Freundschaft und Liebe von 4FIVE ([Sasuke x Sakura | high school AU | jerks to friends]) ================================================================================ Kapitel 2: Good And Gone ------------------------ . . Sasuke Uchiha war kein Mann großer Worte, das war er noch nie gewesen. Es verlangte auch nie jemand von ihm, dass er vor Leuten sprechen musste. Nicht, dass er es nicht konnte, nein, er wollte es einfach nicht. Wieso, wusste keiner, nicht einmal er selbst. An Schüchternheit lag es nicht—schüchtern war er bei Gott keineswegs! Eher spielten Arroganz oder Eitelkeit eine Rolle. Für einen Uchiha war das gar nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich war auch sein gutes Aussehen nicht. Es war weiters nicht ungewöhnlich, dass ihm jedes Mädchen ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, ohne dass er jemals ein Wort mit ihm gesprochen hätte. Ungewöhnlich an Sasuke war einzig und allein seine Wortkargheit, die jedem seiner Familie ein Dorn im Auge war. Itachi war sein genaues Gegenteil—humorvoll, charmant, umgänglich, wenn auch stets auf seinen Vorteil bedacht. Während der Ältere heuchelte wo es ging und dadurch ein gern gesehener Gast war, hatte Sasuke sich das Vorrecht erkämpft, schweigsam, gelangweilt und beleidigend zu sein, wo er nur konnte. Im Grunde waren die Brüder völlig gleich, aber sie förderten ihre Veranlagungen völlig konträr zutage. Man kann sich vorstellen, dass Sasuke daher überall aneckte und ihn das nicht einmal störte. Umso unverständlicher war die Bitte seiner Mutter, die mit seinem Wesen eigentlich vertraut war. "Sasuke, Schatz, wir werden heute Abend mit der Familie von Haruno Kizashi-san essen. Er hat zwei Töchter in deinem Alter, die beide äußerst angenehm sein sollen. Es wäre sicherlich von Vorteil, sich mit ihnen gut zu stellen, zumal du nächste Woche mit der Älteren in dieselbe Schulstufe gehen wirst." "Sie gehen auch auf das Miya-So-Internat?" "Allerdings. Du hättest gleich Freunde! Sie könnten dir sicherlich am Anfang helfen, dich zurechtzufinden." "Nicht nur, dass ihr mich abschiebt, du zwingst mich auch noch dazu, mich mit einem Mädchen anzufreunden, das mir jetzt schon auf die Nerven geht?", fasste Sasuke nüchtern zusammen. "Itachi hat die Ältere bereits kennengelernt. Er meinte, sie sei sehr hübsch und nett." "Itachi hat ihr sicherlich irgendeinen Schwachsinn über mich erzählt", konterte Sasuke missmutig. "Ich sehe schon vor mir wie sie an meinen Lippen klebt und mir schöne Augen machen will. Danke, aber nein danke." Mikoto stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich drohend nach vorne. "Junger Mann, ich rate dir zwei Dinge. Erstens, sei nicht so eingebildet. Zweitens, erfülle meine Bitte, sonst setzt es was! Du magst volljährig sein, aber ich bin immer noch deine Mutter und solange ich dieses Recht habe, tust du, was ich sage oder du verlässt augenblicklich das Schiff!" "Wir sind auf dem offenen Meer!" "Umso genauer würde ich an deiner Stelle meine Entscheidung treffen. Haben wir uns verstanden, Sasuke?" Er nickte genervt. "Dann zieh dich an, wir müssen los. Der Tisch ist für sieben reserviert." Sasuke gab sich geschlagen. Er streifte sich flüchtig ein Hemd über, machte sich nicht einmal die Mühe es in die Anzughose zu stecken und ließ die Krawatte ganz weg. Konzentriert schloss er die Augen. Seine Finger fuhren ganz automatisch zu seinen Schläfen, wo sie kreisende Bewegungen machten. "Der Abend wird schon nicht so schlimm", beruhigte er sich selbst, als seine Mutter die Zimmertüre geschlossen hatte. Sie selbst war bereits fertig angezogen gewesen und würde auf Deck acht vor dem Speisesaal auf ihre Söhne