Dicembre von gluecklich (26 Tage Weihnachten) ================================================================================ Kapitel 6: Krisensitzung [Adventsbonuskapitel] ---------------------------------------------- Achtung: Dieses Kapitel spielt außerhalb des eigentlichen Universums der FF. "Ich brauch einen Freund mit weiten Armen Ich brauch einen Freund, der kein Erbarmen kennt Der mich zu Boden ringt, ich tob und rase Ein Tuch mit Äther über Mund und Nase. Ich brauche tiefste schwarze Nacht hinter meinen Lidern Ein Gift gegen den Schmerz in meinen Gliedern Ich brauch einen Schuss Feuer in meine Venen Ich brauch eine Bahre, Blaulicht und Sirenen. Ich brauch, ich brauch, ich brauche Licht Bring mich nach Hause Ich bin schon zu lang hier draußen Komm und trag mich – frag nicht wieder, wohin Ich will nach Hause Ich bin schon zu weit hier draußen Komm und trag mich – schlag mich nieder Ich bin nicht still genug." (Wir sind Helden – Bring mich nach Hause) Sie standen nur gute drei Meter voneinander entfernt und doch schienen Welten zwischen ihnen zu liegen. Das Halbdunkel der beginnenden Nacht um sie herum schien eine zusätzliche Barriere aufzurichten, eine massive Wand, die es zu durchbrechen galt. Alles, was bis zur jeweils anderen Seite durchdrang, waren die wachen, gefährlich verengten Augen – und die Flammen. Krisensitzung. So nannte man das, was sie hier seit Stunden taten, an der Spitze der Vongola. Krisensitzung. Tsuna war ungern in den Hyper Dying Will Modus gegangen, aber nun gab es kein Zurück mehr. Würde er diesen Zustand jetzt wieder verlassen, wäre er genauso tot wie der Rest. Und mehr Verluste konnten sie sich definitiv nicht leisten. Die Gegner waren längst weg. Sie hatten sich zurückgezogen; theoretisch war es also ein Unentschieden, aber es fühlte sich an wie eine Niederlage. Vor allem für ihn. Tsuna war müde, er wollte nicht mehr kämpfen, er wollte nach Hause, zu seinen Freunden, und endlich seine Wunden versorgen lassen. Aber spätestens, als die Narben wieder begonnen hatten, über sein ganzes Gesicht zu wuchern, hatte er gewusst, dass er keine andere Wahl hatte. Diese Schlacht war noch nicht vorbei. Seine Wächter waren verletzt. Sie würden eine ganze Weile lang außer Gefecht sein, aber zumindest hatten sie überlebt. Und das hatten sie dem Schutz der Varia-Offiziere zu verdanken – die Dafür zu einem Großteil ihr Leben gelassen hatten. Squalo und Fran waren bereits abtransportiert worden – die einzigen Überlebenden. Selbstverständlich würden sie die beste Behandlung bekommen, aber selbst damit war es nicht sicher, ob sie je wieder auf ihr ursprüngliches Level würden kommen können. Die Flamme in Xanxus‘ Hand flackerte. Er hatte drei seiner besten Männer einbüßen müssen, und das nur, um Leuten Rückendeckung zu geben, die er hasste – und dennoch war der Gegner davongekommen. Tsuna verstand, wie er dachte. Tsuna wusste, dass das mehr als nur eine Niederlage für Xanxus war, und dass man sein Ego dem Erdboden gleichgemacht hatte. Aber Tsuna wusste eben auch, dass Xanxus in diesem Zustand unberechenbar war. Und dass es leider viel zu nah lag, dass er nun loszog und Scheiße baute. Also hatte er versucht, ihn auszubremsen. Wahrscheinlich war er ein bisschen selbst an dieser Situation