Blutige Begegnungen von Diracdet (Teil 7 des Detektiv Conan-Noir Crossovers) ================================================================================ Kapitel 1: Freitag Abend ------------------------ Hallo liebe Lesenden, willkommen zum ersten 'richtigen' Kapitel der FF 'Blutige Begegnungen'. Zwei kurze Dinge zuvor: Erstmal vielen Dank für die Kommis zum Prolog. Da er nicht sehr lang war und nun nicht wirklich viel neues enthielt, gibt es dazu wohl nicht zu viel mehr zu sagen. Zum Zweiten, ich hoffe, ihr könnt euch mit dem Zwei-Wochen-Rhythmus anfreuden, denn der wird eine Weile wohl so bleiben. Dafür bin ich recht optimistisch, damit auch zwischenzeitige Engpässe - dieses Jahr wird noch laaaaaang für mich - überwinden und euch konstant mit neuem Material versorgen zu können. ;] So, dann gibt es zum jetzigen Kapitel schon gar nichts mehr zu sagen, außer... viel Spaß euch zu wünschen und dann angenehme zwei Wochen.^^ LG, Diracdet ____________________________________________________________________________ Kapitel 1: Freitag Abend „Sehr geehrter Meisterdetektiv Shinichi Kudo, wenn dich dieser Brief erreicht, möchte ich dir zunächst zu einer weiteren ausgezeichneten Fallaufklärung gratulieren – sowie natürlich auch zur Rettung deiner Freundin und meiner Schülerin Ran Mori – und gleichzeitig möchte ich dir danken, denn durch dich habe ich eine Wette gewonnen. 'Wette?' „Die Details werden dich entweder nicht interessieren, oder du bist längst selbst draufgekommen, aber sagen wir einfach, Brefford war etwas anderer Meinung, was deine Fähigkeiten anging, als ich.“. Die dunkle Ahnung, mit der ihn Sonoko auf dem Schiff konfrontierte, wurde mit einem Mal zur Gewissheit, die ihn dennoch wie ein Schlag traf. Seine Finger verkrampften sich im Papier, zerknüllten es ganz leicht, aber er konnte es einfach nicht unterbinden. Les Soldats hatten dieses Treffen zwischen Vermouth und ihm arrangiert, ohne ihr oder sein Mitwissen! Es war gewollt, dass sie sich begegnen, und dass Conan darauf vorbereitet war, durch Yoko Okino. 'Unglaublich... ging es nur darum, ob ich sie überführen könnte?' Es erschien ihm zumindest die einzig logische Erklärung, so weit er verstand. Nur warum ausgerechnet dieser Fall als Wette gehandelt wurde, entzog sich seiner Erkenntnis. War das tatsächlich nur dieses 'freudige' Spiel für die hohen Herren und Damen der Soldats, die sich über die Normalsterblichen hinweg setzten? Die Spannung, der Nervenkitzel? Würde der Protagonist überleben und sein Ziel erreichen? Gut, beide, Mireille Bouquet und Remy Brefford wirkten wie reinste Lebemenschen, die so denken konnten, und doch war es eine zutiefst merkwürdige Wette. Vor allem, wenn man bedachte, dass es von vornherein einen Fall gab, der große Dimensionen annehmen konnte, sie aber dennoch einen Nebenschauplatz entwickelten, der nicht zuletzt dem Täter Tanahi zum Vorteil gereichte. 'Was sagte Sonoko noch so merkwürdiges? Es gäbe laut den Soldats keinen Beweis für Vermouths Schuld. Er erst hätte einen gefunden. Dann habe ich damit Breffords Erwartungen übertroffen, OK... aber wozu das Ganze? Was haben die davon?' Er schüttelte bedächtig den Kopf. Vielleicht sollte er einfach weiter lesen, um dieses Thema direkter zu klären. „Durch diese hervorragende Leistung auf kriminologischem Gebiet hast du dir meine Hochachtung verdient. Um aber nicht länger um den heißen Brei herum zu reden, dieser Brief ist eine Einladung. Ich möchte dich treffen.