warten. "Bind dir die Krawatte um", rief Itachi aus dem Badezimmer. Er hatte sich schon seit einer halben Stunde darin verschanzt und langsam drang der Duft von starkem Rasierwasser durch den Türspalt. "Halt die Klappe. Wieso bist du überhaupt in meinem Badezimmer? Du hast mit Nanami deine eigene Kabine!" Sein Bruder hatte vor einem halben Jahr die Tochter seines ehemaligen Universitätsprofessors geheiratet. Seit dem war er unausstehlich—richtig nett. Und zwar ehrlich nett. Nanami hatte wahrlich keinen guten Einfluss gehabt. "Weil meine Liebste etwa eine Stunde lang braucht, um sich eine wunderschöne Hochsteckfrisur zu zaubern. Du weißt doch, sie ist eine Perfektionistin." "Oder einfach nur langsam", murmelte Sasuke halblaut, "aber leider auch beim Denken." "Was sagst du?" "Oder einfach nur langsam und das leider auch beim Denken!", wiederholte er beinahe schreiend. "Beeil dich bitte, ich will schnell essen und dann wieder verschwinden! Ich brauch kein neues Anhängsel; vor allem nicht, wenn ich mit ihm auf dieselbe Schule gehe!" "Elender Schwarzseher! Sie ist wirklich hübsch!", beharrte Itachi lachend. Er wusste es besser. Sein Bruder würde die Harunotochter nicht einmal eines ordentlichen Blickes würdigen. Aber wenigstens hätte er selbst Spaß am Beobachten, wie sich das Mädchen abmühen würde, Sasukes Aufmerksamkeit zu erringen. ɣ Es kam etwas anders als gedacht. Itachi hätte darauf schwören können, dass Sakura sich seines Rates wegen im Internet schlau gemacht haben würde—sie besaß sicherlich so ein supermodernes Mobiltelefon, auf dem man das World Wide Web nutzen konnte. Es gab einige vorteilhafte Fotos von Sasuke, die waren leicht zu finden. Sobald sie ein Foto gefunden hatte, würde ihr der Atem wegbleiben und sie würde das schönste, umwerfendste Kleid anziehen, das ihr Schrank zu bieten hatte. Auf eine solche Reise nahm man immerhin nur das Beste mit. Doch seine Hoffnungen auf einen unterhaltsamen Abend auf Sasukes Kosten wurden enttäuscht. Die Familie Haruno unterhielt sich bereits angeregt mit seinen Eltern und seiner Frau, als Sasuke und er eintrafen. Sein Augenmerk galt der älteren Tochter, die er in langer Abendrobe vermutet hatte. Sie sah nicht viel anders aus als heute Mittag; die langen Haare waren nur durchfrisiert, sie trug kein Make-Up und keinen Schmuck. Ihre Kleidung war mehr als nur enttäuschend. Ganz legere trug sie eine Röhrenjeans und eine grüne Sportweste—eindeutig die Sachen ihrer Schwester, denn beides war etwas zu lang. Die Schwester hingegen sah neben ihr in dem hellblauen Sommerkleid zauberhaft aus. "Ah, da sind die zwei Herren ja!", sagte Fugaku, als seine Söhne eintrafen. "Darf ich euch bekanntmachen? Das sind Haruno Kizashi-san mit seiner Frau Mebuki-san und seinen beiden Töchtern Sakura-san und Sayuri-san." Sakura hätte sich schlagen können—da stand sie nun nach einer heftigen Diskussion mit ihren Eltern in Jeans vor einem jungen Mann, der besser aussah als sie es jemals für möglich gehalten hatte. Ihre Vorurteile gegen alle Uchihas wurden von ihrem Herzen für null und nichtig erklärt. Wie konnte ein so schöner Mensch auch etwas anderes sein als perfekt? Es war völlig um sie geschehen. Sayuri neben ihr konnte ihr nur beipflichten, wenngleich ihr Männergeschmack völlig von Sakuras abwich und sie daher nicht perplex vor dem Schönling stand. Sie war die erste, die das Wort ergriff. "Freut mich, euch kennen zu lernen." Nachdem sie beiden Uchihas die Hand gegeben hatte, wandte sie sich an den jüngeren: "Ich habe gehört, du wirst deinen Abschluss an derselben Schule machen wie wir." Sasuke sah sie zwar an und hörte ihr zu, machte aber keine Anstalten ihr zu antworten