schuld. Er hatte ihm gesagt, er solle sich zusammenreißen. Das hatte ihm den Rest gegeben. Sie hatten »gestritten«. Lautstark, und es hatte keine fünf Sekunden gedauert, bis sie sich zeitgleich auch geprügelt hatten. Tsuna hatte nicht gewollt, aber verdammt nochmal, er musste sich verteidigen. Und er musste diese verfluchte Sache mit Xanxus klären. Krisensitzung. Hier standen sie nun also, beide blutig geschlagen, beide keuchend, und beide bereit, noch weiter zu machen. Mit welchem Ziel auch immer. »Worin soll das enden?«, fragte Tsuna schließlich. »Ich dachte, auf die sinnlosen Prügeleien könnten wir mittlerweile verzichten.« »Das können wir dann wieder, wenn du mich vorbeilässt.« Tsuna schnaubte. Er würde ihn nicht vorbeilassen, nicht jetzt, nicht so, weil Xanxus entweder einen Haufen unschuldiger Menschen umbringen würde, oder sich selbst, in dem Versuch, seine Varia zu rächen. Und das konnte er nicht verantworten. Schon gar nicht letzteres. Aus viel zu vielen Gründen. »Ich kann dich nicht gehen lassen«, sagte er also. »Du bist zu wichtig.« Er war ihm zu wichtig, Tsuna zählte auf diesen Idioten, Tsuna brauchte diesen Idioten. Und er wusste, dass der Idiot ihn früher oder später auch brauchen würde. Weil er jede Hilfe brauchte, die es nur gab. Es hatte damit angefangen, dass Tsuna vor Jahren, als er den Boss-Job wirklich und endgültig übernommen hatte, festgestellt hatte, wie essenziell die Varia für die Vongola war. Er hatte gelernt, dass er ihre herausragenden Fähigkeiten brauchte, wenn er die Famiglia weiterhin dort halten wollte, wo sie war. Er hatte gelernt, dass die Varia mindestens so erfolgreich bleiben musste wie jetzt. Und er hatte verstanden, dass es fast nur auf Xanxus‘ Gemütszustand ankam, ob sie das tat oder nicht. Das Wohl der Varia hing davon ab, wie es sich mit Xanxus‘ Psyche verhielt. Und seit Tsuna diesen Mann kannte, konnte er beobachten, wie es mit genau jener Psyche stetig bergab ging. Also hatte er irgendwann angefangen, sich mehr und mehr mit Xanxus auseinander zu setzen. Tsuna konnte nicht ändern, wer er war. Er bekam Mitleid, er bekam Verständnis, und er bekam den unbändigen Drang, diesem emotional verkrüppelten Trottel unter die Arme zu greifen – offiziell, damit die Varia überlebte. Inoffiziell, weil es sich einfach nur richtig anfühlte. Aber Xanxus war eben jemand, der sich nicht einfach so unter die Arme greifen ließ. Dafür mussten gewisse Register gezogen werden. »Du traust mir nicht zu, zu gehen, ohne dass ich dabei verrecke?«, fragte Xanxus, leise, kaum hörbar, bedrohlich. Eine Fangfrage. Nicht direkt antworten. Etwas Wichtiges, was man lernen musste, wenn man mit Xanxus zu tun hatte. Tsuna sah ihm in die Augen, auch seine Stimme war leise, gefasst, eindringlich. »Du treibst dich in den Ruin.