What do you think? von abgemeldet (Eine Lektion für's Leben?) ================================================================================ Kapitel 1: What do you think? ----------------------------- What do you think? Stille lag über dem gesamten Friedhof. Einzig die Stimme des Paters durchbrach den stummen Frieden der Ruhestätte. Den Sinn der Worte konnte ich nicht verstehen. Zu sehr war ich damit beschäftigt, nicht in Tränen auszubrechen. Nun war ich wirklich allein. Jetzt hatte er mich auch noch verlassen. Erst hatten Mom und Dad uns allein gelassen und nun war er auch für immer fort. Ich hatte es zwar kommen sehen, doch nun wirkte das alles so unwirklich. Noch vor einem halben Monat hatte ich mit ihm Späße darüber gemacht, dass diese elenden Glimmstängel ihm eines Tages das Leben nehmen würden. Und nun? Nun lag er da in dieser Holzkiste und würde nie wieder mit mir lachen. Nie wieder würde ich sein verschmitztes Grinsen sehen, wenn er wieder etwas ausheckte, um mich zu ärgern. Nie wieder würde er mich aufmuntern, wenn ich Stress mit meinen Freunden oder in der Schule hatte. Niemals mehr würde ich ihm bei seinen Beziehungsproblemen helfen können. Ziemlich aufgewühlt biss ich mir auf die Unterlippe, immer noch verzweifelt versuchend keine Träne zu vergießen. Dieser elende Blödmann. Wegen seiner Dummheit und seinem Hang zum Rauchen war er jetzt tot und hatte mich allein gelassen, obwohl er mir versprochen hatte, immer für mich da zu sein. Tief sog ich die Luft ein und wand den Blick von dem dunklen Sarg ab und suchte nach einem Punkt, der mich irgendwie ablenken konnte. Doch ich fand keinen. Nichts weckte mein Interesse stark genug, als dass ich das alles vergessen konnte. Der Drang, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, stieg immer weiter an, doch traute ich mich nicht, ihnen wirklich Luft zu machen. Ich hatte Angst davor. Ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Würde ich es tun, so wären meine Nerven reif für den Kompost und ich würde mich gewiss demnächst in der nächstbesten Irrenanstalt wiederfinden. Aber hey, vielleicht war es da ja gar nicht so schlimm? Noch ehe der Pater seine Rede beenden konnte, entfernte ich mich vom Ort des Geschehen. Ich konnte einfach nicht mehr. Ein Wunder eigentlich. Immerhin war ich immer derjenige, der sich am besten zusammen reißen konnte. Aber scheinbar war das alles nichts weiter als Scharade. Schneller, als man es erwartet hätte, verschwand ich vom Friedhofsgelände und suchte die nächste unbelebte Seitengasse auf. Ich meinte noch jemanden meinen Namen rufen zu hören, doch ignorierte ich dies vollkommen. Ich wollte niemanden sehen. Nicht jetzt. Ich brauchte Zeit für mich. Auf der Stelle. Selbst, wenn ich in Zukunft genug Zeit hatte, die ich alleine verbringen durfte. Mitleidige Worte würden mir auch nicht helfen. Sie würden weder Mom, noch Dad, noch Reno wiederbeleben. Sie würden gar nichts bewirken, außer noch mehr Trauer. Also brauchte ich mir diese Sprüche nicht anhören. Völlig fertig ließ ich mich an einer Häuserwand zu Boden rutschen. Die Tränen, die ich bis vor einigen Minuten noch verzweifelt zurückgehalten hatte, suchten sich nun den Weg über meine Wangen und hinterließen eine heiße, feuchte Spur. Ich verkrallte die Finger in meinen Haaren und versuchte angestrengt das Schluchzen, das meiner Kehle zu entrinnen versuchte, zurückzudrängen. Ein hoffnungsloser Versuch, welcher ohne Erfolg endete. Shit! Nun hatte ich doch zu heulen begonnen. Das war alles Renos Schuld. Dieser Idiot hatte es doch tatsächlich geschafft sich selbst umzubringen. Und das nur wegen seiner bescheuerten Sucht, von der er meinte, er habe sie unter Kontrolle. Warum hatte er nicht auf mich gehört und sich helfen lassen? Das war doch alles nicht fair. „Axel...?