Something. von Mialee (5. Kap. online) ================================================================================ Prolog: -------- Unsicher betrachtete sie sich in dem wuchtigen Silberspiegel an der gegenüberliegenden Wand. Das sonst so glatte Haar, fiel in satten braunen Locken in ihren schmalen Nacken. Das sonst so blasse Gesicht, wurde von zwei leuchtend roten Wangen erhellt. Sie erkannte sich kaum wieder. Wie im Trance war sie an diesem Tag erwacht und hatte sich vorbereitet. Auch die kalte Dusche hatte es nicht besser gemacht. Keinen Bissen hatte sie herunterbekommen, auch wenn ihre Stiefmutter und ihre Großmutter sie noch so sehr baten. Und nun saß sie in ihrem Zimmer, dass sie heute wohl für immer verlassen würde und hörte das rastlose Getrippel der Hauselfen in den Gängen. Durch das Fenster drangen Stimmen zu ihr hinauf. Mehr als hundert Menschen hatten sie in den Gärten ihres Elternhauses versammelt und warteten nur auf sie. Doch das flaue Gefühl lag noch immer in ihrem Magen und trübte ihre Stimmung. Sie hatte sich immer vorgestellt, dass sie an diesem Tag glücklich sein würde und vollkommen zufrieden. Doch nun spürte sie nagende Ungewissheit. Was, wenn sie die falsche Entscheidung traf? Was, wenn sie im Begriff war, ihr Leben zu zerstören? Sie lächelte ihr Ebenbild im Spiegel traurig an. Da hatte sie monatelang hart für diesen Augenblick gekämpft und nun bekam sie kalte Füße. Schon seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, träumte sie von ihrer Hochzeit. Sie wollte das, was ihre Mutter nie bekommen hatte. In ihrem Kopf war sie alle Details durchgegangen. Mit acht hatte sie entschlossen, im Sommer zu heiraten. Mit elf wusste sie, dass sie eine Erdbeertorte wollte. Mit vierzehn hatte sie ihren Vater gebeten, die Zeremonie im Garten des Familiensitzes feiern zu dürfen und mit fünfzehn hatte sie sich in den Kopf gesetzt, jeden Brauch zu befolgen, den sie kannte – nur um sicherzugehen. Schließlich war ihre Märchenhochzeit komplett – bis auf ihren Traumprinzen. Das sie ihn schon damals kannte, war ihr nicht in den Sinn gekommen und erst einige Jahre später hatte sie begriffen, dass es, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, für sie nur ihn gab. Das er der Richtige war. Als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, war sie gerade sechs Jahre alt gewesen und sie hatte noch nicht wissen können, dass der freundliche Junge später einmal ihr Ehemann werden würde. Wenn sie daran zurückdachte, dann fühlte sie sich wie in einem Märchen. Sie lächelte ihr Spiegelbild an. Ja, es war eins. Ihr ganz persönliches Märchen. Sie waren füreinander bestimmt. Ihnen war es schnell klar gewesen, nur ihre Familien hatten eine Weile gebraucht, um zu erkennen, was für die ganze Welt ersichtlich war. In James hatte sie eine verwandte Seele getroffen. Es war seltsam, wie absurd die ganze Situation eigentlich war. Von Anfang an, waren sie auf Widerstand gestoßen. Weder ihre Familie, noch die seine hatten ihre Entscheidung akzeptieren können und hatten lange Zeit versucht, sie umzustimmen. Anstatt sich an ihrem Glück zu erfreuen, waren alte Feindschaften wieder aufgekeimt und fast hätten sie etwas Wundervolles schon im Keim erstickt. Doch sie hatten sich nicht von ihrem Weg abbringen lassen, hatten gekämpft und schlussendlich hatten sie gewonnen. Sie würden heiraten. Sie – Evangeline Malfoy – würde James Potter heiraten. Kapitel 1: Something old ------------------------ London, 16 Jahre zuvor Der Tag, an dem sie ihm das erste Mal begegnete war ein kalter Tag im Dezember. Seit Tagen fielen Schneeflocken vom Himmel und ihre Stiefel versanken bereits tief im Schnee, als Evangeline an der Hand ihrer Mutter durch die überfüllten Straßen der Winkelgasse eilte. Die Schaufenster waren herrlich geschmückt worden, überall schwebten verzauberte Lichter umher und tauchten die vorweihnachtliche Welt in ein warmes Licht. An einer Straßenecke stand ein kleiner Chor von Hauselfen und sang Weihnachtslieder. Ihr älterer Bruder Desmond war bereits vorgelaufen und wartete nun mit glühenden Wangen vor Flourish & Blotts. Er drückte sich die Nase an der Scheibe platt und musterte kritisch die Auslage. Als er die beiden näher kamen, sah er auf und strahlte sie an: „Mama, sieh dir das an! So viele schöne Bücher.“ Ihre Mutter lächelte und beugte sich hinunter. „Dann wollen wir doch mal schauen, ob wir ein Geschenk für Papa finden, oder?“ „Und eins für mich!“, erwiderte Desmond und riss die Tür des Ladens auf. Hastig lief ihre Mutter ihm hinterher und ließ dabei ihre Hand los. Unschlüssig stand sie auf dem Gehweg und musterte die Bücher im Schaufenster. Sie konnte doch noch gar nicht lesen. Desmond liebte Bücher, immer wieder brachte ihr Vater ihm welche von seinen Reisen mit. Sie hingegen konnte den geschriebenen Worten noch nichts abgewinnen und bunte Bilder waren nur wenige in diesen Büchern. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust und kuschelte sich tiefer in den blassgrünen Schal, den ihr Vater ihr geschenkt hatte. Sie wollte nicht wieder stundenlang mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in dem stickigen Buchladen umherlaufen und sich langweilen. Bücher interessierten sie nicht. Plötzlich pfiff der Wind durch die Gasse und riss ihr die Mütze vom Kopf. Sie flog hinüber auf die andere Straßenseite und blieb an der Hauswand des gegenüberliegenden Ladens liegen. Sofort lief Evangeline hinüber, hob die Mütze auf und drückte sie an die Brust. Ihre Mutter hasste es, wenn sie ihre Sachen verlor. Besonders die guten Sachen, die ihre Großmutter ihr aus Frankreich mitbrachte. Sorgfältig klopfte sie den Schnee von der schwarzen Wolle und setzte sie sich wieder auf den Kopf. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie vor dem Antiquitätenladen stand. Als sie das letzte Mal in der Winkelgasse gewesen waren, hatte ihre Mutter hier einen goldenen Spiegel gekauft und sie erinnerte sich an die vielen glitzernden Schmuckstücke. Sie sah in die Auslage und tatsächlich: ganz vorne lagen auf einem abgenutzten Samtkissen einigen Ketten und Ringe. Mit großen Augen sah sie hinab auf das glänzende Metall und die funkelnden Steine. Als eine ältere Dame den Laden verließ huschte sie durch die Tür hinein. Ein Schwall warmer Luft schlug ihr entgegen, sie roch den altem Staub und die vielen anderen Dinge, die sie kaum zuordnen konnte. An der Wand neben ihr lehnte eine große, protzige Standuhr, sie hatte vier Zeiger und statt Ziffern sah sie Bilder von Personen darauf. Weiter hinten im Laden entdeckte sie einen Goldrahmen mit zarten Verzierungen, vorsichtig fuhr sie mit dem Finger die filigranen Linien nach, als plötzlich eine alte runzelige Hexe in dem Gemälde auftauchte. „Anfassen verboten!“, kreischte sie. Evangeline schreckte zurück und umfasste ihre kleinen Finger, als hätte sie sich verbrannt. „Entschuldigung“, flüsterte sie. „Was machst du hier, du kleines Ding?“, zeterte die Hexe weiter, „Willst du was klauen? Bist du eine kleine Diebin?“ „Nein“, beteuerte sie und schüttelte heftig den Kopf. „Diebe!“, rief die Hexe. „Diebe im Laden! Hilfe, Diebe!“ Als sich im Hinteren des Ladens etwas regte, ergriff sie die Flucht und stürzte aus dem Laden heraus. So schnell sie konnte, lief sie die Gasse hinab und kam erst zum Stehen, als sie keine Luft mehr hatte. Ängstlich warf sie einen Blick über die Schulter und seufzte, als ihr niemand folgte. Doch wo war sie nun? Sie besah sich die Läden, doch erkannte keinen von ihnen. Auch das hohe Dach von Gringotts konnte sie nirgendwo erkennen. Wie sollte sie jetzt nur ihre Mama wiederfinden? Tränen schossen in ihr in die grauen Augen. Ihre Mutter hatte ihr immer wieder gesagt, dass sie auf gar keinen Fall alleine weggehen durfte und immer in ihrer Nähe bleiben sollte, wenn sie in der Winkelgasse seien, weil sie sonst verloren gehen konnte. Und nun war sie wirklich verloren gegangen. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Mütze wieder verloren hatte und fing an zu weinen. Sie rieb sich die Augen und schluchzte heftig. Selbst wenn sie ihre Mama nun wiederfand, wäre sie sehr böse. Sie war weggelaufen und hatte auch noch die Mütze verloren. Mama würde schimpfen mit ihr. „Warum weinst du denn?“ Evangeline hob den Kopf und sah in das Gesicht eines Jungen. Er hatte dunkelbraune Haare, die wild in alle Richtungen abstanden und blaue Augen, die sie skeptisch musterten. Seine Wangen und seine Ohren waren von der Kälte gerötet, als wäre er seit Stunden hier draußen. Er trug weder Schal, noch Mütze oder Handschuhe. „Nun sag schon, warum weinst du?“ „Weil... weil ich meine Mama verloren habe.“ Der Junge lächelte. „Das ist doch nicht schlimm.“ „Doch!“, entgegnete sie und schluchzte. „Hör doch auf zu weinen!“ Aber sie hörte nicht auf. Die Tränen kullerten ihre Wangen hinunter und fielen auf den Kragen ihres Mantels. „Wie heißt du denn?“ „Evie...“ Der Junge griff nach ihrer Hand und schüttelte sie. „Hallo Evie, ich bin James. Und nun hör doch auf zu weinen.“ Heftig schüttelte sie den Kopf und schluchzte erneut. „Pass auf“, meinte James schließlich, „Wenn du aufhörst zu weinen, dann schenke ich dir was.“ Nun blickte sie auf und vergaß fast zu weinen. „Ein Geschenk?“ James nickte und griff in seine Manteltasche. „Mach die Augen zu!“ Sie tat wie ihr geheißen und schloss die Augen. Er ergriff wieder ihre Hand und schob den Ärmel ihres Mantels beiseite. „Fertig, du darfst die Augen wieder aufmachen. Als sie die Augen öffnete hing ein Armband um ihr Handgelenk. Es war ein schmales Band aus verdrecktem Silber. In der Mitte war eine Blume aus roten Steinen eingefasst. „Das ist aber schön“, hauchte sie, „Danke.“ James schüttelte verlegen den Kopf. „Aber dafür darfst du auch nicht mehr weinen, okay?“ Sie nickte und besah sich ehrfürchtig das zarte Schmuckstück, dass viel zu locker um ihren Arm hing. Dann sah sie ihr Gegenüber an und sagte: „Dann will ich dir auch was schenken.“ Er grinste breit. „Mach die Augen zu!“ Nachdem er nichts mehr sah, beugte sie sich zu ihm herüber und küsste ihn vorsichtig auf die Wange, so wie es ihre Mutter tat, wenn sie sich bei ihrem Vater bedankte. James riss die Augen auf und fuhr sich mit der Hand zur Wange. Fast glaubte sie, dass seine Wange noch ein bisschen röter wurden. „Das war aber kein richtiger Kuss.“ Sie lächelte. „Vielleicht gebe ich dir irgendwann mal einen richtigen Kuss.“ „Versprich es!“, forderte James. Sie hob die Hand und sagte: „Drachenehrenwort.“ Plötzlich erschien eine hochgewachsene rothaarige Frau neben James und sah ihn streng an. „Wo bist du gewesen? Man kann dich kaum eine Minute aus den Augen lassen, du solltest doch auf uns warten.“ „Aber Mama, ich musste Evie helfen!“ Er zeigte mit dem Finger auf sie. „Sie hat ihre Mama verloren!“ Sofort wurden die Züge der Frau sanft. Sie beugte sich hinunter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „James hat dir also geholfen? Evangeline nickte langsam. „Ich habe mich verlaufen“, gab sie flüsternd zu. „Deine Mama sucht dich bestimmt schon. Weißt du denn, wo du sie verloren hast?“, fragte die rothaarige Frau. „Bei den Büchern.“ „Flourish & Blotts!“, rief James und lächelte sie an, „Das ist gar nicht weit weg. Meine Mutter und ich bringen dich dahin, okay?“ James Mutter nahm sie bei der Hand und gemeinsam mit James machten sie sich auf den Weg. Sie folgten der Straße, aus der sie zuvor gekommen war und bogen dann nach rechts ab. Durch eine schmale Gasse gelangten sie wieder in die Winkelgasse mit den ihr vertrauten Gebäuden. Ein Stück entfernt konnte sie den Scherzartikelladen der Weasleys sehen, den ihr Bruder so liebte. Während sie weitergingen, nahm das Schneetreiben wieder zu. Dicke Flocken fielen vom Himmel, Passanten beschleunigten ihre Schritte und hasteten über die Straße. Plötzlich sah sie die schlanke Gestalt ihrer Mutter und riss sich von der Hand los, die sie hielt. „Mama!“, rief sie und lief auf sie zu. Ihre Mutter kam ihr entgegen und nahm sie stürmisch auf den Arm, um sie fest an sich zu drücken. Der Geruch der nassen Wolle des Mantels ihrer Mutter drang ihr in die Nase, als sie den Kopf fest an die Schulter presste. „Wo warst du denn?“ „Ich habe mich verlaufen“, sagte sie und unterdrückte die Tränen, die erneut in ihrer Kehle aufstiegen, „James hat mir geholfen.“ Sie spürte, wie ihre Mutter sich versteifte und drehte den Kopf. Nur ein paar Schritte entfernt stand James mit seiner Mutter. „Hallo Pansy“, grüßte diese tonlos. „Hallo Ginny. Danke, dass du meiner Tochter geholfen hast.“ „Gern geschehen... ich wusste gar nicht, dass du eine Tochter hast“, bemerkte Ginny und legte einen Arm um ihren Sohn. „Ich wüsste auch nicht, was dich das zu interessieren hätte. Danke jedenfalls.