Mit allen Sinnen von Swanlady (House/Cameron) ================================================================================ Kapitel 1: Sehen ---------------- Ihr erster Arbeitstag war so ungewöhnlich, wie es ein erster Arbeitstag nur sein konnte. Allison Cameron war schon immer ein fleißiger und motivierter Mensch gewesen, der versuchte, jede Chance zu ergreifen, die sich ihm nur bot. Und so hatte sie auch nicht allzu lange gezögert, bis sie ihre Bewerbung ans Princeton Plainsboro Teaching Hospital geschickt hatte. Überraschenderweise hatte sie nur kurze Zeit später eine Zusage bekommen – ohne Bewerbungsgespräch, wohl gemerkt. Schon allein diese Tatsache hatte Cameron stutzig gemacht, aber Gregory House galt in Medizinerkreisen als kleine Legende und selbst wenn das Ganze ein Versehen war, wollte Cameron wenigstens einen Blick auf den Mann werfen, der schon von Studenten entweder verachtet oder vergöttert wurde. So kam es, dass die junge Ärztin an einem kühlen Septembermorgen viel zu früh das Krankenhaus betrat und an der Rezeption nach dem Weg zur Diagnostikabteilung fragte, woraufhin die Krankenschwester hinter dem hohen Pult ihr einen abschätzenden Blick zuwarf. Verwirrt sah Cameron an sich hinunter. Hatte sie irgendwo einen Fleck, von dem sie nichts wusste? Doch ihr Mantel sah so aus wie immer. Höflich bedankte sich Allison bei der Frau, als diese ihr endlich den Weg erklärte und setzte sich dann in Bewegung. Es war noch relativ früh und bis ihre erste Schicht beginnen würde, hatte sie noch etwas Zeit, um sich umzusehen und eventuell ihre Nerven zu beruhigen. Das Princeton Plainsboro hatte einen ausgezeichneten Ruf und es wäre für Cameron eine Ehre, hier arbeiten zu dürfen. Allerdings musste sie dafür zuerst an Gregory House vorbei. Cameron überlegte, wie der Mann wohl aussah, der fast schon so bekannt wie der Boogeyman war. Obwohl die Versuchung groß gewesen war, hatte Cameron nicht die Google-Suchmaschine angeworfen. Das wäre kindisch und einfach nur idiotisch gewesen. Camerons Schritte wurden langsamer, als sie an einem Raum vorbeilief, auf dessen gläserner Tür der Namen Gregory House stand. Neugierig spähte Cameron hinein, doch im Zimmer war niemand. Sie konnte nur einen Schreibtisch und einen bequemen Stuhl erkennen. Ratlos lief sie ein paar Meter weiter. Gleich daneben befand sich ein etwas größeres Zimmer, in dem ein Tisch mit sechs Stühlen stand, sich eine kleine Kochnische befand und in der Mitte eine weiße Tafel stand. Erfreut stellte Cameron fest, dass an dem Tisch jemand saß und Kaffee trank. Sie räusperte sich, bevor sie leise klopfte und zögernd eintrat. „Doktor House?“, versuchte sie ihr Glück und blieb stehen, als der junge Mann sich zu ihr umdrehte. Er hatte blondes Haar und ein – objektiv gesehen – wirklich attraktives Gesicht. Doch sein kurzes Grinsen verriet, dass er nicht die gesuchte Person war. „Nein, tut mir leid“, schmunzelte der fremde Arzt und erhob sich von seinem Stuhl, um Cameron die Hand zu reichen. „Ich bin Doktor Chase. Kann ich Ihnen vielleicht trotzdem helfen?“, fragte der Mann freundlich und Cameron studierte sein makelloses Gesicht. „Mein Name ist Allison Cameron und ich… nun, ich wurde von Doktor House eingestellt.“ Cameron kam sich unglaublich bescheuert vor. Sie wusste nicht einmal, wie ihr Chef aussah und behauptete, eine neue Angestellte zu sein. Doktor Chase würde sie bestimmt auslachen, oder schlimmer – rauswerfen, weil er ihr nicht glaubte. Cameron öffnete erneut den Mund, um sich zu erklären, doch Chase starrte sie nur mit offenem Mund an und wirkte vollkommen aus der Bahn geworfen. Ehe Cameron etwas sagen konnte, betrat eine weitere Person den Raum und grüßte Chase. Verwundert blieb der dunkelhäutige Mann stehen und blickte abwechselnd von Chase zu Cameron. Diese erwachte aus ihrer Starre und reichte nun auch dem anderen Arzt die Hand. „Allison Cameron“, stellte sie sich diesmal nur mit Namen vor und steckte ihre Hand zurück in die Manteltasche, nachdem sie die von Doktor Eric Foreman – wie er sich ihr vorgestellt hatte – geschüttelt hatte. Chase schien sich daran zu erinnern, dass er Cameron noch eine Erklärung für sein seltsames Verhalten schuldete und bot ihr zunächst einen Stuhl an, den sie dankend annahm. „Verzeihen Sie meine Reaktion, aber… ich habe mich nur gewundert. Nun, im Grunde ist es gar kein Wunder.“ Den letzten Satz sprach der blonde Arzt mehr zu sich selbst und verdrehte dabei die Augen. „Würde mich bitte jemand aufklären?“, fragte Foreman und nahm nun ebenfalls Platz. Cameron schwieg, da sie nicht minder verwirrt war und zuckte mit den Schultern, als Foremans fragender Blick auf ihr lag. Chase holte tief Luft. „Diese junge Ärztin hier ist ab sofort unsere Kollegin“, antwortete der Australier zunächst auf Foremans Frage, welcher nun genauso verdutzt aussah, wie Chase noch eben. „House hat keine Bewerbungsgespräche durchgeführt, davon hätten wir erfahren…“, meinte Foreman skeptisch und Chase warf ihm nur einen vielsagenden Blick zu. Nun schien der Groschen auch bei Foreman zu fallen und er seufzte wissend. „Ich denke, wir sollten das klären, sobald House da ist… und Ihnen viel Ärger ersparen, Doktor Cameron. Ich würde Ihnen nur ungern die Hoffnung nehmen, aber ich fürchte… das alles war ein Missverständnis“, sagte Foreman an Cameron gewandt und versuchte so besänftigend wie möglich zu sprechen. Es sah so aus, als wolle er Cameron auf etwas vorbereiten, das wahrscheinlich auf sie wartete, sobald House auftauchte. Doch wann würde das sein? Cameron warf einen Blick auf die Uhr. Es war immer noch kurz vor acht Uhr und man hatte ihr mitgeteilt, dass sie um acht Uhr da sein sollte. „House kommt nie pünktlich“, warnte Chase sie, da er ihren Blick auf die Uhr anscheinend gesehen hatte. Stirnrunzelnd fixierte Cameron ihre beiden neuen Kollegen – oder zumindest ihre potentiellen Kollegen – und bereute, dass sie sich nicht besser über House informiert hatte. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass sich ihr neuer Posten mit jedem weiteren Satz der Beiden immer mehr in Luft auslöste. Cameron begann sich zu fragen, wieso House sie heute hierher bestellt hatte. Als es kurz vor neun war, ging die Tür schwungvoll auf und noch bevor sich Cameron überhaupt umdrehen konnte, hörte sie, wie jemand ihren Namen sagte. „Doktor Allison Cameron, richtig?“ Überrascht sah sie auf und nahm den Mann ins Visier, der ihr CV in den Händen hielt und so tat, als würde er es genauestens studieren, obwohl sich seine Augen keinen Millimeter bewegten. „Äh… ja“, antwortete die Angesprochene unsicher. Sie stand auf und hielt ihm die Hand hin, doch der Arzt – und Cameron war sich hundertprozentig sicher, dass es sich diesmal um House handelte – ignorierte sie und warf seinen Rucksack auf den Boden. Verwirrt zog Allison ihre Hand zurück und nahm wieder Platz. Wieso hatten Chase und Foreman sich nicht vorgewarnt? Die ganze letzte Stunde hatte sie ihnen über ihr Studium erzählt und sie hatten all ihre Fragen beantwortet, jedoch keine, die direkt den berühmten Diagnostiker betraf. House murmelte etwas Unverständliches und ließ die Mappe dann auf den Tisch segeln. Nun hatte Cameron die Gelegenheit, ihn besser zu mustern. Er war ein Mann mittleren Alters, hatte einen Dreitagebart und stützte sich auf einem Gehstock ab. Seine Augen funkelten, seine Stirn war in Falten gelegt und die Lippen waren fest aufeinander gepresst, während er Cameron mit schiefgelegtem Kopf anstarrte und dann wohlig aufseufzte. „Willkommen im Team“, flötete House gut gelaunt und setzte sich Cameron direkt gegenüber, damit er sie weiterhin mit seinen eisblauen Augen durchbohren konnte. Allmählich wurde Cameron immer unsicherer, denn noch nie hatte sie jemand mit so einem intensiven Blick gesehen. Es schien fast, als würde er sie durchleuchten und jedes ihrer Geheimnisse wie in einem offenen Buch lesen können. Camerons Herzschlag wurde unregelmäßig und am liebsten hätte sie sich seinem Blick entzogen, doch ihr Körper war wie gelähmt. Wie machte dieser Mann das? „House“, begann Foreman und rettete Allison damit aus ihrer misslichen Lage. „Sind Sie sicher, dass sie Doktor Cameron einstellen wollen? Glauben Sie, dass sie die richtigen… Qualifikationen hat?