“, riss mich plötzlich eine leise Stimme aus den Gedanken und erschrocken hob ich den Blick. Auch das noch. Vor mir kniete einer der Jungs aus meiner Schule und musterte mich prüfend. Na prima. Roxas würde das hier nicht lange für sich behalten, darauf verwettete ich mein nicht mehr sonderlich wertvolles Leben. Doch eigentlich interessierte mich das nicht mehr wirklich. Ich würde am nächsten Tag ohnehin nicht in die Schule gehen. Ich musste mich nun erst einmal um andere Dinge kümmern. Unter Anderem um eine Unterkunft, die ich mit meinem Nebenjob finanzieren konnte. Andere Verwandte, zu denen ich ziehen konnte, gab es nicht. Zumindest hatte ich keine Daten von ihnen. Und die Option Kinderheim kam für mich ganz und gar nicht in Frage. Da würde ich mich eher vom nächstbesten Hochhaus werfen und dafür sorgen, dass ich wieder zu meiner Familie käme. „Was?“, knurrte ich den Kleineren genervt an. Zumindest versuchte ich genervt zu klingen, doch endete dies in einem eher jämmerlichen Winseln. Gott, wie tief war ich in den letzten paar Stunden gesunken? Jetzt konnte ich nicht einmal mehr giftig reagieren. Dass der Kleine mich dann auch noch so mitleidig musterte, half mir beim Finden meines Selbstwertgefühls auch nicht weiter. „I-ist etwas passiert?“, fragte Roxas etwas zögerlich nach und ich stutzte. Nein, was sollte denn passiert sein? Mein gesamten Leben ist nur zusammen gebrochen, aber ansonsten geht es mir blendend. Man! Was glaubte der Winzling denn? Dass ich aus Spaß an der Freude hier hockte und mir die Augen aus dem Kopf heulte? Also bitte! „Geht dich nichts an.“, grummelte ich leise und wand den Blick ab. Nimm das hin und verschwinde, forderte ich den blondhaarigen Jungen gedanklich auf und musterte den Pflasterstein unter mir. „Stimmt schon...“, gab der Kleine leise zur Antwort und ließ sich vor mir in den Schneidersitz sinken. Was sollte denn das jetzt? Hatte ich nicht klar gemacht, dass ich auf die Anwesenheit des Kleinen schiss? „Aber vielleicht hilft es dir ja, darüber zu sprechen.“ „Ja, klar! Als ob es mir helfen würde, wenn ich dir erzähle, dass mein Leben scheiße ist. Gott, Roxy! Verzieh dich einfach und lass mich alleine!“ Hey, meinen Sarkasmus hatte ich wenigstens noch nicht verloren. Wie aufmunternd. Durch einen zufälligen Blick zu dem Kleinen erkannte ich, dass er erschrocken aussah. Tja, dass hätte er wohl nie erwartet. Selbst schuld. „So schlimm kann es doch gar nicht...“ Ich ließ Roxas gar nicht zu Ende reden, sprang auf und hob den Kleinen am Kragen in die Höhe. „Du hast ja keine Ahnung!“, fauchte ich ihn aggressiv an. „Du bist nur ein kleiner verwöhnter Hosenscheißer, der keine Ahnung vom Leben hat und sich immer schön hinter Mommy verstecken konnte! Also behaupte nicht, dass es so schlimm gar nicht sein kann.