Hero von Rix (OS-Sammlung zu jeglichen Hetalia-Pairings) ================================================================================ Kapitel 1: Brotherly Love ------------------------- Eine kühle Abendbrise umschlang die Kniekehlen eines weißhaarigen Mannes, der einen kleinen Jungen auf den Armen trug. Fröstelnd drückte sich der blonde Junge näher an den Größeren und schmiegte sich an dessen warmen Körper. Der Ältere lächelte breit, wobei er mit einer gewissen Liebe auf den Blondschopf blickte. Dann schweiften seine roten Augen über die weite Landschaft, die sich unter ihnen ergoss. Von ihrem Standpunkt aus konnte man auf einen weiten Fluss sehen, auf dichte Wälder, einem entfernte Dorf und weite Bergkuppen. Es war ein großartiger Anblick. Es war des Mannes Heimatland, sein ganzer Stolz, sein Leben. Der Junge hob leicht den Kopf, fixierte den nächtlichen Himmel über ihnen. In seinen blauen Augen spiegelte sich das Sternenmeer wieder. „Mach den Mund zu, sonst fängst du noch Insekten damit“, spöttelte der Ältere. Der Junge senkte daraufhin beschämt den Blick. Vergnügt schnaubte der Mann. Schließlich wandte er sich wieder dem atmenberaubenden Anblick zu. „Weißt du, was das ist?“ Einige Sekunden verstrichen, bevor der Blondschopf schweigend den Kopf schüttelte. „Pah! Dann wird es langsam Zeit.“ Der Weißhaarige befreite einen seiner Arme, nur um damit strickt auf das Land unter sie zu zeigen. „Das da, Ludwig, das da ist unser Reich.“ Ludwig schaute stumm in die angegebene Richtung. Der Ältere dachte schon, dass der Jüngere nicht verstanden hatte, was er ihn damit gerade offenbart hatte und wollte zu einer Erklärung über dieses großartige Reich ausholen, als dieser ihn mit seinen blauen Augen fragend ansah. „Unser...Reich?“ Ein breites Lächeln breitete sich über das ganze Gesicht des Mannes aus. „Ja, unser Reich. Zusammen werden wir Preußen zum mächtigsten Nation der Welt machen!“ Doch anstatt unglaubliche Begeisterung, schwieg Ludwig nur erneut und sah nachdenklich auf das Land hinab. Schnaubend setzte der Weißhaarige Ludwig ab und wandte sich dann zum Gehen. Dieses Kind schien sein Geschenk keineswegs zu würdigen – und sowas war auch noch sein kleiner Bruder. „Gilbert.“ Bei seinem Namen blieb der Größere stehen. Es war merkwürdig ihn zu hören, nannte ihn doch sonst niemand so. Aber aus dem Mund von Ludwig, war es immer etwas Besonderes. Also drehte er sich noch einmal um und war verwirrt. Ludwig sah ihn direkt an, unsicher und auf der Unterlippe kauend. „Ja?“ Fragte er nach, verschränkte die Arme und konnte sich ein überhebliches Grinsen nicht verkneifen. Er mochte es, wenn sein kleiner Bruder so war. So unschuldig und unsicher. Er liebte es Ludwigs älterer Bruder zu sein. „Es...uhm...ist mir eine Ehre, dass du mir erlaubst mit dir über das da zu....entscheiden.“ „Nichts zu danke, du Rotzlöffel.“ „Ich bin kein Rotzlöffel!“ Gilbert konnte nicht anders, als in schallendes Gelächter auszubrechen, während Ludwigs kleine Hände wirkungslos gegen seine Oberschenkel prasselten. Gilbert stöhnte auf, als Ludwigs große Hände über seine Oberschenkel glitten und eine heiße Welle der Lust durch seinen Körper jagte. Genießerisch lehnte er sich weiter zurück ins Sofa und legte den Kopf in den Nacken. Sofort strichen weiche Lippen über den freien Hals und warmer Atmen kitzelte seine Haut. Ludwig war so gut in diesen Dingen, so unglaublich gut, dass er immer mehr wollte, wenn der Jüngere einmal damit anfing. Energisch schloss er seine Arme um den muskulösen Körper und drückte den breiten Rücken zu sich hinab, damit er den Abstand zwischen sich und dem Blonden verringern konnte. Das hatte zur Folge, dass Ludwig aufkeuchte, direkt in sein Ohr hinein. Wie ein elektrischer Schlag zog sich dessen tiefes Keuchen durch Gilberts Körper, überschlug seine Gedanken. Ab diesen Moment war ihm alles egal. Er wollte, dass ihn Ludwig nahm, jetzt sofort. Dabei wusste er ganz genau, dass er es bereuen würde, so wie immer. Aufmerksam beobachtete Gilbert Ludwig beim Anziehen. „Süße Unterhose“, kommentierte er das Ganze. Ludwig warf ihn einen pikierten Blick über die Schulter zu. „Sie ist ein Geschenk von Feliciano.“ „Macht sie nicht gerade hübscher“, erwiderte er gehässig. Er mochte Feliciano abgöttisch, der Kleine war einfach zu süß, um ihn nicht zu mögen. Jedoch momentan störte ihn seine Präsenz, auch wenn sie nur durch eine getragene Unterhose vorhanden war. Ludwig jedoch schien nicht weiter auf seine Provokation eingehen zu wollen und zog sich einfach weiter stumm an. An sich war diese Prozedur keine ihnen Neue. Sie trafen sich, schliefen miteinander und dann verschwand der Jüngere wieder. Zurück zu seinen idiotischen Freunden. Gilbert konnte sich nicht helfen, einerseits war es ihm egal, was sein jüngere Bruder trieb, andererseits versetzte es ihn immer wieder einen Stich, wenn ein Abschied bevorstand. Womöglich lag es an ihrer Vergangenheit. Womöglich auch nicht wirklich. Höchstwahrscheinlich war es eine Mischung aus Beidem. Nur eins war ihm bewusst, er wollte nicht, dass Ludwig ihn schon wieder verließ. Jedoch würde er einen Scheiß tun und es ihm jemals sagen. Er war Preußen. Das großartige, unübertreffliche Preußen. Er bat niemanden um Gesellschaft, nicht einmal seinen eigenen Bruder. „Hey West, warum so eilig?“ Zuerst schien ihm Ludwig nicht antworten zu wollen, dann hielt der Andere inne und schaute zu ihm hinüber. Dabei spiegelten seine blauen Augen einen fragenden Ausdruck wieder. Nicht den, den er als Kind gehabt hatte. Ludwig war schon lange kein Kind mehr. Manchmal bedauerte Gilbert das. So war sein jüngere Bruder, gar nicht mehr so richtig ein kleiner Bruder. Zumindest konnte er ihn als diesen nicht mehr sehen. Er war ein richtiger Mann – und dort war das Problem. „Warum interessiert es dich, Bruder?