Schattenfresser von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 20: Ein Cheerleader für Kai ----------------------------------- XX. Ein Cheerleader für Kai Kai blickte hoch, als es an der Tür klopfte. Der Rückflug war in Hinsicht auf den Komfort ja recht erträglich gewesen, aber momentan drehten sich die Informationen in seinem Kopf wie ein verrückt gewordenes Mobile aus einer anderen Dimension. Floffi ging es da deutlich besser. Er hatte einen argen inneren Zwiespalt überbrücken müssen, als er seines Herrchens wieder ansichtig geworden war. Zum einen hätte er wohl gerne ein wenig geschmollt, dass Kai ihn hier für ein paar Tage unter der Obhut der entzweigerissenen Profi-Fälscher gelassen hatte, zum anderen war die Wiedersehensfreude so groß gewesen, dass er sich kaum hatte halten können. Das Ganze hatte in eine wüste Kakofonie aus Sopran-Gekläffe und Kolibiriflügeltakt-Schwanzgewedel gemündet, die erst geendet hatte, nachdem er ausgiebigst geknuddelt worden war. Jetzt lag der Hund völlig erledigt auf seinem Schoß und schaute wieder zufrieden in die Weltgeschichte. Langsam nahm Kais Hungergefühl bei seinem Anblick ab, wahrscheinlich da in seinem Kopf langsam das Bewusstsein Anker fand, dass Floffi eben Floffi und nicht die Nachspeise war. In jedem Fall tat es gut, den kleinen Dummbatzen zu kraulen, obwohl es doch etwas frustrierend war, dass dieser sehr, sehr entfernte Verwandte der Wölfe inzwischen optisch ziemlich gut zu ihm passte. Von einem tätowierten Hafenarbeiter und seiner Bulldogge waren sie wohl ziemlich weit entfernt. „Ja, bitte?“ rief er Richtung Tür. Skia öffnete vorsichtig, linste um die Ecke, lächelte Floffi freudig zu, und sah dann ihn deutlich ernster an. „Darf ich rein kommen?“ fragte er höflich. Kai nickte nur. Er wusste ja, was kommen würde, zumindest in Grundlinien. Das da war jetzt sein Quasi-Erziehungsberechtigter. So konnte es kommen, die Welt war voller Irrsinn. Eben hatte er noch versucht, Skias Geschichtsklausur zu korrigieren, ohne einen Hau dabei zu bekommen und dem vermeintlichen Schüler eine Ahnung von der Bedeutung der menschlichen Historie zu geben, und jetzt war er gewissermaßen der Erziehungsgegenstand eines sehr jungen, unerfahrenen Unsterblichen, der ihm dennoch in vielerlei Hinsicht unendlich überlegen war und obendrein noch Jahrzehnte älter als er. Es war nicht einfach, das wirklich zu realisieren, nachdem er Skia als jemand ganz anderes kennengelernt hatte – jemand, den es gar nicht gab. Es gab keinen Skia Holgerson, Tigertrauma-Inderschwede, neunzehn Jahre alt, Schüler der zwölften Klasse, es gab nur Skiaphagos, Schattenfresser, Kind der Märchenwelt - wie er nun auch, wessen Kind er auch immer in Wirklichkeit sein mochte, die Tatsachen ließen sich nun einmal nicht wegleugnen. Skia trat ein und ließ sich auf einen der Sessel aus Kais Garnitur fallen. Kai selber saß auf einem Hocker neben dem Sofa, auf dem er so viele Nachmittage und Abende verbracht hatte, mal korrigierend, mal nickernd und den Hund streichelnd, mal beim Fernsehen oder beim Lesen… und früher gemeinsam mit Franz… bevor der abgehauen war… erschien ihm gerade fast wie etwas, das einem anderen widerfahren war, eine Episode aus einem fremden Leben. Über Franz war er nun längst weg, über das Gefühl so übel sitzen gelassen worden zu sein ein bisschen weniger… aber dennoch… ein Franz und seine eigenen einstigen Lebenspartnerschafts-Träume erschienen wie etwas unendlich weit Entferntes. Und auf dem Sofa konnte er auch nur noch bäuchlings herum lümmeln. Skia seufzte tief, auch für ihn war das alles ziemlich harter Tobak. „Schon eine Idee?