Familienbande von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Die Schuld der Joan Kinney ------------------------------------- I. Die Schuld der Joan Kinney Ted schoss der heiße Kaffee über den frisch gereinigten Anzug, als er sich genötigt sah, trotz seines beschwingten Schrittes eine Vollbremsung hinzulegen. Er unterdrückte einen Aufschrei, als die heiße Flüssigkeit auf seine Haut traf. Von seinem frisch gebügelt und gestärktem Hemd würde er sich wohl obendrein verabschieden können. Aber er war ja selber schuld. Er hatte sich über Monate angewöhnt, morgens, mittags und abends in Brians Büro bei Kinnetic einzuschneien, um nach seinem Freund und Boss zu schauen, immer bewaffnet mit einem heißen Kaffee als Vorwand. Brian hatte wie ein Besessener gearbeitet, aber es ging ihm nicht gut, das hätte auch jemand weniger Sensibles als Ted bemerkt. Aber nur Ted sah ihn jeden Tag und besaß so viel Taktgefühl, nicht ungefragt in ihn zu dringen, sondern ihm dezent da zu helfen, wo er es nicht als zudringlich oder fordernd begreifen konnte. Und Brian hatte es ihm auf seine wortlose Art gedankt. Aber die Zeiten Brians Einsamkeit waren genauso vorüber wie Teds, zumindest hoffte der leitende Angestellte, der er inzwischen war, das inständig. Das Herz schlug ihm warm in der Brust, wenn er an die Nähe, den Frieden, die Vertrautheit dachte, die er heute Morgen beim Aufwachen verspürt hatte, als er Blakes schlafwarmen Atem auf seiner Brust gefühlt hatte. Und an die anderen Gefühle, die ihm den Atem geraubt hatten, als er danach noch deutlich mehr von Blake bekommen hatte als nur die Luft aus seinen Lungen. Die Mittagspause war inzwischen kein günstiger Zeitpunkt mehr, um Brian mit Kaffee und dringenden geschäftlichen Belangen abzulenken. Dafür war jetzt nicht mehr Ted zuständig, sondern Brians… Ehemann. Ted musste immer noch ein wenig verwundert den Kopf darüber schütteln, dass diese Hochzeit schlussendlich doch stattgefunden hatte, obendrein noch mit ihm als Trauzeugen. Brian und Justin hatten das mit ihrer üblichen kompromisslosen Art und Weise knallhart durchgezogen, nicht als Zugeständnis wie beim ersten Anlauf. Ted fand es immer wieder verblüffend, wie gegensätzlich die beiden auf den ersten Blick schienen – und wie ähnlich sie bei näherem Hinsehen doch einander waren. Sie waren beide starke Persönlichkeiten. Sie waren beide, wenn auch auf grundverschiedene Art, ausgesprochen attraktiv. Sie waren beide intelligent. Und sie hatten beide mindestens eine Schraube locker. Ted seufzte. Fast sechs Jahre lang hatte er immer wieder in der ersten Reihe des Brian-liebt-Justin- Brian-liebt-Justin-nicht- Justin-liebt-Brian- Justin-liebt-Brian-nicht-Theaters gesessen, dass er fast die Hoffnung aufgegeben hatte, dass irgendwann doch noch ihre Herzen – oder wenigstens der Hauch von klaren Verstand, den sie in der Gegenwart des anderen aufzuraffen vermochten – siegen könnten. Und nun stand er, verbrüht und eingesaut, vor der verriegelten Bürotür. An der Wand neben Cythias leerem Schreibtisch lehnte Justins tragbare Staffelei, eine diskrete Warnung, ihnen jetzt bloß vom Leibe zu bleiben. Cythia hatte sich in die Mittagspause verdrückt und würde frühestens in einer halben Stunde zurück kehren. Die anderen Angestellten wagten sich sowieso nur im äußersten Notfall oder auf direkte Einladung in die Nähe der Höhle des Löwen. Brian war ein fairer Boss, aber er war auch knallhart und hatte trantütige Praktikantinnen mit seiner scharfen aber berechtigten Kritik schon mehr als ein Mal zum Heulen gebracht. Brian respektierte Leute, die ihm auch in der Niederlage erhobenen Hauptes begegnen konnten – mit Faulenzern, Lahmärschen oder Dumpfbacken mit mehr Ego als Verstand kannte er allerdings keine Gnade. Genauso wenig wie aktuell mit Justins Arsch, wenn Ted die leise durch die Tür dringenden Geräusche richtig deutete. Er seufzte. So ging das