus Justin geworden, wenn er selbst sich nicht um ihn gekümmert hätte? Sicher hatte er wenig Intention dazu gehabt, sich um einen revoltierenden Teenager und seine zur Hölle gehende Vororts-Familie zu sorgen. Aber er hatte einfach nicht weg gekonnt. Und das hatte nicht bloß daran gelegen, dass Klein-Justin so ein heißer Fick gewesen war. Und Craig hatte mehr als deutlich gemacht, was er von Ehen wie der ihren hielt, als er damals Antrag 14 unterstützt und Justin wegen seiner Demo in den Knast hatte werfen lassen, Debbie hatte es ihm brühwarm erzählt. Herzlich willkommen in unserem schwulen Heim zu unserer schwulen Weihnacht, Schwiegerpapi… Justin hatte sich neben ihn gepflanzt, hielt aber, in Anbetracht der Gästeliste, diskret Abstand. Das würde denen so passen. Das hier war sein Zuhause, seine Familie, sein Mann. Er schlang den Arm um ihn und zog ihn heran. Justin stockte kurz, dann ließ er es geschehen. Brian lehnte seinen Kopf gegen Justins und begann beiläufig seinen Oberarm zu streicheln. Seine Mutter biss sich ins Innere der Wange, als sie es bemerkte. Das ist gar nichts, Muttilein, dachte Brian und beugte sich herab. Er küsste den überraschten Justin auf den Mund, nicht ohne die Zuge ein kleines bisschen ins Spiel zu bringen. Glaubt ja nicht, dass wir uns darauf beschränken, Händchen zu halten und über Kunst zu diskutieren. Schaut nur genau hin, wir sind keine asexuellen Witzfiguren wie dein Queer Guy, Emmet. Und, Mama, du darfst es dir gerne plastisch vorstellen, wie ich Justin über die Sofakante werfe und ficke, bis er um Gnade winselt… Ihre Freunde nahmen die Aktion nicht weiter zur Kenntnis, aber Craig Taylor, der mit Jennifer benachbart saß, hatte es jetzt auch bemerkt. Joan hatte sich abgewandt und konzentrierte sich auf Gus. Immer schön weg gucken, das funktioniert doch immer bestens… Craig riss sich zusammen, obwohl sein Nasenflügel unwillkürlich zu zucken begonnen hatte. Plötzlich schlangen sich von hinten Arme um sie. Michael sagte mit geweiteten Pupillen und einem glückseligen Lächeln auf dem Gesicht: „Das ist ja wie in den guten alten Zeiten! Was hast du damals noch zu Justin gesagt, als du ihn das erste Mal abgeschleppt hast? Ich zitiere: ‚Ich werde dich ficken, die ganze Nacht nur ficken!‘ Und Mannomann, das scheinst du ja auch ziemlich gründlich erledigt zu haben, du fickst ihn immer noch! Oder er dich. Wieauchimmer.“ Er hatte nicht allzu laut gesprochen, aber für die näher sitzenden durchaus verständlich. Sie fuhren auseinander. Craig sprang auf und raste Richtung Küche. Justin und Brian starrten sich an, dann kam auch Justin auf die Füße und rannte hinter seinem Vater her. Brian fasste nach hinten und hielt Michaels Kopf. Michael kicherte immer noch. „Du hast die Kekse gefressen“, stellte Brian fest. „Nur einen!“ protestierte Michael. Brian seufzte. „Na dann ist ja alles gut.“ ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. „Papa?“ Craig hatte die Kühlschranktür aufgerissen und musterte den Inhalt planlos: „Ich brauch einen Drink!“ „Moment, die harten Sachen sind hier. Whiskey?“ „Iren-Gesöff? Nehme ich.“ Justin goss ein und reichte seinem Vater ein reichlich gefülltes Glas, das dieser sofort ansetzte. „Das… das hat er gesagt zu dir? Als du siebzehn warst?! Dass er dich die ganze Nacht nur ficken wolle?!!“ stieß Craig hervor. „Tja, wie soll ich’s sagen. Ich wollte die ganze Nacht nur gefickt werden. Und Brian bricht nie ein Versprechen.“ „Du warst minderjährig!“ „Ich war notgeil.“ „Was?!“ „Ich war siebzehn! Ich hatte noch nie Sex! Und da war plötzlich dieser wunderschöne Mann, der mich wollte! Was glaubst du wohl, wie das war?“ „Er hat dich aufgegabelt und gefickt?! Das war alles, was du wolltest?!“ „Nein, aber den Rest habe ich ja schließlich auch gekriegt. Aber in dem Moment… ja! Ich wollte, dass er mich fickt! Die ganze Nacht! Und er hat es getan! Und es war unglaublich!