Cold Heart von xXLovelessXx ================================================================================ Kapitel 6: Abschied ------------------- Er wusste es sofort. Schon als sie das Zelt betrat, wusste Yue es. Diese Frau würde alles zerstören. Yue bemühte sich, einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten, obwohl alles in ihm danach schrie, diese Frau aus dem Zelt zu jagen. Allein die Art, wie sie neben Cao Pi durch den Zelteingang schritt, sprach Bände. Sie wollte seinen jungen Herrn, und sie würde alles daran setzen, ihn zu bekommen. Zhen Ji. Yue hasste sie von dem Moment an, als er sie das erste Mal sah. Mit emotionsloser Stimme stellte Cao Pi sie den Anwesenden vor. Die Offiziere, sogar der Oberkommandant Cao Cao, hatten sich eingefunden, um Cao Pis ‚Kriegsbeute‘ zu begutachten. Sie hatte sich von ihrem früheren Herrn Yuan Shao abgewandt und war zu Shu übergelaufen. Die Allgemeinheit bezeichnete sie als tapfer, mutig und klug. Yue bezeichnete sie als Verräterin. Für ihn würde es schließlich nie in Frage kommen, sich von seinem Herrn abzuwenden. Ein alles überlagerndes Gemurmel hatte sich im Zelt erhoben. Die Gespräche wurden lauter. Yue stand schweigend neben Cao Pi und starrte ausdruckslos auf den Boden. Sein Herr unterhielt sich mit seinem Vater, Zhen Ji war in eine Unterhaltung mit Xing Cai verwickelt worden. Lange Zeit verfolgte Yue das Gespräch der beiden Caos nur mit halbem Ohr, doch als Cao Cao verschwörerisch die Stimme senkte, horchte der junge Leibwächter auf. „Sie wäre eine gute Partie, Cao Pi. Sieh sie dir doch an. Eine solche Frau an deiner Seite würde deine Autorität im Heer erheblich steigern und außerdem wäre deine Nachfolge gesichert. Du bist auch nicht mehr im besten Alter, um zu heiraten.“ Ein stechender Schmerz raste durch Yues Körper und er musste sich zusammenreißen, nicht gequält aufzukeuchen. Er wollte nicht wahrhaben, was er da hörte, und doch wiederholten sich die Worte in seinem Kopf wie ein schreckliches Mantra. Sein Blick fixierte Cao Pi, der Zhen Ji ansah. In seinen Augen konnte Yue zwar nicht das Geringste lesen, doch das leichte Nicken seines Herrn war bereits genug. Er würde sich dem Willen seines Vaters beugen, das stand fest. Yue biss sich auf die Lippe und schloss für einen kurzen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Es war doch alles perfekt gewesen bis jetzt. Nie hätte er geglaubt, dass etwas zwischen ihn und Cao Pi hätte kommen können. Schon gar keine Frau. Und jetzt… „Ist alles in Ordnung?“ Yue öffnete überrascht die Augen. Eisblaue Iriden musterten ihn…besorgt? „Warum fragt Ihr? Natürlich ist alles in Ordnung.“ Glücklicherweise konnte er das Zittern aus seiner Stimme verbannen. Auf keinen Fall sollte irgendjemand merken, dass er ein Problem mit Zhen Ji hatte. Stur widerstand er Cao Pis prüfendem Blick. „Geh schon vor und bereite das Essen in meinem Zelt vor“, wies Cao Pi ihn schließlich an und machte eine Kopfbewegung in Richtung Zelteingang. „Soll ich für zwei oder für drei kochen?“ Yue konnte nicht verhindern, dass sich ein spöttischer Unterton in seine Stimme schlich. Erneut spießten diese eisblauen Augen ihn auf. Misstrauisch und ein wenig tadelnd. „Für zwei.“ Yue deutete eine Verbeugung an und verließ die fröhliche Gemeinschaft mit einem lautlosen, erleichterten Seufzen. Er hätte es nicht eine Sekunde länger in der Gegenwart dieser Frau ausgehalten. Ein leises Rascheln kündigte ihm das Eintreffen seines Herrn an, noch bevor Yue ihn sah. Auf dem niedrigen Tisch standen bereits zwei Schüsseln mit Reis, Hühnchenfleisch und süß-sauer-Soße, die einen angenehmen Duft verbreiteten. Cao Pi schnupperte unauffällig. „Unbezahlbar…“, wisperte er. Verwirrt drehte sich Yue zu ihm um. „Was?!“ Sein junger Herr blickte ihn an und lächelte. Moment, Cao Pi lächelte?! Yue spürte förmlich, wie sämtliche seiner Gesichtszüge entgleisten. „Ich sagte: Unbezahlbar. Und was ich damit meinte, ist das Gefühl, in mein Zelt zu kommen und schon von Essen erwartet zu werden.