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Familienbande

von

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Der Fluch des Hauses Kinney

X. Der Fluch des Hauses Kinney
 

Es klingelte scharf an der Tür des kleinen Reihenhauses. Der Vorgarten war gepflegt. Die Gardinen gebügelt. Die Nachbarschaft war irisch.
 

John öffnete die Tür. Er starrte seinen Onkel an, hochgewachsen, in einem noblen hellbrauen Mantel, der gar nicht in diese Gegend passen wollte, die riesigen wutflackernden Augen auf ihn gerichtet. Aber egal, er war ein Kind, ihm würde man nichts tun.
 

„Mama!“ brüllte er. „Der Perverse ist hier!“
 

„Was?“ brüllte Claire aus dem Obergeschoss zurück.
 

„Onkel Brian, der Kinderficker, ist da!“ schrie John.
 

Brian ignorierte ihn, als sei er ein lästiges Insekt.
 

Claire kam die Treppe hinunter gelaufen. Ihr Haar war strähnig. Sie sah deutlich älter aus, als sie war. „Was willst du denn hier?“ zischte sie ihrem Bruder entgegen.
 

„Du und deine Brut, ihr verzieht euch. Ich will mit Joan reden.“
 

„Du hast hier gar nichts zu sagen! Das ist nicht dein Haus!“
 

Brian schnaufte verächtlich: „Deines aber auch nicht, Schwesterlein.“
 

„Mama, Onkel Brian macht mir Angst“, jammerte John verlogen.
 

Brian spürte sein Herz klopfen. Oh Gott, wie sehr er sie alle hasste. Eine Sekunde bedauerte er, John damals nicht im Klo ertränkt zu haben. Das wäre wenigstens ein sinnvoller Grund gewesen, in den Knast zu wandern. Ein ehrlicher. Aber John war nur ein Kind. Es war zu hoffen, dass er nur ein Spiegel seiner beschissenen Umgebung war, und nicht einfach nur als ein Stück Scheiße geboren worden war.
 

„Verpisst euch!“ zischte er hart.
 

„Du kannst doch nicht einfach…“, erwiderte Claire.
 

„Doch, ich kann. Schnapp dir seine missratene Brut und gewinn Land!“ In Brians Augen loderten Flammen. Claire schauderte. So kannte sie ihren Bruder nicht. Er hatte seiner Wut nie Ausdruck verliehen, solange er zuhause gewohnt hatte. Er war da gewesen… und zugleich auch nicht. Sie selbst hatte sich aus dem Staube gemacht, auf ihre Weise, so rasch sie konnte. Der Lohn stand jetzt vor ihr und raubte ihr Tag für Tag den letzten Nerv. „Komm John. Hol Jack. Wir gehen“, hörte sie sich sagen.
 

„Aber Mama“, protestierte John, seinem Onkel immer noch provozierend in die Augen starrend.
 

Joan trat aus dem Wohnzimmer. Sie stand kerzengerade und blickte Brian grußlos entgegen. Dann sagte sie: „Du hast deine Mutter gehört, John.“
 

John verzog das Gesicht. Er fuhr herum und rannte die Treppe ins Obergeschoss hoch, um seinen jüngeren Bruder zu holen. Seine Mutter mochte sagen, was sie wollte. Aber seiner Großmutter gegenüber wagte er keine Widerworte. Nicht, dass sie ihm jemals etwas getan hätte. Sie drohte nicht, sie überredete nicht, sie gab nur Befehle, die keinen Raum für Weigerungen ließen.
 

Claire wand sich, während Brian und Joan sich mit Blicken maßen. Für sie war sie unsichtbar. War sie immer gewesen. Sie konnte sich vage erinnern, dass das Mal anders gewesen war. Dass ihre Mutter sie im Arm gehalten hatte, sie angelächelt hatte, sie… geliebt hatte. Aber dann war Brian geboren worden. Und von Joans Zuneigung war nichts mehr da gewesen. Es war nicht so, dass sie abgemeldet gewesen war, weil sich nun alles um das neue Baby gedreht hatte. Nein. Brian hatte genauso wenig bekommen wie sie. Aber vom Zeitpunkt seiner Geburt an war ihre Mutter erkaltet. Ihr Vater war anders gewesen. Mal war sie seine Prinzessin, mal überzog er sie mit Flüchen, weil sie sich seines Erachtens nicht wie ein gutes katholisches Mädchen benahm. Hatte sie ja auch nicht. Er hatte nie die Hand gegen sie erhoben, wie er es gegen Brian und Joan getan hatte. Sie hatte ihm immer nachgegeben, hatte geweint, wenn er böse auf sie gewesen war.
 