jetzt schon seit einer Woche mit absoluter Regelmäßigkeit. Nachdem sie Lindsay und Melanie zu Grabe getragen hatten, waren Justin und Brian wieder in wilden Aktionismus verfallen. Viel Anderes war ihnen auch nicht übrig geblieben. Es war ihnen gelungen, Gus ehemalige Kindergärtnerinnen aus dem überaus pädagogisch und auch sonst wie wertvollen Kinderhort soweit einzuwickeln, dass Gus bis zu seiner Einschulung unter der Woche zumindest halbtags wieder mit den anderen Kindern der frühkindlichen Förderung frönen konnte. Normalitäten wie diese und die Gesellschaft anderer Kinder taten dem Kleinen bestimmt gut, das musste Ted zugeben. Brian tauchte seitdem mindestens halbtags, manchmal auch etwas länger bei Kinnetic auf und nahm das Ruder wieder in die Hand, auch wenn er parallel vom Schreibtisch noch diverse andere Dinge managte, die seine neu geschmiedete Familie betrafen. Justin widmete sich von daheim ähnlichen Aktivitäten oder zog mit seinen Malutensilien durch die Stadt. Wenn Justin malte, kannte er kein Pardon. Vor drei Tagen war Ted, von der Wäscherei kommend, Zeuge geworden, wie Justin, wohl einer plötzlichen Inspiration folgend, mitten im nahe gelegen Einkaufzentrum vor einer MacDonalds-Filiale seine Staffelei aufgebaut und völlig versunken die Leinwand bearbeitet hatte. Die Leute waren freudig herbei geströmt in der Erwartung, dass dieser putzig aussehende junge Mann ihnen ein paar süßliche Porträts oder wenigstens ein paar Einhörner und Regenbögen hin zaubern würde. Sie waren ziemlich verstört gewesen, als Justin stattdessen abstrakte Formen mit einer Gewalt auf die Malfläche gehämmert hatte, die einen Jackson Pollock wie einen lebensfrohen Bauernmaler aussehen ließen. Der Himmel wusste, was in Justin vorging, dass er diese Werke zustande brachte, die in Zusammenhang mit seiner sonst doch recht sonnigen Persönlichkeit gelinde gesagt irritierend wirkten. Aber vielleicht war es Ted einfach nicht vergönnt, diesen Teil von Justin zu sehen. Er setzte sich geduldig in Cynthias Drehstuhl und musterte ihr neustes Blumenarrangement , das ihr ihr aktueller Verehrer hatte zukommen lassen. Cynthia war keine Schönheit, soweit Ted das beurteilen konnte, aber sie musste irgendetwas an sich haben, das die Kerle wie Motten anzog. Irgendein finsteres Geheimnis, das sie wahrscheinlich mit Brian teilte und in das er nie eingeweiht worden war. Ihm war‘s egal, er hatte eigentlich nie viele Kerle gewollt, sondern nur den einen, den Richtigen – blöderweise fiel der ja nicht einfach so vom Himmel. Er wippte ein wenig auf dem luxuriösen Bürostuhl hin und her und verfolgte die Uhr. Abgesehen von dem Kaffee musste er Brian dringend wegen einer neuen Kampagne sprechen, die ein Bettwäsche-Konzern aus New York angefragt hatte. Sie wollten im Bereich der gesamten Ostküste werben, ein dicker Fisch, und erwarteten noch heute ein Gespräch mit dem Boss von Kinnetic persönlich. Tja, das würde wohl nichts werden, solange der in ganz anderen Angelegenheiten versunken war… Er lehnte sich zurück und wartete. Das Rumpeln hinter ihm wurde lauter. Tja, mit Gus an der Backe ins Loft gepfercht blieb ihnen wohl nicht viel anderes übrig, bis sie das Landhaus bezugsfertig gemacht hatten. Er schielte auf die Uhr. Der Nachwuchs des Haushaltes Taylor-Kinney musste in einer knappen Stunde abgeholt werden, macht hin, da drin! Ted kannte Brians Unterlagen, auch die Tatsache, dass Justin und Brian – wenn auch diskret und ohne es raus zu posaunen – sich einen gemeinsamen Nachnamen zugelegt hatten. Damit würde Brian wohl von jetzt an alle relevanten Verträge unterzeichnen müssen, damit sie juristisch gültig waren. Ted schüttelte eine Schneekugel mit einem Bergpanorama, die Cynthia außer Brians Sicht auf der Ablage deponiert hatte. Er fiel beinahe vor Schreck vom Stuhl und schrie kurz darüber auf, als von drinnen plötzlich „Oh Gott!!! JA! Brian! Jetzt! Justin! Ohhhh…. Jaaaaa! Ah! Ah! Ah! Jaaaaa!!!