Von Engeln und anderen Dämonen von RyuSadavia ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Prolog Es war Nacht. Der Mond betrachtete friedlich die Villensiedlung die schlafend ein wenig außerhalb der Stadt lag. Regen prasselte auf den harten Asphalt und verwandelte die Strasse in einen länglichen Spiegel, in dem das helle Licht der Straßenlaternen reflektierte. Sanft wogen die Bäume, die dem pompösen Anwesen Schutz vor der Wirklichkeit boten, im Wind und murmelten vor sich hin. Ein Geräusch störte den künstlichen Frieden... Irgendwo weinte ein Kind... Hektisches Klacken wurde immer lauter, wie von Schuhen, die über den Bürgersteig huschten. Um die Ecke bog ein junges Mädchen, ihr Kleid war zerrissen und auf ihrem Gesicht zeichneten sich Schrammen ab. Über ihr glitt ein riesiger Schatten, der sie und die Strasse großflächig in Dunkelheit hüllte. Schluchzend versuchte das Kind verzweifelt schneller zu rennen, doch ihre Füße ließen es nicht zu. Unheilvoll kam das geflügelte Ungetüm immer näher und setzte zum Senkflug an. Das Licht enthüllte ein riesiges Monster mit steinerner Haut und pechschwarzen Schwingen. Kurz funkelteb die Augen des Wesens rot auf, als er den kleinen Körper von den Beinen riss. Sie verzog ihr Gesicht vor Schmerzen, als sich riesige Klauen in ihre Schultern rammten, Blut floss an ihrem Körper runter. Mit einem kräftigen Flügelschlag verschwand der Schatten samt dem Kind und bahnte sich seinen Weg unsichtbar durch die Nacht. Die Reflexionen färbten sich für einen kurzen Moment hellrosa, bis der Regen sämtliches Blut weggeschwemmt hatte und der Schimmer wieder verblasste. Es war ein ganz normaler Morgen in einer ganz normalen Stadt. Eine junge Frau saß in einem ganz normalen Wohnzimmer und aß ihre Schoko-Knusperflocken mit Milch. Nach Beendigung ihres morgendlichen Rituals schnappte sie sich eine Tasche und machte sich auf den Weg in die Uni. Doch nicht nur in der Stadt nahmen die Dinge ihren gewohnten Lauf. Auch im Himmel war es scheinbar wie immer. "Ja... ja, das werde ich tun. Natürlich, wenn ihr das sagt, mein Gebieter. Ich hoffe, wir sehen uns wieder." Mit diesen Worten verabschiedete sich der junge Mann und bestritt seinen Weg durch helles Licht. "Es war nicht warm, nicht kalt, nicht da und nicht dort, wo wird er wohl sein, dieser Ort?" trällerte er vor sich hin. Angekommen an seinem Ziel, stockt er für einen Moment und bekam seinen Mund nicht mehr zu... Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Kapitel 1 Wüst sah es in dem Zimmer aus. Um nicht zu sagen chaotisch. Auf der riesigen, einst so prachtvollen Tafel häuften sich Teller, Tassen und Unrat. Auf dem Boden lagen weiße Tücher und Stofffetzen verstreut, von denen man größtenteils nicht mehr behaupten konnte, dass sie einmal Kleidungsstücke oder Ähnliches gewesen sein mochten. Mitten in diesem Chaos stand ein riesiger Sessel, eine Art Thron, auf dem mit angezogenen Füßen ein Mann saß, dessen Alter man schlecht schätzen konnte. Er wirkte wie Anfang dreißig, seine Augen verrieten jedoch, dass er viel älter war. In ihnen lag eine Weisheit und ein Wissen, das er sich über Jahrhunderte hinweg angehäuft haben musste. Im Moment sah dieser Mann jedoch alles andere als weise oder gar edel aus. Er hatte soeben gespeist, die halbe Mahlzeit stand noch auf dem Tisch und nun versuchte er sich umständlich, einen Essensrest zwischen den Zähnen heraus zu pulen. Dafür benutze er allerdings weder Zahnstocher oder vielleicht seine Finger, sondern ein Schwert von gut einem vollen Meter Länge. Es war allerdings nicht irgendein Schwert, das allein verriet die rot geschmiedete Klinge und der über und über mit kostbaren Edelsteinen besetzte Schaft - es war das heilige Feuerschwert des Erzengels Michael. Mit dem kleinen Unterschied, dass derjenige, der die Klinge gerade zur Mundhygiene benutzte nicht wirklich der wunderbare Feuerengel war. "Hat dich der Alte geschickt?" fragte