Joan und Brian hatten keine Träne vergossen. Irgendwann hatten die beiden ihren Vater mit demselben kalten Blick angeschaut und sich nicht gerührt.
 

In der Schule, der Gemeinde, im Sportverein – überall hatte man Claire nur als Brians Schwester gekannt. Brian, das niedlichste Kind mit den hinreißenden Kulleraugen, Brian der mit allem glänzte, das er tat, Brian, mit dem jeder Junge befreundet sein und jedes Mädchen ausgehen wollte. Brian der lächelnd über all dem zu stehen schien.
 

Bis Claire eines Tages den Blick aufgefangen hatte, den Brian auf die Kehrseite seines Fußballtrainers gerichtet hatte, als er sich unbeobachtet wähnte. Ein Blick, den sie in Brians gleichgültigen Augen nie zuvor gesehen hatte. Hungrig. Das war der Moment gewesen, in der ihr ein Licht aufgegangen war. Fast hätte sie gelacht. Brian war schwul. Super-Brian war eine verdammte Tunte. Wie gefällt euch das?
 

Sie hatte nichts gesagt. Ihr Bruder und sie standen sich nicht nahe, niemand stand Brian nahe, außer diesem merkwürdigen kleinen Nerd, Michael, vielleicht. Fickte Brian den? Es war ihr egal. Aber sie wusste, dass die Hölle losbrechen würde, wenn ihre Eltern davon erführen. Sie hätte zwar gut auf Brian verzichten können, aber sie hasste ihn auch nicht, so dass sie ihn nicht verriet.
 

Es hatte Jahre gedauert, bis Joan es heraus bekommen hatte. Brian war längst über alle Berge gewesen und verdiente sich, in sauteuren Designer-Fummeln durch die Gegend stolzierenden, eine goldene Nase. War ja klar gewesen. Aber sie musste immer noch innerlich den Kopf schütteln, wenn sie sich ausmalte, wie ihre Mutter Brian beim Vögeln erwischt haben musste. Diesen kleinen Blonden, der später mit der Polizei hier einmarschiert war, weil John gelogen hatte. Sie schämte sich dafür. Sie hatte es kaum glauben wollen, als ihr Sohn ihr erzählt hatte, dass Brian sich an ihn heran gemacht hatte. Aber wer weiß? Unter der glatten Oberfläche ihres Bruders mochte sonst was schlummern. Und hörte man nicht immer wieder, dass Schwule…? Warum sollte John ihr Märchen auftischen? Aber es war Joan gewesen, die die Polizei gerufen hatte.
 

Das war das erste Mal gewesen, dass Brian ausgerastet war. Er hatte im Flur gestanden und hatte gebrüllt. Aber es war der Junge gewesen, sein Liebhaber oder was auch immer, der ihm den Arsch gerettet hatte. Das war etwas Neues gewesen, dass Brian die Hilfe anderer nötig gehabt hatte. Und dass jemand bereit war, das für ihn zu tun. Niemand von all jenen, die über die Jahre vor Brian bewundernd niedergekniet hatten, hätte, wenn es hart auf hart kam, auch nur einen Finger für ihn gerührt. Sie blieben nur, solange der Zauber wirkte, der Götze keine Schramme abbekam.
 

Der Junge war geblieben. Brian hatte ihn sogar geheiratet, wie’s aussah. Mochten sie treiben, was sie wollten. Ihre Mutter hatte sich fürchterlich aufgeregt, als Brian seinen neuen Familienstand fröhlich in der Zeitung publiziert hatte. Claire schüttelte den Kopf. Das hatte Joan davon, ständig mit diesen Betschwestern rumzuhängen, die „Schande“ bei allem brüllte, das ihnen nicht in ihr vorgestriges Weltbild passte.
 