“ Craig ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. „Und jetzt fickt ihr euch gegenseitig oder was? Ich verstehe dich einfach nicht“, sagte er niedergeschlagen. Justin setzte sich neben ihn: „Das musst du auch nicht. Was Brian und mich verbindet… ist viel mehr als bloß Ficken. Ich liebe ihn. Über alles. Und er liebt mich. Er ist mein Mann. Es war ein langer Weg. Aber wir sind eine Familie mit Gus.“ Craig schloss gequält die Augen: „Ja, Liebe ist niemals einfach, nicht wahr.“ Justin lachte herb auf: „Nein, wohl nicht. Bist du wieder scharf auf Mama?“ „Wie kommst du darauf?“ fuhr Craig auf. „Ich bin weder blind noch taub – noch doof.“ „Ich weiß es nicht. Du sagst, du hast jetzt eine Familie. Hast du eine Vorstellung davon, wie es ist, wenn die plötzlich weg ist?“ „Dank dir – ja.“ „Ich habe versucht zu vergessen. Neu anzufangen. Es hat nicht geklappt.“ „Ja, das Leben kann echt scheiße sein“, versetzte Justin erbarmungslos. Er sah sich um. Sein Blick fiel auf das Tablett mit den Keksen. Etwas Süßes wäre jetzt wirklich nicht schlecht. Er krabbelte hinauf und zog die Platte aus dem Regal. Debbies Schokokekse. Ein Geschenk des Himmels. Er trat vor seinen Vater: „Probier Mal, die sind echt super.“ Dankbar griff Craig zu. Immerhin redete Justin nach wie vor mit ihm. …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Jennifer stand auf, um sich dezent in Richtung Toilette zu entfernen. Als sie in die Eingangshalle trat, öffnete sich die Küchentür und Craig kam ihr entgegen. Sein Blick war irgendwie seltsam. Sie lief quer durch den Raum, er blieb direkt vor ihr stehen. „Schau mal, Jenn“, sagte er grinsend. Seine Pupillen waren geweitet. „Ein Mistelzweig!“ Ehe sie sich versehen hatte, hatte er seine Arme um sie geschlungen. Ihr Körper reagierte, ohne dass sie ihn hätte stoppen können. Craigs Lippen lagen auf ihren, sie war nach hinten durch gebeugt in seiner Umarmung, und er küsste sie wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Sie wurde durch die Zeit geschleudert, in ihr drehte sich alles. Craig… Scheiße, was ging hier vor? War er… stoned? Sah so aus. Was…? Ihr Verstand registrierte, dass ihre Zunge gegen die seine drückte, sie umschlang, ihre Hände sich in sein Haar gruben… Sie standen im Studentenwohnheim, draußen hatte es begonnen zu schneien, die ganze Nacht lag vor ihnen… Scheiße… ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Brian trat durch die Tür, um der liebreizenden Aufforderung seiner Mutter nachzukommen, für Gus doch bitte noch einen Kakao zu zubereiten. Und wenn er schon mal dabei war, könnte er ihr noch ein Mineralwasser mit Eis und Zitrone besorgen. Super, jetzt fühlte er sich wieder präpubertär. Ganz offensichtlich ganz im Gegensatz von Mami und Papi Taylor. Jennifer hing an der Wand, ganz undamenhaft die Schenkel um ihren Exmann geklammert, der keuchend seine Zunge anscheinend gar nicht tief genug in ihrem Mund versenken konnte. Und Brian wollte gar nicht wissen, wo seine Hände sich gerade befanden. Hetensex in seinem Flur, igitt. Jennifer hatte auch schon bessere Auftritte hingelegt. Aber wenn sie scharf auf ihren Ex war – nicht sein Bier. Oder…? Wenn Justin deswegen im Dreieck springen sollte, wahrscheinlich unfreiwillig schon. Er seufzte tief, dann räusperte er sich. Die beiden fuhren ertappt auf. Ohne auch nur eine Miene zu verziehen sagte er: „Das Gästezimmer ist oben, links, erste Tür links.“ Die beiden waren knallrot im Gesicht. Brian musterte sie. Craigs Gesicht glänzte, seine Augen sahen nicht gerade normal aus. Scheiße… die Drecks-Kekse. Wenn Justin jetzt noch ein Geschwisterchen bekommen sollte, war es wahrscheinlich seine Schuld, dachte er, als die beiden sich fluchtartig entfernten. Er war sich nicht sicher, ob die Welt noch einen Taylor verkraften würde. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Jennifer war mittlerweile alles egal. Es war nur Sex. Craig war platt, und sie war… Fast wie früher. Es war eine Scheißidee. Aber sie wollte es, sie hatte schließlich auch ein verdammtes Recht darauf! Sie konnte wild sein, ohne Reue! Sie waren schließlich erwachsene Leute. Sie schubste ihren Ex-Mann aufs Bett und sprang auf ihn, während er ihren Namen stöhnte. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Brian suchte mit den Augen die Küche ab, dann erspähte er ihn. Justin saß, den Kopf zurück gelegt auf dem Boden, an die Kücheninsel gelehnt, das Kekstablett auf dem Schoß. Er lächelte selig und knabberte genussvoll an einem weiteren Gebäckstück. „Her mit den Keksen!“ befahl Brian, bückte sich und zerrte an der Platte. Justin hielt fest. „Du willst doch eh keinen Keks. Alles meiiiins!“ „Auf gar keinen Fall, du bekifftes Stück!“ „Ich hab‘ doch gar nicht gekifft. Nur ein paar Keksis…“ „Wie viele?!“ „Ich bin nicht dick!“ „Nein, bist du nicht. Du bist gertenschlank, superknackig und sexy wie die Hölle. Wie viele?!“ „Weiß nicht“, schniefte Justin, „sieben… oder acht?“ Ach du Scheiße. „Wie viele hat dein Vater gegessen?“ „Nicht so viele. Weiß nicht. Vier?“ Auch nicht gut. „Und du hattest acht?“ „Oder neun… lecker…“ „Justin. Das waren Haschkekse.“ „Echt?“ Justin begann haltlos zu kichern. „Geht’s dir gut?“ fragte Brian besorgt. „Mir geht’s suuuuuuuper!“ „Na, das freut mich.“ Klasse. Sie hatten das Haus voller Leute, die Taylors fickten vermutlich in ihrem Gästezimmer in Gedenken an alte Zeiten, und Sohnemann hatte sich weit von den Sphären entfernt, in denen er noch zurechnungsfähig gewesen wäre. So konnte er Justin auf niemanden mehr los lassen. „Justin?“ „Briaaaan???“ „Du schiebst jetzt ab ins Bett!“ „Neieieien! Ich bin noch nicht müde!“ Himmel, das war ja schlimmer als mit Gus. Debbie sei verflucht. „Dooooooch! Du bist völlig stoned! Du trollst dich besser, oder ich stecke dich wieder in einen Sack!“ „Das war geil!“ stellte Justin klar und bekam einen Schluckauf. „Ja, war es. Wenn auch auf eine ziemlich abgefahrene Art und Weise, muss ich sagen. Was kommt nächstes Jahr? Gibst du dann den Rudolph? Das würde mich dann endgültig in ein äußerst schlechtes Licht rücken.“ Justin begann zu lachen. Dann sagte er augenklappernd : „Ich mach dir alles, was du willst.“ Brian musste schlucken. Daran kein Zweifel. Er beugte sich herab und zwang Justin auf die Füße. Justin schlang die Arme um ihn und drückte die Lippen gegen seinen Hals. Ohne dass er es hätte kontrollieren können, schoss ein kleiner Schauder durch seinen Körper. Er biss die Zähne zusammen. „Komm, sei ein braver Junge und verpiss dich in die Heia“, lockte er. „Und was ist“, fragte Justin mit einem schiefen Blick durch die Wimpern, „wenn ich kein braver Junge sein will? Wenn ich… unartig war?“ „Lass das!“ forderte Brian, allmählich leicht verzweifelt. „Wieso denn?“ gurrte Justin in seinen Armen. „Du magst es doch, wenn ich ein böööööser Junge bin. Vielleicht solltest du mich bestrafen?“ „Sollte ich vielleicht, aber nicht so, wie du denkst! Hör endlich auf mit deinen masochistischen Fantasien, zumindest solange wir hier die Bude voll haben!“ „Ach ja. Wo ist eigentlich mein Vater hin? Wir hatten ein ziemlich gutes Gespräch. Ich glaube, er mag Mama immer noch oder wieder oder so.“ Ja, dachte Brian, die beiden schändeten wahrscheinlich gerade die Unschuld ihres schwulen Hausstandes. „Okaaaaaay“, sagte Justin schließlich. „Ich verzieh mich. Aber das ist doch sehr, sehr unhöflich, oder?“ „Ich sehe da nicht so die Alternativen. Ich finde schon eine Ausrede. Also Abmarsch.“ „Jaja, aber vorher habe ich noch Hunger.“ „Die Kekse sind für dich gestorben!“ „Worauf habe ich Bock? Wurst? Käse? Wurst? Käse? Moment.“ Er riss dich Kühlschranktür auf. Brian hörte, wie hinter ihnen die Küchentür aufging. „Justin, komm!“ sagte er nervös. „Brian, solange dauert doch kein Kakao! Und was ist meinem Wasser?“ ließ Joan verlauten. „Es geht ihm nicht so gut… Justin, komm!!!“ „Herrgott, mach doch nicht so einen Terror! Und wie heißt es so schön: Bevor ich dich beglücke, Puppe, brauch ich erst ne Nudelsuppe!“ Joans Mund öffnete sich und sah nicht aus, als würde er sich in naher Zukunft wieder schließen. Brian hatte seine Mutter noch nie derart fassungslos gesehen. Ein Teil von ihm wollte in Panik verfallen. Aber der andere Teil siegte. Er begann zu lachen. „Wie redet der denn mit dir!“ brachte Joan hervor. Brian bekam fast keine Luft mehr. „Sonnenschein“, japste er, „du bist echt unbezahlbar!