Ein Lied für dich von hahanoevy-chan (UruhaxAoi) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Lied für dich ---------------------------- Uruha schritt den Gang hinunter und seine Schritte hallten von den Wänden wieder. Heute sollte ihm sein erster Patient an seiner neuen Arbeitsstelle vorgestellt werden. Seit einem halben Jahr hatte er nach einer geeigneten Klinik gesucht und nun endlich war er in der Psychiatrie gelandet, in die er schon immer arbeiten wollte. Ihm schlug das Herz bis zum Hals hoch und ein un-glaubliches Glück erfüllte ihn. Jetzt war er nur gespannt, wer sein neuer Patient sein würde. Der Brünette blieb stehen und starrte auf eine weiße Tür. Diese Tür war genauso weiß wie dieses gesamte Gebäude. So weiß, dass es schon in den Augen brannte. Ohne zu zögern drückte Uruha die Tür auf und blickte zu seinem neuen Chef, der an seinem Schreibtisch hockte und sich einige Unterlagen besah. Dieser blickte von seinen Arbeiten auf und lächelte breit. „Oh. Guten Tag, Harr Takashima.“ „Guten Tag.“ „Setzen Sie sich doch.“ Der Angesprochene folgte der Aufforderung und ließ sich langsam auf den weißen Stuhl gegenüber seinem Chef sinken. „Sie werden heute Ihrem neuen Patienten vorgestellt. Ihr Patient heißt 'Shiroyama Yuu'. Seltsamerweise möchte er einfach nur 'Aoi' genannt werden.“ Uruhas Vorgesetzter, der zugleich der Leiter des Klinikums war, reichte ihm eine dünne Mappe. Behutsam nahm er die Papiere entgegen, schlug die Mappe auf und überflog die ersten paar Berichte, die von seinem Vorgänger über den Patienten erstellt worden waren. Kouyou schluckte schwer und nickte schließlich. Sein Patient hatte anscheinend eine ziemlich schwer handzuhabende Persönlichkeit. Aber das stellte für ihn kein Problem dar. Im Gegenteil. Jetzt war Uruha nur noch neugieriger geworden. „Und wann darf ich ihn kennen lernen?“ Der Chef drückte auf einen Knopf und Sekunden später kam ein Mann in einem weißen Kittel und einem seltsamen Band um die Nase herein. „Herr Suzuki wird Sie zu Ihrem Patienten bringen.“ Uruha nickte und stand auf, um zusammen mit dem Blonden das Büro zu verlassen. Draußen auf dem Flur liefen die Beiden schweigend nebeneinander her, bis sie an einer Tür stehen blieben. Uruhas Begleiter reichte ihm einen Schlüssel für die Tür. Uruha nahm ihn und steckte ihn in das Schloss. Langsam drehte der Brünette den Schlüssel herum und vernahm eine Sekunde später, die ihm wie eine Stunde vorkam, das Klicken des Schlosses. Zögernd griff Kouyou nach der Klinke und drückte sie nach unten. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen sterilen Raum frei, der ebenso weiß wie alles andere hier war. In Uruha machte sich ein würgereiz breit. Doch hielt er inne, als er ein pechschwarzes Klavier erblickte, an dem ein junger und hübscher Mann mit schwarzen Haaren saß. Von dem Anblick gefesselt trat Uruha ein und ließ seinen Blick über den schlanken Körper des Man-nes gleiten. Langsam öffnete der Brünette seinen Mund und durchtrennte die Stille mit seiner belegten Stimme. „Aoi?“ Nichts. Der Schwarzhaarige schien ihn noch nicht einmal wahr zu nehmen und strich stattdessen mit seiner Hand zärtlich über das lackierte Holz des Klaviers. „Kommen sie ihm lieber nicht zu nahe.“ Der Brünette zuckte merklich bei dem Klang von Herr Suzukis Stimme zusammen und drehte sich überrascht um. Er hatte ganz vergessen, dass dieser auch noch da war. „Wieso?“ „Er kann ganz schön garstig werden. Zur monatlichen Untersuchung müssen wir ihm immer Beruhi-gungsmittel spritzen. Er schlägt, beißt und hat schon einmal versucht einen Kollegen zu erschlagen. Außerdem müssen wir ihn zwangsernähren. Wir sollen Ihnen erst einmal zeigen, wie man mit ihm umgehen muss, also bleiben Sie heute einfach in meiner Nähe. Da Aoi von seinem letzten Therapeuten vor einem Monat abgegeben wurde, habe ich mich so lange um ihn gekümmert. Ich habe auch immer alles so gemacht, wie der alte Therapeut, aber gebessert hat sich immer noch nichts.