“ erschallte, gefolgt von einem lauten Schlag. Kurz war es still. Dann erschall Brians Stimme, noch immer etwas atemlos: „Ted, du perverser alter Spanner! Hängst du etwa mit einem umgedrehten Glas an der Wand? Oder hast du gleich ein Loch durchgebohrt?“ Ted räusperte sich und erwiderte: „Das ist ja wohl kaum nötig bei dem Rabatz! Lebt Justin noch? Was war das für ein fürchterlicher Lärm?“ „Du meinst die Laute unserer ungebremsten Leidenschaft?“ meldete sich Justin. „Nein, ich meinte eher dieses Geräusch, als ob irgendetwas zu Bruch ginge…?“ „Ach das…“, kam etwas kleinlaut zurück, „äh Ted, könntest du fix einen Elektriker anrufen, während wir uns hier wieder startklar machen…?“ Zehn Minuten später wurde Ted gnädiger Weise empfangen. Brian und Justin wirkten beide immer noch leicht verschwitzt und gut durchblutet. Die verdepperte Stehlampe hatten sie dezent ins Badezimmer entsorgt. Justin grüßte Ted mit einem Nicken und sagte dann, seine Jacke und seine Malutensilien an sich raffend: „Ich muss los, Gus vom Kindergarten abholen.“ Er trat auf seinen Mann zu, zog sein Gesicht zu sich hinunter und verpasste ihm einen Kuss, dass man hätte denken können, die beiden hätten sich seit Jahren nicht gesehen geschweige denn gevögelt – und nicht erst vor wenigen Minuten. Brian jagte seinem jungen Gatten die Zunge vermutlich bis zu den Mandeln hinein und kniff ihm dabei beidhändig in die Hinterbacken. „Nur weil ihr euch zuhause zusammen reißen müsst, müsst ihr euch hier doch nicht aufführen wie die Karnickel!“ protestierte Ted. „Mmm“, murmelte Brian in Justins Mund, „Karnickel? Komm mir bloß nicht mit Pelztieren… Apropos, du bist am Sonntag eingeladen.“ „Ich will euch in meiner Freizeit nicht beim Ficken zuhören oder gar –sehen!“ „Wer’s glaubt… Nein, mein Lieber, als mein heiß verehrter Trauzeuge unserer Familie zutiefst verbunden darfst du am Sonntag Gast bei Gus‘ Geburtstagsfeier sein.“ „Äh…?“ „Genau“, bestätigte Justin, während er Brian anzüglich angrinste und nun seinerseits in den Hintern kniff – na sowas? – „ wir laden dich herzlichst zum Kindergeburtstag ein.“ Ted lächelte: „Oh, natürlich komme ich gerne! Wünscht sich Gus irgendetwas Spezielles?“ Brians Gesicht bekam einen gequälten Zug, der Justin zum Lachen brachte. „Nein, du hast die freie Auswahl. Und bring bloß keine Sahnetorte mit, die mir auf die Hüften hauen könnte, sonst darfst du beim Topfschlagen nicht mitmachen!“ „Ihr macht Topfschlagen???“ „Mal sehen… vielleicht… haben schon lange nicht mehr zu Hause auf irgendetwas eingehämmert…“ Brian leckte Justins Ohrmuschel, dass dieser beinahe schnurrte. „Ihr seid einfach unverbesserlich! Wartet’s nur ab – entweder färbt das unbewusst auf Gus ab oder es ist sowieso erblich. Ihr werdet euch noch umschauen, wenn euer Sohn in die Pubertät kommt! – Und ne Hete ist!“ „Oh Graus!“ entfuhr es Justin und Brian gleichzeitig. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Michael wiegte Jenny lächelnd auf dem Schoß, während er darauf wartete, dass der Computer seine aktuellen Verkaufsstatistiken hoch lud. Er hatte beschlossen, sich schwerpunktmäßige auf den Handel mit Sammlerstücken und Raritäten per Internet zu verlegen, was ihm ermöglichte, von zu Hause aus zu arbeiten. Er hatte zwei Angestellte für den Laden angeheuert, die die Tagesgeschäfte führten. Bisher schien alles zu klappen, der Rubel rollte. Er hatte sich erst einmal in die internationalen Versandregelungen einarbeiten müssen, aber seit ein paar Tagen kamen auch positive Rückmeldungen von Kunden in Europa und Asien. Gepriesen sei die Globalisierung! Er hörte, wie unten die Tür ging. Hunter kam die Treppe hinauf gehastet und blieb tief atmend vor ihm stehen. „Was ist los, James?