“ Ihre Mutter ließ sie wieder hinunter und griff nach ihrer Hand. Hastig blickte sie zurück und sah, wie auch James an der Hand seiner Mutter wieder zurückging. James sah sie über seiner Schulter hinweg an und lächelte. Sie hob den Arm mit dem Armband und winkte. Von jenem Augenblick an hatte sie das Armband jeden Tag getragen, es wurde ihr persönlicher Glücksbringer. Irgendwann hatte es ihr sogar gepasst und sie musste keine Angst mehr davor haben, dass sie es verlor. Und an diesem Tag hatte sie James Potter das erste Mal getroffen. Unwissend das dieser Junge mit den braunen Strubbelhaaren ihr ganzes Leben bestimmen sollte. Auch wenn die Erinnerung an jene Begegnung im Schnee mit der Zeit undeutlicher wurde und langsam verblasste, hatte sie ihn doch nie vergessen. Bis sie ihn jedoch wiedersehen würde, sollten noch viele Jahre vergehen. London, 7 Jahre zuvor Es war eine schillernde Welt, in die sie an diesem Abend eintauchte. Nach dem Krieg hatte die Gemeinschaft der Zauberer eine Weile gebraucht, um die gesellschaftlichen Ereignisse wieder zu etablieren, aber nun wurde prachtvoller gefeiert, als je zuvor. Alles was Rang und Namen hatte, strömte an diesem kühlen Novembertag nach London, wo in der Dumbeldore Hall alljährlich die Töchter des besseren Familien ihr Debüt feierten. In diesem Jahr waren sie vierzehn Mädchen, die in dem Salon hinter dem Balkon auf ihren Auftritt warteten. Evangeline kannte die anderen Mädchen kaum, schließlich gingen sie alle nach Hogwarts. Sie selbst war auf den ausdrücklichen Wunsche ihrer Großmutter in Frankreich zur Schule gegangen, in Beauxbatons – so die Meinung von Narcissa – war für Mädchen der beste Ort, um zu jungen Damen zu werden. Ihr Vater hatte dem Wunsch seiner Mutter entsprochen und so war sie nach Frankreich gefahren, während Desmond in Durmstrang seine Ausbildung bekam. Ihr jüngerer Halbbruder Scorpius hingegen war im letzten Jahr nach Hogwarts gekommen. Die meisten der Mädchen hatte sie allerdings schon ein paar Mal gesehen, wenn ihre Familien bei ihnen zu Gast waren, aber sie wusste von Einigen nicht einmal die Namen und hätte sie auf der Straße wohl nicht erkannt. Nur eine Einzige von ihnen war nicht zu vergessen. Dominique Weasley. Sie thronte geradezu inmitten ihrer Freundinnen. Die Locken in sattem Gold, in einen lockeren Knoten im Nacken geschlungen. Die zierliche Gestalt in einem Traum aus rosafarbener Seide, die die Farbe ihrer Porzellanhaut betonte. Große tiefblaue Augen, umrahmt von langen, dichten Wimpern und volle, weibliche Lippen. Sie war ein Mädchen von seltener Schönheit. In ihrer Gegenwart kam sie sich klein und unscheinbar vor. Wie sollte ein Mädchen auch je die Aufmerksamkeit eines Jungen erregen, wenn solch ein elfengleiches Wesen in der Nähe war? Plötzlich öffnete sich die Flügeltür und eine Frau trat ein. Der Klang von unzähligen Stimmen hallte zu ihnen hinauf, Gelächter, leise Musik und Gläserklirren. Sie seufzte erleichtert, als sie endlich ein vertrautes Gesicht sah – Padma Patil, die Lebensgefährtin ihres Paten Blaise. Die dunkelhaarige Frau lächelte sie an, bevor sie sich den Mädchen zuwandte, die bei ihrem Eintreten sofort verstummt waren. „So meine Damen. Jetzt ist es soweit.“ Mit einem strengen Blick brachte sie die nun aufgeregt kichernde Menge wieder zur Ruhe. „Ich werde euch gleich eine nach der anderen aufrufen und ab da alles wie besprochen, ihr bleibt oben an der Treppe kurz stehen und geht dann herunter, wo euer Begleiter euch in Empfang nimmt. Wenn die Letzte unten ist, geht es in dergleichen Reihenfolge auf die Tanzfläche. Fragen?“ Stellvertretend für alle schüttelte Dominique den Kopf und erhob sich, um ihren Platz in der Reihe einzunehmen. Die anderen folgten ihrem Beispiel und schon bald verstummte die Menschenmenge im Saal. Evangeline wusste, dass sich nun alle Augen auf die Treppe richteten. „Meine Damen und Herren,“ begann Padma, „Heute ist für diese Mädchen ein großer Tag in ihrem Leben. Heute...“ Aufgeregt traten die Anderen von einem Fuß auf den anderen, sogar Dominique schien nervös zu sein. Sie jedoch war ganz ruhig. Das Flattern ihres Herzens zeigte sie in keiner Regung – genauso, wie sie es gelernt hatte. Eine Dame hatte stets Haltung zu bewahren. Anscheinend war dies eine Lektion, die die anderen Mädchen nicht kannten. Ihre Großmutter legte den allergrößten Wert darauf, dass aus ihr eine richtige Lady wurde und bisher war ihr das auch gelungen. Sie sprach drei Sprachen fließend, spielte mehrere Musikinstrumente und hatte erstklassige Umgangsformen. In jeder freien Minute arbeitet sie daran, besser zu werden. In allen Dingen war sie genau das, was ihre Familie von ihr erwartete. Das perfekte Vorzeigebild einer altehrwürdigen Reinblutfamilie. Mit einer Ausnahme. Versunken in tristen Gedanken, erschrak sie, als die Erste aufgerufen wurde. Sobald sie sich den Augen der Öffentlichkeit gestellt hatte, applaudierte die Menge. Eine nach der Anderen wurde vorgestellt und von den Anwesenden gebührend begrüßt. Schließlich war Dominique an der Reihe. Sie hörte die Menge murmeln und als sie applaudierten, war es lauter als bei allen anderen. Sie konnte sich denken, wie alle Augen auf sie gerichtet waren, wie sie anmutig die Stufen hinunterschritt und am Ende der Treppe bei ihrem Begleiter stehenblieb, der sie vermutlich mit unübersehbarer Bewunderung ansah. Sie selbst war die Letzte, Padma schenkte ihr einen liebevollen Blick. „Meine Damen und Herren, unsere letzte Debütantin... Miss Evangeline Parkinson.“ Kein Applaus, aber das hatte sie erwartet. Ihr wurde nie die Aufmerksamkeit geschenkt, wie sie den anderen Mädchen zuteil wurde. Schließlich kam sie auch nicht als Schwiegertochter in Frage, sie war nicht würdig in eine ehrwürdige Familie einzuheiraten. Viele waren dagegen gewesen, dass sie heute Abend überhaupt auftreten durfte, doch ihr Großvater hatte darauf bestanden und sein Wort hatte noch immer Einfluss. Obwohl es nie laut ausgesprochen wurde, war jahrelang hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen worden. Sie war etwas, das man nicht laut aussprach. Sie und ihr Bruder Desmond waren uneheliche Kinder, die Bastarde der Familie Malfoy. Sie atmete tief ein und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Während der dritten Stufe, begannen einige höflich zu applaudieren und schließlich stimmten die anderen Anwesenden ein. Am Fuße der Treppe erwartet sie ihr Bruder, er nahm ihre Hand und blickte stur geradeaus, während er wartete, dass sich seine Vorgänger in Bewegung setzten. „Dein Auftritt wird der Klatsch des Monats“, bemerkte er schlicht. Evangeline lächelte sehr undamenhaft und sah Desmond aus den Augenwinkeln an. „Was hast du denn erwartet?“ Er gab ihr keine Antwort, sondern lachte stattdessen leise vor sich hin. Als die Musik einsetzte schritten die Debütantinnen mit ihren Partner zur Tanzfläche, wo sie mit einem klassischen Wiener Walzer den Tanz eröffneten. Amüsiert betrachtete sie, wie manche der Mädchen mit verbissenen Gesichtern versuchten, den Takt zu halten. Beim zweiten Lied wurde Desmond von ihrem Vater abgelöst. Draco schenkte ihr das warme Lächeln, dass nach dem Tod ihrer Mutter nur für sie allein bestimmt war. „Du siehst bezaubernd aus, mein Herz... wie deine Mutter,“ sagte er liebevoll, als die Musik einsetzte, „Sie wäre sehr stolz auf dich.“ Die ersten Tänze vergingen wie im Flug. Mit heißen Wangen ließ sie sich am leeren Tisch ihrer Familie nieder. Sie sah ihre Großeltern am anderen Ende des Saales miteinander tanzen, aber von den anderen fehlte jede Spur. Plötzlich erschien jemand neben ihr und streckte ihr die Hand entgegen. „Darf ich bitten?“ Sie war versucht, ihn höflich abzuweisen, doch ein Blick in sein hoffnungsvolles Gesicht ließ sie ihre Absicht vergessen. Vorsichtig legte sie ihre Hand in seine und ließ sich von dem jungen Mann auf die Tanzfläche führen. Erst hier im Schein der Kronleuchter, während er einen langsamen Walzer begann, musterte sie ihn unauffällig. Er war einen Kopf größer als sie, hager und ein wenig zu dünn für ihren Geschmack. Unter den mit viel Gel mühsam gebändigten Haaren schauten dunkelblaue Augen wachsam umher. Sie wurde das Gefühl nicht los, ihn schon einmal gesehen zu haben und dann fiel es ihr ein – schließlich war er immer wieder mit seiner Familie im Tagespropheten zu finden. „Du bist James Potter, nicht wahr?“, fragte sie. „In Lebensgröße!“, erwiderte er. „Du warst heute Abend der Begleiter deiner Cousine.“ „Dominique hat mich darum gebeten und meine Familie fand, dass es eine gute Idee war.“ Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen, bevor er sich räusperte und sie plötzlich von der Tanzfläche zog, hinüber zu einer der Flügeltüren, die auf die Terrasse führte. Er wandte sich um und lächelte sie auf eine Art und Weise an, die sie nervös machte. „Du erinnerst dich nicht mehr an mich, oder?“, fragte er. Verwirrt zog sie die Stirn in Falten. „Wovon redest du?“ „Ich habe dich nicht vergessen.“ „Es tut mir leid, aber ich glaube, du verwechselst mich. Außerdem gehört es sich für eine junge Damen nicht, mit einem Jungen allein zu sein. Entschuldige mich!“ Sie wandte sich um, doch noch bevor sie zurück gehen konnte, hielt er sie am Arm zurück. Sie wollte sich umdrehen und ihm für seine Unverschämtheit eine Ohrfeige verpassen, doch sie hielt inne, als sie sah, wie er mit dem Daumen zärtlich über ihr Armband strich und das Schmuckstück musterte. „Meine Mutter war böse mit mir, als ich ihr erzählt habe, dass ich Lilys Geschenk nicht mehr hatte. Ich musste ihr von meinem Taschengeld ein neues kaufen, aber sie hat es nur ein paar Mal getragen...“ Er lachte. „Und du trägst es heute noch.“ Sie legte den Kopf schief und sah ihn einen Herzschlag lang an. Ein zartes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, verlieh ihren Wangen einen rosigen Ton und brachte ein Strahlen in die grauen Augen, als sie ihr Gegenüber erkannte. „Du bist es.“ James grinste breit. „Aus irgendeinem verrückten Grund habe ich dich nie vergessen, weißt du. Und als ich vorhin das Armband gesehen habe.“ Wieder lachte er. „Wie meine Oma immer sagt: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Aber damit hatte ich heute Abend nun wirklich nicht gerechnet.“ Evangeline entging nicht, dass er noch immer ihre Hand hielt. Durch die Seide ihrer Handschuhe spürte sie, wie sein Daumen vorsichtig über ihren Handrücken strich. Sie entzog sich seinem Griff und schenkte ihm ein damenhaftes Lächeln, bevor sie sich von ihm abwandte und hinüber zu einer der Bänken ging, auf der sie sich niederließ. Am Nachmittag hatten dichten Wolken den Himmel verhangen, doch inzwischen hatten sie sich gelichtet und den Blick auf das sternenklare Firmament freigegeben. Doch es war auch merklich kälter geworden. Sie zitterte in ihrem Seidenkleid, als der Wind über die Terrasse wehte und einen Vorgeschmack auf den kalten Winter brachte. Er folgte ihr und setzte sich nach kurzem Zögern neben sie. „Ist deine Mutter hier?“, fragte er. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. „Sie starb vor einigen Jahren.“ „Das tut mir leid, entschuldige meine Vermessenheit zu fragen.“ Skeptisch hob sie eine Augenbraue. „Vermessenheit?“ „Ist das nicht eines von diesen hochtrabenden Wörtern, die man euch lehrt zu benutzen?“ Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern zog das Jackett aus und legte es um ihre Schultern. Sie zog den Stoff enger um sich und sein Geruch stieg ihr in die Nase. Einen kurzen Moment schloss sie die Augen und war überrascht, wie gut er roch. Als sie ihn wieder ansah, beobachtete er die Flügeltür, durch die sie gekommen waren. Dann wanderte sein Blick über die Terrasse. „Wir sind allein“, stellte er fest. Evangeline spürte, wie die Röte in ihre Wangen schoss. Nervös spielte sie mit dem Stoff ihres Kleides. „Eine junge Dame sollte nicht...“ „... mit einem Jungen allein sein“, beendete er ihren Satz und sah sie an. Einen Augenblick schwieg er, bevor er wieder ihre Hand ergriff und über das Schmuckstück an ihrem Handgelenk strich. „Du schuldest mir noch etwas.“ Als sie ihn verwirrt ansah, beugte er sich zu ihr hinunter. „Du hast mir einen Kuss versprochen.“ Erschrocken wich sie zurück und wollte aufstehen, doch wieder hielt er ihre Hand fest und hinderte sie an der Flucht. „Es war ein Versprechen... und euch wird doch beigebracht, euer Wort zu halten, oder?“ „Schon“, gab sie zu, „Aber...“ James schüttelte den Kopf. „Nichts aber.“ Sie sah den jungen Potter lange an und verfluchte sich selbst dafür, dass sie so romantisch war. Mit ihren fünfzehn Jahren war sie noch nie von einem Jungen geküsst worden und was konnte besser sein, als den ersten Kuss im Sternenlicht zu bekommen. Noch dazu von einem Jungen wie James. Langsam nickte sie und beugte sich zu ihm hinüber. Auf halbem Weg zögerte sie und schlug schüchtern die Augen nieder. Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sie hatte Angst, sich zu blamieren und etwas falsch zu machen. Doch James sorgte dafür, dass sie all ihre Sorgen vergaß. Er griff unter ihr Kinn und als sie aufsah, war sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt. Ihr Herz klopfte so schnell, dass sie glaubte, es würde jeden Moment in ihrer Brust zerspringen und ihre Angst wuchs. Was, wenn sie sich ungeschickt anstellte? Als er ihr noch näher kam und sie seine Hand auf ihrer Schulter spürte, vergaß sie fast zu atmen. Und als sich ihre Lippen schließlich berührten, stieg ein fremdes Gefühl in ihr auf. Ein Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit und schnürte ihr den Atem ab. Ihr war, als würde ihr Herz für einen Augenblick aussetzten, nur um dann umso heftiger zu schlagen. Sie spürte seine Händen sie fest umfassten und seine weichen Lippen auf ihren. Er schmeckte nach süßem Wein und bitterem Tabak. Sie spürte seine Zungenspitze über ihre Lippen gleiten als seine Hand an ihrem Arm herunterfuhr und schließlich auf ihrem Oberschenkel liegen blieb. Seine Berührungen waren so sanft und doch war er sich so sicher in dem, was er tat. Viel zu schnell war der Moment verflogen. „Danke“, hauchte James. Nicht fähig zu antworten, lächelte sie ihn an. Sie suchte nach den richtigen Worten, wollte ihm sagen, was in ihrem Inneren vorging, doch es sollte nicht soweit kommen. „Evangeline!“ Sie fuhr herum und sah ihre Stiefmutter auf sich zu kommen, den dunklen Stoff ihres Kleides angehoben. Ihre grünen Augen starr auf James gerichtet. Sofort erhob sie sich und kam ihr entgegen. Inständig hoffte sie, dass Astoria nicht zuviel mitbekommen hatte. „Mutter, ich...“ „Ist gut, Kind!