oder auch sonst irgendwie auf die Aussage einzugehen. "Lasst uns zum Tisch gehen!", schlug Mebuki schließlich vor, um die peinliche Stille zu überspielen. Sie konnte förmlich sehen, wie Sakura sich in den tiefschwarzen Augen des jungen Uchihas verlor—und es gefiel ihr gar nicht. ɣ Wie der Abend verlief, konnte man sich vorstellen. Es gab Pastete, Fisch und Brot, ein wenig Champagner für alle außer Sayuri und die Männer hatten sich alsbald in eine wirtschaftliche Diskussion über die Devisen sämtlicher Aktienpakete verrannt, während die Damen sich über alle restlichen Themen unterhielten. Nanami war eine sehr freundliche Person, die sich herzlich über das Internat erkundigte. Sakura schloss sie schnell ins Herz, in dem aber den ganzen Abend über aber vor allem ein ganz anderer saß. Sasuke hatte keinerlei Muße sich an dem einen oder dem anderen Gespräch zu beteiligen. Er saß lediglich schweigend auf seinem Stuhl. Die verstohlenen Blicke, die ihm die ältere Haruno immer wieder zuwarf, bemerkte er zwar, ignorierte sie aber mit einem Gleichmut, der an extreme Selbstbeherrschung grenzte. Sakura ihrerseits war darauf bedacht, ihm so wenig Aufmerksamkeit als möglich zukommen zu lassen, um ja nicht den Eindruck des Gefallens in ihm zu wecken. Weit gefehlt! Einen so selbstbewussten Charakter wie Sasuke konnte man nicht täuschen, zumal er nicht einen Moment an ihrem Interesse gezweifelt hätte, selbst wenn sie ihn nicht eines Blickes gewürdigt hätte. Man muss sagen, dass Sasuke selbstbewusst war und nicht eingebildet, denn eingebildet waren die vielen Herzen zu seinen Füßen gewiss nicht. Es würde nicht lange dauern, bis er auch das weibliche Miya-So ohne Zutun oder Absicht für sich gewonnen hatte. Mit diesen Gedanken im einen Körper und einem Herzklopfen im anderen verging der Abend recht schnell. Sasuke verabschiedete sich nach dem Dessert, wonach es für die unverheirateten Damen keinen Grund mehr gab, präsent zu bleiben. Möglichst unauffällig ließen sie sich auf ihr Zimmer entschuldigen, in das sie sogleich stürmten. Keine der beiden konnte lange mit ihren Eindrücken hinter dem Berg halten. "Er ist heiß!", rief Sakura aus. Unterstreichend legte sie eine Handfläche auf ihr Herz. "Er ist ein arroganter Idiot!", erwiderte Sayuri, die von den Empfindungen ihrer Schwester mehr als überrascht war. "Du warst nie auf solche Typen scharf! Bitte, tu mir das nicht an! Du weißt, dass er Unglück über dich bringen wird!" Sayuri besaß weitaus mehr Scharfsinn als Sakura, zumindest was ihre Mitmenschen anging. Während Sakura nämlich eine Theoretikerin war, war Sayuri eine Meisterin der Metaebene. "Du übertreibst." "Er hat kein einziges Wort gesagt!", beharrte Sayuri eisern. Sie würde ihre Schwester vor allem kommenden Unheil bewahren. "Vertrau mir, er ist nichts für dich." "Ja, ja, ich glaube dir." Aber obwohl Sakura so viel Überzeugung wie nur irgend möglich in ihre Worte legte, war doch nur Sayuri von ihrer Richtigkeit überzeugt. Im Stillen nahm sie sich nämlich vor, Sasuke Uchihas Herz zu erobern. Wie schwer das werden würde, stellte sich am nächsten Tag heraus. ɣ Tag zwei der Kreuzfahrt verlief ereignislos, bis Sayuri unabsichtlich die Information fallen ließ, dass Sasuke sich am obersten Deck des Schiffes bei den Aufpreis-Sonnenliegen befand. Sakura, bis jetzt am unteren Pool gelegen, erkannte ihre Chance. Sie würde nicht noch einmal denselben Fehler machen. Mit einer fadenscheinigen Ausrede verabschiedete sie sich auf ihr Zimmer, wo sie den schönsten Bikini anzog, den ihr Koffer zu bieten hatte. Er war von Gucci und außerdem das einzige Markenkleidungsstück, das sie besaß. Aber bei solchen Zielen musste man immer