Cold Heart von xXLovelessXx ================================================================================ Kapitel 1: Ungewollter Wächter ------------------------------ „Ein Kind!“ Cao Pi spuckte verächtlich auf den Boden. „Sie schicken mir wirklich ein Kind!“ Nochmals musterte er den Jungen, der vor ihm stand. Sogar in dem schwachen Schein der wenigen Feuerschalen, die in dem großen Zelt verteilt waren, sah man, dass dieser sehr jung war: Sein Gesicht war makellos, fast ein bisschen feminin; von Bartwuchs keine Spur. Er konnte höchstens 14, vielleicht 15 sein. Seine Haare hingen ungebändigt in seine Stirn und glänzten im flackernden Licht tiefschwarz. Er trug einfache Kleidung: Ein weites Hemd, eine lange Stoffhose, beides in einem dunklen, braunen Farbton. Auf seinem Rücken hing ein Köcher und in den Händen hielt er eine Armbrust. Cao Pi selbst war auch jung, doch er hatte Erfahrung auf dem Schlachtfeld. Von diesem Jüngelchen wusste er das zwar nicht, aber er konnte es sich nicht vorstellen. Er schnaubte unzufrieden und tigerte unruhig auf und ab. Der Junge ließ ihn nicht aus den Augen und erwiderte seinen Blick furchtlos. Cao Cao, der bis jetzt reglos und schweigend an einer der Zeltstangen gelehnt hatte, seufzte und machte ein paar Schritte auf den Jungen zu. „Ich weiß gar nicht, was du hast, Cao Pi. Du wolltest einen Leibwächter und hier hast du ihn.“ Cao Pi funkelte seinen Vater wütend an. „Ich wollte einen erfahrenen Kämpfer, der mir im Kampf den Rücken decken kann; kein verwöhntes Kind, das mir in der Schlacht nur ein Klotz am Bein ist!“ „Ich erbitte die Erlaubnis zu sprechen, Herr.“ Die Stimme des Jungen riss Cao Pi aus seiner Schimpftirade. Sein vor Zorn sprühender Blick bohrte sich in die ruhigen Augen, die ihm nicht auswichen. Zum ersten Mal erlebte er, dass ein Untergebener seinen Blick nicht demütig senkte. Diese Tatsache machte ihn noch rasender. Statt seiner nickte Cao Cao dem Jungen zu. „Vor zehn Jahren fand mich Cao Ren hilflos im Wald und hat mich aufgenommen. Seitdem bildet er mich aus. Als er von Eurem Gesuch nach einer Leibgarde hörte, war er der Meinung, ich sei die passendste Wahl.“, erklärte der Junge mit gedämpfter Stimme. Er schien keine Angst davor zu haben, das Wort an seinen tobenden Herrn zu richten. Cao Pi verschränkte die Arme vor der Brust. „Cao Ren also…ich weiß schon, was ich ihm erzählen werde, wenn ich ihn sehe.“ Zischend stieß er Luft zwischen den Zähnen hervor. Sein Vater dagegen nickte zufrieden. „Wenn Cao Ren ihn schickt, wird er seine Gründe haben. Er ist schon viel zu lange einer meiner besten Generäle, um hier eine Fehleinschätzung zu machen.“ Er lächelte leicht. „So, ich muss noch etwas mit Sima Yi betreffend der Strategien für die nächste Schlacht besprechen.“ Verwundert horchte Cao Pi auf. „Ich werde mitkommen.“ „Nein, mein Sohn, du wirst deinen neuen Leibwächter einweisen.“, erwiderte Cao Cao amüsiert. „Außerdem geht es nur um einige Kleinigkeiten.“ Und mit diesen Worten verschwand er aus dem Zelt, bevor Cao Pi erneut hätte protestieren können. Für eine unangenehm lange Weile herrschte gespannte Stille. Dann wandte sich Cao Pi dem Jungen zu. Sein Ton war sehr beherrscht. „Wie heißt du?“ „Yue“ „Welche Waffen beherrschst du?“ „Den Bogen und die Armbrust, das einhändige Schwert, den Dolch, den Speer, die Hellebarde, die Doppelsichel, die Kriegsaxt,…“ „Okay“, unterbrach Cao Pi ihn unbeeindruckt, „Und welche ziehst du vor?“ „Die Armbrust“ „Sieht man ja.“ Cao Pi deutete mit einem Kopfnicken auf die Waffe in Yues Händen. Yue nickte. Mit einem langen Ausatmen legte Cao Pi Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. „Als hätte ich nichts Besseres zu tun…“, murmelte er. Yue wartete ab, bis sein Herr den Kopf hob. „Du wirst hier in meinem Zelt schlafen, ich werde gleich ein paar Leute anweisen, dir ein Lager herzurichten.“, sagte Cao Pi schließlich. Erneut nickte der Junge. Um Cao Pis Mundwinkel zuckte ein freudloses Lächeln. „Ich schätze Menschen, die nicht unnötig viel reden.