“, entgegnete Dracos Frau und bedachte sie mit einem sanften Blick. Sie zog sie ein Stück näher und sah dann James an. „Das du dich nicht schämst, so ein junges Ding hier allein rauszubringen. Sie ist eine Dame und kein flatterhaftes Mädchen!“ Er erhob sich und seufzte tief. Wortlos nahm Astoria ihrer Stieftochter das Jackett ab und hielt es dem jungen Potter entgegen, der es ebenso wortlos ergriff. Ohne Evangeline noch einmal anzusehen, stolzierte er an den beiden vorbei und verschwand in der Menge, die sich im Saal vergnügte. Als er verschwunden war, drehte sich ihre Stiefmutter zu sich um und holte tief Luft. „Du musst mir keine Standpauke halten... ich weiß, was ich falsch gemacht habe und es tut mir leid. Ich sollte es besser wissen.“ Sie senkte schuldbewusst den Kopf. Zärtlich strich Astoria ihr über den Kopf und küsste ihre Stirn. „Ist schon in Ordnung. Beim nächsten Mal weißt du es besser. Aber...“ Sie senkte die Stimme. „Wir sollten deinem Vater nichts davon erzählen.“ Evangeline hob den Kopf und nickte dankbar, dann ergriff sie die Hand ihrer Stiefmutter und ließ sich von ihr zurück in den Saal bringen, wo sie am Tisch ihrer Familie Platz nahm. Kurz darauf wurde das Dinner serviert. Als sie an diesem Abend London verließ, hatte sie James nicht noch einmal gesehen. Sie wusste nicht, ob er sich absichtlich von ihr fern hielt oder ob es Zufall war. Sie musste zugeben, dass sie enttäuscht gewesen war, doch sie war sich sicher, dass es nicht ihre letzte Begegnung gewesen war. Daheim in ihren weichen Kissen spielte sie gedankenverloren mit dem Armband, sie rief sich das Gefühl seiner Berührungen in Erinnerung und wieder stellte sich das Kribbeln ein. Sie konnte sich des breiten Lächelns nicht erwehren, dass ihre Lippen zierte, als sie an ihn dachte. Nun war er nicht nur der kleine Junge aus einer verschwommenen Kindheitserinnerung, sondern der Junge, der ihr ihren ersten Kuss gestohlen hatte. Und nicht nur das. Er war der erste Junge, in den Evangeline sich verliebte. Kapitel 2: Something new - Part 1 --------------------------------- 4 Jahre zuvor Sonnenstrahlen flossen durch die dicken Vorhänge ihrer Fenster und kitzelten sie an der Nase. Evangeline schlug die Augen auf und gönnte sich ein paar wenige Minuten, bevor sie die Beine über die Bettkante schlug und aufstand. Mit einem Ruck öffnete sie die Vorhänge und blickte in einen der ersten schönen Tage des Jahres. Der Schnee war nun endgültig den ersten Frühlingsblumen gewichen und die ersten Vögel sangen schon wieder in den Ästen. Seufzend wandte sie sich ab. Bis ihre Großmutter sie zum Frühstück erwartete, hatte sie nur noch eine Stunde Zeit und die würde sie auch brauchen. Seit ihrem Schulabschluss im letzten Jahr hatte Narcissa sie unter ihre Obhut genommen und ihr den letzten Schliff verpasst. Fortan begleitete Evangeline sie auf zahlreiche Treffen mit anderen alten Hexen, die sich um das Wohl der Zaubergemeinschaft kümmerten. Stets achtete Narcissa darauf, dass sie mit den richtigen Leuten zusammen traf und die richtigen Gespräche führte. Jede Geste, die sie tat, diente nur dem Zweck ein Bild von ihr zu kreieren, dass ihre Familie für sie entworfen hatte. Und dieses Bild aufrecht zu erhalten fiel ihr an manchen Tagen sehr schwer. Eine geborene Schönheit war sie nicht, aber das war schon ihre Mutter nicht gewesen. Während Desmond von ihren Eltern nur das beste abbekommen hatte, hatte sie nicht so viel Glück gehabt. Sie hatte die Stupsnase ihrer Mutter geerbt und das spitze Kinn ihres Vaters. Ihr braunes Haar lag von Natur aus platt über ihren Schultern, doch mit viel Geschick schaffte sie es jeden Morgen all diese kleinen Makel verschwinden zu lassen und wenn sie das Haus verließ, trug sie das puppenhafte Aussehen zur Schau, dass ihre Großmutter so schätzte. Wie jeden morgen begann sie mit einer heißen Dusche, gefolgt von einem perfekten Make-Up und einer aufwendigen, sorgfältigen Frisur. In einen Morgenmantel aus grüner Seide gehüllt verließ sie das Bad und betrat ihr Ankleidezimmer, für das eine ganze Menge von Mädchen wohl morden würde. Die Schränke an den Wänden waren prall gefüllt mit Namen wie Versace und Chanell. Oft fragte sie sich, wie die Muggel Coco Chanell für eine der ihren hatten halten können, schließlich musste doch jedem klar sein, dass solche Designs nicht ohne Hilfe von Magie entstehen konnten. Sie besaß mehr als drei dutzend Abendkleider und ihr Schuhschrank füllte fast eine ganze Wand aus. An diesem Morgen entschied Evangeline sich für einen Tweed-Rock und einen schwarzen Kaschmirpullover. Hastig legte sie noch Ohrringe und Kette an, bevor sie aus ihrem Zimmer eilte. Als sie die Marmortreppe hinunterkam, hörte sie bereits die Stimme ihrer Stiefmutter aus dem Speisesaal. „Guten Morgen, mein Schatz!“, sagte Astoria und küsste ihre Stieftochter auf die Wange, bevor sie sich erneut den Hauselfen zuwandte, die nacheinander Teller mit Spiegeleiern und Speck, frischem Obst und vielen anderen Leckereien hineintrugen. Nur Minuten später erschien der Rest ihrer Familie. Als letztes kam ihre Großmutter, die wie immer den Platz an ihrer Seite einnahm. In den wenigen Monaten, die sie nun ihre Enkelin in die besten Kreise der Gesellschaft eingeführt hatte, hatte sie es geschafft, aus ihr eine der begehrtesten Junggesellinnen zu machen. Die Tatsache, dass Draco sich offiziell zu ihnen bekannt hatte und ihr nun ein Drittel des nicht zu verachtenden Vermögens der Malfoys zustand, hatte diesem Umstand nur begünstigt. „Georgina hat mir gestern eine Eule zukommen lassen“, bemerkte sie und stellte ihre Teetasse ab, „Sie bittet mich, an ihrer Geburtstagsfeier teilzunehmen.“ Narcissa wandte sich ungehalten ihrer Enkeltochter zu. „In einem dieser Clubs? Ich halte nichts davon. So etwas verdirbt die Mädchen nur, wenn...“ „Aber Mutter!“, unterbrach Draco und lächelte seine Tochter an, „Lass ihr doch ein wenig Spaß.“ „Du musst uns aber versprechen, dass du vorsichtig bist“, warf Astoria ein. Evengeline nickte kurz. „Wir werden nicht lange fort sein und wenn ihr es erlaubt, würde ich über Nacht bei Georgina bleiben und wäre morgen zum Lunch wieder daheim.“ „Über Nacht? Evangeline, ich bitte dich! Das geht nun wirklich nicht.“ Narcissa kräuselte argwöhnisch die Nase. „Mutter!“ Draco ließ die Gabel sinken. „Nun ist es aber wirklich genug. Die Goyles sind Freund der Familie und ich wüsste nicht, warum sie nicht eine Nacht mit ihren Freundinnen verbringen sollte. Es wird ihr nicht schaden, wenn sie mal wieder einen Abend verbringen wird, ohne deine Klauen über sich zu spüren.“ Narcissa kniff den Mund zusammen und wollte ihrem Sohn etwas entgegnen, als dieser die Hand hob und sie zum Schweigen brachte. „Ich habe dir erlaubt, dich um ihre Erziehung zu kümmern, aber ich werde nicht zulassen, dass du ihr Leben so bestimmst, wie du es bei mir getan hast!“ Evengeline spürte, dass es in einem handfesten Familienstreit enden würde, wenn sie die Gemüter nicht beruhigen würde, doch ihr Bruder kam ihr zuvor. Mit einem besänftigenden Lächeln auf den Lippen beugte er sich zu Narcissa. „Ich werde sie einfach begleiten, Großmama, das wäre doch ein Kompromiss. Das haben wir doch schon öfter getan. Was sagst du?“ Desmond wusste, dass seine Großmutter ihm nichts abschlagen konnte und so gab sie nach einigem Hadern doch ihre Zustimmung, so dass Evangline sich an diesem Abend tatsächlich in der Begleitung ihres älteren Bruders wiederfand. Er apparierte mit ihr in einer der Seitenstraßen Londons ganz in der Nähe ihres Ziels. Sie wusste kaum, wie oft sie dieses Spiel schon gespielt hatten. In einer dunklen Ecke tauschte sie ihre biederes Kleid gegen eines der Kleider, das sie vor den Augen ihrer Familie in der Kommode aufbewahrte. Sie verabschiedete sich von ihrem Bruder, der seinerseits mit einigen Freunden verabredet war. Obgleich sie schon seit mehr als zwei Jahren vorgaben, miteinander auszugehen, hatten sie noch nie einen Abend gemeinsam verbrachte. Desmond wusste, dass seine Schwester ab und zu aus ihrem Leben ausbrechen musste und er stand ihr dabei gern zur Seite. So auch, als sie nun zu ihren Freundinnen stieß, die bereits vor einem exklusiven Muggel-Club auf sie warteten. Mit dem nötigen Budget gelangten sie ohne weiteres in den VIP-Bereich, der auf der Empore über der Tanzfläche untergebracht war. Gelangweilt betrachtete Evangeline die bunt wogende Menge, die sich zum Takt der Musik bewegten. Die Mädchen hatten ihre Gesichter grell bemalt, und ihre Kleidung enthüllte mehr, als sie verdeckte. Etwas derart billiges lag ihr fern. Obwohl sie sich gerne hätte gehen lassen, wie die jungen Frauen dort, widerstrebte ihre Erziehung diesem Verhalten und jahrelange Ausbildung sorgten dafür, dass eine solche Idee nie in die Tat umgesetzt wurde. „Ma chérie“, säuselte ihre ehemalige Klassenkameradin Satine und riss sie aus ihren Gedanken, als der breitschultrige Kellner ihnen die nächste Runde Champagner servierte. Sich eine der rotblonden Strähnen aus dem Gesicht streichend, reichte sie Evangeline das Glas. Sie stießen auf das Wohl Georginas an, als an ihrem Tisch plötzlich einige junge Männer erschienen. Ein kurzer Blick auf die goldenen Anstecker, die einen Löwen darstellten, genügte, um sie als Mitglieder des Hauses Gryffindor auszuweisen. Der größte von ihnen, ein blonder Kerl mit auffällig grünen Augen, deutete auf den silbernen Anstecker in Form eines Schwanes, den Satine am Kragen trug. „Beauxbaton?“, fragte er schlicht und als sie nickte, ließ er sich neben ihr nieder und stellte lässig sein Glas auf den Tisch. „Dürfen wir den Damen Gesellschaft leisten?“ „Oui“, antwortete Odette, überschlug die schier endlos langen Beine und klopfte auf den freien Platz neben sich. Sie war schon immer diejenige unter den Freundinnen gewesen, der es mit einer spielerischen Einfachheit gelang, die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts zu erlangen. Der Letzte der kleinen Gruppe, drehte sich um und gab dem Kellner ein Zeichen, bevor er sich wieder zu ihnen umwandte. Als sie ihn erkannte erhellte aufrichtige Freude Evangelines Züge. „James!“, sagte sie erfreut und schenkte ihm ein wohl einstudiertes Lächeln. Der Potter-Spross hob eine Augenbraue und drehte die Zigarette zwischen den Fingern. Dann stieß er den Rauch aus und begann zu grinsen. „Miss Parkinson“, erwiderte er, „Ich hätte nicht erwartet, dich hier zu treffen.“ „Malfoy“, erwiderte sie, „Ich bin jetzt ein ganz offizieller Bastard.“ „Glückwunsch!“, erwiderte James nur und setzte sich neben sie, wie selbstverständlich legte er den Arm um sie, doch dann hielt er inne. „Du trägst das Ding immer noch?“ Sie hob den Arm und ließ das Armband klimpern. „Siehst du doch.“ Vorsichtig berührte er das Metall und ein nachdenkliches Lächeln erschien auf seinen Lippen. Der Abend war einer seltsamsten, den sie je verbracht hatte. James schien sehr darauf bedacht kein Gespräch mit ihr aufkommen zu lassen, doch zeitgleich suchte er doch ihre Nähe, strich wie zufällig über ihren Oberarm oder strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Wenn sie später an diesen Abend dachte, wunderte sie, wie sie so naiv hatte sein können. Waren seine Absichten ihr Gegenüber doch mehr als deutlich gewesen. Ihre Freundinnen amüsierten sich mit den andern Gryffindors und als Evangline schließlich schließlich darum bat, zu gehen, stieß sie nur auf Widerstand. „Komm schon!“, maulte Georgina, „Sei nicht so eine Spielverderberin! Wir amüsieren uns doch gerade so gut.“ „Dann reise ich eben allein nach Hause.“ Trotzig griff sie nach ihrer Handtasche und erhob sich, als plötzlich auch James aufstand und sie am Handgelenk fest hielt. „Ich begleite dich nach draußen, es ist viel zu gefährlich für dich allein.“ Sie nickte, verabschiedete sich mit knappen Worten von den Anderen und stolzierte davon. James folgte ihr wie ein Schatten, seine blauen Augen musterte die Männer, die ihr lüsterne Blicke hinterher warfen. Am Ausgang angelangt wartete sie wie selbstverständlich darauf, dass er ihren Mantel an der Garderobe entgegen nahm und ihr brachte. Er half ihr in den dunklen Stoff und blieb eine Sekunde länger und einen Zentimeter näher als nötig hinter ihr stehen. Als sie seinen Atem im Nacken spürte, machte ihr Herz einen kleinen Sprung und sie vergaß einen kurzen Augenblick Luft zu holen. Doch als wäre nichts gewesen, sah er sie an und fragte: „Wollen wir?“ Gemeinsam verließen sie den Club und gingen wortlos die Straße entlang, auf der es von Nachtschwärmern wimmelte. Einige hundert Meter entfernt bogen sie in eine einsame Seitenstraßen und folgten ihr, bis sie auf einen von Mauern umgebenen Hinterhof kamen. Der übliche Platz für junge Zauberer um zu disappieren. Evangeline wandte sich an ihren Begleiter und lächelte ihn sittsam an. „Ich danke dir“, sagte sie, „Das war wirklich aufmerksam von dir.“ „Es war schön dich wiederzusehen“, erwiderte er und kam einen Schritt näher. Bevor sie wusste, was er tat, beugte er sich zu ihr hinunter und hauchte einen Kuss auf ihre Wange. Sie drehte sich von ihm weg, als sie merkte, wie sie errötete. Doch er ging um sie herum, legte ihr die Finger unter das Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Er war noch immer einen guten Kopf größer als sie und er kam ihr immer noch zu dünn vor. Er hatte hohe Wangenknochen, eine kleine Narbe an der linken Augenbraue und einen Bartansatz, der ihn etwas verwegen aussehen ließ. „Willst du wirklich gehen? Wir haben uns doch so lange nicht gesehen.“ Ihre Knie wurden weich, als er ihr durch das Haar strich und seine Hand an ihrem Arm herunter wandern ließ. Er ergriff ihre Hand und küsste ihren Handrücken. „Weißt du, meine Wohnung liegt nur einen Katzensprung von hier entfernt und deine Eltern erwarten dich doch nicht zurück, oder?