die schweren Geschütze ausfahren! Keine zehn Minuten nach Sayuris unvorsichtiger Erklärung, Sasuke im Vorbeigehen erkannt zu haben, stand Sakura auf dem obersten Deck, um ihm ebenfalls zufällig über den Weg zu laufen. Lange ließ er sich auch nicht suchen, denn seine helle Haut und sein schwarzes Haar stachen aus den wenigen Gästen heraus, die sich nachmittags noch draußen aufhielten. Inzwischen war es nämlich sehr windig geworden; ein Vorteil für Sakura, deren langes Haar verführerisch im Wind wehte. Um nicht sofort alles von sich preiszugeben, hatte sie eine lockere Bluse übergestreift, die ebenfalls heroisch flatterte. "Ah, Sasuke-kun", sagte sie erfreut, als sie sich neben ihn setzte. Aus ihrer Tasche kramte sie indes bereits ein Buch heraus, um sich häuslich niederzulassen. "Hm", machte er zur Antwort. Er schien sie auch keiner weiteren Reaktion würdigen zu wollen, also lag es nun an ihr, eine Konversation ins Rollen zu bringen. "Du warst gestern so schnell weg; ich hoffe, du hast dir den Magen nicht verdorben?" In ihrer Stimme schwang ein Stück ehrliche Sorge mit. "Nein", antwortete Sasuke trocken. Er hatte sich bisher kein Stück in seiner Liege bewegt, auf der er mit Sonnenbrille und Hemd bekleidet faulenzte. So schnell gab Sakura sich nicht geschlagen. "Ehrlich gesagt fand ich den Fisch nicht wirklich gut. Das liegt vermutlich daran, dass ich keinen Fisch mag. Zumindest ist es nicht meine Leibspeise. In Miso gibt es viel zu oft Fisch." "Bitte?" Ein erster Erfolg! Sakura konnte ja nicht ahnen, dass Sasuke nicht einmal zugehört hatte. "Miso, so wird das Miya-So-Internat umgangssprachlich genannt. Lustig, nicht wahr? Dabei hat es gar nichts mit Pastete zu tun!" "Aha." "Freust du dich schon darauf? Auf die Schule, meine ich." Keine Antwort. "Es ist wirklich toll dort. In Japan gibt es normalerweise keine Internate, nur Ganztagsschulen. Oder wusstest du das schon? Ich habe keine Ahnung, wie es in Amerika ist. Vielleicht ähnlich. Jedenfalls ist es ja auch gar kein richtiges Internat. Eigentlich ist es eine Ganztagsschule, die Schlafmöglichkeiten anbietet. Also eine Schule mit Hotel quasi. Rein politisch gesehen darf man ja gar nicht Internat sagen. Fernab der familiären Streitigkeiten und Probleme, das ist sehr befreiend. Die meisten sind begeistert von der Schule, weil sie sich freier entfalten können als Zuhause." "Aha." "Du wirst sehen, es wird die gefallen. Es gibt noch eine Besonderheit. Das Schuljahr geht in Japan eigentlich von April bis März, allerdings sind wir eine internationale Schule, darum ist unseres sehr westlich orientiert, also von September bis April, wenn man wie wir in die Abschlussklasse geht. Ferien gibt's leider trotzdem nur sehr wenige. Normalerweise dauert die Oberstufe auch nur drei Jahre, aber in Miya-So dauert sie vier Jahre, dafür musst du für die Richtung, in der du deinen Abschluss hier machst, auf keiner Universität in ganz Japan eine Aufnahmeprüfung bestehen. Die meisten nehmen deshalb Naturwissenschaften, weil es das breiteste Spektrum hat. Was hast du genommen?" "Wirtschaft." Sakuras Herz machte einen gewaltigen Satz, während ihre Augenbrauen sich enttäuscht zusammenzogen. Zum Glück konnte Sasuke das hinter ihrer Sonnenbrille nicht sehen, sonst wäre er sofort gegangen. "Das ist sicherlich interessant! Ich hab Naturwissenschaften gewählt. Aber wenn wir in dieselbe Klasse kommen haben wir die Grundkurse trotzdem zusammen. Dann würdest du gleich jemanden kennen, das erleichtert dir den Einstieg. Und wenn du mal Hilfe brauchst, kannst du dich an mich wenden." "Das wird nie nötig sein." Langsam ging sie ihm gehörig auf die Nerven. Wie konnte ein Mensch nur so