“ Erneut musste er aufsehen, und sich fragen, wie er dieses Schreiben bewerten sollte. Der Absender war Mireille Bouquet, die Französisch-Referendarin der Teitan-Oberschule. Er konnte sie jeden Tag treffen, wenn er zu Rans Schule ging, er konnte sie auch persönlich aufsuchen, oder sie ihn, wenn es um ein Vier-Augen-Gespräch ging. Nein, Mademoiselle schreibt einen persönlich übergebenen Brief? Und vor allem war dieser Brief an die Wette gekoppelt! Hätte er Vermouth jetzt nicht überführt, hätte er ihn nie bekommen?! Was für eine Absurdität an Verhalten spiegelte sich darin wider? Wenn überhaupt... war das jetzt nur ein Test, ob er würdig wäre, sie zu treffen? Was hatte dann die Schüler der Teitan-Oberschule dieser 'Ehre' würdig werden lassen? Oder, wenn sie meinte, sie als ihr wirkliches Ich zu treffen, als Noir... was hatte Sonoko zu dieser Ehre gereicht? Es verwirrte ihn jeder Satz nur mehr, als der Vorangegangene. 'Ein Treffen...', sinnierte er erneut. Es hatte wirklich etwas, wenn auch indirekt, von dem Brief, den er damals von Vermouth erhielt. Damals war es der Versuch, ihn von Ai wegzulocken, damit sie schutzlos wäre. Aber solche Intentionen waren nicht mal ansatzweise in Noirs Sphären zu erkennen. Im Gegenteil, er hatte überhaupt keine Vorstellung, was sie von ihm wollte. „Diesen Sonnabend Nachmittag findet ein Festakt zum 50. Jubiläum der Kanin-Geschäftsgruppe im Park von Hanamigawa in Chiba statt. Gleich in der Nähe ist die ältere Hafenanlage von Mihama mit unzähligen leer stehenden Lagerhäusern. Du wirst mich – und Kirika Yuumura – dort irgendwo finden.“ 'Mihama? Irgendwo dort??? Kann sich diese Frau nicht eine Winzigkeit präziser ausdrücken, immerhin will sie mich treffen und nicht ich sie!' Er stöhnte laut auf, sah dann aber verunsichert zum Kalender. 'Sonnabend ist ja schon Morgen!' Seine vage Hoffnung, der Inhalt des Briefes sei bereits durch sein Zögern verjährt, bestätigte sich nicht, erhöhte eher den Zeitdruck auf ihn. Praktisch hatte er ihn gerade so noch rechtzeitig geöffnet. 'Umgekehrt... vielleicht war es so dann doch besser... wenn man sich vorstellt, was diese Frau machen würde, wenn ich nicht erschienen wäre...' Ein kalter Schauer umfasste seinen Körper, ließ ihn zittern. Er hatte zwar viel über sie gehört, aber er konnte es sich einfach nicht richtig vorstellen. Dieses Gefühl... wenn man wüsste, Noir, der Sensenmann persönlich, sei auf einen angesetzt. Man(n) sollte sich nie mit einer Frau anlegen, weil nicht abzuschätzen war, wozu sie sonst fähig wäre... und in ihrem Fall... 'Ist das wohl noch Untertreibung. Schön, ich soll also nach Mihama kommen... oder zu diesem Festakt... gibt es auch einen Grund?' Er sah bedächtig zum Zettel, der noch einige Zeilen der geschwungenen Handschrift enthielt, seufzte erneut, ahnend, dass sie seine Frage nicht beantworten würden. Auf einmal fielen seine Augen auf die letzten Worte, die er eben noch las: „Du wirst mich – und Kirika Yuumura – dort irgendwo finden.“ 'Und Kirika? Warum betont sie das denn nun noch? Als ob ich nicht wüsste, dass sie zusammen arbeiten... Na schön, also weiter...' „Allerdings bitte ich dich, alleine zu kommen.“ Jetzt wurde es schon Klischee-lastig. Klang wie eine Erpressung, nur höflich formuliert, mit 'bitte'. „Das soll keine Erpressung sein, es dient zum Schutz derer, die du schützen willst.