“ Gilbert schnaubte, ließ sich zurück ins weiche Polster des Sofas fallen. „Tut es nicht.“ „Verstehe.“ Abermals schnaubte der Weißhaarige abfällig. Gedanklich äffte er den Ton von Ludwig nach. Nichts verstand dieser Kerl. Jüngere Brüder verstanden ihre älteren Brüder gefälligst nicht. Das ging einfach nicht, deswegen gab es ja jünger und älter. Seine Aufgabe wäre es dem Blonde zu erklären, damit er es verstand. Doch Ludwig brauchte schon lange keine Erklärungen mehr von ihm. Er war jetzt ein Mann. Plötzlich beugte sich ein Schatten über ihn. Verwundert sah Gilbert auf, nur um direkt in das markante Gesicht von Ludwig zu blicken. Ernst sah dieser auf ihn hinunter. „Warum willst du das ich bleibe?“ Das größte Problem an Geschwistern war, dass sie einen kannten. Besonders Ludwig war über all die Jahre darin gut geworden. Sogar noch, nachdem sie einige Jahre keinen Kontakt zueinander gehabt hatten. Diese Jahre waren die schrecklichsten in Gilberts Leben gewesen – und gleichzeitig die Befreiensten. Es war ein Widerspruch an und für sich, doch das war es immer, wenn es um Ludwig ging. „Wer hat das behauptet, uh?“ Er war sich dem aggressiven Unterton in seiner Stimme bewusst, war sogar gewollt, nichtsdestotrotz schien der Blonde sichtlich unbeeindruckt. „Du.“ „Muss ich verpasst haben.“ Ludwig zog nur eine Augenbraue hoch und beugte sich noch ein Stückchen näher zu ihm hinunter. Nach Gilberts Meinung war das völlig unnötig, zudem versetzte es ihm einen Stich in der Brust. Er verspürte das Verlange jetzt nach diesem Gesicht zu greifen, diese weichen Lippen zu küssen und diesen muskulösen Körper erneut auf ihn zu spüren, wobei die großen, rauen Hände Dinge mit ihm anstellten, die eindeutig nicht jugendfrei waren. Doch er durfte nicht. Ja, es war in Ordnung, wenn die Initiative von Ludwig mehr oder weniger aus ging. Aber jetzt einfach so, wo sie es schon getan hatten, war einfach unmöglich. Denn dann würde Ludwig abblocken und diese Risiko, diese Abweisung, wollte er nicht eingehen. Warum war er auch nur erwachsen geworden? Als Kind hatte er ihn immer anfassen können. Da waren auch noch nicht diese Gedanken gewesen. Diese Gefühle. „Es ist nicht nur Sex für dich.“ Völlig emotionslos verließ dieser Satz Ludwigs Lippen. Es war weder eine Frage, noch eine Vermutung. Es war eine knallharte Feststellung, die egal wie oft er sie leugnen würde, für den Blonden nun Gesetz war, welches unmöglich aufzuheben war. Gilbert war es klar gewesen, dass das was sie taten über reine Brüderlichkeit hinausging. Zuerst war es auch für ihn in Ordnung gewesen, ein Zeitvertreib, warum nicht. Jedoch irgendwann war es schwerer geworden. Ihm wurde heiß oder kalt, Übelkeit, Zittern, Gedanken, ein immerzu stärkeres Verlangen. Ohne eine Chance stopp schreien zu können, ohne die Prozedur aufzuhalten, war sie schon beendet. Das Ergebnis dennoch war bei Weitem das Schrecklichste, was ihm in seinem ganzen Leben passieren konnte. „Und wenn es so wäre, was dann, West?“ Erwiderte er kaltschnäuzig, reckte das Kinn ein wenig, um zumindest von seiner jetzigen Position nicht ganz schwach zu wirken. Tatsächlich schien Ludwig zu überlegen. Für einen Moment, einen einzigen Herzschlag lang, schöpfte Gilbert eine lächerliche Hoffnung. Womöglich war er nicht allein mit dem was in seinem Inneren vor sich ging. Vielleicht teilten Ludwig und er endlich wieder etwas gemeinsam. So wie früher, als der Jüngere sich noch als Kind in seine Arme gedrückt hatte, wenn ihm kalt gewesen ist, wenn er von ihm beschützt werden wollte. Gilbert hätte auch auf Weltfrieden auf Erden hoffen können, es wäre genauso schwachsinnig gewesen. Mit einem einzelnen Satz zerstörte Ludwig alles, was Gilbert so ordentlich aufgebaut hatte, seitdem sie so verkehrten. „Es ist mir eine Ehre, dass du in mich verliebt bist.“ „Tz, danke.“ Was wollte er mit Wests Ehre? Es war zwar ein großes Geschenk von diesem, aber er sehnte sich nach etwas Anderem. Etwas Größerem. Er wollt nicht seine Ehre, er wollte seine Liebe. Darauf konnte er jedoch eine Ewigkeit warten und sogar diese wäre zu kurz, um jemals die Liebe von Ludwig zu erlangen. Mit einem abwertenden Blick sah er den Jüngeren an. „Wolltest du nicht gehen? Oder bist du so ein Weichei, dass du nicht einmal Manns genug bist, einen Korb zu geben?“ Sein Hohn schien den Blonden tatsächlich zu verletzten. Es tat gut den Anderen zu verletzten, ihn von sich zu stoßen. Denn er würde es nicht ertragen Ludwigs Mitleid zu bekommen. Es würde ihn wahnsinnig machen, ihn als schwach und hilflos abstempeln. Das durfte er sich nicht erlauben. Niemals. Er war das mächtige Preußen. Er war der großartige Gilbert Beilschmidt. Er war Ludwigs ältere Bruder, verdammt nochmal! „Gilbert...“ Da war sie, diese Stimme, die seinen Namen auf eine einzige Art und Weise aussprach, die ihn immer wieder erneut weich werden ließ. „Verpiss dich endlich, West!“ Keifte er ihn jetzt wütend an. Er spürte wie sich sein Inneres zusammenkrampfte und seine Augen anfingen zu jucken. Tatsächlich schien Ludwig endlich der Aufforderung gleich zu kommen. Er erhob sich und schritt auf die Tür zu, hielt jedoch noch einmal inne. „Du wirst für mich immer mein großer Bruder bleiben, Gilbert.