“ fragte Kai ihn leise und kraulte dabei den vor sich hin dämmernden Floffi hinter dem Ohr, der selbst für die übliche Jubelbegeisterung Skias anscheinend keine Energie aufzubringen in der Lage war, die eigentlich fällig war, nachdem er ihn drei Sekunden nicht gesehen hatte. Er quietschte nur leise, dass es klang wie ein müdes „Hallo“. Skia ließ ein wenig die Schultern hängen, sein rechter Zopf schlängelte sich dabei eigendynamisch nach vorne und rollte sich zusammen, als sei er eine Schlange, die selbständig agierte. Es war schon faszinierend, das zu sehen. Wenn Skia sich nicht zusammenriss, führten seine Haare ein gewisses Eigenleben, weniger gesteuert als eher reflexgebunden – aber sie bewegten sich. Gerüchteweise wusste Kai ja, dass Rapunzel da noch ganz andere Tricks drauf hatte – auch Prinzen lebten nicht ganz ungefährlich. „Ach…“, setzte Skia an. „Wir müssen hier ja regelmäßig raus und in der Menschenwelt… leben. Das erste, das mir da durch den Kopf geschossen ist, wäre natürlich einfach wieder zurück zur Schule… Aber das hat der Rat ja ausgeschlossen, warum auch immer. Vielleicht, damit es dir leichter fällt, dich von deinem alten Leben zu lösen?“ „Könnte sein“, nickte Kai halbwegs tapfer. „Da jeden Tag hin so wie bisher und dabei zu wissen, dass das alles nur Lug und Trug ist… Es hört sich zunächst ja verführerisch an, aber… aber ich glaube, das wäre noch schwerer… Ein klarer Bruch damit ist zwar… schmerzhaft, aber besser kurz und schmerzhaft als lang und völlig unerträglich.“ „Wäre ein Grund“, stimmte Skia zu. „Aber Tante Morgana mag nicht an so lautere Gründe von Seiten des Rates glauben… Wie auch immer, momentan bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als die Auflagen erst einmal zu erfüllen. Sie versucht derweil mehr heraus zu bekommen. Am schlausten wäre es wohl, irgendetwas Menschliches, ganz „Normales“ zu machen – und in Reichweite zu bleiben, auf die Unterstützung meiner Tante will ich da vorerst gewiss nicht verzichten.“ „Ja… das macht Sinn“, musste Kai ihm Recht geben. „Aber… ich habe da ja anscheinend gerade nicht so die Aktien drin… was schwebt dir denn vor?“ Skia wand sich ein wenig unwohl auf seinem Sessel. „Also… Morgana kann eine Salbe herstellen, die Deine Flügel und Antennen für ein paar Stunden unsichtbar machen. Das heißt aber nicht, dass sie dann weg sind – du kannst immer noch mit ihnen gegen etwas stoßen oder etwas gegen dich. Vielleicht kriegst du etwas in der Richtung auch selber hin? Das müssen wir dann wohl üben… Aber die Wirkung der Salbe ist begrenzt, maximal sechs Stunden sagt sie. Fliegen und… was immer du mit den Antennen so machst… kannst du dann nach wie vor.“ „Na, das ist ja schon mal was“, versuchte Kai die Sache positiv zu sehen. „Und… ich kann auch irgendwie hören und riechen mit den Dingern.“ „Aha – Roc, nicht wahr?“ verstand Skia. Kai fühlte schon bei dem Gedanken an das vermaledeite Federvieh ein Würgen in der Kehle und beschränkte sich auf ein kurzes Nicken. „Ich kann mit den Haaren auch ein wenig fühlen, Vibrationen zum Beispiel bekomme ich mit – gut bei drohenden Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen“, erklärte Skia und wies dabei demonstrativ auf seine faul herum hängende Haarpracht. „Praktisch…“, murmelte Kai, obwohl er hoffte, vorerst vor solch handfesten Katastrophen verschont zu bleiben. Aber Dank Skia wäre er ja gewarnt… „Manchmal“, gab Skia zu. „Aber… nun, ich habe nachgedacht… Also, was macht man, wenn man aus der Schule fliegt oder sie selber abbricht…“ „Öh…“, konnte Kai nur sagen. Er ahnte, dass Skia da wahrscheinlich nicht an dasselbe dachte wie er, aber er wartete es vorsichtshalber mal ab. „Naja… man sucht sich einen Versager-Job!