“ Es klang nicht wie eine simple Feststellung, sondern eher wie ein Befehl. Yue verstand. Er verneigte sich leicht. Ohne eine weitere Bemerkung wandte Cao Pi sich ab. Das „Lager“ war nicht mehr als eine dünne Stoffdecke, die über einen Haufen Stroh ausgebreitet lag. Doch Yue beschwerte sich nicht. Genau diese Behandlung hatte er erwartet. Cao Ren hatte ihn gut auf den Aufenthalt bei Cao Pi vorbereitet. Außerdem schlief er sowieso lieber auf dem Boden als durch ein bequemes Bett zu verweichlichen. Diese erste Nacht war sehr lang. Yue warf sich unruhig auf seiner Schlafstätte hin und her. Irgendwo vor dem Zelt schnarchte ein Wachtposten. Das Gefühl, unbewacht und schutzlos zu sein, hielt Yue wach. Bei Cao Ren hatte er gewusst, dass ihm keine Gefahr drohte, doch hier, unmittelbar vor einer Schlacht, konnte er sich dessen nicht sicher sein. Vor allem aber machte er sich Sorgen um die Sicherheit seines neuen Herrn, nicht um seine eigene. Das war das erste gewesen, was Cao Ren ihm in seiner Ausbildung zum Leibwächter beigebracht hatte: ‚Solange du einen Herrn hast, den du schützen musst, ist deine eigene Sicherheit irrelevant!‘ Und diese Anweisung nahm Yue sehr ernst. Um sich abzulenken ließ er seine Gedanken zu seinem neue Herrn abdriften. Cao Pi war genau so wie Cao Ren ihn beschrieben hatte: Überheblich, vollkommen von sich selbst überzeugt, rücksichtslos, stur und erstaunlich jung für einen Kommandanten. Yue hatte schon von vielen Kämpfen gehört, die nur durch Cao Pis Geschick und Klugheit gewonnen worden waren. Hätte er nicht so einen grottigen Charakter, wäre er sicher bereits Oberkommandant der Truppen von Wei und hätte seinen Vater längst abgelöst. Doch sein eigener übertriebener Ehrgeiz und sein offenes Streben nach noch mehr Macht standen ihm im Weg. Yue seufzte lautlos. Er wollte es sich nicht recht eingestehen, aber tief im Innern merkte er doch, dass er sich darauf freute, einem Herrn zu dienen, der bereits in jungen Jahren so erfolgreich und trotzdem immer noch so schwer einschätzbar war. Der erste Vogelschrei des Morgens riss Yue aus seinem leichten Schlaf. Er war auf einen Schlag hellwach. Schnell richtete er sich auf und zog sich an. Auch wenn er jetzt unter einem Herren diente, durfte er auf keinen Fall sein Training vernachlässigen. Nachdem er einige Kraftübungen wie Liegestützen und Sit-Ups im Zelt absolviert hatte, trat er hinaus in den beginnenden Tag. Kühle Morgenluft weckte seine Sinne, machte ihn aufnahmefähig. Noch einmal atmete er tief durch, dann sah er sich nach einem geeigneten Trainingsplatz um. Ein kleines Wäldchen erschien ihm als die passende Wahl. Lässig legte er sich seine Armbrust auf die Schulter und schlenderte zu der lockeren Baumgruppe hinüber. Als er sie erreicht hatte, pflückte er eine Handvoll Blätter aus den niedrighängenden Ästen und stellte sich zwischen die massiven Stämme. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, konzentrierte sich. Dann warf er die Blätter mit einem Ruck in die Luft, legte fast im selben Moment die Armbrust an und durchschoss jedes einzelne Blatt, bevor es den Boden berühren konnte. Seine Pfeile bohrten sich in die Rinde der Bäume, kein einziger ging ihm verloren. Nach dieser ersten Runde sammelte er die Pfeile wieder ein, holte nochmals Blätter und startete von Neuem. Er war so in sein Training vertieft, dass er nicht bemerkte, wie ein aufmerksames Augenpaar ihn interessiert beobachtete. „Er ist gut…“, flüsterte Cao Pi zu sich selbst und sein Blick verfolgte jede Bewegung seines neuen Leibwächters. Natürlich fielen ihm die sehnigen Muskeln und der muskulöse Körperbau des Jungen auf, den man unter der weiten Kleidung erkennen konnte. Cao Ren hatte absolut einwandfreie Arbeit geleistet. Doch das würde Cao Pi niemals offen zugeben. Es reichte, wenn er allein das wusste. Mit einem zufriedenen Lächeln verließ er seinen Beobachtungsposten und kehrte in sein Zelt zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)