“ Mit einem lauten Krachen fiel die Tür in ihre Angeln und von der einen Sekunde auf die Nächste war der Weißhaarige allein im Raum. Wie benommen erhob er sich, ging zum Fenster hinüber und blickte hinaus in die Nacht auf den klaren Sternenhimmel. Ja, er würde immer Ludwigs ältere Bruder bleiben. Nicht mehr und nicht weniger. So war es. Endgültig. Er hasste es Ludwigs älterer Bruder zu sein... Kapitel 2: Cuello roto ---------------------- Es kommen viele spanische und italenische Wörter drinnen vor, wovon man die meisten aber aus dem Kontex verstehen sollte. Wenn nicht, stehen sie am Kapitelende :) ------------------------------------------------------------------ Es gab gewisse Subjekte in Lovinos Leben, die er nicht auszustehen vermochte. Dazu gehörte zum Beispiel dieser Kartoffelliebhaber, der stets seinen jüngeren fratello manipulierte und auf Liebfreund tat. Wann immer er ihn sah, wurde ihm schon schlecht. Allein dessen aufgesetztes Machogehabe ging ihn dermaßen gegen den Zeiger, dass er es kaum aushielt. Irgendwann würde er sich schon noch an Ludwig rächen – und zwar mit Erfolg. Dann war da sein schon erwähnter jüngerer fratello, der ihn ständig zur Weißglut brachte. So viel Dummheit auf einen Haufen war einfach abnormal. Außerdem was fanden alle an diesen Naivling? Schön, er konnte sauber machen, gut kochen und hier und da etwas außergewöhnlich Zeichnen, aber das war auch schon alles! Doch der krönende Abschluss aller missratenen Kreaturen denen er in seinem Leben immer wieder aufs Neue begegnen musste, war ein Exemplar ganz oben auf seiner Liste des Hasses. Antonio. Antonio Fernandez, um das Unheil Mal beim vollen Namen zu nennen. Ihm war noch nie jemand begegnet, der zur jeder Zeit mit der Sonne um die Wette strahlte, eine Seelenruhe besaß, vertrauenswürdig und einfach nur so nett war, dass man sich vor so viel Liebenswürdigkeit am liebsten übergeben wollte. Zudem war er noch immer geistig ein Kleinkind, obwohl man meinen dürfte, dass er nach all den Jahrhunderten langsam aber sicher an Reife gewinnen würde, wie es jeder buono vino sein würde. Aber stattdessen benahm er sich wie eine pomodoro marcio. Genau, das war Antonio. Würde er immer sein. Stupido Spagnia! Aufgebracht über seine eigenen Gedanken, hackte Lovino prompt einer Tomate einige Blätter ab, die sie noch hätte lange behalten können. Verärgert schnaubte er. Daran war nur dieser bastardo Schuld. Immerhin lenkte er ihn von der sauberen Arbeit ab, ließ es zu, dass er schon wieder von seiner eigentlichen Tätigkeit abschweifte und dumme Fehler beging. Um die Pflanze nicht ganz abgeschoren auf der einen Seite zu lassen, fing er an auch die andere Seite zu bearbeiten. Dabei war es nicht seine Schuld gewesen. War es nie und würde es auch nie sein. Wie hätte er auch wissen können, dass diese Blätter, die da achtlos auf den Tisch gelegen hatten, wichtige Dokumente gewesen sind? Es hatte nirgends draufgestanden. Überhaupt würde man doch ach so wertvolle Fetzen nicht einfach auf einem verdreckten Küchentresen liegen lassen, nicht wahr? Also war es doch nur eine Selbstverständlichkeit, dass er das blöde Zeug als Untersetzter für seine Getränke benutzte. Wer hätte den ahnen können, wie schließlich das ganze Glas umkippte und sich der ehemalige Inhalt nun in die Papiere einzog. Genau, niemand! Sowas passierte halt. Langsam aber sicher sollte der blöde Dauergrinser das wissen. Abermals löste das innere Bild von Antonio in ihm eine ungewollte Wut aus, weswegen er erneut völlig daneben schnitt mit der Gartenschere. Zack! - Die Tomatenpflanze war wieder um einige Blätter ärmer geworden und sah jetzt sogar noch mitleidserregender als vorher aus. Zähneknirschend zählte Lovino bis zehn, bevor er sich wieder der Gartenpflege zuwandte. Eigentlich hatte er nur auf den großen Ärger gewartet, auf ein lautes Wort oder ein völlig entnervtes Stöhnen seitens Antonio. Doch nichts dergleichen war passiert. Der Ältere hatte einfach nur sein sorriso raggiante gezeigt und „Lovi es un grande malapata!“ gesagt. Danach wurde kein Wort mehr über das Ungeschick gesprochen – und das machte ihn ehrlich gesagt rasend. Früher war das anders gewesen, als sie noch unter einem Dach gelebt hatten. Da war Antonio ständig hinter ihm her gerannt und hatte sich dauernd beklagt darüber, dass er nicht etwas mehr wäre wie sein stupido fratello. Aber jetzt ließen ihn solche Sachen völlig kalt. Alles was er tat, war dämlich darüber zu lachen, ihn liebevoll ein malapata zu nennen und ihn dann zu fragen, was er denn gerne zum Abendessen hätte. Es kümmerte ihn kein Stückchen mehr, ob er etwas anstellte oder nicht. Zu oft in der letzten Zeit hatte er das Gefühl gehabt, dass es Antonio sowieso egal geworden war, ob er da oder weg war. Wahrscheinlich würde er es nicht einmal bemerken, wenn er jetzt auf der Stelle verschwinden würde. Schnipp! - Miteinmal hing die Pflanze auf Halbmast. Zuerst ein wenig verwirrt, betrachtete er das Gemüse, dann wurde ihm klar, dass er daran Schuld war. Er hatte förmlich die Tomate umgebracht. Erschrocken blinzelte er das Opfer an, berührte es dann sachte. Er hatte vorher noch nie eine Tomate umgebracht. Nicht in seinem gesamten Leben. Es gab ja einige Dinge, die er gerne umbringen wollte, doch Tomaten waren eindeutig das Letzte, was da auf seiner Liste stand. Aber so war es schon immer gewesen. Die Leute von denen man glaubte, sie würden einen tatsächlich lieben, waren diejenigen, die einem irgendwann das Genick brachen... ...Stupido Antonio... Mit einem einzigen Ruck riss Lovino die Pflanze ganz ab. Ohne weiter zu zögern, warf er sie auf die Erde und trat darauf, immer und immer wieder, bis die Tränen seine Sicht nahmen. Still und heimlich kämpfte Lovino mit seiner Wut, die sich abwechselte mit einem stechenden Schmerz in seiner Brust, während die Tomatenpflanze ihre letzten Atemzüge unter seiner Sohle vollzog, bevor sie verstarb... „Stronzo.“ Begrüßte Lovino reichlich betrunken und mit geröteten Wange seinen Gegenüber als dieser durch die Küchentür trat. Reichlich verdutzt über die Anwesenheit des Jüngeren blieb Antonio halb im Türrahmen stehen. Schließlich schien der Spanier seine Stimme wiederzufinden und auch seine Motorik, denn jetzt betrat er den Raum und schloss sachte die Tür hinter sich. „Uh? Ich dachte du bist bei Italia pequeña, Lovi?