der Mann anteilnahmslos, ohne denjenigen auch nur anzusehen, der gerade eben durch das himmlische Portal in seine Gemächer getreten war und jetzt stocksteif vor ihm stand. Der junge Mann rang nach Luft. Er spürte noch den abwertenden Blick auf seinem Körper ruhen. Nervös fummelte er an seinen langen, roten Haaren, schnappte sich eine Strähne und machte Knoten hinein. Seine blau- grünen Augen weiteten sich, als er den letzten Satz noch einmal Revu passieren ließ. Was hatte dieser Typ gerade gesagt?! Der Alte?! Seine Verwirrung spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. "Ja, werter Herr. Unser Gebieter hat mich geschickt. Er sagte, ich sollte „zu dem nichtsnutzigen Kerl, gleich dahinten neben der Unendlichkeit rechts“ und ihm eine Nachricht überbringen.“ Stolz strahlte er über beide Ohren, da er sich alles gemerkt hatte – bis jetzt jedenfalls. Bei den Worten "nichtsnutziger Kerl" zuckte die Augenbraue des Mannes auf dem Thronimprovisorium kaum merklich nach oben. Hatte ihm der Alte doch glatt wieder einen dieser Rotzlöffel... dieser übereifrigen, dieser MOTIVIERTEN Erzengeladepten geschickt... Wortlos schmiss er bei diesem Gedanken säuerlich die Beine auf den Tisch, die prompt eine Lammkeule in die Richtung seines scheinbar ungebetenen Gastes schleuderte. Nicht, dass sie den Jungen hätte treffen können, noch nicht einmal der dicke Fettfleck auf dem kostbaren Teppich kümmerte ihn. "Un wasch will der Alte dieschesch Mal fon mir?" murrte er. Er hörte sich mit dem Schwert, das immer noch zwischen seinen Zähnen hing, etwas seltsam an. Langsam kamen verschiedene Informationen in Hirn des Jüngeren an. Er hatte etwas vergessen. Für einen kurzen Moment erstarrte der ca. 1.72 große Körper des etwa 20 Jahre alten Mannes. Es war wichtig gewesen! Hektisch schaute er auf seine Handfläche, doch seine Notizen waren verwischt. Die Aufregung hatte ihm, neben einem Blackout auch noch feuchte Hände beschert. Er dürfte sich keinen Fehler erlauben. Ich bin doch nur auf Probe! schoss es ihm durch den Kopf. Deinen Namen, du hast deinen Namen vergessen! "Ich heiße…" Seine Blicke wanderten an seinem Gegenüber herunter durch das unordentliche Zimmer. "Schweinestall…" sagte er verwirrt, dachte aber Aaron. Er bemerkte noch nicht mal seinen Fehler und redete direkt munter weiter. "Ich soll dir sagen, dass wir was erledigen sollen." Ein kurzer Moment des Schweigens folgte. Was ist das für ein Schwert? Irgendwo habe ich das schon mal gesehen. dachte er sich verträumt und seine Gedanken schweiften ab. Wieder zog sich die Augenbraue des älteren Mannes nach oben, dieses Mal jedoch blickte er auf und betrachtete sich den Jungen näher. Irgendwie fand er sein schlankes Gegenüber merkwürdig. Warum um alles in der Welt war er so nervös? Ach ja - er hatte ja vergessen, dass ein blutjunger Anfänger vor ihm stand. Nun gut - dann sollte er ihn empfangen, wie es sich gehört. Sich unnötig räuspernd stand er auf und nahm das Schwert nun endlich aus seinem Mund, richtete es dabei mit der Spitze auf Aaron. Sein linkes Auge schloss sich, als ob er zielen wollte. "Nun..." Er räusperte sich abermals und es glich einem verfehlten Hustenanfall. "DU." donnerte die Stimme plötzlich. Saustall... Darüber kam er nicht hinweg. "Ich fragte dich nicht nach deinem Namen. Nicht nur, dass du mir anscheinend nicht richtig zuhörst, nein, sind wir uns denn schon so vertraut, dass ich dir erlaubt habe, mich mit "Du" anreden zu können?" Schritt für Schritt ging er auf Aaron zu, senkte dabei das feuerrote Schwert und baute sich letztendlich in seiner vollen Größe vor ihm auf. "Außerdem hast du scheinbar keine Ahnung, WER hier eigentlich vor dir steht, Bürschchen!" grollte er anschließend. Seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Warum zur Hölle, sah er ihn nicht an?! "ANTWORTE!" brüllte er schließlich in solcher Lautstärke, dass die gesamte Halle unter dem Dröhnen seiner Stimme