“ „Ich weiß“, lächelte Justin stolz, während er hemmungslos mit einem Wurstzipfel Schmelzkäse in sich hinein schaufelte. „Oh, hallo, Mrs. Kinney. Wollen Sie einen Keks?“ „Nein danke“, sagte Joan in ihrem üblichen Tonfall. „Okidoki“, sagte Justin, trat zu Brian und gab ihm einen feuchten Kuss auf die Lippen. „Gute Nacht!“ schloss er, winkte heiter und torkelte hinaus. „Was“, begann Joan, „War. Das. Denn.“ Sollte er lügen? Nein. „Jemand hat eine Ladung Haschkekse mit gebracht. Justin wusste das nicht und hat sie aufgefuttert.“ „Ihr konsumiert Drogen?“ Genaugenommen ja – obwohl in letzter Zeit nicht mehr. Wie sollte man stoned auf Gus aufpassen? „Das war ein Unfall.“ „Oh, die Kekse sind einfach vom Himmel unvermutet auf den armen Jungen gefallen?“ „So ungefähr. Er ist unschuldig. Er weiß nicht, was er gerade tut.“ „Wer? Hat? die Dinger angeschleppt? Gus könnte…?“ „Nein! Ich habe aufgepasst!“ „Das hat man bemerkt! Du duldest sowas in deinem Haus?!“ Brian malmte mit den Kiefer: „Gus bekommt von uns keine Drogen. Und wir hopsen auch nicht vollgedröhnt vor ihm rum, falls das deine Sorge sein sollte!“ „Aber ihr nehmt Drogen?“ „Nein. Schon lange nicht mehr.“ „Aber ihr habt?“ „Ja. Ab und an Discodrogen, Hasch.“ „Alkohol und Drogen… Wolltest du deinem Vater nachfolgen?! Das geht nicht. Nicht mit Gus.“ „Ich weiß! Das ist Vergangenheit!“ Joan musterte ihn tief: „Du bist ziemlich tief gefallen.“ Brian lachte bitter auf: „Mag sein. In deinen Augen. Und tu gefälligst nicht so als habest du da eine blütenweiße Weste! Aber darauf pfeife ich. Damals war damals und Jetzt ist Jetzt.“ „Du tust das Gus nicht an…?“ „Wie süß, die besorgte Oma! Nein! Wir tun Gus gar nichts an! Wir würden alles, alles für ihn tun!“ „Du liebst ihn?“ „Gus? Natürlich!“ „Nein. Das weiß ich. Ich meine Justin.“ „Ja!“ „Warum?“ „Warum, warum, warum! Nicht alles hat einen logischen Grund!“ „Ist es, weil er… niedlich ist? Blond?“ „Nein.“ „Was siehst du ihn ihm?“ „Was interessiert dich das? Und was geht dich das an?“ „Nichts. Aber ich will es wissen.“ Brian kniff die Augen zusammen. Dann sagte er: „Das ist ein Fehler, glaube mir. Liebe lässt sich nicht erklären. Und wenn doch, dann sollte man weghören. Es würde alles zerstören, analytisch, kalt machen. Die einzige Antwort darauf kann nur subjektiv sein und niemals erschöpfend. Ich weiß nicht, was eher da war, das Huhn oder das Ei. Ich habe keine Ahnung, ob ich mich in ihn… verliebt habe, weil er so ist, wie ich ihn sehe, oder ob ich ihn so sehe, weil ich in für ihn empfinde, wie ich empfinde. Ich weiß es einfach nicht. Aber, Mutter“, sagte er und sah sie an, „wie und warum auch immer. Ich liebe ihn. Und er gibt mir… alles. Er ist alles. Er hat mir alles gegeben. Mein Zuhause. Meine Familie. Meine Freiheit. Ganz abgesehen von meinem Wohlstand, meiner geistigen Gesundheit und meinem Leben.“ Joan schwieg angespannt. Dann fragte sie: „Und was ist mit mir? Mit Claire? John und Jack?“ „Mit euch bin ich durch Geburt verbunden. Mit Justin und Gus durch Glück . Wie würdest du dich im Zweifelsfall entscheiden?“ „Wir sind auch deine Familie.“ „Weil ihr müsst. Nicht, weil ihr – oder ich – das wolltet.“ Joan schaute ihn an: „Vielleicht geht es auch… mit wollen?“ Brian starrte zurück. „Du hast mich nie gewollt.“ „Das ist nicht wahr. Ich wollte dich. Ich konnte nur nicht…“ „Ja, das Thema hatten wir schon“, wandte sich Brian ab. Joan ließ ihren Blick über die Rückseite ihres Sohns gleiten. Hochgewachsen, breitschultrig und männlich. Da war nichts Verweichlichtes an ihm, nichts Schwaches. Und vielleicht auch… nichts Böses. Sie räusperte sich. „Ich kann deine Ehe nicht anerkennen“, sagte sie. „Das ist mir – mit Verlaub – scheißegal“, erwiderte Brian. „Aber ich kann“, fuhr sie unbeirrt fort, „akzeptieren, dass du glücklich zu sein scheinst.“ Brian lenkte den Blick seiner undefinierbaren Augen auf sie: „Ich bin gerührt. Sprich gefälligst Klartext!“ „Wenn du mit diesem jungen Mann… zusammen sein willst, egal wie… merkwürdig das sein mag… dann mach das. Justin… liebt Gus. Und Gus liebt ihn. Es ist wichtig, für Gus.