“ House griff nach Chase‘ Kaffee, den der Australier ein paar Sekunden aus den Augen gelassen hatte und nahm einen großen Schluck. „Ich bin erkältet“, warnte Chase, als er sah, dass House sich seines Kaffees bemächtigt hatte. „Sie lügen“, erwiderte dieser simpel und beantwortete Foremans Frage, ohne die Augen von Cameron zu nehmen. „Sie ist hübsch.“ Schulterzuckend lehnte sich House zurück. Schockiert öffnete Cameron den Mund und schaffte es das erste Mal seit der Ankunft von House, einen ganzen Satz zu formulieren. „Sie wollen mich einstellen – nein, haben mich eingestellt, weil ich hübsch bin?“, fragte sie ungläubig und auf einmal wurde ihr alles klar: das seltsame Verhalten von Foreman und Chase, das Fehlen eines anständigen Bewerbungsgesprächs… Cameron konnte nicht glauben, dass sie darauf reingefallen war. Sie hatte tatsächlich geglaubt, dass House sich ihre Bewerbung wirklich angesehen und sie ihn aus irgendeinem Grund beeindruckt hatte. Nicht aber mit ihrem Aussehen. Die Enttäuschung, die sich in Allison breit machte, zeichnete sich auch auf ihrem Gesicht ab. „House, das hätten Sie nicht tun sollen“, tadelte Chase seinen Vorgesetzten und war drauf und dran seine Hand tröstend auf Camerons Schulter zu legen, als diese plötzlich aufstand. „Es tut mir leid, es war ein Fehler, dass ich hergekommen bin“, sagte sie und versuchte die Bitterkeit in ihren Worten zu verstecken. Noch immer fühlte sie sich seltsam nackt unter House‘ stechendem Blick und sie wollte diesem Gefühl entfliehen. Das war fast noch schlimmer, als die Tatsache, dass er anscheinend ein sexistisches Schwein war. Entschlossen wandte sich Cameron ab und marschierte auf die Tür zu, als – „Cameron“, rief House und seine raue Stimme brachte die Ärztin unwillkürlich dazu stehenzubleiben. Die Zähne fest aufeinander gepresst, bereitete sie sich darauf vor, noch eine Beleidigung zum Abschied zu erhalten und drehte sich so stolz wie möglich um. Diesmal begegnete sie seinem Blick ohne Angst, starrte verbissen und ohne zu blinzeln zurück. Sie glaubte, einen Anflug von Verwunderung in seinem Gesicht zu erkennen, doch als er sprach, wirkte er vollkommen unbeirrt. „Sie haben einen hohen Abschluss, waren eine der bestem im Studium und haben in der renommierten Mayo-Klinik gearbeitet… sind Sie sicher, dass Sie es nicht versuchen wollen?“ Hätte Cameron nun zur Seite gesehen, wäre ihr aufgefallen, dass Chase und Foreman so aussahen, als hätte sie jemand mit eiskaltem Wasser übergossen. Doch sie beäugte immer noch House, diesmal mit einem sehr skeptischen Blick. Meinte er das ernst? War das ein Trick? In diesem Moment war dies allerdings egal. Cameron beschloss, House zu beweisen, dass sie mehr als nur ein gutes Aussehen zu bieten hatte. Ihre Gesichtszüge wurden härter, entschlossener und sie nickte. Jahre später würde sie wahrscheinlich mit einem Lächeln an diesen Tag zurückdenken. An den Tag, an dem sie Gregory House das erste Mal gesehen hatte. Kapitel 2: Riechen ------------------ Skeptisch zogen sich House‘ Augenbrauen zusammen und ließen sein markantes Gesicht noch grimmiger als sonst erscheinen. Er sah aus, als würde er angestrengt nachdenken, was im Grunde genommen nichts Außergewöhnliches war – Gregory House dachte immer über irgendetwas nach. Doch diesmal schien ihn etwas – man sehe und staune! – zu irritieren. Es verließ jedoch kein Wort seine Lippen, als er sich abwandte und das Diagnostik-Zimmer verließ, um zu seinem Büro zu gelangen. Drei Personen, die Zeugen dieses seltsamen Spektakels (ganz ehrlich, wann verzichtete House darauf, einen Kommentar abzulassen, wenn ihm etwas nicht passte? Eben, gar nicht!) waren, warfen sich fragende Blicke zu. „Was war das denn?“ Chase war der erste, der sich fasste und die offensichtliche Frage stellte, die unbeantwortet im Raum schweben blieb. Sein Blick glitt zu Cameron, die noch immer in House‘ Richtung stierte. Sie schien diesen merkwürdigen Morgengruß – das war das erste gewesen, das House nach dem Betreten des Raumes getan hatte; das Gesicht verziehen! – einfach hinzunehmen, im Gegensatz zu Chase und Foreman, die House aus dem Rhythmus gebracht hatte. Der dunkelhäutige Arzt seufzte resigniert und kam anscheinend zu dem Schluss, dass man, egal wie lange man für House arbeitete, immer wieder mit solchen Überraschungen rechnen musste. Ihr Vorgesetzter war nun mal völlig unberechenbar. Während er sich schulterzuckend wieder seinen Unterlagen widmete und die neuen Patientenakten durchging, beobachtete Chase immer noch seine Kollegin. Wenn er sich nicht ganz täuschte, dann wirkte sie beinahe schon… zufrieden. Darauf konnte sich der Australier überhaupt keinen Reim machen und es verwirrte ihn nur noch mehr. Unzufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Irgendetwas stimmte nicht, er wusste nur noch nicht was. Fest stand, dass er es herausfinden musste! Zu diesem Zeitpunkt wusste Chase nur noch nicht, dass dieser Wunsch utopisch war und die Dinge, von denen er nicht wissen sollte, sich sehr gut zu verstecken wussten. Hinter verriegelten Türen. ••• Sie hatte es ihm bewiesen. Natürlich würde er es wieder abstreiten, aber Cameron hatte es auch sich bewiesen. Auf banale Art und Weise, aber Triumph war Triumph. In seinem stetigen, sich nicht ändernden Mantra hatte House mal wieder behauptet, dass Veränderungen schlecht waren und keinem Menschen etwas brachten. Cameron hatte ihm wie gewohnt widersprochen, mit der zusätzlichen Aussage, dass nicht alles im Leben von Nutzen sein musste. „Lassen Sie mich raten, Cameron. Sie denken nicht zufällig an Sex?“, hatte House patzig und energisch erwidert, sichtlich genervt vom Verlauf der Diskussion. Cameron hatte nur mit den Augen gerollt und den Kopf geschüttelt. „Nein, habe ich nicht. Aber das wäre ein Beispiel dafür“, war ihre ausweichende Antwort gewesen, auf die House nur schief gegrinst hatte. „Ich schlafe nicht mit Prostituierten, weil es mir Spaß macht.“ Ohne Cameron eine Chance zu geben, etwas auf diese bittere Aussage zu erwidern, war House davon gehumpelt. Diese kleine Auseinandersetzung war nun eine Woche her und Cameron hatte einen Weg gefunden, um House zu zeigen, dass sie dieses Mal recht behalten sollte. Sie musste ihn nur noch irgendwie dazu bringen, es sich einzugestehen. Sie rechnete nicht damit, dass House ihr offen zustimmen würde, aber noch war Cameron seine Reaktion von heute Morgen nicht genug. Irgendwie hatte sie jedoch das Gefühl, dass House es bald nicht mehr aushalten würde zu schweigen. Irgendwann würde das Eis brechen, es war nur eine Frage der Zeit. Zum Glück war Geduld eine Tugend, mit der Cameron gesegnet worden war. ••• „Was ist mit House los?“ Verwundert blickte Cameron von ihrem Salat auf und sah gerade noch, wie sich Chase auf den Platz ihr gegenüber niederließ. „Was meinst du?