“ Das ironische Grinsen blieb Conan sprichwörtlich im Hals stecken, seine Miene fror ein. Unwirsch blickte er sich um, ob er von irgendwo beobachtet würde. Konnte diese Frau ihn so gut einschätzen, so durchschauen, dass sie im Brief seine Gedanken las und beantwortete? War er so berechenbar? „Es werden nämlich auch einige Bekannte von uns – dir und mir – anwesend sein. Einige, die sich für diese Jahreszeit einfach zu warm anziehen. ;-)“ Sein Herz begann schneller zu schlagen während er diese Worte verinnerlichte. Sich 'zu warm anziehen' kann heißen lange Sachen anziehen bei immer noch schönem Wetter... 'oder einfach für starke Sonneneinstrahlung zu dunkle Kleidung anziehen. Schwarze... Sachen.' „Die Männer in Schwarz werden dort sein?!“ Diesmal vergaß er seine eigenen Anstrengungen, nichts laut zu sagen, weil es ihn so schockierte. Quasi präsentierte man ihm die Organisation auf dem Silbertablett. Er blickte sich stumm um, machte das Licht aus, schlich zur Tür, lauschte, ob Ran in der Nähe war... es gehört haben... konnte. Die Stille erinnerte ihn an Edgar Allen Poes 'Das verräterische Herz'. Der Stiefsohn, der seinen herrischen Vater mit dem Geierblick erschlagen wollte, und dafür stundenlang in der Dunkelheit seines Schlafzimmers am Eingang ausharrte, nur, um alle Eindrücke, visuell, akustisch, und auch nasal, aufzunehmen, zu verarbeiten, sich fest einzuprägen. Für den einen Moment der wilden, ungestümen Rache. Am Ende überführte er sich damit selbst, als er von den heimtückischen Erfahrungen fantasierend das Herz des getöteten, unter Dielen und Böden begraben, schlagen gehört haben wollte. So stand auch Conan nun, sicher zehn Minuten in der Stille und Dunkelheit, die lediglich von draußen ein paar Schatten warf und wurde ein Teil des Zimmers, bis er alles sah und hörte, und sich über eines absolut sicher war. Es war niemand vor der Tür! Wahrscheinlich war die ganze Zeit niemand dort. Ran war in ihrem Zimmer und hatte wohl auch keine Intention, herzukommen. Wurde er jetzt paranoid? Er fasste sich an die Stirn, fühlte die Temperatur. Nichts auffälliges. Ran war nicht dort... Eigentlich sollte der Gedanke ihn beruhigen. Im Moment aber betrübte es ihn. Seine Hand glitt an die Tür, fühlte die hölzerne Barriere, die ihn von ihr trennte. Sie war so nah wie noch nie daran, ihn zu überführen, und doch schienen sie gerade jetzt weiter getrennt als je zuvor. Sonokos Ultimatum machte es nicht besser, wie sie vielleicht dachte. Niemals, niemals könnte er ihr als Conan die Wahrheit sagen. Nicht in der jetzigen Situation. Die Organisation machte weiter, was sie wollte und die Aussicht bald wieder dauerhaft als Shinichi Kudo rumlaufen zu können war, gelinde sagt, trübe. In dieser Form, solange die Vorstellung, das alte Leben wieder aufnehmen zu können, nur auf dem Prinzip Hoffnung beruhte, konnte er es ihr einfach nicht sagen. Und es war lediglich das Prinzip Hoffnung momentan. Alle Erfolge schienen ihm letztlich mehr kleinere Randerscheinungen; ein paar äußere Fäden des Spinnennetzes, die nicht ihr Ziel erreichten, während hunderte andere als Ausweichmöglichkeit fungieren konnten. Ganz zu schweigen von der Spinne, Moriarty selbst, die unberührt blieb. Er war Welten von ihr entfernt. Vielleicht hatte in dieser Form Sonoko recht... und sie sollte die beiden auseinander treiben. Er schniefte leise, ließ den Kopf kurz hängen, betrachtete den nun farblos grauen Zettel in seiner Hand. 