viel plappern, wenn er keine Antwort erwarten durfte? Was machte das für einen Sinn? Sakura ließ sich durch die abweisende Art aber gar nicht abschütteln; im Gegenteil. "Weißt du, ich mag Leute wie dich. Die Unnahbaren, die Mysterien dieser Welt. Ihr habt was an euch, das jedes Mädchen schwach werden lässt. Das gefällt mir. In Wahrheit sind nämlich genau die Unfreundlichsten die wunderbarsten Freunde." "Okay. Das reicht." Vollends genervt stand Sasuke auf, strich sich die Badehose glatt und wandte sich wieder zu Sakura. Er wollte ihr sagen, wie sehr sie ihm auf die Nerven ging, wie wenig er an ihrer Freundschaft oder gar Bekanntschaft interessiert war und wie wenig er auf ihre gottverdammte Meinung gab. Aber wozu? Sie würde es eh nicht verstehen. Deswegen nahm er nur sein Handtuch und ließ sie einfach sitzen. Wie bescheuert konnte man eigentlich sein? Seine Schweigsamkeit hätte doch ein Indikator für sein Desinteresse an ihrer Person sein sollen! Aber nein, er musste ja so verflucht gut aussehen, das war eine Qual! Manchmal wünschte er sich, hässlich zu sein. Und das war nicht etwa ein Wunsch, der einer flüchtigen Emotion entsprang, sondern eine lang aufgebaute Hoffnung, bald einen schrecklichen Autounfall zu haben, bei dem sein Gesicht entstellt werden würde. ɣ Die nächsten Tage auf der Tropicana Balia versuchte Sakura nicht mehr Sasuke näher zu kommen. Sie hatte noch viel Zeit. Er würde immerhin auf dieselbe Schule gehen, was ihr sehr gelegen kam. Zudem war es nicht gerade schicklich für ein Mädchen, sich allzu sehr aufzudrängen. Sie wollte sich eher an die westlichen Sitten halten, die den Männern den Vorzug der Wahl überließen. Nun müsste seine Wahl nur noch auf sie fallen. Aber das würde schon werden. Sie war immerhin nicht gerade hässlich und dumm, ganz und gar nicht. "Träumst du schon wieder?" Sayuri war vom Balkon zurückgekehrt. "Wenn dir auf Booten immer schlecht wird solltest du dich nicht nahe der Wellen aufhalten", riet Sakura abwesend. Sie war damit beschäftigt sich Kunstlilien ins Haar zu stecken, die farblich perfekt auf ihr heutiges Kleid abgestimmt waren. "Denkst du, das ist zu übertrieben?" "Nein. Nichts ist für heute übertrieben. Heute ist ein Tag zum Feiern! In weniger als zwölf Stunden verlassen wir endlich diesen schwimmenden Käfig!" Sayuri seufzte erleichtert. In der Tat war heute der letzte Abend, den sie auf dem Kreuzer verbringen würden. Sechs Tage waren sie nun hier gewesen und diese Tage waren wie im Flug vergangen! Sayuri hatte sich mit einigen anderen Jugendlichen angefreundet und die Decks unsicher gemacht, während Sakura sich bemüht hatte, immer gut auszusehen, falls Sasuke ihr über den Weg laufen würde. Ein paar Mal hatte sich diese Gelegenheit sogar ergeben, doch er hatte sie entweder nicht bemerkt oder absichtlich ignoriert oder war so perfekt im absichtlichen Ignorieren, dass er sie gewollt nicht bemerkt hatte. Jedenfalls hatte es auch keine anderen Möglichkeiten gegeben, ihm näher zu kommen. Ihre Eltern hatten zwar noch einmal miteinander gespeist, doch Sasuke hatte sich aufgrund von Unwohlsein entschuldigen lassen. Sakura hatte sich also mehr oder minder fürs erste geschlagen geben müssen. Statt auf Sasuke Jagd zu machen, hatte sie sich die letzten beiden Tage darauf besonnen, mit seiner Schwägerin Freundschaft zu schließen, doch die anfängliche Sympathie war bald verraucht und die wenigen Gemeinsamkeiten einer achtzehnjährigen Schülerin mit einer dreiundzwanzigjährigen Designerin waren schneller erschöpft als beiden lieb war. So endete die Kreuzfahrt mit einem pompösen Fest, an dem alle Passagiere herzlich eingeladen waren. Es war der letzte Hoffnungsschimmer