“ Ohne Vorwarnung ließ ich den Kleineren wieder zu Boden fallen und funkelte ihn gereizt an. Eigentlich hatte ich nichts gegen den Jungen. Er hing nur mit den falschen Typen ab und mischte sich zu oft in Angelegenheiten ein, die ihn nichts angingen und ihn um Kopf und Kragen brachten. Abgesehen davon musste ich gerade einfach meiner angestauten Wut Luft machen. Dass der Kleine nun den Kopf hinhalten musste, war sein Pech. Roxas blickte verängstigt zu mir auf. Ich schnaubte abfällig. Klar doch! Glaubte der Kleine wirklich, dass ich ihm etwas antue? Sah ich echt so aus, als würde ich einen Kleineren und Schwächeren verletzen? Dann konnte mein Ansehen ja nicht noch weiter sinken. Mh, die Idee mit dem Hochhaus wurde gerade doch wieder recht attraktiv. „Bleib mir in Zukunft ja vom Leib.“, knurrte ich den blondhaarigen Jungen dumpf an und wand mich ab. Recht schnell ließ ich die Gasse und den Jungen hinter mir. Sollte der doch machen was er wollte, solange er mir nicht nachrannte. Einige Wochen später fand ich mich dann doch auf einem der Hochhäuser in der Umgebung, an der Kante stehend, wieder. Tolle Sache. Ich hatte keine neue Unterkunft gefunden und dem Mieter, der mich extra für zwei Monate umsonst in der Wohnung hatte leben lassen, war nun doch der Kragen geplatzt und er hatte mich auf die Straße gesetzt. Schön, das Kinderheim rief. Aber ich würde diesem Ruf garantiert nicht folgen. Dazu war ich dann doch noch zu stolz. Also hatte ich mich doch für die attraktive, aber auch dumme Idee entschieden, mich vom Hochhaus zu stürzen. Das Einzige, dass ich dabei bedenken musste, war, dass ich auch wirklich bei dem Sturz umkam. Tief sog ich die Luft ein und blickte über die Stadt. Es war eigentlich eine recht schöne Aussicht von hier oben. Es wirkte alles so friedlich und problemlos. Warum konnte das ganze Leben nicht genauso sein? Es würde alles so einfach machen. „Axel, Nicht!“, erklang hinter mir eine Stimme und ich wand mich erschrocken um, wobei ich mir einen üblen Fehltritt erlaubte und das Gleichgewicht verlor. Shit! Instinktiv streckte ich meinen Arm aus und krallte mich noch an der Kante des Hochhauses fest. Das war doch wohl jetzt ein blöder Scherz, oder? So war das doch gar nicht gedacht gewesen. Wieso war der Winzling hier hoch gekommen? Und warum zur Hölle hatte ich mich bitte festgehalten? Ehe ich meinem Arm befehlen konnte los zu lassen, schloss sich eine Hand gezielt um mein Gelenk und ich blickte in die entschlossen funkelnden Augen meines kleinen Stalkers, der mir schon seit knapp vier Wochen kaum noch von der Pelle rückte. Nervensäge. „Gib mir deine Hand!“, befahl Roxas mir und fixierte mich auffordernd. „Hast du ne Macke? Lass los, sonst fällst du mit!“, fauchte ich ihn an und versuchte seinen Griff los zu bekommen. Es reichte mir schon, dass ich mir selbst das Leben nehmen wollte, da brauchte ich nicht noch so einen lebensmüden Kerl, der versuchte Wohltäter zu spielen und sich dabei selbst opferte. Es wunderte mich ohnehin, dass er es schaffte mich zu halten. Ich wog bestimmt doppelt so viel, wie der Kleine tragen konnte. „Her mit deiner Hand!“, forderte er mit etwas mehr Nachdruck. Verrückter! Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Pfoten weg!“, keifte ich den Kleinen etwas hilflos an. Warum schnallte er nicht, dass ich seine Hilfe nicht wollte? War es so schwer zu verstehen? Oder wollte der Knirps das einfach nicht verstehen? „Sturer Esel!“, knurrt Roxas und schnappte nach meinem Arm. Zu meinem Leidwesen hatte ich nicht viel Platz zum Ausweichen und der Kleine erwischte das nervige Ding, das sich mein Arm schimpfte, auch noch. Kaum, dass der Kleine bemerkte, dass er mich hatte, hellte sich seine Miene auf. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass der blondhaarige Junge sogar grinste. „Zieht uns hoch!“, rief er und Verwirrung machte sich in mit breit. Mit wem sprach der Knirps denn da bitte? Obwohl ich der festen Überzeugung war, dass Roxas nun vollkommen übergeschnappt war, erhielt er sogar eine Antwort auf seinen Ruf. Verstehen konnte ich die Dank des Windes zwar nicht, aber sie war definitiv real gewesen. Quasi um mich von der Existenz dieser Anderen zu überzeugen, wurden wir sogar wieder hoch gezogen. Na toll. Jetzt war mein schöner Plan dahin. Keine Minute später saßen wir auf dem Dach und ich blickte demonstrativ zur Seite. Eine ungeduldige Stille hatte sich ausgebreitet. Ich hatte zwar keine Ahnung wem ich nun, außer Roxas, diese ‚Rettung‘ verdankte, aber es interessierte mich auch nicht wirklich. Ich hatte die Typen ja nicht darum gebeten. „Glaubst du nicht, dass du dich wenigstens bei Rox bedanken solltest?“, knurrte wenige Minuten später eine deutlich angefressene Mädchenstimme und ich erstarrte. Och nee. Roxas hatte doch nicht ernsthaft seine Freunde dabei, oder? Der Humor des Kleinen war echt der Mieseste, dem ich je begegnet bin. Dennoch wand ich, mich meinem Schicksal ergebend, den Blick zu der kleinen Gruppe und funkelte das einzige weibliche Mitglied finster an. „Ich hab ihn nicht darum gebeten.“ „Na und? Wären wir ihm nicht gefolgt, wärest du jetzt an seinem Tod schuld.“, fauchte sie mich an. „Wer ist auch so blöd und will jemandem helfen, dem nicht mehr zu helfen ist?! Er wäre selbst daran Schuld gewesen!“ War doch so... oder? „Gott, Roxas! Warum hast du ihn nicht einfach fallen lassen? Dann wären wir den wenigstens schon mal los gewesen.“, meldete sich nun auch einer der Jungen zu Wort. Dieses kleine Großmaul sollte lieber darauf achten, was es sagte. Früher oder später könnte es doch noch mal passieren, dass er ‚ausversehen‘ im nächstbesten großen Fluss landete. Aber ich musste heute wirklich zugeben, dass er Recht hatte. Ich und meine Freunde hatten ihnen das Leben doch schwer gemacht, warum hatte Roxas sich dann dazu durchgerungen, mich gegen meinen Willen aufzuhalten? „Ich denke, dass es Leute gäbe, die ihn vermissen würden, deshalb hab ich ihm geholfen.“, murmelte mein kleiner Retter leise und hielt den Blick gesenkt. Alle sahen ihn verwirrt an. Fast augenblicklich entfuhr mir ein Lachen. Oh man, der Winzling hatte echt nichts geschnallt. „Nicht wirklich. Mich wird keiner vermissen, Roxy.“ Fragend hob der Kleine den Blick. Die Augen des blondhaarigen Jungen sprachen Bände. Wie leicht es war ihn zu durchschauen. Das war fast schon zu einfach. Grinsend lehnte ich mich leicht zurück und stützte mich mit den Armen ab. Ich musste jetzt schauen, dass ich meine Fassade wieder aufbauen konnte. Die Knirpse hatten schon mehr als genug von meinen seelischen Problemen mitbekommen. „Wie meinst du das?“, fragte nun das Mädchen der Runde und blinzelte mich ebenso fragend an, wie Roxas es tat. „Tja, meine Eltern sind vor knapp drei Jahren bei ‘nem Autounfall gestorben und meinen Bruder hat es vor kurzem auch erwischt.“ , erklärte ich und zuckte leicht mit den Schultern, so, als würde es mir nichts ausmachen, darüber zu sprechen. Doch war genau das Gegenteil der Fall. Es tat weh. Allein schon darüber zu sprechen ließ irgendwas in mir erneut zerbrechen. Ich holte unmerklich Luft und ließ mich vollends zurückfallen, schloss langsam die Augen. So konnte ich die langsam aufsteigenden Tränen verbergen und bannen. Man, ich war in den letzten Wochen echt zu einer Memme geworden. Was war nur los? So schlimm war es ja nicht mal nach Moms und Dads Tod. Naja, da hatten Reno und ich ja nie wirklich drüber gesprochen... „Und deine Verwandten?