“, fragte sie und konnte die Sorge nicht aus ihrer Stimme verbannen. Dass Cameron die Frage ihres Arbeitskollegen völlig missinterpretierte, ließ den blonden Mann unsicher auf die Tischplatte schauen. Er wusste, das Cameron sich für ihren Chef interessierte, aber es immer wieder aus nächster Nähe mitzubekommen, ärgerte den Arzt mehr, als er zugeben wollte. Seine eifersüchtigen Gedanken beiseite schiebend, blickte er wieder auf und zuckte mit den Schultern. „Heute Morgen, als House ohne ein Wort zu sagen davon gerauscht ist, sahst du nicht sehr überrascht aus.“ Camerons Lippen zuckten und ihre Augen fixierten schnell einen Punkt auf ihrem Teller, an den sie sich klammern konnte. Verdammt, seit wann hatte Chase eine so gute Beobachtungsgabe entwickelt? Darauf, dass es nicht unbedingt daran lag, sondern daran, dass Chase sie ständig anstarrte, kam Cameron im Augenblick nicht einmal. Wie denn? Ihre Gedanken kreisten wieder um House und um die amüsante Situation – ja, für Cameron war sie durchaus amüsant – von vor ein paar Stunden. „Ich glaube, er hat eine Veränderung bemerkt“, war Camerons verschleierte Antwort, ehe sie sich mit einem wissenden Lächeln erhob und ihr Tablett wegbrachte. Einmal mehr musste sich Chase mit reiner Verwirrung zufrieden geben. Sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen schien beinahe unmöglich, denn wenn Cameron kein Wort darüber verlor, dann würde es House erst recht nicht tun. Chase hatte keine andere Wahl, als sich geschlagen zu geben. Gegen manche Dinge konnte man nicht gewinnen und Steine, die einmal ins Rollen gebracht wurden, waren nicht mehr aufzuhalten. Und wenn man nicht aufpasste, dann überrollten sie einen. Chase, so feige es auch war, hatte nicht vor sich ihnen in den Weg zu stellen. ••• Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Cameron ihr Schließfach abschloss und erschrocken zusammenzuckte, als sie plötzlich jemanden neben sich stehen sah. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis Cameron die bekannten Konturen der richtigen Person zugeordnet hatte. „House!“, rief sie vorwurfsvoll. „Wieso lauern Sie mir hier auf?“ Im Hinterkopf flüsterte Cameron eine kleine Stimme zu, dass er sich rein gar nichts aus ihren aufgebrachten Worten machen würde. Wenigstens hatte sie nach dem Schreck ein wenig Dampf ablassen können, auch wenn ihr Herz immer noch schneller klopfte als sonst. Streng taxierte ihr Blick sein ernstes Gesicht. Die Sekunden verstrichen und House stand einfach nur da, versuchte Cameron anscheinend einmal mehr mit seinen blauen Augen zu durchleuchten. Cameron wurde unsicher und öffnete den Mund, ihre Lippen formulierten eine stumme Frage. Erst jetzt entspannten sich House‘ Gesichtsmuskeln und er humpelte einmal um Cameron herum, übertrieben schnüffelnd. „Ich wusste es doch.“ „Was wussten Sie?“, konterte Cameron ohne zu zögern und gab sich der Vorstellung hin, dass sie nun endlich ihren wirklichen Gewinn einkassieren würde. Doch statt zu antworten, machte House einen fast schon bedrohlichen Schritt auf sie zu. Cameron widerstand dem Impuls zurückzuweichen. Sie musste sich daran erinnern, dass sie das hier ja eigentlich wollte. Bei House wusste man nur leider nie so wirklich, wie sein nächster Schritt aussehen würde. Cameron hatte keine Probleme mit seiner Nähe, im Gegenteil, sie wollte sie sogar, aber sie fürchtete sich davor, wie er sie gegen sie ausnutzen konnte. House streckte die Hand aus, ließ Zeige- und Mittelfinger in Camerons offenem Haar verschwinden, ehe er eine feine Strähne zu fassen bekam und sie sanft in Richtung seines Gesichts hob. Konzentriert sog er ihren Geruch ein, überlegte nur für den Bruchteil einer Sekunde und schüttelte dann den Kopf. So plötzlich, wie diese Geste gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Ruckartig wandte sich House von Cameron ab, die bis jetzt – was ihr gar nicht aufgefallen war – die Luft angehalten hatte. Dadurch hatte sie ihr aufgeregt pochendes Herz nur noch deutlicher wahrgenommen. „Sie haben das Parfüm gewechselt“, stellte House schließlich fest und holte Cameron augenblicklich aus ihrer Starre. Ein bestätigendes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, über die eben noch nervös ihre Zungenspitze gefahren war. „Ich dachte zuerst, dass es Ihr Shampoo sein könnte, aber dafür war die Duftnote zu stark.“ „Und das sagen Sie mir, weil…?“ Bevor Cameron zu Ende sprechen konnte, fiel ihr House ins Wort. „Tun Sie nicht so scheinheilig, Cameron. Ich weiß genau, wieso Sie das getan haben.“ Seine Stimme war harscher als noch Augenblicke zuvor und Camerons Lächeln verblasste. „Egal wie subtil die Mittel, mich täuschen Sie nicht. Als ob ich mich nicht an unser Gespräch erinnern würde! Sie wollten mir beweisen, dass Veränderungen gut sind – und das tun Sie mit einem neuen Parfüm? Ich bitte Sie, Cameron, das ist lächerlich.“ House rollte mit den Augen und nahm Cameron gänzlich den Wind aus den Segeln. Das war nur einer der vielen Rückschläge, die sie bisher erfahren hatte, aber dieser schmeckte besonders bitter, weil sie sich ihrer Sache so sicher gewesen war. Hartnäckig hielt Cameron seinem Blick stand, auch wenn sie am liebsten davongerannt wäre. Es musste doch einen Weg geben, um House vom Gegenteil zu überzeugen… Starr blieb Cameron stehen, rührte sich nicht vom Fleck; auch, als House bereits auf den Ausgang zuging. Die Ärztin wollte sich gerade ihren Mantel anziehen, als er noch einmal im Türrahmen stehen blieb und, ohne sich umzudrehen, sagte: „Schmeißen Sie es nicht weg. Es riecht gut.“ Überrascht hellten sich Camerons Gesichtszüge auf. House verließ den Umkleideraum, noch ehe sie diesen Satz anständig verarbeiten konnte. Vielleicht – aber auch wirklich nur vielleicht! – hatte sie House dennoch bewiesen, dass nicht alle Veränderungen schlecht waren. Manche waren schließlich nicht einmal sichtbar. Manche konnte man wohl nur riechen. Kapitel 3: Berühren ------------------- Die von Schnee bedeckte Mütze knallte auf den Tisch, direkt auf die Patientenakten, die Chase gerade durchblätterte. „House!“, protestierte der Australier empört, als er das Kleidungsstück angewidert von dem weißen Papier schob. Schon wenige Sekunden hatten ausgereicht, um die Unterlagen mit Schnee – und somit Wasser – zu bespritzen. „Ich hab genug zu tun! Und nun müssen auch noch die Unterlagen neu gedruckt und abgeschrieben werden…“ Anklagend richtete sich Chase‘ Augenmerk auf seinen Vorgesetzten, der überhaupt nicht beeindruckt war und weiter humpelte, um sich aus seiner Winterjacke zu schälen und diese achtlos auf einen Stuhl zu verfrachten. „Dann machen Sie sich am besten sofort an die Arbeit“, gab House zurück, als wäre es die Schuld des blonden Arztes, dass er nicht rechtzeitig reagiert und die Akten gerettet hatte. Es war offensichtlich, dass House schlechte Laune hatte und allein das veranlasste Chase dazu, weitere empörte Kommentare zu unterlassen. Mit finsterem Blick starrte er seinen Chef an und stand schließlich energisch auf, um sich die Unterlagen zu schnappen und aus dem Diagnostikzimmer zu rauschen. Foreman, der sich aus der Angelegenheit rausgehalten hatte, warf House einen fragenden Blick zu. Er wusste jedoch sehr genau, dass er keine Antwort erhalten würde, sodass er sich wieder seiner eigenen Arbeit widmete. Eine halbe Stunde später hatte Foreman eine Ahnung, wieso House so schlecht gelaunt war. Er beobachtete den Älteren genauestens, wie er mit seinem Ball spielte und trotz interessantem Fall, mit den Gedanken woanders zu sein schien. Er wirkte beinahe, als hätte er noch ein anderes Rätsel, das er zu lösen hatte. Foreman fragte sich, ob es etwas damit zu tun hatte, dass… „Cameron ist heute nicht zur Arbeit gekommen. Weißt du, was los ist?