für diese Woche, denn die Uchihas verstanden sich so gut mit den Harunos, dass Erstere Letztere einluden, gemeinsam einen großen Tisch zu reservieren, an dem man ein letztes Mal entspannt zusammensitzen konnte, bevor der stressige Alltag wieder losgehen würde. Ob man die Bekanntschaft auch weiterhin aufrecht erhalten wollte, blieb aber ungeklärt. Die Festivität war der Grund für Sakuras Bedacht, die sie auf ihr Äußeres verwendete. Sie war natürlich immer gut gekleidet, das wurde in diesen Kreisen erwartet, aber heute gab sie sich besondere Mühe mit den sanften Wellen ihres Haares und dem teuren Make-Up. "Wieso machst du dich so hübsch?", wollte Sayuri wissen. Sie lag gelangweilt auf dem Doppelbett, den Blick gen Decke gewandt. "Doch nicht etwa Uchiha wegen?" "Ich habe meine Strategie geändert", klärte Sakura konzentriert auf, als sie einen perfekten Kayalstrich zog. "Lass mich raten, du willst ihn mit deiner Schönheit so verzaubern, dass er gar nicht anders kann als dich zu heiraten?" Sayuri wurde süffisant: "Das wird nicht funktionie-hie-ren." "Blödsinn! Ich werde ihm zeigen, was er verpasst. Heute muss er zum Essen kommen, ihm bleibt gar nichts anderes übrig. Bei solchen Gelegenheiten wird ja immer das Tanzbein geschwungen. Papa wird Mama auffordern, Itachi-san wird natürlich mit Nanami-san tanzen und Uchiha Senior vermutlich mit seiner Frau. Dann bleiben nur mehr Sasuke und ich. Perfekt, oder? Ganz zufällig bin ich eine hervorragende Tänzerin. Das muss einfach klappen!" Sayuri zweifelte stark daran, doch vielleicht war eine Abfuhr genau das, was ihre liebestolle Schwester brauchte, um wieder auf die Erde zurückzukommen. Vielleicht… Als es endlich dunkel wurde, wurde der große Saal eröffnet. Es war ein imposanter Raum mit rotem Teppich, Galerie, schweren Mahagonitischen und hochwertigem Tafelsilber. Am vorderen Ende spielte ein Kammerorchester eine angenehm plätschernde Melodie. Vor dem Podium befand sich eine große Tanzfläche, deren helles Parkett sich vom dunklen Teppich abhob. Das war Sakuras Ziel. Und sie würde es erreichen. Der runde Tisch der beiden Familien war einer der besten des Saales. Fugaku hatte offensichtlich seine Beziehungen spielen lassen. Noch nie waren die Harunos bei einer solchen Veranstaltung direkt an der großen Fensterfront gesessen, deren Tische stets mit hochrangigen Politikern oder Wirschaftsmogulen gesäumt waren. Die Uchihas zu kennen zahlte sich in jedem Fall aus, eindeutig! Sogleich wurden die Gäste zu ihren Tischen gebracht und noch bevor sie dort ankamen, hatte Mikoto ihr Entzücken über Sakuras schulterfreies weißes Kleid geäußert. Sie lobte den guten Modegeschmack, die für junge Damen angemessene Knielänge, die ja sonst prinzipiell unterschritten wurde, und die wunderschön aufgebügelten Falten des Rockteils—ob Sakura das selbst so perfekt hinbekommen habe? "Natürlich. Man mag es mir nicht ansehen, aber Hausarbeit erledige ich mit Links." Sakura warf dabei einen verstohlenen Seitenblick zu Sasuke, der in seinem schwarzen Anzug und dem schwarzen Hemd mehr als nur unverschämt gut aussah. "Aber ihr seid ja alle so reizend gekleidet", setzte Mikoto wieder an, die mit Argusaugen beobachtete, wie sich ihr Jüngster und Harunos Älteste miteinander vertrugen. "Sayuri-chan ist genauso gut gekleidet, da weiß man gar nicht, wo man mit der Bewunderung anfangen soll. Dieses Blau passt so schön zu deinen Augen! Aber ist der Rock nicht ein wenig zu eng zum Tanzen?" "Ich tanze nicht. Sakura ist die bessere Tänzerin von uns beiden; das heißt, ich kann es eigentlich gar nicht. Sport liegt mir mehr. Radfahren, Schwimmen und so weiter." "Ich verstehe. Dann freue ich mich