“ Sie hielt die Luft an, so ungehörig war sein Vorschlag. Wie konnte er nur glauben, dass sie ihm – den sie doch kaum kannte – in seine Wohnung folgen würde. Diese Idee war geradezu lachhaft, es kam gar nicht in Frage. „Gerne“, hauchte sie und bereute ihre Antwort im selben Augenblick, doch sein Gesicht voller freudiger Erwartung, ließ sie all ihre Sorge vergessen. Er legte den Arm um sie und führte sie durch die Seitenstraße zurück. Nur Minuten später standen sie vor einem neu erbautem Konstrukt aus Eisen und Glas. Ein Portier grüßte sie und hielt ihnen die Tür auf, bevor sie mit dem Fahrstuhl in den achten Stock fuhren. Erst als er den Schlüssel der Wohnungstür aus der Jackentasche holte, sprach er wieder mit ihr. „Ich bin letztes Jahr ausgezogen, ich habe es bei meinen Eltern nicht mehr ausgehalten.“ Sie wollte ihm antworten, doch ihre Stimme versagte ihr den Dienst und so nickte sie nur und folgte ihm in seine Wohnung. Sie stand im Wohnzimmer, eine große Fensterfront an der gegenüberliegenden Wand bot ein traumhaftes Bild auf das nächtliche London. Seine Einrichtung waren stilvoll, eine schwarze Ledercouch und Möbel aus dunklem Holz. James verschwand in den Flur zu ihrer linken und kam kurze Zeit später mit einer Flasche Wein zurück. Bevor sie sich versah, saß sie mit ihm auf der besagten Couch und hielt ein schweres Kristallglas in der Hand. Eine Weile schwiegen sie beide, bevor er leise zu lachen begann. Sie sah ihn verwirrt an und und fragte: „Was ist los?“ „Du bist ein seltsames Mädchen, Evie. Bist du so nostalgisch, dass du dieses Ding noch trägst?“ Sie klimperte mit dem Schmuckstück. Vom Wein berauscht, lächelte sie und schenkte ihm einen koketten Augenaufschlag. „Nenne es eine schöne Erinnerung. An den Jungen, der mir meinen ersten Kuss gegeben hat.“ „Deinen ersten?“ „Meinen ersten.“ Sie strich über das Silber und ein verträumter Blick schlich sich in ihre Augen. „Das ist mein Glücksbringer. Seit dem Tag, an dem du es mir geschenkt hast, habe ich es jeden Tag getragen. Und nach dem Abend in der Dumbledore Hall mochte ich es noch ein bisschen lieber.“ Einen Moment schwieg sie und lachte dann. „Das ist albern.“ „Nein, ist es nicht.“ Sie wandte sich ihm zu und sah eine unvermutete Zärtlichkeit in seinem Blick. „Es ist überhaupt nicht albern – im Gegenteil.“ Er stellte sein Glas ab und beugte sich zu ihr hinüber, strich ihr über den Oberarm. Wieder begann ihr Herz bei seiner Berührung zu flattern, eine wohlige Gänsehaut breitete sich über ihren Rücken aus. Sie genoss seine Aufmerksamkeit und fühlte sich zurückversetzt in jene Nacht, als er sie geküsst hatte. Verlangen, seine Lippen erneut zu fühlen, ihn zu schmecken, keimte in ihr auf und ließ sie all ihre Zurückhaltung und gute Erziehung vergessen. James stellte etwas mit ihr an, das ihr nur zu gut gefiel. Als sich ihre Blicke kreuzten, ließ sie sich fallen. Gab sich ihm hin und überließ sich ganz seiner Führung. Ihre Lippen trafen aufeinander, ihre Körper schienen wie für einander gemacht. Wieder schmeckte sie diese Mischung aus Tabak und Wein, den sie nie ganz hatte vergessen können. Wieder spürte sie dieses Kribbeln überall dort, wo seine Hände ihre Haut berührten. Sie ließ sich nach hinten fallen und er legte sich auf sie, hielt einen Herzschlag lang inne und sah sie an, als suche er ihre Zustimmung. Etwas, das sie ihm liebend gern gab. Sie legte ihre Hand in seinen Nacken und zog ihn an sich, küsste ihn leidenschaftlich und stöhnte leise auf, als er mit der Zunge ihre Lippen teilte. Fahrig richtete er sich auf und zog sich das Hemd über den Kopf. Gierig betrachtete sie ihn, die leichte Wölbung seiner Muskeln und die kleine Tätowierung auf seiner linken Brust, die einen Raben darstellte. Wieder beugte er sich zu ihr hinunter, küsste ihren Hals, strich über ihren Oberschenkel und schob ihren Rock hoch. Zum ersten Mal in ihrem Leben hörte Evangeline auf das, was ihr Herz ihr sagte und nicht auf das, was ihr Kopf ihr vorschrieb. Sie warf all die starren Regeln und Anforderungen über Bord, gab sich ganz diesem neuen und fremden Bedürfnis hin. Bevor sie recht wusste, was geschah, lag sie hüllenlos auf der Kaschmirdecke und genoss die Blicke, mit denen James ihren Körper bedeckte. Seine blauen Augen glänzten vor Verlangen und sie stellte fest, dass sie ebenso hungrig war wie er. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Als sie die Augen aufschlug, brauchte sie einige Momente, bevor sie realisierte, dass sie nicht in ihrem Bett aufgewacht war. Das leise Atmen des jungen Mannes neben ihr riss sie aus ihren Überlegungen. Sie richtete sich auf, raffte das Laken vor ihrer Blöße zusammen und betrachtete den schlafenden James. Die vergangene Nacht war die mit Abstand beste ihre Lebens gewesen, noch immer fühlte sie sich an den richtigen Stellen wund und dachte mit Wohlwollen an das Gefühl seiner Hände, seiner Lippen. Er war trotz allen Verlangens zärtlich zu ihr gewesen und doch hatte er sie wahrlich überfallen, wie selbstverständlich von ihrem Körper Besitz ergriffen und sie mit einer Ausdauer und Leidenschaft geliebt, die ihr fremd war. Seine Brust hob und senkte sich langsam und so stand sie langsam auf. Sie wollte ihre Kleider holen, doch bevor sie das Zimmer verlassen konnte, fiel ihr Blick auf eine Reihe Fotos, die auf einer Kommode standen. Auf einem erkannte sie James als kleinen Jungen wieder. Er stand neben einer alten, rothaarigen Hexe und hielt einen Besen in die Kamera. Auf einem anderen stand er in der Mitte seiner Quidditch-Mannschaft von Gryffindor, reckte die Hand mit dem Schnatz in die Höhe. Das größte Foto zeigte einen Jungen, der James sehr ähnlich sah, und ein jüngeres Mädchen mit Sommersprossen auf der Nase. Vorsichtig nahm sie das Bild und hob es hoch. Im Hintergrund war das Meer zu sehen. Der Junge legte schützend den Arm um das Mädchen, das abwechselnd den Jungen und den Betrachter ansah. „Meine Geschwister.“ Evangeline sah auf. James hatte sich aufgerichtet und deutete auf das Bild in ihren Händen. „Albus und Lily.“ „Ich sehe kein Bild von deinen Eltern“, stellte sie fest. James schlug die Decke zurück und stand auf. Er blieb ihr eine Antwort schuldig und ging hinüber ins Bad, nur um wenige Augenblicke später wieder hinaus zu kommen und ihr einen Morgenmantel aus schwarzer Seide entgegen zu halten. Er selbst zog aus der Kommode eine schwarze Hose heraus. Bevor er sich ein T-Shirt über den Kopf zog, berührte Evangeline seine Brust und strich über seine Tätowierung. „Warum ein Rabe?“ Er zuckte mit den Schultern und zog sich an. „Ich wollte bloß meine Eltern provozieren. Ein schwarzes Schaf wäre zwar treffender gewesen, aber ein schwarzer Rabe gefiel mir besser.“ Lächelnd wandte er sich ab und verließ sein Zimmer in Richtung Küche, doch bei ihren Worten blieb er im Türrahmen stehen und verharrte dort für einen Herzschlag. „Weißt du, mein Patronus ist ein Rabe.“ Wenig später kam er zurück, ein Tablett mit Toast, Spiegeleiern und gebratenem Speck in den Händen. Ihm folgte ein uralter Hauself, der Kaffee und Orangensaft brachte. James nickte in die Richtung des alten Dieners. „Das ist Kreacher. Als ich ausgezogen bin, hat er darauf bestanden, mich zu begleiten.“ Der alte Elf kräuselte ungehalten die Nase. „Ohne Kreacher würde der junge Herr auch nicht einen Tag zurecht kommen. Der junge Herr kann nicht kochen, der junge Herr kann nicht putzen...“ James lächelte mild und nahm Kreacher seine Last ab. „Danke, das wäre es dann.“ Grummelnd disapparierte der alte Kerl. „Wie reizend.“ Der junge Potter hob die Augenbrauen und stellte die Getränke auf seinem Nachttisch ab. „Er ist eine große Hilfe, aber er denkt, er sei unabkömmlich. Ich kann nicht kochen, weil er mich nicht lässt. Kommst du?“ Sie folgte ihm und ließ sich wieder auf dem Bett nieder. Doch sie kamen kaum zum Essen und als sie erneut keuchend in den Laken lagen, war der Kaffee bereits erkaltet. Erschöpft legte sie ihren Kopf auf seine Brust und lauschte dem wilden Pochen seines Herzens, als er mit dem Fingern über das Symbol an ihrer Hüfte strich. „Was ist das?“ „Das Wappen meiner Familie.“ „Aber die Malfoys haben doch...“ Sie schüttelte den Kopf. „Parkinson. Unter dem Namen wurde ich geboren und mein Bruder trägt ihn bis heute. Ich will nicht vergessen, wo ich herkomme.“ „Was ist mit deiner Mutter passiert?“ Als sie ihm nicht antwortete, fügte er hinzu: „Du musst mir nichts erzählen.“ Sie seufzte tief und schmiegte sich näher an den Körper ihres Geliebten, als müsse sie dort Halt suchen. „Mein Vater wurde vom meinen Großeltern zu einer Ehe gezwungen. Er beugte sich den Wünschen seiner Familie und heiratete meine Stiefmutter Astoria, doch...“ Sie zögerte kurz und fuhr dann leise, fast flüsternd fort. „Er sagte mir einmal, dass man sich in seinem Leben nur einmal wirklich verliebt und wenn das geschieht kann keine Macht im Himmel oder auf Erden das ändern. Und er hat meine Mutter geliebt. Ein Mädchen, dass nicht den Ansprüchen genügte, die mein Großvater an eine Schwiegertochter gestellt hat, aber die ihn in den schwersten Stunden seines Lebens beigestanden hat. Meine Eltern haben sich aus tiefstem Herzen geliebt und daran konnte eine fremde Braut nichts ändern. Erst kam Desmond auf die Welt und dann ich. Mein Vater besuchte uns häufig, sogar meine Großmutter kam ab und zu vorbei. Wir wussten früh, dass unser Vater noch eine andere Familie hat und dass wir noch einen kleinen Bruder hatten.“ „Und Astoria...?“ „Hatte nicht die geringste Ahnung. Als ich acht war, wurde meine Mutter sehr krank und mein Vater nahm uns zu sich. Er stellte uns als die Kinder einer alten Schulfreundin vor und wir lebten einige Monate so in Malfoy Manor. Sie hegte keinerlei Verdacht und alles war in Ordnung, doch...“ Wieder hielt sie inne und schloss kurz die Augen. „Schließlich konnten aber auch die Ärzte in Sankt Mungos meiner Mutter nicht helfen und sie starb.“ „Das tut mir leid“, flüsterte er und strich ihr vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Aber ihr scheint eine ganz glückliche Familie zu sein.“ „Als Astoria die Wahrheit erfuhr, entschied sie sich, dass sie uns aufziehen würde. Sie hatten uns in den Monaten zuvor sehr lieb gewonnen und auch wenn wir der Beweis für die Untreue ihres Ehemannes waren, so waren wir doch zwei Kinder, die ihre Mutter verloren hatten. Sie liebt mich wie ihr eigen Fleisch und Blut, sie ist für mich eine zweite Mutter geworden.“ „Du hattest Glück.“ Sie hob den Kopf und legte ihre zarte Hand auf seine Brust. „Ich bin dankbar für all das, was Astoria und meine Großeltern für mich getan haben und dafür bemühe ich mich, eine gute Tochter zu sein und ihren Ansprüchen zu genügen.“ „Du meinst, eine junge Damen zu werden.“ Er lachte. „Aber letzte Nacht warst du nicht sehr damenhaft.“ „Fürs erste Mal nicht schlecht, oder?“ Das Lachen verschwand aus seinem Gesicht. Er richtete sich auf und sah sie nervös an. „Es war dein erstes Mal?“ „Reg dich nicht auf.“ Sie schüttelte den Kopf und legte ihm eine Hand auf die Wange. „Du hast nichts getan, was ich nicht auch wollte und ich bereue auch nichts.“ Wortlos ließ er sich wieder in die Kissen fallen und legte einen Arm um sie. Doch sie spürte, dass er tief in Gedanken versunken war. Wieder wanderte ihr Blick hinüber zu den Fotos. Er schien so sehr an seiner Familie zu hängen, dass er kein Bild seiner Eltern hatte, schien da seltsam absurd. Er bemerkte, was sie betrachtete und als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er: „Wir haben kein gutes Verhältnis.“ „Warum?“ Er lachte und sie konnte seinen bitteren Unterton nicht überhören. „Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie mein Leben abgelaufen ist? Als ich geboren wurde, hat der Tagesprophet geschlagene 12 Seiten darüber berichtet. Ich bekam zu meinen Geburtstagen Geschenke von Leuten, die ich noch nie gesehen hatte.“ Er erhob sich abrupt aus dem Bett und ging hinüber zum Fenster. Eine Weile starrte er auf die Wassertropfen, die gegen die Scheibe schlugen und dort hinunter liefen. „Seit ich denken kann, hat alle Welt etwas besonderes von mir erwartet. Man hatte sich ein Bild davon gemacht, was ich werden sollte und wie ich es werden sollte. Ich sollte in die Fußstapfen meines Vaters treten und als ich nach Hogwarts kam, musste ich natürlich nach Gryffindor, obwohl der Hut mich eigentlich nach Ravenclaw schicken wollte, aber weil ich ein Potter bin...“ Er seufzte tief und griff nach den Zigaretten auf dem kleinen Tischchen neben dem Fenster. Gierig sog er daran und stieß den Qualm langsam wieder aus. Einige Minuten schwieg er und Evangeline ließ ihm die Zeit. Sie zog die Beine an und legte den Kopf in die Hände, beobachtete das Spiel seiner Muskeln, als er den Rest seiner Zigarette in den Aschenbecher fallen ließ und die Hände hinter dem Kopf verschränkte. „Ein solcher Name bringt eine große Bürde mit sich“, sagte sie leise. James wandte sich kurz um und sah sie an, bevor er sich lächelnd wieder zum Fenster umdrehte und die Hände tief er in der Hose vergrub. „Bürde...“, murmelte er kaum hörbar, „Es war mehr als das.“ Wieder hielt er kurz inne, bevor er seufzte und fortfuhr. „In meinem zweiten Jahr wollte ich ins Quidditch-Team. Ich wäre bestimmt ein toller Jäger geworden, aber mein Vater bestand darauf, dass ich als Sucher spiele so wie er. Und weil ich sein Sohn war, war es dem Kapitän vollkommen egal, dass Andere besser waren als ich. In der fünften wurde ich Vertrauensschüler, obwohl ich dafür so gar nicht geschaffen war und natürlich wurde ich Schulsprecher, obwohl ich es nicht mal wollte. Mein Vater entschied, welche Kurse ich belegen sollte und welche unsinnig wären. Wozu braucht ein Auror schon alte Runen? Es war natürlich klar, dass ich nach der Schule im Ministerium anfangen und dann zum Auror werden würde.