“ machte Skia ihm klar. Kai atmete tief durch. Wie wäre es mit einem Abschluss auf einer anderen Schule? Einer beruflichen Umschulung? Oder zumindest so viel Taktgefühl, die Jobs anderer Leute nicht auf diese Weise zu bezeichnen? Aber das war wohl ziemlich verlorene Liebesmüh… er war nicht mehr Skias Lehrer, und nicht er war der, der dem anderem helfen sollte, sich einzufügen… Wahrscheinlich war lediglich sein praktisches Wissen bei der Ausführung vonnöten, der Rest war wohl piepsegal. Dennoch harter Tobak… er hatte so viel darein investiert, beruflich voran zu kommen und jetzt das… Doch um Karriere ging es leider nicht mehr, sondern eher darum, sich einigermaßen zu Recht zu finden. „Und wie soll das konkret aussehen?“ fragte er lieber so sachlich wie möglich. Innerlich stimmte sein Geist das Lied „Beauty School Dropout“ aus „Grease“ an. In Skia kam wieder Bewegung. „Ich habe mich im Internet schon mal erkundigt. Sobald das mit den Flügeln läuft – beim MacDonalds-Drive die Landstraße runter suchen sie gerade noch Leute! Vier Stunden-Aushilfs-Schichten, passt perfekt – und man braucht keine großartigen Qualifikationen. Gefälscht kriegen wir zwar alles – Gesundheitszeugnis brauchen wir, aber das ist ja kein Ding – bloß müssen wir es ja auch können, irgendwie… Und Grillen kann ich ganz gut, auch wenn es zuhause meist Rohkost gegeben hat“, verkündete er. Kai hatte das Gefühl, dass seine Innereien sich verknoteten. Gnade! Er schloss die Augen und tat sein Bestes, nicht zu hyperventilieren. Sich vom Lehrerdasein zu verabschieden war eine Sache – aber zu MacDoof?! Er?! Es spielte keine Rolle… es war egal... es ging hier um ganz andere Dinge… Dennoch! „Rohkost?! Und: muss das sein?!“ brachte er nur hinaus, dabei Floffi weckend, der unwillig quietschte, ihn strafend ansah und jetzt doch zu Skia wechselte. „Ja… roher Fisch, rohes Fleisch… Nein, wir können auch was anderes machen… aber… ich weiß, dass das… aber, wir brauchen etwas, das nicht so…“, murmelte Skia und sah zu Boden. Kai schluckte. Skia gab sich hier echt Mühe, er wollte ihn nun wirklich nicht fertig machen. Auch er konnte nur im Rahmen des Möglichen und Geforderten handeln. Immerhin schien er zu begreifen, dass ihm das sauer aufstieß – das wäre bei Morgana oder einem anderen von ihnen wohl nicht so gewesen. Insofern hatte er mit Skia wohl sogar noch Glück im Unglück. „Entschuldige“, seufzte er. „Es ist nur so… schwer, dass plötzlich alles so anders ist. Dass das, was ich gelernt habe – nicht nur die Inhalte, sondern auch die… Werte, zumindest viele von ihnen – plötzlich nichts mehr zählt oder ganz anders ist. Dass ich ganz anders bin. Dass es überhaupt keine Rolle spielt, ob die Menschen mich für einen Kaiser von China, Studienrat oder Burgerbrater halten… dass ich nichts davon bin, nicht wirklich…“ Skia sah ihn aus seinen gerade zunehmend rötlich leuchtenden Augen an und verzog mitfühlend das Gesicht. „Es tut mir echt… leid“, sagte er. „Aber ich kann’s auch nicht ändern. Ich würde ja gerne sagen, dass das meine Schuld ist… ist es aber nicht. Irgendwer hat dir das angetan, und jetzt musst du alles neu lernen. Nun ja, nicht alles, aber sehr vieles. Und ich weiß auch nur so wenig, aber ich verspreche dir, ich werde alles tun… nicht nur, weil der Rat das will und dieser Winzling auf dem Fensterbrett das gefordert hat… sondern… Ich versuche es, okay?! Wenn etwas gar nicht geht, dann sage es, ich werde…“ Kai biss sich auf die Unterlippe. „Nein!