“ „Ach so.“ Fast enttäuscht wandte sich Yue wieder seiner Armbrust zu, die er gereinigt hatte, um die Zeit zu vertreiben, während sein Herr nicht da war. Cao Pi setzte sich, winkte Yue heran und bedeutete ihm, das gleiche zu tun. Ein paar Minuten aßen sie schweigend, bis Cao Pi schließlich das Wort ergriff. „Das wird das letzte Mal sein, dass wir zu zweit essen.“ Die Stäbchen glitten aus Yues Hand und fielen klappernd zu Boden. Er hatte es bereits geahnt, doch die Worte aus Cao Pis Mund zu hören tat mehr weh, als er es sich vorgestellt hatte. „Ich werde Zhen Ji heiraten…“ Yue, der gerade seine Stäbchen hatte wieder aufheben wollen, erstarrte in seiner Bewegung. „…müssen, damit mein Vater mich nicht seiner Nachfolge enthebt. Er ist völlig vernarrt in die Frau.“ Verwundert zog Yue die Augenbrauen zusammen und sah Cao Pi an. Dieser mied seinen Blick und zeichnete eine Linie des Holztisches mit dem Finger nach. „Und ich glaube, dass das nicht die schlechteste Entscheidung ist. Ich meine, sie ist hübsch und hat Charakter. Nicht unbedingt das Schlimmste, was einem Mann passieren könnte.“ Mit einem Klacken legte Yue die Stäbchen nachdrücklich auf den Tisch. „Warum erzählt Ihr mir das?“ Dieses Mal blickte Cao Pi auf. In seinen Augen blitzte etwas auf, das Yue nicht definieren konnte. „Weil ich dachte, dass mein zukünftiger Diener das wissen sollte.“ Yues Augen weiteten sich. Er hatte eher damit gerechnet, dass Cao Pi ihn aus seinem Dienst als Leibwächter entließ, weil er nicht mehr gebraucht wurde. Also war Zhang Hes Plan doch aufgegangen. Irgendwie. Aber so wirklich darüber freuen konnte sich Yue nicht. Dafür war seine Erleichterung viel zu sehr von Trauer überlagert. „Vielen Dank“, brachte er hervor und senkte den Kopf. „Ich werde Euch nicht enttäuschen.“ „Ich weiß.“ Cao Pi lachte leise. „Und jetzt zieh dich aus, wir haben eine lange Nacht vor uns.“ Das Anwesen der Cao-Familie war überwältigend. Ein riesiger, asymmetrisch und recht natürlich angelegter Garten umschloss ein palastähnliches Gebäude aus Holz, das purpurrot gestrichen war. Geschwungene Sparren erhoben sich über goldenen Säulen und tiefblaue Ziegel zierten das Dach. Das Bauwerk war auf einer wuchtigen Steinterrasse errichtet worden, die von ehernen Drachen bewacht wurde. Yue schritt hinter Cao Pi und den anderen Zurückkehrenden durch die Farbenpracht des Gartens. Durch das Rosa der Winterkirschblüten, das Gelb der Päonien, das weiß-gelb der Chrysanthemen, das helle Grün der Bambuswäldchen und das dunklere Grün der Kiefern. Weit verzweigte Flüsschen schlängelten sich durch die Vegetation, die von halbkreisförmigen Steinbrücken überspannt wurden. An kleinen Teichen erstreckten sich Steingärten. Kurz bevor die Gruppe die steinerne Treppe erreichte, die hinauf zum reich verzierten Eingangsportal führte, blieb Yue auf einmal stehen. Sein Blick schweifte über das imposante Bauwerk. Würde er es betreten, wäre er immer unter Beobachtung. Er wäre nur ein Diener unter vielen. Und er wäre nicht mehr der Leibwächter von Cao Pi. Bevor er dieses neue Leben antrat, wollte er das alte ausklingen lassen. Sich an alles Vergangene erinnern und etwas Ruhe haben. Ein wenig Zeit für sich. Gerade wollte er sich umdrehen, als jemand grob sein Handgelenk packte. Es war Cao Ren. „Was denkst du dir dabei, einfach so stehen zu bleiben?!“, zischte er ihm zu, „Du solltest dich lieber auf deine Pflichten konzentrieren, anstatt hier in der Gegend herum zu träumen!“ „Das reicht, Cao Ren!“ Der herrische Ruf brachte den Offizier zum Verstummen. Cao Pi hatte sich auf der Treppe umgedreht und durchbohrte Cao Ren mit einem wütenden Blick. „Yue ist mein persönlicher Diener und er darf sich auf meinem Anwesen frei bewegen. Niemand, und ich meine wirklich niemand, hat außer mir das Recht, ihn in irgendeiner Weise zurechtzuweisen! Verstanden?!