“ Uruha nickte und trat bei Seite, als ein Wagen mit Essen darauf in den Raum geschoben wurde. Der Blonde sprach in der Zeit weiter. „Sie haben heute übrigens ganz schön Glück. Es steht mal wieder eine monatliche Untersuchung an und dann können Sie sich gleich ansehen, wie seine Reaktionen auf den Doktor ausfallen.“ Damit deutete er auf Aoi und Uruha durchfuhr ein eiskalter Schauder. Der Schwarzhaarige blickte mit großen Augen auf den Wagen und fing an immer schneller und hektischer über das Klavier zu streichen. Dabei beschleunigte sich seine Atmung rapide und erinnerte schon fast an hyperventilieren. Kouyou erfasste Mitleid und machte einen Schritt auf Aoi zu. Dieser registrierte allerdings die Bewegung und saß innerhalb von einer Sekunde in der Zimmerecke und hatte zitternd die Beine an seinen Körper angezogen. Deutlich konnte man den Angstschweiß auf der Stirn Yuus sehen und wie er weiterhin starr auf den Wagen blickte. Der Nasenbandträger warf Uruha einen vielsagenden Blick zu und ging auf Aoi zu, um diesen am Arm zu packen und ihn auf die Beine zu ziehen. Natürlich wehre sich der Schwarzhaarige aus Leibeskräften, aber zwei Helfer kamen angerannt und halfen dem Blonden Aoi zu dem Wagen zu ziehen. Diesem liefen mittlerweile aus Angst die Tränen übers Gesicht und er schluchzte leise vor sich hin. Kouyou stand geschockt da und blickte voller Entsetzen dabei zu, wie sie dem Schwarzhaarigen mit Gewalt das Essen versuchten einzuflößen. Schließlich platzte ihm der Kragen. „Hört auf!“ Sofort hielten der Blonde und die Helfer inne und blickten den Brünetten überrascht an. Dieser ging auf den Schwarzhaarigen zu und strich ihm sanft über die weichen Haare. „Ganz ruhig...ich passe jetzt auf dich auf.“ Die drei Männer ließen von Yuu ab und Uruha zog den Schwarzhaarigen sanft, aber bestimmt in seine Arme. Reita blickte überrascht auf die Zwei und warf den Helfern einen fragenden Blick zu. Uruha war etwas verwirrt. „Was ist?“ „Er hat sich noch nie so von jemandem berühren lassen ohne dabei in Panik zu verfallen.“ Überrascht blickte der Brünette auf den Schwarzhaarigen hinab und schmunzelte, als er dessen gerötete Wangen sah. „Aber anscheinend hat er bei mir nicht so große Schwierigkeiten damit.“ Herr Suzuki nickte. „Scheint so. Sehr verwunderlich. Aber gut. Vergessen wir das mit dem Essen jetzt erst einmal. Wir müssen ihn zur monatlichen Untersuchung bringen.“ Sofort waren die Helfer wieder da und rissen Aoi von Uruha weg. Dieser streckte wie ein kleines Kind die Hand nach dem Brünetten aus und wimmerte leise. Kouyou war viel zu überrumpelt, als das er reagieren konnte und da war sein Patient auch schon auf den Flur gezogen und Richtung Krankenzimmer geschleift worden. Hektisch rannte der Brünette seinen Kollegen und seinem Patienten nach. Im Krankenzimmer angekommen musste er den nächsten Schock erleben. Aoi rastete komplett aus und schrie wie am Spieß. Dabei kratze, biss und trat er wie ein wildes Tier um sich. Selbst als zwei weitere Helfer dazu kamen, war es immer noch schwer den Schwarzhaarigen zu bändigen und ruhig zu halten. Plötzlich ging die Krankenzimmertür auf und der Stationsarzt trat ein. Kaum erblickte Yuu den Mann, fing er an diesen anzufauchen und drohend zu knurren. Dabei spiegelten die schwarzen Augen seinen Wahnsinn und seine Angst wieder. Uruha konnte nur erstarrt zusehen, wie sie seinen Patienten auf das Bett drückten und der Arzt dabei eine Spritze hervor zog und diese mit Beruhigungsmitteln aufzog. Langsam trat der Arzt an das Bett heran und blickte auf Aoi herab. Er setzte die Spritze an Aois Arm an und injizierte ihm das Beruhigungsmittel. Dieser kreischte auf und tobte noch mehr, ehe das Mittel seine Wirkung zeigte und er sich langsam aber sicher beruhigte. Der Rest der Untersuchung verlief ruhig. Uruha ließ dabei den Schwarzhaarigen nicht aus den Augen, außer um kurz Notizen auf seinem Klemmbrett zu machen. Schließlich wendete er sich an Herrn Suzuki. „Was hat er? Warum reagiert er so aggressiv auf Berührungen?