Hypolepsis von Schangia (One Shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: So tun, als ob (Itachi & Sasuke) ------------------------------------------- ›Jeder Mann hat seine geheime Sorgen, die die Welt nicht kennt;‹ Wie gut kann ein Mensch sein, der in einen Krieg hineingeboren wurde? Wie wirkt sich der ewige Kampf gegen den Tod auf die Seele eines Menschen aus? Wird er in seinem Leben nach dem Muster des Krieges leben, den er als Kind durchlebt hat? Oder wird sich das Leben selbst für ihn wie ein Krieg anfühlen? Der 3. Shinobi-Weltkrieg hat unzählige Leben auf grausame Weise ausgelöscht, hat tausende Familien auseinander gerissen. Hi no Kunis Feuer war erstickt worden von der Flut aus Blut und vergossenem Leben. Erst die Zerstörung der Kannabi Brücke hinderte Konoha-Gakures Kampfgeist daran zu verkümmern wie die Armeen der anderen Länder, und letzten Endes gelang es dem Dorf versteck unter den Blättern siegreich aus der Schlacht hervorzugehen. Doch auf dem Höhepunkt des Krieges wurde ein Kind geboren, das nicht den Wiegenliedern seiner Mutter, sondern dem Aufheulen der Schwertklingen lauschen musste; das die Melodie von Verderben und Leichtsinn verinnerlichte, anstatt der beruhigenden Worte seiner Eltern. Als würde er den Schmerz der Gefallenen spüren schrie der Junge immer lauter, je mehr Bewohner seines Dorfes auf dem Schlachtfeld umkamen. Obwohl er jung und unerfahren war, schien er die Geschehnisse um ihn herum zu verstehen. So verstand er, dass der Krieg bald enden würde, als er im Alter von fünf Jahren das erste Mal seinen kleinen Bruder in den Armen hielt. Und nachdem all das sinnlose Blutvergießen endlich beendet worden war konnte er sich auf seine Ausbildung konzentrieren, schaffte es im zarten Alter von dreizehn Mitglied der ANBU zu werden. Doch ungeachtet der unzähligen Leben, die er im Laufe seines Lebens ausgelöscht hatte, blieb Uchiha Itachi ein Pazifist. Ein Pazifist, dessen Verlangen nach Frieden beizeiten seine Sinne betäubte und seine Seele zu verschlingen drohte. Ein Pazifist, der morden würde, um Frieden zu erlangen, nur damit er niemals mehr die Grauen des Krieges erleben musste, die sein Leben so sehr geprägt hatten. Ein Pazifist, der seinen eigenen Clan bereitwillig als Schachfigur einsetzen würde, wenn es die Menschen vom Kämpfen abhielt. Ein Pazifist, dem nur eines wichtiger war als das Wohl seines Dorfes oder gar der Frieden. »Nii-san, wo bleibst du denn?« Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Da hatte Sasuke schon all seine fragwürdigen Überredungskünste aufgebracht, damit sein Bruder nach der Akademie mit ihm trainierte, und Itachi schlurfte nur desinteressiert hinter ihm her anstatt voller Elan voranzustürmen. Gut, er war erst diesen Vormittag von einer schweren Mission zurückgekehrt und hatte seines Wissens nach bisher kein Auge zugetan, aber war das denn wirklich Grund genug so wenig Begeisterung für die vor ihnen liegenden Stunden zu zeigen? Natürlich nicht, und das würde Sasuke seinem Bruder auch klarmachen. Grinsend drehte er sich um, lief einige Meter zurück und verlangsamte sein Tempo, bis er schließlich auf gleicher Höhe mit Itachi war. Dieser wandte ihm nur träge den Kopf zu und lächelte matt. Sasuke runzelte die Stirn. »Bist du müde?« Langsam schüttelte Itachi den Kopf. »Nur etwas erschöpft. Aber das soll dich nicht um dein Training bringen.« Als sich das Gesicht seines kleinen Bruders aufhellte hoben sich Itachis Mundwinkel minimal. Und als der Kleine seine warme Hand um seine eigenen kalten Finger schloss und ihn zum Übungsplatz zog, kostete es Itachi viel Selbstbeherrschung dieses Lächeln aufrechtzuerhalten. Denn er hatte etwas Schreckliches getan, und jedes Mal wenn er Sasuke sah, spürte er ein schmerzhaftes Ziehen in seiner Brust. Fakt war, dass er weder auf einer gefährlichen Mission gewesen war, noch das Dorf verlassen hatte. Itachi hatte ein unerfreuliches, aber notwendiges Gespräch mit dem Hokage geführt. Die Auslöschung seines, ihres Clans stand unmittelbar bevor, würde in genau einer Woche vollzogen sein. Aber das wollte er nicht wahrhaben, als Sasuke ihn voll freudiger Erwartung ansah. Er zwang sich zu einem Lächeln, gab sich alle Mühe, mit seinem aufgeregten Bruder Schritt zu halten. »Lass uns mit dem Training beginnen.« »Wollen wir eine Pause machen?« Obwohl Itachi diese Frage nur aus Sorge und Rücksichtnahme gestellt hatte, sah Sasuke ihn geschockt und auch ein wenig entrüstet an. »Aber ich bin doch noch gar nicht erschöpft!«, protestierte er so laut es ihm zwischen seinen heftigen Atemstößen möglich war. Schmunzelnd glitt Itachi an dem breiten Baumstamm hinab, an dem er zuvor gelehnt hatte und klopfte auffordern auf den Boden zu seiner Linken. Sasuke schien erst ein wenig unschlüssig, ob er weiter über die verlorene Trainingszeit schmollen oder sich ausruhen sollte, entschied sich dann aber grinsend für Letzteres. Schwer atmend ließ er sich neben seinem Bruder zu Boden fallen, schloss die Augen und lehnte sich an die harte Baumrinde. Während sich seine Atmung langsam wieder normalisierte, beobachtete Itachi ihn aufmerksam. »Wenn das deine Bestform ist, will ich gar nicht wissen, wie du erschöpft aussiehst«, kommentierte er spöttisch. Neben ihm schnappte Sasuke empört nach Luft und schreckte so schnell hoch, dass er fast vornüber gekippt wäre. »Gar nicht wahr, ich bin nicht müde! Siehst du«, hastig drehte er sich zu Itachi, schnappte dessen Hand und drückte sie auf seine Brust, »mein Atem geht ganz flach!« Er gab sich wirklich alle Mühe, seine Atmung richtig zu regulieren, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, doch Itachi kicherte nur leise, befreite seine Hand aus dem Griff seines Bruders und sah ihn belustigt an. »Und wer hat dir erzählt, dass eine flache Atmung gut ist?« Sasuke: null, Itachi: schon seit Jahren in Führung. Frustriert seufzte Sasuke und wandte sich theatralisch von Itachi ab. »Du willst es einfach nur nicht verstehen, oder?« Leise murmelnd lehnte er sich an die Schulter seines Bruders, verschränkte die Arme vor der schmalen Brust und beschäftigte sich damit, Selbstgespräche über seine unglaublich gut trainierte Kondition zu führen. Itachi schloss die Augen und blendete seine Umgebung fast komplett aus. Er genoss es, die leichte Brise auf seinem Gesicht zu spüren, mochte es, wie der Wind mit den losen Strähnen seines Zopfes spielten; bedauerte, dass dieses zarte Gefühl der Freiheit allzu trügerisch und irreal war. Nach einer Weile verstummte auch Sasuke, und so war das einzige, das Itachi versichert, dass der Kleine noch da war die Wärme seines Körpers an seiner rechten Schulter. Er hätte ewig so dasitze können, aber unglücklicherweise hatte Sasuke schon immer ein gutes Gespür dafür gehabt, die wenigen ›perfekten‹ Momenten in Itachis Leben zu zerstören. »Weißt du, welcher Tag morgen ist?« Die Wärme floh von seiner Schulter, seine Augen öffneten sich träge und blickten erstaunt zu Sasuke, der mittlerweile vor ihm hockte. Dieser fixierte ihn mit einem erwartungsvollen Blick, so als würde er ihn rügen müssen, falls er die Antwort nicht kannte. Doch er kannte sie, zuckte nur kurz mit den Schultern und antwortete monoton: »Irgendein Feiertag in Iwa-Gakure. Ich glaube, es hatte etwas mit einem Gott in den Steinbrüchen zu tun.« Darauf war Sasuke nicht vorbereitet gewesen. Natürlich war selbst ihm klar, dass Itachi niemals auf Anhieb mit der richtigen Antwort herausrücken würde, aber das übertraf selbst seine schlimmsten Befürchtungen. Verwirrt blinzelte er, brauchte einige Augenblicke, bis er das Gesagt vollkommen verstanden hatte. »...was?«, fragte er unsicher. »Nein, also-...« »Ich weiß, dass du morgen Geburtstag hast«, unterbrach Itachi ihn, während er ihn amüsiert beobachtete. Der entsetzte Blick belustigte ihn zwar, warf tief in ihm allerdings die Frage auf, ob Sasuke ihm wirklich zugetraut hätte, seinen Geburtstag zu vergessen. Lange konnte er darüber jedoch nicht nachdenken, weil der Schock auf dem Gesicht seines Bruders schnell durch Neugierde und Aufregung ersetzt wurde. »Und?« Itachi kam das Bild eines winzigen Welpen in den Sinn, der wild mit dem Schwanz wedelnd vor seinem Herrchen stand und erwartete, dass man mit ihm spielte. »Was schenkst du mir?« Kichernd streckte er sich und widerstand nur knapp dem Drang, Sasuke durch die Haare zu wuscheln. »Neben meiner brüderlichen Liebe?« Schwarze Augen begannen vor Vorfreude zu glänzen, der imaginäre Schwanz des Welpen wedelte noch heftiger. Sasuke sah seinen Bruder beinahe flehend an und nickte eifrig, verfluchte ihn dafür, dass er sich mit seiner Antwort so viel Zeit ließ. »Nichts.« Zumindest nichts von Bedeutung. Es schmerzte ihn mit anzusehen, wie Sasukes Fröhlichkeit von Enttäuschung übermannt wurde und er sichtlich mit den Tränen kämpfen musste. Selbst an Empörung war nicht mehr zu denken. »A-aber...«, stammelte er hilflos und hätte vermutlich wirklich angefangen zu weinen, hätte Itachi ihm nicht sanft gegen die Stirn getippt. »Natürlich schenke ich dir was«, beruhigte er ihn leise, »aber es wäre doch langweilig, wenn ich dir jetzt schon verraten würde, was es ist.« Die Sonne hatte ihren tiefsten Punkt erreicht und würde wohl bald hinterm Horizont versinken. Itachi stand auf, sammelte ein paar verlorene Kunai und Shuriken ein, bevor er sich wieder zu Sasuke wand, der immer noch fassungslos am Boden saß. »Na los, Kleiner«, lächelnd ging er ein paar Schritte voraus, »Mutter und Vater warten sicher schon auf uns.« Schwach fiel das morgendliche Sonnenlicht durch die Fensterscheiben, füllte den spärlich eingerichteten Raum mit Wärme. Ein leises Rascheln war aus der Ecke, in der das Bett stand, zu vernehmen. Mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen beobachtete Itachi, wie Sasuke sich immer häufiger in den weichen Laken wand und unverständliche Worte murmelte. Bis das Geburtstagskind aufwachte würde noch einige Zeit vergehen, also lehnte er sich zurück und machte es sich auf dem Stuhl neben dem Bett seines Bruders so bequem wie möglich. In der Tat brauchte Sasuke eine weitere halbe Stunde, bevor er allmählich wach wurde. Wohlig seufzend schlug er die Augen auf, begab sich gemächlich in eine aufrechte Position, gähnte ausgiebig... »Auch endlich wach?« ... und fiel vor Schreck fast aus dem Bett. Itachi gab sich die größte Mühe, nicht laut loszulachen, konnte ein kurzes Auflachen aber dennoch nicht unterdrücken. »Ich werte das mal als ein Ja«, schmunzelnd beugte er sich nach vorne, um zu sehen, ob Sasuke den Schock mittlerweile überwunden hatte, »alles in Ordnung?« Sasuke atmete einmal tief durch. »Nein«, presste er zwischen den Zähnen hervor, während er versuchte, Itachi böse anzufunkeln. »Was machst du überhaupt hier?« Gespielt erschüttert sah der Angesprochene seinen Bruder an. »Seit wann darf ich mich denn nicht mehr im Zimmer meines Bruders aufhalten?« Wissend, dass er diese Diskussion nie und nimmer gewinnen würde, seufzte Sasuke frustriert und drehte den Kopf in die entgegengesetzte Richtung, sah nicht mehr, wie Itachi ihn warm anlächelte. »Jetzt sei doch nicht immer so ein Miesepeter«, raunte er seinem kleinen Bruder zu, bevor er ihm liebevoll durch die Haare fuhr. »Alles Gute, Sasuke« »So geht das nicht weiter, Nii-san!« Verwirrt blieb Itachi stehen, sobald er Sasukes Stimme hinter sich hörte. Kam es ihm nur so vor, oder verhielt sich sein ab heute achtjähriger Bruder tatsächlich wie eine zickige Ehefrau? Schnell schüttelte er diesen absurden Gedanken ab und blinzelte stattdessen mehr oder weniger hilflos. Sasuke jedoch hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stampfte fordernd mit seinem Fuß auf den Boden (so wie gekränkte Ehefrauen es immer taten, aber Itachi hatte ja bereits von diesem Gedanken abgelassen). »Was meinst du damit genau?«, fragte er vorsichtig. Noch fixierte Itachi den Sonnenuntergang hinter seinem Gegenüber, doch sobald Sasuke zu einer Antwort ansetzte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf ihn. »Wir haben heute den ganzen Tag gefeiert«, maulte er. Zwar konnte Itachi den Grund für Sasukes Unmut nicht erkennen, aber angesichts der Tatsache, dass dieser mit seinem Fuß imaginäre Linien auf den Holzdielen zog und verlegen gen Boden starrte, musste ihn irgendetwas ziemlich beschämen oder stören. Da Sasuke wohl nicht von sich aus fortfahren würde, erleichterte er ihm das weitere Gespräch: »Und was ist daran so schlimm?« Ruckartig riss sein Gegenüber die Augen hoch und starrte ihn teils trotzig, teils gekränkt an. »Du hast mir noch gar nichts geschenkt!« Oh, dieses Drama! Dass Itachi sein Kichern nicht mehr rechtzeitig zurückhalten konnte, schien Sasuke gar nicht zu gefallen. »Das ist nicht witzig«, protestierte er genervt, »immerhin hast du es mir versprochen.« Ich habe dir schon so Vieles versprochen, das ist nicht halten kann. Immer noch leicht kichernd hob er abwehrend die Hände, um seinen Bruder eventuell zurückzuhalten, falls dieser das Verlangen verspürte, ihm an die Gurgel zu springen. »Ist ja gut«, versuchte Itachi ihn zu besänftigen, »du bekommst dein Geschenk sofort.« Geschwind zog er ein kleines Päckchen hinter seinem Rücken hervor, und Sasuke brauchte einen Moment um zu begreifen, dass ihm das nur möglich war, weil er ein meisterhafter Ninja war. Viel Zeit verschwendete er aber ohnehin nicht an diesen Gedanken; er war viel zu sehr mit dem Geschenk beschäftigt, welches er freudestrahlend von seinem großen Bruder entgegennahm. »Was ist denn da drin?«, fragte er mehr sich selbst als sein Gegenüber, während er das simple schwarze Päckchen neugierig von allen Seiten betrachtete. Itachi schüttelte nur den Kopf. »Wieso packst du es nicht aus?« Das tat Sasuke schließlich auch. Ohne auch nur den Anschein von Geduld zu wahren riss er das Papier auf, wühlte sich durch die dünnen Schichten, bis er den Inhalt in den Händen hielt: ein gerahmtes Foto, dass ihn mit seinem Bruder zeigte. Ich hoffe, es gefällt dir. Das hätte er gerne gesagt, doch Itachi fürchtete sich vor der Antwort. Sasukes angespanntes Schweigen machte seine Nervosität noch schlimmer, aber er ließ sich nichts davon anmerken. »Danke.« Ihm fiel ein unsagbar schwerer Stein vom Herzen, als Sasuke den Kopf hob und ihn mit einem leichten, aber dennoch warmen und verklärten Lächeln ansah. Zögernd kam er ein paar Schritte auf Itachi zu, schien zu überlegen und seine Möglichkeiten abzuwägen. Schließlich schlang Sasuke seine Arme um den warmen Körper und drückte sein Gesicht an Itachis Brust. »Das ist das schönste Geschenk, das ich heute bekommen habe«, wisperte er zufrieden und schloss seine Augen. Das Foto von ihnen bewies Sasuke, dass er seinem Bruder wichtig war und dieser ihn als vollwertiges Mitglied der Familie, als Mitglied ihres Clans ansah. Es symbolisierte die Anerkennung, den Stolz und den Halt, den Itachi ihm gab, und für diese Akzeptanz – die er von seinem Vater schon lange nicht mehr erwartete – war er unendlich dankbar. Es kostete Itachi einige Überwindung, Sasukes Umarmung zu erwidern, erinnerte sie ihn doch an die zahllosen Versprechen, die er noch brechen würde; und an die Nacht, die alles zerstören würde, was ihm heilig war, und die unaufhaltsam näher rückte. »Freut mich, dass es dir gefällt.