“ , forschte das Mädchen weiter. Meine Fresse, war die Kleine neugierig. „Wissen nicht einmal, dass es mich gibt.“, antwortete ich etwas widerwillig. Wobei ich das nicht einmal mit Sicherheit wusste. Der Punkt war ja einfach der, dass ich keine Ahnung hatte, wo und nach wem ich suchen musste. Ich hatte nicht mal ‘ne Ahnung, ob es überhaupt Verwandte gab. „Und was ist mit deinen Freunden?“, schaltete sich nun auch der schwarzhaarige Junge ein, der sich bis jetzt ins Schweigen gehüllt hatte. „Ach die? Die haben doch nicht mal gemerkt, dass ich eine Woche in der Schule gefehlt habe. Was kann man denn da bitte erwarten?“, fragte ich und musste unwillkürlich grinsen. Außer Demyx hatte es echt keiner bemerkt. Die Jungs waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und Larxene interessiert sich doch ohnehin nur für ihre süße kleine Naminé. Und sowas schimpfte sich meine Freunde? Traurig. „Und was ist mit mir?“, kam ein doch recht leiser Einwurf von Roxas. Forschend öffnete ich ein Auge und blickte zu dem Kleinen. Was sollte das denn nun bedeuten? „Was soll schon mit dir sein?“, fragte ich interessehalber. Ich kannte den Jungen doch eigentlich gar nicht. Was wollte er dann also von mir? Er würde mich wohl kaum vermissen, so viel war klar. Wozu dann also die Frage? „Also ich würde dich vermissen...“, murmelte das Blondchen noch leiser als zuvor und ein seichter Rotschimmer schlich sich auf seine Wangen. Hä? Was? Scheinbar war ich nicht der Einzige in der Runde, der Roxas verwirrt ansah, denn er senkte den Blick und ich konnte schwören, dass sich die Verfärbung seiner Wangen intensivierte. „Bitte?“, fragte ich dann nach einer Weile des Schweigens nach und setzte mich langsam auf. Roxas saß immer noch einfach nur da, mit seinen geröteten Wangen, und starrte den gefliesten Boden unter uns an. Sollte das ein Scherz sein? Wenn ja, dann war er nicht sonderlich amüsant. „Ich würde dich vermissen, wenn du einfach gehen würdest...“, antwortete der Kleinere leise und biss sich leicht auf die Unterlippe. What the fuck?! „Aber du...?“, weiter kam ich nicht, da sich etwas Weiches auf meine Lippen legte und meine Aussage dadurch unterband. Ich brauchte einige Sekunden um zu realisieren, was mich da zum Schweigen gebracht hatte. Und dann weiteten sich meine Augen leicht geschockt. Es war doch tatsächlich Roxas, oder besser gesagt: dessen Lippen. Der Kleine hatte es geschafft innerhalb einer halben Sekunde von seinem Platz aufzuspringen und es sich auf meinem Schoß wieder bequem zu machen. Weiß Gott, wie der das geschafft hatte. Und dann küsste der Knirps mich auch noch. Für meinen Geschmack sogar etwas zu leidenschaftlich. Doch irgendwie war da was. Irgendetwas hatten diese Lippen in mir ausgelöst. Ich hatte keine Ahnung was. Und irgendwie machte es mir Angst. Allerdings war ich für den Moment viel zu erschrocken, um irgendwie zu reagieren. Ich hatte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht damit. Der Kleine hielt den Kuss noch eine Weile aufrecht, bevor er sich langsam von meinen Lippen trennte und mich entschuldigend ansah. “Deswegen!