Die Nachricht, dass Brian obendrein einen sechsjährigen Sohn von irgendeiner Lesbe hatte, den er jetzt aufzog, hatte Joan jedoch irgendwie endgültig den Rest gegeben. Claire konnte sich ihren kalten Bruder beim besten Willen nicht als Vater vorstellen. Und Joan… sie war ruhelos. Ab und an erwähnte sie das Kind. Gus. Dass sie ihn gesehen habe. Dass er Fußball spielen würde, wie früher Brian. Dass er gerne Schokoladeneis esse. Claire hatte sich gefragt, woher ihre Mutter das wusste. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Brian sie sonntags zu Kaffee und Kuchen einlud.
 

Sie warf einen weiteren Blick auf ihren Bruder, der immer noch stocksteif dastand, jede Faser seines Körpers angespannt, in den Augen brannte… Wut? Oder war das schon Hass? Hasste Brian Joan? Er hatte nie eine Andeutung seiner Gefühle seine Mutter betreffend nach außen gelassen. Oder sonst irgendeine Geste, dass auch er mehr fühlen konnte, als es seine Maske aus sanftem Spott, eisiger Gelassenheit und selbstzufriedener Arroganz verriet.
 

John kam mit Jack an der Hand die Treppe wieder hinunter gepoltert. Claire schnappte ihre Jacken aus der Garderobe, zog ihre Kinder mit sich und sah zu, dass sie diesen Ort schleunigst verließen. Weder Brian noch Joan ließen ein Wort des Abschieds fallen.
 

……………………………………………………………………………………………………………………………………………………….
 

Brian löste sich aus seiner Erstarrung. Mit wenigen langen Schritten zog er an seiner Mutter vorbei und betrat das Wohnzimmer. Eine Woge des Ekels durchströmte ihn, als er den vertrauten Raum betrat, in dem die Zeit stillgestanden zu haben schien. Alles war an seinem Platz. Die Kissen aufgeklopft auf dem Sofa. Die Bilder, die ihre Familie zeigten, säuberlich aufgestellt. Joan mit ihm als Baby auf dem Arm. Claire bei ihrem Schulabschluss. Das Hochzeitsbild seiner Eltern. Ja, der Besuch sollte ja nicht auf falsche Ideen kommen, dass etwas nicht perfekt sein könnte im Hause Kinney.
 

Joan trat hinter ihm ein, er konnte es fühlen.
 

„Was willst du?“ fragte sie mit ihrer üblichen harten Stimme.
 

Brian schnaubte auf und fixierte sie: „Ich will, dass du verschwindest. Verschwinde aus meinem Leben. Bleib weg von mir. Von Gus. Von Justin.“
 

„Er ist mein Enkelsohn.“
 

„Na und? Was kümmert es dich? Ich bin dein Sohn, hat das etwa etwas geändert?“
 

„Ich habe dich aufgezogen! Glaubst du etwa, das sei einfach gewesen?!“
 

„Bestimmt nicht: füttern, waschen, gießen… oh nein, letzteres waren ja die Blumen. Aber ist ja auch leicht, das zu verwechseln!“
 

„Was wirfst du mir vor?“
 

Brian lachte bitter auf: „Gar nichts. Darüber dir noch Vorwürfe machen zu wollen, bin ich längst hinaus. Es ist mir inzwischen scheißegal, dass du mich nie geliebt hast. Dass du mich kalt lächelnd ins Gefängnis hättest werfen lassen, für etwas, was ich nie getan habe, einfach nur, weil ich deinen Vorstellungen von der Welt nicht entspreche und daher deines Erachtens zu allem fähig bin! Ich werfe dir gar nichts vor! Ich will nicht einmal über dich nachdenken. Alles, was ich will, ist, dass du auf Nimmerwiedersehen aus meinem Leben verschwindest und meine Familie in Ruhe lässt! Du hast genug getan!“
 

Joan hielt seinen Blick: „Ich habe es versucht, Brian. Und ich habe versagt, das will ich nicht leugnen. Aber es sind nicht meine Gesetze, sondern Gottes. Sag mir nur eins: Ist es meine Schuld? Bist du so geworden… wegen mir?“
 