“ Er lachte trocken und zündete sich eine zweite Zigarette an. „Zumindest war das meinen Eltern klar, aber glaubst du, sie haben auch nur einmal gefragt, was ich will? Mein Leben lang haben mein Vater und meine Mutter Entscheidungen für mich getroffen und ich...“ Er schüttelte unwirsch den Kopf und wandte sich wieder ihr zu. „Immer sollte ich ein gutes Vorbild sein.“ Er hob die Zigarette hoch. „Als mich meine Mutter beim Rauchen erwischte, ist sie vollkommen ausgeflippt. Harry Potters Sohn durfte doch nicht solche schlechten Angewohnheiten haben und dann meine ständig wechselnden Freundinnen... ich habe meine Eltern damit in den Wahnsinn getrieben und es hat mir gefallen.“ James ließ sich neben ihr auf das Bett nieder und drückte die glühende Zigarette aus. „Schließlich haben sie vom mir verlangt, endlich meine Auror-Ausbildung zu beginnen, mir ein nettes Mädchen zu suchen, sie zu heiraten und einen Haufen Enkelkinder in die Welt zu setzen. Und da lief das Fass über.“ „Was ist passiert?“ James lachte bitter und ließ den Kopf hängen. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie versuchen können, aus Albus einen Vorzeigesohn zu machen, aber das ich nicht mehr mitspiele. Ich bin appariert und seitdem nie wieder zu Hause gewesen. Danach habe ich sie nur selten gesehen. Ich habe meine Ministeriumskarriere abgebrochen und mir meinen Traum erfüllt und bei Gringotts angefangen.“ Als er sie wieder ansah, war sein Blick unendlich traurig. „Ich habe sie und meine Geschwister seit über einem Jahr nicht mehr gesehen.“ Gegen Mittag schließlich musste sie sich von ihm verabschieden. Sie hegte keine unrealistischen Vorstellungen, dass aus den Beiden etwas Festes werden würde. Ganz abgesehen davon, dass ihre Familien bis aufs Blut verfeindet waren, war James nicht der Typ für eine Frau. Und seltsamerweise störte sie die Erkenntnis, dass sie nur eine von vielen war, nicht im Geringsten. Sie hatten eine unvergessliche Nacht miteinander verbracht und Evangeline begnügte sich damit. Vielmehr fand sie es auf eine wirre Weise romantisch, dass James sowohl ihr erster Kuss, als auch ihre erste Nacht gehörte. Ihr gefiel es, wie er immer wieder in ihrem Leben auftauchte und es durcheinander brachte. Obwohl sie ihn mochte, wollte sich die alte Verliebtheit ihrer Jugend nicht wieder einstellen. Seine Nähe hatte eine unglaubliche Wirkung auf sie, aber sie schob diese Empfindungen auf die körperliche Anziehungskraft, die er auf sie ausübte. Während sie ihren Sachen zusammensuchte, saß er auf der Armlehne seiner Couch und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Schließlich wandte sie sich ihm zu und seufzte. „Dann mache ich mich mal auf den Weg.“ James schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Auf Wiedersehen“, war das Einzige, das er hervorbrachte. „Auf Wiedersehen, Jimmy.“ Er lächelte. „Jimmy... gefällt mir.“ Evangeline erwiderte sein Lächeln, doch James hatte seine Aufmerksamkeit bereits der Aussicht zugewandt. Der Rauch seiner Zigarette kräuselte sich in der Luft und es war wohl seine Art von Abschiedsgruß. Aber so war er und sie mochte ihn, gerade weil er irgendwie anders war. „Ich möchte dich wiedersehen Sie nickte nur wortlos und apparierte, ohne ihm eine Antwort zu geben. Es war der Beginn einer sehr seltsamen Beziehung. Kapitel 3: Something new - Part 2 --------------------------------- 3. Something new – Part 2 Sechs Monate zuvor „Ich möchte dich wiedersehen...“ Nach nicht einmal einer Woche hatte James ihr eine Eule zukommen lassen und sie in kurzen Worten gebeten, zu ihm nach London zu kommen. Ohne lange zu überlegen, war Evangeline seiner Einladung gefolgt... wieder und wieder. Aber ein Paar im klassischen Sinne waren sie nie geworden. Manchmal hatten sie wochenlang keinen Kontakt, nur um dann ganze Tage in seinem Schlafzimmer zu verbringen. Dann wiederum gab es Zeiten, in denen sie unzählige Museen und Galerien besucht hatten und der einzige Körperkontakt zwischen ihnen ein zärtliches Händchenhalten gewesen war, eine flüchtige Berührung, wenn er zum Abschied ihre Wange küsste. Ein paar Mal waren sie über das Wochenende verreist und wenn sie später daran zurück dachte, erstaunte sie es immer wieder, wie lange sie James ihrer Familie hatte verheimlichen können. Noch am Tag ihrer Rückkehr zog sie ihren Bruder Desmond ins Vertrauen, der sie fortan gedeckt hatte und erst nach über einem halben Jahr, als die ganzen Lügen und Ausflüchte sie von innen aufzufressen schienen, gestand sie es ihren Eltern und Großeltern. Wie es zu erwarten gewesen war, endete es in einem Drama. Ihre Großmutter war hysterisch geworden und redete nur davon, dass sie ihre Ehre beschmutzt hätte, ihr Großvater polterte über die Potter-Sippschaft und wie viel Schande sie dieser Familie zu verdanken hätten. Ihr Vater hingegen hatte dem Einhalt geboten und sie gefragt, ob sie James lieben würde. Wahrheitsgemäß hatte sie verneint und erklärt, dass er lediglich ein Freund sei und sie gerne mit ihm zusammen sei, dass sie die Zeit mit ihm sehr genoss. Draco hatte sich daraufhin erhoben und sich für den Rest des Abends in seinem Arbeitszimmer zurückgezogen. Astoria, deren Familie nie in näherem Kontakt mit den Potters gestanden hatte, war erfreut darüber, dass sie sich für einen Jungen interessierte. Jedoch konnte ihre Stiefmutter nicht verbergen, dass sie mit ihrer Wahl nicht ganz einverstanden war. Am nächsten Tag hatte ihr Vater sie zu sich gerufen und Evangeline unerwartet erlaubt, James jederzeit zu sehen und sie lediglich darum gebeten, ihn nicht mit nach Malfoy Manor zu bringen und seinen Namen in Anwesenheit ihrer Großeltern nicht zu erwähnen. Sie war von diesem Umstand zwar sehr überrascht, aber von Astoria ließ sie sich davon überzeugt, es dabei zu belassen. Was immer seine Beweggründe auch waren, sie war glücklich über den Freiraum, den man ihr zusprach und solange sie ihre Pflichten erfüllte, duldete man ihre Treffen. Von diesem Tag an verbrachte sie immer mehr Zeit mit James und es schien ihr, dass auch er immer mehr ihre Nähe suchte. Oft war er es, der sie dazu drängte, über Nacht zu bleiben, obwohl sie sich vorgenommen hatte, nach ein paar Stunden heim zu reisen. Aber ob er Gefühle für sie hatte, wusste sie nicht. Er sagte ihr nie, dass er sie liebte oder so etwas in der Art. Wenn er ihr sagte, dass er ihre Nähe genoss, so war dies schon mehr, als sie lange Zeit von ihm erwartet hatte. James war ihr Vertrauter geworden, ihr Tröster und Beschützer, ihr Liebhaber und bester Freund. Aber ihr Partner, das wurde er nie. Es war ihr recht, denn obwohl sie ihn sehr gern hatte, fühlte sie ihm gegenüber nie etwas tieferes. Zumindest war das lange Zeit so. Bis sie ihn eines Tages mit einer Anderen in seinen Armen sah und ein so tiefer Schmerz ihr Herz erschütterte, wie sie es noch nie gefühlt hatte. Sie war mit Georgina ausgegangen und trafen im spät sommerlichen London auf James, der eine atemberaubend schöne Blondine an seinen Körper drückte. Ihre Blicke kreuzten sich kurz, doch weder begrüßte er sie, noch schien er irgendwie peinlich berührt von der Begegnung. Er hatte dem Mädchen einen Kuss auf die Wange gehaucht, ihr etwas ins Ohr geflüstert und war mit ihr verschwunden. Wie angewurzelt war sie stehen geblieben, unfähig ihrer Freundin etwas zu erklären. Stattdessen war sie auf dem kürzesten Weg wieder nach Malfoy Manor zurückgekehrt und hatte sich in die Arme ihres Bruder geflüchtet. Desmond hatte keine Fragen gestellt, sondern ihren vor Kummer bebenden Körper gehalten, bis die Tränen versiegt waren. Anschließend kam Evangeline ihr Verhalten kindisch vor und sie weigerte sich, ihrem Bruder auch nur ein Wort zu sagen. Aber nachts, wenn sie schlaflos in ihrem Bett lag, fühlte sie wieder den Schmerz aufkeimen, sah ihn in den Armen einer fremden Frau. Eines Tages verstand sie, was geschehen war – dass aus Zuneigung Liebe geworden war. Und doch blieb alles beim Alten. Sie behielt ihre Gefühle für sich und irgendwann schaffte sie es, sich damit zu arrangieren. Schließlich würde es das Ende ihrer Beziehung bedeuten, wenn sie ihm gestehen würde, was sie fühlte. Sie dachte oft, dass er zu so etwas wie Liebe vielleicht gar nicht fähig war. Zumindest hatte sie in den vergangenen drei Jahre nie einen solchen Wesenszug an ihm festgestellt. Nichts schien ihm viel zu bedeuten, es gab kein Erinnerungsstück, das ihm wirklich wichtig war. Einmal hatte er das Bild seiner Geschwister herunter geworfen, als er sie in einem Anfall von Leidenschaft gegen die Wand gedrückt hatte. Doch statt das Bild aufzuheben oder dergleichen, hatte er nur unwirsch mit den Schultern gezuckt und sie zum Bett gezogen. Als sie am nächsten Morgen die Scherben beseitigte und feststellte, dass der Rahmen – der ein Geschenk seiner Geschwister gewesen war – gebrochen war, wollte sie ihn reparieren, doch James nahm ihn ihr ab und warf ihn in den Müll. Er könne sich demnächst einen Neuen kaufen. Nach vier Wochen, in denen das Bild lose auf der Kommode gelegen hatte, war sie eines Nachmittags in die Stadt appariert und hatte einen neuen Rahmen gekauft. James hatte es entweder gar nicht bemerkt oder es war ihm schlichtweg egal gewesen. Aber so war ihr Jimmy nunmal und sie liebte ihn so, wie er war. Ein hoffnungsloser Frauenheld. Ein egoistischer Freigeist. Und der wohl wundervollste Mann, den sie kannte. Evangeline schlang die Arme um den schlanken Körper, als der kalte Wind ihr ins Gesicht schlug. Der Winter war in diesem Jahr früh gekommen und hatte ganz England fest in seinem eisigen Griff. Dicke, weiße Flocken fielen schon seit Tagen vom Himmel und hatten die Welt mit einem dichten Schleier bedeckt. Sie verfluchte James dafür, dass er eine Leidenschaft für Muggel-Häuser hegte und es nicht als nötig erachtete, den Kamin an das Netzwerk anzuschließen. Wohl auch, weil er sie eben so schnell wechselte, wie seine Begleiterinnen. James hasste es, lange in ein und denselben vier Wänden zu leben. Schon nach ein paar Monaten brauchte er etwas Neues und zog um. Nun lebte er in einem alten Stadthaus mitten in Londons Altstadt und sie wusste, dass er dieses reizende Haus schon bald wieder verlassen würde. Hatte er zunächst von den hohen Decken und den dicken Teppichen geschwärmt, beschwerte er sich inzwischen über die dunklen Räume und die schmale Holztreppe. Eilig betätigte sie den Türklopfer und schon kurz darauf öffnete Kreacher ihr die Tür. Sie schenkte dem alten Hauselfen ein Lächeln, dass dieser schief erwiderte. Sie wusste, dass Kreacher sie sehr mochte. Im Vertrauen hatte er ihr gestanden, dass sein junger Herr nach ihren Besuchen sehr glücklich war und das war Kreacher von jeher das Wichtigste. Im Flur nahm er ihr ihren Mantel ab und verschwand dann in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. „Kreacher hat für Miss Evie frische Ananas besorgt“, merkte er an und schloss die Tür hinter sich ohne auf eine Antwort zu warten. Sie fand James im Wohnzimmer, er saß in einem altmodischen Ohrensessel am Feuer und hob den Kopf, als sie eintrat. Er zog an seiner Zigarette und verschlang sie geradezu mit seinen Blicken, musterte ihr rotes Wollkleid. „Ich mag es, wenn du rot trägst.“ „Ich weiß“, erwiderte sie schlicht und ließ sich auf der Lehne des Sessels nieder. Er reichte ihr ein Glas Wein, das auf dem kleinem Tisch neben ihm gestanden hatte und legte seine Hand auf ihren Unterarm, bevor er nach einem Buch griff und begann, ihr daraus vorzulesen. Sie schloss die Augen und lauschte seiner Stimme, die nach all der Zeit noch immer eine ungeheuer beruhigende Wirkung auf sie hatte. Das Knistern des Feuers machte sie schläfrig und sie wäre wohl auch eingenickt, wenn nicht Kreacher in diesem Moment die Tür geöffnet und das Abendessen serviert hätte. Nach dem Dinner nahm James sie bei der Hand und führte sie ohne große Worte die Treppe hinauf in sein Schlafzimmer. Und dort hatte der wahre Abend erst begonnen. Evangeline schlug die Beine über die Bettkante und griff nach ihren Kleidern, die im Rausch der Leidenschaft achtlos auf den Boden geworfen worden waren. James drehte sich auf die Seite und beobachtete seine Liebhaberin, wie sie den schwarzen BH schloss. Er betrachtete ihren feinen Rücken, das kleine Muttermal auf der sonst makellosen Haut. „Ich habe nachgedacht“, sagte er schließlich. Sie sah ihn nicht an, griff stattdessen nach ihrer Perlenkette und band sie sich um. „Worüber?“, fragte sie. „Wir sollten heiraten.“ Evangeline hielt in der Bewegung inne, ihre zarten Hände schwebten noch immer über ihrem Nacken. Langsam drehte sie sich zu ihm um und sah ihn mit großen Augen an. „Bitte?“ „Du bist die einzige Frau, bei der ich nach der ersten Nacht das Verlangen hatte, sie wiederzusehen!“ „Soll das ein Kompliment sein?“ „Das ist eine Feststellung.“ Er drehte sich auf den Rücken und seufzte tief. Dann griff er nach seinen Zigaretten, die auf dem Nachttisch bereit lagen und zündete sich eine an. „Ich meine das ernst. Es gibt keinen anderen Menschen auf der Welt, der mir je näher war. Und ich denke, dass es eine gute Idee wäre, zu heiraten. Du weißt schon... das übliche...“ Er wedelte mit der Hand durch die Luft und der Rauch hinterließ eine feine Spur. „Großmutter hat bereits eine ansehnliche Liste potentieller Gatten für mich parat und du stehst nicht darauf.“ Er hob skeptisch eine Augenbraue und betrachtete sie, wie sie sich ihr Kleid über den Kopf streifte. „Wieso?“ „Das fragst du noch?“ Evangeline lachte leise. „Du trinkst zu viel.“ „Ich höre auf.“ „Du rauchst wie ein Gnom.