“ sagte er. „Das… das, was du machst… ist schon okay. Ich versuche es ja auch… aber ich kann auch nicht einfach auf „reset“ drücken.“ „Ja… verstehe ich“, murmelte Skia. „Sag aber trotzdem, wenn du es deswegen nicht kannst. Ich kann auch nach etwas Anderem suchen…“ Kai atmete tief durch. „Das was du da gefunden hast… Es ist logistisch klug gewählt, nah dran an hier… kurze Wege sind gut, wenn etwas sein sollte und wegen des Tarnzaubers. Die Aufgabe ist… ganz normal, mittendrin, gut geeignet, um sich zu bewähren und nicht allzu sehr im Mittelpunkt zu stehen und zu üben... Und wenn etwas schief geht, dann kann man sich da schnell und recht problemlos verdrücken. Und die Tätigkeit dürfte uns nicht unbedingt überfordern, hoffe ich – ich habe da wenig Erfahrung. Wir haben ja dabei so viel mehr zu beachten… Es ist schon gut, Skia.“ Auf Skias Gesicht erschien ein leichtes Lächeln. Er atmete auf. „O… okay. Prima. Danke. Dann… Morgana macht die Salbe fertig, ich rufe da an. Vielleicht wollen die uns ja gar nicht, wer weiß.“ „Aber“, wandte Kai ein. „Offiziell bin ich an der Schule nur krankgeschrieben. Wenn ich beim Jobben nebenher erwischt werde, dann gibt es da richtig Ärger… Ich weiß, das spielt keine Rolle… aber für meine Eltern – meine richtigen Eltern, die mich großgezogen haben – schon. Und…“ Skia zog die Augenbrauen zusammen. „Ich kläre das mit Rumpel und Stilzchen, was das Formale angeht“, versprach er. „Den Rest… da hilft wahrscheinlich nur das mit der Lebenskrise… und der Neuorientierung…“ Kai seufzte. „Ich weiß. Ich tue mein Bestes, das glaubhaft rüber zu bringen. Was bleibt mir schon? Ich kann nur lügen, wenn ich weder jemandem wehtun möchte noch gegen die güldenen Regeln verstoßen, ich weiß… Allmählich beginne ich ehrlich gesagt auch zunehmend sauer auf die zu werden, die mir das eingebrockt haben. Aber… was ist, wenn sie wirklich gute Gründe gehabt hätten? Wenn es wirklich für alle Betroffenen besser gewesen wäre, dass ich weiterhin daran geglaubt hätte, bis ich – ob durch schiere Einbildung oder irgendwelche Magie oder sonst wie – auf Menschart ins Gras gebissen hätte?“ „Nein!“ fuhr Skia ihn plötzlich an, dass Kai erschrocken zusammen zuckte. Skia war normalerweise ja nicht gerade das absolute Temperamentbündel oder irgendwie launisch oder laut, aber jetzt sah er ausnahmsweise wirklich mal so aus, als ginge ihm etwas gehörig gegen den Strich. Und mit seinen rötlichen Augen sah er dabei nicht gerade aus wie ein wütendes Erdmännchen, sondern wie jemand, dem man besser nicht unbedacht krumm kam. Das war… verblüffend, aber bei genauem Nachdenken nicht wirklich überraschend, wenn man sich Skias Verwandtschaft so ansah. In deren Mitte der Softie zu sein hieß nicht gerade viel… „Das darfst du nicht einmal denken!“ wurde er belehrt. „Bei den Menschen gibt es doch auch Rechte… die Menschen- und Bürgerrechte, hast du mir doch beigebracht! Nun, hier gilt das auch, auch wenn das nie einer aufgeschrieben hat. Jeder von uns zählt. Und es sind in der Tat einige unter uns, die nicht ungefährlich sind – für uns – auf die eine oder andere Art. Da gibt es dann Maßnahmen – aber sie auszulöschen? Denn nichts anderes hätte es in unseren Augen bedeutet, wenn du dich, weil du an dein Menschsein geglaubt hättest, umgebracht hättest, weil du dachtest, es sei eben an der Zeit... Das ist Mord, wenn ich es recht überdenke. Direkt können wir einander ja nicht töten, aber so… oh Mann… da hat echt wer versucht, dich umzubringen! Und mir fällt beim allerbesten Willen kein ansatzweise plausibler oder zu rechtfertigender Grund dafür ein! Auch wenn etwas mit dir wäre – das hätte beraten werden müssen! Man hätte eine Lösung gefunden! Aber nicht so! Niemand wusste von dir, man hat dich verheimlicht, dich betrogen und beinahe in dein Ende geschubst! Das ist doch… echt zum Kotzen!