Dicembre von gluecklich (26 Tage Weihnachten) ================================================================================ Kapitel 23: Einundzwanzigster Dezember -------------------------------------- Ein bisschen tat es immer noch weh. Tsuna stand in seinem Zimmer und starrte aus dem Fenster, und mittlerweile ging es, wenn er stand, wenn er saß, wenn er lag. Es war jetzt wieder in Ordnung. Aber er spürte es noch immer. Immerhin war es nirgends sichtbar. Die Bisswunde, die heute aus zwei blassblauen Linien bestand, war in seiner Halsbeuge und damit gut unter seinem Hemd zu verstecken. Die restlichen Hämatome, die ihm noch das Leben schwer machten, waren an Stellen, die sowieso niemand zu Gesicht bekam. Niemand außer Xanxus. Tsuna schloss die Augen, lehnte sich nach vorn und legte seine Stirn gegen das kalte Glas. Seine Hand umklammerte den Türgriff, und er wollte diese verfluchte Tür aufreißen und vom Balkon in den Garten springen, und von dort aus rennen, einfach nur rennen, egal, wohin, durch die kalte Dezemberluft und irgendwohin, wo er nachdenken konnte. Wo er nicht hier war. In diesen Zimmern fiel ihm die Decke auf den Kopf, er konnte sich nicht konzentrieren, er wusste nichts mehr. Er wusste nicht, was mit ihm los war. Er wusste nicht, was mit ihm nicht stimmte. Tsuna kniff die Augen zusammen, presste malmend seine Zähne aufeinander und öffnete schließlich die Lider wieder, starrte verkrampft die kahlen Bäume und das grotesk grüne Gras da draußen an. Was sollte das? Wieso hatte er sich nicht gewehrt? Wieso hatte er nichts getan? Wieso tat er nun noch immer nichts, wieso ging er nicht los, um Xanxus Konsequenzen spüren zu lassen, wieso holte er sich nicht Hilfe von irgendwem? Und wieso klangen diese Fragen so verflucht falsch, gleich von Anfang an? Es lag auf der Hand, wieso er sich nicht gewehrt hatte. Es lag auf der Hand, wieso er sich jetzt immer noch nicht wehrte. Tsuna hatte sich wirklich größte Mühe gegeben, das Ganze auf den Alkohol zu schieben. Er trank nicht oft, er vertrug kaum etwas, und ja, an diesem Abend hatte er übertrieben. Er hatte nicht auf sich geachtet, weil er mit den Gedanken woanders gewesen war – bei Xanxus, ironischerweise. Weil er sich Sorgen gemacht hatte um diese »Zusammenarbeit«, die so verflucht gefährlich wirkte und von der er nicht sicher war, ob sie nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Darüber hatte er sich Gedanken gemacht, und dann hatte er zu viel getrunken und dann war das passiert. Ein Fehltritt im Rausch. Sonst nichts. Hatte er versucht, sich zu sagen. Aber spätestens, als er sich sicher gewesen war, dass er wieder vollkommen nüchtern war, hatte das nicht mehr geklappt. Weil der bloße Gedanke daran ihm immer noch Konzentrationsprobleme bescherte. Weil er sich sicher war, dass er sich auch jetzt nicht wehren würde. Weil er das fürchterliche Gefühl hatte, dass ihm das alles irgendwie gefallen hatte. Und weil er das fürchterliche Verlangen danach hatte, es noch einmal zu erleben. Ohne Alkohol. Voll und ganz. Die Besprechung mit Xanxus heute hatte er sich natürlich nicht deshalb organisiert. Gott, er wusste doch, wie Xanxus tickte, was das betraf. Er hatte One-Night-Stands, kurze Affären, sonst nichts. Er wiederholte nicht. Für ihn war das wahrscheinlich etwas Einmaliges gewesen, nur eine kleine Spielerei mit einem betrunkenen Jungen. Hätte man Tsuna vorher gefragt, ob Xanxus auch was mit Kerlen anfing, hätte er wohl erschrocken reagiert und den Kopf geschüttelt. Jetzt, da er darüber nachdachte, überraschte es ihn eigentlich nicht. Eigentlich überraschte ihn bei diesem Menschen überhaupt nichts mehr. Er wollte nicht zu dieser Besprechung. Erneut kniff Tsuna die Augen zu, presste seine Stirn gegen das Glas und wünschte sich, er könne einfach in diesem Fenster verschwinden und nicht mehr da sein. Er musste mit Xanxus reden, weil sich die Zeit der Gäste in Japan langsam dem Ende zuneigte, aber er wollte ihm nicht unter die Augen treten. Die Gefahr war zu groß, dass er irgendetwas bemerkte. Tsuna wusste, wie leicht er zu durchschauen war. Deshalb hatte er Angst. Er hatte Angst, dass Xanxus bemerkte, wie sehr er ein zweites Mal wollte, oder – schlimmer noch – wie sehr er glaubte, dass er ihn brauchte. Diese letzte Person, die ihn nicht behandelte wie ein Boss. Diese letzte Person, bei der er Verantwortung und Kontrolle abgeben und sich einfach gehen lassen konnte. Irgendetwas stimmte wirklich nicht mit ihm. Lang atmete Tsuna aus, sodass die Scheibe vor seinem Gesicht beschlug und sich warm und feucht anfühlte, dann löste er sich endlich vom Fenster und drehte sich zur Tür. Eine zitternde Hand fuhr flüchtig durch sein wirres Haar, dann riss er sich zusammen und stürzte sich ins Gefecht. Er hatte damit gerechnet, dass Xanxus darüber sprechen würde. Wie auch immer. Dass er sich darüber lustig machen würde, oder direkt über ihn, oder dass er vielleicht anfing zu drohen, damit Tsuna niemandem davon erzählte. Er hatte erwartet, dass irgendetwas passierte. Er konnte doch nicht der einzige sein, der mit irgendwelchen Folgen leben musste, irgendetwas da draußen, außerhalb von ihm, musste sich doch auch tun. Mindestens bei Xanxus. Aber er war so undurchsichtig wie immer. Er saß nur da, mit ausgestreckten Beinen und gelangweiltem Gesichtsausdruck, und sprach mit ihm über die Arbeit. So, als sei gar nichts passiert. Sie würden sich um mehr Kontakt bemühen. Damit Xanxus weiterhin ein Mitspracherecht in den Plänen der Vongola hatte und es ihm weiterhin sagen konnte, wenn sie nicht ausreichend für die Mafiawelt waren. Sie würden mehr Schriftverkehr aufrecht erhalten. Und sie würden sich öfter treffen. Tsuna wurde schlecht von diesem Teil in ihm, der sich darüber freute. Tsuna wurde von allem schlecht. Tsuna hatte Angst, weil er wusste, dass er nichts gegen das unternehmen würde, was auf ihn zukam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)