“ Er richtete seine Frage zwar an Chase, doch aus den Augenwinkeln behielt er House im Blick. Wenn seine Vermutung stimmte, dann war der Grund für House‘ seltsames – oder doch eher typisches? – Verhalten gar nicht so kompliziert, wie er wahrscheinlich allen weißmachen würde, sollte ihn jemand offen fragen. „Nein, keine Ahnung“, antwortete Chase und hörte sich so an, als würde er nicht zum ersten Mal darüber nachdenken, weshalb eine pflichtbewusste Person wie Cameron nicht pünktlich zur Arbeit erschien. Sicher, ein Unfall im Straßenverkehr oder sonstige behindernde Umstände konnten ja mal passieren, aber dann hätte Cameron schon längst angerufen und ihnen Bescheid gegeben. Möglichst unauffällig schielte Foreman zu House hinüber, um zu prüfen, ob er ihm mit seiner Frage eine Reaktion entlockt hatte. Die blauen Augen waren jedoch weiterhin auf einen imaginären Punkt gerichtet, während er den Ball rhythmisch gegen die Wand warf. „Cameron wird heute nicht zur Arbeit kommen“, sagte er plötzlich und seine Augen verengten sich für einen Augenblick, bevor er den Ball fallen ließ und nach seinem Gehstock griff, um aufzustehen. „Wissen Sie, was mit ihr los ist?“, fragte Foreman und konnte seine Verblüffung nicht wirklich verbergen. „Nein, aber ich weiß, was mit ihrer Nachbarschaft los ist.“ Mit diesem zusammenhanglosen Satz ließ House die beiden anderen Ärzte allein. Er musste etwas überprüfen. Besagtes Überprüfen verschob sich jedoch um ein paar Stunden, da Wilson partout nicht verstehen wollte, dass House das Krankenhaus jetzt – und damit meinte er sofort – verlassen musste. Für ihn schienen seine Patienten wichtiger zu sein, als Taxi für seinen besten Freund zu spielen, sodass House – mürrisch und noch schlechter gelaunt als ohnehin schon – wohl keine andere Wahl hatte, als zu warten und den kleinen Ausflug auf nach der Arbeit zu verschieben. Zur Not würde er Wilson einfach den Autoschlüssel klauen und dann würde dieser schon sehen, was er davon hatte. In dieser Hinsicht war House stur wie ein kleines Kind. Wenn er etwas wollte, war er bereit über Leichen zu gehen und dieses Mal war es auch nichts Außergewöhnliches, das er wollte – nämlich nur seine Neugier stillen. Er wusste, weshalb Cameron nicht zur Arbeit gekommen war, zumindest indirekt, aber er konnte nur auf Nummer sicher gehen, wenn er ihr einen kleinen Besuch abstattete. Er hatte die Vermutung, dass sich mehr dahinter verbarg, als ihm die redseligen Krankenschwestern unwillkürlich verraten hatten, als er ihre morgendliche Konversation aufgeschnappt hatte. Wie immer, wenn House sich einem Patienten widmete, vermutete er hinter den Symptomen etwas, das absolut abwegig war. Und in neunundneunzig Prozent aller Fälle hatte er damit auch Recht. Diesmal lautete sein Fall Cameron und er würde schon herausfinden, ob sein Gespür für außergewöhnliche Umstände ihn auch diesmal nicht im Stich lassen gelassen hatte. ••• Tock… Tock… Tock. Überrascht sah Cameron auf und versuchte auszumachen, woher das Geräusch kam. Mittlerweile hatte sie sich an die Dunkelheit um sie herum gewöhnt. Die Sinne des Menschen waren beeindruckend, wenn man ihre Flexibilität bedachte. Sie konnten sich an absolut jede Situation anpassen. Das Auge gewöhnte sich an Finsternis, das Ohr übernahm Verantwortung, wenn die Sicht nicht vorhanden war. Zunge und Nase erfüllten eine nicht zu unterschätzende Schutzfunktion und machten das Essen so viel angenehmer. Ein kleines Lächeln schlich sich auf Camerons Lippen, als sie sich ihrer Gedanken gewahr wurde. Tagtäglich hatte sie mit Medizin zu tun, aber es brauchte dennoch Momente wie diese, um sich der kleinen Wunder des Lebens bewusst zu werden. „Miss Cameron?“, erklang die heisere Stimme ihres Gastes. Augenblicklich zuckte die Angesprochene zusammen und erhob sich von ihrem Stuhl. „Jemand versucht Ihr Fenster einzuschlagen.“ Ein Husten folgte auf diese Aussage. Besorgt warf Cameron der älteren Frau einen Blick zu, ehe sie sich von der Couch entfernte und vorsichtig, um im der Dunkelheit nicht zu stolpern, zu besagtem Fenster hinüberging. Da es draußen auf der Straße genauso dunkel war, wie in ihrer Wohnung, öffnete sie das Fenster und lehnte sich über den Fenstersims. Ein Stein verfehlte ihr Gesicht nur knapp und landete auf Camerons Wohnzimmerteppich. Empört öffnete sie den Mund und suchte den Übeltäter mit dem Blick. „House!“, rief Cameron, als sie den bekannten Gehstock registrierte. Ihre Empörung wechselte zu Verwunderung. „Was machen Sie hier?“ Auch wenn man die Personen, die Steine gegen ihre Fensterscheibe werfen wollten, wohl an einer Hand abzählen konnte und House auch definitiv der erste auf dieser Liste war, konnte Cameron nicht anders, als sich zu fragen, was ihn zu dieser späten Stunde vor ihr Wohnzimmerfenster trieb. „Sie sind heute nicht zur Arbeit gekommen“, stellte House im gespielten Plauderton fest und Cameron sah, dass er nur mit Mühe dem Drang widerstand, den nächsten Stein zu werfen, den er in der Hand hielt. Das Zögern Camerons war für den Arzt genug und sofort erschien ein triumphierendes Lächeln auf seinen Zügen. „Sie hatten etwas anderes zu tun, nicht wahr? Etwas, das rein gar nichts mit dem Stromausfall im ganzen Stadtteil zu tun hat.“ Als müsste er erst darüber nachdenken, wie viel Wahrheit wohl in seinen Worten steckte, legte House den Kopf schief und schielte zu Cameron nach oben. Schon wieder erhielt er keine Antwort, sondern musste lediglich dabei zusehen, wie Cameron aus seinem Blickfeld verschwand und das Fenster wieder geschlossen wurde. Die Gelegenheit nutzte er, um den letzten Stein zu werfen, doch er verfehlte sein Ziel. Stirnrunzelnd blickte House noch eine Weile hinauf zu Camerons Apartment, wandte sich aber schließlich ab. Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, dass sie ihn aussperrte, war doch normalerweise sie es, die keine Gelegenheit ausließ, um ihm näher zu kommen. Oh, House waren ihre lächerlichen Verhaltensmuster schon längst aufgefallen. Natürlich tat er so, als wüsste er von nichts. Das hatte mehrere Gründe; sogar einige, die er nicht einmal vor sich selbst zugeben wollte, aber würde ihn jemand fragen, dann konnte er einfach erwidern, dass er mit derartigem Kinderkram nichts zu tun haben wollte, schön brav die Tatsache ignorierend, dass er wohl der größte Kindskopf von allen war. Gerade, als ein lautes Schnauben seine Nasenhöhlen verließ, öffnete sich Eingangstür, die sich kaum vier Meter von ihm entfernt befand. Als der brünette Haarschopf sich hinauslehnte und Camerons Blick ihn traf, konnte sich House das Grinsen nicht verkneifen. Schon sehr viel besser gelaunt ging er auf die Tür zu und schob sich ohne weitere Fragen an Cameron vorbei ins Treppenhaus. „Wurde aber auch Zeit“, beschwerte er sich noch, ehe er versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Als ihm jedoch gewahr wurde, dass er die Treppen zu ihrer Wohnung hochsteigen musste, verzogen sich seine Mundwinkel zu einer säuerlichen Miene. Für einen kurzen Moment zog er sogar in Erwägung, einfach wieder zu verschwinden, doch noch immer war es die Neugier, die ihn vorantrieb. „House, lassen Sie mich he…“, setzte Cameron an, doch der Arzt schnitt ihr abrupt das Wort ab, indem er ein energisches „Es geht schon!“ brummte und nach dem Treppengeländer griff, um sich die erste Stufe hinauf zu hieven. So schnell wie möglich folgte die zweite, damit Cameron bloß nicht dachte, dass er auf sie angewiesen war. Sie schien jedoch zu akzeptieren, dass House es aus eigenen Kräften schaffen wollte und passte sich stattdessen seinem Tempo an. Die Zeit, die sie brauchten, um ihre Wohnung zu erreichen, schwiegen sie. „Wieso sind Sie hier, House?