« Betretenes Schweigen. Und der erste Moment, in dem sie sich wie richtige Brüder fühlen konnte. Die Sonne war schon vor einigen Stunden vom Mond abgelöst worden und sah nun den Sternen zu, die inmitten des tiefblauen Himmels umso heller strahlten. Itachi saß zum Garten gewandt, Sasuke neben ihm; beide schwiegen seit einiger Zeit, ihre Gedanken so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Während Sasuke sich über die vergangenen Tage freute, in denen er sich seinem Bruder so nah gefühlt hatte wie lange nicht mehr, plagten Itachi Ängste und Vorwürfe. Nicht einmal mehr eine Woche, sondern lediglich sechs Tage durfte er diese Lüge leben. Sechs Tage blieben ihm um zu entscheiden, wie er Sasukes Leiden verringern konnte. Schweigend wandte er seinen Kopf und betrachtete seinen Bruder, der selbst tief in seine Gedanken versunken zu sein schien. Zuvor hatten sie über alles Mögliche geredet; über Itachis Missionen, Sasukes Fortschritte und Leistungen an der Akademie. Über ihren Clan. Als Sasuke meinte, er würde genauso werden wollen wie er, hatte Itachi kein Wort mehr gesagt. Bis schließlich: »Ich hoffe, dass meine Genjutsu eines Tages auch so stark sind wie deine.« Fast hätte Itachi laut aufgelacht. Stattdessen sah er Sasuke lange an, suchte in den unschuldigen Augen nach einem Hinweis auf Unehrlichkeit. Es frustrierte ihn, dass es ihm anscheinend ernst war. Schwer seufzend fixierte er den Boden zu seinen Füßen. »Weißt du überhaupt, was ein Genjutsu ist?« Die Frage kam harsch und anklagend aus seinem Mund, doch sie überraschte Sasuke wohl bei weitem nicht so sehr wie ihn selbst. Zögernd lehnte Sasuke sich ein wenig nach vorne. »Nein, das hast du mir nie erklärt«, meinte er gedehnt. Lange überlegte Itachi, ob er versuchen sollte, seinem Bruder seine Weltansicht zu erklären. Ihm von dem Krieg zu erzählen, den er miterleben musste, und von dem Fluch, den das Sharingan bedeuten konnte. Resigniert seufzend entschied er sich schließlich dafür, dass es wohl keinen Unterschied machen würde, ob er schwieg oder nicht. »Ein Genjutsu ist nichts als ein Trugbild, eine Lüge, die deinen Feind verwirren soll. Es benutzt die Wünsche, die Sehnsüchte und die Menschen, die deinem Gegner lieb sind, lassen ihn so seine schlimmsten Albträume erleben. Familienmitglieder, deren Tod er immer wieder mit ansehen muss, oder Erlebnisse aus seiner Vergangenheit, die ihn vor Angst erzittern lassen. Genjutsu sind hinterhältig, und die Nutzer dieser ›Kunst‹ verkommen mit jeder Anwendung mehr und mehr. Ich denke, dass ein Genjutsu zu benutzen die grausamste Art ist, gegen einen Feind zu kämpfen.« Er räusperte sich. »Deswegen bin ich nicht stolz auf viele Dinge, die unser Clan getan hat, vor allem im letzten Krieg.« Sasuke hing förmlich an seinen Lippen, konnte und wollte nicht wirklich glauben, was sein Bruder ihm offenbarte. »Krieg ist etwas Schreckliches. Er reißt Familien und Freunde auseinander, löscht Leben gnadenlos aus. Die überlebenden Krieger, die nicht an dieser Last zerbrechen, verkümmern so lange, bis sie ihrem Leben selbst ein Ende setzen. Auch unser Clan hat an dem letzten großen Krieg teilgenommen, und mir wird übel bei dem Gedanken daran, dass sie alle stolz auf das sind, was sie erreicht haben.« Er verzog angewidert das Gesicht, traute sich aber nicht, Sasuke in die Augen zu sehen. Als sein Bruder weiterhin schwieg, das Gehörte verarbeiten musste, bedachte er ihn mit einem flüchtigen Blick. »Habe ich dir je erklärt, wie man sich aus den Fängen eines Genjutsu befreit?« Eine einfache Frage, auf die Sasuke nach kurzer Zeit mit einem schwachen Kopfschütteln antwortete. Bitter lächelnd fuhr Itachi fort. »Als erstes hat man immer die Chance, dass einer deiner Missionspartner deinen Chakrafluss kurzzeitig unterbricht, damit das Jutsu an Wirkung verliert.« Aber wenn du selbst deinen vermeintlich besten Freund tötest, ist es dir nicht gestattet an die Hilfe deiner Kameraden zu glauben. Falls du jemals jemanden hattest, den du ›Kamerad‹ hättest nennen können. Nach einer kurzen Pause begann Itachi, die verbliebenen Wege an seinen Fingern abzuzählen. »Man kann ein Genjutsu auch dadurch auflösen, dass man sich selbst oder der betroffenen Person physische Schmerzen zufügt.« Denn das Szenario unzählige Male durchzuspielen, macht letzten Endes alles nur noch schlimmer. Man stumpft ab, gewöhnt sich an die Schmerzen. Bis sie nicht mehr ausreichen, den Alptraum enden zu lassen und man ewig darin gefangen bleibt. Lautlos seufzend richtete er seinen Blick nach oben, bemerkte wie sehr seine stumpfen schwarzen Augen – den Ausdruck, den jedes Clanmitglied eines Tages in seinem Blick spüren würde – zu den endlosen Tiefen des dunklen Himmels über ihnen passte. »Der dritte Weg ist darauf zu hoffen, dass der Anwender seine Konzentration verliert, sein Jutsu so genügend Kraft einbüßt und man sich befreien kann.« Aber wenn ein ganzer Clan dich in einem Netz aus Lügen und Verrat gefangen hält, ist es töricht daran zu glauben, dass sie alle ihren Fokus und somit ihr Ziel aus den Augen verlieren. Hoffnung ist vergebens. Resignation dagegen alles, was dir bleibt. Danach schwiegen sie beide für eine lange Zeit. Während Itachi gesprochen hatte, hatte Sasuke irgendwann begonnen, seine Hand zu halten und sie bis jetzt auch noch nicht losgelassen. Diese Geste spendete ihm mehr Trost, als alle Worte seines Vaters und des Hokage zusammen. Sechs Tage, bis er seinen verhassten Clan eliminieren würde. Ein einsames Lächeln stahl sich auf seine Züge; es war traurig, leer, weil er sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Unbewusst drückte er Sasuke etwas an sich, während sein Blick zum Mond wanderte. Der letzte Akt seiner Lüge würde vom Vollmond erleuchtet sein. Angewidert schloss er die Augen, trug den Hauch eines Lächelns in der Stimme, als er eine letzte Frage stellte: »Wie viel bedeutet dir der Frieden, Sasuke?« Doch sein Bruder war bereits eingeschlafen. Itachis erster Weg würde ihn morgen früh direkt zum Hokage führen. Er wollte mit ihm verhandeln, ihn inständig bitten und wenn all das nichts nützte würde er ihn auf Knien anflehen, ihm noch etwas mehr Zeit zu gewähren. Auch wenn ihm bewusst war, dass jegliche Anstrengung nur Zeitverschwendung war. Er wollte noch eine Weile seine Rolle als großer Bruder spielen. Und er würde noch eine Weile warten, bevor er das Leben seines kleinen Bruders auf ewig zerstörte. ›und oft bezeichnen wir einen Mann als kalt, obwohl er einfach nur traurig ist.‹ Kapitel 2: Unerwartet (Kakashi/Yamato) -------------------------------------- Kakashi hatte nie den Drang verspürt, seinen Geburtstag feiern zu wollen. Sein Vater war nicht der Typ dafür gewesen, ihm ein Geschenk zu besorgen und dann abends Zuhause auf ihn zu warten, mit einem kleinen Kuchen und Kerzen, deren Anzahl seinem neuen Lebensjahr entsprach. Nachdem seine Kindheit viel zu früh geendet hatte, war es auch in seiner Jugend nicht anders gelaufen. Rin hatte mal versucht, ihn zu einer Geburtstagsfeier zu bewegen, doch er hatte immer abgeblockt. Nach einer Weile hatte er einfach niemandem mehr gesagt, wann er eigentlich Geburtstag hatte. Nicht Gai, der ihn in regelmäßigen Abständen bei ihren Kneipenbesuchen nach einer Mission fast schon dazu genötigt hatte (Kakashi sah alles als Nötigung an, das einen betrunkenen Gai und viel zu viel Körperkontakt beinhaltete); nicht Jiraiya, der ihm sogar exklusive Einblicke in sein neustes Werk als Geschenk versprochen hatte; und ganz sicher nicht seinem Team, weil er nicht wissen wollte, mit was für Ideen Naruto dann aufwarten würde. Kakashi konnte nichts mit dem Konzept einer Geburtstagsfeier anfangen. Wenn er Geschenke wollte, gab es andere Wege, sie zu beschaffen. Eine Feier war auch nicht nötig, er ging ja so schon kaum noch mit den anderen Jounin aus. Und vielleicht lag es auch ein wenig daran, dass er sich schon zu oft vorgestellt hatte, wie es wäre, wenn er niemals geboren worden wäre. Also lag er an diesem Tag auf seinem Bett, das Fenster zum Lüften geöffnet, und starrte die Decke an. Durch Zufall hatte er für heute keine Mission, die er erfüllen musste, und obwohl es eine nette Abwechslung war, mal wieder mehr als fünf Stunden Schlaf zu bekommen, wusste er nichts mit sich anzufangen. Bis vor wenigen Minuten hatte er noch gelesen, doch auch das war ihm irgendwann zu eintönig geworden. Freie Tage taten ihm nicht gut, denn sie gaben ihm viel zu viel Zeit, über Vergangenes nachzudenken. Mit all den Fehlern und der Reue, die aus seinem Unterbewusstsein ans Tageslicht krochen, rückte die Tatsache, dass heute sein Geburtstag war, in weite Ferne. »Störe ich, Kakashi-senpai?« Kakashi zuckte zusammen, mehr aus Überraschung darüber, dass er niemandes Präsenz hatte spüren können als über den unangekündigten Besuch. Als Shinobi hatte man selten den Luxus, feste Termine für ein Treffen zu setzen, also lernte man zwangsläufig, spontan zu sein. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, setzte Kakashi sich auf und drehte sich so weit nach hinten, dass er sehen konnte, wie Yamato auf dem Fenstersims hockte. »Keine Mission heute, Yamato?« »Hab mir frei genommen.« »Oh?« Kakashi wandte sich vollkommen zu ihm und hob eine Augenbraue. »Wie ungewöhnlich für dich, dich vor der Arbeit zu drücken. Besondere Pläne?« »Ich wünschte, du würdest es nicht so ausdrücken, wenn du weißt, dass es nicht so ist«, nuschelte er und kratzte sich verlegen an der Wange, ehe er sich leise räusperte. »Aber ja, einen Plan habe ich tatsächlich.« Als er darauf keine Antwort erhielt, seufzte Yamato lautlos und warf Kakashi einen erschöpften Blick zu. »Darf ich reinkommen?« Ohne etwas zu sagen stand Kakashi von seinem Bett auf, streckte sich ausgiebig und ging auf die Tür zu. Auf der Türschwelle hielt er noch einmal kurz inne. »Witzig, dass du fragst, obwohl du es als Einziger nicht müsstest«, sinnierte er gespielt beiläufig, bevor er endgültig den Raum verließ. Yamato kannte ihn gut genug, um nur einen Sekundenbruchteil lang perplex zu sein. Er wollte gerade etwas darauf erwidern, da hörte er Kakashis Stimme aus dem Flur, zwar gedämpft aber unmissverständlich ungeduldig. »Kommst du?« Yamato lachte leise genug, dass Kakashi ihn nicht hören konnte, und sprang vom Fenstersims ins Zimmer, um ihm zu folgen. So war es immer schon zwischen ihnen gewesen, seit sie sich damals bei der ANBU kennengelernt hatten. Er folgte Kakashi in die Küche und nahm das Glas Wasser, das er ihm reichte, dankend an. »Also, was treibt dich her?« Kakashi lehnte an der Spüle, sein eigenes Glas stand neben ihm, während Yamato ihm gegenüber am Tisch stand und auf seine Frage theatralisch seufzte. »Hast du etwa vergessen, was für ein Tag heute ist?« »Ein wunderschöner Spätsommertag?« »Senpai.« Abwehrend hob Kakashi die Hände vor die Brust. »Ich weiß, ich weiß.« Es war selten, dass Yamato ihn nach einem seiner Witze zur Ordnung rief, also wurde Kakashi danach in den meisten Fällen wieder ernst. Irgendetwas daran, wie der andere diese zwei Silben betonte, sagte ihm, dass er nicht wissen wollte, was nach einem weiteren Späßchen passieren würde. Eigentlich war Kakashi sowieso überraschter darüber, dass Yamato offensichtlich von seinem Geburtstag wusste. Auch wenn es ihn nicht wundern sollte; Yamato erinnerte sich immer an solche Kleinigkeiten. Und für den Fall, dass er es nicht von ihm persönlich hatte, würde Kakashi ihm auch durchaus zutrauen, heimlich in seine Akte gesehen zu haben. »Du weißt, dass ich nicht feiere«, fügte er hinzu, etwas leiser, ohne Yamato anzusehen. »Und wenn deine Freunde dich feiern wollen?« Seine Frage brachte Kakashi kurzzeitig aus dem Konzept. Einige Augenblicke lang fixierte er einen unbestimmten Punkt an der Wand hinter Yamato und suchte nach den richtigen Worten. »Da gibt es nichts, was sich zu feiern lohnt«, meinte er schließlich, ehe er sich die Maske vom Mund zog und einen Schluck Wasser trank. Bevor er sie wieder hochziehen konnte, unterbrach Yamato ihn. »Lass sie unten.« Er versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen, doch Kakashi kannte ihn lange und gut genug um zu wissen, dass ihm das bei weitem nicht so egal war, wie er den Anschein erwecken wollte. »Willst du etwa dein Privileg ausnutzen?« Kakashi gab sich keine Mühe, sein Grinsen zu verbergen, aber Yamato lächelte darauf nur. »Es sind die kleinen Dinge im Leben, die einen glücklich machen.« Darauf lächelte Kakashi ebenfalls, sanft und so glücklich, wie er ihn lange nicht gesehen hatte. Immer, wenn der andere vollkommen aufrichtig lächelte – und so oft kam das gar nicht vor –, spürte Yamato ein Ziehen in der Brust. »Hast du auch etwas dagegen, wenn nur wir beide feiern?«, fragte er vorsichtig in die Stille und beobachtete nervös, wie Kakashi sein Glas wieder abstellte und ihn amüsiert ansah. »Wo du schon extra gekommen bist, kann ich schlecht Nein sagen.« Yamato lächelte wehmütiger, als er beabsichtigt hatte. »Wäre nicht das erste Mal.« »Nimmst du mir das immer noch übel? Ich wusste gar nicht, dass du nachtragend bist.« Gespielt genervt rollte Yamato mit den Augen. Er wusste, dass Kakashi nur ablenken wollte, aber das würde er sich heute nicht gefallen lassen. Kakashi schien das zu merken, denn er lenkte schnell ein: »Wie willst du denn feiern?« »Das kannst du entscheiden, nachdem du dein Geschenk ausgepackt hast.« »Ach, ich muss mich noch selbst anstrengen an meinem besonderen Tag? Das ist aber nicht sonderlich rücksichtsvoll von di—« Er hielt inne, blinzelte verwirrt. »Geschenk?« Als er Kakashis überraschtes Gesicht sah, konnte Yamato ein spöttisches Lachen nicht zurückhalten. »Als ob ich ohne Geschenk auftauche.« »Yamato—« »Es ist nichts Großes, also nimm es einfach und sag Danke.« Kakashi brauchte einige Sekunden, ehe er sich von der Spüle abstieß und auf ihn zuging. Yamato konnte sehen, dass er zögerte, auch wenn er versuchte, es zu verbergen. Als Kakashi schließlich vor ihm zum Stehen kam, legte er leicht den Kopf schief und kniff die Augenbrauen zusammen, »Was ist es denn?« »Pack es doch lieber selbst aus, bevor du fragst.« Yamato grinste ihn fast schon verschmitzt an, kramte ein rechteckiges Päckchen aus seiner Jackentasche und reichte es ihm. Diesmal war Kakashis Zögern offensichtlich, aber Yamato wartete geduldig, bis er ihm das Geschenk abnahm. Es war beinahe niedlich, wie Kakashi das Geschenk erst von allen Seiten musterte, ehe er langsam anfing, das Papier zu zerreißen. »Du hast hoffentlich nicht viel Geld dafür ausgegeben, anson—«, setzte er an, doch als er das Papier vollständig entfernt hatte, weiteten sich seine Augen und ihm versagte die Stimme. Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen beobachtete Yamato, wie der andere erst das Geschenk und dann ihn ungläubig ansah. Eigentlich war es wirklich nur eine Kleinigkeit, nämlich ein Foto von ihnen mit Naruto, Sai und Sakura, das sie vor einiger Zeit aufgenommen hatten. Das einzig Besondere war der Rahmen; er war aus Holz, natürlich, und breiter als üblich. Überall auf dem Rahmen verteilt hatte Yamato kleine Szenen aus Kakashis Leben eingeritzt (er würde ihm verschweigen, dass er für die Motive Sais Hilfe benötigt hatte) – ihre gemeinsame Zeit bei der ANBU, sein damaliges Team unter dem vierten Hokage, Team 7 und ihr jetziges Team. Wie genau er Kakashis Sprachlosigkeit deuten sollte, wusste er im ersten Moment nicht. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er sogar darüber nach, sich zu entschuldigen, bis Kakashi aufsah und ihn anlächelte. Es war ein aufrichtiges Lächeln, das diesmal ein bisschen weniger traurig war als sonst. »Danke, Tenzou.« Er sprach leise, vermutlich weil er fürchtete, dass ihm die Stimme sonst brechen würde. Immer noch lächelnd hob er einen Hand, legte sie auf Yamatos Kopf und strich ihm zärtlich durch die Haare. »Yamato, nicht Tenzou.« Ein wenig überrumpelt sah Yamato zur Seite und hoffte, dass Kakashi nicht bemerkte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Als er ihn jedoch leise lachen hörte, wusste er, dass es nicht funktioniert hatte. »Mir gefällt Tenzou besser. Das ist mein Privileg.« Langsam ließ er seine Hand an Yamatos Hinterkopf hinabgleiten, zog ihn so nah an sich heran, bis sich ihre Nasenspitzen berührten. Kakashi murmelte er noch ein letztes ›Danke‹ gegen seine Lippen, ehe er den letzten Abstand zwischen ihnen überwand und ihn küsste. Kapitel 3: Problembewältigung (Kiba/Naruto) ------------------------------------------- Es gab viele Dinge, die Kiba an Naruto störten, manche mehr und manche weniger stark. Das war schon immer so gewesen, und auch wenn sie seit über einem Jahr ein Paar waren und mittlerweile sogar zusammen in eine eigene kleine Wohnung gezogen waren, hatte sich daran nichts geändert. Kiba war klar, dass er selbst häufig nicht einfach war und Probleme eigentlich vorprogrammiert waren, wenn zwei Menschen die sich so ähnlich waren eine Beziehung eingingen. Aber in den meisten Fällen wollte er sich seine eigenen Fehler nicht eingestehen, denn es war immer viel einfacher, anderen die Schuld zu geben, wenn etwas nicht so lief wie man wollte. Als er also an diesem Nachmittag von einem Spaziergang mit Akamaru zurückkam und feststellte, dass Naruto noch unterwegs auf seiner Mission war und den Müll schon wieder nicht rausgebracht hatte, fasste er einen Entschluss. Leise Flüche murmelnd kramte er einen Block und einen Stift aus einer der vielen Schubladen hervor und ließ sich aufs Sofa fallen. Akamaru rollte sich so dicht zu seinen Füßen zusammen, dass Kiba das weiche Fell auf seinen nackten Füßen spürte. Etwas besser gelaunt nahm er sich vor, endlich eine Liste der Dinge zu machen, die er an seinem Freund nicht leiden konnte. 1. Er mag keine Hunde Nun gut, vielleicht übertrieb Kiba direkt zu Anfang ein wenig, aber zu seiner Verteidigung sei gesagt, dass er Naruto wegen des vollen Mülleimers schon seit zwei Abenden in den Ohren lag. Eigentlich hatte Naruto nichts gegen Hunde, sondern nur gegen die Hundehaare, die nun einmal zwangsläufig ihren Weg auf Kleidungsstücke, Möbel und Tellerwaren fanden, wenn man mit einem Tier zusammenlebte. Für Kiba war das nie ein Problem gewesen, schließlich war er damit aufgewachsen und liebte Hunde über alles. Was waren da schon ein paar Haare, die man sich ab und an aus dem Mund fischen musste? Er wäre viel eher bereit Verständnis für Naruto aufzubringen, wenn dieser nicht sogar schon die Frechheit gehabt hätte, eine Tierhaarallergie vorzutäuschen, um Akamaru aus dem Haus zu halten. In diesem Moment war für Kiba eine Welt zusammengebrochen, ganze sieben Minuten lang, bis er richtig darüber nachgedacht und seine Lüge erkannt hatte. Danach hatte er Naruto drei Tage lang ignoriert (und Naruto zu ignorieren war eine Meisterleistung sondergleichen), bis dieser eingelenkt und sich entschuldigt hatte. Trotzdem maulte er noch rum, wenn Kiba mal längere Zeit bei seiner Familie und den neugeborenen Welpen verbrachte und erst spät abends nach Hause kam. Naruto beschwerte sich immer noch über die Tierhaare in ihrem Bett, auf dem Sofa, im Bad, auf ihren Handtüchern – und Kiba sagte einfach gar nichts mehr dazu. Kiba hielt kurz inne, sein Blick huschte von dem Block zu Akamaru und wieder zurück. Es stimmte zwar, dass Naruto sich über die Tierhaare beschwerte, aber vielleicht tat er das nur um des Beschwerens Willen. Ganz häufig, wenn Kiba nach einer Dusche aus dem Bad kam, sah er Naruto auf dem Sofa sitzen und abwesend Akamaru kraulen, der den Kopf in seinen Schoß gelegt hatte. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, doch im nächsten Augenblick fiel ihm schon ein weiterer Punkt für seine Liste ein, also schrieb er eifrig los. 2. Er versteht sich nicht mit meiner Familie Wenn er Naruto mit zu seiner Familie nahm, endete das fast ausnahmslos im Chaos. Wehmütig erinnerte er sich an das erste Treffen zurück, bei dem er ihn auch gleichzeitig als seinen festen Freund vorgestellt hatte. Seine Familie hatte prinzipiell kein Problem damit, mit wem er zusammen war, aber Kiba hatte sich so sehr gewünscht, dass der andere sich mal nicht von seiner schlechten Seite zeigte. Noch heute beschwerte er sich wenn er zu Treffen mitkommen musste, und wenn er tatsächlich mitkam, verhielt er sich seinen Verwandten gegenüber unmöglich, beleidigte ihre Hunde und nahm Reißaus, sobald seine Mutter den Raum betrat. (Dass er eine Heidenangst vor seiner Mutter hatte war das Einzige, das Kiba ihm nicht übel nehmen konnte.) Aber einmal – daran erinnerte er sich gut – hatte er mitbekommen, wie Naruto und Hana sich etwas abseits unterhalten hatten. Seine Schwester hatte ihm einige grundlegende Dinge zur Hundehaltung erklärt, und Naruto hatte ihr aufrichtig interessiert zugehört. Seither hatte Kiba den Verdacht, dass sein Freund einfach nur mit der Situation überfordert war, weil er selbst ohne Familie aufgewachsen war. (Und weil viele seiner Verwandten, gerade die Damen, ziemlich furchteinflößend sein konnten.) Kiba runzelte die Stirn und überlegte. Vielleicht sollte er in Zukunft mehr Rücksicht auf Naruto nehmen, wenn er schon zustimmte, ihn zu seiner Familie zu begleiten. 3. Er nimmt keine Rücksicht auf meine Nase Kiba roch den Müll bis ins Wohnzimmer, schon seit er durch die Tür getreten war, und er war sich sicher, dass Akamaru davon auch nicht begeistert war. Seine Nase war nun einmal sehr viel empfindlicher als die anderer Menschen, und gerade von seinem Freund erwartete er zumindest ein wenig Rücksichtnahme. Ironischerweise war Naruto jedoch der Mensch, den es am wenigsten zu kümmern schien, ob er unter einem Geruch litt. Vom Mülleimer wollte er jetzt nicht wieder anfangen, aber er trug zum Beispiel seine Kleidung viel zu lange, egal wie verdreckt und verschwitzt sie war. Zusätzlich dazu warnte er ihn trotz wiederholter Bitte nicht vor, wenn er Blähungen von all dem Junk Food bekam, das er in sich reinschaufelte, und wenn Kiba ganz ehrlich war, suchten ihn die Erinnerungen an ihren Kampf während des Chuunin-Examens immer noch heim. Dennoch liebte Kiba Narutos Eigengeruch, diesen unverwechselbaren Geruch nach Abenteuer, Sonnenschein und Erde. Besonders schätze er die Tage, an denen Naruto schmollend und nur in seiner Unterhose mit ihm auf dem Sofa lag, weil Kiba ihn gezwungen hatte, endlich seine Kleidung zu waschen. Obwohl er sich immer darüber beschwerte, wie kalt ihm danach war, weigerte er sich andere Klamotten anzuziehen und zog ihn stattdessen so eng an sich, bis es selbst Kiba schwer fiel, ihre Gerüche auseinander zu halten. 4. Er hilft nicht im Haushalt Allmählich ließ sich der Gestank des überquellenden Mülleimers nicht mehr verdrängen. Nicht nur innerlich fluchend hatte Kiba den Stift bei diesem Punkt mit sehr viel mehr Druck geführt als bei den vorangegangenen. Zugegeben, er war auch kein großer Fan von Hausarbeit und drückte sich so häufig es ging, da schenkten er und Naruto sich nichts. Aber er gab sich zumindest Mühe, ihre Wohnung nicht völlig in Unordnung versinken zu lassen. Das konnte er von Naruto nicht behaupten. Vom Müll mal abgesehen half er auch sonst nicht; er putzte nicht, er kochte nicht, er kaufte so gut wie nie ein – und wenn, dann hatten sie fast nur Fertigprodukte im Vorratsschrank. Bevor Kiba sich zu sehr aufregte, atmete er einmal tief durch und schloss kurz die Augen. Dann stellte er sich vor, wie Naruto von hinten die Arme um ihn schlang, wenn er ihnen Frühstück machte. Fast konnte spüren, wie ihn blonde Strähnen an der Wange kitzelten, und mit einem Mal war er kaum noch wütend auf seinen Freund. 5. Er macht aus allem einen Wettkampf Anfangs hatte Kiba noch gedacht, dass das eine gute Eigenschaft wäre. Doch bereits in den ersten Wochen ihrer Beziehung hatte er aufgehört zu zählen, wie viele Dutzend Male Naruto ihn zu Wettrennen aufgefordert hatte. Er wusste auch schon lange nicht mehr, wer mit den Siegen vorne lag, auch wenn sein Selbstbewusstsein ihm versicherte, dass er es war. Dann waren da die Tage, an denen sie beide frei hatten und ausgiebige Spaziergänge mit Akamaru machten. Diese wären allerdings viel entspannter, wenn Naruto nicht nach wenigen Minuten sein Schritttempo drastisch erhöhen würde, oder wenn er nicht versuchen würde Akamarus Spielzeuge weiter und kräftiger zu werfen als Kiba es für gewöhnlich tat. Mittlerweile hatte Naruto etwas zurückgefahren und hielt sich oftmals zurück, doch es war ihm meistens dennoch zu viel. Sie hatten zum Beispiel selten die Möglichkeit, zusammen zu essen, und wenn es dann so weit war, würde Kiba sich viel lieber mit seinem Freund unterhalten, als zum tausendsten Mal ein Wettessen daraus zu machen, so wie Naruto es fast immer tat. Kiba wollte nicht mehr wissen, wer von ihnen schneller, höher und weiter ging, sondern einfach nur Zeit mit ihm verbringen. Ihm ging diese ewige Rivalität in seiner eigenen Beziehung so sehr auf die Nerven, dass er sich die positiven Aspekte davon zunächst nicht eingestehen wollte. Sicher, auf Dauer machte es ihre gemeinsame Zeit anstrengend, aber dafür spornte Naruto ihn auch immer wieder dazu an, an seine Grenzen zu gehen. Und wenn Kiba gewann – was in letzter Zeit selten geschah, wie er sich etwas bitter eingestehen musste –, freute er sich völlig neidlos für ihn, egal wie enttäuscht er über seine Niederlage. Das Schönste war für ihn allerdings die aufrichtige, pure Freude in Narutos Blick, wenn er ihn nach einem Sieg lobte. 6. Er ist oft nicht ernst genug Und das aus Kibas Mund. Fast hätte er über sich selbst gelacht, aber dann fiel ihm wieder ein, dass Narutos fehlende Ernsthaftigkeit seine eigene um Längen überstieg. Es war nicht das ewige Rumalbern, das Kiba störte, sondern dass Naruto nicht einmal dann ernst sein konnte, wenn Kiba ihn ausdrücklich darum bat. Er musste immer erst laut werden, und manchmal musste sogar erst irgendetwas kaputt gehen (ja, sie warfen ab und an mit Dingen um sich, zielten aber niemals auf den jeweils anderen), bevor Naruto wirklich bereit dazu war, ohne einen Scherz auf den Lippen mit ihm zu reden. Als sein Partner fühlte Kiba sich mittlerweile auch fast schon dazu verpflichtet, Narutos manierliche Patzer so gut es ging wieder gerade zu biegen, obwohl ihn das häufiger als nicht in unangenehme Situationen brachte. Naruto hatte ein Talent dafür, die falschen Dinge in den falschen Augenblicken zu sagen, und gerade wenn er das bei jemandem tat, der nicht zu ihrem engeren Freundeskreis zählte, lag es meist an ihm, die Wogen wieder zu glätten. Es war anstrengend und endete oft damit, dass sie einander anblafften. Doch zumindest wusste Naruto auch immer genau, wie er Kiba aufmuntern konnte, wenn es ihm schlecht ging. 7. Er ist unberechenbar Zugegeben, Kiba war niemand, der ausführliche Pläne schmiedete, bevor er eine Sache anging. Früher, zu Zeiten von Team 8, hatte er das getrost Shino überlassen, und heutzutage kam er auch irgendwie zurecht. Seit er nicht mehr Zuhause wohnte und auch immer häufiger Missionen leitete, war er sogar dazu übergegangen, sich grobe Pläne und Richtlinien zurechtzulegen. Dass er diese dann sogar in den meisten Fällen problemlos einhielt, machte ihn ein klein wenig stolz. Aber mit Naruto an seiner Seite war keine Planung möglich, weder bei Missionen noch im Alltag. Selbst nach all der Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, war es ihm nicht möglich ihn einzuschätzen. Außerdem vermutete Kiba schon seit Jahren, dass Naruto einfach chronisch immer das Gegenteil von dem tat, was man von ihm wollte. Keine lohnenswerte Eigenschaft für einen Ninja, aber das war ein Problem für eine andere Liste. Trotz all der zusätzlichen Arbeit, die ihm diese Charaktereigenschaft seines Freundes bereitete, konnte Kiba damit noch ganz gut leben. Denn die Überraschungen, die Naruto für ihr Jubiläum, zu seinem Geburtstag oder einfach nur so plante, waren dafür umso schöner. 8. Er ist zu laut Auch wenn Kibas Ohren nicht ansatzweise so empfindlich waren wie seine Nase, so litten sie dennoch oftmals unter Narutos lauter Stimme. Manchmal überlegte er, ob sein Freund vielleicht einfach nicht einschätzen konnte, in welcher Lautstärke er wann sprechen sollte. Dann wollte er sogar Verständnis für seine Lage aufbringen – bis Naruto ihm wieder ins Ohr schrie oder ihn durch die Gegend zog, wie das hyperaktive Energiebündel, das er nun einmal war. Wie sehr er sich daran aber schon gewöhnt hatte, merkte Kiba immer nur in den seltenen Momenten, in denen Naruto still war. Kaum etwas war ihm so unangenehm, machte ihm so viel Angst wie seinen Freund traurig oder energielos zu sehen. Es passte einfach nicht, und um seines heilen Weltbildes Willen war er bereit, seine manchmal schmerzenden Ohren in Kauf zu nehmen. 9. Er ist nicht kompromissbereit Er übertrieb nicht, wenn er sagte, dass Naruto der sturste Mensch war, mit dem er je zu tun hatte. Sah man sich allerdings seine Familie an, war das schon ein ziemliches Glanzstück, fand zumindest Kiba. Selbst zu seinen aufmüpfigsten Zeiten hatte er mit seiner Familie weniger diskutiert als mit Naruto in der gesamten Dauer ihrer Beziehung. Gut, er selbst nörgelte auch häufig rum, aber wenigstens lenkte er früher ein als der andere. Wobei er das auch eher aus Pragmatismus als auch wahrer Einsicht tat, denn wenn keiner von ihnen nachgab konnte ein Streit auch mal eine Woche oder länger dauern. Für einen Moment wurde Kibas Blick unfokussiert. Abwesend streckte er die Hand aus und kraulte Akamarus weiches Fell, als er sich an einen Moment erinnerte, an dem sie noch keinen Monat zusammen gewesen waren. Damals hatte er Naruto zufällig dabei überrascht, wie dieser in ihrem Schlafzimmer auf und ab gegangen war, in Selbstgespräche vertieft und einen herzzerreißend unsicheren Glanz in den Augen. Er hatte nur Fetzen von dem verstanden, was er sich einredete – irgendetwas davon, dass das alles neu für ihn war und er Angst hatte, etwas falsch zu machen und alles zu ruinieren –, aber es hatte ihm beinahe das Herz gebrochen. Kiba hatte ihn darauf in den Arm genommen und ihm versichert, dass alles gut war. Und er hatte sich geschworen, es niemals wieder so weit kommen zu lassen. 