“ Cao Ren brummte etwas Unverständliches und ließ Yue los. Der Junge wartete noch das grimmige Nicken seines Herrn ab, bevor er sich umdrehte und ziellos in den Garten hinein schlenderte. Hinter ihm verhallten die Stimmen der Caos, bis Yue schließlich nur noch das sanfte Plätschern der Flüsse, das leise Rascheln des Windes in den Blättern der Bäume und das Knirschen seiner eigenen Schuhe auf dem Kiesweg umgab. Seine Gedanken fanden langsam zur Ruhe, das Chaos in seinem Kopf ordnete sich und die aufgebrachten Wogen seines Seins glätteten sich durch die beruhigende Wirkung des Gartens. Alles hier schien seinen Platz gefunden zu haben, alles verschmolz zu einer einzigen Harmonie, zu einer Sinfonie aus Ruhe und Geborgenheit. Yue ließ all diese Eindrücke durch sich hindurchfließen, nahm diese Ruhe in sich auf. Er schloss die Augen und ließ sich von den Energien im Garten leiten, die ihn zu dem schönsten Platz führten, den Yue je gesehen hatte. Als er die Augen wieder öffnete, fand er sich an einem Teich wieder. Aus einer Steinschlucht stürzte ein schmaler Wasserfall, auf der glitzernden Wasseroberfläche schaukelten Seerosen in den sanften Wellen, in einiger Entfernung stand ein kleiner hübscher Pavillon, dessen grünes geschwungenes Dach auf zierliche rote Säulen gestützt war. Yue atmete tief ein. Auf diesem Ort lag ein seltsamer Zauber, der ihn sofort in seinen Bann schlug. Abwesend ließ er sich unter den weit ausladenden Ästen einer Trauerweide nieder, die ihn scheinbar vor der Außenwelt schützen wollten. Die Zeit floss an Yue vorbei, ohne dass er es merkte. Der Schatten der alten Weide wurde länger, es dämmerte bereits. Doch das kümmerte ihn nicht. Eigentlich wollte er überhaupt nicht von diesem Ort weg. In der Realität warteten schließlich nur komplizierte und verletzende Geschehnisse auf ihn… „Ich hatte mir schon gedacht, dass es dich zum Níngmì-Teich ziehen würde.“ Überrascht hob Yue den Blick. Cao Pi schob einige der lianenartigen Zweige der Trauerweide beiseite und betrat die geschützte Insel im Inneren der ausladenden Äste. Der leichte, teure Stoff seines Gewandes raschelte kaum hörbar, als er sich in gebührendem Abstand neben Yue setzte. Die Distanz zwischen ihnen schmerzte Yue, doch er konnte nichts dagegen tun. Einige Minuten gingen still vorüber, bis Yue merkte, dass Cao Pi ihn ansah. Er erwiderte den Blick aus den kühlen stahlblauen Augen und konnte plötzlich den Kampf in Cao Pis Innerem deutlich sehen. Sein junger Herr hatte die Mauern, die seine Gefühle vor der Außenwelt verbargen, ein Stück weit eingerissen und offenbarte Yue einen kostbaren Blick auf seine wahren, ehrlichen Emotionen, bevor er sich von ihm abwandte und über den Teich hinweg in die Ferne starrte. „Ich weiß, dass meine Entscheidung dich verletzt. Und ich weiß auch, dass es nicht richtig ist, Zhen Ji zu heiraten. Aber ich hoffe, dass du wenigstens einen Teil der Gründe verstehst, warum ich das tun muss.“ Yue schwieg. Eigentlich wollte er wütend auf Cao Pi sein, zornig weil er ihn verletzte und es sogar wusste, doch er konnte es nicht. Nicht in diesem Moment, wo Cao Pi, sein unnahbarer Herr, so verwundbar zu sein schien. „Ja, ich verstehe es. Du willst deine Autorität nicht verlieren und deine Karriere ist dir wichtiger als ich.“ Es klang schärfer, als er es geplant hatte. Cao Pi sah ihn nicht an, doch in seine Stimme mischte sich ein kaum hörbarer, verzweifelter Unterton. „Yue, ich weiß, dass du das vielleicht nicht verstehen kannst, aber ich tue das für dich! Ich will nicht, dass du irgendwo in einer Schlacht fällst, ohne dass ich es weiß, und das kann ich nur gewährleisten, solange ich bei dir bin. Und das wiederum kann ich nur gewährleisten, solange ich Kommandant bin. Ich darf meinen Rang nicht verlieren, denn dann würde ich dich verlieren.