“, fragte Cameron, als sie die Tür hinter ihnen schloss und sie versuchte sein Gesicht genauer zu erkennen. Cameron bemerkte, dass ihre Schultern angespannt waren und dass sie andauernd daran dachte, wie merkwürdig sich diese Situation anfühlte. Es war ja nicht so, dass sie jedes Mal richtig mit ihren Einschätzungen lag, aber generell konnte man sie zu den Personen zählen, die House – wenn das überhaupt ging – gut kannten. Und die Dunkelheit gab ihr das Gefühl, keinen Zugang mehr zu diesem Wissen zu haben, da sie weder seine Gesichtsausdrücke sah, noch seine nächste Handlung vorhersehen konnte. Da die Finsternis um sie herum nicht nur sie betraf und auch ihn einschränkte, versuchte die junge Frau diese unangenehmen Emotionen zu verdrängen. Statt ihr jedoch zu antworten, setzte sich House erneut in Bewegung und steuerte direkt auf das Wohnzimmer zu. Cameron eilte ihm hinterher und wollte ihn warnen, dass… „Miss Cameron? Wer ist dieser Mann?“ Die Empörung in der Stimme der älteren Dame ließ die Ärztin sofort an ihr provisorisches Krankenbett, bestehend aus ihrem Sofa, treten und ihr beruhigend die Hand tätscheln. „Keine Sorge, Mrs Morgan“, beruhigte Cameron die Frau hastig. „Das ist Gregory House, mein Vorgesetzter.“ „Sie haben einen weiteren Arzt geholt? Oh, ist es so schlimm?“ Es war erstaunlich, wie sich eine Stimmlage innerhalb weniger Sekunde so schnell verändern konnte, denn jetzt hätte Cameron schwören können, dass Mrs Morgan glaubte, sie liege im Sterben. Bevor sie das Missverständnis jedoch beseitigen konnte, mischte sich House ein. „Miss Cameron?“, fragte er ungläubig und artikulierte jede der Silben mit äußerster Genauigkeit, damit Cameron den Spott auch ja nicht überhörte. Diesmal musste sie das Grinsen auf seinem Gesicht gar nicht sehen, um zu wissen, dass es da war. Aus irgendeinem Grund ahnte Cameron bereits, dass sie sich gerade einen neuen Spitznamen eingehandelt hatte, aber im Augenblick konnte sie nichts dagegen ausrichten, sodass sie zunächst dazu überging die besorgte Frau zu beruhigen. „Keine Sorge, Mrs Morgan, Sie haben wirklich nur eine Erkältung.“ Ein verächtliches Schnauben erklang hinter ihr und veranlasste Cameron dazu genervt den Kopf zu drehen, auch wenn sie immer noch bloß wage Konturen ihres unangekündigten Gastes erkennen konnte. Der Strom fiel aus und in ihrer Welt schien das Chaos auszubrechen – zumindest dieses Gefühl hatte sie gerade. „Ihre Nachbarin hat eine Erkältung und Sie erscheinen deswegen nicht im Krankenhaus, Cameron?“ House hörte sich wirklich an, als könne er nicht glauben, dass der Grund, weshalb die Ärztin heute gefehlt hatte, tatsächlich so banal war. „Sie ist die Treppen runtergefallen, House! Was hätte ich tun sollen?!“, gab Cameron verteidigend zurück. Es war ihr äußerst unangenehm, dass Mrs Morgan dieses Gespräch mit anhören musste, aber House würde wohl nicht gehen, ehe er sich nicht zu genüge an ihrer Situation gelabt hatte. „Oh, das erklärt natürlich alles! Ihre erkältete Nachbarin ist die Treppe runtergefallen und Sie sind nicht zur Arbeit erschienen“, stichelte House weiter und überspannte somit den Bogen wohl endgültig. Cameron stand auf, entschlossen dem Theater ein Ende zu bereiten. Sie musste sich nicht vor ihm rechtfertigen, sie hatte Cuddy angerufen und um einen freien Tag gebeten, den sie mit Klinikstunden abarbeiten würde, um einer netten Person zu helfen, die ihre Blumen goss, wenn sie nicht da war und auch sonst mehr positive Gefühle in Cameron weckte, als es der ungehobelte Mann in ihrem Wohnzimmer jemals tun würde! Dass sie wirklich wütend war, merkte House letztendlich wohl daran, dass sie ihn beinahe grob am Arm packte und in mit sich zog. Im ersten Moment war er viel zu überrumpelt, um sich dagegen zu wehren, doch noch bevor sie den letzten Meter zur Tür überwunden hatten, erinnerte sich House daran, dass er einen eindeutigen Vorteil hatte: seinen Gehstock! Im Handumdrehen ließ er diesen vorschnellen, erwischte damit selbst in der Dunkelheit gezielt, aber scheinbar unbeabsichtigt Camerons Schienbein. Ein erschrockener Laut verließ ihre Lippen und die nächsten Sekunden liefen viel zu schnell ab, als dass House sie hätte vorhersehen können. Cameron stolperte, doch statt ihn loszulassen, krallten sich ihre Finger noch fester in den Stoff seiner Jacke. Sie zog ihn mit sich, während sie fiel und es grenzte beinahe an ein Wunder, dass keiner von ihnen mit dem Kopf gegen die Wand stieß. Camerons Rücken Schulter machte jedoch damit Bekanntschaft, genauso wie House‘ Ellenbogen, was ihn laut fluchen ließ, kaum war sein gesamter Körper auf dem tröstlich weichen Teppich aufgekommen. Ächzend und sich langsam bewegend, erinnerten House und Cameron eher an ein verheddertes Wollknäuel, als an zwei ernstzunehmende Ärzte. Allison hätte schwören können, dass die Dunkelheit noch intensiver geworden war, was aber auch daran liegen konnte, dass schwarze Punkte vor ihren Augen tanzten. Sie tastete nach etwas Festem, nach dem sie greifen und sich aufrappeln konnte, doch ihre Finger bekamen zunächst nur den harten Gehstock zu fassen. Noch einmal streckte Cameron die Hände aus, doch diesmal erstarrte sie mitten in der Bewegung, als sie merkte, was sie dieses Mal berührte. Eine ihrer Hände lag eindeutig auf House‘ Schulter, doch die andere… die andere umfasste fünf kühle Finger, die sich genauso verzweifelt an ihren festhielten, auf der Suche nach Halt. Instinktiv hielt Cameron die Luft an, konnte dank der vollkommenen Stille den Atem der Person hören, die für diesen ungraziösen Fall verantwortlich war. Er ging stoßweise, wies darauf hin, dass House nicht minder erschrocken war – ob nun wegen des Sturzes oder der Tatsache, dass sie sich immer noch krampfartig festhielten, sei mal dahingestellt. Camerons gesamter Körper fühlte sich gelähmt an, doch der einzige Teil davon, der sich noch irgendwie bewegen konnte, war ihr Zeigefinger. Ohne es jedoch wirklich zu kontrollieren, fuhr er über den Rücken der männlichen Hand, tastete, fühlte, lernte kennen. Niemals im Leben hätte Cameron gedacht, dass sich eine so einfache Berührung so elektrisierend auf sie auswirken könnte. Und doch – ihre Nackenhaare stellten sich auf, ihr Herzschlag beschleunigte sich und ihre Lungen schienen sich daran zu erinnern, dass sie die angestaute Luft nicht ewig halten konnten und ein langer, aufgeregt klingender Luftstoß verließ Camerons bebende Lippen. Wieso sagte House nichts? Das Schweigen verunsicherte Cameron, genauso wie sein Körper, der immer noch dicht gegen ihren gepresst war. Als hätte House ihre zweifelnden Gedanken gehört, zog sich seine Hand abrupt zurück, hinterließ in Cameron das Gefühl von Leere. Je mehr Abstand er zwischen sie brachte – und sein Körper entfernte sich kontinuierlich Zentimeter für Zentimeter von ihrem – desto verlorener kam sie sich vor. Die Dunkelheit verschluckte sie einmal mehr und dann… war es vorbei. Cameron sah auf und merkte, dass House wieder aufgestanden war. Das verriet ihr nicht zuletzt das schmerzerfüllte Zischen und das Geräusch von Reibung, das dadurch entstand, dass er sich sein kaputtes Bein massierte. „A-alles in Ordnung?“, waren ihre ersten Worte, die sie allerdings nur mit sehr viel Mühe über die Lippen bekam. Camerons Kehle fühlte sich trocken an und sie war sich sicher, dass ihre Beine ihr Gewicht momentan nicht tragen würden. Dennoch zwang sie sich nach der Wand zu greifen – wieso hatte sie eigentlich nicht sofort daran gedacht? – und sich daran hochzuziehen. „Kein Wunder, dass Ihre Nachbarin die Treppe runtergefallen ist!