“ „Und für mich“, versetzte Brian. „Und für dich“ bestätigte sie widerwillig. „Du… küsst ihn, habe ich vorhin gesehen?“ Brian sah sie aus großen Augen an, dann begann er zu lachen: „Was glaubst du wohl? Sehe ich aus wie ein Teenager, dem ein paar Kuscheleinheiten genügen? Im Mondschein verschämt Händchenhalten? Natürlich küsse ich ihn! Und nicht nur auf die Lippen!“ Joan krampfte sich zusammen. „Aber nicht vor Gus!?“ entfuhr ihr. „Falls du fragen möchtest, ob wir vor Gus Nase rumficken, fasse ich das als eine üble Beleidigung auf. Und falls du fragen möchtest, ob wir auf Teufel komm raus darauf achten, dass Gus bloß nicht mitbekommt, dass wir mehr sind als nette Kumpels, dann hast du dich gleichfalls geschnitten.“ „Das könnte… verstörend für Gus sein.“ „Verstörend?“ fragte Brian mit gefährlich leiser Stimme. „Er lernt nicht, wie es ist, normal zu sein.“ Brian fuhr herum: „Normal? So normal wie du und Vater? Da bin ich lieber ganz und gar nicht normal! Aber falls es dich beruhigt: Wir sehen uns als „normal“ an.“ „Aber das ist es nicht…“ „Doch, das ist es! Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Schluck es oder nicht. Und falls nicht, weißt du ja, wo der Ausgang ist.“ Brian stieß sich vom Küchentresen ab und verließ die Küche, ohne sie auch noch nur einmal anzuschauen. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Die Stimmung im Wohnzimmer war heiter und ausgelassen, als Brian wieder eintrat. Die Petersons hatten Gus mit einer weiteren Ladung Geschenken übergossen und plauderten jetzt mit Ben. Michael saß auf dem Boden und verfolgte leise vor sich hin glucksend den Lauf der Spielzeugeisenbahn. Er spürte, wie Joan hinter ihm fast geräuschlos durch die Tür kam. Molly kam auf ihn zugesprungen. „Hast du meine Eltern oder Justin gesehen?“ fragte sie wohlgelaunt. „Justin hat… eine Magenverstimmung. Und deine Eltern… reden oder so…“ „Was? Hat mein Bruder es doch noch hinbekommen, sich zu überfressen? Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist! Und Mama und Papa…?“ Brian zwang sich zu einem Lächeln: „Die kommen bestimmt gleich wieder. Wollten sich was im Haus anschauen, glaube ich. Und Justin… Ich glaube, ich schaue Mal nach ihm.“ Debbie lächelte ihn strahlend an, als er auf sie zutrat. Sie thronte in der Mitte des Sofas und sah aus wie die König von Saba nach dem Genuss von zwanzig Sahnetorten. Der Punsch schien ihre Stimmung noch weiter verbessert zu haben. „Brian!“ lachte sie. „Eine wunderschöne Feier! Ich bin so froh für dich! Für euch! Wo ist denn dein Gatte überhaupt, habe ihn schon länger nicht mehr gesehen?“ Sie spähte um ihn herum. Brian verzog den Mund zu einem aufgesetzten Lächeln: „Ach weißt du, dem ist ein bisschen flau geworden, nachdem er zusammen mit seinem Papa von deinen Keksen genascht hat. Herzlichen Dank dafür noch mal!“ Debbie fuhr sich erschrocken mit der Hand vor dem Mund: „Du… du hast sie nicht in Sicherheit gebracht?“ Sie stand auf. „Wie sicher können Schokoladenkekse in Reichweite von Justin und weiteren Taylors sein?“ fragte Brian, während Debbie ihm in den Flur folgte. „Du hättest es ihm sagen müssen!“ „Bin ich leider nicht zu gekommen, weil so ein Ärgernis namens Besuch mein Wohnzimmer geflutet hat. Und dann ist wohl dein kluger Sohn auf die Idee gekommen, mal einen zu naschen, und hat die Abdeckung nicht wieder drüber gezogen.“ „Scheiße, Brian… Alles in Ordnung…?“ „Eine sehr gute Frage! Justin ist hackedicht und hat sich auf mein Anraten aus dem Verkehr gezogen, nicht ohne zuvor meiner Mutter ein paar interessante Einsichten zu vermitteln. Und Craig Taylor spielt in unserem Gästezimmer Höhlenmensch mit seiner Ex-Frau.“ „Aber Jenn würde doch nie…!“ „Das sah für mich aber anders aus! Schau mich bitte nicht so an, in Hinblick auf die Bedürfnisse von Frauen in den Mittleren Jahren bin ich nun wirklich nicht der richtige Ansprechpartner! Ich muss jetzt erst mal ein Auge auf Justin werfen, der hat neun von den Dingern intus, das kann auch daneben gehen. Du, als große Bäckermeisterin, könntest ja derweil hübsch auf unsere süße kleine Familienparty aufpassen. Dass jeder zu essen hat und zu trinken und in einem Blubberbad voll Festtagsstimmung untergeht… und keiner auf die Idee kommt, in den ersten Stock hoch zu laufen – Gus inbegriffen – denn dort befindet sich leider der größte Teil der Familie Taylor in unterschiedlichen Formen und Stadien der Enthemmung!