“ Lovino schnaubte nur darauf, murmelte ein „figlio di puttana“ und griff nach der fast leeren Weinflasche auf dem Tisch. Bevor er sie jedoch heben konnte, um sich erneut ein Glas einzuschenken, wurde er sachte, aber bestimmt davon abgehalten, indem Antonio ihm die Flasche aus der Hand nahm. „Creo tienes bastante, Lovi.“ Angriffslustig reckte Lovino jetzt das Kinn und versuchte möglichst bedrohlich zu Antonio aufzuschauen. „Was weißt du schon. Ich sage, wann genug, genug ist!“ Antonio jedoch ließ sich nicht beirren und stellte die Weinflasche außer der Reichweite von Lovino. Dann wandte er sich mit ernstem Gesicht wieder dem Jüngeren zu. „Was ist los?“ Lovino gab nur einen Brummen von sich und wandte sich ab. Wie er Antonio hasste für seine fürsorgliche Art. Für seine geheuchelte Sorge. Verschwinden sollte er, aufhören so zu tun, als würde ihn sein Wohlbefinden wirklich interessieren. Abermals spürte Lovino diesen schweren Kloß in seiner Kehle, diesen stechenden Schmerz in seiner Brust. „Hm? Was ist das?“ Sofort wanderten seine Augen zu der Hand von Antonio. Mit einer ungewohnten Dumpfheit beobachtete er, wie dieser seine Hand nach dem einzigen Gegenstand auf diesem Tisch, neben der Weinflasche und dem Glas, austreckte. Plötzlich blieb ihm sein Herz stehen. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Es vergingen einige quälende Minuten in denen der Spanier ausdruckslos den Gegenstand musterte, bis er sich schließlich Lovino zuwandte. „Was ist mit ihr passiert?“ Beschämt senkte Lovino die Augen, biss sich auf die Unterlippe. Er wollte ihm nicht sagen, was er getan hatte. Wollte ihm niemals in seinem Leben erzählen, dass er aus einem Wahn heraus die Pflanze zerstört hatte, weil er sie für all das Übel, für all seine Wut und den Kummer in dem Moment verantwortlich gemacht hatte. Zudem klang das ziemlich schwach und kindisch. Als wäre eine Tomate an seinem Schmerz schuld. Wobei im übertragenen Sinne war es sie wohl. Es waren diese verdammten Tomaten, die ihn nicht vergessen ließen. Diese roten, saftigen, runden Pflanzen, die ihn immer, wenn er in eine hinein biss, wenn er sie sah, wenn er sie roch, an eine ganz bestimmte Person denken ließ, dass er schon fürchtete unter Paranoia zu leiden. Aber noch schlimmer als die Paranoia waren die Assoziationen, die seine Fantasie schuf, die ganz andere Bilder und Geschmäcker in ihm hervorriefen. „Vattene!“ War schlussendlich alles was Lovino herausbrachte. Er wollte einfach das Antonio aus seinem Leben verschwand, ihn wie auch in der letzten Zeit alleine ließ. Doch Antonio verschwand nicht, nicht dieses Mal. Stattdessen fühlte Lovino plötzlich eine warme Hand an seiner Wange, die tröstend über diese fuhr. „Hat sie dir nicht gefallen, Lovi?“ Zack! - Antonio schnitt ihn mitten ins Herz mit seiner tiefen Stimme, ließ seine Augen jucken. Unfähig etwas zu sagen, schüttelte er nur sachte den Kopf. „Was hat sie dir dann angetan?“ Schnipp! - Der warme Atem Antonios kitzelte ihn auf der Haut, jagte einen Schauer über seinen Rücken und hinterließ ein angenehmes Prickeln. „Sie hat mir das Genick gebrochen“, presste Lovino endlich hervor, wobei er kläglich scheiterte grimmig, anstatt zittrig zu klingen. „¿Y eso?“ „....stupido Spagnia.....“ Und dann war da die zweite Hand an seinem Gesicht, die einen bittersüßen Schmerz direkt in seine Brust jagte. Die ihn wie die Tomate am Vormittag sterben ließ, ihn wie seine Sohle auf ihr den Atmen raubte. „¿Puedo salvarte?“ Und da war es. Diese Art die Lovino immer wieder ärgerte. Diese nichtsverstehende, aber trotzdem tröstliche Ader des Spaniers, die einfach nur zum Kotzen war. Der idiota fragte ihn, ob er ihn retten dürfe, obwohl er eigentlich für seinen Untergang verantwortlich war. Der bastardo, der ihn seitdem er nicht mehr bei ihm wohnte, nicht mehr wie ein Kind behandelte, sondern irgendwie anders und ihn nicht mehr die Aufmerksamkeit schenkte, die er gewohnt war. Der stupido, der in ihm diese Gefühle auslöste, die ihn wütend machten, die ihm Tomaten vergraulten. Antonio Fernandez war das wohl störendste Subjekt in Lovinos gesamten Leben und wohl das meist Gehasste und somit der Mensch, den er am meisten liebte und nach dessen Nähe verlangte, so widersprüchlich das auch war. „Sì.“ Und als sich Antonios Lippen auf seine legten, dachte Lovino, dass das vollkommen in Ordnung war. Manchmal musste der Mensch, der einen liebte das Genick brechen, nur um einen dann auf eine anderen Weise, einer Stärkeren zu lieben. ----------------------------------------------------------------------------- fratello = ital. Bruder buono vino = ital. guter Wein pomodoro marcio = ital. verfaulte Tomate Stupido Spagnia = ital. blödes Spanien! Stupido = ital. blöd/ Dummkopf bastardo = ital. Dreckskerl sorriso raggiante = ital. strahlendes Lächeln Lovi es un grande malapata! = span. Lovi ist ein großer Tollpatsch! malapata = span. Tollpatsch Stronzo = ital. Arschloch Italia pequeña = span. Kleines Italien (damit ist Feliciano gemeint) figlio di puttana = ital. Hurensohn Creo tienes bastante = span. Ich glaube, dass du genug hast Vattene! = ital. Hau ab! ¿Y eso? = span. Wieso das? ¿Puedo salvarte? = span. Soll ich dich retten? Si = ital. Ja Kapitel 3: Toy -------------- Warum tat er sich das überhaupt an? Sollte er es nicht langsam besser wissen? Überhaupt, wenn Alfred doch so ein toller Hecht war, wieso schaffte der Junge es dann nicht, alleine sein Wohnzimmer nach der Renovierung wieder neu einzurichten? Arthur schnaubte verärgert und warf den vielen Kartons einen vernichtenden Blick zu, der sie in einer anderen Dimension mit einem Zeitparadox sicher in Flammen gesetzt hätte. Jetzt verbrachte er seine wertvolle Zeit damit, Alfreds Zeug auszupacken und ordentlich an den für sich vorgesehen Platz zu räumen. Der Jüngere hatte sowieso keinen blassen Schimmer von Ordnung, alles musste er alleine regeln. Arthur schaute sich jetzt nach Alfred um, der gerade