'Das Prinzip Hoffnung... vielleicht ändert sich die Situation ja morgen... grundlegend, wenn die Organisation mit von der Partie ist.' Er hörte förmlich sein Unterbewusstsein ihn auslachen für so viel Optimismus... nein, Blauäugigkeit. Er setzte sich langsam wieder aufs Bett, machte sich wieder Licht und las den kurzen Rest. „Dies ist eine ernsthafte Warnung an dich, also lass es lieber, jemanden zu informieren. Nun denn, ich hoffe auf schönes Wetter und freue mich darauf, dich dann zu treffen. Eine schöne restliche Woche wünsche ich dir. Bis Samstag. Au Revior, Mireille Bouquet“ Die Unterschrift war so ausschweifend lang und kompliziert, dass er sich fragen musste, ob sie ernsthaft gedachte, die mal unter jede kontrollierte Arbeit ihrer Schüler zu setzen. 'Ach ja, ich vergaß, sie hat wahrscheinlich gar nicht vor, Lehrerin zu werden...' Eine ernsthafte Warnung. Wenn er an die bisherigen Begegnungen mit ihr dachte, wie sie wirkte als könnte nichts ihre und Kirikas Ruhe jemals stören, wie sie über den Dingen standen, kam dieser Satz einem Weckruf gleich. Machte sie sich jetzt etwa plötzlich Sorgen? Sie, als Mörderin, um das Leben Unschuldiger? Hatte ausgerechnet sie so etwas wie einen Ehrenkodex, der vorsah, nicht ohne weiteres mehr Leute als nötig aus dem Weg zu räumen? Nun ja, das war irgendwo Teil ihres... 'Jobs', präzise wie ein Skalpell einzelne Menschen aus dem Strom der Zeit zu fischen... und doch schien es ihm absurd. Dass sie selbst Angst vor der Organisation hatte, schien genauso abwegig, bedachte man, wie offenbar kurzer Prozess mit Fudo Nakano gemacht wurde. Also warum war es ihr auf einmal so wichtig? War es – für sie, wohl gemerkt – problematisch, wenn jemand von seinen Freunden im Laufe des folgenden Tages durch die Organisation getötet würde? Wenn ja, warum? Eines war Conan klar, während er den Brief wieder einsteckte, sich zum Schlafen fertig machte und hinlegte. Er würde heute Nacht schlecht schlafen, sehr schlecht. Seine Gedanken kreisten um das, was er mittlerweile über Noir und die beiden 'Jungfrauen' selbst wusste, was wohl die Organisation genau dort wollte, wie er möglichst unbemerkt und ohne große Fragen alleine nach Mihama käme... und um zig weitere, ungelöste Probleme, über denen er unruhig den Weg ins Reich des Schlafes fand. Das sanfte Rauschen des Wassers, wie es sich aus dem Wasserkocher in die Teekanne ergoss, ließ Kirika kurz von dem Buch in ihren Händen aufsehen. Der Geruch einer intensiven Kräutermischung verbreitete sich in der kleinen Küche, gab ihr unvermittelt etwas Ruhe in den Gedanken, stimmte sie zufrieden. „Der Tee riecht gut.“, stellte sie ohne eine Miene zu verziehen in ihrer betont sachlichen Art fest. „Findest du? Ich meine immer noch, du hast bei der Portionierung des Tees mehr Geschick als ich.“ Mireille hielt ihre Nase etwas neben die noch offenen Kanne, fächelte sich den Dampf zu. „Hm... zwanzig...dreißig Milligramm zu viel vielleicht. Muss man ihn ein paar Sekunden früher rausnehmen.“ Kirika musste auflachen, hielt sich verlegen die Hand vor den Mund. „Du gehst das viel zu wissenschaftlich an, glaub ich eher. Das hat doch was mit Gefühl zu tun.“ „Ist ja nicht jeder so ein Naturtalent wie du.“, gab sie pikiert zurück und blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Außerdem ist das auch meine Herangehensweise bei der Arbeit...“ Der Blick von Mireilles Mitbewohnerin verfinsterte sich ein wenig. „Ich weiß.“ Mireille sah verwundert auf, musterte ihren Blick tief, schwenkte dann aber müde lächelnd ab. „Schon gut, ich sag's nicht. Aber dann sag du auch nicht wieder...“ „...dass dir der Lehrerberuf offenbar gefällt?“ „Und? Immerhin warst du meine erste Schülerin, wenn man so will.