zu erzittern begann. Verschreckt starrte Aaron auf den Boden, noch lange bohrten sich die Worte in seinen Hirn. Seine Unterlippe fing unkontrolliert an zu zittern. Was sollte er jetzt machen? WAS?! Er war so ratlos. Er merkte, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten und rang mit sich. Nein, ich werde jetzt stak sein und nicht weinen! Ich habe nichts falsch gemacht! Sein ganzer Körper begann zu zittern. Mit jeder Sekunde, die verstrich wuchs seine Angst vor diesem... diesem Mistkerl! dachte er sich. Er holte tief Luft und sprach mit unsicher Stimme: "Es tut mir leid, ich bitte euch um Vergebung." Noch stärker bebten seine Knie, seine Atmung beschleunigte sich. Gleich so etwas. Das halte ich nicht aus, aber der Herr hat mich darum gebeten… Er traute sich noch immer nicht, den Kopf zu heben. "Wir haben nicht viel Zeit, werter Herr. Wir müssen uns beeilen - ein Mädchen wurde entführt und er schickt uns, es zu holen!" Langsam hob Aaron seinen Kopf und schaute seinem Gegenüber in die Augen. Oh Gott, er wird mich gleich zerfetzen! schoss es ihm durch den Kopf. Er wird gleich Michaels Schwert nehmen und meinen Kopf von meinem Körper trennen - Was?! Ja, daher kenne ich das Schwert! Es gehörte Michael und dann muss das… NEIN, das muss Raphael sein! Alle wissen davon, er hat Michael das Schwert gemopst und gibt es nicht mehr her. WOMIT HABE ICH DAS VERDIENT?! Ich muss weg, er soll so... nein, ich will mich nicht daran erinnern, was sie gesagt haben. Das war zu grausam! Mit diesen Gedankengängen weiteten sich die Augen des Jünglings. Ihm wurde speiübel und er hatte das Gefühl, als müsse er sich übergeben. Oder weinen. Oder wegrennen. Oder alles auf einmal! Unendlich lange Momente schwieg Raphael. Man hörte förmlich den Sekundenzeiger ticken. "Gut, sei dir vergeben..." Mit diesen Worten drehte sich der ältere Mann schlaksig um und ließ sich wieder auf den Thron plumpsen. Er musste sich sehr zurückhalten, nicht einfach laut los zu lachen, als er das verwirrte und vollkommen aufgelöste Gesicht Aarons sah. Mit diesen Neulingen gab es doch immer wieder etwas zu lachen und er war nicht mehr ganz so schlecht gelaunt über die Tatsache, dass sich der Alte mal wieder etwas ganz Feines für ihn ausgedacht hatte. "Und was für ein Mädchen ist es dieses Mal? Die Reinkarnation der Jungfrau Maria?" Jetzt lachte Raphael wirklich lauthals los und er gab sich auch keine sonderliche Mühe, es zurück zu halten. Als Aaron nach mehreren Sekunden noch immer nur stocksteif da stand und die Farbe seines Gesichts die, einer unreifen Banane annahm, legte sich die Stirn des Mannes in Falten. "He, wenn du kotzen musst, mach das draußen!" Dass es in all dem Chaos gar nicht mehr aufgefallen wäre, wenn sich Aaron sein Mittagessen wirklich noch einmal durch den Kopf hätte gehen lassen, vergaß er vollkommen. Aaron rang mit sich, um wieder Herr seines Körpers zu werden. Mehrere Male atmete er tief aus und ein und genoss die wohltuende, frische Luft. Immer noch ein wenig verschreckt, hob er zitternd seine Hand und pustete einmal leicht über seine Handfläche, als wolle er jemand einen Kuss zu werfen. Langsam materialisierte sich etwas über den dürren Fingern des aufgeregten Engels. Eine kleine Figur nahm langsam Gestalt an. Leicht durchschimmernd konnte man einen Teenager erkennen. Die Haare der Gestalt waren lang und schwarz gefärbt. Das kleine Gesicht weiß geschminkt, mit dicken schwarzen Ringen unter den Augen. Sein T-Shirt zierte die Aufschrift „Dimmu Borgir“ und ein fettes, umgedrehtes Pentagramm. Eng um den schmalen Hals schmiegte sich etwas nietenbesetztes, nicht näher definierbares Irgendwas. Schwarz war auch die Lederhose, welche seine schmalen Beinchen bedeckte. Stolz lächelt Aaron vor sich hin. Das hatte er gut gemacht! Kurz räusperte er sich. "Also! Erst einmal müssen wir diesen Jungen finden und ihn in Sicherheit bringen. Er ist der Schlüssel zu dem Mädchen. Alles Weitere erfahren wir später - hat er gesagt und dann sagte er noch was bezüglich des Mädchens. Es wäre sehr wichtig, er liebe sie so, als wäre sie seine eigene Tochter. Wir sollten uns beeilen!" „Seine eigene Tochter… soso…“ murmelte Raphael und besah sich das kleine Hologramm nachdenklich. Seine Augen blitzen kurz auf. „Hat der Alte denn wenigstens gesagt, wo wir anfangen sollen zu suchen? Ich hab nämlich keinen Bock, mich ein halbes Jahrhundert für den krumm zu ackern.