“ Kai starrte ihn an. Skia hatte Recht. Ihm wurde etwas schwummerig. Man hatte ihn nicht nur übelst gelinkt, dass er jetzt das Gefühl hatte vor den Trümmern seines Lebens zu stehen… und ganz am Anfang… aber seine Eltern, Freunde, Bekannte…, sondern auch in Kauf genommen, dass er sich beizeiten selbst das Licht ausblies. In der Achterbahn war es kurz davor gewesen, wenn Skia ihn nicht festgehalten hätte. Er wäre tot gewesen, einfach weil er so fest daran geglaubt hätte, wenn er das alles hier richtig verstanden hatte. Und soweit er sich selber kannte, was in Hinsicht auf seinen neuen Zustand nicht überaus beeindruckende Ausmaße haben dürfte, so war er ein Witz im Vergleich zu all dem anderen, was hier noch kreuchte und fleuchte. Gegen den gedärmelutschenden Froschkönig konnte er definitiv nicht anstinken, ganz zu schweigen von den Figuren dieser Gruselgötterversammlung. „Aber irgendetwas muss doch mit mir sein!“ fuhr er dagegen. „Das war doch kein Versehen? Was ist bloß mit mir? Was ist mit mir los? Und… oh weh… wenn mir einer ans Leder will… oder mehrere… dann…“ Skia stand auf und war mit zwei langen Schritten bei ihm, den mehr als willigen Floffi mit sich schleppend. Er ging vor Kai in die Hocke, streckte den Arm aus und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Weiß du“, sagte er und blicke zu Kai auf, der erst jetzt bemerkt, dass er leicht vornüber geklappt war. „Ich bin in vielen Dingen nicht so gut. Zaubern, Drachen füttern, Fliegen, Physik. Und im Schiss haben. So richtig Schiss meine ich, nicht nur wegen mieser Noten... Ich kann nicht behaupten, dass mir nicht klar wäre, dass das alles hier… nicht so gut ist. Aber Morgana ist dran, und offen kann dich niemand angehen. Wir müssen Ohren und Augen offen halten… aber wir kriegen das hin. Und, falls dich das tröstet, es gibt auch Sachen, die ich kann. Schwertkampf zum Beispiel. Und meine Versprechen halten. Ich… das ist alles ganz schon heftig… aber… wir packen das an! Wir schaffen das! Fühler hoch! Im Cheerleading bin ich auch nicht so gut, ich hoffe es geht auch so ohne Puschel… Eins nach dem anderen, okay?“ Kai fühlte wie er leicht gerüttelt wurde. Er sah hinab auf die goldenen Fluten, die Skias bleiches Gesicht umrahmten. Nicht menschlich. Und als Cheerleader… besser nicht, obwohl das Skia wohl durchaus zuzutrauen wäre. Er hätte nicht gedacht, dass ihn ein Blick in sich langsam rot verfärbende Augen irgendwann mal beruhigen würde. Aber Skias Entschlossenheit tat schon irgendwie gut, vor allem, da sie eben nicht einstudiert oder geheuchelt war. Skia würde exakt das tun, was er gerade gesagt hatte, aus… Loyalität? Pflichtgefühl? Gerechtigkeitssinn? Wie auch immer, aber er würde. Auch in dieser Welt gab es Wesen, die ihm Gutes wollten… das musste wohl für den Anfang reichen. Den Erfolg der Mühen konnte ihm keiner garantieren, aber er war nicht allein. Genaugenommen hatte der Rat ihn und Skia auf ungewisse Zeit aneinander gekettet, aber momentan hatte er dagegen gar nichts einzuwenden. Er hatte ein Dach über dem Kopf und andere, die sich um ihn kümmerten, sich um ihn sorgten… Und