10. Er ist zu aufdringlich Nähe war in einer Beziehung ein Muss für Kiba, da führte kein Weg dran vorbei. Natürlich war Körperkontakt zu seinen Freunden, seiner Familie und ihren Hunden selbstverständlich, aber mittlerweile gab es für ihn nichts Schöneres, als mit Naruto auf ihrer Couch oder im Bett zu liegen. Seine Nähe und sein Geruch waren fast so beruhigend wie der von Akamaru, der ihn seit frühster Kindheit begleitete, und wenn er ehrlich war hatte er nicht damit gerechnet, dass das jemals geschehen würde. Mit Naruto hatte er zum Glück einen Partner, der ebenso auf Körperkontakt bestand wie er selbst. Doch im Gegensatz zu Kiba verstand er nicht, dass es auch Zeiten gab, in denen etwas Abstand gar nicht schlecht war. Wenn sie zum Beispiel Dinge erledigen mussten, wenn sie gemeinsam auf Missionen waren, oder auch wenn sie etwas mit Freunden unternahmen und Naruto am liebsten den ganzen Ausflug über von ihm getragen werden wollte. Naruto war öfters als nicht aufdringlich, gerade auch dann, wie sie sich stritten, und damit konnte Kiba nicht umgehen. Er wollte keine Nähe, wenn er wütend auf ihn war, und deswegen war es manchmal sehr anstrengend, seinem Freund verständlich zu machen, warum er in diesem spezifischen Moment nicht kuscheln wollte. Trotz allem musste Kiba grinsen. Er dachte daran zurück, wie er einmal eine komplette Woche von Naruto getrennt gewesen war, weil dieser auf eine längere Mission hatte gehen müssen. Er hatte ihn so sehr vermisst, dass er ihm am Tag ihres Wiedersehens um den Hals gefallen war, ihn zu Boden geworfen und so lange mit Küssen überhäuft hatte, bis sogar Naruto genug hatte. 11. Er ist nicht nur bei mir zu aufdringlich Kibas Gesicht verzog sich ungewollt zu einer Grimasse, als er diesen Punkt niederschrieb. Dumme Eifersucht, aber in gewisser Weise war er es selbst schuld. Auch wenn er sich manches Mal darüber beschwerte, wie sehr Naruto ihm auf die Pelle rückte, wollte er nicht, dass sein Freund sich als Ausgleich Zuneigung von anderen holte. Zu sehen, dass er auch Körperkontakt zu anderen als ihm selbst suchte, trieb ihn zur Weisglut. Manchmal hatte Kiba das Gefühl, Naruto würde sich mit Absicht bei anderen anbiedern um ihn zu ärgern, vor allem dann, wenn er ihn kurz vorher zurechtgewiesen hatte. Eigentlich bestand jedoch kein Grund zur Sorge, das wusste Kiba. So sehr Naruto auch die körperliche Nähe zu Menschen im Allgemeinen suchte, war Kiba der Einzige, bei dem er sich wirklich fallen ließ. Bei jedem ihrer Freunde behielt er immer die Kontrolle darüber, wie nah der jeweils andere ihm kam, wie lange es dauerte und wo es geschah. Nur bei ihm gab Naruto die Zügel aus der Hand, und das zu wissen machte ihn zufriedener, als er sich eingestehen wollte. 12. Seine Fixierung auf Sasuke ist ungesund Eigentlich hätte dieser Punkt die Liste anführen sollen. Kiba konnte gar nicht in Worte fassen, was in ihm vor sich ging, wann immer sein Freund Sasukes Namen in den Mund nahm. Es war eine unangenehme Mischung aus Wut, Abneigung, Eifersucht und Angst, die in seinem Magen brodelte, und das für ihn mit Abstand schlimmste an seiner Beziehung mit Naruto, ganz gleich wie selten die Momente zum Glück geworden waren. Ein Teil von ihm hoffte, auch an diesem Punkt irgendetwas Positives finden zu können, so wie bei dem Rest der Liste. Allerdings war er realistisch genug zu wissen, dass das niemals geschehen würde, also zuckte er nur mit den Schultern und schrieb weiter. Zumindest versuchte er das. Er überlegte angestrengt, ließ den Stift wenige Millimeter über dem Blatt Papier verweilen. Bis ihm schließlich ein Einfall kam, der ihm die Kehle unangenehm zuschnürte. Etwas zögerlich begann er, den letzten Punkt aufzulisten. 13. Er ist mir zu wichtig geworden Kaum dass er das letzte Wort geschrieben hatte, schloss Kiba die Augen, lehnte sich zurück und stieß einen langen Seufzer aus. Verglichen mit dem Rest der Liste wirkte dieser letzte Punkt beinahe schon lächerlich, und er kam sich auch ziemlich dämlich dabei vor, ihn überhaupt aufzuschreiben. Aber es stimmte nun einmal, da konnte er sich noch so sehr weigern, es zu akzeptieren. Nie hätte er gedacht, dass ihm ein anderen Mensch außerhalb seiner Familie so wichtig werden würde, dass er sich permanent Sorgen darum machte, ihm könnte etwas passieren. Obwohl gerade Naruto wohl der letzte Mensch war, um den er sich Sorgen machen musste. Aber es waren nicht nur die Sorgen um das Wohlergehen seines Freundes. Er konnte sich schon gar nicht mehr vorstellen wie es war, Naruto nicht an seiner Seite zu wissen. Mittlerweile war er so an die Anwesenheit des anderen gewöhnt, dass er nichts mit sich anzufangen wusste, wenn er mal nicht da war. Und da war auch die leise Angst, die ihn an manchen Abenden überkam und ihm zuflüsterte, dass Naruto ihn vielleicht verlassen könnte. Eine Weile lange starrte er auf das Blatt Papier in seinen Händen, las sich immer wieder die dreizehn Dinge durch, die ihn an seinem Freund störten. Oder von denen er sich nur einredete, dass sie ihn störten, wenn er sich gerade wieder aufregte. Plötzlich sprang Akamaru auf, bellte zweimal laut und lief schwanzwedelnd zur Tür. Sofort musste Kiba lächeln, freute sich darüber, wie aufgeregt sein bester Freund immer darauf reagierte, wenn Naruto nach Hause kam. Gerade zu Anfang war er sich nicht sicher gewesen, ob die beiden sich jemals so gut verstehen würden, dass er sie problemlos miteinander allein lassen konnte, doch bereits nach wenigen Wochen hatte er gemerkt, wie unbegründet seine Zweifel gewesen waren. Mit einem leichten Lächeln wartete er, bis Naruto seinen Namen rief und auf seine Antwort horchte. Danach lief er ohne Umwege ins Wohnzimmer, Akamaru dicht auf den Fersen, der an ihm hochsprang und versuchte, ein paar Streicheleinheiten zu erhaschen. Als er Kiba auf dem Sofa erblickte, steuerte er zunächst grinsend auf ihn zu, doch als er nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, rümpfte er auf einmal die Nase. »Baah, der Müll stinkt ja echt richtig heftig! Wieso hast du den noch nicht rausgebracht?« Fast hätte Kiba laut losgelacht, doch er zwang sich zu einem Lächeln, das sehr viel wehmütiger wirkte als beabsichtigt. »Hab ich vergessen«, log er und lehnte den Kopf schräg nach hinten, damit er seinen Freund besser sehen konnte. »Na ja, kann ja mal passieren«, grinste Naruto, ehe er dichter an Kiba herantrat und ihn auf die Wange küsste. Sowie er sah, dass der andere offenbar irgendetwas notierte, blickte er ihm interessiert über die Schulter. »Was machst du da?« »Nichts Wichtiges.« Noch nie war Kiba so dankbar für seine schreckliche Handschrift gewesen wie in diesem Moment. Hastig knüllte er den Zettel zusammen und steckte ihn in seine Hosentasche, wohlwissend, dass Naruto ihm fast blind vertraute und nicht mehr deswegen fragen würde. Dann stand er auf, streckte sich einmal und drehte sich zu seinem Freund um. »Wollen wir mit Akamaru spazieren gehen und auf dem Weg den Müll rausbringen?« Naruto nickte begeistert und schenkte ihm das strahlende Lächeln, das Kiba so liebte, ehe sie gemeinsam das Haus verließen. Kiba war fest entschlossen, das zerknüllte Blatt Papier in seiner Hosentasche im Laufe des Abends zu verschlucken und so dafür zu sorgen, dass es niemals Schaden anrichten konnte. Kapitel 4: Petrified (Kakashi/Yamato) ------------------------------------- Seit dem Ende des Krieges waren bereits mehrere Wochen ins Land gezogen. Mittlerweile hatten sie von allen Gefallenen Abschied genommen, und auch der Wiederaufbau Konohas ging gut voran. Wäre das Dorf nicht immer noch gezeichnet von den Spuren der Zerstörung, könnte man fast sagen, dass alles wieder wie vorher war. Nur, dass sie jetzt weniger Missionen hatten und dafür mehr Zeit über das nachzudenken, was sie sonst verdrängt hatten. Wie so oft spazierte Kakashi durch das Dorf, scheinbar ziellos für alle, die ihn auf seinem Weg grüßten. Doch am Ende seiner täglichen Reisen stand immer der große, majestätische Baum mitten im Zentrum von Konoha, der über alle Bewohner des Dorfes zu wachen schien. Auch heute kam er genau davor zum Stehen, so nah, dass er nur die Hand ausstrecken musste, um die feste, raue Rinde unter seinen Fingern spüren zu können. Er mochte das Gefühl auf seiner Haut; es war tröstend und vertraut. *** Bereits bei ihrem ersten Treffen hatte Kakashi gewusst, dass Yamato jemand war, um dessen Leben er jeden Tag würde fürchten müssen. Alles an dem jungen, erstaunlich schmächtigen Körper schrie nach einem frühen Tod, auch wenn sich in seinen Augen ein fast schon verzweifelter Überlebensdrang spiegelte, wenn man nur lang genug hinsah. Doch kurz bevor sich ihre Wege kreuzten hatte Kakashi jeden Menschen verloren, der ihm jemals etwas bedeutet hatte, und die allnächtlichen Albträume warfen selbst am helllichten Tage ihre Schatten auf ihn. Sein erster Eindruck mochte genau daran gelegen habe, sagte er sich heute, und daran, dass er sich in den letzten Monaten intensiv damit auseinandergesetzt hatte, wie Shinobi am besten sterben sollten. Und vielleicht lag es auch ein wenig daran, dass ihn Yamatos Frisur damals viel zu sehr an die von Rin erinnert hatte. *** Obwohl er Tiere liebte und seine Freizeit wann immer es ging draußen in der Natur verbrachte, verhielt sich Tenzou stets übermäßig vorsichtig und wachsam, wenn Kakashi seine Ninken rief. Zunächst dachte Kakashi sich nichts dabei; Tenzous nervöses Zurückzucken, von dem er dachte er könnte es vor ihm verbergen, amüsierte ihn dafür viel zu sehr. Doch egal wie oft er Tenzou mit den Hunden konfrontierte, seine Unruhe blieb. »Es ist nicht so, dass ich Angst vor Hunden habe«, erklärte Tenzou ihm verlegen, als er ihn irgendwann direkt darauf ansprach. »Aber gerade Ninken nehmen Dinge war, die Menschen oft verborgen bleiben. Ob man will oder nicht, sie wissen instinktiv, wenn etwas nicht stimmt. Und ich will nicht permanent daran erinnert werden, dass das bei mir auch so ist.« Kakashi konnte nur spekulieren, was er damit genau meinte. Er fragte nur deshalb nicht weiter nach, weil er wusste, dass Tenzou genauso ungern über seine Vergangenheit sprach wie er selbst. Das war das letzte Mal gewesen, dass er Pakkun und die anderen rief, ohne vorher stumm um Erlaubnis zu bitten. *** Einige Wochen waren ins Land gezogen, seit Tenzou Konohas ANBU beigetreten war, und seither war kaum ein Tag vergangen, den sie nicht gemeinsam verbracht hatten. Selbst an ihren wenigen freien Tagen liefen sie sich meist nicht ganz so zufällig über den Weg, und obwohl sie nicht selten einfach nur die Stille des anderen genossen, fand Kakashi es dennoch angenehmer, als Zeit mit seinen alten Freunden zu verbringen. Er wusste, dass seine Einstellung ihnen gegenüber vermutlich unfair war, doch Tenzous Gesellschaft beruhigte ihn; ihr Beisammensein war ungezwungen, locker und folgte der unausgesprochenen Regel, niemals eine Frage zu stellen, auf die man selbst keine Antwort würde geben wollen. Doch ab und an war auch ihm danach, über ernste Themen zu reden, und auch wenn er Tenzou nicht ansatzweise so lange kannte wie die anderen, so war er doch der Einzige, mit dem er manche Dinge teilen wollte. Nachdem sie an diesem Nachmittag ihr Training beendet und eine Weile stumm nebeneinander auf der weiten Wiese gesessen hatten, kam Kakashi wieder eine Frage in den Sinn, die er seinem Freund schon lange hatte stellen wollen. Seit Tenzou den Namen Kinoe abgelegt hatte, überlegte Kakashi manchmal, ob das was sie beide mit dem neuen Namen verbanden nicht eine zu starke Last war. Anstatt Tenzou jedoch direkt darauf anzusprechen, lehnte er sich nach hinten, stützte seinen Körper auf den ausgestreckten Armen ab und sah in den Himmel. »Es lebt sich einfacher, wenn man keine Vergangenheit hat, die einen an etwas oder jemanden bindet.« Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, dass Tenzou tatsächlich überrascht von seiner Aussage schien. Er blinzelte einige Male, ehe er lange nachdachte. Vermutlich hätte er viel schneller zu einer Antwort ansetzen können, wenn Kakashi ihm nicht alles erzählt hatte; was damals mit Obito und Rin geschehen war, was Kakashi seitdem alles durchlitten hatte, und auch, dass er ihn ganz am Anfang an Rin erinnert hatte. »Vermutlich hast du recht«, begann Tenzou nach einer Weile vorsichtig. »Dinge, die hinter uns liegen, belasten meistens nur. Und dennoch«, er schlang die Arme um seine angewinkelten Knie und grinste Kakashi fast schon verlegen an, »unsere Vergangenheit ist manchmal alles, was uns bleibt. Sie macht uns zu dem, was wir sind.« Tenzou erwartete nicht, dass der andere ihm darauf eine Antwort gab. Schon gar nicht, als er sogar unter Kakashis Maske erkennen konnte, wie traurig das Lächeln war, das ihm auf den Lippen lag. »Und was, wenn ich nicht mag, was meine Vergangenheit aus mir gemacht hat?« Darauf sagte er zunächst nichts, streckte stattdessen die Beine ebenso aus wie Kakashi und stieß dessen Fuß sachte mit seinem eigenen an. Eigentlich erwartete Tenzou, dass sein Freund zurückzucken würde. Körperkontakt außerhalb ihrer Missionen und Trainingseinheiten war ungewöhnlich, besonders wenn er tröstend gemeint war. Doch Kakashi bewegte sich nicht, sondern schien zu warten, ob er noch etwas zu sagen hatte. Tenzou haderte kurz mit sich, ehe er weitersprach, denn eigentlich gingen seine nächsten Worte über das hinaus, was in ihrer Beziehung angebracht war. »Es wird dir wahrscheinlich nicht weiterhelfen, aber ich finde dich gut so, wie du geworden bist.« Die nächsten Augenblicke zogen sich zu einer kleinen Ewigkeit hinaus. Als Kakashi endlich reagierte, war das Lächeln unter seiner Maske nicht mehr ganz so traurig wie vorher. »Danke.« *** »Viele sind gestorben, also haben wir viele Bäume gepflanzt.