dabei war eine der Kisten zu öffnen. Wie hypnotisiert beobachtete er dem Jüngeren dabei, wie geschmeidig und doch bestimmend seine Hände die Verpackung aufrissen. Rasch wandte Arthur den Blick wieder ab, schluckte schwer und versuchte das Ziehen in seinem Magen zu ignorieren. Innerlich fluchend zerrte er jetzt auch den Karton auseinander. Nach und nach holte er einen Packen Bücher hervor mit solchen intelligenten Titeln wie „Der Held in mir“ oder „Sie sind unter uns – und wie wir damit umzugehen haben“. Was für einen Schund der Andere las, das war ja furchtbar. Gedanklich notierte sich Arthur, dass er unbedingt beim nächsten Besuch einige anständige Bücher mitbringen musste, sowas war ja schon nicht mehr ethisch vertretbar. Kein Wunder, dass der Jüngere nur Unsinn fabrizierte bei solcher Literatur. Dabei hatte er ihm doch eine ganz andere Erziehung genießen lassen, welche anscheinend wieder einmal nur zu einer verdorrten Pflanze gediehen war. Kurz hielt er inne, als ihm die Erinnerungen an früher übermannten, schloss für einen Moment die Augen. Warum war es nur jedes Mal so schwer? „Soll ich die auf den Kamin stellen, was meinst du? Da würde sie bestimmt Eindruck schinden“, ertönte die aufgedrehte, immer etwas zu laute Stimme des Amerikaners neben ihm. Warum nur machte es ihm Alfred immer wieder aufs Neue nur so schwer? Genervt öffnete Arthur wieder die Augen und schaute den Jüngeren an, der eine Kuckucksuhr in den Händen hielt, wobei er ihn dümmlich angrinste. „Wo sollte sie denn sonst hin, Idiot?“ War schließlich seine Antwort. „Vielleicht auf den Wohnzimmertisch.“ „Neben die Erdnüsse, deinen geschmacklosen Zeitschriften und deinen Stinkefüßen?“ „Du hast Recht, sie würde da nur Platz wegnehmen und sowieso übersehen werden!“ Arthur knurrte, verdrehte die Augen, als der Amerikaner sich schon abwandte. Elisabeth II. bitte schick Bildung für dieses erbärmliche Geschöpf. Kopfschüttelnd packte er sich noch ein letztes Buch auf den Arm und wankte mehr als er ging mit seiner schweren Last zum leeren Regal hinüber. Eigentlich war es ein Skandal in so ein teures und schönes Regal solch eine Schundliteratur zu stellen. Zudem dachte er noch an den ganzen anderen Kram, wie diese alberne Schneekugel, wo der Schneemann ständig seine Farbe wechselte. Furchtbares Ding! Sowas würde niemals in sein Haus kommen. Wie konnte man nur unter solcher Geschmacksverwirrung leiden? Als er vor dem riesigen Bücherregal stand, nahm er den ersten Wälzer in die Hand und versuchte vergeblich diesen ins oberste Regal zu stellen. Vergeblich stellte er sich auf die Zehnspitzen. Himmel, warum mussten diese neumodernen Möbel auch immer größer werden? Gerade wollte er aufgeben, da spürte er plötzlich einen warmen Körper, der sich an seinen Rücken schmiegte. „Du bist einfach zu mickrig für Amerika“, hauchte ihm Alfred belustigt ins Ohr, was Arthur einen wohligen Schauer über den Körper jagte. Dann war da die große, warme Hand auf seiner und half ihr das Buch ins Regal zu schieben. Arthur schloss die Augen, versuchte Alfreds Nähe zu verdrängen. „Du bist einfach zu größenwahnsinnig für England. Ich weiß wenigstens, wann genug ist“, erwiderte er giftig. Alfred lachte leise, was ihm erneut erschauern ließ. Er hasste es so sehr, wenn der Jüngere das tat – und der Jüngere wusste das ganz genau. Alfreds Hand rutschte fürchterlich langsam Arthur seiner hinab und umschloss dessen Handgelenk. „Einem Helden sind keine Grenzen gesetzt. Für mich gibt es kein genug.“ Arthur schnaubte verächtlich. „Typisch Kind. Dumm und egozentrisch.“ Eigentlich wollte Arthur seine Hand lösen, aber dadurch wurde Alfreds Griff nur noch fester, fast schon schmerzhaft. Der Amerikaner beugte sich jetzt vor. „Ich spiele halt gerne und bin dabei der Held, was ist daran falsch?“ Jetzt schwang ein Ton in Alfreds Stimme mit, der sich so von seinem normalen Unterschied, dass Arthur ihn nicht wirklich mochte. „Dann such dir was zum Spielen und lass mich weiter Einräumen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für diesen Unsinn!“ Mit einmal riss ihn der Größere mit einem Ruck um und drückte ihn unsanft gegen das Regal. Alfred lächelte ihn breit an, brachte mit einer weiteren Bewegung ihre Gesichter nur mit Millimeterabstand zueinander. Arthur mochte auch dieses überhebliche, siegessichere Lächeln nicht. „Aber du bist mir mein liebstes Spielzeug, Arthur.“ Er errötete und schaute rasch weg. „Was laberst du da für ein Mist! Lass gefälligst los!“ Nein, er mochte weder diese plötzliche tiefe, raue Stimme, noch dieses verführerische Lächeln, noch den groben, starken Griff des Jüngeren. Denn all das war eine gefährliche Mischung, die ihn immer wieder weich werden ließ und dem Anderen förmlich gefügig machte. „Ich hab jetzt keine Lust mehr auf Einräumen, ich würde jetzt viel lieber spielen“, hauchte der Amerikaner ihm ins Ohr und Arthurs Knie wurden weich. Dann waren da die warmen Lippen von Alfred an seinem Hals, seine starken Hände, die über seinen Körper glitten und er war zu unfähig sich dagegen zu wehren. Er hasste sich selbst dafür den Jüngeren immer wieder Spielraum zu lassen. Ihm seinen Willen durchsetzten zu lassen. Er war früher schon schlecht darin gewesen ihn in die Schranken zu weisen und heute war es ihm sogar unmöglich geworden. Alfreds Lippen legten sich auf seine, drängten ihn zu einem stürmischen Kuss. Fühlte jetzt auch die rauen, großen Hände an seiner Haut, die bei jeder Berührung ein Kribbeln hinterließen. Nach Atmen ringend, löste Arthur ihren Kuss, was Alfred nur dazu animierte jetzt sein Hemd zu öffnen und seine Brust zu liebkosen. Arthurs freie Hand grub sich in den blonden Schopf, seine Augen starrten an die Decke. Er konnte und wollte Alfred jetzt nicht anschauen. „Hör auf...