“, sagte er bloß leise und machte Anstalten wieder von meinem Schoß aufzustehen. Nichts da! Ohne wirklich groß einen Gedanken daran zu verschwenden, zog ich den Kleinen wieder runter und drückte ihm sanft meine Lippen auf. Ich wusste nicht so wirklich, warum ich das tat. Irgendetwas in mir wollte diese süßen Lippen wieder an Meinen wissen. Und ich hörte bekanntlich immer auf mein Bauchgefühl. Und das meldete sich gerade stärker als jemals zuvor. Mit dem Gegenangriff hatte der Kleine wohl nicht gerechnet, denn erst, als ich einen Arm um seine Hüfte legte und ihn noch ein Stück näher an mich heranzog, ließ er sich zögerlich auf den Kuss ein. Tja, bei mir musste man eben auf vieles gefasst sein. Ein wenig bettelnd fuhr ich Roxas mit der Zunge über die Lippen. Ich merkte deutlich, wie der Kleinere erschauerte und musste unweigerlich grinsen. Doch bevor ich den geforderten Einlass gewährt bekam, unterbrach uns jemand. „Könnt ihr das nicht auf später vertagen? Wir sind auch noch da!“, brummte das einzige Mädchen der Runde und ich löste etwas widerwillig den Kuss, drückte Roxas aber noch etwas an mich. „Könnten wir. Oder aber ihr könntet euch verdrücken.“, grinste ich etwas fies über die Schulter des Kleinen hinweg zu seinen Freunden. Die Blicke, die ich erhielt, waren echt Gold wert. So verschreckt hatte ich die Kids echt noch nie gesehen. Nicht mal, als Xigbar ihnen gedroht hatte. „Axel!“, jammerte Roxas und kniff mir in die Seite. Unwillkürlich musste ich lachen. „War doch nur Spaß!“, verteidigte ich mich und ließ ihn wieder los. Der Kleine drehte sich daraufhin lediglich auf meinem Schoß um und zwang mich förmlich dazu, wieder die Arme um ihn zu legen. Allerdings kam ich der mehr als deutlichen Aufforderung protestlos nach. Oh man. Jetzt machte es auch endlich einen Sinn, dass der Kleine mir die letzen Wochen immer hinterher gelaufen war. Er hat sich wohl wirklich Sorgen um mich gemacht. Die Kids begannen aus einem mir fernliegenden Grund über vollkommen belanglose Dinge zu reden. Beispielsweise das Thema Schule und Lehrer. Gott, kaum dass der Name meines Englischlehrers gefallen war, schaltete ich mein Gehör auf Durchzug. Bitte alles, nur das nicht. Roxas schien das deutlich zu merken und er blickte zu mir hoch. „Themawechsel?“, fragte er grinsend und ich nickte heftig. „Au ja, bitte!“ Scheinbar fanden die Vier meine Aussage ziemlich witzig. Warum auch immer. Was denn? Ich machte halt kein Geheimnis daraus, dass ich diesen Freak von einem Lehrer nicht leiden konnte, und? Da war ich garantiert nicht der Einzige. Während die Vier über ihre Hausaufgaben debattierten, ließ ich meinen Blick langsam zu der Häuserkante wandern, an der ich wenige Minuten zuvor noch, mit blanken Nerven, gestanden und mit dem Leben abgerechnet hatte. Und jetzt? Jetzt fragte ich mich plötzlich, wie ich so dumm gewesen sein konnte. Vielleicht war mein Leben bis zu diesem Zeitpunkt die reinste Katastrophe gewesen und vielleicht war ich auch an einem Punkt angelangt, an dem ich allein nicht mehr weiter kam. Allerdings sah ich nun ein, dass es auch anders ging. Immerhin konnte es jetzt ja eigentlich nur noch besser werden, oder? Und wenn Roxas es wirklich ernst meinte, dann hatte ich nun auch jemanden, der mir helfen konnte. Ich musste mich damit also nicht mehr alleine rumschlagen. „Axel...?“, riss mich plötzlich die besorgte Stimme des Blondchen aus den Gedanken und ich blickte fragend zu ihm runter. Besorgnis spiegelte sich in seinen azurblauen Augen wieder und ich bemerkte erst jetzt, dass ich offensichtlich die ganze Zeit über zu der Kante gestarrt hatte. Hoppla. Der Arme musste ja jetzt sonst was denken. Ich grinste den Kleinen flink an und wuschelte ihm durch die Haare. „Lasst uns Eis essen gehen!