Schattenfresser von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 24: Zeit zu handeln --------------------------- XXIV. Zeit zu handeln Die Absätze von Morganas teuren Stilettos klackten laut auf dem hellen Marmorpflaster der Flughafenhalle. Sicher, sie hätte auch ein magisches Beförderungsmittel wählen können, aber wenn man ehrlich war, war ein Flugzeug voller latent flugängstlicher Menschen plus Gratisprosecco deutlich angenehmer und weit weniger aufwendig. Der Rat mochte zwar auf seine magischen Spezialgefährte pochen, aber warum kompliziert, wenn es auch einfach ging? Außerdem war ein Flugzeug doch irgendwie mondäner als ein Riesenreisefrosch. Durch die Glastüren drang das grelle Licht des römischen Mittags, Menschen redeten auf vielerlei Sprachen um sie herum, ein paar Männer blickten ihr interessiert hinterher. Ja ja, sie wusste um ihre Wirkung – die hätten sie mal in zu ihren Pfefferkuchenhaus-Frustzeiten sehen sollen -, aber leider brachte die ihr unterm Strich wenig. Trotzdem kein Grund, aufs Shoppen zu verzichten, wenn man schon auf Säckeweise Gold-aus-Scheiße saß. Und trotz der Absatzhöhe musste sie keine Angst vor orthopädischen Folgeschäden haben, was wollte man mehr? Sie drängelte sich kaltblütig an den Anfang der Taxischlange und war schneller drin, ihren Koffer vor sich her pfeffernd, als die hinter ihr „blöde Schlampe“ brüllen konnten. Dem Taxifahrer verging mit Blick auf ihr Dekolleté auch jeglicher Protest. Sehr praktisch. Sie nannte ihm die Adresse, dann zog das Umland der ewigen Stadt nebst einiger Vororte an ihr vorbei, der Flughafen lag außerhalb. Sie hatte voller Absicht unter einem Tarnnamen ein Menschenhotel gebucht, obwohl es auch Anlaufstellen für solche ihrer Art gab. Zu Glanzzeiten der Stadt bereits in der Antike hatten einige ihre Zelte hier aufgeschlagen und waren dann irgendwie hängen geblieben, einige waren später dazugekommen, bot dieser Ort doch durchaus viel Lebensqualität für sie: annehmbares Wetter, viele Menschen und viel Geschichte, besonders ihre eigene. Sie waren allesamt ein wenig Gewohnheitstiere, wozu durch die Gegend hetzen, wenn man doch Zeit hatte, alles bis zur Neige voll auszukosten? Sie bezahlte ein saftiges Trinkgeld, schnappte sich ihren Koffer, bevor der enthusiastische Taxifahrer es nur ansatzweise aus der Tür geschafft hatte, und sah zu, ihr Domizil zu erobern. Sie hatte ein teures Hotel direkt an der Engelsbrücke, dem Übergang zur Vatikanstadt, gewählt. Bei dem, was sie hier vor hatte, wäre ein abendliches Bad im Jacuzzi und ein Fünfgängemenü gewiss ein guter Ausgleich, falls sie Zeit dafür finden könnte. Um richtiges Essen musste sie sich auch nicht sorgen, nirgends heulten mehr Kinder als vor diesen blutrüstigen katholischen Passionsgemälden, die es hier in Hülle und Fülle gab. Mit Metaphysik hatte sie es nicht so. Zum einen wusste sie zu viel über die eventuellen realen Hintergründe so mancher Religion, zum anderen inspirierte einen Jenseitsglauben nicht wirklich, wenn man erst dann sterben würde, wenn man selber das wollte. Es gab dennoch eine Reihe unter ihnen, die an Dinge glaubten, Metametaphysik sozusagen, um sich und die Welt zu erklären oder auch weil sie wirklich etwas wussten oder meinten zu wissen. Wie auch immer, an dem Punkt war sie noch nicht. Sie beließ es vorerst beim Beobachterposten und beim Pragmatismus. Die Suite war wie geordert, der Balkon bot einen atemberaubenden Blick und das Bett war kuschelweich, die Badewanne riesig. Warum war sie noch mal hier…? Ach ja, um sich für Kai Wiesenblum und indirekt auch ihren zwangsbeförderten Neffen den Arsch aufzureißen, die sie jetzt an der Backe