“, keuchte er vergeblich. Da schummelten sich Alfreds blauen Augen in sein Sichtfeld, in denen man seine Lust förmlich ablesen konnte. „Nein, ich steuere gerade auf einen Highscore zu.“ Kaum hatte er das gesagt, küsste er ihn begierig auf die Lippen, griff nach Arthurs Hosenbund. Wieder einmal wurde er zu Alfreds Spielzeug. Erschöpft lehnte Arthur gegen einen Stapel Kisten und starrte den Boden vor sich an. „Bist du schon so alt, dass du nicht mehr kannst?“ Ertönte die freche Stimme von Alfred. Wütend sah er auf und direkt in das Gesicht der Grinsebacke. „Halts Maul! Ich verschnaufe nur kurz, ich hab sowieso schon mehr getan als du.“ Der Amerikaner lachte nur, kramte einen Stapel Teller aus der Kiste. „Dann ruh' dich aus und schon deine alten Knochen, alter Sack.“ „Du kannst mich mal!“ Alfred warf ihn einen eindeutigen Blick zu. „Gerne.“ Arthur konnte nicht anders, als rot anzulaufen und schaute beschämt weg. „Idiot...“ Erneut ertönte Alfreds lautes Gelächter, dann schien der Größere sich daran zu machen, die Teller einzuräumen. Arthur seufzte schwer. Warum nur war er in solch einer Situation gelandet? Weshalb machte ihn immer Alfred das Leben zur Hölle? Dabei war er früher so ein süßes Kind gewesen..und jetzt war er erwachsen und hatte ganz andere Vorstellungen. Vorstellungen, die Arthur verwirrten und fast noch mehr verletzten, als damals Alfred seine Freiheit eingefordert hatte. Das Schlimmste jedoch an der Sache war, dass es ihm gefiel und er ganz andere Gefühle für den Amerikaner entwickelt hatte. Womöglich waren sie auch schon immer etwas anders gewesen, aber das tat nichts zur Sache. Das Problem war, dass er wieder einmal alleine mit diesen Gefühlen dastand und es für Alfred nur ein großes Spiel war. Ein Spiel, wo er seine Grenzen austestete und ihn schlussendlich vernichtend erschlug, ihn in ein Häufchen Elend verwandelte. Arthurs Augen begannen zu brennen und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Rasch versuchte er diese Gedanken zu verdrängen, um sich zumindest noch etwas Würde zu erhalten. Er würde kein zweites Mal vor dem Jüngeren Tränen vergießen. Nein, nie wieder. Da hefteten sich seine Augen auf eine alte, vergammelte, kleine Kiste, die förmlich unterging zwischen den großen Kartons. Momentan konnte Arthur genau nachempfinden, wie sich diese Kiste fühlen musste. Schlapp stand er auf, schlenderte zu der Kiste hinüber und befreite sie aus ihrem engen Gefängnis. Leicht schüttelte er die Kiste, wobei er ein dumpfes Klonk Klonk hörte. Anscheinend waren da mehrere Gegenstände drinnen. Neugierig wollte er sie gerade aufmachen, als ihm die Kiste entrissen wurde. Verwirrt sah er auf in Alfreds Gesicht, welches ungewöhnlich blass wirkte. „Was tust du da?“, fragte er aufgebracht, wobei Arthur nur verwundert die Augenbrauen hob. „Ich wollte schauen was in der Kiste ist?“ Da drehte ihm Alfred den Rücken zu, machte schon Anstalt abzuhauen. „Da ist nichts Wichtiges drinnen!“ Arthur verschränkte die Arme vor der Brust. Wenn es dem Anderem unangenehm war, konnte das nur eins bedeuten. „Nicht? Dann ist es also wie immer nur irgendwelches perverses Zeug, hm?“ Energisch wandte sich Alfred ihm wieder zu. „Nein, ist es nicht! Da ist...“, der Amerikaner verstummte und senkte den Blick. Jetzt war Arthur komplett verwirrt. Seit wann benahm sich Alfred so zurückhaltend? Das kannte er überhaupt nicht von dem Jüngeren. Dieser wurde jetzt leicht rot im Gesicht. „...da ist mein Herz drinnen“, flüsterte er sanft und liebevoll, wobei er zärtlich über die Kiste strich. Arthurs Augen weiteten sich, starrte Alfred an. Sein Herz? Hieß das etwa, der Inhalt dieser Kiste war sein wertvollster Besitz? „Alfred...“, er machte einen zögerlichen Schritt auf den Größeren zu, als dieser sich plötzlich wieder mit seiner üblichen Haltung zu ihm wandte. „Wenn du sie also öffnest, sterbe ich!“ Arthur stocke. „Bitte?!“ „Meine Achillesferse!“ Alfred lachte und Arthur sah ihn ungläubig an. Dann packte ihn die Wut. So ein Idiot und er hatte sich schon Sorgen gemacht. Hatte dem Jüngeren zugetraut, tatsächlich sowas wie Gefühle zu haben. Er war ja so unglaublich dumm! „Du verfluchter Idiot!“ Mit einem riesigen Schritt stand er vor Alfred. Dieser konnte nicht mehr reagieren, da schlug er ihm schon die Kiste mit aller Gewalt aus der Hand. Mit einem lautem Krach donnerte sie auf dem Boden auf, schlitterte über das Pakett, öffnete sich und verteilte ihren Inhalt im ganzem Raum. Eine unangenehme Stille entstand, in der sie beide in ihrer Haltung verharrten, Arthur mit erhobener Hand und Alfred mit ausgestreckten Händen. Beide stierten den Inhalt der Kiste an. Erst nach und nach erkannte Arthur was es war, erinnerte sich daran. Es waren die Holzfiguren, die er Alfred gebastelt und geschenkt hatte, als dieser noch ganz klein gewesen war. Ratlos, weshalb Alfred noch immer im Besitz von diesen war, wandte er sich an den Größeren, der mit eiserner Miene auf die Figürchen hinab sah. „Wie....Wieso hast du die?“, stammelte er jetzt. Doch Alfred rührte sich nicht, schwieg beharrlich. Aufgebracht griff er jetzt nach dessen Pullover, vergrub seine Hände krampfhaft in den weichen Stoff und zog Alfred so näher zu sich. „Wieso hast du die noch?“ Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust. Seine Gedanken überschlugen sich. Er verstand das alles nicht. Hatte Alfred nicht gesagt, dass das sein Herz war? War das wieder einer seiner schlechten Scherze...und wenn nicht, was dann? Endlich wandte sich Alfred ihm zu, dabei verzog er keine Miene. Für einen Moment wollte Arthur zurückweichen, weil ihm diese Ausdruckslosigkeit verunsicherte, doch da umschlossen Alfreds großen Hände seine kleinen. „Weil ich dich nicht in eine Kiste sperren kann.“ Überrascht riss Arthur die Augen auf, sein Herz machte einen riesigen Sprung. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurden ihm die Knie weich. Urplötzlich ließ Alfred seine Hände los, stattdessen umarmte er ihn jetzt heftig, drückte ihn so fest an sich, das er kaum noch Luft bekam. „Weil ich dich nicht in eine Kiste sperren kann“, flüsterte Alfred erneut. „Dabei wünsche ich es mir so sehr.“ Irgendwas an diesen Worten, an die Art und Weise, wie der Amerikaner sie sagte, ließ Arthur sich endlich beruhigen. Tröstend erwiderte er die Umarmung, strich dem Anderem durch dessen Haar. Alfred war wirklich so ein Kind. Er würde niemals erwachsen werden und ständig den Helden mimen, nur um stark und unnahbar zu wirken. Er würde niemals aufhören Unordnung zu schaffen und alles als ein großes Spiel zu sehen. Er würde niemals seine wahren Gefühle preisgeben, nicht vor der Welt und womöglich auch nicht vor ihm. Aber das war in Ordnung. Irgendwie würde er schon damit zurecht kommen. Er kannte ja jetzt einen Teil von ihnen. „Das macht nichts. So kannst du doch viel besser mit mir spielen, Alfred.“ Der Jüngere drückte ihn darauf nur noch fester. Arthur schloss die Augen, genoss die Wärme und Nähe des Anderen, wobei ihm warme Tränen über das Gesicht hinab liefen. Wieder einmal spielte Alfred mit ihm...und er hoffte innig, dass dieses Spiel ewig dauern würde. Kapitel 4: Sedia vuota ---------------------- Lovino starrte auf den leeren Stuhl ihm gegenüber, bis seine Augen tränten und er blinzeln musste. Er kniff die Lider zusammen, so fest als hinge sein Leben davon ab. Er atmete tief ein, hielt die Luft für einen Moment an. Sein Herz raste unangenehm und sein Bauch schlug Purzelbäume. Schließlich stieß er die angehaltene Luft hinaus und riss seine Augen auf. Der Stuhl blieb leer. Stumpf musterte er das leblose Stück Holz, versuchte irgendeine Veränderung zu sehen, irgendein Hinweis auf eine weitere Existenz zu finden. Aber egal wie lange er das Möbelstück ansah, es blieb unbesetzt. Eine warme Hand legte sich auf seine Schulter. „¿Estás bien?”, fragte ihn die sanfte Stimme von stupido Spagnia, flüsterte ihn die Frage fast schon ins Ohr, dabei war es so unnötig. Um sie herum herrschte das Leben, stritten sich die anderen Nationen, wer denn jetzt im Recht war und wer was zu tun hatte. Es interessierte sie nicht, dass er, das unbedeutenen Süditalien, hier saß und auf einem leeren Stuhl saß und von dem sorglosen Spanien befragt wurde, wie sein Wohlbefinden war. “Sì”, antwortete er schlicht und stand mit einem Ruck auf. Die warme Hand von Antonio rutschte von seiner Schultern und hinterließ nur wieder das Gefühl von Kälte. “¿Te sientes muy bien, Lovino?” Kurz zögerte der Jüngere, zuckte nur achtlos mit den Schultern. “Prenditi cura del tuo stesso sudiciume, Antonio.” Mit diesen Worten ließ er den Spanier hinter sich zurück, dessen besorgten Blick missachtend. Er öffnete die riesige Tür zum Konferenzraum und schloss sie wieder hinter sich, ohne das es jemanden auffiel. Kaum war die Tür in ihre Angel gefallen, erstarben die lauten Stimmen, die ihm schon die ganze Zeit die Nerven raubten und hinterließen einen totenstillen Gang. Langsam setzte er sich in Bewegung, lief immer geradeaus ohne jemals in einen der unzähligen anderen Räume abzubiegen. Dachte an den leeren Stuhl. Sachte fielen Sonnenstrahlen durch die riesigen Fenster, spielten mit den Farben und Konturen des Flurs. Doch er schloss nur die Augen und wollte das alles nicht sehen. Blind lief er immer weiter. Dachte an den leeren Stuhl. Sein blinder Lauf wurde je durch einen harten Zusammenprall gestoppt. Schmerzhaft kollidierte er mit einer Wand vor sich. Die Wucht ließ ihn taumeln und schließlich rücklings fallen. Der harte Boden presste ihm die Luft aus der Lunge, so das er keuchend die Augen aufriss und an die helle Decke starrte. Dachte an den leeren Stuhl. Reglos blieb er liegen, ignorierte die pochende Stirn. Plötzlich lief ihm irgendwas Flüssiges ins Auge. Verwirrt rieb er es schleunigst weg, nur um dann erstaunt seine Hand zu mustern. Blut klebte an ihr und wurde von der Sonne angestrahlt, als gebe es in diesen Moment nichts schöneres auf der Welt. Einige Sekunden nahm er dieses groteske Bild in sich auf, dann ließ er die Hand sinken. Dachte an den leeren Stuhl. Langsam richtete er sich auf, nur um von einem heftigen Schwindelanfall übermahnt zu werden. Hastig fasste er sich an die Stirn, spürte jetzt das warme Blut überall auf ihr, strich es sich erschöpft durch die Haare. Als der Schwindelanfall sich legte, setzte er sich taumelnd auf. Seine Beine fühlten sich wie Pudding an, doch er ignorierte es einfach. Vorsichtig wandte er sich um, setzte seinen Weg nach rechts fort. Dachte an den leeren Stuhl. Seine Beine trugen ihn nur schwerlich Meter für Meter vorwärts und immer wieder musste er sich das Blut aus den Augen wischen. Schließlich erreichte er seinen Raum. Mit einem kurzen Ruck öffnete er die Tür, betrat das Zimmer und schmiss sie laut polternd wieder zu. Der Schlag verhallte und der Mantel der Stille legte sich wieder über ihn. Dachte an den leeren Stuhl. Automatisch trugen ihm seine Füße ins kleine Badezimmer des Apartments. Mit einer Bewegung betätigte er den Lichtschalter des Raums und gleißendes Licht blendete ihn für einen Augenblick. Als seine Augen sich daran gewöhnten, erblickte er sich selbst. Eingesunken imTürrahmen stehend und mit blasem, blutverschmiertem Gesicht. Dachte an den leeren Stuhl. Zögernd trat er näher an den Spiegel heran, stützte sich auf dem Waschbecke ab, wobei seine Finger rote Spure auf weißem Porzellan hinterließen. Sein Gesicht wirkte eingefallen, dunkle Augenränder untermalten es, doch es waren seine Augen, die das Ganze abrundeten. Trübe wie ein See nach einem heftigen Sturm blickten sie ihm entgegen, spiegelten nichts als Leere wieder. Sein Spiegelbild schaute ihn an und er erwiderte den Blick. Plötzlich, ohne Vorwarnung, so als würde man einen