“ Sie hatten sich angewöhnt, ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen, auch wenn er sich zuerst gesträubt hatte, weil er ihn mit seiner unseligen leiblichen Mutter in Verbindung brachte. Aber Hunter war sein Name als Stricher gewesen, das sollte er nicht sein Leben lang mit sich herum tragen. Er sollte einen wirklichen Namen haben, seinen, wenn er je mit sich ins Reine kommen wollte, hatte Ben argumentiert. Und Hunter hatte schließlich zugestimmt. Der Junge hielt ihm japsend ein Heft unter die Nase. Michael nahm es ihm vorsichtig ab und schlug es auf. Es war eine Mathematikarbeit. Er hatte ein A+. „Oh James! Das ist ja wundervoll! Du bist ja ein richtiges Mathematik-Genie! Also von mir hast du das nicht!“ James grinste. „Ihr Nulpen kennt euch ja nur mit Wörtern und Bildern aus. Einer hier muss ja auch mal eins und eins zusammen zählen können…“ Michael lächelte trotz James harscher Worte. Der Unterton verriet, wie stolz der junge Mann auf seine Leistung war – und wie froh darüber, dass Michael sie würdigte. „Ich dachte… also… wenn die Noten stimmen… Ich würde gerne ans College, Mathe studieren…?“ Michael strahlte. „Aber ich weiß, das ist zu teuer…“, wandte James ein und senkte den Kopf. „Nein, James, warte!“ sagte Michael, als Hunter sich zum Gehen wandte. „Vergiss nicht, dein Vater ist Professor am College. Wäre doch gelacht, wenn wir dich da nicht rein bekommen! Und mach dir wegen des Geldes keinen Kopf!“ Sie hatten es zwar nicht so dicke, aber für die Studiengebühren an einem normalen College würde es schon reichen. James hob den Kopf. Auf seinen Zügen lag ein hoffnungsvoller Schimmer. „Was, echt jetzt?“ fragte er atemlos. Michael nickte. Der Junge sollte glücklich sein, eine Zukunft haben, wie er es verdient hatte. Es würde ihnen schon etwas einfallen. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Joan Kinney lag auf dem Rücken auf der mit winzigen Blüten verzierten Tagesdecke ihres Bettes. Das Ehebett hatte sie der Wohlfahrt gespendet, als Jack gestorben war. Sie fühlte den Alkohol in ihren Blutbahnen. Er gab ihr nicht die ersehnte Erlösung. Claire und ihre Enkelsöhne waren Gott sei Dank nicht da. Die Kinder waren in der Schule – oder sie trieben sich herum. Claire jobbte in einem Supermarkt und scharwenzelte dort um den Geschäftsführer herum. Ihre Tochter hatte wirklich keinen Funken Würde im Leib. Aber immer noch besser als ihr Sohn. Sie lachte bitter. Brian war immer so perfekt gewesen. Alle hatten ihm abgenommen, dass er der Klügste, der Talentierteste, der Charmanteste sei. Alle hatten sie um ihn beneidet. Und dann das. Er war homosexuell. Und er schämte sich nicht einmal dafür. Als sei das nichts, gegen das man nicht kämpfen könne, kämpfen müsse. Sie schloss gequält die Augen. Jetzt wussten es alle. Die Heiratsanzeige. Ihre alten Freundinnen, sie lachten sich garantiert ins Fäustchen. Ihre Söhne waren alles Versager, Säufer, hohle Angeber, genau wie ihre Väter, wie Jack. Nur Brian hatte es geschafft, hier rauszukommen, wo ihre Familien schon seit Generationen festhingen. Und warum? Damit er in aller Seelenruhe kleine Jungs betatschen konnte. Wie diesen kleinen Blonden. Justin Taylor. Das war er doch gewesen, damals, nackt in Brians Bett, wütend und anklagend in ihrem Wohnzimmer. Und den meinte Brian nun geheiratet zu haben in dieser abartigen Parodie einer Ehe. Sie zog sich das Kissen über den Kopf. Sie sah den kleinen Jungen vor sich, der mit riesigen braun-grün schimmernden Augen zu ihr aufgeschaut hatte, um ein Zeichen der Zuneigung bettelnd. Jedes Mal, wenn ihre Liebe für ihr Kind drohte hoch zu kochen, hatte sie einen Riegel davor geschoben. Sie wusste, was mit Liebe geschah. Sie wusste, dass der Hass wie ein brüllendes Tier in ihrem Windschatten lauerte und nur darauf wartete, herausgelassen zu werden. War sie daran schuld, dass Brian so geworden war? Joan setzte sich auf. Wenn dem so war – war es dann nicht ihre Pflicht, etwas zu unternehmen? Brian zu retten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)