er? Was gab er? So ziemlich nichts. Er war das aus dem Nest gefallene Küken, das man wider Erwarten doch noch aufgelesen hatte. Aktuell konnte er nur die Würmer mampfen, die ihm seine neue „Familie“ in den Rachen kröpfte. Aber diese Würmer waren nicht nur sein glitzerndes Essen, sondern auch Worte und Taten… und ein Job bei MacDo… „Danke, Skia“, sagte er schließlich. Skia lächelte und richtete sich wieder zu voller Körpergröße auf. „Gerne“, sagte er, dann sang er leise im Takt: „Eins, zwei, drei, alles kommt in Ordnung, Kai, vier, fünf, sechs, ich bin da und auch die Hex‘, sieben, acht, neun, bald kannst du dich auch wieder freu’n – das mit dem Tanzen lasse ich mal…“ „Äh… das geht schon so… wieder so ein Zaubergesang?“ wollte Kai wissen, innerlich nach der Wirkung forstend. „Nein!“ lachte Skia nur laut auf. „Das war völlig unmagisch, total dilettantisch und absolut grauenhaft gereimt.“ „Trotzdem nicht schlecht“, murmelte Kai und bekam wieder ein zaghaftes Lächeln hin. …………………………………………… „Du hast völlig Recht“, musste Morgana zugeben. Skia tat sein Bestes, sich diesen Augenblick einzuprägen, allzu häufig kam Dergleichen ja nicht vor, zumindest nicht von seiner Tante. „Wenn Kai nicht zu sich gekommen wäre – das hätte wirklich böse für ihn enden können! Und auch das kann durchaus Absicht gewesen sein… wir waren bisher so konzentriert auf die Folgen für unsere Gesellschaft, dass wir die Sache in dieser Hinsicht gar nicht zu Ende gedacht haben! Okay, diese Art von Verbrechen ist auch nicht gerade naheliegend, kommt ja nie vor… aber…“ „Ist auch nur ein Verdacht“, hustet Skia. Durch die Küche waberten Dämpfe, die weder gut rochen noch aussahen. Er wollte gar nicht wissen, was in Kais Tarnsalbe so rein kam. Kai vermutlich auch nicht. Roch verdächtig nach vergorenem Schneckenschleim, wie ihn ihm seine Mutter als Kind zur Kräftigung immer hinein gezwungen hatte. Grauenhafte Erinnerungen wurden da wach. Da beneidete er fast die Menschen, deren Kindheit so schnell verrann. „Aber leider kein völlig unberechtigter“, erwiderte Morgana grübelnd, während sie weiter im Kessel rührte. „Wir müssen echt aufpassen“, murmelte Skia düster. Kai gegenüber hatte er sich das soweit es ging verkniffen trotz des Schreckens – dem ging es schon so übel genug, auch wenn er sich ziemlich tapfer hielt. Aber letztlich war er es, der hier jetzt die Verantwortung trug… oh Schreck… Aber Kneifen ging nicht, wollte er auch nicht, also wacker voran. „Hast du schon eine Idee wegen meines komischen Besuchers…? Dem Winzling…? Der hat ja auch so düstere Andeutungen gemacht… Kai habe Feinde…“, blieb er am Ball. „Kai direkt? Wohl kaum, wie denn auch. Aber irgendetwas, das mit ihm zusammenhängt, scheint irgendwem gar nicht zu gefallen… Aber was nur, was…?“ dachte Morgana angestrengt nach. „Uns fehlen einfach die Anhaltpunkte. Was soll schon mit Kai sein? Er hat Attribute eines rosa Schmetterlings und ernährt sich von schlechtem Geschmack – wen bitteschön von uns sollte das bedrohen?“ dachte Skia nach und hielt sich vorsorglich die Nase zu, als Morgana etwas in den Kessel warf, das arg nach Mäusemumie aussah. „Ja… schon sehr merkwürdig… aber auch das stimmt – du hast wirklich gerade deine hellen fünf Minuten! - wir wissen einfach zu wenig. Dein nächtlicher Besucher sagt mir so gar nichts, aber ich kann mich umhören… Calypso ist vertrauenswürdig und sie weiß viel… Vlad könnte man auch fragen… aber wenn das Ganze mit dem Hickhack der Uralten zu tun hat, wenn man diese merkwürdige Reaktion des Rates mal bedenkt, dann wird es schwer… die Bande hält ziemlich dicht…“, überlegte sie hin und her. „Und was ist… mit den Uralten außerhalb des Rates?