hatte. Nun gut, so war das jetzt eben, und eigentlich war es ja nicht ununterhaltsam, wenn auch nur graduell freiwillig. Aber sie hatte auch schon unangenehmeren Besuch gehabt. Kurz studierte sie den Status ihres Nagellacks, dann den Inhalt der Room service-Karte, gab sie sich einen mentalen Tritt und rappelte sich wieder auf. Sie hatte ja eine Verabredung. Mit Sapienzia. Oh Graus. Die alten Römer hatten sie als Göttin der Weisheit verehrt. Aber die hatten sie auch nicht live am Halse gehabt, obwohl die alte Schnalle sich wahrscheinlich immer über den Honig und die Milch auf ihrem Opferaltar hergemacht hatte wie der Nikolaus. Der war auch so ein Fall für sich… ………………………….. Zwei Stunden später überlegte Morgana, ob sie diese Sache nicht ihrem frei gewählten Tod rasant näher brachte. Oh Gott, wie konnte man nur so öde sein! So uralt und dennoch ein Paradebeispiel an besserwisserischer Altjungfräulichkeit! Schon allein die Frisur! Ein grauer Dutt! Die Klamotten, für die würde sich jede senegalesische Nonne auf Pilgerfahrt hier schämen! Grauer Tweed – spei, bäh! Und dieses hagere, zugleich auch konturenlose Gesicht mit der riesigen Brille darin! Okay, das lag wohl daran, dass Sapienza normalerweise die Gestalt einer fetten, grauen Schlange hatte, die zwischen den Wänden der Bibliotheken des Vatikans umherkroch, um das dort stattfindende Denken aufzulutschen. Das erklärte allerdings einiges. Vor allem die christliche Aversion gegen Schlangen, obwohl diese hier garantiert niemanden in Versuchung bringen würde. Da würde fast jeder freiwillig sich von innen die Finger an der Paradiestür blutig kratzen, um dem ja zu entrinnen! Okay… so schlimm war sie auch nicht. Aber fast. Morgana sagte zum gefühlt dreitausendsten Mal, seitdem sie die andere an der Eingangstür der genannten Trattoria getroffen hatte: „Mmm! Ja, das ist wirklich spannend!“ Aber da musste sie durch. Kein Arsch interessierte sich für diese Grütze, aber wenn man Sapienzia zu etwas bewegen wollte, dann musste man da durch. „Sie halten es unter Verschluss… aber die Komödien des Aristoteles!“ schwärmte Sapienzia sie voll und zitierte sie anschließend vollständig. Fühlte sich zumindest so an. Morgana bestellte noch eine Karaffe Wein und bedauerte sich, nicht so leicht besoffen werden zu können wie ein Mensch. Die Kellner hielten sie wahrscheinlich sowieso schon für die letzte Schnapsdrossel. Sie sprachen Assyrisch miteinander, damit die Menschen sie nicht verstehen konnten, die hielten das wahrscheinlich für irgendetwas Arabisches, sollten sie ruhig. Bevor sie endgültig in Versuchung kam auszuprobieren, ob sie sich vielleicht auch wortwörtlich im Wein ertränken könnte, versuchte sie ihr Glück. „Sag mal, Süße“, versuchte sie es auf die verkitschte Freundinnen-Art, da stand Sapienzia trotz allen Intellektes total drauf, weil sie solchen Input nie bekam. Eventuell auch weil sie definitiv nicht süß war, weder in ihrer richtigen noch in ihrer Tarngestalt. „Ja, meine Liebe?“ hauchte Sapienzia formvollendet zurück und lächelte sich dünnlippig an. Nicht wegen irgendwelcher Hintergedanken, sondern weil sie das mit den Lippen nicht sonderlich gut hinbekam. „Ich habe da neulich was aufgeschnappt. Weiß nicht, ist vielleicht eine Schnapsidee. Ach, vergiss es“, wiegelte sie ab und nagte an einem Grissini. „Nein! Sag!“ biss Sapienzia sofort an und schaute interessiert. „Ach… ist echt nichts…“, wiegelte sie ab und kippte sich Wein nach. „Jetzt hast du mich neugierig gemacht… komm schon…“, bohrte Sapienzia und nippte nun ihrerseits an ihrem Glas. Ein wenig Rouge täte ihr gut. Vielleicht sollte sie sich mal von einem Leichenbemaler beraten lassen, die kannten sich mit so etwas aus. „Ach… war wirklich nur so ein Geplaudere…“, blieb Morgana auf Kurs. „Macht nichts! Oh bitte, meine Liebe!