“ Yues Mundwinkel zuckten nach unten. „Du hast Recht. Ich verstehe es nicht. Wir könnten uns auch alleine durch die Welt kämpfen, ohne dein Heer, ohne deinen Vater und ohne Zhen Ji.“ Cao Pi lachte freudlos. „Ach, Yue. Du weißt gar nicht, wie gerne ich das tun würde. Aber es würde nicht funktionieren.“ In Yues Augen brannten Tränen, die er mühevoll zurückdrängen musste. „Und wieso nicht?! Sei ehrlich, du willst Zhen Ji heiraten. Du sehnst dich nach einem normalen Leben und du hast bemerkt, dass ich nur ein Spielzeug für dich war. Ein Zeitvertreib auf dem Schlachtfeld. Jetzt beginnt deine Realität. Mit einer Frau an deiner Seite.“ Daraufhin schwieg Cao Pi betroffen. Yue wertete das als Zustimmung und stand mit einem Ruck auf. „Vielleicht ist es besser, wenn ich gehen wür…“ Eine Hand packte seine und nur Sekundenbruchteile später saß er auf Cao Pis Schoß und sein junger Herr verwickelte ihn in einen stürmischen Kuss. Widerspenstig versuchte Yue, sich zu wehren, doch als Cao Pis Arme seinen Körper umschlossen und seine Zunge sanft an seinen Lippen um Einlass bat, erstarb sein Widerwillen. Zögernd öffnete er seinen Mund und die Zunge seines Herrn forderte seine eigene zu einem spielerischen Kampf auf. Wenige Wimpernschläge später, die Yue wie kleine Ewigkeiten vorgekommen waren, trennten sie sich voneinander. Sie atmeten beide schwer. In ihren Blicken spiegelte sich das gleiche Verlangen, die gleiche Bitte. Doch statt über seinen Leibwächter herzufallen, schloss Cao Pi ihn liebevoll in die Arme. „Du weißt, dass das nicht stimmt, Yue“, hauchte er in sein Ohr. „Du weißt, dass ich dich in meiner Nähe haben will, weil ich dich brauche. Dass ich dich zu meinem persönlichen Diener gemacht habe, damit ich dich nicht verliere. Dass ich dich vor allem anderen schützen will, weil ich dich…“ Er verstummte und drückte Yue noch etwas fester an sich. Eine einzelne Träne löste sich aus Yues Augenwinkel. „Ich weiß.“ Doch du kannst diese drei Worte immer noch nicht sagen, weil du dir selbst im Weg stehst… Ein sanfter Windhauch brachte die Zweige der Trauerweide zum Schwingen. Der Baum knarrte leise. Yue kam es so vor, als würde er sich schützend über sie beugen und sie vor der Außenwelt beschützen wollen. Er schmiegte sich an Cao Pi und setzte einen gehauchten Kuss auf seinen sehnigen Hals. „Wann ist die…“ Yues Stimme versagte ihm ihren Dienst und er musste sich zunächst räuspern, bevor er erneut ansetzte: „Wann ist die Hochzeit?“ Er spürte, dass Cao Pi mit der Antwort zögerte. Zu Recht, denn als er sie schließlich aussprach, war es wie ein Schlag ins Gesicht: „Übermorgen.“ Yue biss sich auf die Lippe. Doch statt sich in Tränen aufzulösen, was er jetzt ehrlich gesagt wirklich gern getan hätte, riss er sich zusammen und küsste das Schlüsselbein seines Herrn. „Dann…“ Er wusste nicht genau, wo die Bewegungen herkamen, doch seine Zunge fuhr Cao Pis Hals empor bis zu seinem Ohr. Spielerisch knabberte er an dem Ohrläppchen, was seinem Herrn einen überraschten Ausruf entlockte. „Hey!“ Yue ignorierte ihn geflissentlich. „Dann sollten wir die Zeit nutzen, die uns noch bleibt.“ Er spürte, wie Cao Pi unter seinen Berührungen erstarrte, als er die Bedeutung seiner Worte verstand. „Yue, ich verspreche dir, dass du immer…“ „Mach keine Versprechungen, die du nicht halten kannst.“ Es war wagemutig, seinen Herrn mit einer so übermütigen Aussage zu unterbrechen, aber Yue war sich seltsam sicher, dass die Distanz, die Cao Pi immer zu wahren versuchte, in diesem Augenblick verschwamm. Die Grenze zwischen Herr und Diener wurde immer undeutlicher, während Cao Pi ihn wortlos an sich drückte, einen Arm unter Yues Knie schlang und ihn hochhob. Die hereinbrechende Nacht hüllte sie in ihren schützenden Mantel des Dämmerlichts, als sie zum Anwesen der Caos zurückkehrten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)