Brian ließ sich in den Sessel fallen: „Du begreifst es einfach nicht! Es ist niemandes Schuld! Es gibt nichts, dessen jemand schuldig sein könnte. Ich bin schwul. Das ist so. Es ist völlig sinnlos, nach dem warum zu fragen, weil es nichts zu bereuen, nichts zu rechtfertigen gibt! Ich bin wie ich bin. Dein ach so kluger Schöpfer wird sich schon etwas dabei gedacht haben.“
 

„Lästere nicht Gott! Vielleicht hat er es dir geschickt als eine… Prüfung?“
 

„Ist Gott etwas ein High School-Lehrer? Glaubst du wirklich, es sei so einfach? Man muss immer hübsch brav das Richtige tun, dann bekommt man am Ende eine eins und den Schlüssel zum Himmelreich? Kannst du nur das Offensichtliche sehen? Glaubst du, es hat gereicht, mich wie eine Kübelpflanze hoch zu päppeln um als gute Mutter durchgehen zu können? Glaubst du es reicht, dass ich Männer ficke, um zur Hölle zur fahren? Wenn es einen Gott gibt, dann ist er bestimmt nicht derart dämlich!“
 

„Untersteh dich, so über Gott zu reden! Es ist eine Todsünde!“
 

„Sagt wer? Du?“
 

„Die Bibel!“
 

„Sagt die nicht auch, dass der, der ohne Schuld sei, den ersten Stein werfen solle? Dass Jesus den Sündern vergibt? Dass es letztlich Dinge wie Liebe, Vergebung, Mitleid sind, die in Gottes Augen zählen? Ich an deiner Stelle wäre ziemlich vorsichtig, mit dem Finger auf andere zu zeigen.“
 

Joan schluckte. „Bin ich das in deinen Augen, Brian? Lieblos? Erbarmungslos? Hart?“
 

Brian sah ihr ohne mit der Wimper zu zucken in die Augen: „Ja. Schöner hätte ich es auch nicht ausdrücken können. Und herzlichen Dank, dass du dein Bestes gegeben hast, mich genauso werden zu lassen. Es ist dir gut gelungen. Aber damit ist jetzt Schluss.“
 

„Wirklich? Du redest von Vergebung. Von Liebe. Mitleid. Für wen? Für dich selbst?“
 

„Ich soll dir vergeben?“ Brian lachte auf.
 

„Dann wirf du auch nicht den ersten Stein nach mir.“
 

„Wie könnte ich dir vergeben? Dich lieben? Mitleid mit dir haben? Ich habe es versucht. Tausendfach. Du warst meine Mutter. Aber du warst wie ein Eimer ohne Boden. Egal, wie viel ich hinein geworfen habe, nichts blieb. Irgendwann war es genug.“
 

Joan senkte den Blick. „Ich weiß“, sagte sie schließlich, „wenn ich es zugelassen hätte, dann wäre alles…“
 

„…sinnlos gewesen? Was, Mutter, was? Diese Farce, die du als deine Ehe bezeichnet hast? Du hättest das beenden können! Wir leben nicht mehr im Mittelalter! Was diese hohlen Klatschbasen in der Gemeinde dazu gesagt hätten, hätte dir egal sein können! Es gibt eine Welt jenseits ihres Tratsches! Oder hast du ernsthaft geglaubt, dass Gott dich dafür verdammt? Ja, wahrscheinlich schon.“
 

Joan schwieg. Sie trat vor die Fotografien. Ihr Leben. Ihre Familie. Aber nichts davon war echt gewesen.
 

„Es hat begonnen, als du geboren wurdest“, sagte sie schließlich.
 