“, gab House mürrisch von sich und Cameron versuchte aus seiner Stimme noch eine andere Information herauszuhören. Sie wollte wissen, was wirklich in seinem Kopf vorging, denn es war unmöglich, dass jemand wie House nicht darüber nachdachte, was eben zwischen ihnen passiert war. „Sagen Sie mir eins, Cameron“, fuhr er in der selben, patzigen Tonlage fort. „Wenn Sie mich schon mit auf den Boden ziehen! Für so stürmisch hatte ich Sie, nebenbei bemerkt, gar nicht eingeschätzt, aber stille Wasser sind ja bekanntlich tief…“ Cameron unterbrach ihn, denn sie hatte keine Lust sich seine typischen Ablenkungsmanöver anzuhören. „Was wollen Sie wissen, House?“ Sie wusste, dass seine Worte nur die Schutzmauer repräsentierten, die er um sich herum errichtet hatte und dass er genauso wenig wie sie an etwas Sexuelles gedacht hatte, als sich ihre Hände in einer krampfhaften Geste umklammert gehalten hatten. „Wieso sind Sie nicht zur Arbeit gekommen?“ Diese Frage warf Cameron völlig aus der Bahn, denn sie dachte, dass sie dies schon längst geklärt hatten. Als sie zu derselben Antwort wie vorhin ansetzen wollte, wurde ihr klar, dass House nicht nach diesem Grund fragte, sondern etwas anderes wissen wollte, etwas anderes vermutete. Unwillkürlich entlockte dieser Gedanke Cameron ein Lächeln. „Ich gehe Ihnen nicht aus dem Weg, falls Sie das meinen. Ich wollte nur meiner Nachbarin helfen, House. Manche Menschen haben es nicht verdient allein zu sein, wenn ihnen etwas wehtut.“ Eine paar endlose Sekunden hingen diese Worte im Raum, bevor House die Klinke ergriff und die Wohnungstür öffnete. „Sie enttäuschen mich, Cameron. Sie wollen mir also weißmachen, dass der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels Ihre Gutmütigkeit ist?“ House bemühte sich enttäuscht zu klingen, doch Cameron merkte genau, dass er mehr an den Worten zu knabbern hatte, als er zugab. Er wusste genau, dass sie damit nicht nur Mrs Morgan gemeint hatte. „Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Mein Fernseher funktioniert wenigstens.“ Ohne sich zu verabschieden, trat House über die Schwelle und verschwand im genauso dunklen Treppenhaus. Cameron folgte ihm nicht, sondern lauschte lediglich den widerhallenden Schritten und schloss dann langsam die Tür. „Miss Cameron?“, ertönte die schwache Stimme Mrs Morgans aus dem Wohnzimmer. „Ich bin sofort bei Ihnen, Mrs Morgan“, rief Cameron zurück und führte die Fingerkuppen, mit denen sie vor ein paar Minuten noch House‘ Hand erkundet hatte, für einen kurzen Augenblick an ihre Lippen. Cameron hatte die leise Vermutung, dass sie ihn heute nicht nur mit ihren Fingern, sondern auch mit ihren Worten berührt hatte. ••• Anmerkung: Ich habe hin und her überlegt, denn eigentlich müsste der One-Shot (wenn man es genau nimmt) Tasten heißen, da es um den Tastsinn geht, aber letztendlich fand ich den aktuellen Titel passender. ;) Kapitel 4: Schmecken -------------------- Schon als er die flüchtigen Blicke seines Teams sah, wusste House, dass er diese Wette noch bereuen würde. Mit säuerlicher Miene wandte er sich ab, humpelte zur Kaffeemaschine und wollte gerade nach einer Tasse greifen, als auch schon der erste Einwand kam. „Kaffee ist ungesund“, sagte Foreman beinahe beiläufig, doch House konnte regelrecht hören, wie sich seine Mundwinkel zu einem Schmunzeln verzogen. „In Massen, ja“, brummte House, ließ sich davon nicht beirren. „Aber eine Tasse hat noch niemandem geschadet.“ „Ich denke nicht, dass Dr. Wilson das so sehen wird…“, warf Chase ein, befeuchtete seinen Daumen und blätterte weiter in einer Patientenakte. Genervt drehte sich House um und warf einen provozierenden Blick in die Runde. Gerade wollte er Chase und Foreman sagen, dass sie sich um ihren eigenen Kram kümmern sollten, als ihm auffiel, dass Cameron konzentriert ihre Unterlagen las und kein Interesse an dem Gespräch zeigte. „Haben Sie nicht auch etwas zu sagen?“, fuhr House sie an, sah darin die perfekte Gelegenheit, um die beiden anderen zum Schweigen zu bringen. Er wusste ganz genau, wieso sie so darauf achteten, ob er sich gesund ernährte. Genau darum ging es nämlich in der Wette mit Wilson. Er sollte eine ganze Woche nichts Ungesundes zu sich nehmen, dann würde Wilson seine Klinikstunden übernehmen. Es gab keine logische Erklärung dafür, wieso House darauf eingegangen war – vermutlich wollte er seinem Freund einfach nur beweisen, dass er falsch lag. Und ein paar Stunden mehr, die er mit seinem Gameboy oder Ball verbringen konnte, ohne mit nervigen Menschen zu tun zu haben, würden auch nicht schaden. Die angesprochene Ärztin sah stirnrunzelnd auf und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch da hatte House es sich auch schon anders überlegt. Mit einer energischen Handbewegung brachte er sie zum Schweigen, noch ehe ein Wort ihre Lippen verlassen hatte. Den Blick wieder zur Kaffeemaschine wandern lassend, verzog er unzufrieden das Gesicht und wandte sich schließlich ab. Er wollte nicht riskieren, dass eins seiner Teammitglieder zu Wilson eilte – und House zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass sein bester Freund wenigstens Chase und Foreman auf ihn angesetzt hatte. Was für die beiden Ärzte dabei heraussprang, interessierte ihn nicht wirklich. Die Einzige, die vermutlich ihre Finger nicht im Spiel hatte, war Cameron. Entweder ihr gefiel, dass er sich wenigstens über einen gewissen Zeitraum gesund ernährte, oder aber sie wollte sich aus Prinzip heraus nicht einmischen – oder beides. Sie war das unbeschriebene Blatt in diesem Spiel. Und das wollte er ausnutzen. ••• „Oh, welch Überraschung! Der Salat hier muss wirklich gut sein“, riss eine sarkastische Stimme Cameron aus ihren Gedanken. Sie sah von ihrem Teller auf und konnte House dabei beobachten, wie er sich schwungvoll auf den Stuhl ihr gegenüber niederließ. Auf seinem Teller befand sich eine ähnliche Speise wie auf ihrem – mit dem Unterschied, dass sie den Hähnchensalat gewählt hatte, er verzichtete sogar auf die kleinen Fleischstückchen. Irritiert blinzend, fragte sich Cameron, ob Wilson wirklich so strenge Regeln aufgestellt hatte oder ob House die Rolle des trotzigen Kindes einnahm, dabei vollkommen übertreibend. „Wenn das mein Mitleid erwecken soll, dann funktioniert es nicht“, warnte sie sogleich vor, sollte diese House‘ Absicht sein. Dieser machte jedoch eine gespielt beleidigte Miene und schüttelte den Kopf. „Als ob ich jemals auf so eine Idee kommen würde…!“ Cameron verdrehte die Augen und sorgte dafür, dass er es auch sah. Ein eindeutiges Zeichen, dass sie keine Lust auf diese Spielchen hatte. Wenn er sich während der Mittagspause an ihren Tisch setzte, dann musste er einen triftigen Grund dafür haben und den sollte er ihr verraten, ohne Täuschungsmanöver und Manipulationsversuche. Die Arme vor der Brust verschränkend und sich zurücklehnend, sah sie House erwartungsvoll an. „Ein Hungerstreik wirkt bei mir nicht“, klärte er sie auf und verzog den Mund zu einer gespielt ernsten Miene. „Aber rein zufällig gibt es tatsächlich etwas, das ich von Ihnen will.“ Dies war der Punkt, an dem die meisten Menschen die Geduld verloren oder so genervt waren, dass sie House einfach das gaben, was er haben wollte. Cameron arbeitete jedoch schon lange genug für ihn, um diese Tricks nicht zu kennen. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern erwiderte den Blick aus eisblauen Augen mutig. „Loyalität, Cameron. Ich brauche jemanden, der in meinem Team spielt. Also?