“ war Sapienzia kurz davor zu flehen. Klar, die konnte nicht widerstehen, musste alles wissen… so war sie. „Na gut. Weil du es bist. Also: Tin-kar-Baal… sagt dir das was?“ fragte Morgana beiläufig. Sapienzia schien kurz zu grübeln, Morgana meinte das Glühen ihrer Synapsen durch die fahle Haut hindurch sehen zu können. „Tin-kar-Baal… Tin-kar-Baal…“, ging die andere ihren unendlichen inneren Speicher durch. „Doch… da gibt es was… ein Epos, längst verschollen…“ „Ach schade, genau das hatte ich auch gehört“, seufzte Morgana scheinbar ergeben und wartete mit klopfenden Herzen. Wie erhofft, versuchte sich Sapienzia in einem triumphierenden Grinsen, und sah sie verführerisch über die Tischkerze hinweg an. „Ja, es ist verschollen“, sagte sie. „Aber nicht in meinem Kopf. Da ist es noch da.“ „Oh!“ staunte Morgana betont. „Du hast wirklich so ein unglaubliches Gedächtnis!“ „Danke… aber so bin ich“, meinte Sapienza bescheiden. „Warte… wie war das… ich kenne auch nur Fragmente… Also: Tin-kar-Baal… groß wie die Blüte des Lotus… gefürchtet unter den Winden… verwandelt Grauen in Süße… das Grauen fand ihn und er es… vorbestimmt und erfüllt… aus uralter Finsternis geboren und darin herrschend… wandelte Obisdianschwinge auf Erden… ihr Grauen zerschmolz er nicht… und sie nicht seine Art… verschieden und eins… ewige Liebe, ewiger Hass… Tja, so die üblichen Klischees, Zuckerpüppchen und Dämon eben… Naja, war kein Meisterwerk, nicht schade drum, dass es verloren ist.“ „Obsidianschwinge?“ fragte Morgana irritiert. „Öhm… Moment. Noch Wein?“ fragte Sapienzia und verfiel wieder in ihren Grübelmodus. „Ja, immer her damit“, antwortete Morgana nonchalant an den fragend blickenden Kellner gewandt. Ist der Ruf erst ruiniert… und ihr Ruf wahr ihr nun wirklich scheißegal. Sapienzia grummelte versunken vor sich hin, während sie in ihrem Schädel buddelte, wahrscheinlich hocherfreut, dass jemand da mal etwas draus hören wollte, das nicht so Small Talk geeignet war wie die Gedanken eines wenig sittenstrengen Papstes aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Die neue Karaffe kam, Morgana goss ihnen nach und orderte auf den scheelen Blick des Kellners hin noch ein paar Grissini. Musste er halt noch mal laufen. Und wenn er nicht lernte, sich besser im Griff zu haben, was saufende Frauen in teuren Kleidern anging, dann würde ihr noch die ein oder andere Kleinstbestellung einfallen. Schmerzen machten klug. Rausschmeißen würde man sie nicht, wozu hatte sie das Notfall-Charme-Parfüm dabei. „Ah… ich hab’s!“ kam schließlich von der Bücherschlange, die sich daraufhin sofort dankbar auf die Gebäckstangen stürzte. „War nicht einfach“, mampfte sie. „Weißt du… fünfzehnhundertvierundfünfzig kam ein ganzer Stapel mit Handschriften aus der „Neuen“ Welt hier rein – neu, haha, blasiertes Pack. Der amtierende Papst wollte mit eigenen Augen die heidnische, verwerfliche, irrgeleitete und blabla Kunde der armen, dummen Eingeborenen studieren, damit man ihre Seelen besser retten könne. Aztekische Handschriften. Natürlich haben sie sie anschließend fein verbrannt, nachdem sie zu dem sowieso schon feststehenden Schluss gekommen waren, dass denen gar nichts besseres hätte passieren können, als „entdeckt“, niedergeknüppelt, christianisiert, versklavt und binnen Jahrzehnten durch Brutalität, Hunger und Krankheiten um zwei Drittel reduziert zu werden. Okay, sie haben es anders formuliert. Bevor sie die Handschriften abgefackelt haben, habe ich sie natürlich gelesen. Und daher kommt mir „Obsidianschwinge“ auch bekannt vor.