“ „Er wurde mit fünf Jahren das erste Mal von seinem Vater sexuell misshandelt. Die darauf folgenden Jahre wurde er immer wieder geschlagen und psychischen Extremsituationen ausgesetzt. Als er fünfzehn war holte das Jugendamt ihn aus der Familie heraus, weil ein verdeckter Ermittler, der eigentlich im Auftrag unterwegs war einen Pädophilen-Kreis auffliegen zu lassen, herausfand, dass sein Vater ihn an andere Männer verkaufte. Wie sich herausstellte, litt sein Vater unter extremer Paranoia und verkaufte die Jungs an andere Männer um Informationen über eine von ihm eingebildete Terrorgruppe zu erkaufen, die angeblich die DDR wieder ins Leben rufen wollten. Als das Jugendamt vorbei kam, um ihn und seinen älteren Bruder da raus zu holen, wehrte der Vater sich und nahm ihn und seinen Bruder als Geiseln. Die Sicherheitskräfte schafften es Aoi aus dem Kinderzimmer, in dem sich der Mann mit seinen Kindern verbarrikadiert hatte, heraus zu holen. Jedoch griff dabei Herr Shiroyama nach einer Waffe, die er sich illegal aus dem Netz erkauft hatte. Er erschoss seinen ersten Sohn und anschließend sich selber direkt vor Aois Augen.“ Uruha war entsetzt. In seiner ganzen Karriere hatte er von keinem so heftigen Fall gehört. Einen Moment lang wurde ihm spei übel, während er sich ausmalte, was Aoi hatte alles erleiden müssen. Dann ermahnte er sich aber wieder zur Professionalität und schob die Gefühle beiseite. „Was ist mit seiner Mutter?“, fragte er weiter. Herr Suzuki drehte sich ihm zu und sagte: „Die hat sein Vater im Keller in die Tiefkühltruhe ge-packt.“, während er Uruha einen Klopfer auf die Schulter gab und den Raum verließ. Uruha starrte dem Blonden einen Moment lang hinterher, ehe er sich benommen wieder dem Geschehen zuwendete. Der Stationsarzt war mit seiner Untersuchung fertig und verschloss gerade die letzte Blutprobe. Anschließend wendete er sich Kouyou zu. „Sie sind sein neuer Therapeut?“ Der Brünette nickte nur abwesend. Unbeirrt redete der Arzt weiter. „Ich werde die Leberwerte des Patienten untersuchen und Ihnen die Ergebnisse zukommen lassen.“ Routiniert nickte Uruha mit dem Kopf. Er kannte das Vorgehen schon von seiner vorherigen Arbeitsstelle. Die Psychopharmaka, die die Patienten bekamen, konnten der Leber zusetzten, weswegen auf regelmäßiger Basis die Leberwerte untersucht werden mussten. Müde klappte er das Protokoll auf seinem Klemmbrett zu und wischte sich über die Augen. Er war fix und fertig von den ersten Eindrücken, die er von seinem Patienten und seiner neuen Arbeitsstelle hatte. Er ordnete dem Arzt an Aoi zurück auf sein Zimmer zu bringen, dann meldete er sich bei seinem Chef ab und machte Feierabend, um den Tag erst einmal zu verarbeiten. Am nächsten Tag schleppte sich Kouyou übermüdet und ausgelaugt den Klinikflur hinunter. Dabei gähnte er herzhaft und versuchte sich geistig erst einmal zu sammeln. In der Nacht war er immer wieder aus unerfindlichen Gründen wach geworden und hatte immer wieder Schwierigkeiten gehabt einzuschlafen. Erst eine Aspirin Tablette hatte ihm die gewünschte Erlösung verschafft und hatte ihm wenigstens noch einige Stunden Schlaf verschafft. Zwar hatte ein Kaffee den Brünetten heute Morgen etwas aufgemuntert, aber ganz unter den Lebenden war er noch nicht. Langsam schlurfte er in die Richtung von Aois Krankenzimmer und zog schon einmal seinen Stift und sein Klemmbrett hervor. Hoffentlich konnte er sich überhaupt auf seinen Patienten konzentrieren. Doch seine Bedenken waren vollkommen unbegründet gewesen. Kaum war Uruha in dem Raum des Schwarzhaarigen, war er hellwach und achtete auf jede Regung des Schwarzhaarigen und machte sich dazu fleißig Notizen. Nach gut einer halben Stunde, in der Aoi nur über das Klavier gestreichelt hatte, legte Kouyou das Klemmbrett beiseite und stellte sich hinter seinen Patienten, um seine Hand auf dessen Schulter abzulegen. „Aoi?