“ Ein Lächeln huschte über die schmalen Lippen; dieser Typ da gefiel ihm. "Er hat mir die Adresse seines Lieblings-Clubs gesagt, es ist das „Hell and Haven“. Weiterhin meinte er, wir sollen ihn erst einmal überzeugen. Was das heißen soll... ich habe keine Ahnung. Ich wollte auch nur weg, da der Herr sehr schlechte Laune hatte." Aarons Stimme klang nun klar und bestimmt. Er war voll in seinem Element, die Aufregung war wie weg geblasen und auch die Übelkeit ließ von ihm ab. "Laut Paragraph 13c Absatz 2.12 des Passus über "Wechseln auf die Erde" müssen wir zu den Herren der Welten und uns eine Genehmigung und eine Nummer für ein Portal holen. Und dann werden wir wie in Absatz 6.3 des Paragraphen 45 "Regeln zum Aufenthalt" beschrieben, erst mal zu der inneren Verwaltung, um Geld zu holen, abzuwarten und hoffen, dass es schnell bewilligt wird." Seine Stimme überschlug sich in euphorischer Freude. "Nach der Bewilligung werden wir die Portalnummer bei den zuständigen Portalwächtern abgeben, damit sie darauf achten, dass der Absatz 8.6 Bestandteil des Paragraphen 13 "Wechseln auf die Erde" gegeben ist und den Übergang verbergen, damit niemand uns sieht. Dann sehen wir weiter." Während Aaron wie ein scheinbar unaufhaltsamer Wasserfall alle möglichen Zitate aus den ungeschriebenen Gesetzesbüchern des Himmels herunter ratterte, hatte Raphaels linke Augenbraue kaum merklich zu zucken begonnen. Jetzt, da der euphorische Redefluss des Engels geendet war, stand sie hoch über dem Auge. Herren der Welten…? Innere Verwaltung…? GENEHMIGUNGEN? Raphael glaubte, sich verhört zu haben. Wortlos stand er abermals von seinem Sessel auf, näherte sich mit großen Schritten dem Engel und packte ihn einfach hinten am Nacken. Wie eine kleine Katze zog er ihn hinter sich her. „Vorschriften. Pah.“ Seine rechte Hand hob sich. „Paragraphen, Absätze. Das ich nicht lache.“ In ihr formte sich eine brodelnde Lichtkugel. „Genehmigungen…“ Die Lichtkugel löste sich aus der Umklammerung, formte sich in eine riesige Wand, die aus purer Energie zu bestehen schien. Es war ein geöffnetes Portal. „Ich glaube, du musst noch viel lernen, Junge.“ Sagte Raphael schließlich an Aaron gewandt und stieß den kleinen Engel mit den großen Augen einfach in die erschaffene Öffnung hinein. Kopfschüttelnd holte er das Schwert und trat ebenfalls in das helle Licht, das kurz nachdem der Windengel dahinter verschwunden war, einfach erlosch. Nichts mehr als ein verlassener, ziemlich unaufgeräumter Raum war zu sehen. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Kapitel 2 Aaron atmete tief ein, seine Pupillen zogen sich durch das helle Licht zu winzigen Punkten zusammen. Angst durchzuckte seinen ganzen Körper, er hatte noch nie ein Portal betreten... Vor allem nicht SO eines: Ein ungesichertes, ohne dass ein Wächter ein Auge drauf hatte, damit nichts schief ging... Das Licht umarmte seinen schmächtigen Körper und schloss ihn gänzlich ein. Nur wenige Sekunden vergingen in dem hellen irgendwo, doch diese Zeit reichte vollkommen aus, um den jungen Engel noch mal sein Leben vor Augen zu führen. Mit einem "Wäuhäääääääääähhhhhhhhhhhhh" flog die Gestalt unkoordiniert in eine kleine, dunkle Gasse und fuchtelte hilflos mit den Armen als versuche er in der Luft zu schwimmen. Doch das was er suchte, fand er nicht. Haltlos landete er auf dem kühlen, feuchten Boden. Dreckspritzer zeichneten auf seinem blütenweißen Gewand bizarre Muster. Wild wehten die roten Locken um seinen Kopf. Es war das erste Mal, dass der Wind ihn streichelte. All diese neuen Eindrücke überwältigten ihn, auch wenn es sich nicht um ein schönes Panorama handelte, sondern um eine kleine, schäbige Straße, in der es nach Urin roch. Sofort wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er sich zusammenreißen musste. Er durfte nicht zeigen, dass ihm alles so fremd, so neu war. Raphael durfte nichts merken sonst... Aus der Dunkelheit hinter Aaron drang plötzlich eine Stimme. „Na, Schiss?