« Tenzou dachte heute noch oft an Yukimis Worte. Ihm hatte die Vorstellung, dass Bäume als Grabsteine dienten und die Seelen der Verstorbenen in ihnen ruhten, immer sehr gefallen. Vielleicht – wenn er ganz viel Glück hatte – würde es bei ihm später auch so zu Ende gehen. *** Tenzou hatte den Klang von Kakashis Chidori schon immer geliebt, seit er es das erste Mal gehört und gedacht hatte, er würde mitten in einem wilden Schwarm aus tausend blauen Vögeln stehen. Wenn er nicht zur Ruhe kam und ziellos durch die Straßen Konohas lief, war dieses Geräusch das einzige, das ihm Frieden brachte. Und seit er Kakashi davon erzählt hatte, schien dieser ihm auch immer zufällig dann über den Weg zu laufen, wenn es nötig war. *** Es geschah nicht oft, dass sie sich auf Missionen so sehr verletzten, um einen Krankenhausaufenthalt zu rechtfertigen. Umso erstaunter waren sie beide, als Tenzou nach zwei Tagen strenger Bettruhe immer noch fünf weitere Tage vor sich hatte. Obwohl sie sich nicht viel zu sagen hatten und meist einfach nur schweigend nebeneinander saßen, besuchte Kakashi ihn so häufig seine Missionen es zuließen. Auch an diesem Nachmittag war es nicht viel anders, nur schien Tenzou etwas abwesender zu sein als sonst, so als würde er intensiv über etwas nachdenken. Er wartete einige Augenblicke, ob er von sich aus etwas sagte, doch als das nicht geschah fragte Kakashi ihn, woran er gerade dachte. »Wenn du allein bist, denkst du nur daran zu sterben, doch wenn du jemanden an deiner Seite hast, denkst du nur daran zu überleben«, gab Tenzou mit leiser aber fester Stimme zurück, nachdem er auf die Frage seines Freundes hin kurz zusammengezuckt war. Kakashi wusste, dass er von seiner Zeit als Orochimarus Versuchsobjekt redete. Tenzou hatte ihm vor Jahren schon davon erzählt, doch damals wie heute wusste er nichts darauf zu erwidern. Stattdessen drehte er sich so auf der Sitzfläche seines Stuhls, dass er sich an Tenzous Arm lehnen konnte. Dann schloss er die Augen, wohlwissend, dass er sowieso keinen Schlaf finden würde. Doch im Moment war dieser stille Beistand alles, was er ihm bieten konnte. *** Tenzou war ein sehr bescheidener Mensch, wenn es um sein Können und seine Fähigkeiten ging. Üblicherweise benötigte sogar Kakashi einige Zeit, bis er ihm eine Kostprobe seiner Talente gab, und wenn es endlich soweit war, dann ausschließlich in Situationen, in denen sie unter sich waren. In seltenen Fällen aber rückte Tenzou von ganz allein damit heraus, aber auch nur weil er glaubte, es wäre nichts Besonderes. Sie kamen am frühen Vormittag von ihrer Mission in Suna zurück, lieferten ihren Bericht beim Hokage ab und hatten somit den Rest des Tages frei. Wie so oft führte ihr gemeinsamer Weg zu den weitläufigen Trainingswiesen etwas außerhalb des Dorfes. Sie nahmen unter einem der großen Bäume Platz, nicht unbedingt erschöpft von den letzten Tagen, aber für einen herrlichen Moment lang zu faul, um sofort mit dem Training anzufangen. Die Sonne schien träge vom Himmel, wärmte ihnen die nackte Haut an den Armen und im Gesicht, machte sie schläfriger, als sie es normalerweise nach Missionen waren. Irgendwann, nachdem sie lange nur schweigend nebeneinander gesessen hatten, hob Tenzou die Hand und ließ sie kurz über den einzelnen hohen Grashalmen zu seiner Seite verweilen. Einen prüfenden Blick später schien er seine Wahl getroffen zu haben, zupfte eines aus der Erde, spannte es zwischen seine Finger und Daumenballen, und führte die Hände an seinen Mund. Die Melodie erinnerte Kakashi an ein Stück, das er vor langer Zeit gehört hatte, nur dass es diesmal keine Flöten waren, die erklangen, sondern ein einfacher Grashalm. Die Töne waren sanft und beruhigend, so als wollte Tenzou ihn damit zum Einschlafen bringen. Mit einem leisen Seufzer schloss er die Augen und lauschte nur. Als Tenzou irgendwann aufhörte, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war. Etwas widerwillig öffnete er die Augen wieder und stupste ihn mit der Schulter an. »Bringst du mir bei, wie man mehr als nur einen Ton aus den Dingern herauskitzelt?« Tenzou starrte ihn erst verdutzt an, so als könnte er nicht abschätzen, ob es ihm ernst war oder nicht. Dann stahl sich ein verschmitztes Lächeln auf seine Lippen. »Aber nur, weil du es bist.« *** Viele Jahre nach ihrem ersten Treffen war Tenzou nicht mehr ansatzweise so schmächtig wie damals, sondern tatsächlich muskulöser als Kakashi. Er wusste das wohl am besten, doch es hinderte ihn nicht im geringsten daran, hin und wieder in ihre alten Muster zu verfallen. Wie früher auch fragte er regelmäßig nach, ob sich Tenzou geregelt und gesund ernährte (auch wenn sie beide mittlerweile wussten, dass Kakashi in diesem Fall das eigentliche Sorgenkind war); er orientierte sich an ihm, wenn es darum ging, auf ihren Missionen eine Pause einzulegen; und er streunte während Tenzous seltener Krankenhausaufenthalte so lange passiv-aggressiv durch die Gänge, bis ihn die besten Ärzte behandelten. Außerdem hielt Kakashi sich für unglaublich subtil. Genau wegen dieser eisernen Überzeugung brachte Tenzou es nicht übers Herz ihm zu sagen, dass er ihn schon vor Jahren durchschaut hatte. *** Wenn man so viel Zeit miteinander verbrachte wie er und Tenzou war es nur natürlich, mit der Körpersprache und den Eigenarten des jeweils anderen vertraut zu werden. Es machte ihre Gesellschaft und gemeinsamen Missionen noch unkomplizierter, als sie ohnehin schon waren. Denn Tenzou wusste, in welchen Momenten das Zucken von Kakashis rechter Hand einen Angriff mit einem Jutsu oder mit einem Kunai bedeutete. Und Kakashi hatte schnell gelernt, wie sich Tenzous Fußstellung unterschied, wenn er ein Suiton oder ein Doton nutzte. So sehr aufeinander eingestimmt zu sein bedeutete jedoch auch, dass die kleinsten Veränderungen einen aus der Bahn werfen konnten, selbst wenn man anfangs nicht einmal wusste, was genau falsch war. *** Damals, als Itachi ihrem Team beigetreten war, hatte er Kakashi einmal gefragt, ob er sich nicht unwohl dabei fühlte, eine Kraft zu nutzen, die nicht seine eigene war. Zunächst hatte er sich nicht viel dabei gedacht, schließlich war sein Sharingan gleichzeitig ein Geschenk von und eine Erinnerung an Obito. Es war sein fleischgewordenes Versprechen, seine Freunde nicht mehr sterben zu lassen. Mit der Zeit kamen ihm jedoch Zweifel, also fragte er – wie so oft in solchen Fällen – Tenzou, was er darüber dachte. Wie immer nahm dieser sich genügend Zeit, um seine Antwort gründlich zu durchdenken. Als er schließlich die richtigen Worte gefunden hatte, lächelte er ihn so warm an, dass Kakashi fast schon egal war, was er sagen würde. »Solange du dadurch die Kraft besitzt, jemanden zu beschützen, ist es doch eigentlich nicht so wichtig, oder?« *** Kakashi bemerkte das erste Mal, dass etwas nicht stimmte, nachdem er und Tenzou mehrere Wochen zusammen für eine Mission unterwegs waren. Eine seiner Marotten war es, seinen Körper nach jedem Kampf auf eventuelle Verletzungen zu untersuchen. Kakashi wusste, dass diese Angewohnheit aus seiner Kindheit stammte, und er sie vermutlich niemals ganz ablegen würde, also dachte er sich weiter nichts dabei. Je länger sie jedoch ununterbrochen Zeit miteinander verbrachten, desto eher fielen ihm Dinge auf, auf die er früher kaum geachtet hatte, weil sie viel zu unregelmäßig auftraten, um ihm wichtig zu erscheinen. Ab und zu, wenn sie länger irgendwo gesessen hatten, war es Kakashi so vorgekommen, als wären Tenzous Bewegungen kurz nach dem Aufstehen hölzern und steif, so als würde er erst wieder die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangen müssen. Er hatte es immer als unwichtig abgetan, weil er ihn so selten dabei beobachtete. Nach fast zwei Wochen war Kakashi allerdings klar geworden, dass Tenzou es vielleicht einfach nur gut vor ihm verborgen hatte. Während dieser Mission war ihm immer öfter aufgefallen, wie häufig die Bewegungen seines Freundes weniger fließend wirkten als üblich. Mehr als einmal fragte er sich, ob er nicht einfach nur überreagierte, ob er sich zu sehr auf etwas versteifte, was vielleicht gar nicht da war. Als Tenzou seinen Köprer das erste Mal länger als üblich nach Verletzungen absuchte, dachte er sich also nichts dabei. Beim zweiten Mal wurde er schon unruhiger, und nachdem er das dritte Mal gut zehn Sekunden lang seine Finger zur Faust ballte und wieder ausstreckte, spürte Kakashi eine unangenehme Mischung aus Nervosität und Übelkeit in seinem Magen. Er wusste, dass irgendetwas nicht richtig war. Und nicht genau sagen zu können, was dieses irgendetwas war, jagte ihm mehr Angst ein, als er sich eingestehen wollte. *** »Ich werde bald zu Stein erstarren.« Tenzous Worte hätten ihn nicht so mitnehmen sollen, wie sie es an diesem lauen Sommerabend taten. Seit Kakashi sein Mokuton das erste Mal gesehen hatte, war er versessen darauf gewesen, mehr darüber zu erfahren. Jahrelange, unregelmäßige Nachforschungen hatten ihm schon vor langer Zeit offenbart, wie schnell und plötzlich alles enden konnte. Dass Tenzous verzweifelter Wunsch zu überleben das Einzige war, das ihn noch am Leben hielt. Er war vorbereitet darauf gewesen, oder zumindest hatte er das bis zu diesem Moment gedacht. Dennoch sagte er nichts darauf. Stattdessen lief er stumm neben seinem Freund durch die Gassen Konohas, die kurz vor Sonnenuntergang geschäftiger waren als sonst, und dankte seinem Training dafür, dass man ihm seinen Schock nicht anmerken konnte. Erst als sie die Menschenmassen hinter sich gelassen hatten und auf einem weiten, von Sommergräsern bedeckten Hügel am Rande des Dorfes zum Stehen kamen, wagte Kakashi wieder, den anderen anzusehen. »Wieso?« Seine Stimme klang heiser, verzweifelt, sodass er am liebsten laut geflucht hätte. In so einer Situation sollte er gefasst sein, sollte Tenzou ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität vermitteln, falls seine eigene Welt zu zerfallen drohte. Doch Tenzou war – oder wirkte zumindest – so viel gefasster als Kakashi es sich in diesem Moment selbst zutraute. »Die Zellen des Shoudaime in mir mutieren irgendwann und werden zu Stein«, erklärte er mit einer Ruhe, die nicht darauf hindeutete, dass er über seinen eigenen Körper sprach. »Der Vorgang nennt sich Silifizierung. Dabei werden alle Bestandteile des Holzes allmählich durch Mineralien ersetzt.« Während Kakashis Gedanken sich fast überschlugen in ihrem Versuch, Tenzous Worte zu begreifen, grinste die Ursache seines rasenden Herzes ihn nur schief an. »Das schließt sogar Opal mit ein. Wer weiß, vielleicht werde ich mit der Versteinerung richtig wertvoll?« »Das bist du jetzt auch schon«, presste Kakashi hervor, nachdem er schier endlos lange Sekunden versucht hatte, seine Nerven zu beruhigen. Tenzous letzte Worte waren als Witz gemeint gewesen, aber er wusste besser als jeder andere, wie Tenzou eigentlich über sich selbst dachte. Am liebsten hätte Kakashi alle Dinge, die Tenzou in seinen Augen besonders machten, laut in die Welt hinaus geschrien, aber er war zu abgelenkt von dem traurigen Lächeln, das der andere ihm schenkte. »Senpai—«, versuchte Tenzou ihn zu beruhigen, doch Kakashi war zu aufgebracht, um ihn ausreden zu lassen. »Ich verstehe nicht warum!« In all der Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, hatte er Kakashi noch nie so wütend gesehen. Der Anblick war so untypisch und fremd, dass Tenzou zunächst die Worte fehlten. »Wenn du nicht mit den Zellen kompatibel wärst, würdest du schon längst nicht mehr leben. Aber du bist besonders, deswegen hast du überlebt. Du verdienst es nicht zu ster—« »Senpai«, unterbrach Tenzou ihn mit Nachdruck, obwohl seine Stimme unglaublich sanft klang, »wir können beide nichts daran ändern. Ich habe mich damit abgefunden.« Alles in Kakashi schrie danach, ihr Gespräch nicht so enden zu lassen, das sah Tenzou ihm an. Doch er hatte nicht den Mut herauszufinden, was als nächstes geschehen könnte, also lächelte er nur erschöpft und versuchte, seinem Freund ein aufrichtiges Lächeln zu schenken. »Danke.« Mit einem Schlag waren Kakashis Albträume wieder da. Nacht für Nacht, wenn er sich vor Erschöpfung nicht mehr wach halten konnte, sah er Tenzou sterben, ohne ihm zur Hilfe eilen zu können. *** Sie hatten sich noch nie wirklich gestritten. Sowohl Tenzou als auch Kakashi bevorzugten es, eventuelle Probleme direkt anzusprechen und ruhig zu diskutieren, bis sie zu einer Lösung gekommen waren. Sie schrien sich nicht an und blieben stets sachlich, und das schätzte er so sehr an ihren Gesprächen. Genau aus diesem Grund wusste er nicht damit umzugehen, als Kakashi ihre beiden Gläser von dem kleinen Wohnzimmertisch in Tenzous Wohnung fegte und ihn mit einer Wut anfunkelte, die er noch nie zuvor in seinen Augen gesehen hatte. »Interessiert es dich gar nicht, dass du sterben wirst?!«, schrie er schon fast, ohne groß darauf zu achten, ob die Nachbarn sie hören konnten oder nicht. Tenzou selbst sagte nichts, war zu überfordert mit der Reaktion seines Freundes und bereute sogar einen Moment lang, ihn überhaupt eingeweiht zu haben. »Ich habe nur gesagt, dass mein Mokuton nicht gebraucht wird, um Kyuubi zu kontrollieren, solange wir auch das Sharingan nutzen können«, erklärte er nach endlosen Sekunden der Stille zögerlich, wohlwissend, dass es nicht ausreichen würde, um den anderen zu beruhigen. Wie erwartet rollte Kakashi frustriert mit den Augen. »Aber darum geht es nicht!« »Worum denn dann?« Tenzou war selbst etwas lauter geworden, zu angespannt, um sich länger zu beherrschen. Er verstand, warum Kakashi wütend war, er verstand es wirklich. Doch Wut brachte sie beide in diesem Fall nicht weiter. Ganz im Gegenteil; es machte es für Tenzou nur schwerer zu akzeptieren, was ihn noch erwarten würde. Kakashi war seit seiner Frage ganz still geworden. Es war ein so starker Kontrast zu seinem Gefühlsausbruch wenige Sekunden zuvor, dass Yamato sich beinahe wünschte, er würde wieder schreien. Stattdessen schloss er die Augen, atmete einmal tief durch und ließ sich zurück aufs Sofa fallen. Er stützte die Ellbogen auf seinen Knien ab und vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Was soll ich denn machen, wenn ich dich auch noch verliere?«, flüsterte er so leise, dass Tenzou erst dachte, er hätte sich verhört. Es brach ihm das Herz, Kakashi so zu sehen und zu wissen, dass es nicht nur seine Schuld war, sondern dass er auch nichts dagegen unternehmen konnte. Wortlos setzte er sich neben ihn, ganz dicht, sodass sich ihre Beine berührten. »Tut mir leid.« Tenzou hatte sein Mokuton nie so sehr gehasst wie in dem Moment, als Kakashis Stimme bei seinen nächsten Worten brach. »Mir auch.« *** Tenzou merkte sofort, dass Kakashi wieder Albträume hatte, ganz gleich wie sehr dieser versuchte, es gerade vor ihm zu verbergen. Es tat ihm unsagbar leid, dass sein Freund wegen ihm litt, aber er wusste auch nicht, wie er ihm helfen sollte. Er wusste ja nicht einmal, wie er sich selbst helfen sollte. Also nahm er sich vor, auf ihrer nächsten Mission nach einem Grashalm Ausschau zu halten, der eine so schöne Melodie spielen konnte, dass sie selbst gegen dunkelschwarze Albträume ankam. *** Manchmal, wenn er nichts anderes zu tun hatte und sich nicht dazu bereit fühlte, seine Gedanken schweifen zu lassen, suchte Tenzou sich einen Ort, an dem er ungestört war. Dann ließ er seine linke Hand zu Holz werden, griff mit seiner rechten nach einem Kunai und begann, Schicht um Schicht seiner Gliedmaße abzuschälen. Anfangs hatte er damit aufgehört, sobald Kakashi sich zu ihm gesellte, doch mittlerweile schnitzte er weiter, wenn er noch zu unruhig war um zu stoppen. Mit der Zeit hatte er die Vermutung entwickelt, dass diese Beschäftigung nicht nur ihn beruhigte, sondern auch seinen Freund, dessen Blick er immer häufiger in seinem Nacken brennen spürte. »Ich bilde mir ein, dass ich die Lähmung damit einfach abschälen kann, aber natürlich funktioniert das nicht«, sagte er eines Tages versucht heiter, auch wenn er den anderen damit nicht täuschen konnte. Kakashi nickte darauf nur langsam. Er fragte sich, ob er auf diese Weise auch Rins Blut von seinen Händen schälen könnte, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Nein, natürlich würde das nicht funktionieren, aber er hoffte es so sehr. Für Tenzou sogar mehr als für sich selbst. *** Nachdem Kakashi die ANBU verlassen hatte und stattdessen als Ausbilder arbeitete, sahen sie sich kaum noch. Obwohl Kakashi seine letzten zwei Teams hatte durchfallen lassen und somit eigentlich mehr Zeit haben müsste, schafften sie es aufgrund ihrer unregelmäßigen Zeitpläne selten, sich zu treffen. Umso mehr freute Tenzou sich, dass er es geschafft hatte, Kakashi unter vier Augen zu sprechen, bevor er sich mit seinem nächsten Team traf. Eigentlich sollte er ihn nicht noch länger aufhalten, schließlich war er schon viel zu spät dran, doch dieses eine Mal wollte er so egoistisch sein, sich ein wenig seiner Zeit zu rauben. Für einen Moment überlegte Tenzou ihn zu fragen, ob er nicht wieder als ANBU arbeiten wollte. Es war ihnen