“ Der Angesprochene hielt in seinen Streicheleinheiten für sein geliebtes Instrument einen Moment inne, machte aber nach einigen Sekunden so weiter als wäre nichts gewesen. Ein enttäuschtes Seufzen verließ die Lippen des Brünetten. Seltsamerweise hatte er zuvor noch nie so ein Gefühl erlebt, wenn ein Patient sich nicht angesprochen gefühlt hatte. Aber bei Yuu war es seltsamerweise anders. Die Tür ging auf und der Wagen mit Aois Essen darauf wurde in den Raum geschoben. Sofort knurrte der Schwarzhaarige leise und betrachtete mit misstrauischen Augen den Wagen. Uruha stand auf und ging vorsichtig auf diesen zu, um einen Apfel aus einer Schale zu nehmen. Mit diesem ging er zu seinem Schützling zurück und hielt ihn unter dessen Nase. „Sieh mal, Aoi. Lass uns versuchen den Apfel zusammen zu essen. Ich denke die Zwangsernährung ist weder für dich noch für mich eine wirklich gute Alternative.“ Yuu blickte nur starr auf die rote Frucht und legte den Kopf schräg. Kouyou überlegte einen Moment und hockte sich vor Aoi. Langsam biss der Brünette in den Apfel hinein und hielt ihn Aoi wieder hin. Dieser nahm zögernd die angebissene Frucht in die Hand und drehte sie langsam zwischen seinen Händen. Minutenlang betrachtete er das Nahrungsmittel und legte den Apfel schließlich auf das Klavier. Das Rot der Frucht bildete einen harten Kontrast zu dem Schwarz und schien durch die weißen Wände noch mehr heraus zu stechen. Der Schwarzhaarige legte langsam seine Finger auf die Tasten und stimmte ein Lied an. Kouyou ließ sich gegen die Wand sinken und lauschte dem Lied, hielt dabei den Atem an. Dabei schloss er die Augen und versuchte nur die tiefen Töne auf sich einwirken zu lassen. Minuten später war das Lied ausgeklungen und eine drückende Stille machte sich im Raum breit. Der Brünette öffnete langsam wieder seine Augen und blickte lächelnd auf Yuu. „Wie lange spielst du schon Klavier, Aoi?“ Wieder keine Reaktion. Doch diesmal war Kouyou nicht verärgert, sondern lächelte. Langsam ging er an Yuu vorbei und schnappte sich dabei das Klemmbrett. „Ich werde noch einmal deine Medikation prüfen und gegebenenfalls ein paar Veränderungen vornehmen. Wir sehen uns morgen.“ Damit wuschelte Uruha Aoi die Haare und verließ den Raum. Zwar hatte Yuu jetzt nichts gegessen, aber er hatte nicht gerade den Anschein gemacht, als würde er das unbedingt wollen. Draußen im Flur blieb Uruha stehen und atmete erst einmal tief durch. Irgendwie musste er es schaffen Aoi dazu zu bringen freiwillig zu essen. Aber wie, war ihm ein absolutes Rätsel. Nachdenklich trabte Kouyou los, um seinen Bericht abzugeben und warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte es selber nicht bemerkt, war aber fast eine Stunde bei Aoi gewesen. Schon in zehn Minuten musste er den Schwarzhaarigen abholen, um eine Verhaltensuntersuchung zu machen. Schnell gab er seinen Bericht ab und holte das Formular für seinen Verhaltenstest. Dann raste er schon wieder zurück und schloss die Tür zu Aois Zimmer auf. Zügig trat er ein und lächelte seinen Patienten an. „Aoi? Ich muss dich mitnehmen. Ich muss einen Test mit dir machen. Wir kennen uns ja noch nicht also dachte ich mache ich mir selber ein Bild von dir statt mich komplett auf die Unterlagen aus den Berichten zu stützen. Dafür brauche ich aber ein bisschen Hilfe von dir.“ Wie zuvor achtete der Schwarzhaarige nicht auf den Brünetten und blickte nur friedlich sein Klavier an. Uruha runzelte die Stirn, ging um das Instrument herum und griff nach Yuus Hand. „Komm!“ Damit zog er seinen Patienten ohne große Umschweife auf die Beine und führte ihn auf den Flur hinaus. Unsicher ließ Yuu seinen Blick über die Umgebung schweifen und klammerte sich ängstlich, aber auch unbewusst an seinen Therapeuten. Uruha strich ihm beruhigend über den Kopf und sog dabei den Duft seiner Haare ein. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Allerdings war er gar nicht mehr so zufrieden, als der Test durchgelaufen war und Yuu wieder in seinem Zimmer saß. Der Schwarzhaarige hatte einfach auf nichts reagiert und zeigte für nichts Interesse, als sein Klavier. Kouyou saß über seinen Notizen und zerbrach sich den Kopf. Aoi war einfach wie ein Wesen, das komplett verschlossen war. Noch nie hatte der Brünette so etwas in der Art erlebt. Frustriert überflog Uruha noch einmal die Liste der Medikamente, die dem Schwarzhaarigen aktuell gegeben wurden und ergänzte ein paar angstlösende Präparate. Dabei viel sein Blick auf das Datum, an dem Aoi zum ersten Mal Tabletten bekommen hatte. Er musste stutzen. Laut Unterlagen wurde der Patient erst seit zwei Wochen in dieser Form behandelt. Was bedeutete, dass viele der Medikamente ihre Wirkung noch nicht richtig entfaltet hatten. Seufzend blätterte Kouyou wieder auf eine der ersten Seiten des Berichts. Er überflog noch einmal den bisherigen Behandlungsprozess und schnalzte dabei verärgert mit der Zunge. Sein Vorgänger war anscheinend einer von diesen konservativen Menschen gewesen, die versuchten die Erkrankten ohne Medikamente zu behandeln. Uruha störte das unheimlich, weil er sehr genau wusste, dass eine Therapie nur dann richtig anschlagen konnte, wenn man den Patienten die Möglichkeit bietet mit Medikamenten eine gewisse psychische Stabilität zu gewährleisten, darauf eine Psychotherapie aufsetzte, um am Ende die Medikamente wieder abzusetzen. Wütend griff er zu der Medikamentenliste, die er neu zusammengestellt hatte und stürmte aus dem Büro, um noch heute die Umstellung sicher zu stellen. Als er den Pflegekräften die Liste in die Hand gedrückt hatte, kehrte er in sein Büro zurück, sammelte seine Sachen zusammen und machte sich auf den Heimweg. Bevor er aber die Klinik verließ, schaute er aber noch einmal bei Aoi vorbei. Vorsichtig betrat er das Zimmer des schwarzhaarigen, der wie immer am Klavier saß und in die Luft starrte. Uruha räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch wie erwartet blieb eine Reaktion aus. „Aoi ich gehe jetzt. Schlaf nachher gut.“ Wieder keine Reaktion. Langsam ließ Uruha seinen Blick über den Körper des Schwarzhaarigen glei-ten. Dessen Haare standen in starkem Kontrast zu der porzellanartigen Haut. Die Statur seines Pati-enten war erstaunlich schlank und ließ ihn fast zerbrechlich aussehen. Mit jeder Sekunde die er Aoi betrachtet, spürte Uruha, wie sich eine innere Anspannung in ihm breit machte. Und auf einmal realisierte er, dass er ein Gefühl empfand, das für ihn neu war: Faszination. Am nächsten Morgen blieb Kouyou etwas länger im Bett liegen. Unverwandt starrte er an die Decke. Egal was er versuchte, immer wieder kehrten seine Gedanken zu Yuu zurück und verschafften ihm Herzklopfen. Deutlich trat das Gesicht seines Patienten vor seinem geistigen Auge auf und verschaffte ihm leichte Kopfschmerzen. Seufzend richtete er sich schließlich auf, trabte nach unten in die Küche und warf sich eine Aspirin ein. Es wurde zumal allerhöchste Zeit, dass er in die Klinik fuhr. Außerdem sehnte er sich, auch wenn er sich das nur ungern eingestand, nach Aoi. Nach diesen dunklen und traurig glänzenden Augen. Nach dieser porzellanartigen Haut. Uruha bemerkte erst jetzt, wie sehr sein Herz raste und versuchte sich zu beruhigen. Brachte ihn schon alleine der Gedanke an den Schwarzhaarigen so aus dem Konzept, dass er sich schon fast selber zu vergessen schien? Er atmete einmal tief durch und entspannte dabei bewusst seine Muskeln. Noch nie war er in seinem Beruf so unprofessionell gewesen derartige Empfindungen einem seiner Patienten gegenüber zu haben. Für seinen Geschmack entwickelte er viel zu schnell zu viele und zu intensive Gefühle für Aoi. Warum das so war, wusste er selber nicht. Schließlich arbeitete er erst seit zwei Tagen in der Klinik und wirklich kennen tat er Aoi auch noch nicht. Klar war aber, dass er trotz seiner Aufregung