“ fragte sie ihn spöttisch und Raphael, zu dem die Stimme gehörte, trat in das matte Licht, welches die Seitenstraße nur spärlich erhellte. „An deiner Landung musst du allerdings noch ein bisschen feilen…“ fügte er mit einem Stirnrunzeln und einem spöttischen Blick auf das verdreckte Gewand seines Begleiters hinzu. Aus seiner hinteren Hosentasche, plötzlich trug der Windengel ganz andere Kleidung als bisher, zog er eine Zigarettenschachtel, aus der er gekonnt einen Glimmstängel fischte und ihn anzündete. Lässig sah er sich um; gekleidet in schwarze, nicht ganz billig aussehende Hosen, einer halb aufgeknöpften, weißen Bluse und blank polierten Lederschuhen. Letztendlich reichte er der kleinen Gestalt eine Hand und blickte fragend, mit einer Mischung aus Spott und ehrlich gemeintem Mitleid auf ihn herab. Erschrocken sprang Aaron auf und mustere sein Gegenüber. Er hatte schon viele Bücher gewälzt und versucht, sich mit der irdenen Kleidung vertraut zu machen. Gründlich betrachtete er die Szenerie, um herauszufinden, ob es Zeugen für ihren Übergang gab, doch da war niemand. Hell hallte das Schnipsen seiner Finger in der Gasse. Seine bisherige Kleidung musste einer Jeans und einem weißen Hemd weichen. "Besser so? Was machst du da?" Verwirrt sah er Raphael an und deutete auf die Zigarette zwischen dessen Fingern. "Weißt du nicht, dass das tödlich ist?" Irritiert zwinkerte Raphael, zog seine Hand schließlich wieder zurück und ließ sie in der Hosentasche verschwinden. Der Junge war zwar noch absolut feucht hinter den Ohren, aber er schien Charakter zu haben. Irgendwie begann der Windegel ihn zu mögen. „Tödlich…?“ Konnten Engel denn… sterben? Leise lachte er und zuckte mit den Schultern. Ob es ihm nun egal war, ob er an Lungenkrebs sterben könnte, oder ob er der festen Überzeugung war, dass Engel nicht sterben konnten, war dahingestellt. „Ich denke, das ist der Schuppen.“ sagte Raphael schließlich und deutete mit dem Kopf auf eine schäbige Tür, die in ein noch schäbigeres Mauerwerk eingelassen war. Über ihr hing ein vor Dreck kaum entzifferbares Schild, sodass Raphael näher heran treten musste, um es lesen zu können. „…„Hell and Heaven“… das war es doch, was der Alte gesagt hat, oder Aaron?“ fragte er, hatte dabei aber schon die Klinke in der Hand. Ein wenig in Gedanken verloren nickte Aaron vor sich hin. Ob er es wohl schaffen würde, Raphael etwas vor zu machen? Ihm kam alles immer komischer vor: Der Herr, dieser Auftrag, RAPHAEL - dieser Gotteslästerer! Dann noch dieser "wer auch immer" der ihnen weiter helfen sollte. Beide schoben sich durch den kleinen Eingang und standen vor zwei Treppen. Die eine führte nach unten, die andere nach oben. Fragend schaute Aaron seinen Begleiter an. „Nein, du kannst mir nichts vormachen.“ sagte Raphael unterdessen mit einem Seitenblick auf Aaron und grinste verräterisch. Schließlich deutete er stumm auf die Treppe, die nach unten führte. Sie war kaum beleuchtet und sah alles andere als einladend aus. Ein dumpfer Bass ließ die Tür am Ende immer wieder erzittern und eine Stimme, die sich anhörte, als ob der dazugehörige Sänger seit Wochen nur Whiskey, Frauen und Marihuana konsumiert hatte, dröhnte kaum verstehbare, pseudo-böse Wörter in den dahinter liegenden Raum. Mit abschätzendem Gesicht begann Raphael den Abstieg. Unten angekommen öffnete er mit einem Ruck die Tür. Eine Geruchsmischung aus