“ „Mache ich Brian“, versprach Debbie. „Und… es tut mir leid…“ „Schon gut. War schließlich mein Dope. Ich hätte es selber wegschmeißen sollen und nicht dir unterjubeln.“ „Dennoch – das mit den Keksen war wirklich blöd von mir.“ „Erinnerung an deine heißen Jugendsünden? Ach Debb…“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Er konnte ihr nicht wirklich böse sein. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Justin lag bäuchlings auf dem Bett. Er hatte anscheinend versucht, sich aus seinen Sachen zu strampeln, hatte aber anscheinend auf halbem Wege aufgegeben. Sein hoch gezogenes Hemd entblößte den Oberkörper, seine Hose war um seinen linken Fußknöchel verheddert. Er hatte sich ein Kissen über den Kopf gezogen, das er mit beiden Armen festklammerte. Brian setzte sich neben ihn auf die Bettkante und fasste ihn an der Schulter, um ihn herum zu drehen. Justin zuckte und murmelte: „Das war’s. Ich werde nie wieder einen hoch bekommen!“ Er vergrub sich noch tiefer in die Bettwäsche. „Was verleitet dich denn zu dieser Annahme?“ fragte Brian in möglichst ruhigem Tonfall. „Scheiß Drogen. Ich bin auf nem Horror-Trip oder so. Ich habe mir eingebildet, dass ich Geräusche aus dem Gästezimmer gehört habe. Und als ich rein geschaut habe, waren da meine Eltern. Und sie haben… Ich bin erledigt. Ich werde nie wieder Bock auf Sex haben.“ „Ach, Justin“, sagte Brian und legte sich neben ihm lang. „Das ist doch Blödsinn. Komm her, du Haubitze.“ Justin spähte aus riesigen Pupillen unter dem Kissen heraus an. Brian entschied, dass es nicht der günstigste Augenblick war, Justin zu offenbaren, dass seine Sinne ihm wahrscheinlich keinesfalls etwas vorgegaukelt hatten. Justin wand sich zu ihm hinüber und schlang die Arme um ihn. „Du riechst so gut“, murmelte er an Brians Brust. „Was?“ fragte Brian amüsiert. „Ja…“, flüsterte Justin weiter und versenkte die Nase tiefer in seinem Oberteil, „wie… Kirschen… und Erdbeeren… und Holunder… und Apfelsinen…“ „Ich rieche wie ein Obstsalat?“ „So gut“, murmelte Justin und klammerte sich fest, „nicht nach fremden Typen. Nur nach dir. Lecker…“ „Jetzt bekomme ich allmählich Angst. Frisst du mich jetzt auf?“ „Vielleicht, ein bisschen…“ erwiderte Justin und biss durch die Kleidungsstücke leicht in Brians rechte Brustwarze. „Hey“, sagte Brian lächelnd, „lass das, du hast schließlich dem Sex abgeschworen! Und ich muss wieder runter, wir haben die Bude voll, schon vergessen?“ „Nöööö, aber vielleicht… ein kleines bisschen….? Nur um zu sehen, ob’s noch funktioniert?“ gurrte Justin und rieb sich an ihm. „Ich bin versucht“, antwortete Brian wahrheitsgemäß. „Aber hier steht schon genug Kopf, ohne dass uns jetzt noch jemand beim Ficken erwischt.“ „Das hat dich doch früher auch nicht irritiert“, surrte Justin und leckte seinen Hals. Eine Gänsehaut machte sich auf Brians rechter Körperseite breit. „Nein, aber irgendjemand muss diesen Flohzirkus hier ja einigermaßen unter Kontrolle behalten. Und du bist da im Moment nicht so der Geeignetste.“ Fast gewaltsam rappelte Brian sich auf. Justin schaute ihm mit glasigen Augen nach und breitete sich einladend auf dem Laken aus. Ein Teil von Brian plädierte dafür, sich ohne Sinn und Verstand auf ihn zu werfen und ihn durch die Matratze zu rammen. Und das Bett. Und den Boden. Und damit mitten in der Festtagsgesellschaft im Wohnzimmer zu landen. „Du bist jetzt erst einmal ein braves Drogenopfer und bleibst schön in diesem Zimmerchen. Aber ich verspreche dir, dass ich gerne auf das von dir angeschnittene Thema zurück kommen werde, sobald hier wieder Ruhe herrscht.“ „Vielleicht habe ich ja dann keinen Bock mehr. Vielleicht habe ich bis dahin ein Trauma – wegen meinen Eltern und so…“ „Das glaube ich eher nicht. Du ziehst dir jetzt wieder was über, und ich schicke dir Daphne rauf, die auf dich aufpasst.