emotionalen Abstand halten musste. Allerdings war das leichter gesagt als getan. In den darauf folgenden Tagen baute er im Zuge der Therapie eine immer engere Bindung zu seinem Schützling auf. Es fiel ihm immer schwerer körperli-chen wie auch emotionalen Abstand zu Aoi zu halten. Der Umstand, dass Uruha der einzige war, der den Schwarzhaarigen berühren durfte, ohne dass dieser die Nerven verlor, machte den Umstand nicht besser. Stattdessen gab es Uruha das Gefühl etwas Besonderes für seinen Patienten zu sein. Jeden Abend dachte er an seinen Schützling und träumte sogar von ihm. Leider kamen mit den Träumen immer heftigere Kopfschmerzen. Das Konzentrieren viel Uruha immer schwerer und er fühlte sich nur wohl, wenn er bei Aoi war. Andererseits fühlte er sich dann auch immer überfordert und überlastet. Kaum war er an der Arbeit, wollte er nach Hause, war er zu Hause wollte er zu Aoi zurück. Auch das ständige sich selber zur Professionalität zu ermahnen erzielte nicht den gewünschten Effekt. Was ihn komplett vorm gefühlten Durchdrehen bewahrte war der Umstand, dass die Medikamen-tenumstellung bei Aoi Wirkung zu zeigen schien. Der Schwarzhaarige wurde mit jedem Tag ruhiger und entspannter. Da Uruha sich ausschließlich auf Aoi konzentrierte und keine weiteren Patienten behandelte, konnte er entsprechend viel Zeit mit ihm verbringen und ihn immer besser kennen lernen. Uruha selber mekte nicht, dass es ihn selber, mit jedem Schritt den Aoi in Richtung Genesung machte, in einen dunklen Abgrund hinunter riss. Wochen nach seinem Eintritt in die Klinik betrachtete Uruha neugierig das Gesicht Aois und lächelte dabei fürsorglich. „Wie geht es dir, Aoi?“ Der Schwarzhaarige beachtete seinen Therapeuten nicht und strich weiterhin liebevoll über das Klavier. Seine Finger glitten langsam nach unten und berührten vorsichtig eine Taste. Ein glockenklarer, aber leicht verstimmter Ton erfüllte den Raum und auf Yuus Gesicht schlich sich zum ersten Mal seit Jahren ein leichtes Lächeln. Kouyou viel bei diesem Anblick fast sein Klemmbrett aus der Hand und sein Herz fing an wie wild zu rasen. Doch kaum war der Ton ausgeklungen, verschwand damit auch das Lächeln. Betrübt blickte Kouyou zu Boden und seufzte schwer. Egal, wie sehr er sich mit seinem Patienten Mühe gab: er konnte einfach nicht zu ihm durchdringen. Und das machte den Brünetten fertig. Jeden Abend lag er hellwach im Bett und dachte Stunden lang nur an Aoi. Dieser schien allerdings null Interesse daran zu haben, dass sich jemand um ihn kümmerte und dass Uruha ihm so viel Stress wie möglich ersparte. Beispielsweise gab der Brünette dem Schwarzhaarigen jetzt jeden Tag sein Essen. Zwar war Yuu immer noch nicht begeistert davon etwas zu essen, aber immerhin nahm er es schon an, ohne sich groß zu wehren. Uruhas Chef war schwer beeindruckt und hatte sich gleich durch eine kleine Gehaltserhöhung erkenntlich gezeigt. Allerdings brachte die Uruha nicht in seinem Problem weiter. Der Brünette zuckte merklich zusammen, als plötzlich das gesamte Zimmer von den Klängen des Klaviers erfüllt war. Es war eine traurige, aber zugleich wunderschöne Melodie. Kouyou hielt den Atem an und versuchte jeden Ton des Liedes in sein Gedächtnis einzubrennen. Aber die Mühe brauchte er sich gar nicht zu machen. Das Lied brannte sich unauslöschlich in sein Bewusstsein. Minuten lang stand er da und lauschte gebannt dem Lied. Als die letzte Note verklang, entließ er langsam den angehaltenen Atem. Aoi blickte auf und fing Kouyou zum ersten Mal mit seinen dunklen Augen ein. Der Brünette erwiderte den Blick und hatte das Gefühl von diesen Augen mitgerissen zu werden. Die Zeit stand still. „Ich spiele nur für dich.