“, schlug ich schließlich, in die Runde blickend, vor. „Ich lad euch ein.“ Einstimmiges Jubeln ging von Roxas‘ Freunden aus und auch er selbst schien dem Vorschlag nicht abgeneigt. Die drei Wirbelwinde sprangen aufgeregt auf: „Wir kennen eine prima Eisdiele!“ und schon liefen sie zur Tür, die wieder ins Gebäude führte. Grinsend blickte ich ihnen nach. So viel überschüssige Energie hatte ich bis jetzt nur bei Demyx gesehen. „Na komm, lass uns gehen, sonst laufen die drei uns noch davon.“, merkte ich an, als Roxas keine Anstalten machte von meinem Schoß aufzustehen. Skeptisch hob ich eine Augenbraue. „Roxas?“ „Mach das nie wieder.“, vernahm ich das leise Murmeln des blondhaarigen Jungen und stutzte. Was? Ehe ich mich versah, wandte er sich zu mir um und schlang seine Arme um meinen Nacken, drückte sich eng an mich. Woah, was war denn nun kaputt gegangen? „Mach das nie wieder, du Trottel! Du hast mir Angst gemacht!“, schluchzte der Kleine an meinem Hals und ich blieb ziemlich verdattert sitzen. Moment! Schluchzte? Heulte er etwa? Oh nee... Erst jetzt wurde mir so richtig klar, was ich Roxas mit meiner bescheuerten Aktion –Ja, ich sah nun wirklich ein, wie idiotisch es war- angetan hatte. Langsam legte ich meine Arme wieder um den Kleinen. Sein Körper bebte und immer wieder schniefte er leise auf. Gott, Axel, was hast du nur angestellt?, schallte ich mich selbst und strich dem Jungen vorsichtig über den Rücken. „Tut mir Leid, Roxy. Es lag nicht in meiner Absicht dir Angst einzujagen.“, flüsterte ich dem Jüngeren leise ins Ohr. Er schüttelte nur leicht den Kopf und drückte sich noch etwas enger an mich. „Ich werde es nie wieder machen.“, versprach ich leise und diesmal erhielt ich ein zaghaftes Nicken zur Antwort. Ich gab Roxas die Zeit, die er brauchte, um sich zu beruhigen, flüsterte ihm ab und an ein paar beruhigende Worte zu. Es dauerte zwar etwas länger als ich erwartet hatte, aber irgendwo konnte ich den Kleinen verstehen. Nur gut, dass seine Freunde bereits los gegangen waren. Ansonsten wäre die Situation für den Blondschopf wohl doch ein wenig unangenehm geworden. So war es einfach am besten. Frage sich nur, ob das Chaoten-Trio nicht gleich wieder auftauchen würde. Immerhin hatte ich ihnen ein Eis versprochen. „Geht’s wieder?“, fragte ich vorsichtig, als der Kleinere sich wieder etwas von mir löste und musterte ihn besorgt. Roxas schniefte noch einmal, nickte jedoch seicht. Sanft strich ich ihm die letzten kleinen Tränen von den Wangen und lächelte ihn an. Er atmete tief durch und sah mich dann fest an. „Versprich, dass du es nie wieder machst!“, verlangte er mit noch leicht belegter Stimme. Ich musste unweigerlich leicht lachen, was ihm anscheinend nicht so sehr gefiel. Wie niedlich. „Ich meine es ernst! Versprich es!“ „Okay, versprochen. Solange du mich nicht alleine lässt, werde ich nie wieder auch nur an sowas denken.“, versicherte ich ihm leicht grinsend und küsste ihn sanft. Die kleine Bedingung musste ich aufstellen, ich konnte einfach nicht anders, auch, wenn es meinen Kleinen vielleicht etwas unter Druck setzten würde. „Wo das nun geklärt ist: Wie sieht’s nun aus mit Eis?“, forschte ich und bemerkte fast sofort ein begeistertes Funkeln in den blauen Augen Roxas‘. Volltreffer. „Na dann auf! Sonst essen deine Freunde noch alles auf!“ Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen und erhob sich fix. Kinder waren ja so berechenbar. Okay, ich war da nicht anders. Wenn es um mein Lieblingseis ging, konnte ich auch von tiefen Depressionen, auf munter und fidel wechseln. Meistens zumindest. Auf dem Weg zur Eisdiele kamen uns dann auch Roxas‘ Freunde wieder entgegen und fragten, wo wir den blieben. Roxas schaffte es sie mit einer einfachen Ausrede abzuspeisen. Von wegen wir hätten noch eine Toilette gesucht, weil der Junge musste. Ich fand es interessant zu beobachten, dass mein Kleiner seinen Freunden von seinem Schwächemoment nicht berichten wollte. Aber es gab eben auch in Roxas‘ Leben Dinge, die er nicht jedem erzählen wollte. Ich war auch ein wenig froh darüber, dass er es nicht rum erzählte. Immerhin war das dann sozusagen unser erstes gemeinsames Geheimnis. Wenn auch kein Großes. „Wo willst du eigentlich unterkommen?“, fragte Hayner, das Großmaul der kleinen Gruppe, irgendwann während wir es uns im Park auf einer Wiese gemütlich gemacht hatten und unser Eis schleckten. Kurz überlegte ich. Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. „Mh, weiß nicht. Ich werde mal bei Demyx anfragen. Seine Mom wollte ohnehin von Anfang an, dass ich bei ihnen einziehe.“, murmelte ich nachdenklich und legte den Kopf leicht schräg. Ich glaubte sogar mich erinnern zu können, dass Demyx mal etwas davon erzählt hatte, seine Mutter hätte sich schon seit der Geburt von Demyx‘ kleinen Schwester noch einen Sohn gewünscht. Wäre zwar nicht ganz das Selbe, aber irgendwo hätte sie dann noch ein Findelkind. Der Gedanke brachte mich ein wenig zum schmunzeln. „Im Notfall kann ich ja meine Eltern fragen, ob du bei uns wohnen kannst.“, warf Roxas ein und ich schüttelte sofort den Kopf. „Lieb gemeint, Kleiner. Aber überleg mal. Deine Eltern kennen mich noch nicht. Einen Fremden werden sie wohl kaum aufnehmen. Außerdem wäre ich denen bestimmt ein wenig zu kompliziert. Demyx‘ Eltern sind an mich gewöhnt, zumindest soweit man das so nennen kann.“, musste ich den Vorschlag meines Blondschopfs leider ablehnen. Schade eigentlich. Ich hätte echt gern mit ihm zusammengewohnt, aber es ging eben nicht. Noch nicht. Hieß ja nicht, dass es später nicht klappen würde. Bis zu meinem und seinem Schulabschluss war es ja nicht mehr all zu weit und danach konnte man ja weiter sehen, wenn er mich so lang überhaupt aushielt. Der Gedanke brachte mich zum Grinsen. „Stimmt wohl...“, murmelte Roxas leise, sogar fast etwas geknickt. „Dein Eis tropft gleich, Roxy.“, setzte ich ihn in Kenntnis und kurz blinzelte er irritiert. Dann jedoch merkte er, was ich von ihm wollte und rasch schleckte er das flüchtende Eis weg. „Und deins tropft bereits!“, kommentierte Olette, das Mädchen der Runde, und kicherte leise. Fragend sah ich sie an. Als jedoch Roxas ebenfalls zu lachen begann, musterte ich kurz mein Eis. Tatsache! „Argh! Shit! Meine Hose sollte doch gar nichts von dem Eis abkriegen!“, jammerte ich, als ich den Fleck entdeckte. Nun beherrschte einvernehmliches Lachen unsere kleine Gruppe und ich ließ mich davon anstecken. In manchen Situationen musste man einfach lachen. Auch wenn ich immer noch Mitleid mit meiner Jeans hatte. Aber die konnte man ja, Dank der Erfindung namens Waschmaschine, wieder von dem Fleck befreien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)