immer noch nicht gelungen, einen angemessenen Ersatz für ihn zu finden, und wenn er ganz ehrlich war vermisste er es, Zeit mit ihm zu verbringen. Doch Kakashi hatte sich verändert, seit er ausgetreten war; früher war er auf die Vergangenheit fixiert gewesen, aber mittlerweile hatte er es endlich geschafft, in die Zukunft zu blicken. Tenzou wollte nicht derjenige sein, der ihn wieder in die Schatten zog. Vor allem nicht, weil er wusste, dass sie keine gemeinsame Zukunft haben würden. *** Auch wenn Narutos Training seine volle Konzentration beanspruchte, war sich Kakashi im Klaren darüber, wie eintönig und langweilig es dennoch für Yamato war. Und selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, waren seine Bemerkungen während der letzten halben Stunde nicht sonderlich subtil ausgefallen. Das langwierige Sitzen beanspruchte seine Körper vermutlich sogar mehr als das Jutsu, das er aufrechterhalten musste. Aber Yamato war ein Mensch, der seine Versprechen hielt, obwohl er es mittlerweile vermutlich ein wenig bereute, Kakashi zugesagt zu haben, seinem Schüler zu helfen. Als er erneut zu einer Beschwerde ansetzen wollte, stand Kakashi von der hölzernen Bank auf, die Yamato ihm unter Murren errichtet hatte und auf der er bis eben gelegen hatte. Mit einem lauten Seufzer versuchte er von dem Lächeln auf seinen Lippen abzulenken, das Yamato ohnehin nicht sah, weil er mit dem Rücken zu ihm saß. Es dauerte nicht lange, bis er auf der Wiese zu seinen Füßen einen geeigneten Grashalm gefunden hatte, den er pflücken und so zwischen seinen Fingern spannen konnte, wie der andere es ihm einst beigebracht hatte. Yamato Kopf zuckte minimal, als er die ersten Töne hörte. Sie waren leiser und weniger sicher als wenn er selbst sie erzeugt hätte, doch Kakashi wusste, dass er sich dennoch freute. Er musste auch nicht Yamatos Gesicht sehen um zu wissen, dass ein Lächeln auf seinen Lippen lag. *** Yamato hatte immer gewusst, dass seine Zeit begrenzt war, schon lange bevor er erst für Danzou und danach für Konoha eine Maske aufgesetzt hatte. Dennoch ließ er Kakashi in dem Glauben, dass die Silifizierung erst begonnen hatte, als er der ANBU beigetreten war, doch das war gelogen. Er hatte immer gespürt, wie die fremden Zellen in ihm rebellierten, wie sie versuchten die Kontrolle über seinen Körper zu gelangen. Seit seiner Geburt war er nichts als ein Fremdkörper gewesen, wäre es vermutlich auch ohne die Zellen eines Toten in sich gewesen. Dieser Gedanke begleitete ihn schon sein ganzes Leben lang – außer, wenn er Zeit mit Kakashi verbrachte. In der Gegenwart seines besten Freundes fühlte er sich tatsächlich so, als hätte er einen Ort, an den er gehörte. *** »Welche Pose soll ich am Ende einnehmen?«, fragte Yamato ihn eines Tages, als sie nach Narutos Training gemeinsam durch die leeren Gassen Konohas liefen. Ab und zu, wenn er das Gefühl hatte, Kakashi litt zu sehr unter seinem unausweichlichen Ende, versuchte er die allmähliche Versteinerung seines Körpers ins Lächerliche zu ziehen. Es half nicht wirklich dabei, ihn zu beruhigen, aber Kakashi rechnete ihm den Versuch an. »Mach doch die gleiche Pose wie Gai immer«, erwiderte er, ohne von seinem Buch aufzublicken. Er konzentrierte sich zwar nicht mehr auf die Worte, hatte aber auch nicht den Mut, seinen Freund anzugucken. Dennoch konnte Kakashi ahnen, wie wenig begeistert er gerade angesehen wurde. »Ist das dein Ernst?« War es nicht, aber Kakashi antwortete ihm trotzdem nicht, sondern wartete, bis Yamato die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben stand und er ihn fast schon panisch ansah. »S-senpai?« Schließlich erbarmte er sich, auch wenn seine Worte vermutlich keinen von ihnen würden aufheitern können. »Etwas Bequemes wäre gut«, begann er etwas leiser als zuvor und sah schließlich von seinem Buch auf. Yamatos Blick war für ihn undefinierbar, aber vielleicht war das auch besser so. »Du wirst eine ganze Weile in der Pose ausharren müssen, also solltest du es so bequem wie möglich haben.« *** Viele von Yamatos Angewohnheiten waren so subtil, dass man sie niemals als solche erkennen würde, wenn man nicht davon wusste. Viele, aber nicht alle. Eine seiner Marotten war besonders auffällig, aber da Kakashi der Einzige war, der ihn je dabei beobachtet hatte, war es nicht allzu tragisch. Immer, wenn Yamato wirklich nervös war, ließ er einen Sprössling in seiner Hand wachsen und pflanzte ihn anschließend ein. »Mein Versagen lässt neues Leben blühen«, hatte er einmal gesagt, damals, als Kakashi ihn das erste Mal dabei erwischt hatte. Viel zu verlegen hatte er sich den Nacken gekratzt und ihn stumm darum gebeten, niemandem davon zu erzählen. Als hätte Kakashi diese verletzliche Seite seines Freundes nicht ohnehin als ihr gemeinsames Geheimnis angesehen. *** Seit Kakashi erfahren hatte, dass Yamato vom Feind gefangen genommen worden war, war er nicht mehr richtig zur Ruhe gekommen. Jeder Gedanke, den er nicht an den Krieg verschwendete, galt seinem Freund und der Hoffnung, dass sie sich wiedersehen würden. Es war allein seiner Professionalität und jahrelangen Erfahrung geschuldet, dass er sich auf die Kämpfe vor ihm hatte konzentrieren können. Als sie endlich siegreich aus dem Krieg hatten hervorgehen können, machte er sich sofort auf in die Richtung, in der man den anderen hatte ausfindig machen können. In seinem Kopf spielte sich ein Horrorszenario nach dem nächsten ab; war er überhaupt noch am Leben, oder waren die Zellen des Shoudaime so sehr gefordert worden, dass er bereits komplett zu Stein erstarrt war? Kakashi versuchte, all die schlechten Gedanken zu verbannen, sowie er an seinem Ziel angekommen war. Hektisch suchte er das Gelände ab, versuchte zu erkennen, wo Yamato zwischen all den Überresten von Zetsu stecken konnte. Mit jeder Sekunde die verstrich zog sich sein Herz mehr zusammen, sein Atem ging schneller und mehr als einmal musste er den Drang unterdrücken, laut zu schreien. Dann sah er ihn endlich: Yamato saß in einem kleinen Krater und wirkte genauso erschöpft, wie auch Kakashi sich fühlte. Mit zitternder Stimme rief er Yamatos Namen, bis dieser sich umdrehte, Erstaunen und Dankbarkeit klar in seinem Gesicht erkennbar. Für einen Moment fiel alle Nervosität und Angst von Kakashi ab, und er war einfach nur erleichtert und glücklich, seinen Freund wohlauf zu sehen. »Lass uns nach Hause gehen, Tenzou«, brachte er beherrschter heraus, als er sich eigentlich fühlte. Er stand am Rande des Kraters und hielt ihm seine Hand entgegen, doch Yamato griff nicht danach. Stattdessen sah er ihn mit einer Mischung aus Verlegenheit und Trauer an, von der Kakashi mit einem Mal übel wurde, und deutete auf seine Beine. »Könntest du mir helfen?« Der Anblick der versteinerten Gliedmaßen traf Kakashi wie ein Schlag ins Gesicht. Nur Yamatos Stimme schien ihn noch aufrecht zu halten. »Ich kann meine Beine nicht mehr spüren.« *** Kakashi hatte nicht geweint, als er Yamato zurück nach Konoha getragen hatte, das hatte er ihm nicht antun wollen. Vielmehr hatte er Witze gemacht, hatte ihn gefragt, ob er sich denn endlich für eine Pose entschieden hatte, so eingeschränkt, wie er jetzt in seiner Wahl war. Er hatte geredet und geredet, ohne Unterlass, nur damit der andere endlich aufhörte, sich bei ihm zu entschuldigen. Yamato hatte sich Vorwürfe gemacht, dass er anstatt für seine Heimat zu kämpfen mit seinen Kräften den Feind unterstützt hatte. Egal wie sehr Kakashi versuchte, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, er wollte nicht hören. Und als Yamato ihm schließlich leise und viel zu gefassst sagte, dass er an diesem Tag sterben würde, hatte er kapituliert. Am liebsten hätte er ihn angefleht, es sich noch einmal zu überlegen, dass er bestimmt noch einige Jahre durchhalten konnte, aber Yamato hatte sein ganzes Leben lang ums Überleben gekämpft und verdient endlich ein wenig Ruhe. Ihr gemeinsamer Marsch durch Konoha, vorbei an den Bewohnern und ihren Freunden, zählte zu den schlimmsten Erfahrungen, die Kakashi je gemacht hatte. Im Gegensatz zu ihm mussten sie sich nicht mit ihrer Reaktion zurückhalten, konnten ihren Gefühlen freien Lauf lassen und der Situation angemessen trauern. Aber Kakashi wollte, musste stark sein für seinen Freund, damit es für ihn einfacher war loszulassen. Er trug ihn bis in die Mitte des Dorfes, ehe er ihn vorsichtig auf den Boden setzte und vor ihm in die Hocke ging. Die anderen Dorfbewohner waren taktvoll genug gewesen, genügend Abstand zu halten, damit die beiden sich voneinander verabschieden konnten. Dennoch wusste keiner von ihnen so recht, was er sagen sollte. Yamato war zwar schon seit langer Zeit darauf vorbereitet gewesen, wie es mit ihm zu Ende gehen würde, aber genauso wusste er auch, dass Kakashi sich vermutlich immer noch nicht damit abgefunden hatte. Also schenkte er ihm das aufmunterndste Lächeln, das er unter diesen Umständen zustande brachte und war unglaublich froh, als der andere es erwiderte. »Gute Reise, Tenzou. Wir sehen uns bald.« Kakashi hob eine Hand und fuhr ihm damit durch den braunen Haarschopf; eine Angewohnheit, die er in all den Jahren ihrer Freundschaft nicht abgelegt hatte. Yamato lehnte sich in die Berührung und schloss kurz die Augen, ehe er antwortete. »Meinetwegen musst du nicht so schnell nachkommen. Es reicht, wenn du nur ab und an zu Besuch kommst.« Das meinte er ernst. Ganz gleich, wie sehr er Kakashis Gesellschaft vermissen würde, wollte er dennoch, dass er noch lange und vor allem glücklich lebte. Doch ein Blick in seine Augen verriet Yamato, dass dieser Wunsch vielleicht nicht wahr werden würde. »Du wirst mir fehlen. Uns allen.« Yamato griff nach Kakashis Hand auf seinem Kopf und drückte sie einige Augenblicke lang, bevor er wieder losließ. Sein Freund atmete einmal tief durch, stand auf und ging einige Schritte zurück. Es gab so vieles, was er noch sagen wollte, aber nichts davon würde ihren Abschied einfacher machen, also biss er sich auf die Zunge und nahm sich vor, ihm alles zu sagen, sobald sie sich wiedersahen. »Danke. Bis dann«, waren Yamatos letzte Worte, bevor er einige Handsiegel formte und langsam mit seinem Mokuton zu einem riesigen Baum verschmolz, der groß genug werden würde, um ganz Konoha zu beschützen. *** Wenn Kakashi heute vor dem Baum stand, der einst sein bester Freund und so viel mehr als das gewesen war, zog sich sein Herz so schmerzhaft zusammen, dass er ganz automatisch die Hand ausstreckte. Sobald er die Rinde spüren konnte, ging es ihm besser. Es war noch nicht leichter geworden, ohne ihn leben zu müssen, und vielleicht würde es das niemals werden. Dennoch war Kakashi von Herzen froh, dass Yamato endlich an dem Ort angekommen war, an den er gehörte, auch wenn dieser Ort nicht an seiner Seite gewesen war. Kapitel 5: Aus Glück gebaut (Kisame/Itachi) ------------------------------------------- Als sie von ihrer Mission zurückkehrten, goss es in Strömen. Schwere Regenwolken hingen über dem Dorf, verfingen sich in den hohen Spitzen der dunklen Gebäude. Träge fielen die Tropfen zu Boden, tauchten die Straßen in nasskalten Nebel, als einige Schatten scheinbar ziellos durch die schmalen Gassen huschten. Leise schallend hallten Schritte von den grauen Häuserwänden, verbanden sich ungehört mit den unsteten Windböen. Träne für Träne weinte der Himmel um das viele, vor langer Zeit vergossene Blut, um die vielen Gefallenen der vergangenen Kriege, und um all die Kinder, die das Dorf versteckt im Regen hatte verlieren müssen. Doch das war nichts Ungewöhnliches in Ame-Gakure, und wie so oft spiegelte das triste Wetter genau seine Stimmung wider. Farblos, monoton, leer – Itachi war es leid. Während er ungesehen dem höchsten Gebäude entgegenstrebte, das wie ein Monster aus dem Meer kleinerer Häuser herausragte, stoben dichte Wolken durch seine Gedanken. Zweifel, Ratlosigkeit, Neugierde, Unwissen, und Fragen; viel zu viele verdammte Fragen. Was hatte er in den fast zwanzig Jahren seines Lebens eigentlich zustande gebracht? Was hatte er vollbracht, auf das er hätte stolz sein können? Wann war er das letzte Mal wirklich glücklich gewesen? War er es überhaupt jemals gewesen? Äußerlich sah man ihm das Unwetter, das gerade durch seinen Geist wütete, nicht an. Bereits in seiner Kindheit war die Maske vorhanden gewesen; unwiderruflich an ihn gebunden, schon seit all den langen Jahren. Dabei konnte er sich nicht daran erinnern, sie jemals aufgesetzt zu haben. Und er wusste nicht, wie man sie abnahm. Da er allein unterwegs war, erlaubte Itachi sich einen Seufzer. Eigentlich waren er und Kisame gemeinsam auf dem Rückweg gewesen, doch sie hatten beschlossen, sich auf den letzten Kilometern bis zu ihrem Hauptquartier zu trennen. Sein Partner wollte sich intensiv mit den ANBU beschäftigen, die ihnen voll Naivität gefolgt waren. So kam er allein an ihrem Stützpunkt an, und machte sich ebenso einsam auf die Suche nach Pein, um ihm von dem Ausgang ihrer Mission zu berichten. Leisen Schrittes huschte er den Gang entlang. Ob die anderen Mitglieder auf Mission waren wusste er nicht, und er verspürte keinerlei Lust, es in Erfahrung zu bringen. Ihr Zusammenleben beruhte darauf, dass sie einander in ihrer Nähe duldeten, aber selbst das schien einigen von ihnen bereits zu viel abzuverlangen. Wenn er es also recht bedachte, konnte Itachi sich mit Kisame als Partner wirklich glücklich schätzen, denn der versuchte zumindest nicht, ihm im Minutentakt den Kopf einzuschlagen. Ehe er weiter darüber nachdenken konnte, spürte er die Anwesenheit eines anderen Mitgliedes, jedoch noch zu schwach, um ausmachen zu können, um wen es sich handelte. Tobi nahm ihm diese Arbeit jedoch ab, indem er laut seinen Namen rief und mit schnellen Schritten zu ihm aufschloss. Itachi blieb stehen und konnte sich gut vorstellen, dass der andere sogar wild mit den Armen wedelte, auch wenn er sich nicht die Mühe machte, über die Schulter zu blicken, um sich zu vergewissern. Als Tobi schließlich ein wenig außer Atem neben ihm zum Stehen kam, fragte Itachi sich unwillkürlich, warum er nicht einfach weitergegangen war. Unter seiner Maske strahlte sein Gegenüber ihn wahrscheinlich gerade an, aber das war ihm reichlich egal. Tobi fackelte nicht lange, stellte ihm einige Fragen zu seiner Mission und gab sich sogar mit Itachis kargem Nicken zufrieden, was wohl daran lag, dass er nahtlos und ohne Punkt und Komma dazu überging, von seiner eigenen Mission mit Deidara zu erzählen. Als Tobi das dritte Mal erwähnte, dass Deidara ihn fast in die Luft gesprengt hatte, beschloss Itachi, sich einfach wieder auf den Weg zu machen. »In jedem Fall, weswegen ich Sie überhaupt aufgehalten habe«, schloss Tobi seine Erklärung, als hätte er Itachis Absicht gerochen, und zog ein handliches Buch aus seinem Ärmel hervor. »Sie scheinen mir in letzter Zeit ein wenig niedergeschlagen, also dachte ich, dieses Buch hilft Ihnen vielleicht weiter.« Itachi zögerte einige Augenblicke lang, nahm das Buch dann jedoch zögerlich an. Von dem bunten Cover lachte ihn der Titel ›Zehn kleine Schritte zum Glück‹ an; etwas, das in seiner Ironie schon fast wie eine Beleidigung wirkte. Bevor er sich jedoch beschweren oder bedanken konnte, drehte Tobi sich schon wieder um und winkte ihm zum Abschied, ehe er mit einem Sprung im Schritt dem Gang in die Richtung folgte, aus der er zuvor gekommen war. »Einen schönen Tag noch!