Zigarettenrauch, Schweiß und Bier schlug ihm entgegen. Es war stickig dort unten, die Musik ohrenbetäubend laut und der Bass ließ Aaron einen flauen Magen bekommen. Viele Menschen drängten sich auf der Tanzfläche, die überwiegend in pechschwarz oder wahlweise auch in nachtschwarzen Lack und Leder gekleidet waren. Links in einem großen Käfig saß ein Mann hinter einem Mischpult. Sein Kopf war kahl rasiert und mit den verschiedensten diabolischen Zeichen tätowiert. Rechts war ein Durchgang, der wahrscheinlich in den hinteren Teil dieses gotteslästerlichen Ortes führte. Nachdem Aaron die gewaltige Masse von Menschen innerlich verarbeitet hatte, wanderte sein Blick in die Mitte der Tanzfläche und ihm wurde auf einmal ganz anders. Eine hohe Plattform überragte die ekstatisch tanzenden. Auf ihr ein gewaltiger, schwarzer Käfig, in dem nur spärlich bekleidete Damen ihre Hüften verführerisch zu der Musik bewegten und sich gegenseitig küssten und... Doch das war bei weitem nicht alles. Als seine Blicke weiter zogen, offenbarte sich ein riesiges Deckengemälde. Sein Mund klappte langsam nach unten, während er das große Pentagramm, dessen Mitte mit einem stilisierten Kopf des Teufels verziert war erblickte. Das war eindeutig zu viel für ihn. Er wollte gerade, mit immer noch gebannten Blick an die Decke, wieder raus auf die dunkele Treppe, da spürte er einen kräftigen Ruck. Seine Knöpfe sprangen von seinem Hemd. Es zerrte etwas an ihm in Richtung Tanzfläche. Erschrocken ließ er den Kopf sinken und blickte in das Gesicht einer Frau. Er hatte noch nicht mal Zeit ihr Antlitz genauer zu betrachten, da spürte er auch schon ihre feuchte Zunge in seinem Mund und... Metall?! Vor Schreck erstarrte er innerlich und spürte auf einmal die ganzen tanzenden Leiber um sich herum. Sie zog ihn immer weiter in den Sündenpfuhl. "Kaum eine Minute hier, fängt der Bengel es auch noch zu genießen an..." sagte Raphael an sich gewand und beobachtete, wie der arme Aaron inmitten der tanzenden, tobenden Masse verschwand. Er hatte durchaus mitbekommen, dass der kleine Engel kurz davor stand, einfach dem Glauben abzuschwören. Seine vollkommen verwirrten, astralen Wellen waren ja kaum zu übersehen. Bis über beide Ohren grinsend folgte er Aaron und der wohl sehr obszön gekleideten Dame und kaum hatte er sich versehen, da wurde auch er von einer zwielichtigen Domina umgaukelt. "Mich würde interessieren, was der Herr dazu sagen würde, wenn er davon erfährt!" brüllte Raphael schließlich so laut und so wütend er konnte in Aarons Richtung, begann dabei mit der Frau, die ihm am Hals hing, ein aufreizendes Fingerspiel. Aarons Blick, dieses hineingeschriebene Entsetzen - er musste aufpassen, dass er nicht einfach lauthals loslachte. Nachdem er seine Furcht überwunden hatte, versuchte er sich aus den Fängen der Frau zu befreien. Nach einigem Ringen, wobei er darauf achtete, dass er sie auch wirklich nicht verletzte, gelang es ihm. Taumelnd bahnte er sich den Weg durch die Menge. Es war sein erster Kuss und irgendwie war ihm speiübel geworden. Mit zitternden Beinen erreichte er die Tür, riss sie auf und verschwand in den dunkeln Treppenflur und hastete die Stufen hoch. Draußen angelangt, rang er nach Luft. Tief atmete er aus und ein. Mit hastigen Bewegungen bekreuzigte er sich und begann ein Stoßgebet. "Oh Herr, vergib mir, denn ich habe gesündigt" flüsterte er leise in die Nacht. Seine langen roten Locken wehten seicht im Wind, als langsam eine Träne über seine Wange lief. Unterdessen war es wirklich um Raphael geschehen. Lauthals lachte er los, wobei seine Stimme in dem dröhnenden Bass beinahe unterging. Dieser Junge war zu gut! Langsam begann ihm die Sache hier Spaß zu machen. Auch er befreite sich nach und nach aus den gierigen Fängen der Frau an ihm, die das mit einem enttäuschten Laut zur Kenntnis nahm. "Muss an den roten Haaren liegen..." murmelte er wieder, während er sich durch die