“ „Kein Problem, keine Zigaretten mehr.“ Wie zum Beweis, drückte er die Zigarette im Aschennbecher aus und zeigte ihr seine leeren Hände. „Du bist ein Frauenheld.“ „Ich werde dir Treue schwören.“ Sie warf einen Blick über die Schulter und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Dann bist du nicht mehr mein Jimmy.“ Sie lächelte. „Du hast mir noch nicht ein einziges mal gesagt, dass du mich liebst, aber du willst mich heiraten? Das ist nur wieder eine deiner Ideen und morgen lässt du mich vor dem Altar sitzen. Du bist nicht zum Ehemann geschaffen.“ Er hielt ihre Hand fest und küsste ihre Fingerspitzen. „Für dich würde ich es werden.“ Als sie ihn ansah, wäre sie fast in seinen Augen versunken. Nur zu gerne hätte sie seinen Worten geglaubt, doch James war nie sehr beständig in seinen Entscheidungen gewesen und warum sollte es diese Mal anders sein? Für ihn war die Ehe vermutlich etwas, dass ihn neugierig werden ließ und dass er ausprobieren wollte. Nicht, dass sie ihn nicht heiraten würde, aber sie wollte eine Ehe, die auf tiefer, gegenseitiger Liebe basierte und auf Vertrauen. James konnte ihr weder das eine geben, noch das andere. Sie wandte sich ab und griff nach ihren Pumps. Fahrig strich sie den Stoff ihres Kleides glatt und stand auf. Schon fast an der Tür angekommen, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Er lag in den zerwühlten Laken und musterte sie mit fragenden Blick. „War das ein Ja?“, fragte er. Sie legte den Kopf schief und schenkte ihm ein mädchenhaftes Lächeln. „Um meine Hand, hält man nicht so einfach an, Jimmy. Ich bin eine Lady, ich brauche Romantik.“ Sie warf ihm eine Kusshand zu, bevor sie sich abwandte und ging. Eine Weile starrte er auf das helle Holz der Tür, dann lächelte er breit. „Du sollst kriegen, was du willst.“ Malfoy Manor lag unter einen dichten Schneedecke, das fahle Mondlicht und die hoch aufragenden Bäume verliehen dem Anwesen etwas gespenstisches. Ein eisiger Wind peitsche gegen die Fenster, doch der hell lodernde Kamin vermochte die Kälte zu vertreiben. Nur das Heulen des Westwindes erinnerte die Familie daran, dass es außerhalb der Mauern kaum zu ertragen war. Draco saß in seinem Ohrensessel an der Stirnseite des Raumes und war tief versunken in die Ausgabe des Tagespropheten, während sein Vater mit seinem Enkelsohn Scorpius eine Partie Zauberschach spielte. Astoria und Narcissa hatten sich auf einem der beiden Sofas niedergelassen stellten die Liste für die Einkäufe für die kommenden Festtage zusammen. Desmond saß im Schneidersitz am Kamin und spielte mit einem Erinnermich herum. Plötzlich betrat einer der Hauselfen den Salon und räusperte sich vorsichtig. Ungehalten ließ Draco seine Zeitung sinken, blickt kurz über den Rand hinüber zu seinem Diener und widmete sich dann wieder dem Artikel über die zum Jahreswechsel in Kraft tretenden Gesetze. „Warum störst du uns?“ „Der junge Master Potter ist an der Tür“, antwortete der Hauself und verbeugte sich steif. Astoria stellte ihre eben erst ergriffene Teetasse wieder ab und sah ihren Diener streng an. „Richte ihm aus, dass Evangeline nicht zugegen ist... und dass er solche Besuche in Zukunft unterlassen soll.“ „Verzeihen Sie, Herrin, aber Master Potter wünscht den Hausherren zu sprechen.“ Draco hob den Kopf und sah zuerst seine Eltern und seine Frau, dann wieder den Hauselfen an. Verwirrt legte er den Tagespropheten beiseite. „Bring ihn her!“ Eilig verschwand der Hauself, doch nicht bevor er sich ein gutes dutzend Mal verbeugt hatte. „Was will der denn hier?“, fragte Narcissa mit einem unüberhörbarem Unterton in der Stimme. „Ich denke, das werden wir gleich erfahren“, erwiderte Draco, als der Hauself den Gast hineinführte. Er musterte ihn von oben bis unten, hatte er ihn doch zuletzt vor einigen Jahren gesehen, als er noch mehr Junge als Mann gewesen war. Mit Genugtuung stellte er fest, dass er Harry nicht im Geringsten ähnlich sah. Er begrüßte ihn und deutete mit der Hand auf das gegenüberliegende Sofa. Verlegen lächelte James und nahm Platz. Nacheinander warf er den anwesenden Personen einen kurzen Blick zu und traf auf eine ungeahnte Kälte. Nur Desmond nickte ihm freundlich zu. „Ich bin wegen Evie hier“, sagte er schlicht. „Ich muss zugeben, dass ich nichts anderes erwartet habe.“ Draco wandte sich zu seinem jüngsten Sohn und bat ihn, zu gehen. Ohne Wiederworte erhob Scorpius sich und verließ das Zimmer. Erst nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah Draco Harrys Sohn wieder an. „Worum geht es?“ James senkte den Blick und atmete tief ein. „Ich weiß, dass Sie meine... Bekanntschaft zu Evangeline nicht gutheißen und ich kann auch verstehen, warum das so ist, aber...“ Er hielt kurz inne und schloss für einen Herzschlag die Augen. „Sehen Sie, Sir, mein Vater hat Erwartungen an mich gestellt und ich habe sie enttäuscht. Meine Familie hat Erwartungen an mich erstellt und ich habe auch sie enttäuscht... ich habe mich nicht einmal bemüht, sie zu erfüllen. Und Evangeline... sie hat nie etwas von mir erwartet, sondern mich so genommen, wie ich bin. Sie hat nie den Sohn des großen Potters in mir gesehen, sondern einfach nur James. Sie will mich nicht verändern, aber ich will mich ändern... für sie... um der zu sein, der...“ Wieder hielt er inne, dann glitt ein Lächeln über seine Züge. „Ich habe mein Leben lang nach dem Abenteuer gesucht, nach der Abwechslung. Ich bin nie lange an ein und demselben Ort geblieben, habe immer das getan, was Anderen missfiel. Und dann kam dieses Mädchen, das so gut und beständig ist. Die nichts von all dem ist, was ich von einer Frau erwartet habe und... und ich bin ihr verfallen.“ Er blickte auf und sah in versteinerte Gesichter. Sogar Desmond schien von seinen Worten mehr als überrascht zu sein. Nach kurzem Zögern, fasste er all seinen Mut zusammen. „Evie hat Gefühle in mir erweckt, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich zu ihnen fähig bin. Ich habe noch nie für einen Menschen so viel empfunden wie für sie. Meine Gefühle sind nicht nur eine Laune, seit vier Jahren ist sie der Mittelpunkt meines Lebens. Es mir eine Pflicht, sie glücklich zu machen, sie vor allem Leid der Welt zu beschützen.“ Er lachte kurz auf. „Ich bin nicht gut darin, so etwas in Worte zu fassen, aber... wann immer ich von ihr getrennt bin, denke ich daran, wann ich sie wiedersehe und wenn wir zusammen sind... dann steht die Welt still. Dann wird sie meine Welt. Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen.“ Astoria, die bisher starr seinen Worten gelauscht hatte, legte den Kopf schief und beugte sich ihm zu. Ihre Züge wurden weicher, ein Ausdruck freudiger Überraschung begann ihr Gesicht zu erleuchten. Fast glaubte er, den Ansatz eines Lächeln zu erkennen. Er warf Evangelines Stiefmutter einen kurzen Blick zu und wandte sich dann ihrem Vater zu. Einen Herzschlag lang schwieg er, schluckte schwer und seufzte dann tief. „Ich liebe sie. Und ich will das sie meine Frau wird. Und nun bin ich hier und bitte sie demütig um die Hand ihrer Tochter und um ihren Segen.“ Er hielt dem Blick der starren grauen Augen von Evangelines Vater stand. „Meinst du das wirklich ernst?“ „Auch wenn das nicht viel heißt: Es war mir noch nie etwas so ernst, wie das.“ „Und du glaubst wirklich, dass ich dir meinen Segen gebe?“ James blickte zur Seite. „Evie hat mir viel von Ihnen erzählt. Sie wollen, dass sie glücklich ist und glauben Sie mir, Sie können die ganze Welt durchsuchen, Sie werden keinen Mann finden, der sie mehr lieben wird, als ich.“ Er hörte, wie Draco scharf die Luft einzog und machte sich innerlich auf das gefasst, was nun folgen würde, doch stattdessen spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter. Draco stand vor ihm und sah ihm fest in die Augen. „Du hast Recht, ich will nur das Beste für meine Tochter. Einen Mann, der sie von Herzen liebt und wenn das nun mal ein Potter ist, dann werde ich wohl damit leben müssen. Es wäre mir eine Freude, wenn sie deinem Antrag zustimmen würde und du als Schwiegersohn Teil meiner Familie werden würdest.“ „Draco!“, entfuhr es Narcissa. Sie sprang auf und kam einige Schritte auf ihren Sohn zu. „Du kannst doch nicht wirklich...“ Abrupt wandte sich das Oberhaupt der Familie um und sah seiner Mutter in die Augen. „Du wirst mit meinen Kindern nicht das Gleiche machen, was ihr mit mir gemacht habt. Ich werde nicht zulassen, dass sie ein Spielball eures Willens werden.“ „Er ist ein Potter!“, mischte sich nun auch Lucius ein, der sich ebenfalls erhoben hatte und sich nun zu seiner Frau stellte, „Und sein Ruf ist ziemlich... nennen wir es... zweifelhaft.“ „James war mutig genug hierher zu kommen und das beweist, dass es ihm ernst ist. Wenn Evie ihn heiraten will, dann hat sie meinen Segen. Und da ich-,“ fügte Draco hinzu, als sein Vater ihm widersprechen wollte, „-das Oberhaupt dieser Familie bin, ist dieses Gespräch beendet.“ „Aber...“ „Es ist beendet“, sagte er ruhig und lächelte kalt. Gefolgt von seiner Ehefrau, verließ Lucius das Zimmer. Einige Sekunden herrschte Stille, bevor Astoria sich erhob und auf James zu kam. Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Stirn. „Sie werden sich an dich gewöhnen“, merkte sie schlicht an und schenkte ihm ein herzliches Lächeln. Plötzlich stand auch Desmond vor ihm und wies ihn an, aufzustehen. Dann umarmte er ihn und klopfte ihm auf den Rücken. „Pass auf meine Schwester auf.“ „Erstmal muss sie noch ja sagen.“ Er drückte ihn auf Armeslänge von ihm weg und grinste breit. „Das wird sie.“ Draco legte ihm wieder die Hand auf die Schulter und drückte sacht zu. In seinen grauen Augen lag eine ungeahnte Güte. „Willkommen in der Familie, mein Junge.“ Als Evangeline am Abend ihr Zuhause erreichte, fand sie ihre Familie nicht wie erwartet im Salon. Verwirrt begab sie sich zum Zimmer ihres älteren Bruders, doch als dieser nicht antwortete, war sie beunruhigt. Schließlich begegnete sie ihrer Stiefmutter, die sie darauf aufmerksam machte, dass eine Eule für sie angekommen sei. Dann wünschte sie ihr eine gute Nacht und verschwand in ihren Gemächern, ohne sich auf ein Gespräch einzulassen. Irgendetwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung, doch die Neugier über die Eule siegte und so hastete sie in ihr Zimmer. Auf dem Weg dorthin nahm sie sich vor, am Morgen herauszufinden, was geschehen war. Angekommen in ihren Räumen warf sie einen raschen Blick durchs Zimmer und tatsächlich lag auf dem dunklen Stoff ihres Bettes ein weißer Umschlag. Er war verschlossen mit dem Siegel der Potters. Eine Nachricht von James. Es war nur eine kurze Mitteilung, doch vielleicht verwirrte sie das noch mehr. Ich treffe dich morgen um sechs in der Winkelgasse. Du weißt schon wo. Pünktlich reiste Evangeline mittels Flohpulver in den Tropfenden Kessel. Den gesamten Tag über hatte sie ein ungutes Gefühl, was diese Verabredung mit James betraf. Ihre Großeltern waren am frühen Morgen ausgegangen und bis zu ihrer Abreise nicht wieder zurückgekehrt, ihre Eltern hingegen waren sehr zuvorkommend gewesen, ihr Bruder Desmond hatte das breite Grinsen kaum aus seinem Gesicht vertreiben können. Sie grüßte den Wirt und betrat dann durch den Hinterhof die Winkelgasse. Nun – kurz vor den Feiertagen – war sie gefüllt mit Hexen und Zauberern, die mit schweren Tüten beladen, nur Augen für die bunt leuchtenden Schaufenster der Läden hatten. Eine Weile betrachtete sie die Menge, bevor sie tief seufzte. „Du weißt schon wo“, murmelte sie in ihren Schal und machte sich dann schließlich auf den Weg, langsam ging sie die schmale Gasse entlang uns betrachtete dabei aufmerksam ihre Umgebung in der Hoffnung einen Ort zu finden, an dem James auf sie warten könnte. Sie kannte ihn vermutlich besser als alle anderen Menschen auf dieser Welt, aber in diesem Moment war er ihr ein Rätsel. In der Ferne sah sie Flourish & Blotts. Sie überlegte kurz, ob sie herein gehen und nach einem Buch für Desmond schauen sollte, als plötzlich ein scharfer Wind durch die Gasse fegte und da erinnerte sie sich. Und wusste genau, wo James auf sie wartete. Eilig drängte sie sich zwischen den Menschen hindurch und schon bald hatte sie die Stelle gefunden. James trug einen dunklen Wollmantel, Schneeflocken hatten sich in seinem Haar verfangen. Als sie näher kam, streckte er den Arm aus und hielt ihr ein Stück Stoff entgegen. Neugierig griff sie danach und musterte verwirrt die schwarze Kindermütze. Es dauerte eine Weile bis sie darin ihre eigene erkannte, die sie an jenem Tag verloren hatte, als sie James zum ersten Mal begegnet war. „Ich habe sie gefunden und habe mir vorgenommen, dass ich sie dir irgendwann wiedergeben würde“, sagte er, als sie zärtlich über die dunkle Wolle strich. „Du hast sie all die Jahre aufgehoben?“ Er nickte. „Meine Großmutter hat gesagt, dass man sich immer zweimal im Leben begegnet und ich wollte wohl, dass es so ist.“ Evangeline lächelte gerührt und seufzte sehr mädchenhaft. „Das ist sehr lieb von dir.“ „Pass auf, ich bin nicht gut in solchen Dingen und das weißt du wohl besser, als jeder Andere... also mache ich es kurz, in Ordnung?“ In seinen Augen lag etwas, das ihr vollkommen fremd war und so nickte sie nur und kniff verwirrt die Augen zusammen. „Vor fünfzehn Jahren habe ich dich hier zum ersten Mal getroffen und obwohl es mir damals noch nicht klar war, hat dieser Tag mein ganzes Leben verändert. Auch als ich dich dann in der Dumbledore Hall wieder sah, wusste ich noch nicht, was dieses Treffen bedeutete. Eigentlich glaube ich nicht an das Schicksal, aber ich der festen Überzeugung, dass eine höhere Macht uns zusammen gebracht hat. Du bist die Frau, die für mich und nur für mich bestimmt ist.“ „Jimmy...