« Itachi bezweifelte stark, dass sein Tag besser werden würde. Er seufzte und überlegte, ob er das Geschenk einfach an Ort und Stelle zu Boden fallen lassen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Wehenden Mantels machte er sich wieder auf den Weg, die blassen Finger fest das Buch umklammernd. Nachdem er Pein Bericht erstattet hatte, kehrte Itachi zurück zu dem kargen Raum, in dem er für gewöhnlich schlief, solange er sich in ihrem Hauptquartier in Ame-Gakure aufhielt. Obwohl er das Buch zuvor sicher in einer seiner Taschen verstaut hatte, war er während seines Gespräches das Gefühl nicht losgeworden, dass Pein um dessen Existenz wusste und ihn still dafür verurteilte, das Geschenk überhaupt angenommen zu haben. Was natürlich vollkommener Schwachsinn war, aber es zeigte nur, wie unangenehm bewusst er sich der Tatsache war, dass er das Buch überhaupt mit sich herumtrug. Leicht das Gesicht verziehend fummelte er es aus seiner Tasche und warf es, ohne es eines weiteren Blickes zu würdigen, auf sein Bett. Während er seinen Mantel ablegte, fragte er sich, womit Tobi es sich überhaupt herausnahm, ihm so ein unnötiges Geschenk zu machen – wenn man es überhaupt Geschenk nennen konnte, denn an sich sagte die Geste doch nichts anderes, als dass er Itachi für todunglücklich hielt. Womit er nicht unbedingt Unrecht hatte, aber dennoch war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, eines der anderen Mitglieder könnte auch nur entfernt eine Ahnung davon haben, was in ihm vorging. Itachi hielt kurz inne. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, sich ein wenig mit seinem eigenen Glück zu beschäftigen, wenn sogar Tobi bereits meinte, sich einmischen zu müssen. Da nahm er es doch lieber in die eigenen Hände. Sein Missmut legte sich ein wenig, als er sich auf sein Bett setzte und nach dem handlichen Buch griff, das fast schon verwahrlost auf der Decke gelegen hatte. Er musterte es skeptisch. Dann seufzte er leise, bevor er es aufschlug und die ersten Seiten zu lesen begann. Dass Itachi sich tatsächlich dazu herabließ, das Buch zumindest in Teilen zu lesen, bedeutete nicht, dass er sich lange mit der Einführung oder Theorie aufhalten wollte. Dazu fehlte ihm neben der Motivation auch schlichtweg die Zeit. Also blätterte er mit einer Mischung aus Ungeduld, Gleichgültigkeit und einem Funken Neugier solange weiter, bis er zum ersten von zehn Schritten kam, die ihm neues Lebensglück versprechen wollten. Sowie ihm die Worte ›Schritt 1: Nichts‹ entgegen lachten, musste er fast seine gesamte Selbstbeherrschung darauf verwenden, das Buch nicht wieder zu schließen. Itachi kannte die Autorin nicht, aber an diesem Punkt traute er ihr durchaus zu, dass die Pointe ihres Werks war, dass man nichts tun konnte, wenn man vom Glück verlassen war und einfach stumm auf sein Ende warten sollte. Beinahe hätte er über seine eigenen Gedanken gelacht. Vermutlich brauchte er diese zehn Ratschläge wirklich mehr, als er sich eingestehen wollte. Mit dem Vorsatz, seinen Zynismus etwas stärker im Zaum zu halten, las er weiter. Nachdem er die ersten paar Seiten des Kapitels überflogen hatte, legte er das Buch wieder beiseite und legte die Stirn in Falten. Als erster Schritt wurde empfohlen, jeden Tag einige Minuten einfach gar nichts zu tun, um dem Verstand mal eine Pause zu gönnen und sich zu sammeln. Obwohl Itachi durchaus die Absicht dahinter verstand, bezweifelte er, dass er damit sonderlich weit kommen würde. Wenn er seinen Verstand nicht permanent beschäftigt hielt – oder seine Gedanken zumindest gezwungen leer – , spielte sein Kopf ihm Streiche. Dann waren die Stimmen wieder da, die verzweifelten Schreie seines Klans in seinem Kopf, die vorwurfsvollen Blicke und die vielen Hände, die nach seiner Kleidung und seinen Gliedmaßen griffen, als wollten sie ihn in ihrem Todeskampf mit sich ziehen. Itachis Gedankenwelt war ein grauenhafter Ort geworden, von dem er sich nach Möglichkeit selbst fern hielt, also war der Rat, einfach an gar nichts zu denken und die Gedanken wandern zu lassen, wenig hilfreich für ihn. Itachi seufzte und beschloss, diesen Punkt zu überspringen. Vielleicht würde er kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis nicht schaden, also blätterte er wieder zurück und überflog die verschiedenen Kapiteltitel. Die vielsagenden Schritte ›Kreativität‹, ›Risiko‹ und ›Belohnungen‹ sagten ihm nicht im Geringsten zu und wurden deswegen direkt ausgeschlossen. Mit ›Beziehungen‹ und ›Feste feiern‹ wusste er auch nicht wirklich etwas anzufangen, schließlich hatte er keine nennenswerte Beziehung zu irgendwem und Feste waren nie seine Welt gewesen. Er hatte ja früher nicht einmal seinen eigenen Geburtstag gerne gefeiert. Schließlich blieb er an ›Schritt 7: Spiele‹ hängen. Er war zwar etwas aus der Übung, wenn es um Kinderspiele ging, aber etwas Einfaches sollte selbst er noch schaffen. Blieb nur die Frage, mit wem er sich das erlauben konnte, denn der Ratgeber erklärte mit großen Nachdruck, dass man mindestens mit einer anderen Person spielen sollte. Itachi überlegte lange, haderte mit sich, doch letzten Endes gab es nur ein Mitglied, das für sein Vorhaben infrage kam. Blieb nur zu hoffen, dass er damit nicht sämtliche Autorität verspielte. Kisame war milde überrascht, als Itachi an seine Zimmertür klopfte und um Einlass bat. Er selbst war erst vor wenigen Minuten zurückgekommen und hatte noch nicht einmal Samehada abgelegt. Von ihm ging der schwere Geruch aus, der frischem Blut anhaftete, sodass Itachi sofort wusste, was mit den ANBU geschehen war, die sie verfolgt hatten. Nicht, dass er etwas anderes erwartet hatte, aber er hieß es dennoch nicht gut. Obwohl das etwas war, das er Kisame niemals sagen würde. »Was kann ich für dich tun?«, fragte sein Partner ihn, nachdem Itachi keine Erklärung für seinen Besuch gegeben hatte. Auch jetzt ließ er sich Zeit mit der Antwort, wog für endlos lange Momente ab, ob es nicht besser war, sich wortlos umzudrehen und einfach wieder zu gehen. Doch Kisame wartete wie immer geduldig darauf, dass er etwas sagte, also seufzte er lautlos und rang sich zu einer Antwort durch. »Es gibt etwas, das ich ausprobieren will.« »Und dafür brauchst du meine Hilfe?« Er nickte zur Bestätigung. Es war immer wieder angenehm, wie schnell Kisame verstand. »Nun, wenn es im Bereich des Möglichen ist, helfe ich gerne aus.« Itachi konnte sich nur vage vorstellen, an was für Dinge Kisame denken musste, und es erfüllte ihn mit einem merkwürdigen Gefühl der Genugtuung zu wissen, dass nichts davon auch nur ansatzweise dem nahekommen würde, was er von ihm verlangen wollte. Er wartete einige Sekunden, ehe er fortfuhr. »Spiel ein Spiel mit mir.« Kisames Lächeln verschwand für einen Moment. »Bitte?« »Ein Spiel.« Itachi trat einen Schritt näher an den anderen heran. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn Kisame aus Reflex einen Schritt zurück gegangen wäre, doch er rührte sich nicht von der Stelle. »Ich habe an ›Ich sehe was, was du nicht siehst‹ gedacht.« Er war zwar mittlerweile halbblind, aber das war an dieser Stelle nebensächlich, schließlich musste Kisame das nun wirklich nicht wissen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihr karges Hauptquartier auch nicht unbedingt der interessanteste Ort für diese Art Spiel war, aber nun war es zu spät für Änderungen. Es hatte ihn genug Überwindung gekostet, überhaupt herzukommen. Kisame indes überlegte lange, bevor er ihm eine Antwort gab. Vermutlich hätte er jeden anderen, der sich mit diesem Wunsch an ihn gerichtet hätte, für geisteskrank gehalten. Nach einiger Zeit atmete er laut ein und wieder aus. »Meinetwegen. Ich weiß zwar nicht, was du damit bezwecken willst, aber du wirst schon deine Gründe haben.« Das überraschte Itachi mehr, als er zugeben wollte. Natürlich wusste er, dass Kisame Vertrauen in seine Fähigkeiten hatte und ihn respektierte, aber dass dieser Respekt so weit ging, hätte er nicht angenommen. Ohne sich seine Verwunderung anmerken zu lassen, nickte er knapp. »Es hat gute Gründe, ja.« Darauf grinste Kisame breit und befreite sich leise lachend aus seinem Mantel. »Na schön, dann fangen wir mal an. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das zum letzten Mal gespielt habe.« Es war wenig überraschend für ihn, dass er sich am nächsten Morgen immer noch nicht glücklicher fühlte, aber wenigstens sah er Kisames erstaunten Gesichtsausdruck nicht mehr vor sich, sobald er die Augen schloss. Rückblickend fragte Itachi sich, was ihn überhaupt dazu getrieben hat, so etwas vorzuschlagen. Wie konnte er auf den Rat eines Buches hören, dessen Autorin ihre eigenen Tipps vermutlich nicht einmal selbst beherzigte? Die werte Dame hatte wohl noch nie peinlich berührt und stocksteif verbergen müssen, dass der Gegenstand, den man zuvor als braun erkannt hatte, eigentlich lila war, was ein Erraten seitens Kisame unmöglich gemacht hatte. Zehn qualvolle Minuten später war er zum Sieger erklärt worden, unverdienterweise, doch Kisame schien tatsächlich ehrlich beeindruckt gewesen zu sein. Er hatte auch die ganze Zeit gelächelt, selbst als Itachi in der Runde davor schnell erraten hatte, welchen Gegenstand er sich ausgesucht hatte, und wenn er ehrlich war, machte das alles ein klein wenig erträglicher. Apropos ehrlich sein. Itachi erinnerte sich daran, im Inhaltsverzeichnis dieses vermaledeiten Buches etwas dazu gelesen zu haben. Er hatte noch ein wenig Zeit, bevor er zu seiner nächsten Mission aufbrechen musste, also konnte er auch kurz nachschlagen, ob er richtig lag. Tatsächlich lachte ihm ›Schritt 2: Wahrheit‹ entgegen, als er das Buch aufschlug, und ein resigniertes Achselzucken später begann er, das Kapitel zu überfliegen. Die Autorin riet, jeden Tag für einen Moment wirklich ehrlich zu sich selbst zu sein, und er wusste bereits jetzt, dass das nach hinten losgehen würde. Itachi war an dem Punkt angekommen, an dem er sich leichter lebte, wenn er sich selbst belog. Ehrlich zu sein würde ihm nicht guttun. Doch irgendetwas in ihm wollte es dennoch ausprobieren. Vielleicht war endlich der Masochist in ihm hervorgebrochen – Deidara beharrte darauf, dass er ein Sadist war, wohingegen Hidan in ihm schon immer einen Masochisten gesehen hatte. Was auch immer es war, er wollte es versuchen. Nachdem er sich etwas aufrechter hingesetzt hatte, schloss er die Augen und konzentrierte sich darauf, sich für einen kurzen Moment gedanklich keine Lügen zu erzählen. Itachi war nicht zufrieden mit seiner jetzigen Situation. Er wünschte, es wäre anders gelaufen. Er wünschte, er hätte seine Eltern nicht töten müssen. Dass er Sasuke hätte mitnehmen können. Und er hoffte, dass Sasuke ihm irgendwann verzeihen konnte. Abrupt schlug er die Augen auf und starrte für einige Sekunden unfokussiert auf die gegenüberliegende Wand. Dann seufzte er genervt – denn es war besser für ihn, genervt als traurig zu sein –, klappte das Buch wieder zu und stellte es ins Regal, bevor er das Zimmer verließ. Danach kam er viele Tage lang nicht dazu weiterzulesen. Das lag zum einen daran, dass er zwischen seinen Missionen nie mehr als eine Stunde in ihrem Hauptquartier verbrachte, aber zum anderen auch daran, dass er bisher nicht das Gefühl hatte, irgendeinen Nutzen aus dem Buch ziehen zu können. Besonders sein jüngster Versuch blieb immer noch als bitterer Nachgeschmack in seinem Mund zurück, sodass er nicht wirklich den Drang verspürte, das Buch wieder zur Hand zu nehmen. Vermutlich wäre es noch viele Wochen so weitergegangen, wenn er im Gang nicht Deidara und Tobi über den Weg gelaufen wäre, die sich gerade im Aufbruch befanden. Die beiden kamen ihm entgegen, als er gerade ihr Hauptquartier betrat. Itachi zuckte unmerklich zusammen, als Tobi in penetranter Lautstärke seinen Namen rief. Deidara hingegen verdrehte nur mürrisch die Augen – ob nun wegen Tobi oder wegen Itachis Gegenwart war schwer zu beurteilen – und beschleunigte seinen Schritt. »Trödel nicht, Tobi, wir müssen los!« Deidara war bereits an ihm vorbeigelaufen, doch Tobi ignorierte seine Worte vollkommen und kam stattdessen vor ihm zum Stehen. »Hat Ihnen das Buch bereits geholfen?«, fragte er viel zu fröhlich für den Inhalt dieses schrecklichen Werkes aus Papier und Tinte. Innerlich stöhnte Itachi auf. Sonst liefen er und die anderen Mitglieder sich kaum über den Weg, also warum musste es heute ausgerechnet Tobi samt Anhang sein? Etwas hinter ihm war Deidara stehen geblieben. »Was denn für'n Buch?« Da Tobis Frage so herrlich spezifisch gewesen war, konnte er die Existenz dieses Teufelswerks schlecht leugnen. Er funkelte Tobi wütend an, hielt seine Stimme jedoch neutral, um Deidara nicht auch noch Angriffsfläche zu bieten. »Wer weiß, ich habe es mir nicht weiter angeguckt.« Tobi schnappte dramatisch nach Luft. »Wie gemein! Dabei habe ich es extra für Sie ausgesucht!« Deidara schnalzte amüsiert mit der Zunge. »Dann kann's ja nicht so spannend gewesen sein. Handelt vermutlich eh nur von Sonnenschein, Regenbögen und Häschen.« Er lachte über seinen eigenen Witz ehe er Itachi musterte und dann schief grinste. »Wobei dir das gar nicht schaden würde, hm.« »Wie meinst du das?« Er klang misstrauischer als beabsichtigt, worauf Deidara nur genervt die Augen verdrehte. »Weil du schon wieder 'ne Fresse ziehst wie sieben Tage Regenwetter! Und auch, wenn es in diesem Kaff permanent regnet, ist deine schlechte Laune unerträglich!« Mit einem lauten Schnauben setzte er sich wieder in Bewegung. »Komm jetzt endlich, Tobi, sonst bleibst du hier!« »Warte, nicht so schnell!« Tobi schien nicht so ganz zu wissen, was er tun sollte, sprintete jedoch einige Augenblicke später hinter Deidara her. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um und winkte ihm zu. »Bis bald, Itachi-san!