Tanzenden den Weg gen Ausgang bahnte. Gotteslästerlicher Ort! Und wieder musste er lachen. Bei der Tür angekommen, beruhigte er sich erst einmal und überlegte, was er Aaron als nächstes antun könnte... Er spürte bereits seine verwirrte Präsenz, wie sie den Herrn um Hilfe und Gnade anflehte. Er wäre beinahe wieder einem Lachanfall zum Opfer gefallen, wenn er nicht entschlossen die Klinke herunter gedrückt hätte und mit sehr, sehr ernstem Gesicht in die Gasse hinaus getreten wäre. "Wir müssen reden..." sagte er leise und legte all die Glaubwürdigkeit, die er noch irgendwie aufbringen konnte, in seine Stimme. Seine rechte Hand bekreuzigte sich selbst, die Linke hielt plötzlich ein silbernes Kreuz und einen kostbaren Rosenkranz. Zur Krönung murmelte er letztendlich noch das Vater unser. "Vater unser, der du bist im Himmel..." Aaron murmelte leise mit. Seine Finger verkrampften sich immer mehr und die Tränen rannen heiß über sein Gesicht. Unbändiger Schmerz brannte in seinem ganzen Körper. Wind zog auf und peitschte durch die kleine Gasse. Er musste sich zusammen reißen. Der Himmel zog sich langsam zu und wirkte, wie ein bedrohlicher Wächter des Firmaments. Innerlich kämpfte der junge Engel um sein Seelenheil. "...dein Wille geschehe..." erklang es zitterig aus seinem Mund. Etwas musste geschehen, wenn er es nicht schaffen würde, sich wieder zu fangen, dann... "...wie im Himmel, so auch auf Erden!" flehend hob Raphael den Rosenkranz gen Himmel, der im fahlen Licht unheimlich und angsteinflößend schimmerte. Sein Mund öffnete sich, um erneut in tiefer Inbrunst die so selten gesagten Worte auszusprechen doch - der heilige Engel stockte. Sein Mund blieb auch noch offen, als er zurück auf den vollkommen fertigen Aaron sah. "Wie ging das noch mal...?" Beiläufig kratzte er sich am Kopf und sah so aus, als ob er beim Einkaufen etwas vergessen hatte, was nicht auf der Liste stand. "Dein täglich Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld" donnerte es mit einer erstaunlichen kraft aus Aaron heraus. Heftiger Regen begann auf beide nieder zu prasseln. Es war zu spät er spürte es... aber warum musste Raphael auch noch in so einer Situation auf ihm rumhacken? Er wollte das alles doch gar nicht! Aaron wollte aufhören, schweigen, doch sein Wille kam nicht dagegen an. "Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern" hallte noch bestimmender durch die kleine Gasse. Donner grollte durch die ruhige Nacht. Erst leise, dann immer lauter. Blitze zuckten wirr am Himmel. "Hallo...?" Verwirrt über das Verhalten des Jungen, fuchtelte Raphael ihm mit der Handfläche vor dem Gesicht herum. Er hatte gerade das Vater Unser vergessen! Eigentlich eine Todsünde im Himmel... und es war ihm nicht AUFGEFALLEN?! Noch dazu spürte er eine merkwürdige Aura, die den Jungen umgab und ganz und gar nicht mehr die alte war. Als Aaron noch immer sein Vater unser hinunter ratterte, als ob er seit Jahrhunderten nichts anderes getan hätte, wurde es dem Windengel zu bunt. "Haaaaalloooooo!" sagte er unnütz laut, da seine Stimme in der engen Gasse widerhallte. "Das war ein gottverdammter Scherz!" Völlig unbeeindruckt von den Worten Raphaels machte Aaron einfach weiter. "Denn dein ist das Reich…" erklang die Stimme des Rotschopfes. Nein... dieser schlechte Scherz hat es wirklich nicht besser gemacht. Jetzt wusste der unerfahrene Engel, dass es kein Halt mehr gab. Raphael hatte das Fass zum überlaufen gebracht. Hilflos wimmerte nun Aarons Seele in seiner fragilen Hülle. Noch nicht mal einen Tag hatte er es geschafft - am liebsten würde er sterben. "…und die Kraft…" Der Regen peitschte, als wolle er die Bedeutung des Gesagten unterstreichen. "… und die Herrlichkeit…" Kurz nachdem die Worte sich ihren Weg nach draußen gebahnt hatten, zerriss ein ohrenbetäubender Donner die Nacht. "…in Ewigkeit…" Freudig tanzten die Blitze zuckend über den überwältigen Wolkenberg, der mittlerweile