Brian schloss gequält die Augen: „Warum höre ich mir das eigentlich an? Du sagst mir, es sei meine Schuld, dass du dein Leben verpfuscht hast und dich hinter einem Haufen leerer Regeln verschanzt hast? Wenn ich nicht in Gefahr laufen würde, so zu klingen wie du, würde ich jetzt sagen, dass du dafür zur Hölle fährst.“
 

„Nein. Ich sage nicht, dass es deine Schuld war. Oder ist. Ich sage nur, dass es der Augenblick war, in dem es nicht mehr ging. Er wollte, dass ich dich abtreibe. Er war nicht einmal ins Krankenhaus gekommen, hatte nicht gefragt, ob es dir oder mir gut geht.“
 

„Dir ist klar geworden, dass du ihn hasst?“
 

„Ja.“
 

„Und dennoch bist du geblieben, bis zum bitteren Ende.“
 

„Ja.“
 

„Du hättest gehen können.“
 

„Nein. Vielleicht hätte das jemand anderes gekonnt. Ich nicht. Ich musste bleiben. Aber ich hätte es nicht geschafft, wenn ich den Hass zugelassen hätte. Ich musste durchhalten.“
 

„Deshalb? Du durftest nicht hassen, daher blieb auch kein Raum für Liebe?“
 

„So war es wohl.“
 

Brian schüttelte seinen Kopf: „Es wäre deine Pflicht gewesen. So hast nicht nur du den Preis gezahlt.“
 

„Es ist leicht zu sagen, was andere hätten besser machen können. Jeder Mensch hat Grenzen. Aber ich will mich nicht rechtfertigen. Ich habe versagt.“
 

Brian musterte sie: „Ja. Das hast du. Aber erwarte nicht, dass ich dir darin folge. Es mag dir nicht passen, wen ich liebe und wie ich liebe. Aber ich tue es. Das ist mehr als ich mir dank deiner Erziehung jemals vorstellen konnte. Auch ich hatte Grenzen, die ich alleine nicht überwinden konnte. Und wollte, weil das, was draußen war, mir fremd erschien. Aber ich hatte das Glück, dass mich jemand von der anderen Seite geschnappt und hinüber gezerrt hat. Alleine hätte ich das nicht geschafft.“
 

„Dieser Justin Taylor?“
 

„Justin, ja. Und Gus. Meine Familie. Und meine Freunde.“
 

„Ich hatte niemanden.“
 

„Du hast auch niemanden zugelassen.“
 

„Du doch auch nicht.“
 

Brian seufzte. Er musste daran denken, wie viel Geduld und Mühe es Justin gekostet hatte. Er hatte nicht locker gelassen, gegen jede Logik und Verstand, jahrelang. Jeder andere hätte längst das Weite gesucht gehabt. Was wäre aus ihm geworden, wenn Justin nicht gewesen wäre? Er sah seine Mutter an. Sie hatte sich auf eine Kante ihres gepflegten aber alten Sofas gesetzt. Kerzengerade. Jeder, der sie sah, hielt sie für stark. Aber niemand verstand, dass diese Stärke aus Schwäche geboren war. Er sah sich. Genau das wäre aus ihm geworden. Statt in die Kirche war er in die Tanztempel gerannt. Statt Gebete Rausch. Die einzige Nähe wäre von Michael gekommen, den er aber dennoch niemals eingelassen hätte. Stark. Hart. Innerlich leer. Das Leben wäre bedeutungslos verronnen. Irgendwann hätte er Schluss gemacht, wenn die kurzen Reize sich ihm entzogen hätten. Zu alt für die Disko. Zu krank für die Drogen. Er wäre gegangen, ohne Hass, ohne Liebe, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Zeitlos und über allen. Perfekter Schein bis zum letzten Atemzug.
 

„Wie lange geht das schon so?“ fragte Brian schließlich.
 

„Meine Eltern haben es mich gelehrt. Und ihnen ihre. Ich weiß nicht. Vielleicht war es immer so. Das Leben muss ertragen werden. Unglück ist da, um sich zu bewähren. Die Regeln sind festgelegt. Glück zerfällt zu Staub. Wer es sucht, vernachlässigt seine Pflicht.“
 

„Ich weiß. Glaubst du das noch immer?“
 

„Manchmal ist das, was wir glauben, und das, was wir sind, eins. Man kann nicht an etwas glauben, einfach weil man es will – oder damit aufhören.“
 

Davon konnte Brian ein Lied singen.
 