« Sobald beide außer Hörweite waren, seufzte Itachi schwer und machte sich auf den Weg in sein Zimmer. Schlimm genug, dass Tobi ihm dieses Buch überhaupt gegeben hatte; jetzt wusste auch noch Deidara davon. Obwohl er zugeben musste, dass der wiederum eine interessante Beobachtung gemacht hatte. Ihm selbst war gar nicht aufgefallen, dass sich seine Laune nicht nur nicht gebessert, sondern anscheinend verschlechtert hatte. Lag es daran, dass er so lange keinen Blick ins Buch geworfen hatte? Sowie er in seinem Zimmer angekommen war, griff er etwas zögerlich nach dem Buch, dass tatsächlich ein wenig Staub in dem kargen Regal angesetzt hatte. Itachi hatte für den Rest des Tages nichts zu tun, also konnte er auch weiterlesen. Er meinte, sich an einen Punkt im Inhaltsverzeichnis erinnert zu haben, der sein Interesse ein kleines Bisschen geweckt hatte. Während er die wenigen Zeilen überflog, blieben seine Augen an ›Schritt 3: Herzenswünsche‹ hängen. Er blätterte vor und las den ersten Absatz. Die Autorin empfahl, täglich eine Sache zu tun, vor der man sich eigentlich fürchtete, die einem aber der Erfüllung seiner Wünsche näher brachte. Itachi legte die Stirn in Falten. Er wusste ja nicht einmal, was sein Herzenswunsch überhaupt war. Sasukes Vergebung? Alles ungeschehen zu machen? Endlich seine Familie und Freunde auf der anderen Seite zu treffen? Der Gedanke daran war zu deprimierend, als dass er sich weiter damit beschäftigen wollte, also blätterte er zurück zum Inhaltsverzeichnis und las weiter. Etwas weiter unten auf der Seite stand, wonach er gesucht hatte: ›Schritt 8: Lachen‹. Das konnte ja nicht so schwer sein, auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass er das letzte Mal gelacht hatte, als seine Eltern noch am Leben waren. Itachi begann, das Kapitel zu lesen, stoppte jedoch recht schnell und hob skeptisch eine Augenbraue. Er sollte jeden Tag mindestens dreißigmal aus ganzem Herzen lachen? Dreißig erschien ihm selbst für einen generell positiven Menschen sehr viel, aber was wusste er schon? Er war sich mittlerweile nicht einmal mehr sicher, ob er jemals aus vollem Herzen gelacht hatte. Und was hatte er schon zu verlieren? Ein Stück seiner Würde hatte sich erst vor wenigen Minuten verabschiedet, was machte da noch mehr? Er atmete einmal tief durch und legte das Buch beiseite, um gleich zur Tat zu schreiten. Und es gab nur einen Mann, auf dessen Unterstützung er vertrauen konnte. Kisame war nicht einmal mehr überrascht, als er vor seiner Tür stand und um Einlass bat. Er grinste ihn nur schief an und trat kommentarlos zur Seite, um Itachi Platz zu machen. Itachi hatte Vertrauen in seine Menschenkenntnis, doch wie er das Funkeln in Kisames Augen zu deuten hatte, wusste er nicht. »Wie kann ich dir heute behilflich sein? Spielen wir Verstecken?« Bei jedem anderen hätten diese Fragen gehässig geklungen, herablassend und so, als würde man nach viel mehr als einem simplen Gefallen fragen. Kisame jedoch klang ehrlich interessiert, als er Itachi in die Mitte des Raumes folgte und mit ein wenig Abstand vor ihm stehenblieb. Itachi hoffte, dass das auch noch dann der Fall sein würde, sobald er seinen Wunsch geäußert hatte, schließlich kostete es ihn viel Überwindung, diese Bitte überhaupt auszusprechen. »Kisame.« »Ja?« »Erzähl mir einen Witz.« Kisames Mund fiel offen und er starrte ihn für bestimmt drei Herzschläge einfach nur an, ehe er sich wieder fing. »Meinst du das ernst?« »Ja. Und nimm den besten, den du kennst.« Itachi wusste zu schätzen, wie lange und ernsthaft Kisame nun überlegte. Niemand sonst in dieser Organisation hätte seine Worte ernst genommen, geschweige denn wäre ihnen nachgekommen. Er ertappte sich dabei, wie er beinahe lächelte, doch zum Glück lenkte ihn Kisames Räuspern von diesem Gedanken ab. »Wer weckt die Fische am Morgen?« Kisame sah ihn erwartungsvoll an, aber Itachi hätte nicht einmal eine Antwort geben können, wenn er gewollt hatte. Das breite Grinsen seines Gegenübers ließ ihn jedoch auf das Beste hoffen. »Der Wasserhahn«, sagte er, gefolgt von einem tiefen Kichern. Danach herrschte Stille. Itachi fragte sich stumm, ob das der Witz gewesen sein sollte oder ob noch etwas kommen würde, aber er ahnte, dass dieser Versuch fehlgeschlagen war, als Kisame sich den Nacken rieb und die Stirn runzelte. »Ich helfe dir ja gerne, aber Humor ist nicht unbedingt meine Stärke. Vielleicht wäre Hidan die bessere Wahl gewesen.« Itachi verzog unmerklich das Gesicht, auch wenn er sich sicher war, dass es Kisame trotzdem auffallen würde. Er war von jeher gut darin gewesen, seine Gesichtsausdrücke zu deuten. »Hidan ist für mein Vorhaben nicht geeignet«, sagte er kryptisch, worauf Kisame nur fragend den Kopf schief legte. »Was genau ist denn dein Vorhaben? Wenn ich wüsste, worum es geht, könnte ich vermutlich eher von Nutzen sein.« Er zögerte, wusste nicht, ob er sich Kisame wirklich anvertrauen wollte. Dann wiederum – wer war ihm sonst noch geblieben? Itachi senkte seinen Blick, bevor er leise antwortete. »Lachen.« »Was?« »Ich will aus ganzem Herzen lachen.« Kurz kam es Itachi in den Sinn, ob aus vollem Herzen zu lachen vielleicht tatsächlich sein Herzenswunsch war, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Kisame sah ihn zunächst erstaunt an, schien dann jedoch lange und angestrengt zu überlegen. Erneut fühlte er sich in seiner Wahl bestätigt; Hidan und jedes andere Mitglied wäre ungeeignet gewesen, allein schon deshalb, weil sie ihn nicht ernst genommen hätten. Nach einer Weile nickte Kisame schwach und fixierte ihn dann mit fast schon stechendem Blick. »Denk jetzt bitte nicht schlecht von mir, Itachi-san, schließlich folge ich deinem Wunsch«, sagte er mit Nachdruck, bevor er einige Schritte auf ihn zu ging. Trotz des Vertrauens, das er Kisame entgegenbrachte, war er dennoch auf der Hut. Er mochte es nicht, von anderen Menschen angefasst zu werden, auch wenn es sich dabei um jemanden handelte, den er gut kannte. Umso skeptischer musterte er den anderen, als er noch ein wenig näher kam und beide Hände hob. Itachi hatte mit vielem gerechnet, jedoch nicht damit, dass Kisame seine Hüfte packen und ihn kitzeln würde. Er war so überrascht, dass er nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte und ihm tatsächlich ein Glucksen herausrutschte. Umgehend ließ Kisame von ihm ab und sah ihn mit großen Augen an. »Hast du gerade—«, begann er, doch Itachi unterbrach ihn mit fester Stimme. »Nein.« »Oh doch.« »Nein.« »In Ordnung. Dann hast du eben halt nicht gelacht«, kapitulierte Kisame, obwohl sein breites Grinsen für sich sprach. Itachi wiederum legte die Stirn in Falten. »Genau.« Damit drehte er sich um und lief zügig auf die Tür zu. Er hatte seinen Körper zwar generell unter Kontrolle und gab sein Bestes, die Schamröte davon abzuhalten, sich auf seinen Wangen zu zeigen, doch er wollte nichts riskieren. In dem Moment, als er nach der Türklinke griff, ergriff Kisame erneut das Wort. »Itachi-san?« »Hm?« Er sah über seine Schulter hinweg zu seinem Partner und war erstaunt, dass sein Grinsen einem Lächeln gewichen war. Es war das erste Mal, dass er diese Seite von Kisame sah, und irgendetwas daran freute ihn so sehr, wie es ihm Angst einjagte. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass dir ein Lachen gut zu Gesicht gestanden hätte.« Einige Tage später befanden er und Kisame sich auf der Jagd nach dem Yonbi Roushi. Itachi hatte diese Gelegenheit eigentlich nutzen wollen, ein weiteres Kapitel abzuhaken, denn nach allem, was er bereits wegen dieses Buches getan hatte, war seine Schmerzgrenze gewaltig gesunken. Kurz vor ihrem Aufbruch hatte er noch einmal zurück zu ›Schritt 5: Risiko‹ geblättert und sich vorgenommen, in seinem Kampf gegen den Jinchuuriki ein wenig leichtsinniger zu sein – auch wenn er glaubte, dass das nicht ganz das war, was sich die Autorin vorgestellt hatte. Er war jedoch nicht dazu gekommen, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ob Kisame hatte spüren können, was er geplant hatte, wusste er nicht, doch sein Partner hatte ihn mit sehr viel mehr Nachdruck als sonst gebeten, ihn den Kampf allein bestreiten zu lassen, also hatte er zögerlich zugestimmt. Also stand Itachi abseits, außer Reichweite aller Attacken, und beobachtete, wie Kisame gegen Roushi kämpfte. Es dauerte länger als üblich, offensichtlich, doch schließlich siegte sein Partner, hob den bewusstlosen Roushi mit Hilfe von Samehada vom Boden auf und lief gemächlich auf Itachi zu. »Ihn lebendig gefangen zu nehmen war nicht einfach«, sagte er, als er fast zu Itachi aufgeschlossen hatte. Dieser nickte nur knapp, wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die ersten Regentropfen ihn im Gesicht trafen. Sie tauschten einen milde überraschten Blick aus, bevor Kisame in Richtung des Waldrandes deutete. »Die Bäume sollten uns vor dem Regen schützen.« Sie setzten sich in Bewegung, ihr Tempo relativ langsam, wenn man bedachte, dass es immer stärker regnete. Itachi warf einen prüfenden Blick auf Roushi. »Er sieht tot aus. Du solltest Ältere mit Vorsicht behandeln.« Kisame, der einige Schritte hinter ihm lief, kicherte dunkel. »Mit diesem Jinchuuriki muss man nicht sanft umspringen. Du hast nicht gegen ihn gekämpft, deswegen kannst du nicht nachvollziehen, wie viel Arbeit es war, ihn zu besiegen.« Aber er hatte ihm beim Kampf beobachtet, hatte gesehen, wie viel es Kisame abverlangt hatte, seinen Gegner allein zu bezwingen. Außerdem kannte er ihn jetzt seit einigen Jahren und konnte seine Verfassung so gut einschätzen wie seine eigene. Ehe er etwas erwidern konnte, zuckte Kisame mit den Schultern und grinste schief. »Nun gut, ich war auch derjenige, der darum gebeten hat, allein gegen ihn zu kämpfen.« Und genau das verstand Itachi nicht so ganz. Sicher, sein Partner kämpfte gerne und fand besonderen Gefallen daran, sich mit starken Gegnern zu messen. Aber allein gegen einen Jinchuuriki zu kämpfen war etwas, was keiner von ihnen leichtsinnig ohne guten Grund tun würde. Für einen wahnwitzigen Moment dachte Itachi, dass Kisame bemerkt haben könnte, wie sehr seine Sehkraft in letzter Zeit nachgelassen hatte, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Sie unterhielten sich solange, bis Pein sie telepathisch kontaktierte und aufforderte, zu ihrem zuvor vereinbarten Treffpunkt zu kommen, um unverzüglich mit dem Versiegeln zu beginnen. Es mochte daran liegen, wie paranoid er geworden war, seit Tobi ihn vor Deidara auf das Buch angesprochen hatte, doch Itachi wurde das Gefühl nicht los, dass Kisame ihn keine Sekunde aus den Augen ließ. Das Versiegeln von zwei Bijuu hatte sie ausgelaugt. Itachi hätte zwar kein Problem damit gehabt, unverzüglich ins Hauptquartier zurückzukehren, aber er willigte dennoch unverzüglich ein, als Kisame eine kurze Pause nahe einem kleinen Dorf vorschlug. Im Dorf selbst würden sie zu sehr auffallen, also kam das kleine Gasthaus etwa einen Kilometer von den Dorftoren entfernt sehr gelegen. Itachi hatte auf einer der Bänke draußen Platz genommen und drehte sich ein wenig nach hinten, als er hörte, wie Kisame den Vorhang am Eingang zur Seite schob und auf ihn zusteuerte. Erstaunt nahm er die Dango entgegen, die Kisame ihm neben einer Tasse Tee reichte. Anscheinend hatte er seinen Gesichtsausdruck nicht ganz unter Kontrolle gehabt, denn sein Gegenüber grinste schief und nickte in Richtung des Tellers in seiner Hand. »Du magst Süßes, nicht wahr?« Itachi nickte, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. »Danke.« »Nichts zu danken. Ab und zu sollten auch wir etwas feiern.« »Feiern?« Er legte die Stirn in Falten und musste an den letzten Schritt in seinem Buch denken, den er direkt zu Anfang ausgeschlossen hatte. Es ging darum, Feste zu feiern, zumindest wenn er nach der Kapitelüberschrift ging. Mehr hatte er allerdings nicht gelesen, also war er sich nicht wirklich sicher, ob diese Situation wohl zählen würde. Ein Teil von ihm wagte jedoch zu hoffen, dass dem so war. Kisame, der ihn zuvor aufmerksam gemustert hatte, lachte leise. »Natürlich. Zwei Bijuu hintereinander zu versiegeln ist doch etwas, das man nicht jeden Tag macht.« Daran bestand kein Zweifel. Eine Weile lang starrte Itachi die bunten Dango auf dem kleinen Teller an, bevor ihm einfiel, dass er noch nicht geantwortet hatte. »Stimmt.« Diesmal lachte Kisame etwas lauter, scherte sich nicht um die wenigen anderen Gäste, die sich erschrocken zu ihm umdrehten. »Wir müssen es nicht feiern nennen, Itachi-san. War nur so ein Gedanke.« »Nein, schon gut.« Ein schwaches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er konnte spüren, wie es in seinen Mundwinkeln zog, auch wenn er es hinter seinem hohen Kragen verbergen konnte. »Dieses eine Mal können wir ruhig feiern.« Mittlerweile trug er das Buch sogar mit sich herum, wenn er auf Mission war. Nicht unbedingt, weil er darin lesen wollte – er würde es nicht riskieren, von anderen damit gesehen zu werden –, sondern weil er das Gefühl hatte, endlich Fortschritte zu machen. Und gerade deswegen fühlte er sich bereit, noch einmal genauer über ein Kapitel nachzudenken, das er anfangs direkt ausgeschlossen hatte. Als er also an diesem Nachmittag ein wenig Zeit hatte, schlug er Seite 195 auf und betrachtete die Überschrift ›Schritt 9: Beziehungen‹ mit zugegeben gemischten Gefühlen. Itachi wusste nicht, was er sich davon erhoffen konnte, aber bisher hatte Kisame ihm doch mehr helfen können, als er zunächst angenommen hatte. Was sprach dagegen, dass es diesmal ebenso gut lief? »Willst du mir nicht endlich sagen, was dich die letzten Monate so beschäftigt hat, dass du mit all diesen ungewöhnlichen Bitten zu mir kommst?« Da sie in naher Zukunft nicht mehr in ihr Hauptquartier zurückkehren würden, hatte Itachi keine andere Wahl gehabt, als während ihrer Mission mit Kisame darüber zu reden. Sie hatten ihr Nachtlager aufgeschlagen und zuvor in angenehmer Stille nebeneinander gesessen, bis Itachi die Stille schließlich durchbrochen hatte. Kisame war nicht überrascht gewesen, sondern vielmehr erschöpft und vielleicht ein wenig gekränkt. Er stützte sich mit den Ellbogen auf seinen Knien ab und warf ihm einen Blick zu, den Itachi nicht ganz zu deuten wusste. »Was immer es ist, ich würde deswegen nicht anders von dir denken.« »Das weiß ich.« »Also erzählst du es mir?« Fast hätte Kisames hoffnungsvoller Unterton ihn zum Lächeln gebracht. »Vielleicht. Aber zuerst musst du mir einen letzten Gefallen tun.« »In Ordnung.« »Was ist unsere Beziehung zueinander?« Kisames Grinsen, das zuvor noch so breit wie immer gewesen war, wich einer in Falten gelegten Stirn. Seine Antwort kam zögernd, so als wäre er sich nicht sicher, ob Itachi wirklich nach etwas so Offensichtlichem gefragt hatte. »Wir sind Teampartner.« »Und?« »Und was?« »Was sind wir noch?« »Itachi-san, ich denke nicht, dass uns diese Fragerei weiterbringt. Sag mir einfach, worum es geht.« Er seufzte schwer, als Itachi schwieg und seinen Blick vermied. »Gut, dann nicht. Aber es wäre produktiver, wenn du—« »Würdest du mich verraten?« »Was?« »Würdest du mir in den Rücken fallen?« Kisame machte keinen Hehl daraus, dass er nicht im geringsten erahnen konnte, worauf Itachi hinauswollte. Obwohl er ihn einige Sekunden verblüfft anstarrte, schien er sehr überzeugt von der Antwort, die er ihm schließlich gab. »Nein.« »Warum nicht?« Misstrauen klang in seiner Stimme mit, doch Kisame zuckte nur mit den Schultern. »Weil meine Loyalität bei der Akatsuki liegt. Hier gehöre ich hin.« »Und wenn ich mich gegen die Akatsuki stellen würde?« Sie wussten beide, dass das eine rein theoretische Frage war, aber die Luft zwischen ihnen schien dennoch für einige Augenblicke zu flimmern. Kisame sah ihn lange an, ehe er schließlich in der gleichen, Selbstverständlichkeit implizierenden Tonlage antwortete wie zuvor. »Auch dann nicht.« Itachis Augen weiteten sich überrascht, worauf Kisame nur rau auflachte. »Du bist nicht der Einzige, den das überrascht. Aber vielleicht ist der Platz, an den ich gehöre, auch einfach nicht mehr nur die Akatsuki.« »Sondern?« Itachis Stimme klang mit einem Mal ein wenig heiser, doch Kisame störte sich nicht daran. Statt des üblichen Grinsens zierte ein Lächeln seine Lippen. »Solange du schweigst, schweige ich auch.« Itachi hätte schwören können, dass seine Augen ihm einen Streich spielten, doch Kisames Blick schien plötzlich so viel sanfter als zuvor. »Du bist schlau, Itachi-san. Du wirst schon von selbst auf die Antwort kommen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)