schon darauf, dich heute Abend übers Parkett wirbeln zu sehen, Sakura-chan." Die Angesprochene wurde rot angesichts der Vertrautheit, die in Mikotos Stimme mitschwang. Ihr Vater ergriff bei dieser Gelegenheit das Wort. "Ich bin mir sicher, Sakura wird uns heute noch alle in den Schatten stellen. Da können wir alte Eisen nicht mehr mithalten. Sie ist sehr begabt." "Daran besteht kein Zweifel", pflichtete Fugaku fachmännisch bei. "Sie verfügt über eine Grazie, die beneidenswert ist. Zudem ist ihre Statur von Vorteil. Große Frauen wirken beim Tanzen nie besonders anmutig." In dieser Art ging das Gespräch weiter. Bald wurden die Komplimente auch schon unglaubwürdig, weil sich jeder an förmlicher Freundlichkeit übertrumpfen wollte, sodass man von den Vorzügen der Kinder abließ. Um nicht ins Stocken zu geraten, vertieften sich die verheirateten Herren erneut in eine wirtschaftliche Konversation, welche das einzige Gebiet war, in dem sie ohne Zwänge miteinander reden konnten. Das Thema schien auch niemals ein Ende zu finden. Die Damen der Runde sahen sich sodann gezwungen, über Sasuke zu mutmaßen. Er bildete das ideale Ziel für hochtrabende Lobreden der fremden und bescheidene Abtaten der eigenen Mutter. Dem Objekt des allgemeinen Interesses passte das natürlich gar nicht. Wie auch? Er mochte Aufmerksamkeit ohnehin nicht, vor allem nicht von peinlichen Glucken, die sogar seinen Haaransatz in den Himmel rühmten. Er hatte nämlich angeblich einen sehr schönen und würde demnach erst sehr spät eine Glatze bekommen. Na, das war doch mal eine Nachricht. Ohne die hätte er keinen weiteren Tag überstanden. Doch Sasuke war ein Meister des Gleichmuts. Genauso wie er das Geschwätzt liebeskranker Mädchen mit einem hohen Maß an Gleichgültigkeit ertrug, ließ er auch diese Feststellungen würdevoll über sich ergehen. Die Schwestern waren die einzigen, die sich nicht an den Vergötterungen beteiligten, in denen sich Mikoto, Mebuki und Nanami verrannt hatten. Erst war es ihm gar nicht aufgefallen, aber nachdem der Hauptgang abserviert worden war, bemerkte er, wie sie immer wieder kurze Sätze miteinander austauschten, die scheinbar die jeweils andere dermaßen aufregten, dass keine der beiden ihren Teller leeren konnte. Die Hälfte des Steaks ging somit zurück und auf die Frage, Kizashis Frage, wieso sie nicht aufgegessen hatten, antworteten sie kurz angebunden damit, kein westliches Essen zu mögen. Der wahre Grund blieb verschwiegen. Dieser Grund, den Sasuke in Windeseile als Streit entlarvt hatte, hielt das ganze Dinner über an. Sakura hatte tatsächlich mit Sayuri gestritten, allerdings nicht so, wie man sich einen Streit vorstellte. Es ging dabei—natürlich—um Sasuke, der die letzten Tage sowieso der einzige Inhalt von Sakuras Taten, Worten und Gedanken war. Der Jüngeren ging das gehörig auf die Nerven, weswegen sie ihre Schwester alle paar Minuten ermahnte, nicht zu auffällig zu ihm zu sehen. Sakura hingegen fand ihr Verhalten gar nicht auffällig und so hatte sich eine kindische Diskussion hochgeschaukelt, die jedoch nach dem Dessert wieder passé war. Nach diesem galt es nämlich anderen Dingen die vollste Aufmerksamkeit zu widmen. Und diese drehten sich alle darum, Sasuke als Tanzpartner zu gewinnen. Kizashi machte den Anfang, indem er seine Frau wie ein Gentleman bat, den nächsten Walzer mit ihm zu teilen. Fugaku folgte alsbald seinem Beispiel, nachdem er einen Meinungsaustausch mit seinem älteren Sohn beendet hatte, in dem es darum ging, ob Einzelaktien oder Aktienpakete sinnvoller waren. Man sah ihm an, dass er in diesen Kreisen aufgewachsen war, denn wo es Kizashi bei der Aufforderung an Eleganz und Geschmeidigkeit