„Wenn du mich hasst“, sagte Joan, „hasst du auch dich selbst.“
 

Brian horchte in sich hinein. Das Brodeln der vergangenen Tage war fort. Er lehnte sich im Sessel zurück. Dann sagte er: „Es muss aufhören.“
 

Joan starrte auf den polierten Wohnzimmertisch. „Wie soll das gehen?“ fragte sie schließlich.
 

„Ich weiß es nicht. Bekommst du in dein Hirn, dass ich kein pädophiles Monster bin, für das schon ein Teerkessel in der Hölle bereit steht?“
 

Joan schluckte. Alles in ihr sträubte sich dagegen. Es war nicht nur ihr Glaube, sondern auch ihre ganze Erziehung, die schrie, dass das schmutzig, widernatürlich, peinvoll war, was ihr Sohn da trieb. Es wäre so leicht, dem weiter zu folgen. Vielleicht war es auch schrecklich. Aber wenn sie es jetzt nicht versuchte, würde alles für immer so bleiben, wie es war. Wirklich alles.
 

„Ich kann dir nichts versprechen, Brian. Aber ich werde es… versuchen.“
 

Brians erster Reflex war es, sie zur Hölle zu schicken. Dann dachte er daran, wie es um ihn bestellt wäre, wenn man ihm keine Chance gegeben hätte. Und wie schwer es ihm gefallen war. Dass er entkommen war, war nicht ihr Verdienst. Sie hatte seine Ketten geschmiedet. Aber nicht aus eigenem Entschluss. Ihre Schuld war es, dass es ihr nie gelungen war, ihre zu sprengen, so dass sie sie weitergegeben hatte. Wenn er jetzt nein sagte, würde er sie verdammen. Etwas in ihm wollte das. Rache. Aber dann wäre er genau dort, wo er angefangen hatte.
 

„Meinetwegen“, sagte er schließlich, weniger um ihret- als um seinetwillen. Es ging hier ums Prinzip. Wie könnte er weitergehen, leben, frei sein, wenn er ihre Schuld weitertragen würde in sich? Wie könnte er Justin und Gus in die Augen sehen?
 

Sie schwiegen eine Weile.
 

„Ich möchte ihn sehen“, sagte Joan schließlich.
 

„Gus?“
 

„Ja.“
 

„Warum?“
 

„Ich will meine Fehler nicht wiederholen.“
 

Brian dachte an früher. Und an diese Satansbrut, die Claire auf diese Welt befördert hatte, und mit der sich Joan Tag für Tag rumplagen durfte. Nur ein kleiner Teil der Rechnung, die sie zu bezahlen hatte.
 

„Wenn ich nur einen Wimpernschlag lang mitbekomme, dass du im Begriff bist, den Kinneyschen Familienfluch an meinen Sohn weiterzugeben, war das das letzte Mal, dass du einen von uns jemals gesehen hast. Und du wirst Justin, falls ihr euch begegnen solltet, mit allem Respekt und aller Achtung behandeln, die er verdient.“
 

Das war viel verlangt. Aber weniger würde nicht reichen.
 

Joan schluckte. Sie wusste, dass das mehr war, als sie hatte erhoffen können. Vielleicht war es auch mehr, als sie konnte.
 

„Claire, John und Jack sind nächstes Wochenende nicht da. Kommt am Sonntag zum Kaffee“, sagte sie. Keine Frage, eine Feststellung, wie es ihre Art war.
 

Ein Alptraum, dachte Brian. Dennoch erwiderte er im Aufstehen: „Wir werden da sein.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  brandzess
2011-08-23T18:17:41+00:00 23.08.2011 20:17
na die standpauke war ja was von überfällig! jetzt muss nur noch mit diesem kleine idiot von John was passieren!
Von:  chaos-kao
2011-08-22T19:50:52+00:00 22.08.2011 21:50
Gus bringt es noch fertig seine ganzen Omis zu bekehren und offener und netter zu machen *lol* Der Junge ist ein besserer Zauberer als Harry Potter! xDDD

Lg
Kao
Von:  chaos-kao
2011-08-22T19:50:51+00:00 22.08.2011 21:50
Gus bringt es noch fertig seine ganzen Omis zu bekehren und offener und netter zu machen *lol* Der Junge ist ein besserer Zauberer als Harry Potter! xDDD

Lg
Kao


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