Wasserhahn öffnen, brach alles aus ihm heraus. Die Schmerzen von seiner Platzwunde erreichten endlich sein Nervensystem, sein Körper fing an heftig zu zittern und seine Beine gaben nach. Wie ein nasser Sack fiel er zu Boden, rollte sich zusammen und laut schreiend, schlug er die Arme über den Kopf zusammen. Nach und nach wurden seine Schreie zu einem jämmerlichen Schluchzen und schließlich zu heißen Tränen, die unaufhörlich sein Gesicht hinabliefen. Seine Schmerzen ausgelöst durch die Platzwunde, wurden abgelöst durch die heftigen Wunden in seinem Herzen, welches mit jeder Sekunde auseinanderbrach. Betrunken torkelte Lovino auf den Weißhaarigen zu, schlug nach ihm, wobei dieser lachend auswich. Ohne dagegen etwas tun zu können, griff dieser nach seinem Hansgelenk, zog ihn mit einem Ruck zu sich heran. Die rauen Lippen des Preußen legten sich auf seine. Protestierend wollte er sich aus der Umklammerung lösen, doch Gilbert umfasste ihn nur noch heftiger, so fest, dass er vor Schmerzen keuchte. Sofort nutzte der Preuße die Lücke, um ihn in einen Zugenkuss zu verwickeln, dem er einfach nicht widerstehen konnte. Er spürte die Hitze des Älteren, roch sein herbes Aftershave, welches ihm die Sinne raubte. Seine Beine gaben zum Glück in dem Moment nach, als Gilbert sie gemeinsam auf das Sofa verfrachtete. Das Gewicht des Größeren drückte schwer, aber nicht unagnehm auf ihn, erinnerte ihn daran, wie oft und in welchen Sachen diese Pose bei ihnen über all die Jahre geendet war . Einsamkeit verband. Doch anders als sonst, fiel der machthungrige Preuße nicht über ihn her, sonder hielt ihn einfach nur in einer Umarmung. Irgendwo im Raum tickte eine Uhr. Lovis betrunkener Kopf und sein erhitzter Körper waren keine gute Mischung und wurden unruhig. Also fing er an Gilbert am Ohrläppchen zu knabbern, bis dieser miteinmal den Kopf wegriss. Augen, so rot wie Blut, musterten ihn nachdenklich. “Was macht dich so besoffen, Pomodoro?” Er hasste es, wenn der Ältere ihn bei diesem lächerlichen Spitznamen nannte und ihn dann auch noch völlig falsch betonte. Aber das kümmerte den Preußen nicht, die Meinung anderer wurde immer überhört. Irgendwann würde diese Arroganz noch sein Untergang bedeuten – Doch wann immer er ihm das prophezeite, im Zorn oder im Ernst, lachte der Weißhaarige nur gehässig. “Deine Fresse, Kartoffelkopf”, antwortete er giftig. Darauf lachte Gilbert nur sein einmaliges Lachen, schüttelte sie beiden durch. Ohne ein weiteres Wort stand er auf. Sofort richtete sich auch Lovino auf, folgte dem Preußen, der zielsicher auf den Tisch mit der leeren Weinflasche zusteuerte. Neugierig hob er sie hoch, musterte sie einmal, nur um sie dann gegen die Wand zu zerschmeißen, wo sie in tausende Scherben zerbarste. So wie er es irgendwann tun würde, dachte Lovino und merkte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. “Worüber weinst du, kleine Heulsuse?” Lovino schüttelte den Kopf, wischte sich fahrig übers Gesicht. “Ich weine nicht, Stronzo!”, schrie er ihn wütend an. Ruckartig stand er auf, nur um es sogleich wieder zu bereuhen. Der Alkohol ließ ihn taumeln. Gerade noch so konnte er sich fassen und wollte zur Tür eilen. Es war eine dumme Idee gewesen auf den Preußen zu warten, er sollte endlich aufhören damit. Er war für den Älteren auch nichts weiter, als nur Süditalien. “Lud ist dabei groß zu werden...” Lovino hielt inne, wandte sich zu dem Weißhaarigen um, der ausdruckslos die Scherben anstarrte. Plötzlich trafen sich ihre Augen. “Ich glaube bald vergessen die Leute, dass es mich gibt. Was meinst du dazu, Pomodoro? Wird Preußen einfach aus dem Gedächtnis der Leute verschwinden?” Obwohl Gilbert es mit einem gehässigen Unterton sagte, konnte Lovino doch eine ehrliche Sorge daraus hören und das verwirrte ihn. Er kannte niemanden, der so selbstsicher über seine eigene Stärke war, wie es Gilbert war. “Schwachsinn!” Überrascht schaute Gilbert auf. “Auch, wenn Preußen untergeht, du nicht mehr da bist, sie werden immer an dich denken! Wenigstens wirst du immer existieren! Du wirst immer in den Gedanken der Menschen als das große Preußen bleiben. Ich dagegen werde verschwinden. Niemand wird sich irgendwann mehr an Süditalien erinnern, nur an Italien. Du wirst für immer ein Gedanke bleiben, Gilbert und ich werde nur irgendeine Geschichte sein." Mit wenigen Schritten überbrückte der Preuße die letzte Distanz zu dem Italiener und packte ihn an den Schultern. "Das ist nicht wahr, das wird nie passieren!" Verärgert schlug Lovino die Hände des Weißhaarigen fort. "Achja? Und warum nicht, Kartoffelkopf?!" Zuerst zögerte Gilbert, dann wurde seine Miene weich. Noch nie hatte Lovino jemals so einen zärtlichen Ausdruck beim Anderen gesehen, der dann auch noch für ihn bestimmt war. "Weil meine Gedanken jeden Tag und für immer an dem nervigen Süditalien hängen werden." Und er dachte die ganze Zeit an den leeren Stuhl. An diesen verfluchten, leeren Stuhl. An den Stuhl, der einst nicht so leer gewesen war. An die Person, die auf ihm Platz genommen hatte. An Gilbert... Doch egal, wie oft er an ihn dachte, niemals erschien er vor ihm, nicht ein einziges Mal. Er lebte als Süditalien und Preußen war wie von der Bildfläche verschwunden, nur noch der Schandfleck in der deutschen Geschichte. Allein der Gedanke an ihn blieb Lovino. Nicht mehr und nicht weniger. --------------------------------------------------- Stupido Spagnia = ital. blödes Spanien! ¿Estás bien? = span. Wie geht es dir? Si = ital. gut ¿Te sientes muy bien, Lovino? = span. Wie geht es dir wirklich, Lovino? Prenditi cura del tuo stesso sudiciume, Antonio. = ital. Kümmere dich um deinen eigenen Dreck, Antonio (bin mir hier nicht ganz sicher, ob es richtig ist...) Pomodoro = ital. Tomate Stronzo = ital. Arschloch Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)