“ Innerlich musste die Elevin erneut lächeln bei dem Gedanken an diese Zeit. Ja, irgendwo war Lehrerin für sie ein gar nicht so ungeeigneter Beruf eigentlich. Auch wenn manche das als vollkommene Verschwendung ihrer Fähigkeiten ansehen würden. Immerhin... hatte sie diese Option. Betrübt wandten sich ihre Augen zur Seite, fixierten den Kalender an der Wand. „Morgen ist es so weit.“, lenkte sie gewaltsam vom Thema ab. „Mhm... bist du... nervös?“ „... Nein.“ Es klang wie eine Computerausgabe, die lange allen Input analysierte, auswertete und diese Frage so kurz wie möglich beantwortete. Mireille hatte sich an diese Art längst gewöhnt. Es war keine Emotionslosigkeit ihrer Freundin, die dahinter steckte. Mehr eine innere Angst vor unkontrollierbaren Gefühlen. 'Obwohl sie es beim Tee ganz gut kann...' Mitleid schwang in ihren Gedanken mit. Sie wusste ganz genau, welches dieser Gefühle Kirika gerade trieb. Hoffnung... und die Angst, dass diese Hoffnung enttäuscht würde. Langsam schritt sie auf sie zu, fasste sie an den Schultern. „Du hast mit bekommen, wie er Vineyard überführt hat. Ist das nicht genau... das, wonach wir gesucht hatten?“ „Mhm...“, nickte sie nachdenklich, sah auf das Buch auf ihren Knien. „Ist es... was aber auch nicht mehr heißt, als dass es... eine Möglichkeit ist.“ „Und Möglichkeiten muss man eine Chance geben, wenn es keine Alternative gibt!“ Ein schwaches, aber ehrliches Lächeln ging von Kirikas Lippen aus, während sie unmerklich nickte. Sie ging zurück zur Kanne, schwenkte sie ein wenig, beobachtete, wie das getrübte, rötlich braune Wasser sich immer weiter, Nuance für Nuance dunkler färbte, wie die Teilchen zu Boden schwebten. „Kennst du die Legende, wie die Chinesen den Tee erfanden? Ein chinesischer Kaiser, Shennong hieß er und lebte vor knapp 5000 Jahren, genoss für gewöhnlich heißes Wasser als Getränk. Im Sinne guter alter chinesischer Medizin gilt warmes Wasser heutzutage auch allgemein als eines der gesündesten Getränke zu allen Jahreszeiten, auch im heißen Sommer. Jedenfalls, einmal war er in einem Wald, als ihn der Durst befiel. So ließ er sich nieder unter einem großen Strauch und begann Wasser zu erhitzen. Als er die Tasse gerade zu sich nehmen wollte, löste sich ein Blatt vom Strauch und fiel genau in die Tasse. Dreimal darfst du raten, was für ein Strauch es war.“ 'Lehrerin!', musste Kirika erneut feststellen, verkniff es sich aber und blickte abwartend zu ihr hinüber. „Ich meine nur, dass zu vieles auf Zufall beruht, aber auch darauf, diesem Zufall eine Chance zu geben. Der Kaiser hätte das Wasser auch unbesehen wegkippen und neues kochen können. Schon allein aus Sorge, ob das Blatt giftig sein könnte. Stattdessen hat er so eine bedeutsame Entdeckung für sein Land und die ganze Welt gemacht... nun ja, auf kulinarischer Ebene bedeutsam.“ Jetzt musste sie über sich selber kichern. „Und er ist auch so ein Zufall, meinst du?“ „Seine Anwesenheit genau jetzt, zusammentreffend mit unserer auf dieser Welt? Warum nicht? Jemand, der die Organisation kennen lernte, und es bis jetzt überlebt hat. Der die idealistische Art und den Willen, vor allem aber den Verstand hat, gegen sie vorzugehen. Der das Unmögliche in Form des APTX 4869 gesehen hat und damit gewillt ist, auch andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen... und auf der anderen Seite... wir. Es ist etwas zufälliges darin, Schicksalsdiskussionen hin oder her. Die Frage ist nur...