“ Uruhas Herz machte einen Satz und fing an wie verrückt zu rasen. Zum ersten Mal hörte Uruha Aois Stimme und erschauderte dabei. Noch nie hatte er so eine klare und wunderschöne Stimme gehört. Noch nie hatte er etwas so atemberaubendes und sanftes gehört. Noch nie. Aber er wollte es wieder hören. Doch Yuu wandte sich wieder dem Klavier zu und strich wie zuvor liebevoll über den makellosen Lack. Kouyou zog die Augenbrauen hoch, lächelte aber zugleich. Irgendwie machte es ihn glücklich den Schwarzhaarigen so zu sehen. Langsam begab er sich aus dem Raum und brachte seinen Bericht bei seinem Chef vorbei. Jetzt hatte er immer noch fast eine halbe Stunde Zeit, bis seine Bahn nach Hause fuhr. Was sollte er bis dahin machen? Die Antwort lag für ihn auf der Hand. Nachdem er alles abgegeben hatte, lief er langsam den Gang wieder hinab und öffnete wieder die Tür zu Yuus Zimmer. Der Schwarzhaarige strich immer noch über das Klavier und betrachtete des-sen vollkommene Schwärze. Uruha stand da und beobachtete ihn einfach nur. Ließ seinen Blick über Aois vernarbten Körper gleiten und empfand wie immer überwältigendes Mitleid und Trauer. Er verstand einfach nicht, warum Yuu so ein schreckliches Schicksal erleiden musste. Eine geschlagene halbe Stunde stand Kouyou da und beobachtete voller Leidenschaft das Tun seines liebgewonnen Patienten. Leider sagte ihm die Uhr schon viel zu früh, dass er gehen musste. Langsam trabte der Brünette zu dem Schwarzhaarigen hinüber und wuschelte ihm wie immer die Haare. „Bis morgen, Aoi.“ Damit drehte er sich um und ging langsam nach draußen. Hinter Kouyou viel leise die Tür ins Schloss. In der Bahn dachte Kouyou angestrengt über Yuu nach. Dabei wummerte sein Herz, wie jedes Mal wenn er an den Schwarzhaarigen dachte, ungewöhnlich schnell. Er konnte einfach an nichts Anderes als an Aoi denken. Sogar nachts. Mittlerweile hatten sich bei ihm unglaubliche Kopfschmerzen breit gemacht und er lehnte seinen Kopf gegen die kühlende Fensterscheibe. Schon jetzt wollte er wieder zurück und bei Aoi sein. Ihn in seine Arme ziehen und den Duft seiner Haare einziehen. Diesen pechschwarzen Haaren, die das einzig Dunkle in diesem ekelig weißen Gebäude waren. Eine viertel Stunde später war Uruha in seiner Wohnung und schlich unruhig im Wohnzimmer auf und ab. Er fand einfach keine Ruhe, wie schon seit zwei Wochen, und war in Gedanken die ganze Zeit in der Klinik. Dabei machten sich seine Kopfschmerzen immer mehr bemerkbar, bis sein Schädel pochte. Erschöpft ließ er sich auf das Sofa sinken und starrte an die Decke. Bis jetzt waren seine Zuneigungsgesten unerwidert geblieben. Doch heute hatte Aoi ihn das erste Mal angesehen. Ihm in die Augen geblickt und ihn wahrgenommen. So wirklich bewusst wurde es Uruha erst jetzt und seine Brust platze fast vor Glück. Bis die Sonne den Horizont berührte saß er hellwach da und versuchte seine Aufregung und die Kopfschmerzen zu ignorieren. Erschrocken zuckte er zusammen, als der Wecker piepte und ihm zeigte, dass er eigentlich um die-se Uhrzeit müde aus dem Bett krabbeln sollte. Stattdessen rannte er ins Bad und stellte sich erst einmal unter die Dusche. Nachdem er sich abgetrocknet und geföhnt hatte, fühlte er sich zwar etwas wohler, aber er hatte immer noch entsetzliche Kopfschmerzen. Mittlerweile machte sich ein Tinitus in seinem Kopf breit und hinderte ihn daran auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Langsam schlich er die Treppe hinunter und kleidete sich neu ein. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass in einer halben Stunde seine Bahn fahren würde. Wie er bis dahin die Zeit überbrücken sollte, wusste er auch nicht. So lief er ziellos und nervös im Wohnzimmer herum. Dabei trieb ihn das Ticken der Uhr fast in den Wahnsinn. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Uruha griff mit seiner Hand in seine Haare und keuchte leise auf. Dieser Schmerzen brachten ihn noch um den Verstand. Ihm tat einfach alles weh. Wieder piepte der Wecker leise. Das war das Zeichen dafür, dass er aus dem Haus musste. Wie von der Tarantel gestochen raste er durch den Flur und schnappte sich im vorbeilaufen seine Jacke. Hektisch raste er die Treppe herunter und rannte so schnell er konnte zu der Haltestelle, wo ihn die Bahn abholen würde. Ungeduldig wartete er dort und war heilfroh, als die Bahn endlich ankam. Nach gut 10 Minuten war er endlich an der Klinik angekommen und raste in das pervers weiße Ge-bäude. Kaum war er im Gang, wurde er allerdings von seinem Chef aufgehalten. Genervt trabte der Brünette in das Büro und ließ sich wie gewohnt auf den weißen Stuhl sinken. Sein Chef schlug seinen Bericht von vergangenem Tag auf. „Wir verzeichnen große Fortschritte. In den letzten Wochen hat sich Yuus Verhalten in großen Schritten verbessert.“ Kurz hielt Kouyous Chef inne. „Sie haben in ihrem Bericht die Aussage 'Ich spiele nur für dich' erwähnt. Wissen sie über diese Worte bescheid?“ Uruha stutzte. „Nein.“ „Yuu hatte einen großen Bruder, der ungefähr ein Jahr älter als er selber war. Damals wurde Yuu ja ziemlich oft von seinem Vater misshandelt, aber sein großer Bruder war immer für ihn da. Eben dieser hat immer Klavier gespielt und Aoi davon etwas beigebracht. Und dieser Bruder hat zu ihm immer gesagt 'ich spiele nur für dich'. Ich vermute er hat das gesagt, weil Sie seinem Bruder so ähnlich sehen.“ Der Brünette musste die Worte einmal sacken lassen und schluckte schwer. Irritiert stand er auf und verbeugte sich vor seinem Chef. „Vielen...dank.“ Damit begab er sich aus dem Büro und ließ seinen Chef verwundert im Büro zurück. Draußen im Flur lehnte er sich erst einmal gegen die Wand. Tränen sammelten sich in seinen Augen und such-ten sich ihren Weg über sein Gesicht. Also war er doch nicht etwas Besonderes für Aoi, so wie er immer gedacht hatte. Nie würde der Schwarzhaarige in ihm sehen, was er in ihm sah. Plötzlich erfasste den Brünetten blinde Wut und die aufgestauten Emotionen entluden sich wie ein Sturm. Wie in Rage raste er den Gang hinunter und schloss mit zitternden Händen Aois Zimmertür auf. Klickend ging das Schloss auf und Kouyou zog gegen seine Gewohnheit den Schlüssel wieder aus dem Schloss. Schnell trat er ein, machte die Tür wieder zu und schloss von Innen ab. Dabei ließ er den Schlüssel stecken und ging langsam auf den Schwarzhaarigen zu, der wie immer am Klavier saß und sanft darüber strich. Jedoch hielt Kouyou inne, als der Schwarzhaarige wieder seine Finger auf die Tasten legte und wie-der das traurige Lied anstimmte. Mit trüben Augen blickte Aoi auf und flüsterte abermals: „Ich spie-le nur für dich.“ Uruha packte eine Woge aus Hass. „DU LÜGST!“ Damit packte er Yuu am Kragen und warf ihn zu Boden. Der Schwarzhaarigen wusste gar nicht, wie ihm geschah, als Kouyou schon über ihm stand und auf ihn einschlug. Aois Schmerzensschrei hallte durch das Zimmer bis hinaus in den Flur. Der Brünette schlug immer weiter auf das hübsche Gesicht ein, tränkte das weiße Zimmer in blutrot. „ICH HABE DICH GELIEBT!“, brüllte er und schlug wieder zu. Die dumpfen Schläge hallten in seinen Ohren wieder, während er in seiner Rage nicht von Aoi lassen konnte. Wütend und enttäuscht holte er noch einmal aus und entlud seine gesamten verletzten Gefühle in einen letzten Schlag. Dann war es still. Draußen im Flur erklangen auf einmal hektische Schritte. Uruha blickte an sich hinab und betrachtete seine blutverschmierte Kleidung. Zu seinen Füßen lag der leblose Körper Aois. Dann realisierte er, was er getan hatte. Der Schock rollte wie eine Welle über ihn hinweg, raubte ihm den Atem und den Verstand. Mit zitternden Händen rüttelte er an dem leblosen Körper. „Aoi?“, fragte er leise und mit verheulter Stimme. Keine Reaktion. Wie immer. Draußen im Flur wurden die Geräusche und das Fußgetrappel lauter. Langsam wendete sich Kouyou von dem Leichnam ab und setzte sich an das Klavier. Zärtlich und voller Hingebung stimmte er mit blutverschmierten Händen das Lied an, dass Aoi so oft für ihn gespielt hatte. Für ihn und niemand sonst. Er würde das Lied nie wieder verklingen lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)