“ „Aha“, sagte Morgana, jetzt durchaus interessiert. „Und wer ist das nun?“ „Itzpapalotl“, verkündete Sapienzia stolz. „Was für ein Lottel?“ fragte Morgana mit fast schmerzenden Ohren bei diesem Wort. „Itzpapalotl!“ wiederholte Sapienzia. „Obsidianschwinge. Oder auch Obsidianschmetterling. Wie auch immer man das gerne übersetzen möchte.“ „Schmetterling?!“ hakte Morgana gebannt nach. Es war nicht mal so, dass dieser Begriff sie jäh ernüchtern ließ, da sie trotz der Weinmenge nun bedauerlicherweise nicht ansatzweise platt war. Dazu regenerierte ihr sowieso schon abgehärteter Körper, der gerade dank guter Ernährung prima in Schuss war, viel zu schnell. „Ja“, dozierte Sapienzia freudig. „Eine Aztekengöttin. Die Göttin des Feuers, genaugenommen, sowohl nutzbringend als vernichtend und grauenerregend wild. Wobei die Azteken eher letzteren Aspekt im Sinne hatten und ihr daher eifrig Menschenopfer entgegengebracht haben, damit sie nicht ausflippt und auf sie losgeht. Die Azteken haben sie je nach dem Aspekt, den sie betonen wollten, entweder als verführerisch schöne Frau oder als brennendes Skelett dargestellt. In jedem Fall hatte sie auf den Bildern in den Manuskripten Flügel. Schwarze Schmetterlingsflügel aus Obsidian, die in messerscharfen Dolchen enden. Faszinierend, was?“ „Ja, total!“ gab sich Morgana wissensdurstig. „Aber… naja…?“ „Eine von uns? Möglich. Aber wenn, dann nicht mehr existent. Nie von ihr gehört außerhalb der Literatur, und ich habe ja auch schon deutlich mehr Jährchen auf dem Buckel als du. Viele derjenigen, die damals drüben gelebt haben, sind mit ihren Völkern in die Auslöschung gegangen. Das war ihre Welt, sie wollten sich nicht anpassen. Andere nicht. Wie diese Saufnase im Rat. Und andere sind eben nur Menschen-Mythen. Obsidianschwinge eventuell auch“, meinte Sapenzia von sich überzeugt. „Aber warum taucht die dann in der altorientalischen Dichtung auf? Das ist ja nicht gerade um die Ecke von Mexiko?“ bohrte Morgana. „Pffft… kann auch nur eine dichterische Erfindung ohne Zusammenhang zu dem anderen sein. Die Tin-kar-Baal-Geschichte ist obendrein viel älter als die aztekische Überlieferung. Und Obsidian und Schmetterlinge gibt es auch im Orient. So originell ist die Menschheit nun auch nicht, dass nicht zwei auf dieselbe Idee kommen würden. Frag mich nicht nach Schlussfolgerungen – die fresse ich, aber ich mache sie nicht“, erinnerte sie Sapienzia und kippte wohlgemut ihr Glas in sich rein. „Aber wenn“, beharrte Morgana. „Das doch irgendwie zusammengehört?“ „Tja, dann ist es vielleicht eine Geschichte über zwei Uralte, die längst nicht mehr unter uns weilen. Ich bin gut informiert. In unseren Kreisen verkehrt kein Tin-kar-Baal. Und erst Recht keine Itzpapalotl. Wenn es sie wirklich gegeben hat, dann müssen sie sich ziemlich aus allem rausgehalten haben, dass es so gar keine Überlieferungen ansonsten über sie gibt. Oder sie waren so alt, dass sie lange vor der Erfindung der Schrift existiert haben, so alt, dass selbst unsere Traditionen nichts von ihnen wissen. Es soll sie ja geben. Okay, Narziss gibt es wirklich, der ist halt hängengeblieben. Aber ansonsten? Noch existent? Das sind Märchen…“ „Genau, Märchen sind für Blödmänner“, pflichtete Morgana ihr zu. Ein Teil von ihr hoffte inständig, dass es genauso sei. Einem anderen Teil von ihr drehte es den Magen um. Und der war äußerst robust. …………………. „Oh Mann, das war toll!