« Etwas in Xanxus‘ Mimik zuckte. Zu weit. Tsuna ging zu weit, wurde zu persönlich, kam ihm zu nah. Aber das war ihm vollkommen egal. Er würde tun, was getan werden musste, damit Xanxus auch nur halbwegs bei Verstand blieb. Und wenn das die ganze Nacht dauerte. Er konnte das Knurren hören. Es war ganz leise, ganz kurz, ganz weit hinten in seiner Kehle. Aber Tsuna konnte es hören. Er konnte den Sekundenbruchteil spüren, in dem Xanxus‘ Finger zuckten. Konnte sehen, wie sich seine Muskeln anspannten. Konnte erahnen, wie er sich in seine Richtung stürzen würde. Tsuna würde nie etwas sagen können, was Xanxus‘ Selbstbewusstsein nicht mindestens ein wenig stutzen würde. Es würde immer so bleiben, wie es schon immer gewesen war – weil allein seine Existenz schon ein Dämpfer für Xanxus‘ Ego war. Aber das scherte Tsuna nicht mehr. Er war längst nicht mehr der kleine Junge, der sich um die Herkunft seiner Feinde sorgte. Er war der Boss. Er, nicht Xanxus. Und es war an der Zeit, den sturen Psychopathen das spüren zu lassen. Sie trafen sich in der Mitte, Tsuna hielt die Arme fest, die auf ihn zugeflogen gekommen waren, umklammerte Xanxus‘ Handgelenke mit einer Kraft, die beide zu überraschen schien, und für einen kurzen Moment schwebten sie einfach nur dort in der Luft, ein gescheiterter Angreifer und die standhafte Verteidigung. Dann fielen sie. Tsuna versenkte sein Knie in Xanxus‘ Bauch, im gleichen Moment kam Xanxus hart rücklings auf dem Boden auf. Als die Luft aus seinen Lungen entwich, drang ein erstickter Laut aus seiner Kehle, er starrte an Tsuna vorbei und sah für eine widerliche Sekunde aus, als sei er tot, dann verzog er schmerzlich das Gesicht und versuchte gleichzeitig, sich loszureißen und Tsuna von sich zu treten. Aber Tsunayoshi hatte dazugelernt. Schwer wie Eisen lagen seine Beine auf Xanxus‘ Beinen, er würde sich jetzt nicht mehr abwerfen lassen, er würde jetzt ausreden, er würde jetzt dafür sorgen, dass er dort liegen blieb und auf ihn hörte, und wenn es sein musste, gottverdammt, dann würde er seine Beine auch ein weiteres Mal an den Boden festfrieren. Es ging doch nur um Xanxus selbst. Würde der Dummkopf das nur endlich verstehen. Noch immer hielt Tsuna seine Handgelenke, presste sie so fest er konnte in den lehmigen Boden unter ihnen, hielt sich die Flamme vom Leib. Egal, ob Xanxus das Zittern seiner Arme dabei sah. Egal, ob er Xanxus damit vielleicht das Blut in den Händen abdrückte. Er konnte ihn nicht gehen lassen. »Du treibst dich – in den – Ruin«, wiederholte Tsuna ein weiteres Mal, langsamer, noch deutlicher, als spräche er mit einem begriffsstutzigen Kind. Das Gefühl hatte er oft genug. »Und das kann ich nicht verantworten. Du weißt sehr genau, dass die Vongola dich braucht –« »Du weißt sehr genau, dass ich einen Scheiß darauf gebe, ob du und deine Missgeburten mich brauchen«, fauchte Xanxus. Malmend biss Tsuna die Zähne zusammen. Ein kurzer Ruck ging durch seinen Körper, er verstärkte den Druck auf seinen Beinen, seinen Armen. »Lass mich ausreden«, befahl er, und nun war seine Stimme nur noch ein Raunen, und für einen Moment sah es so aus, als habe Xanxus just in diesem Augenblick erst verstanden, dass Tsuna kein vierzehnjähriger Junge mehr war. Das war gut. Denn genau darauf wollte er hinaus. »Es ist nicht mehr so wie früher«, sagte er leise. »Wir sind keine Gegner mehr, Xanxus. Wir müssen zusammenarbeiten, ob wir wollen oder nicht. Und ich weiß, dass du mich dafür hasst, und damit müssen wir beide klarkommen: Ich bin der Boss dieser Familie. Demnach ist es meine Aufgabe, mich darum zu kümmern, dass alle arbeitsfähig sind. Auch du. Und deshalb seh ich nicht länger dabei zu, wie du dich zerstörst.