“ Als wäre die Sache vollkommen offensichtlich und als hätte House ihr eben ein echtes Angebot gemacht und keine Forderung gestellt, faltete er die Hände auf dem Tisch und sah sie auffordernd an. Camerons Augenlider flatterten, denn dieses respektlose Verhalten reizte sie nun langsam doch. Natürlich wusste sie, dass House sie schätzte, andernfalls hätte er sie niemals eingestellt, egal was er behauptete, aber sein Verhalten hatte anscheinend neue Tiefen erreicht. Ob das an der gesunden Ernährung lag? „Nein“, erwiderte sie simpel, lehnte sich vor, griff nach ihrem Besteck und begann zu essen. House sah ihr ein paar endlose Sekunden dabei zu, sie konnte seinen Blick spüren und auch wenn Cameron sich seltsam dabei vorkam, ließ sie sich nicht davon abbringen. „Wieso nicht?“, kam nach einer schweren Stille die Frage, die merkwürdig ernst klang. Es war die Tonlage, die Cameron aufsehen ließ. Es war völlig unmöglich, dass House wirklich enttäuscht war, weil sie ihm nicht helfen wollte – und doch flackerte die Unsicherheit für den Bruchteil einer Sekunde in ihren Augen auf. Darauf schien House nur gewartet zu haben, denn er grinste und klopfte mit der offenen Handfläche triumphierend auf den Tisch. „Na also, geht doch!“ „Ich habe nicht…“, begann Cameron, doch er war bereits aufgestanden. „Doch, das haben Sie“, fiel er ihr ins Wort, fing ihren Blick ab und las in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch, denn selbstsicher fügte er hinzu: „Schon vor langer Zeit.“ Cameron spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie konnte nichts darauf erwidern und so schlenderte House in aller Seelenruhe aus der Kantine, seinen Salat zurücklassend. ••• „Ich habe die Testergebnisse…“, setzte Cameron an, den Blick erst von den Unterlagen nehmend, als sie in House‘ Büro stand. Sie stockte, da der Raum vollkommen leer war. Suchend in den Nebenraum schielend, stellte sie fest, dass sich auch dort niemand befand. Chase und Foreman waren vermutlich im Labor oder beim Patienten, aber dass House nicht in seinem bequemen Sessel saß und Ball spielte, war ungewöhnlich. Gerade, als Cameron sich umdrehen und gehen wollte, fiel ihr etwas auf, das auf dem Schreibtisch stand. Wieso es ihren Blick nicht sofort auf sich gezogen hatte, war ihr schleierhaft, denn dort stand eine wirklich prächtige Torte. Die weiße Creme lud dazu ein, ein Stück zu probieren und als die Ärztin neugierig näher trat, konnte sie die Glasur erkennen, auf der mit bunten Streuseln eine eindeutige Nachricht geformt worden war: Iss mich! Cameron fand, dass diese Provokation wirklich plump und unkreativ war. Wer auch immer dafür verantwortlich war – House würden einen so billigen Trick doch aus kilometerweiter Entfernung erkennen. Belustigt schnaufend, wandte sich Cameron ab, doch sie blieb augenblicklich wieder stehen, als House‘ Worte unwillkürlich in ihrem Kopf widerhallten. Schon vor langer Zeit. Es war fast schon wie ein offenes Geheimnis, dass sie House faszinierend fand und so sehr es sie auch wurmte, dass er dies gnadenlos versuchte auszunutzen – ändern konnte sie es nicht. Eine Idee formte sich in Camerons Kopf, eine, für die sie sich später vermutlich schelten würde, aber irgendetwas trieb sie dazu an, ihre Aufmerksamkeit wieder der Torte zuzuwenden. Konnte sie es wirklich tun? House helfen? Oder sollte sie genau das Gegenteil machen, um ihm zu beweisen, dass er nicht immer Recht hatte? Noch immer zögernd, streckte sie ihre Hand nach der Süßigkeit aus. Ihr Finger versank für einen Augenblick in der kühlen Masse, bevor sie ihn wieder zurückzog und das Bisschen, das an ihrem Zeigefinger heftete, zu ihrem Mund führen wollte. Doch dazu sollte es nicht kommen. „Sie sind also doch eine Naschkatze“, ertönte eine Stimme hinter ihr und Cameron wirbelte erschrocken herum. „House…“ Der Mann kam auf sie zu, den Mund nicht zu einem schiefen Grinsen verzogen, sondern mit ehrlichem Interesse in den blauen Augen, was Cameron noch mehr verwirrte. Er erwiderte nichts mehr, sondern blieb neben ihr stehen und betrachtete die Torte skeptisch. „Hm, nicht schlecht“, kommentierte er und noch ehe Cameron etwas sagen oder protestieren konnte, hatte er ihr Handgelenk ergriffen und seine Lippen um ihren Zeigefinger geschlossen, die süße Sahne von ihrer Haut leckend. Dabei ließ er sich mehr Zeit als nötig und ließ es sich nicht nehmen, Cameron direkt in die Augen zu schauen. Nur langsam gab er ihre Hand wieder frei. „Wirklich nicht schlecht.“ Als wäre nichts gewesen, umkreiste House den Schreibtisch und ließ sich schwerfällig dahinter nieder. Cameron hingegen brauchte eine Weile, um zu verarbeiten, was gerade geschehen war. Noch immer hielt sie den Arm verkrampft in der Luft und ihr Mund fühlte sich schrecklich trocken an. Und obwohl sie nichts anderes als House‘ Augen gesehen hatte, war allein die Gewissheit darüber, was er gerade getan hatte genug, um ihr die Hitze ins Gesicht – und nicht nur ins Gesicht – zu treiben. Bevor sie aber in all den Emotionen, die sie durchfluteten, die der Empörung herausfischen konnte (weil sie die einzige war, die angebracht war!), verließ ein weiterer Satz House‘ Mund und dieser sorgte dafür, dass Camerons Irritation hinfort geweht wurde. „Nicht schlecht dafür, dass die Konditorei nur zwei Stunden hatte, um die Torte zu machen und ins Krankenhaus zu bringen…“ Nun machte alles Sinn – und nun zeigte sich Camerons Ärger auch. „House!“, fuhr sie ihn an. „Das war Ihre Idee?!“ „Natürlich, Sie glauben doch nicht, dass Wilson sich so wenig Mühe geben würde?“, brummte er und leckte sich noch einmal demonstrativ über die Lippen. „Aber wieso…?“ Cameron beendete ihre Frage nicht, denn mit einem Schlag wurde ihr alles klar. Wie hatte sie nur so dumm sein können?! Sie war House direkt in die Falle gelaufen. Er hatte gewusst, dass sie etwas tun würde – und dass dieses etwas höchstwahrscheinlich das Probieren der Torte sein würde. Von all den Optionen, die es gab – sie wegschaffen, sie ignorieren, sie einer Krankenschwester schenken – hatte sie sich ausgerechnet für die entschieden, die House vorhergesehen hatte. Cameron biss sich unzufrieden auf die Zunge. „Ich könnte Dr. Wilson davon erzählen“, warnte sie, aber sogar sich selbst musste Cameron eingestehen, dass es ein misslungener Versuch war, House zu drohen. „Werden Sie aber nicht“, gab er selbstsicher zurück und zuckte mit den Schultern. „Genau deswegen war mein Plan so genial.“ Cameron ballte die Hände zu Fäusten, weil sie sich in die Enge getrieben fühlte. Er hatte Recht. Sie würde niemandem erzählen, dass House ihren Finger… Unwillkürlich stellten sich bei dieser Erinnerung ihre Nackenhaare auf. Ihr Schweigen verbuchte er als Triumph. „War es das wert? Dieses winzige bisschen Torte?“, fragte Cameron nach einer Weile, denn verstehen tat sie es immer noch nicht. „Ich habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“, erwiderte House, als wäre es offensichtlich und sah mächtig zufrieden aus – vor allem mit sich selbst. „Ich kann es Wilson zwar nicht unter die Nase reiben, aber ich habe ihn ausgetrickst. Und Sie…“ Blaue Augen hefteten sich an ihrem Gesicht fest. „Sie haben mir aus der Hand gefressen.“ Camerons Augenbrauen zogen sich bei dieser Metapher missbilligend zusammen, denn House genoss es viel zu sehr, ihr seinen Sieg unter die Nase zu reiben. Cameron wandte sich wortlos ab, weil sie genug hatte, doch House hielt sie auf, bevor sie die Tür erreichte. „Sind Sie nicht neugierig?“, rief er durch den Raum. Cameron warf einen Blick über die Schulter. „Neugierig?“, wiederholte sie. „Neugierig, was ich getan hätte, wenn Sie ein Stück Torte wirklich gegessen hätten.