“ freute sich Skia fast atemlos. Floffi lag gemütlich schnarchend zwischen ihnen, Leviathan war in seinen Bauer im ersten Stock verbannt, solange Skia der Herr im Hause war. Gut für Floffi. Schlecht für ihn. Kai hatte seine Flügel ausgebreitet, so ging das einigermaßen, auch wenn er etwas schief saß. Aber immer nur Hocker… er wollte auch mit aufs Sofa, auch wenn er sich dafür völlig zerknautschen musste und ihm wahrscheinlich demnächst irgendetwas Merkwürdiges kribbelnd einschlafen würde. „Oh Mann, wie der Todesstern in die Luft geflogen ist! Gerade geschafft! Oh Mann!“ begeisterte sich Skia und sah ihn aus rosa Augen strahlend an. „Du kanntest echt Star Wars noch nicht?“ wunderte sich Kai, erfreut, Skia auch mal etwas Gutes bieten zu können. Skia schüttelte den Kopf. Er hatte seine Zöpfe gelöst, das schien bequemer zu sein und verheddern tat er sich nicht, da er sein Haarinferno ja koordinieren konnte. Außerdem konnte er sich so die Kuscheldecke sparen. Gerade sah er aus wie ein blondes Haarmonster, aus dem nur das Gesicht und die Hand mit den Kartoffelchips rauslugten. „Ist irgendwie an mir vorbei gegangen. Wie konnte das bloß passieren?! Danke, Kai, Danke! Der Film war super!“ tobakte er weiter vor sich hin. „Gern geschehen“, erwiderte Kai und gönnte sich das Gefühl, einfach nur einen schönen Fernsehabend zu erleben und alle Sorgen kurzzeitig auf die lange Bank zu schieben. Er musste lächeln. Skia war irgendwie… herzerwärmend, wenn er so verzückt von so etwas Banalem war. „Ob Prinzessin Leia mit Han Solo zusammen kommt?“ spekulierte Skia. „Der ist viel cooler… ach, Hauptsache nicht mit Chewbacca!“ „Gerade sieht eher du aus wie Chewbacca“, grinste Kai. Skia linste an sich herab. „Stimmt“, sagte er etwas bedrömelt, dann grinste auch er. „Aber kann Chewbacca das hier…?“ Kai fiel beinahe vor Schreck vom Sofa, als Skia abrupt seine Haare ausstreckte. Wirklich ausstreckte. In alle Richtungen. Als habe er gerade einen Stromschlag erlitten. Wusste der Geier, wie viel Volt nötig wären, um diese gut und gern zwei Meter langen Strähnen ausgestreckt in alle Richtungen schießen zu lassen. Skia begann zu lachen ob seines Gesichtsausdrucks. Er fasste sich ein wenig, dann fiel er ein. Das hier war doch alles der Wahnsinn. Aber dieser Wahnsinn hier gerade war einer von der guten Seite. Hatte so etwas freudig Verspieltes. Er pruste und sah zu, die Haare, die sich um ihn geschlängelt hatten, loszuwerden. „Manchmal sind sie ja die Pest“, sagte Skia. „Oder schlimmer, denn Pest ist ja nicht so das Problem. Aber manchmal auch echt lustig.“ „Ja, das sind sie“, gab Kai ihm Recht. „Und sie sind wunderschön. Schau nur, wie die… die Menschen immer gucken. Ist zwar ungewöhnlich, aber wenn es so aussieht…“ „Ja… da denken sie an Gesundheit. Und gute Gene. Habe in Bio aufgepasst, jawohl, auch wenn das alles ganz schön schräg war. Aber immer geht es denen nur um Fortpflanzung…“, meinte Skia, die Haare wieder runter lassend, kopfschüttelnd. „Naja“, entgegnete Kai. „Das stimmt so nicht. Es geht auch… auch um Liebe. Gemeinschaft. Ästhetik. Viele Dinge. So simpel ist die Menschheit nun doch wieder nicht.“ „Okay… kann sein“, gab Skia ihm nach. „Habe ich ja gesehen… in den Serien. Haare streicheln… ist dort ein Zeichen von Zuneigung?“ wollte er wissen. „Ja“, nickte Kai. „Auch. Eltern streicheln das Haar ihrer Kinder. Menschen, die sich nahe stehen… um zu zeigen, dass sie den Anderen mögen.“ „Aha“, sann Skia. „Und…“, setzte er zögerlich an, „wie ist das mit dir? Ich meine, da ist noch so viel Mensch in dir. Und Menschen… Menschen zeigen ihre Gefühle über Haare? Und ich habe nach Menschenmaß schöne Haare?“ „Was?“ fragte Kai etwas beklommen ob der Argumentationskette. „Meinst du?“ „Du… du magst mich doch, oder?