“ Er hob die Hand und unterbrach sie. „Hör mir einfach nur zu!“ „Okay...“ „Mein Leben ist eine Aneinanderreihung von Misserfolgen und ich glaube, dass das einzig Richtige, was ich je getan habe, du bist. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich jemals soviel empfinden würde. Als ich neulich gesagt habe, dass wir heiraten sollten, habe ich das ernst gemeint.“ Sie lächelte und griff nach seinen Händen, wollte etwas sagen, doch er legte ihr den Finger auf die Lippen und schüttelte sacht den Kopf. Dann trat er einen Schritt zurück und strahlte sie an. Wie in Zeitlupe sah sie zu, wie er vor ihr auf die Knie ging und ihr einen zierlichen Ring entgegen hielt. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie die Passanten stehen blieben und einige Frauen sich die Hand aufs Herz legten. Sonst wäre es ihr wohl unangenehm gewesen, so in der Öffentlichkeit zu stehen, doch in diesem Augenblick hatte sie nur Augen für ihren Jimmy. „Evie...“ Er lächelte, als er sich berichtigte. „Evangeline... willst du meine Frau werden?“ Ihr traten die Tränen in die Augen, als sie vor Freude zu lachen begann. „Ja...“, hauchte sie, „Ja, tausendmal ja!“ Während er ihr den Verlobungsring an den Finger steckte und sich dann erhob, begannen die umstehenden Menschen zu klatschen, einige pfiffen laut. Als sie sich küssten, stieg der Applaus sogar noch. Sie tauschten einen tiefen Blick, dann hob sie ihre Hand und sah auf den funkelnden Diamanten an ihrem Ringfinger. „Du musst aber meinen Vater noch um Erlaubnis bitten.“ „Schon geschehen“, erwiderte er und lachte, als er ihren ungläubigen Blick sah. „Ich war gestern Abend dort und habe um deine Hand angehalten und... was soll ich sagen, er war einverstanden.“ Evangline schüttelte ungläubig den Kopf und küsste seine Wange. „Aber ich habe noch ein Bedingung“, sagte sie. „Und die wäre?“ Sie schob ihr Gegenüber ein Stück fort und sah ihn sehr ernst an. „Deine Eltern sollen uns ihren Segen geben.“ Hätte sie ihn geohrfeigt, sie hätte nicht mehr aus der Bahn werfen können. Er blickte auf den Boden und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht...“ Sie legte ihm die Hand auf die Wange und zwang ihn, sie anzusehen. „Du hast Draco Malfoy dazu gebracht, seine Tochter einem Potter zu übergeben. Was soll denn da noch schlimmer werden?“ Zögerlich lächelte James und nickte dann langsam. „Sie werden über die Feiertage daheim in Godric Hollow sein... sie alle.“ „Dann werden wir ihnen einen Weihnachtsbesuch abstatten“, erwiderte sie und drückte seine Hand, während sie ihn erneut küsste. „Ich weiß, dass du sie vermisst, auch wenn du das nie zugeben würdest. Und was gäbe es denn für einen schöneren Anlass für eine Versöhnung, als eine Hochzeit?“ Als er weiter schwieg, hob sie mahnend den Zeigefinger. „Ich sage erst ja, wenn du dich wieder mit deiner Familie versöhnt hast.“ Er lachte. „Sagte ich doch, du bist das Beste, was mir je passiert ist.“ Mit dem Daumen strich er über den neuen Ring an ihrem Finger und berührte dann das alte Armband, dass sie seit fünfzehn Jahren trug. Das ihm bewies, dass sie die Richtige war. Die, die er lieben konnte. Kapitel 4: Somethoing borrowed. ------------------------------- 6 Monate zuvor In all den Jahren, die sie James nun kannte, hatte sie ihn noch nie derart verstört gesehen. Eigentlich hatte sie ihn noch nie auch nur ein wenig aufgebracht erlebt. Diese Tatsache machte das Ganze nur noch seltsamer. Unruhig lief er in seinem Haus umher, als sie kam, um ihn abholen. Kreacher betrachtete seinen Herrn kopfschüttelnd, als er erneut die Treppe hinauf lief, um kurz darauf mit einem anderen Schal herunterzukommen. „Der junge Herr spinnt“, stellte der alte Hauself fest und wandte sich dann grummelnd ab, um in der Küche zu verschwinden. Als er vor dem Spiegel stand und mit zitternden Händen die Knöpfe seines Hemdes zu schließen versuchte, ging sie auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Beruhige dich.“ Tief seufzend drehte er sich um und sah auf ihren Finger, auf den silbernen Ring daran. „Ich habe heute Nacht nicht geschlafen“, sagte er. Und so sah er auch aus. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, sein Hemd knitterte an den Ärmeln und seine Haare waren nur nachlässig zu zähmen versucht worden. Seine Haut war viel blasser als sonst. Unablässig bewegten sich seine Augen, es war nicht zu übersehen, wie sehr ihn den Besuch bei seinen Eltern beunruhigte. Evangeline küsste seine Nasenspitze und schloss dann die übrigen Knöpfe. „Nun komm, wir wollen doch nicht zu spät kommen.“ Er nickte und zog sich schweigend den Mantel an, legte sich den Schal um den Hals, nur um ihn dann wieder zurück auf die Stufen zu legen. Prüfend besah er sich im Spiegel und strich sich sein Haar zurück. Als er keine Anstalten machte, aufzubrechen, griff sie nach seiner Hand und sah ihn auffordernd an. Einen Moment zögerte er noch, dann apparierte er mit ihr. Die Reise war nicht im geringsten so angenehm, wie sie es gewöhnt war. Sobald sie festen Boden unter ihren Füßen spürte, taumelte sie nach vorn und wäre fast gestürzt, wenn James sie nicht festgehalten hätte. Er lächelte entschuldigend und sie griff nach ihrem Hut, um ihn wieder zu richten. Glücklichweise hatte sie sich heute für ihr taubenblaues Kostüm entschieden und dieses war kaum aus der Ordnung zu bringen. Nachdem sie sich eine lose Strähne hinter das Ohr geklemmt hatte, besah sie sich ihre Umgebung. Sie befanden sich in einer Seitengasse, die auf eine schlecht gepflasterte Straße führte. Auf der anderen Seite war ein kleines Gasthaus, vor deren Tür zwei angetrunkene Männer standen und die Hüte zum Gruß hoben, als sie die Ankömmlinge sahen. James führte sie die Straße entlang, vorbei an einem kleinen Friedhof und einer alten Kirche aus deren inneren gedämpfte Gesänge klangen. Sie mochte diese christlichen Gebäude, auch wenn sie selbst – wie ihre Mutter zuvor – eine Anhängerin des alten Glauben war, so mochte sie die würdige Ausstrahlung der massiven Steinwände. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit den bunten Glasfenstern, als ihr Begleiter mit einem Mal stehen blieb und auf ein Haus einige dutzend Meter von ihnen entfernt deutete. Godrics Hollow war anzusehen, dass es nicht mehr im Orginalzustand war, sondern dass es vor nicht allzu langer Zeit von Grund auf neu aufgebaut worden war. Eine niedrige Mauer umgab das viereckige Haus mit den dunklen Dachschindeln, dahinter erstreckte sich ein weitläufiger Garten mit hohen Bäumen. Aus den Fenster im ersten Stock drang Licht hinter vorgezogenen Vorhängen auf die Straße. Der Weg zur Haustür war sorgsam von Schnee befreit worden, ein schiefer Schneemann hielt ein Holzschild mit der Aufschrift „Willkommen!“ in der Hand. „Es sieht hübsch aus“, bemerkte sie höflich, „Aber es ist so klein.“ „Wenn man in Malfoy Manor lebt, dann sieht wohl alles klein aus“, erwiderte James. Ihr entging das Zittern seiner Stimme nicht, auch wenn er versuchte, es zu verbergen. Er seufzte tief und stieß das Tor auf, führte sie zum Haus hinauf und blieb vor der Tür stehen. Eine kleine Lampe erhellte den Eingang, ein Messingschild über der Türklingel verkündete, dass hier die Familie Potter lebte. „Was wenn sie mich nicht wiedersehen wollen?“ „Dann fahren wir heim und probieren nochmal Großmama von dir zu überzeugen. Aber es wird schon klappen, vertrau mir.“ Sie lächelte ihm aufmunternd zu und bevor er noch etwas einwenden konnte, betätigte sie den Türklopfer. Sie hörten Schritte auf dem Flur und eine freudige Stimme, die rief: „Ich komme schon!“ Die Tür wurde hastig von einer rothaarigen Hexe mit einer Weihnachtsschürze geöffnet, auf der kleine Rentiere umhersprangen. Evangeline brauchte keinerlei Erklärungen, um zu wissen, dass sie seiner Mutter gegenüber stand. Sie erkannte die Augen ihres Verlobten in diesem fremden Gesicht. Die Frau grinste breit, doch als sie ihren Besuch erkannte, gefror die Freude auf ihrem Gesicht und machte purem Entsetzen Platz. „James?“, fragte sie atemlos, als sei sie weit gelaufen. „Frohe Weihnachten, Mom.“ Einige Sekunden vergingen, in denen die Mutter ihren Sohn fassungslos anstarrte, dann erschien im Flur ein junger Mann, in dem Evangeline James jüngeren Bruder Albus erkannte. Er sah noch immer genauso aus, wie auf dem Foto. „Wer ist denn da, Mom?“, fragte er. Das Glas in seiner Hand fiel zu Boden und zerbrach in Scherben. Wie in Trance kam Albus einige Schritte näher, bis er neben seiner Mutter stand. „Was machst du hier?“ „Darf ich reinkommen?“, entgegnete James und betrat mit unsicheren Schritten das Haus, nachdem Mutter und Bruder zur Seite getreten waren. Niemand schien von ihr Notiz zu nehmen und so folgte Evangeline ihrem Verlobten, als dieser den Flur entlang ging. Sie gelangten in ein Wohnzimmer zu ihrer Linken, nachdem er seinen Mantel im Gehen auf eine Kommode geworfen hatte. In einem herrlichen Kamin brannte ein wärmendes Feuer, nur ein Stück davon entfernt stand ein prachtvoll geschmückter Weihnachtsbaum und davor kniete ein Mädchen mit kurzen roten Haaren, die sich bei ihrem Eintreten erhob. Sie war zweifellos Lily, seine Schwester. Die Ähnlichkeit zwischen den Beiden war verblüffend, dieselben kantigen Wangenknochen und dieselben zart geschwungenen Gesichtszüge. Lily schien nur einen kurzen Moment überrascht, dann entfuhr ein Schrei ihrer Kehle und sie stürzte auf ihren Bruder zu. „James!“, rief sie, „Bei Merlin, James, was treibt dich denn hierher?“ Tränen kullerten ihre Wangen hinunter, als sie ihn in die Arme schloss und auf beide Wangen küsste. Sie zog ihm zum Sofa hinüber und zwang ihn, sich zu setzten. „Nun sag schon!“ „Wo ist Dad?“, fragte er stattdessen und sah zu seiner Mutter, die noch immer wie versteinert im Türrahmen des Wohnzimmers stand. „Er ist gleich zurück.“ Ginny ging steif zum Sessel hinüber und ließ sich dort nieder, ihr jüngerer Sohn stellte sich hinter sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie schien nach den passenden Worten zu suchen, setzte mehrfach an, bevor sie fragte: „James, was machst du hier?“ Er schob seine Schwester ein Stück von sich fort. „Ich hatte wohl Sehnsucht“, sagte er leise. „Sehnsucht?“, fragte Albus ironisch, „Nach fünf Jahren?“ „Sagen wir, ein kleiner Vogel hat mir ins Gewissen geredet.“ Er sah Evangeline aus den Augenwinkeln an. Sie stand einige Meter entfernt und hielt sich höflich zurück. Bei seinen Worten lächelte sie und senkte den Kopf. „Warum hast du dich denn in all den Jahren nicht gemeldet? Nichtmal deinen Großeltern hast du geschrieben und du bist nicht zur Hochzeit deiner Cousine gekommen. Und nach fünf Jahren stehst du auf einmal hier und...“ Nur mühsam hielt Ginny die Tränen zurück. „Wenn wir etwas über dich erfahren wollten, mussten wir in den Klatschblättern nachschauen. Im Tagespropheten konnten wir nachlesen, was du getan hast. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was wir durchgemacht haben? James Potter macht die Nacht zum Tag, Sohn des Helden in Nachtclub verhaftet. Jeden Monat Bilder mit einer anderen Frau, betrunken, schamlos. Du hast deinem Vater das Herz gebrochen!“ Abrupt erhob James sich. „Ich wusste, dass es keine gute Idee war herzukommen.“ Er schüttelte die Hand seiner kleinen Schwester ab und wandte sich zum Gehen. Auch von Evangeline ließ er sich nicht aufhalten, als sie ihm in den Weg trat. „Warum bist du dann hergekommen?“, rief Albus ihm nach, als er den Raum schon fast verlassen hatte. James blieb stehen. „Weil ich euch vermisst habe, okay? Weil ich seit fünf Jahren nicht weiß, wie es meiner Familie geht.“ Seine Stimme begann zu zittern, dann wirbelte er herum. Tränen standen in seinen Augen „Ich will wieder nach Hause.“ Wie in Zeitlupe erhob Ginny sich und kam auf ihren Sohn zu, dann strich sie mit der Hand seine Tränen fort. „Als du fortgegangen bist, habe ich dir gesagt, dass diese Tür immer für dich offen stehen wird, wenn du heimkommen möchtest. Und nun hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, dass mein Sohn nach Hause kommen will.“ Sie zog ihn in ihre Arme, doch als ein leises Aufflackern der Flammen die Rückkehr ihres Mannes ankündigte, trat sie erschrocken einen Schritt zurück. Evangeline sah neugierig hinüber. Aus dem Kamin trat ein unauffälliger Mann mit ebenso wildem Haar wie James, nur das seines heller war, als das ihres Verlobten. Er klopfte sich ein wenig Staub von seinem Reiseumhang. „Liebling, ich habe...“ Als er seinen Sohn erblickte, versteinerten sich seine Gesichtszüge. Eingeschüchtert ging James einige Schritte rückwärts und suchte ihren Blick. Evangeline nickte aufmunternd und tatsächlich atmete er tief ein und ging zögerlich auf seinen Vater zu. Auf halbem Weg blieb er stehen. Seine Hände zitterten, während Harry mit langsamen Schritten auf ihn zukam. Vor ihm blieb er stehen und sah ihm direkt in die Augen. James wollte etwas sagen, doch bevor er auch nur einen Laut hervorbringen konnte, schlug Harry ihm mit der flachen Hand hart ins Gesicht. Ginny schlug die Hände vor dem Mund zusammen und auch Evangeline erschrak so heftig, dass sie unweigerlich den Saum ihres Blazers zusammendrückte. „Du Schwachkopf! Du hitzköpfiger, trotziger Schwachkopf!“, schrie Harry und schwieg einen Herzschlag. „Warum hast du das getan? Du bist fortgegangen, du hast deine Familie verlassen und du bist nicht ein einziges Mal zurückgekommen.“ „Du... hast mich nie zurückgeholt“, flüsterte James und hielt sich die Wange, „Ich habe gewartet, aber du hast mich zurückgeholt.“ „Bin ich nicht dein Vater? Muss ich dich erst bitten zurück zu kommen?“ Harry ergriff das Kinn seines Sohnes und zwang ihn so, ihn anzusehen. „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“ „Ich habe gedacht, du willst nicht, dass ich zurückkomme. Dass du mich hasst, weil ich dich so enttäuscht habe.