Die Drossel und die Nachtigall von P3rs3phon3 (Wie viel ist mein Leben wert verglichen mit deinem?) ================================================================================ Kapitel 4: Blut und Spiele -------------------------- Kann man ein Herz brechen? Was ist das Herz? Ist es der blutige Muskel, der den Körper am Leben erhält? Ist es das Gefühl allein? Ist es etwas gänzlich Anderes, das sich unserem Verständnis entzieht? Was es auch ist, selten ist ein Herz so starr, dass man es brechen könnte. Eher wird es zerfetzt, betäubt, herausgerissen - diese Stadien hatte Morions Herz jedoch längst durchwandert. Was das Herz auch sein mag, seines war voller Narben. Und jede Narbe ließ es weiter erstarren. Narbengewebe ist widerspenstig. Es ist nicht mehr flexibel genug, um eine neue Form anzunehmen. Wahrscheinlich ist auch das der Grund, weshalb sich seines so an seine Königin klammerte. Das Loch in seinem Herzen hatte ihre Form und ließ sich nicht mehr verändern. Mittlerweile waren zwei lange Monate ins Land gegangen und die Narbe auf seiner Brust war fast verheilt - so gut es bei einer solchen Brandverletzung möglich war. Die Wunde war geschlossen und doch hinterließ sie ein Stigma an ihm. Die Form der Fackel, die Schwärze des Teers. Gedankenverloren strich Morion über die Narben auf seiner Brust. Leicht links saß sie, dort wo - allgemein anerkannt - sein fleischliches Herz sitzen sollte. Es schlug langsam, immer schon. Doch seitdem Cordierit Königin geworden war, schien die Zeit in seinem Herzen still zu stehen. Als wolle es nicht mehr schlagen, bis seine Liebe zu ihm zurückkehrte. Sie hatte ihn damals schon so ähnlich behandelt wie heute - aber sie war damals noch ein kleines Mädchen gewesen. Sie hatte sich beizeiten immer mal für ihr Benehmen entschuldigt. Und sei es nur mit einer kleinen Geste. Der Graf Stilbit war eine Maske, die den Zustand seines Herzens widerspiegelte. Tot und kalt und unnahbar - zu erreichen für niemanden außer ihr. Dass er es gewagt hatte, seinen Gefühlen Luft zu machen und das auch noch in der Gegenwart eines niederen Wachmanns war natürlich eine unverzeihliche Verfehlung seinerseits. Er hegte keinen Zweifel daran, dass Gemsilikas Reaktion die einzig richtige gewesen war. Stolz würde er die Narbe tragen, die wie ein Abbild seines Herzens auf seiner Brust prangte. Sie sollte ihm eine Lehre sein. Schwungvoll hüllte er sich in sein Gewand und verließ seine Kammer. Volle zwei Monate nun hatte er kein Wort gesprochen. Wie sie es verlangt hatte. Heute war es soweit - sie hatte ihn wieder zu sich gebeten. Schnellen Schrittes durchwanderte er die Korridore bis er vor der Tür des großen Saales stand und formvollendet anklopfte. Es klang wichtig, es klang verheißungsvoll - und doch war es zu ernst, um wirklich ein Gefühl zu erwecken. Ein Diener öffnete und kündigte ihn an. "Der Graf Stilbit, Majestät!" Die Königin hing gelangweilt auf ihrem erhöhten Thron. Ihr Kleid war ein Traum auf Rüschen und Spitze. Schleifen und Schmetterlinge schmückten es und spiegelten sich in ihrem Haar, das kunstvoll geflochten ihr Puppengesicht umrahmte. "Tritt näher!", kam es tonlos und herrisch. Morion trat bis auf ein paar Respektsmeter heran und kniete nieder. "Wie ich hörte, ist Eure Wunde gut verheilt - auch habt Ihr Euch an mein Gebot gehalten. Ich will Euch also noch einmal großzügig vergeben. Ihr wisst, dass Ihr damit in meiner Schuld steht, Graf?" Sie lächelte finster. "Andere hatten nicht so viel Glück." Morion wusste worauf sie anspielte. Der Wachmann und alle, die ihn schützen wollten wurden den Guignols zum Fraß vorgeworfen. All das hatte sie als Hofspiel inszeniert. »Blut und Spiele«. Im alten Rom waren sie noch nicht so dreist gewesen, ihre wahren Absichten gleich im Namen klar zu stellen. Hier jedoch fiel das Brot gleich dem Blut zum Opfer. Natürlich gab es danach ein Festmahl zu Ehren der Königin, aber der Hauptteil des Tages war immer das blutige Schauspiel gewesen. Ein Tag für die dummen Massen. Wie im Kolloseum sahen sie jubelnd die Wachmänner wie Gladiatoren gegen Guignols kämpfen, besonders weil sie bei einem Verhältnis 1000 : 3 wirklich bei Weitem keine reelle Chance hatten. Und Morion hatte zusehen müssen, wie der Wachmann, der ihm am nächsten war, dessen Herz ihm gehört hatte, von den hungrigen Guignols zerfleischt wurde. An einer Kette um den Hals, wie ein Hund zu Füßen seiner Herrin, die ihm mit starkem Griff immer in Augenhöhe des Schauspiels gehalten hatte. Er würde den Anblick wohl nie mehr aus seinem Gedächnis löschen können. "Ich sehe, Ihr erinnert Euch. Nun denn, dass war der Sinn der Sache. Ich hoffe, Eure restlichen Wachmänner haben es sich zu Herzen genommen. Hiermit habt Ihr die Erlaubnis zurück, Euch Eurer Stimme zu bedienen. Auch außerhalb meiner Gegenwart wenn es einem Befehl dient, den Ihr von mir weitergebt." "Wie großzügig von Euch, Herrin." Seine Stimme klang rau und fremd. Es würde wohl ein paar Tage dauernd bis sie sich vollständig regeneriert hatte. "Trinkt etwas Milch mit Honig, man kann Euch ja kaum zuhören!", ließ sie abwertend fallen. "Ja wohl, Majestät." "Ich erwarte Euch heute Abend in meinen Gemächern." "Sehr wohl, meine Königin." "Und jetzt packt Euch! Ich habe zu tun." Mit einer Verbeugung verabschiedete sich Morion und rauschte aus dem Saal. Würde diese Spirale jemals enden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)