« Xanxus ballte seine Hände zu Fäusten. Einen Augenblick lang rechnete Tsuna damit, dass er wieder versuchen würde, sich loszureißen, ihn zu schlagen, doch wie es aussah, erlaubte ihm sein Stolz nicht mehr, solche sinnlosen Versuche zu starten. Immerhin etwas. »Seh ich aus, als könnte ich nicht auf mich selbst aufpassen?«, fragte er nur schroff. Tsuna schwieg, sah ihn nur an. Er blutete, seine Kleidung war an mehreren Stellen aufgerissen, er lag am Boden und war übersät mit Narben, von denen sie beide wussten, dass er sie sich letztendlich selbst zuzuschreiben hatte. Die Antwort erübrigte sich. Xanxus schnaubte. »Geh von mir runter, Abschaum«, befahl er gefährlich leise, doch der drohende Ton ging an Tsuna vorbei. »Du trittst auf der Stelle«, fuhr er nur fort, sah ihm hartnäckig in die Augen, hielt ihn hartnäckig am Boden fest. »Das tötet dich – du musst aufhören. Die Mafia verändert sich jeden Tag an irgendeiner Stelle, und du darfst nicht einfach stehen bleiben. Du musst dich anpassen. Du wirst älter, Xanxus, und die Gegner werden jünger, und so wird es immer weiter gehen. Hör auf, die Welt dafür zu hassen. Fang an, damit klarzukommen. Und wenn ihr die Elite seid, es wird immer jemanden geben, der euch das Wasser reichen kann. So wie heute. Du wurdest besiegt, Xanxus, akzeptier es. Renn ihnen nicht hinterher. Du bist kein Perpetuum Mobile, du bist verwundbar – egal, ob du dir das eingestehen willst oder nicht. Und wenn du jetzt aufstehst und diese Leute verfolgst, stürzt du dich und womöglich auch uns ins Verderben.« Tsuna atmete ruhig ein und aus, gab sich die allergrößte Mühe, sich von Xanxus‘ mittlerweile völlig ausdruckslosem Gesicht nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, und lehnte sich auf seine noch immer leicht zitternden Arme. »Du bist sterblich. Du trägst Verantwortung, es gibt Leute, die auf dich zählen. Ich muss mich auf dich verlassen können. Und ich will nicht, dass du gehst. Hast du verstanden?« Minimal zog Xanxus seine Augenbrauen zusammen, und er holte Luft und hob den Kopf etwas an und wollte etwas sagen, doch Tsuna ließ ihn nicht. »Es ist wichtig. Du bist sterblich. Sieh es endlich ein.« Wahrscheinlich hatte er seine Position als Vongolaboss noch nie in seinem Leben so sehr ausgenutzt. Und wahrscheinlich hatte er auch noch nie in seinem Leben das Gefühl gehabt, dass es so sehr nötig gewesen war. Und dass es funktioniert hatte. Xanxus sprach nicht aus, was er hatte aussprechen wollen, sah ihn einige Sekunden lang einfach nur an, dann schloss er die Augen, atmete leise aus und ließ den Kopf zurück auf die Erde fallen. Sein Atem ging flacher und er öffnete die Lider nicht mehr, aber Tsuna wusste, dass er noch bei Bewusstsein war. Es war ein einmaliges Bild, und doch wusste er ganz genau, wen und was er vor sich hatte. So sah ein Xanxus aus, wenn er resignierte. Schwach, mild, lächelte Tsuna, ließ dann langsam von seinen Handgelenken ab und richtete sich auf, sodass er nur noch mit weitaus weniger Druck auf ihm saß. Xanxus rührte sich nicht und Tsuna unterdrückte ein Glucksen. Als er sah, wie ein dünnes Blutrinnsal sich den Weg über Xanxus‘ Schläfe erkämpfte, streckte er eine völlig ruhige Hand aus und wischte es weg. »Ich bring dich nach Hause«, sagte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)