“ „Sehe ich aus wie drei?“ fragte Justin und ließ die Finger über seinen Körper gleiten. Brian schloss die Augen. „Tendenziell eher nicht. Mit der Nummer würdest du jedenfalls aus jedem Kindergarten fliegen. Bis später, du Haschkeks!“ verabschiedete er sich und sah zu, dass er Land gewann. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Jennifer lag keuchend auf der weichen Überdecke im Gästezimmer. Ihr Körper bedankte sich jubelnd bei ihr. Ihr Geist riet ihr, sich postwendend im nächsten Erdloch zu verkriechen und nie wieder daraus hervor zu kommen. Was zur Hölle war in sie gefahren? „Jenn…“, murmelte Craig neben ihr. „Sag nichts!“ schnitt sie ihn ab und erhob sich, ihre Kleidung an sich raffend. „Es ist nun mal passiert“, fuhr sie fort. „Wir sind erwachsen, es ist mit uns durchgegangen. Aber wir können damit umgehen, verstehst du?“ Craig hielt sein Gesicht in den Händen verborgen. „Ja, wahrscheinlich“, presste er nach einer kurzen Pause heraus. Jennifer schlüpfte in ihre Pumps und straffte das Kinn, dann trat sie auf den Flur. „Hallo…. Jennifer. Hat dir unser Gästezimmer gefallen?“ grinste Brian, der aus seinem und Justins Schlafzimmer kommend auf die Treppe zusteuerte. In Momenten wie diesen wünschte sie sich einen verklemmteren Schwiegersohn, der nicht ungeniert den Finger auf den Kern der Sache legen würde. Brian war auf seine Weise diskret, er würde nicht damit hausieren gehen. Aber diese Weise war auch recht speziell. „Du sagst Justin bitte nichts?“ bat sie ihn. „Was ist denn heute bloß los, dass mir alle ihre Geheimnisse anvertrauen? Sehe ich aus wie der Beichtvater der Nation? Aber da kommst du leider zu spät, dein geliebter Sprössling hat euch nämlich leider gesehen, als ihr bei der… Besichtigung ein wenig laut geworden seid.“ „Oh Gott, Brian, sag dass das nicht wahr ist!“ entfuhr Jennifer entsetzt. „Der Himmel wollte, dass Justin sogar noch breiter ist als sein Herr Papa. Er denkt, er hätte sich das eingebildet. Deine Sache, ob du das richtig stellst oder den Mantel der Schamhaftigkeit darüber wirfst.“ Jennifer wusste, dass sie rot war: „Was soll das heißen? Justin ist… breit?“ „Vollgedröhnt wie tausend Rinder vor der Schlachtung. Er und dein Ex-Gatte, zu dem du ja eine ausgesprochen distanzierte Beziehung pflegst, haben unwissentlich Debbies Haschkekse aufgefressen – und Justin hat es dabei noch übler erwischt als seinen Papa.“ „Was? Craig war…?“ „Ich würde nicht darauf spekulieren, dass er auch denkt, dass er es sich nur eingebildet hat. Aber wie auch immer – das ist eure Angelegenheit.“ „Und Justin…?“ „Dem geht es, den Umständen entsprechend, gut. Aber auf die Menschheit sollte man ihn vielleicht jetzt nicht gerade los lassen. Ich wollte ihm Daphne als Babysitter zur Seite stellen, solange wir da unten in Friede, Freude, Eierkuchen das Fest der Liebe fertig zelebrieren. Du hast deinen Beitrag ja eigentlich schon geleistet, aber möchtest du vielleicht noch was – eine Zigarette vielleicht?“ Jennifer schloss gequält die Augen. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. „Justin?“ „Jaaaa….? Hallo Daphne…“ Justin lag, leidlich bekleidet, rücklings auf dem Bett und beobachtete die Maserung der Decke. „Alles okay mit dir?“ „Ich hatte neun Haschkekse.“ „Aber du lebst noch?“ „Jaaaa…“ Daphne setzte sich grinsend neben ihn. Justin sah völlig bekifft aus, sein Haar stand in alle Richtungen ab und er wackelte sinnlos mit den Zehen. „Du sagst Bescheid, wenn es dir schlecht geht?“ fragte sie. „Vielleicht… Vielleicht kotze ich dann aber doch lieber ohne Warnung auf deinen Pullover, der ist nämlich voll hässlich.“ „Danke, Herr Modeberater. Aber das hat schon Gründe, warum ich den trage“, erwiderte sie und griff nach seiner Hand. „Was denn für Gründe? Du willst den Preis für das beschissenste Outfit gewinnen? Oder willst du dir neuerdings einen reichen Spießer-Gatten angeln, der auf gediegenen Sackpullover-Chic steht? Da bist du hier aber an der falschen Adresse.