“ fragte Skia und reichte ihr mit spitzen Fingern auf ihr Zeichen hin ein Vorratsglas, in dem winzige Augen in schwarzer Brühe traurig vor sich hin schwappten. „Ach weh…“, stöhnte Morgana und kippte die widerliche Plörre schwungvoll in ihr Gebräu. „Nein, ich meine… vielleicht weiß von denen was…?“ ruderte Skia. „Ach, Skiaphagos. Vielleicht steckt auch einer von denen dahinter. Und die… die sind schon nicht umsonst nicht die Repräsentanten von Recht und Ordnung… nicht jeder von denen sitzt nicht nur deshalb nicht im Rat, weil er, sie, es keinen Bock hatte! Die Bande… ne, da ist mir jeder noch so vollidiotische Rat noch lieb gegen! Außerdem… ich weiß auch nicht, wo die sich rumtreiben… Wenn die nicht gefunden werden wollen, dann findet die auch keiner“, druckste sie herum. „Na ja… bis auf den einen… da weiß selbst ich, wo der steckt“, wandte Skia ein. Morgana hielt kurz im Rühren inne. „Das ist völlig zwecklos. Du weißt selber, was mit ihm ist. Und warum er sich nicht bewegt. Oder zu einer sinnvollen Unterhaltung in der Lage ist.“ „Charys“, murmelte Skia und senkte den Kopf. „Das war nicht seine Schuld. Es ist… danebengegangen. Was kann er dafür, dass das Wasser spiegelt? Aber dafür, dass sein Partner für alle Zeiten – oder zumindest bisher – statt ihm sein eigenes Spiegelbild liebt, hält er sich recht wacker, aber das ist schon hart. Lerne: wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Du kannst Narziss fragen so viel du willst – er wird dir nicht antworten, nicht mal mitbekommen, dass du da bist. Charys selbst hat doch schon alles versucht… Nein, Narziss ist so nützlich und informativ wie ein Zahnstocher aus Chili oder Kafkas letzte Worte rückwärts aufgesagt. Leider. War mal anders, aber jetzt ist sein Hirn leider völliger Brei. Eventuell berappelt er sich eines Tages, aber ich würde da nicht nächste Woche mit rechnen. Aber… mmm… ich sehe zu, was ich erreichen kann… zu auffällig sollte es auch nicht sein, sonst wird derjenige, der eventuell hinter Kai her ist und ihm eventuell sonst was will oder bloß eventuell nicht enttarnt noch zu nervös… Seht zu, dass ihr erst mal ganz akkurat den Beschluss des Rates befolgt, als würdet ihr nichts ahnen und ihnen die weitere Aufklärung überlassen. Aber… so wie die sich verhalten haben… Wirklich sehr komisch. Das sind doch auch keine Angsthasen? Haben die etwas verbockt und wollen es vertuschen? Ich weiß es einfach nicht. Aber hier ist äußerste Vorsicht geboten“, warnte sie ihn ernst. Skia nickte. „Ach ja… wer hat eigentlich an dem Tag im Rat gefehlt?“ wollte er wissen. „Habe ich auch schon überlegt. War aber nur Ometotchtli. Der hatte am Vorabend ein paar Schnapsnasen zu viel ausgesaugt und einen Mörderkater hat Leila mir gepetzt. Wenn man sich von Suff ernährt, kann das schon mal vorkommen. Der ist völlig harmlos – und weder klein, noch geflügelt noch puschelig noch sonst etwas, das auf irgendeine Beziehung zu Kai hinweist. Denn ein ausrangierter Aztekengott ist Herr Wiesenblum nun nicht gerade. Nein, was auch immer da los ist… Eins nach dem anderen. Diese Salbe ist bald fertig. Dann könnt ihr fleißig üben, wie man mit unsichtbaren Antennen und Flügeln durch die Gegend läuft – und dann ab mit euch zum Burgerbraten!“ orderte sie und garnierte ihren Trank mit ein wenig rosa Lebensmittelfarbe, wahrscheinlich damit ihn Kais Haut besser absorbierte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)