drohend über den Köpfen der Engel schwebte. Jetzt war es wirklich zu spät… Wissend, was gleich passieren würde, flehte er innerlich nach einer Lösung, doch niemand antwortete. "…Amen!" mit diesem Wort löste sich einer der Blitze und fuhr mit einem unheilvollen Schrei der Naturgewalten in Aarons schmächtigen Körper. Gewaltig umzuckte er ein paar Mal seine Hüften, löste sich dann und schlug knapp neben Raphael ein. Jeglichen Kräften beraubt, brach die schlanke Gestalt zusammen. Friedlich lag er nun auf der nassen Straße. Gleichzeitig verstummte das Gewitter. Zurück blieben ein leichter Schauer und Aarons Seele, welche sich noch immer weinend in seinem Körper verkroch. Wahrhaftig vom Donner gerührt stand Raphael nur stocksteif vor dem Geschehenen und starrte den jungen Mann an, durch den gerade zehntausende von Volt hindurch geschossen waren. Ungläubig öffnete sich sein Mund. Gleiches hatte er noch nie erlebt; diese Macht, die plötzlich die Luft erfüllt hatte... noch immer standen seine Nackenhaare senkrecht. Langsam näherte er sich der reglosen Gestalt - er war vor Schreck zur Seite gesprungen – und beäugte argwöhnisch das, was sich ihm darbot. Lebte er noch...? Sein Herz klopfte so wild, dass er glaubte, es gleich zerspringen zu hören. Zaghaft streckte er einen Arm nach Aaron aus; stach zuerst mit dem Finger in dessen Seite, als ob er ein Tier ärgern wolle. Letztendlich schien Raphael jedoch seine größte Angst überwunden zu haben, packte den kleinen Engel und lauschte. Erleichtert seufzte er; er atmete noch. Da kam ihm eine Blitzidee. "HEY! Ihr da oben! Ihr alten Wettersäcke!" brüllte er plötzlich gen Himmel und wie auf Kommando teilte sich die dicke Wolkenschicht. "Was begehrt ihr, mein Gebieter?" rauschte eine merkwürdige Stimme herab, übertrug sich mit dem auf einmal aufkommenden Wind. Irgendwo rauschten sogar Bäume. "Lass die Förmlichkeiten! Warum wolltest du den armen Kerl hier zum Brathähnchen machen, huh?! Wenn ich Hunger hab, dann meld ich mich schon, kapiert??!!" Raphael war außer sich. Könnte es vielleicht sein, dass seine eigenen Kräfte den jungen Engel in Schwierigkeiten gebracht hatten? Stille; nur der Wind säuselte und hörte sich geradezu an, als ob er überlegen müsse. "Nein, Herr. Keiner von uns hat die Wettergeister erzürnt. Es ist uns nicht möglich einen Grund für das Geschehene zu finden." Jetzt war es an Raphael zu überlegen. Wenn sie es nicht waren, wer dann? Besorgt sah er auf Aarons lebloses Gesicht. "Na schön..." grollte er wieder der undeutbaren Stimme im Himmel entgegen. "Dann dampf mal ab..." "Wie ihr befehlt..." Und wieder veränderte sich das Bild; alle Wolken, alles Düstere, das über der Stadt gelegen hatte verschwand und machte einer sternenklaren Nacht Platz. "Hey... wach auf..." Der Windengel rüttelte leicht an den schmalen Schultern. Er hatte wirklich keine Ahnung, was er tun sollte. "Hey! Hey!!!" Die roten Haare flogen auf und ab, doch Aaron gab noch immer kein Lebenszeichen von sich. "Gott, was soll ich tun, was soll ich tun..." Irgendwo in seinem Hinterkopf glaubte Raphael ein donnerndes Lachen zu hören und verfluchte sich insgeheim dafür, den Alten beim Namen genannt zu haben. Seufzend beobachtete er das zarte Gesicht. Eigentlich sah er gar nicht aus wie ein Junge... naja, er war auch ein Engel und einfach wunderschön; aber sein Gesicht war einfach... unbeschreiblich. Innerlich sühnte sich Raphael selbst, dass es ihm erst jetzt aufgefallen war. "Nun gut, das macht es um einiges leichter..." murmelte er. Seine Hände fanden die Wangen des anderen, hielten den Kopf des Jungen. Tief beugte sich der Windengel hinunter und schließlich bedeckten seine Lippen den kleinen, halb geöffneten Mund. Der Brustkorb des Mannes hob und senkte sich schließlich sehr langsam wieder. Sekunden vergingen. Nur der Wind erwachte wieder; blies belebende Frische in die kleine Gasse. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)