gefehlt hatte, strahlte Fugaku in vollendeter Perfektion. Wenn Sasuke auch nur halb so charmant war, dann wäre es völlig um Sakura geschehen! Doch es sollte nicht soweit kommen. Itachi zeigte keinerlei Anstalten, Nanami zum Tanzen aufzufordern, was daran lag, dass er es nicht konnte. Sie schien es auch nicht zu erwarten. Nun war der schöne Plan also dahin. Statt alleine mit Sasuke an einem Tisch zu sitzen, musste sich Sakura durch eine träge Konversation mit Nanami quälen, zu der scheinbar keiner außer ihnen beiden etwas beisteuern wollte. Auch wenn sie immer wieder Andeutungen machte, wie schön eine Rumba doch für Verliebte sei, weder Itachi noch Sasuke ließen sich dazu bewegen, einen Fuß zu rühren. Es lag also—wieder einmal—an ihr selbst, die Initiative zu ergreifen. Es gehörte sich eigentlich nicht für eine Frau, jemanden um einen Tanz zu bitten, aber etwas anderes blieb ihr nicht übrig. "Sasuke-kun, kannst du tanzen? Ich habe keinen Partner, also habe ich mich gefragt, ob du vielleicht…" "Nein." Eine niederschmetternde Antwort, die ihr für den Moment jedwede Lust raubte, länger hier zu bleiben. Mit einer so entschiedenen Abfuhr hatte sie nicht gerechnet. Doch plötzlich stand Sasuke auf. Sie dachte schon, er würde gehen, doch stattdessen ging er um den Tisch und blieb hinter den Harunoschwestern stehen. "Dürfte ich um den nächsten Tanz bitten?" Er hielt seine Hand genau zwischen die beide. Sakuras Herz machte einen Hüpfer. "Ich dachte, du würdest nicht–" "Ich meinte eigentlich Sayuri-chan." Was in Sakura vorging war schwerlich zu beschreiben. Nicht einmal sie selbst hatte eine Ahnung, wie sie sich nun fühlen sollte. Ihre kleine Schwester war immer in ihrem Schatten gestanden und nun bekam sie gerade den Jungen, an den sie selbst im ersten Augenblick ihr Herz verschenkt hatte? Das durfte nicht wahr sein! Sie durfte jeden haben, egal wie er aussah und wie reich er war, solange es nicht Sasuke Uchiha war! Sayuri indes war viel zu perplex, als dass sie hätte reagieren können. Mit angemessener Verwirrung ließ sie sich am Handgelenk aufziehen und auf die Tanzfläche führen. "Was sollte das?!", zischte sie erbost, als sie sich wieder gefangen hatte. Sasuke konnte gut führen, sodass selbst eine blutige Anfängerin wie sie den Takt halten konnte. "Ich mache absichtlich keine Grundschritte, sondern gehe nur im Takt mit. Wenn es dir zu anspruchslos ist, dann sag es. Die Basissachen hab ich drauf." "Du hast meine Frage nicht beantwortet!" "Was denkst du denn?", wollte er wissen, ohne sie anzusehen. Sayuri brauchte nicht lange zu überlegen. "Ich denke, du willst meine Schwester beleidigen, indem du mich ihr mit einer Sache vorziehst, die du ihr selbst wenige Sekunden vorher verwährt hast." Er antwortete nicht darauf, was Sayuri als Bejahung verstand. "Menschen wie du machen mich wütend. Wenn du sie ihres Charakters wegen nicht magst, dann sag ihr das ins Gesicht. Man kann ja nicht jeden mögen. Aber wenn du sie aus Prinzip nicht leiden kannst, gib' ihr zumindest eine Chance. Sei nicht so großkotzig und glaub, dass dir die Welt zu Füßen liegt." Sasuke verzog die Mundwinkel nur unbeeindruckt zu einem emotionslosen Lächeln. "Danke für den Rat, Sayuki-chan, den werd ich mir merken." Damit ließ er sie auf der Tanzfläche stehen und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen aus dem Festsaal, in dem er drei irritierte Ehepaare, eine verärgerte Sayuri und eine bis aufs Blut gekränkte Sakura zurück. "Ich heiße Sayuri!", kreischte sie ihm mit zu Fäusten geballten Händen nach. Das war das peinliche offizielle Ende der Tropicana Balia-Augustkreuzfahrt. . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)