“ „Wie konntest du das nur denken? Wie konntest du sowas nur von mir denken?“ Harry ließ ihn los und James senkt den Blick wieder. „Ich habe dich am Tag deiner Geburt in dieses Haus gebracht. Erst durch dich wurde unsere Familie vollständig! Ich liebe dich, mein Junge, über alles in der Welt, aber... aber ich konnte dir das nicht sagen. In den vergangenen Jahren habe ich jeden Tag... nein, jeden einzelnen Moment an dich gedacht. Ich habe daran gedacht, dich zu umarmen und dir endlich zu sagen, wie viel du mir bedeutest.“ Harry sah hinüber zu Ginny. „Deine Mutter und ich wollten immer nur das Beste für dich, wir wollten dir immer nur helfen. Heute weiß ich, dass wir sehr viel falsch gemacht habe, aber damals hielt ich das, was ich tat, für das einzig Richtige. Und was ich dann im Zorn gesagt und getan habe, hat dich dazu gebracht, deine Familie zu verlassen. Und ich habe dich nicht zurückgeholt...“ James schüttelte stumm den Kopf, wollte etwas sagen, doch Harry kam ihm zuvor und brachte ihn mit einer barschen Geste zum Schweigen. „Godrics Hollow ist dein Zuhause, James. Du bist der älteste Sohn der Familie. Ich hätte dir von Anfang an deine Entscheidungen überlassen sollen und ich hätte dir sagen sollen, dass ich stolz auf dich bin, egal was du tust, doch ich konnte nicht. Ich konnte nicht... Ich habe einen Fehler gemacht.“ Er schwieg einen Augenblick und schloss kurz die Augen. „Bitte verzeih mir, mein Junge. Bitte, willst du mir verzeihen?“ Als James den Kopf hob und sah, wie Tränen in die Augen des Mannes traten, ergriff er seine Hand. „Nicht doch... es war nicht deine Schuld, sondern meine. Ich allein war an allem Schuld... “ Plötzlich schloss Harry seine Arme um ihn und zog ihn an seine Brust. Hemmungslos weinend vergrub sein Sohn den Kopf an seiner Schulter. „Bitte verzeih mir“, schluchzte er, „vergib mir... Dad, bitte vergib mir...“ „Es gibt nichts zu vergeben, mein Junge.“ Vorsichtig küsste er den Scheitel des Jungen. Gerührt von der Szene, die sich ihr bot, rannen Tränen über Evangelines Wangen, die sie vorsichtig mit einem Taschentuch wegwischte. Die Familie Potter stand vereint vor der großen Tanne, deren goldene Kugeln im Kerzenschein leuchteten. Ginny schluchzte und ließ sich von Albus in den Arm nehmen, Lily war aufgestanden und strich ihrer Mutter liebevoll über das Haar. Es dauerte einige Minuten, bevor sich James wieder gefangen hatte. Sein Vater hatte ihn die ganze Zeit im Arm gehalten und ihm sanft über den Rücken gestrichen. Schließlich reichte er ihm ein Taschentuch und fragte dann: „James, welchem Umstand verdanke ich, dass du zurückgekommen bist?“ Bei den Worten seines Vaters hob James den Kopf und es schien fast so, als müsste er wirklich eine Weile überlegen. Dann drehte er sich um und hielt Evangeline die offene Hand entgegen. Alle Blicke richteten sie auf sie, scheinbar hatte kein Familienmitglied ihre Anwesenheit bisher zur Kenntnis genommen. Nun stand sie im Mittelpunkt des Interesses und strich verlegen ihren Rock glatt. Sie lächelte schüchtern und ergriff James Hand, der sie zu sich zog. „Mom, Dad... das ist Evie“, stellte er sie vor. „Evangeline Malfoy“, stellte sie richtig und streckte seinem Vater die Hand entgegen, die dieser in der Luft schweben ließ. Regungslos betrachtete er sie und machte nicht die geringsten Anstalten, sie zu begrüßen. Langsam ließ sie die Hand sinken und zwang sich zu einem höflichen Lächeln. Ginny hingegen kam auf sie zu und schloss sie fest in die Arme. Überrascht von soviel Herzlichkeit, wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Schließlich wurde sie losgelassen, nur damit seine Frau Harry böse Blicke zuwerfen konnte. „Nun begrüß' unseren Gast schon!“, zischte Ginny. Harry reichte ihr Schließlich die Hand und drückte kurz zu. „Ist sie eine... deiner... Freundinnen?“, fragte er. James zögerte kurz, suchte nach den richtigen Worten, doch dann schien er zu begreifen, dass die Wahrheit wohl am angebrachtesten war. Er griff nach ihrer Hand und sah sein Eltern fest an. „Wir werden heiraten.“ In der folgenden Stille hätte man eine Nadel fallen hören können. Während Lily breit grinste, sahen die anderen Familienmitglieder James entsetzt an. „Wie bitte?“, fragte Ginny. „Evangeline und ich werden im Juli heiraten.“ James nickte, als müsste er seine Worte bekräftigen uns sah seine Verlobte nervös an. „Ich muss zugeben“, begann Ginny nach einigen Sekunden und kam einen Schritt näher, „Dass ich deine Eltern und vor allem deine Großeltern nicht ausstehen kann, aber du hast mir meinen Sohn zurückgebracht und deswegen... verdienst du es, dass wir... dir eine Chance geben. Nicht wahr, Harry?“ Als ihr Ehemann nicht antwortete, zwickte sie ihn in den Oberarm. „Nicht wahr, Harry?“ „Ja, wir wollen dich gerne kennen lernen.“ Zufrieden wandte sich seine Ehefrau ab und sah ihren ältesten Sohn wieder an. „Bleibt doch zum Abendessen. Die ganze Familie kommt heute Abend und ihr zwei gehört doch jetzt wieder zu uns.“ „Gerne!“, antwortete Evangeline, bevor James ablehnen konnte, „Wir bleiben gerne zum Essen.“ James Familie war anders. Diese Bezeichnung war wohl die treffenste, die sie finden konnte. Sie fühlte sich, wie in einer anderen Welt, als nacheinander Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins, Patenonkel und Patenkinder eintrafen und ausnahmslos jeder flippte vor Freude schier aus, als sie James erblickten. Auch sie wurde zunächst freundlich begrüßt, bevor Harry sie vorstellte. Schnell wurde klar, dass Vorurteile auf beiden Seiten herrschten. Besonders sein Onkel Ron war sehr erbost über ihre Verlobung, er redete James ins Gewisse, bis seine Frau Hermine ihm auf den Fuß trat und fortzog. Es war chaotisch und laut und doch schienen alle damit zufrieden. Ein Cousin spielte den Anderen Streiche, eine Cousine kreischte herum und alle lachten, als Lily sich beim Herumalbern die Hose anzündete. Einer der Anwesenden – sie hatte vergessen, wie er zu der Familie gehörte – veränderte alle paar Minuten die Haarfarbe und erntete dafür jedes mal Gelächter. In ihrer Familie war das nicht denkbar und all ihre Erziehung widersprach diesem chaotischen Durcheinander, doch seltsamerweise fand sie mit der Zeit immer mehr Gefallen daran. James Familie war sehr herzlich, es wurde einander umarmt und Küsse wurden ausgeteilt. Immer wieder wurde er ihr entrissen, nur um ihn wieder jemandem vorzuzeigen. Kurz nachdem er wieder von seinen Geschwistern fortgezogen worden war, kam jemand – sie vermutete ein Cousin – auf sie zu und führte sie hinüber in das Esszimmer, wo an der Stirn der Tafel eine alte Hexe und ein alter Zauberer saßen. James Großeltern. Sie ging langsam auf die Beiden zu. Während der Zauberer ihr ein breites Lächeln schenkte, wirkte die Hexe sehr schlecht gelaunt. Sie winkte Evangeline näher zu sich heran und kniff dann die Augen zusammen, um sie zu mustern. Vorsichtig kniete Evie nieder, faltete gesittet die Hände im Schoß und ließ es zu, dass James Großmutter ihren Kopf erst nach links, dann nach rechts drehte. Zum Schluss schüttelte sie eifrig den Kopf. „Du siehst deinem Vater nicht ähnlich.“ „Ich komme eher nach meiner Mutter, nur die Augen meiner Großmutter habe ich.“ „Eine Malfoy“, sagte sie verächtlich und zog eine Miene, als wäre sie etwas sehr ekeliges, „Nur dunkelhaarig!“ „Zum Glück!“, erwiderte Evangeline, bevor sie recht wusste, was sie tat „James und ich sind beide dunkelhaarig, da können unsere Kinder immerhin nicht rothaarig werden. Das würde meinem Vater gar nicht gefallen.“ Molly verzog entsetzt das Gesicht, doch ihr Mann begann herzhaft zu lachen. Er nahm die Brille mit den dicken Gläsern ab und wischte sich die Tränen aus den Augen. Dann setzte er sie wieder auf und sah Evie freudig an. „Mein Kind, du bist wirklich ganz reizend, wirklich!“, sagte er. „Seit wann hörst du denn so gut?“, fragte die alte Hexe und wandte sich zu ihrem Mann. Arthur verzog sofort das Gesicht und legte seine Hand wie einen Trichter an ein Ohr. „Was hast du gesagt, Molly? Ich verstehe dich nicht.“ „Und das nennt sich Respekt bei Eheleuten“, fauchte Molly und wandte sich wieder der Verlobten ihres Enkels zu. „Du bist eine Malfoy und ich mag dich nicht. Du kannst so einen Jungen wie James niemals die Stirn bieten, er braucht eine Frau, die ihm sagt, was er tun soll und nicht...“ Sie verzog wieder das Gesicht. „Nicht so ein unterwürfiges Ding, dass tut, was immer er will. Ihr reinblütigen Mädchen seid doch alle gleich.“ Evangeline lächelte verlegen. „Die Kunst liegt darin, die Männer glauben zu lassen, sie tun was sie wollen. Aber im Vertrauen... meine Großmutter sagt immer: Der Mann ist der Kopf, denn nach ihm muss alles gehen, die Frau ist der Hals, sie weiß den Kopf zu drehen.“ Eine Sekunde war Molly still und auch Arthur war verstummt, doch dann brach die alte Hexe in schallendes Gelächter aus, während ihr Mann grummelnd die Arme verschränkte. „Sowas hätte ich Narcissa gar nicht zugetraut“, sagte sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, „Du musst mir versprechen, dass du James – was die Entscheidungsgewalt angeht – niemals fünfzig Prozent überlässt.“ Evangeline beugte sich zur der alten Hexe hinüber. „Die hat er noch nie gehabt.“ Molly kicherte und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ich sehe, du hast meinen Enkel gut im Griff.“ Plötzlich erschien James neben ihr und seine Sorge war nicht zu übersehen. Molly winkte ihn zu sich heran und hielt seine Hand fest. „Hör zu, mein Junge, ich mag sie. Sie ist ein gutes Mädchen. Dein Großvater und ich sind einverstanden.“ James küsste seine Großmutter auf die Stirn und sah dann seine Verlobte an. „Wie hast du das geschafft?“, fragte sein Blick. Am Ende des Abends war sie ihrer Großmutter sehr dankbar. Schließlich hatte Narcissa stets großen Wert auf ihre Fähigkeiten betreffend Auftreten und Konversation gelegt und diese hatten ihr heute dazu verholfen, die Familie Potter/Weasley von sich zu überzeugen. Während des Abendessens saß sie ungläubig neben ihrem Verlobten. Quer über den Tisch unterhielten sich die Familienmitglieder und reichten Schüsseln umher, während Ginny und James Tante Hermine immer mal wieder aufsprangen, um Nachschlag zu holen. Tatsächlich hatte es sie sehr verwundert, dass im gesamten Haus nicht eine Hauselfe lebte und so musste das Essen selbst aus der Küche hergeholt werden. War sie es jahrelange gewohnt gewesen, bedient zu werden, war die Umstellung umso größer. War ihr Glas leer, musste sie selbst zu Flasche oder Krug greifen. Mehr als einmal hatte sie auf dem Trockenen gesessen, bis James ihr schließlich nachgeschenkt hatte. Das sich sogar das Essen so sehr von dem unterschied, was sie kannte, verunsicherte sie ein wenig. Statt vieler kleiner kunstvoll angerichteter Teller, gab es große Portionen voller Süßkartoffeln, Braten und vielen anderen Dingen, die sie noch nie zuvor gegessen hatte. Lautes Gelächter und rege Unterhaltungen während des Essens galten in Malfoy Manor als ungehörig und wurden nicht geduldet. Die Weasleys sahen das augenscheinlich anders. Bei dem Gedanken an das Festessen nach der Hochzeit breitete sich ein fahles Gefühl in ihrem Magen aus. Das konnte einfach nicht gut gehen. Spät in der Nacht, nachdem der letzte Gast abgereist war, saßen sie zusammen mit James Eltern im Wohnzimmer und gönnten sich eine Tasse Tee. Sie genoss das wohlige Gefühl der warmen Tasse in ihren Händen und wohl noch mehr genoss sie, dass Dominique Weasley sie um ihre Garderobe beneidet hatte. Seufzend stellte Harry seine Tasse auf dem niedrigen Tisch ab und sah seinen ältesten Sohn an. „Du wirst also heiraten... du hast dir das hoffentlich gut überlegt... es ist immerhin ein großes Schritt.“ James nahm einen Schluck und stellte seine Tasse dann ebenfalls ab. „Du wirst es mir nicht ausreden könnnen, dass hat Onkel Ron schon versucht... dreimal.“ „Ihr seid euch also sicher?“, wollte sein Vater wissen. „Absolut“, gab James zurück, „Das ist die beste Entscheidung meines Lebens.“ Harry goss sich noch eine Tasse Tee ein und sah dann seine Frau an, diese nickte, erhob sich und verließ den Raum, nur um kurz darauf mit einer roten Schachtel in den Händen zurückzukommen. Sie setzte sich neben Evangeline und legte ihr das Kästchen auf die Knie. „Mach sie auf!“, wies Ginny sie an. Vorsichtig öffnete sie den Verschluss und klappte ihn auf. Auf dem schwarzen Samt lag eine zarte, silberne Tiara, in deren Mitte sich ein haselnussgroßer Diamant befand. Mit spitzen Fingern griff sie hinein und hob das Schmuckstück heraus, hielt es hoch und beobachtete, wie sich das Licht darin brach. „Ich habe sie zu meiner Hochzeit getragen, wie meine Mutter und ihre Mutter zuvor und wer weiß viele andere Frauen auch. Sie hat uns allen Glück in der Ehe gebracht. Eines Tages werde ich sie Lily geben und deswegen kann ich sie dir nicht schenken, aber ich würde mich freuen, wenn du sie tragen würdet und deswegen würde ich sie dir gerne leihen.“ Ginny nahm ihr die Tiara ab und betrachtete sie verträumt. Gerührt traten ihr Tränen in die Augen. Als James Mutter es bemerkte, nahm sie ihre Hände und drückte sie fest. Harry lächelte. „Ich werde mich an den Gedanken noch gewöhnen müssen, dass eine Malfoy Teil meiner Familie wird und das wird wohl noch eine ganze Weile dauern. Ich will euch nicht anlügen, begeistert bin ich davon nicht, aber wir werden sehen, was daraus wird.“ „Ich kann dir genau sagen, was daraus wird“, meinte Ginny und steckte Evangeline die geliehene Tiara in das dunkle Haar, „Eine wunderschöne Braut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)