“ stocherte Skia vorsichtig und starrte ihn ein wenig verschüchtert aus seinen Horror-Augen an. Aber das waren nur aus Menschensicht Horror-Augen. Skia war kein Monster. Er hatte nur ein bisschen Hunger. „Ja, sicher“, murmelte Kai. „Ach was, sicher. Nichts ist selbstverständlich. Du magst zwar… so anders sein, wie alles jetzt anders ist. Aber… du… du bist nichts als gut zu mir. Nicht einfach, weil du es müsstest, sondern weil du es bist.“ Skia lächelte ihn an und eine kleine Strähne seines Haares, die wahrscheinlich auch schon für zwei Normalos gereicht hätte, kringelte sich auf Kais Schulter, dann richtete sich eine Spitze auf und tippte ihn ganz sacht auf die Wange. Kai begriff. Skia-Logik, klarer Fall. Er hatte gelernt, dass Zuneigung nach seinen menschengeprägten Gewohnheiten über Haare kommuniziert wurde. Und Skia wünschte sich seine Zuneigung, so war er wohl eben – und warum auch nicht, so sehr, wie er sich um ihn bemühte, so sehr sie zusammen gekettet waren. Dass das nach menschlichem Empfinden dann doch zuweilen etwas anders hieß, müsste er ihm erklären. Oder auch nicht. Sie waren keine Menschen. Skia trat einen Schritt auf ihn zu, dann konnte er das doch auch? Er straffte sich leicht, langte zur Seite und griff sich die Strähne. Das Gefühl zwischen seinen Fingerspitzen war unglaublich, stellte er staunend fest. Dieses Haar war wie Seide, zugleich viel stärker und viel weicher und es ringelte sich voll Begeisterung aus eigenem Antrieb, und es leuchtete im Schein der sauteuren Designer-Kerze, die Morgana hier auf dem Tisch aufgebaut hatte. Er rieb die dargebotene Pracht sacht und tat sein Bestes, freudig zu lächeln. Skia schloss genießerisch die Augen und murmelte: „Das ist schön. Das ist wirklich schön.“ Das war es. Das Problem war nur, dass Skia nicht Floffi war, der nach wie vor tief und fest vor sich hin schnarchte und sich von ihnen kein Stück beirren ließ, - und Haare streicheln auch mit den Dingen zu tun hatte, von denen Skia nachweislich keinen Plan hatte. Kai hatte sich gefragt, ob gewisse Teile von ihm noch funktionierten? Jetzt wusste er es. Dieser bildschöne… was auch immer… der genüsslich die Augen geschlossen hielt und mit sinnlichen Lippen lächelte, während er ihm seine unmenschliche Mähne darbot, der überhaupt nicht mehr sein Schüler Skia Holgerson war, genauso wenig wie er der Lehrer Kai Wiesenblum… ein kleines Füncken flammte in ihm auf, das leicht des Irrsinns auf und nieder zu hopsen drohte. Er fühlte sich etwas benebelt. Aber er wollte ihn nicht britzeln… Gott sei Dank… er wollte ihn nur… ja… was denn eigentlich… Skia rutschte näher, kuschelte sich in seinen etwas verbogene Flügel, immer mehr Haare fielen über ihn her, und sie wurden immer schöner und schöner und dufteten und glänzten und waren doch nicht die Spur weiblich, sondern gehörten zu diesem Wunderwerk der… äh…?... Magie?... das immer näher kam und näher… und so breite Schultern hatte, eine perfekt gewölbte Brust… und diese schmalen Hüften… und so… Irgendwo tief in ihm macht irgendetwas: Plopp. Nur Plopp. Oder so ähnlich. Aber bevor er daraus irgendwelche Konsequenzen ziehen konnte, verwandelte sich die einschmeichelnde Qualität von Skias Haarlawine in etwas anderes. Plötzlich kam Spannung in sie, sie sirrten förmlich, und dann… ……………… Sie hatte aufmerksam das Schauspiel da drinnen verfolgt. Star Wars. Auch das noch. Und diese beiden albernen Nichtsnutze amüsierten sich natürlich königlich darüber. Derweil hatte sie ihn studiert. Er hatte die Gestalt eines jungen Menschenmannes angenommen – mit Fühlern und rosa Flügeln. Das änderte nichts. Alles soweit in Ordnung aus ihrer Sicht. Aber dann… oh nein… oh nein, nein, nein, nein. Diese Idioten. Zeit zu handeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)