“ Trotz der Entfernung zwischen ihnen, glaubte Cameron zu erkennen, dass seine Augen zu ihren Lippen huschten, ehe er wieder Blickkontakt aufnahm. „Sie hätten es sich schmecken lassen“, konterte sie, dieses Mal ebenfalls mit einem Wortspiel, während sie nach der Türklinke griff. Es war ihr herzlich egal, ob sie richtig lag oder nicht. Kapitel 5: Hören ---------------- Der Schmerz in seinem Bein war unerträglich. Er raubte ihm nicht nur den Schlaf, sondern brachte ihn auch noch auf dumme Ideen. Dümmere als sonst, würde Wilson sagen. Oder vielleicht würde er diese Idee sogar gutheißen? House knirschte mit den Zähnen, während seine Hand in rhythmischen Bewegungen seinen Oberschenkel massierte. Beinahe automatisch griff seine Hand nach dem Vicodin-Behälter, der auf seinem Nachttisch stand. Dies war schon die dritte Pille, die er schluckte, aber der erwünschte Effekt blieb aus. Er brauchte Ablenkung, ganz dringend. Den Blick starr auf den Telefonhörer gerichtet, der direkt neben dem Vicodin lag, wog er erneut ab, ob er sein Vorhaben durchziehen sollte. Wilson war seine späten Anrufe gewohnt, aber er war es nicht, den House anrufen wollte. Wo wäre da der Spaß? Das redete er sich zumindest ein. Sich mühselig aufsetzend, schwang er die Beine über die Bettkante, blieb aber sitzen. Auf dem T-Shirt, das House trug, waren große, nasse Spuren zu sehen. Er schwitzte schrecklich, weil er all seine Konzentration brauchte, um mit dem Schmerz in seinem Bein fertigzuwerden. Sanftes Mondlicht fiel durch die nur schlampig zugezogenen Vorhänge und die digitale Uhranzeige verriet ihm, dass es kurz nach zwei war. Ehe sich House versah, hatte er den Telefonhörer in der Hand und wählte eine Nummer, die er immer noch auswendig kannte, obwohl es schon Ewigkeiten her war, seit er sie das letzte Mal benutzt hatte. Sie war anscheinend noch aktuell, darauf wies zumindest das im Hörer ertönende Signal hin. House ließ es fünfzehn Mal klingeln und als niemand ranging, versuchte er es noch einmal. Er wusste, dass die Person am anderen Ende vermutlich schlief und länger brauchte, um ans Telefon zu gehen. Oder aber sie wusste, wer anrief. „Hallo?“ Na endlich! Die Stimme klang mehr verschlafen als genervt. Jetzt, da diese Situation nicht mehr nur in seinem Kopf existierte, überlegte House erneut, ob es nicht besser wäre, doch noch aufzulegen. Er schwieg. „Hallo?“, wiederholte die Stimme, dieses Mal allerdings hörbar verärgert. „Wer auch immer Sie sind – ich kann sie atmen hören.“ Erwischt. House verzog das Gesicht. „Sie sollten unbedingt mal zum Ohrenarzt gehen. Solche Fähigkeiten sind nicht normal.“ Nun herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. „House.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Cameron“, äffte er sie nach, woraufhin wieder Stille herrschte. „Was wollen Sie?“ Wenn er ihr nicht ins Gesicht sah, war es schwieriger, ihre Emotionen zu deuten, fiel House auf. Ihr hübsches Gesicht war stets ein offenes Buch für ihn gewesen – zumindest meistens. „Soll ich Ihnen erklären, wozu man Telefonapparate erfunden hat, oder wie? Nun, dann erleuchte ich Sie mal! Sie dienen zum Reden“, brummte House in typischer Manier. Er massierte sein Bein immer noch, aber der Schmerz erschien ihm gerade zweitranging. Oder aber die Tabletten begannen zu wirken. „Ich möchte aber nicht mit Ihnen reden. Es ist mitten in der Nacht.“ Ah, Cameron war nie gut darin gewesen, ihn davon zu überzeugen, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte. Trotzdem glaubte House, in ihrer Stimme einen bitteren Unterton herauszuhören, von dem er auch wusste, woher er rührte. Noch zu genau erinnerte er sich an das letzte Mal, als er Cameron gesehen hatte. Sie war gegangen, schon wieder, aber dieses Mal endgültig. Das war vor Monaten gewesen und noch immer erinnerte sich House an die kleinen Schritte, die seine Beine unwillkürlich getan hatten. Fast so, als hätte er ihr folgen wollen… doch das hatte er nicht getan. Nicht, weil er es nicht gewollt hatte, sondern aus einem ganz anderen Grund: Er wusste, dass sie etwas Besseres verdient hatte. Und genau diese Denkweise betrog er gerade nach Strich und Faden, weil sein Anruf egoistisch war, weil er sich an etwas klammerte, das nicht mehr ihm gehörte. Dabei war alles andere als ein sentimentaler Mensch. Es war merkwürdig, wozu der Schmerz einen zwingen konnte. „Sie reden aber immer noch mit mir. Ist Ihnen diese Widersprüchlichkeit aufgefallen?“ Seine trockene Stimme verriet nichts von den Gedanken, die in seinem Kopf herum spukten. „Kommen Sie auf den Punkt, House. Ich muss morgen arbeiten. Oder wohl eher heute…“ Aha, sie arbeitete also. House würde nicht nach dem Krankenhaus fragen, weil seiner Meinung nach alle langweilig waren und keine Herausforderungen boten. Außerdem konnte er auch ganz leicht allein herausfinden, wo man sie eingestellt hatte. „Sie haben Ihre Nummer nicht geändert. Ich dachte, Sie wären so erpicht darauf gewesen, alles hinter sich zu lassen?“ „House, gerade kommen Sie mir wie derjenige vor, der die Vergangenheit nicht ruhen lassen kann.“ Cameron hatte nie ein Problem damit gehabt, ihm die brutale Wahrheit vor Augen zu führen und auch dieses Mal schien sie Recht zu haben – was House niemals offen zugeben würde. Stattdessen passierte genau das, was immer passierte, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte: Er wurde noch unerträglicher. „Von wegen. Ich bin mir sicher, dass Sie irgendwo noch ein Foto von mir liegen haben und es sich jeden Tag ansehen. Geben Sie’s zu, Cameron, Sie vermissen mich.“ Es war kaum möglich festzustellen, ob House auf seinen alten Freund, den Sarkasmus, zurückgriff oder einfach blind Vermutungen anstellte und es ernst meinte. „Sie scheinen vergessen zu haben, was ich damals zu Ihnen gesagt habe. Ich werde jetzt auflegen“, verkündete Cameron kühl, was House sogleich dazu veranlasste, zu anderen Mitteln zu greifen. „Mein Bein schmerzt.“ Schon wieder tönte ihm die schwere Stille in den Ohren und für einen Augenblick glaubte er, dass Cameron tatsächlich aufgelegt hatte, aber dann ergriff sie wieder das Wort. „Ich kann Ihnen nicht helfen, House.“ „Das tun die Schmerztabletten auch nicht. Stecken Sie mit denen unter einer Decke?“, erwiderte er patzig. „Was wollen Sie, House?“, wiederholte Cameron ihre Frage von vorhin und klang dabei resigniert und müde. Bei jedem normalen Menschen hätte das Gewissensbisse hervorgerufen, aber House war nun mal kein normaler Mensch. Dieses Mal dachte er länger über die Frage nach. Was wollte er? Was wollte er wirklich? „Ich will, dass Sie zurückkommen.“ Er wusste nicht, ob er das wirklich tat, aber vielleicht würde sie dieser Satz noch etwas länger an den Telefonhörer fesseln. Tatsächlich hörte er, wie Cameron scharf die Luft einzog. Es dauerte, bis sie ihm eine Antwort gab. „Dieser Zug ist längst abgefahren, House. Ich möchte nicht zurückkommen. Ich habe mit Ihnen und Robert abgeschlossen.“ „Haben Sie das wirklich?“ „Ja“, bestätigte Cameron nachdrücklich, aber House glaubte ihr immer noch nicht. Er glaubte nicht daran, dass sie ihre Vergangenheit einfach so zurücklassen konnte, dass sie einfach so weitermachen konnte. Ausgerechnet Cameron! Cameron, die Emotionen kannte, die man noch gar nicht erfunden hatte. Jemand wie sie fing nicht einfach so von vorne an. „Es ist an der Zeit, um loszulassen, House“, zog Cameron weiter, als hätte sie seine Gedanken erraten. „Nur so können sich unsere Wege irgendwann wieder kreuzen.“ Dies waren die letzten Worte, die er von Cameron hörte, bevor das penetrante Signal ihm klarmachte, dass sie das Telefongespräch beendet hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)