“ „Ich bin schwanger“, sagte sie unvermutet. Justin begann zu kichern. „Quatsch!“ „Ich bin schwanger“, wiederholte sie noch einmal sehr langsam. Justin steigerte sich in einen Lachkrampf hinein. Er wandte sich ihr zu: „Was echt jetzt?“ „Ja. Echt jetzt.“ „Du bist aber noch gar nicht so fett.“ „Charmant. Ich bin im vierten Monat. Das kommt noch.“ „Ich dachte bei dir sei tote Hose gewesen? Wen hast du gefickt?“ Daphne musterte ihn abschätzig. „Komm, sag schon! Wen hast du ge-fi-ickt? Oder war’s ne Windbestäubung?“ „Kann ich dir jetzt noch nicht sagen.“ „Wie jetzt? Papas Namen vergessen? Habt ihr Heten noch nie was von Safer Sex gehört?“ Daphne rollte die Augen: „Doch, durchaus. Aber es gibt keine Garantien im Leben.“ Justin rollte sich auf der Seite zusammen, immer noch von kurzen sinnlosen Lachkrämpfen geschüttelt. „Brauchst du Hilfe?“ „Ich melde mich.“ …………………………………………………………………………………………………………………………………………………….. Craig starrte noch immer die Zimmerdecke an. Er konnte sich nicht regen. Er fühlte sich benebelt, ihm war ein wenig schlecht. Er und Jenn hatten… Oh Gott! Und sie war so… wild gewesen. Und ihre Worte… Er fühlte sich irgendwie benutzt. Wer war diese Frau? …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… „Du hast deine Meerschweinchen nach uns benannt?“ fragte Emmet lächelnd Gus. Der kleine Junge lächelte strahlend und nickte. „Das ist aber lieb! Nicht wahr Ted?“ „Ja, total. Jeder von uns sollte so liebenswürdig sein, mich eingeschlossen! Ich spiele mit dem Gedanken, mir eine Bisamratte zum Kuscheln anzuschaffen. Und die nenne ich dann Brian.“ ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Craig schlich die Treppe hinunter. Er fühlte sich jetzt etwas klarer. Was war mit ihm los gewesen? Hatte der Alkohol auf seine Medikamente gewirkt, die er wegen eines sich androhenden Blasensteins nehmen musste? Erleichtert stellte er fest, dass sich Jennifer gerade nicht im Wohnzimmer befand. Er trat auf Brian zu, der seinen kleinen Sohn auf der Hüfte trug und mit Emmet Honeycutt und diesem Schmidt plauderte. Er räusperte sich: „Ich bedanke mich noch einmal für die Einladung und den schönen Abend, aber ich befürchte, ich muss mich jetzt verabschieden. Ich würde mir gern ein Taxi rufen…“ „Selbstverständlich!“ erwiderte Brian. „Und es freut mich sehr, dass sie sich in unserem Zuhause gut haben amüsieren können. Justin ist leider gerade… indisponiert.“ Craig erstarrte innerlich. Oh Gott, Brian hatte das ja vorhin mitbekommen. Würde er jetzt… und Jenn? Er errötete, während Brian ihn in die Eingangshalle begleitete. „Sie…“, begann er. „Ich – gar nichts. Das ist ihre Sache. Nicht meine. Oder Justins.“ Craig kniff erleichtert die Lippen zusammen, während der größere Mann sich abwandte, um ihm ein Taxi zu bestellen. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Erschöpft schloss Brian die Tür zum Schlafzimmer. Es war gerade mal kurz nach Mitternacht, aber er hatte das Gefühl, dass es mindestens vierundzwanzig Stunden später sein müsse. Weihnachten war vorbei. Der letzte Gast hatte Land gewonnen. Geschafft. Justin lag leise schnarchend auf der Bettdecke und kurierte sich aus. Er hielt Gus‘ Stoffmeerschweinchen, Mr. George, in der Hand, das Gus heute Morgen hier vergessen hatte. Als Brian neben ihn glitt, wachte er halb auf. „War das jetzt eine völlige Katastrophe?“ fragte er mit geschlossenen Lidern. „Nein, nicht wirklich. Hat sich, glaube ich, jeder auf seine Weise amüsiert, wenn auch nicht immer zeitgleich und durchgehend – oder über dasselbe.“ „Tut mir leid“, sagte Justin leise und rollte an ihn heran. „Was? Das mit den Keksen? Dafür konntest du doch nichts“, erwiderte Brian und zog ihn an sich. „Nein… dass ich drauf bestanden habe… das hätte ich nicht tun sollen…“ Brian spürte, wie Justins Haare an seiner Nase kitzelten, und griff hinein: „Quatsch. Keine Entschuldigungen, kein Bedauern, schon vergessen? Du hast mich zu gar nichts gezwungen.“ „Könnte ich auch nicht.“ „Nein, könntest du nicht.“ „Gut“, sagte Justin und sank erneut hinab in tiefen Schlummer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)