“ Sie hielt ihr die Tasse hin. Kirika überlegte kurz, legte das Buch zur Seite und nahm den Tee dankend an... „Ob du probierst, diesen Zufall zu nutzen, oder ob du den Tee weg kippst und die Option verstreichen lässt.“ Sie hielt die Tasse schweigend vor sich, beobachte den flüchtigen Dampf, der sich erhob, pustete, bis er endgültig verschwand und setzte dann an. „Der Tee wirkt beruhigend, Kirika. Morgen ist ein langer Tag. Wir sollten bald schlafen gehen.“ „Sag mir Mireille...“, setzte sie noch einmal kurz an. „Warum...“ Ihr Blick fiel auf das Buch, welches sie eben aus der Hand lag. Groß prangerten die vier Zahlen darauf dem Leser entgegen. Sie verstand. „Wie gesagt... er ist für das Unmögliche jetzt etwas empfänglicher als vor dem 13. Januar... Aber man braucht dafür dennoch einen kleinen Schubs.“ Eine Stunde vorher in einem Wald in Sakura, südöstlich von Tokio: Ein weiterer Knall durchbrach die friedliche Natur, die über den unzähligen Schüssen der letzten Stunden eh längst abhanden gekommen war. Langsam zog Chianti ihr Gewehr von sich weg, fixierte das Ziel, welches ohne das Teleskopauge selbst ihrem scharfen Blick fast entging. „Nicht schlecht.“, stellte Korn ohne Regung fest. „Es war genau getroffen. 350 Meter Distanz, und das so eng an den vielen Bäumen vorbei, dass der horizontale Spielraum bei gerade mal drei bis vier Zentimetern lag.“ Sie wusste, welche Leistung dahinter steckte, immerhin musste sie die ganze Zeit diese Treffsicherheit üben. Mit dem Handrücken wischte sie sich eine Schweißperle von der Stirn. „Das Problem ist nicht die Treffsicherheit an sich, Chianti.“, konterte Gin in seiner dunklen, herrischen Stimme von der Seite. „Hier im Wald ist es windstill. Morgen musst du auf freiem Feld treffen. Scheint zwar kein Sturm im Anmarsch zu sein, dennoch ist der Wind relevant beim Plan.“ „Kein Thema, Wind miteinzukalkulieren ist leichter als man denkt, das hat alles was mit Erfahrung und einem kühlen Kopf zu tun.“ Sie blinzelte ihm entgegen, obwohl sie wusste, dass er sie hinter seiner die Augen verdeckenden Frisur gar nicht ansah. „Wir werden sehen. Aber viele Chancen habt ihr nicht.“ „Warum eigentlich der Aufwand, Gin? Wenn das Ziel so einen Plan erfordert, wäre das Gift da nicht eine bessere Option?“ Er sah zur Seite, holte sich eine Zigarette raus, zündete sie an, nahm einen ersten Hieb, bevor er antworte. „Normalerweise ja. Ein Tod, der nicht als Mord nachgewiesen werden kann, wäre optimal in diesem Fall. Aber momentan ist das Gift tabu. Die Probe, die Wodka im Tropical Land mit hatte, ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Und da das FBI da war, muss man annehmen, dass sie nun darüber verfügen. Wenn sie durch bewusstes Suchen ein Nachweismittel in ihre Hände bekommen haben, dann könnte das morgen ein Debakel geben.“ „Apropos, FBI, besteht also die Möglichkeit, dass die morgen auch auftauchen?“ Die weibliche Stimme von hinten ließ die beiden Scharfschützen aufhorchen. Sie hatten sie gar nicht mit Gin und Scotch – Wodkas Nachfolger und ein Hüne, der seinem Vorgänger denkbar nahekam – kommen sehen. „Kir!“ „Was denn, Korn? Ich habe immerhin essentiell da morgen zu tun, als Journalistin bei dem großen Zeremoniell... Hoffentlich wird es nicht so ne Pleite wie die Schifffahrt vor drei Tagen. War zwar auch ne große Story, aber ohne richtiges Happy End irgendwie.“ Gin zog ein weiteres Mal an der Zigarette, wartete, bis es wieder ruhig war. „Wenn alles klappt, hast du keine Überstunden wegen Sensationsnachrichten morgen zu befürchten, Kir. Und was deine erste Frage angeht, so ist das FBI wie gesagt einer der Gründe für den Plan. Und sie kommen, definitiv. Allein weil du da bist.“ „Hätte ich dann nicht besser Zuhause bleiben sollen?“, gab sie keck zurück. „Nein, du bist nunmal für einen bestimmten Fall mit deinen Fähigkeiten unersetzlich. Und das FBI, das ohne uns inflagranti zu erwischen eh nichts machen kann, nehme ich dafür gerne in Kauf.“ Er wandte sich wieder zu Chianti. „Also... ist es durchaus möglich, dass ihr ein paar von denen vor die Flinte bekommt.“ „Muss ich dann meinen Finger im Zaum halten?“ „Bis zur Erledigung der Aktion ja...“ Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht. „Für danach... habt ihr freie Hand, solange ihr euch nicht selbst ein Bein stellt.“ „Dann wäre das eigentlich auch eine gute Praxisübung für Caipirinha gewesen.“, stellte Korn kühl fest, woraufhin Gins Lächeln verflog. Chianti schloss einmal kurz die Augen, ließ den Schmetterling auf ihrem linken Lid einen Flügelschlag ausführen. „Was ist nun eigentlich mit dem Kerl, der ihn umgelegt hat, weiß man da schon genaueres?“ „Tja... der Typ von Les Soldats, der bei ihm wohnte, hatte ein Alibi und die anderen Leute an dem Abend, die Polizei ausgenommen, nicht das Zeug ihn mit ner Pistole zu töten.“ „Aber es waren doch Les Soldats, oder nicht?“ „Wenn schon, ohne einen klaren Anhaltspunkt hüllen die sich in schweigen. So ist das halt, wenn man am längeren Hebel sitzt.“ Er atmete tief aus. „Aber genau deswegen hat diese Person auch zur Vorsicht gemahnt. Les Soldats haben jemanden hergeschickt... jemanden, der als Scharfschütze besser ist als Caipirinha es war. Und als Soldats besteht eine noch große Wahrscheinlichkeit, auf diese Person morgen zu treffen. Und wer weiß, was die über unsere Pläne wissen.“ „Aber da dürfen wir dann jederzeit draufhalten, oder?“ Gin antwortete nicht, sondern lächelte nur wieder, drehte sich um und ging, Kir und Scotch stumm zum folgen auffordernd. „Kommt morgen pünktlich und ausgeruht.“ „Dich bedrückt noch etwas, oder Gin?“, hakte Kir auf dem Weg zum Porsche nach. „Das war noch nicht alles, oder?“ „Ein Gefühl, mehr nicht. Auf den Bildern der Schifffahrt war neben Vermouth auch Remy Brefford zu sehen.“ „Wer?“ „Einer der Obersten der Soldats. Und bedenkt man, dass Vermouth nach diesem Abend einfach so sich eine Auszeit erbittet, ausgerechnet vor dieser wichtigen Aktion, auch wenn sie da nicht in erster Instanz eingeplant war...“ „Du glaubst, er hätte ihr gesagt, sie solle nicht kommen? Wäre das nicht Verrat?“ „Hm... wie gesagt, die Aktion morgen ist einfach zu bedeutsam, könnte zwischen einem großen Schritt unserer Absicherung und einer mittleren Katastrophe hin und her schwanken. Irgendwie scheint hier jemand Schachfiguren zu versetzen, um uns das Leben schwer zu machen. Les Soldats sind naheliegend anzunehmen... aber da ist ja noch...“ „Dieser ominöse Detektiv im Hintergrund?“, mischte sich nun auch Scotch endlich ein. Seine brummige Stimme und sein südjapanischer Dialekt fielen besonders deutlich auf. „Ach, der 'Sherlock Holmes', der angeblich unsere Pläne sabotiert?“ „Exakt. Ich denke einfach, der könnte auch morgen kommen. Wie gesagt, nur ein Gefühl.“ Er musste sie nicht angucken, um zu wissen, wie skeptisch sie ihn musterte. „Aber mein Gefühl hat mich bei so was auch noch nie betrogen. Du solltest dich wohl auch bereit halten, dass es im Zweifelsfall... morgen ein langer Tag wird.“ Damit wandte er sich ab und sagte, bis sie zum Porsche kamen, nichts mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)